Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Crescendo: Oper des Wahnsinns
Crescendo: Oper des Wahnsinns
Crescendo: Oper des Wahnsinns
eBook214 Seiten2 Stunden

Crescendo: Oper des Wahnsinns

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der mit Preisen überhäufte Star-Komponist und Dirigent Johann wacht mit einem dicken Brummschädel im Kassenraum des menschenleeren Opernhauses auf. Noch kann er sich nicht an den gestrigen Tag erinnern, doch als er überall seltsame Hinweise und Nachrichten findet, kehren die Erinnerungen Stück für Stück zurück. Schnell überkommt ihn das Gefühl, dass er doch nicht die einzige Person in dem altehrwürdigen Opernhaus sein könnte …
Ein packender Thriller aus der Welt der klassischen Musik und ihrer Stars.
SpracheDeutsch
Herausgebervss-verlag
Erscheinungsdatum21. Juni 2018
ISBN9783961271146
Crescendo: Oper des Wahnsinns

Ähnlich wie Crescendo

Ähnliche E-Books

Spannung für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Crescendo

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Crescendo - Sebastian Noll

    Sebastian Noll

    Crescendo

    Oper des Wahnsinns

    Impressum

    Crescendo

    Oper des Wahnsinns

    Sebastian Noll

    © 2018 vss-verlag, 60389 Frankfurt

    Covergestaltung: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von Paixabay

    Lektorat: Elfriede Schilling

    www.vss-verlag.de

    1. Akt

    Benommen und mit einem dicken Brummschädel wachte Johann auf und öffnete seine Augen.

    »Ah, mein Schädel«, stöhnte er und hielt sich den schmerzenden Kopf. »Was ist nur passiert?«

    Taumelnd richtete er sich auf. Ihm war schwindelig und er fühlte sich noch immer ein wenig benommen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er den Ort, an dem er sich gerade befand, wiedererkannte. Über ihm baumelte eine Hängelampe, dessen energiesparende Glühbirne den kleinen Raum mit unangenehmen Licht füllte. In der Ecke, in der er gerade noch gelegen hatte, standen neben seinem ungewollten Schlafplatz zwei leere Flaschen Grünländer Bier. Johann war sich nicht sicher, ob er getrunken hatte. Normalerweise mied er dieses bayerische Gesöff. Da bevorzugte er lieber einen edleren, trockenen Wein.

    Sein Blick fiel auf den Schreibtisch, auf dem einige mit unleserlichen Notizen vollgekritzelte Zettel lagen. Eine Tasse mit einem dünnen Kaffeefilm auf dem Boden und ein vollgekrümelter Teller standen gefährlich nah am Rand des Tisches. Durch das Plastikglasfenster drang etwas Licht in das ansonsten finstere Foyer. Eine kleine Luke, durch die der Kassierer normalerweise Geld und Eintrittskarten mit den Gästen wechselte, war geschlossen. Weiter rechts neben dem Teller stand ein alter Computerbildschirm, dessen Tastatur ausschließlich mit Ziffern bestückt war, und ein Drucker, der etwa die Größe eines Toasters hatte.

    Kein Zweifel: Er befand sich im Kassenraum. Es war kein Ort, an dem Johann sich oft aufhielt. Normalerweise stand er auf der anderen Seite der Glasscheibe im Foyer.

    Wieso war er nur hier? Und wie spät war es überhaupt? Automatisch griff er mit seiner Hand in die linke Hosentasche, in der er in der Regel sein Smartphone aufbewahrte.

    »Wo ist es nur?«, sagte er zu sich selbst, als er mit seiner Hand in die leere Tasche griff. Sein Smartphone war nicht da. Verzweifelt kroch er unter den Schreibtisch in der Hoffnung, es wäre ihm beim Schlafen aus der Tasche gerutscht. Aber außer einer Mausefalle, in der noch immer ein Stück Käse klemmte, war dort nichts. Auch zwischen den ganzen Zetteln fand er es nicht.

    Mit brummenden Schädel sank er auf den lehnenlosen Kassenstuhl und versuchte sich zu erinnern. Was war passiert? Wie ist er hierher gekommen? Und wo war sein Smartphone? Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war die Freitagsvorstellung. Er ging zum Abschluss der Vorstellung als Letzter auf die Bühne und bekam dabei den größten Applaus von allen. Noch fünf Minuten, nachdem er die Bühne verlassen hatte, klatschten die Leute weiter. Danach verblasste seine Erinnerung.

    Auf die Scheibe starrend entdeckte er durch das verschwommene Spiegelbild eine Uhr an der Wand hinter ihm. Der große Zeiger stand auf der vier und der kleine auf der sechs. Mit einem Ohr lauschte er nach einem Ticken. Da war etwas, ein ganz leises Ticken. Die Uhr war also nicht stehengeblieben, zumindest nicht ganz.

    Aus der Dunkelheit schloss er, dass es abends sein musste. Auch dass um diese Uhrzeit das Foyer menschenleer war, konnte nur bedeuten, dass heute Samstag oder Sonntag sein musste. An jedem anderen Tag wäre das Foyer jetzt beleuchtet und voll mit schnatternden Besuchern, die sich auf die nächste Vorstellung freuten.

    Johann entschied sich, erst einmal nach Hause zu fahren und sich mit einer Schmerztablette ins Bett zu legen. Sobald er diesen pochenden Kopfschmerz los wäre, würde ihm schon noch einfallen, was passiert war. Blieb nur die Frage, wie er am besten nach Hause kommen würde. Mit dem Brummschädel und vermutlich noch Restalkohol im Blut wollte er nicht ins Auto steigen. Er konnte es sich auch nicht leisten, betrunken erwischt zu werden. Ein Punkt mehr und er wäre seinen Führerschein für die nächsten Monate los. Am liebsten wäre er mit dem Taxi nach Hause gefahren, aber dazu müsste er erst einmal eines bestellen können – keine leichte Aufgabe ohne Smartphone. Also blieb ihm nur der Bus – das Verkehrsmittel, das er am meisten hasste. Verschmierte Sitze, pöbelnde Jugendliche, lange Wartezeiten und unfreundliche Mitfahrer waren Gründe für seine Abneigung gegen öffentliche Verkehrsmittel. Dennoch war es in dieser Situation die richtige Wahl, denn zum Laufen fühlte er sich gerade – verständlicherweise – nicht imstande (zumal die Strecke nach Hause auch relativ weit gewesen wäre).

    Seine Hand griff in die rechte Gesäßtasche, um seinen Geldbeutel hervorzuholen. Er wollte prüfen, ob er noch genug Kleingeld für eine Fahrkarte dabei hatte. Geschockt stellte er fest, dass die Gesäßtasche, wo sein Geldbeutel normalerweise eine eckige Ausbuchtung hinterließ, ganz flach war.

    »Das kann doch nicht sein«, sagte er und fühlte zur Sicherheit auch an der anderen Seite nach.

    Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Smartphone weg; kein Geld; wie sollte er so nach Hause kommen?

    »Die Kasse«, dachte er. Er könnte sich einfach etwas Kleingeld für die Fahrkarte aus der Kasse borgen. Morgen würde er es umgehend an Edwina zurückgeben. Zum Glück wusste er, wo Edwina, eine der Kassiererinnen, den Schlüssel für die Kasse aufbewahrte. Vor einigen Jahren, als er schon einmal sein Portemonnaie zu Hause vergessen hatte, zeigte sie ihm den geheimen Ort, damit er sich das Geld aus der Kasse leihen konnte.

    Johann stand auf und hob das Polster vom Kassenstuhl wenige Zentimeter an, um dann mit der zweiten Hand darunter greifen zu können.

    »Bingo«, rief er laut auf, als er den kleinen, metallenen Schlüssel spürte und ihn anschließend siegessicher hochhielt. Sofort schob er ihn das Schloss an der Kasse, die als Metallkasten unter dem Schreibtisch befestigt war, und drehte den Schlüssel um. Mit einem Klingeln sprang sie auf und Johann fand etwa sechzig Euro darin. Viel war das nicht. Die meisten zahlten mittlerweile bargeldlos oder bestellten die Karten im Internet. Er hatte Glück, dass die Kasse nach der letzten Vorstellung nicht gänzlich geleert worden war, und so nahm er sich etwa fünf Euro in Cent- und Eurostücken heraus. Das, so hoffte er, würde für eine einfache Busfahrt reichen.

    Immer noch leicht taumelnd öffnete er die Tür zum Kassenraum und schritt etwas holprig durch das Foyer zum Ausgang, um eine der Eingangstüren aufzudrücken.

    »Mist«, fluchte er, als er vergeblich an der geschlossenen Tür rüttelte, und fühlte anschließend mit den Händen die Hemdtaschen ab. Irgendwo musste er doch seinen Schlüsselbund haben … Das konnte doch alles nicht wahr sein! Erst das Smartphone, dann sein Portemonnaie und jetzt auch noch sein Schlüssel. Selbst wenn er es schaffen würde hier herauszukommen, würde er zu Hause vor verschlossenen Tür stehen.

    Er taumelte zur nächsten Tür und rüttelte auch dort – wieder nichts. Auch die dritte der drei großen Eingangstüren war verschlossen.

    Johann drehte sich um und fing an, im Foyer auf und ab zu laufen. Eigentlich wollte er darüber nachdenken, wie es weiter­gehen sollte, aber ihm war kotzübel. Hatte er gestern Abend wirklich so viel getrunken? Er konnte sich einfach nicht erinnern. Es war wie ein schwarzer Fleck, der sich auf die Erinnerungen des gestrigen Abends gelegt hatte und den er einfach nicht wegwischen konnte.

    Mit vorsichtigen Schritten, damit er nicht stolperte und umfiel, machte er sich auf den Weg zu den Toiletten. Vielleicht würde er sich nach einer Blasen­erleichterung etwas besser fühlen. Doch noch bevor er die Tür zu den Toiletten aufstieß, wusste er, dass die Blase nicht das Einzige war, das erleichtert werden musste. Hastig schlug er eine der Kabinen auf, beugte sich über die Kloschüssel und übergab sich.

    Nach einigen Minuten fühlte er sich wieder etwas besser und stellte sich vor eines der Waschbecken. Entsetzt betrachtete Johann sein Spiegelbild. Seine blonden Haare waren ganz strubbelig, fast so, als hätte ein Vogel versucht, ein Nest auf seinem Kopf anzulegen. Das Gesicht war blass. Unter seiner Nase klebte etwas vertrocknetes Blut, und an seinem Hals erkannte er einen langen Kratzer. An seinem sonst glattrasierten Kinn und um seinen Mund standen etliche kratzige Bartstoppeln hervor.

    Dann wanderte sein Blick weiter nach unten. Er trug immer noch den Frack von der gestrigen Vorstellung, der allerdings von Staub und Flusen bedeckt war, und der bei seinen Zuschauern so sicherlich nicht mehr gut angekommen wäre. Auf dem weißen Hemd waren rötliche Flecken zu sehen und seine Fliege war offen und hing lieblos an seinem Hals herab.

    Er sah fürchterlich aus. Nicht wie sonst, wenn er eine Vorstellung hatte. Normalerweise waren seine Haare glatt gestriegelt und etwas zur Seite gekämmt. Er legte sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und achtete genau darauf, dass seine Kleidung stets sauber und im besten Zustand war. Etwas anderes würde sein Publikum auch nicht von ihm erwarten.

    Er öffnete den Wasserhahn, hielt die Hände unter das kalt fließende Wasser und spülte es sich ins Gesicht.

    Etwas erfrischt blickte er erneut in den Spiegel. Das Blut, das zuvor noch unter seiner Nase klebte, war nun abgewaschen. Dann wischte er sich mit den feuchten Händen noch etwas die Haare zurecht, bis sie wieder einigermaßen saßen.

    Plötzlich hörte er von draußen Schritte durch das Foyer hallen. Sofort wandte er sich von seinem Spiegelbild ab und schlich zur Tür hinüber, um durch einen Spalt ins Foyer zu spähen. War er womöglich doch nicht alleine im Gebäude?

    Im Foyer war alles ruhig und kein Mensch in Sicht. Johann lugte noch einmal durch den Spalt nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass sich niemand in den Ecken versteckt hatte. Dann schloss er die Tür zu den Toiletten wieder, lehnte sich dagegen und starrte für einen Moment auf ein Urinal, über das mit einem schwarzen Lackstift die Worte »Von Wolfgang für Elise« geschmiert waren.

    »Du hast dir die Schrittgeräusche nur eingebildet«, beteuerte er zu sich selbst. Doch kurz nachdem er seinen eigenen Worten Glauben geschenkt hatte, polterte draußen ein zweites Geräusch, als wenn etwas Großes und schweres umgefallen wäre. Und dieses Mal war er sich absolut sicher, dass er sich das Geräusch nicht eingebildet hatte.

    Er atmete einmal tief durch und öffnete erneut die Tür nach draußen, an die er sich gerade noch angelehnt hatte. Wieder war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Angestrengt spähte er durch das dunkle Foyer, das nur durch die schwache Lampe im Kassenraum erleuchtet wurde.

    »Ist da jemand?«, rief Johann zaghaft in die Dunkelheit hinein und horchte nach, ob außer ihm noch jemand im Gebäude war. Vielleicht probte gerade einer der Sänger im Saal oder auf der Bühne. Aber warum brannten dann keine Lichter? In einem dunklen Saal probte es sich jedenfalls nicht sonderlich gut.

    Johann dachte scharf darüber nach, wer an einem Samstagabend hier herumgeistern könnte. Doch hoffentlich kein Phantom wie das aus dem berühmten Musical?

    Er entschloss sich, zunächst die Hauptbeleuchtung im Saal und im Foyer einzuschalten. Zwar fürchtete er sich nicht vor der Dunkelheit, aber so ein Opernhaus ohne Licht war selbst ihm nicht ganz geheuer. Unglücklicherweise war der Schalter für die Lampen und Kronleuchter nicht etwa in dem Raum, der beleuchtet werden sollte, sondern gehörte zu einer Art Sicherungskasten im Keller. Jan, der Hausmeister, hatte ihm den gräulichen Kasten vor einigen Jahren gezeigt, als Johann noch etwas länger bleiben wollte, damit er die Lampen selbst ausschalten konnte.

    Schleichend schritt Johann durch das Foyer zum Treppenabgang in die untere Etage, dem Keller. Hier war es noch dunkler und unheimlicher als im Foyer, aber zumindest gab es hier einen Lichtschalter. Er betätigte den Schalter direkt am Ende der Treppe und folgte dem schlecht beleuchteten Korridor. An den Wänden verstaubten etliche Requisiten, die irgendwann einmal für verschiedene Stücke angefertigt und seitdem nie wieder verwendet wurden. Auf der rechten Wandseite lehnte ein großer Tigerkopf aus Pappmaschee und Stoff und auf der linken Seite lag eine Plastikpalme neben dem riesigen Nachbau einer chinesischen Ming Vase, die schon da stand, als Johann hier angefangen hatte. Wer weiß, wie viele Spinnen und anderes Insektengetier auf dem Boden dieser mit bunten Mustern verzierten Vase ihr Ende gefunden hatten.

    Eine mondgesichtige Clownspuppe versetzte Johann einen kurzen Schrecken, als dieser seinen Blick wieder auf die rechte Seite des Korridors gerichtet hatte. Dort thronte der furchterregende Clown auf einem alten Klappstuhl und starrte Johann mit seiner grausigen Fratze an. Direkt dahinter hing an der Wand eine große Leinwand, auf der Bäume mit Wachsmalern gezeichnet waren, die aussahen, als wären sie von den Kindern des benachbarten Kindergartens gemalt worden.

    Endlich erreichte Johann das Ende des Korridors, wo die eiserne Tür zum Hausmeisterkeller lag. Der Hausmeisterkeller war der Raum, wo nicht nur die gesamte Gebäudetechnik wie Strom-,  Wasserversorgung und Heizung untergebracht waren, sondern auch Jan, der Hausmeister, sein ‘Büro’ hatte. Johann kam nicht oft hierher. Nicht nur, weil der kleine Raum sehr chaotisch war und es unangenehm müffelte, nein, Johann gab sich außerdem nur äußerst ungern mit Menschen aus den unteren Sozialschichten ab. Ja, Johann umgab sich viel lieber mit kulturell anspruchsvollen Menschen, wie der alten Baronin von Schröckhausen, die mindestens einmal pro Monat die Oper besuchte und jedes Mal nach einer Privataudienz mit Johann verlangte. Oder dem Herzog von Yorkshire Forest, der bei fast allen Premieren extra aus England anreiste, um dann seinen Stammplatz in der ersten Reihe einzunehmen. Und auch Professor Heißinger, Dekan der städtischen Universität, war ein gern gesehener Gast seiner musikalischen Darbietungen und ein hervorragender Diskussionspartner. Besonders stolz war Johann über den Besuch des Bundespräsidenten, der im letzten Jahr wegen seiner berühmten Operette »Das steinerne Schiff« gekommen war und ihm nach der Vorstellung zu seinem »Meisterwerk« gratuliert hatte.

    Doch nun stand Johann vor der verschlossenen Eisentür des Hausmeisterbüros und drückte die schwere Klinke nach unten.

    »Abgeschlossen?«, fragte er überrascht und rüttelte zugleich genervt an der unbeweglichen Eisenplatte. »Die Tür ist doch nie abgeschlossen.«

    Gab es nicht irgendwo einen Generalschlüssel, mit der sich jede Tür im ganzen Gebäude aufschließen ließ? Damit könnte er nicht nur das Hausmeisterbüro aufschließen, sondern sogar aus seinem ungewöhnlichen Gefängnis entkommen.

    Gedankenversunken starrte Johann auf ein zerknittertes Stück Papier, das mit Tesafilm unter dem Eingangsschild der Tür festgeklebt war. Darauf stand in verschmierter Tinte und schnörkeliger, fast unleserlicher Schrift: »Der Direktor grüßt seine Dirigenten.«

    Wieso hatte Jan diesen Zettel neben seiner Tür aufgehängt? Und was sollte dieser Satz überhaupt bedeuten? In diesem Opernhaus gab es nur einen einzigen Dirigenten und das war Johann.

    Ratlos ruhte sein Blick auf dem am größten geschriebenem Wort »Direktor«. Johann pflegte ein gutes Verhältnis zu seinen beiden Vorgesetzten. Sowohl der Direktor als auch der Intendant waren damals voller Stolz, als sie den berühmten Solisten und aufstrebenden Komponisten Johann als neuen Dirigenten der Presse vorstellten. Der lokale Nachrichtensender berichtete in einer langen Reportage über ihn und auch die regionale Tageszeitung betitelte seine Einstellung mit »Ehemaliges Wunderkind übernimmt Dirigentenposten« und veröffentlichte ein langes Interview mit ihm und dem Intendanten, das dem Opernhaus viel positive Publicity bescherte.

    Wenn Johanns Gedächtnis von der gestrigen Nacht keinen Totalschaden erlitten hatte, war er sich ziemlich sicher, im Büro des Direktors vor einigen Wochen einen Ersatzschlüssel für den Keller gesehen zu haben. Er entschloss sich, den gruseligen Korridor zum Treppenaufgang zurückzukehren, und durch das Foyer die Treppe in das erste Obergeschoss zu nehmen. Seine glänzenden Lederschuhe klackerten dabei mit der harten Sohle über den kalten Marmorboden, der im Foyer und im ersten Stock verlegt war. Es war ein schöner Klang, fast wie bei einem Stepptanz. Dass seine Schritte so laut durch das Gebäude hallten, war im zuvor nie aufgefallen, was vermutlich daran lag, dass er noch nie so lange ganz alleine im Opernhaus unterwegs war.

    Oben angekommen betrat er eine Tür mit der Aufschrift »Privat« und stand im

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1