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Way Back Home: Roman
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eBook322 Seiten4 Stunden

Way Back Home: Roman

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Über dieses E-Book

Als eingeschworene ehemalige Kampfgenossen schanzen sich Kimathi und seine Freunde im neuen Südafrika große Aufträge und Jobs zu.Seit ihrer Rückkehr nach Johannesburg 1994 genießen sie, worauf sie Lust haben: Frauen, teure Autos, Alkohol, Designerkleidung.
Doch Kimathi Titos Welt hat Risse, seine Ehe ist kaputt, geschäftlich wird die Verlässlichkeit der Freunde immer fragwürdiger.
Niq Mhlongo verschränkt die Erzählung von Kimathis Leben mit ständigen Rückblicken auf die Exilzeit, in der Folterverhöre und Machtexzesse an der Tagesordnung waren. In welchem Verhältnis stehen unbedingter Gehorsam und Verantwortung zueinander, Ideal und Wirklichkeit, Loyalität und Verrat, wer ist Opfer, wer ist Täter?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum3. Aug. 2015
ISBN9783884235072
Way Back Home: Roman

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    Buchvorschau

    Way Back Home - Niq Mhlongo

    Angola

    1. KAPITEL

    Camp Amilcar Cabral, Provinz Kwanza Norte,

    Angola, 1988

    »Redest du jetzt endlich, oder was?«

    Genosse Pilate tigerte im Vernehmungszimmer auf und ab. Das Kreuzverhör dauerte nun schon vier Stunden, langsam wurde er sauer.

    Genosse Bambata kaute ängstlich an seinen Fingernägeln. Neben Genosse Idi auf dem Schreibtisch lagen ein Bogen Papier und ein Stift. Er müsste ihnen einfach nur erzählen, was sie wissen wollten. Doch er hatte nichts zu gestehen.

    Wie ein hungriger Löwe machte Pilate plötzlich einen Satz nach vorne, riss Bambata vom Stuhl und schleuderte ihn gegen die Wand. Sein Hinterkopf knallte gegen den Beton. Er verlor die Orientierung und stürzte auf die Knie. Pilate trat ihm mit dem Stiefel ins Gesicht.

    »Wer von euch hat Die Bewegung verraten?« brüllte Pilate auf Bambata herab, der einen Schwall Blut hustete.

    »Ich schwöre es … i-ich weiß nichts.«

    »Du wirst noch heute den Tag bereuen, an dem ich das erste Mal deinen Namen gehört habe!« Pilate zerrte Bambata hoch und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.

    Bambata taumelte rückwärts, Blut troff aus seiner Nase. Er drehte sich weg, um Pilate zu entkommen, doch da stand Idi schon hinter ihm und versetzte ihm einen Kinnhaken.

    Bambata fiel rücklings um, schlug mit dem Kopf auf den Boden und verlor das Bewusstsein.

    »Wir sind noch nicht fertig mit dir!«, sagte Pilate und folgte Idi zur Tür. »Wir kommen wieder. Und ich bin mir sicher, dann wirst du reden!«

    Eine Stunde später kam Bambata wieder zu sich. Sein Mund war voll Blut, das linke Auge so geschwollen, dass er kaum sehen konnte. Er rollte sich auf die Seite und spuckte aus.

    »Steh auf, Verräter!«, befahl Pilate. »Und zieh dich aus!«

    »Was?« Verängstigt blickte Bambata zu Pilate hoch. Der stand über ihm, in der Hand ein Akazienzweig, der mit weißen Dornen bespickt war.

    »Schneller!«, rief Pilate, als Bambata endlich auf seinen Füßen stand und widerwillig begann, die Kleider abzulegen. »Leg sie da hinten hin und komm rüber zum Tisch.«

    »Comrades, warum tut ihr mir das an?«, fragte Bambata; ein heftiger Schluchzer entfuhr ihm, in seinen Augen standen Fassungslosigkeit und Angst.

    »Schluss jetzt mit den blöden Fragen!«, bellte Pilate. Idi packte Bambata, stieß ihn zum Tisch und presste ihn gegen die Kante.

    Pilate hob den Zweig in die Höhe und zielte nach Bambatas Schwanz. Reflexartig zog Bambata die Schultern hoch und versuchte, sich loszureißen, doch Idi war stärker.

    Ein gellender Schrei schnitt durch den Raum, als Pilate den Akazienzweig herabsausen ließ. Es war einer dieser Schläge, die ein Mann erst im Grab vergisst.

    Pilate funkelte Bambata an. »Wenn du nicht auspackst, verprügele ich dich damit, bis er dir abfällt!« Mit einem sadistischen Grinsen deutete er zwischen Bambatas Beine.

    »Bitte nicht!«, heulte Bambata, als Pilate wieder mit dem Zweig ausholte. »Es … es war sie … Sie hat es getan!«

    »Wer sie?« fragte Idi. »Hat sie auch einen Namen?«

    »Lady Comrade … Mkabayi«, stammelte Bambata und nickte schwach.

    »Was hat sie getan?«

    »Sie … hat mir Informationen über die Buren gegeben. Und über die U-UNITA¹.«

    »Was noch?«

    »Sie … sie … hat uns aufgehetzt. Gegen Die Be-Bewegung.«

    »Schreib das auf!«, sagte Pilate und zeigte auf den Stift und das Papier, das im Luftzug des Akazienzweigs zu Boden gesegelt war. »Eine eidesstattliche Erklärung, in der du genau das aufschreibst, was sie gesagt hat. Wort für Wort.«

    Bambata konnte nur noch resigniert nicken; die Schmerzen und die Vorstellung, seine unschuldige Genossin zu verraten, waren mehr, als er ertragen konnte.

    »In einer Stunde sind wir wieder da. Dann ist die Erklärung fertig«, sagte Idi und ließ Bambata, der sich noch immer die Eier hielt, zu Boden sacken.

    »Und denk dran«, fügte Pilate hinzu, als er die Tür des Verhörzimmers öffnete. »Deine Lady Mkabayi ist der dunkle Fleck in deinem Licht. Sie ist sehr gefährlich. Du hast ohne nachzudenken ihren Lügen geglaubt.« Er machte eine Pause und beobachtete Bambata, der nach dem Stift tastete und auf das Stück Papier am Boden zukroch. »Wer innehält, erhält von innen Halt.² Veränderung passiert nicht einfach so, sie wird geschaffen, verstehst du? Von Leuten wie uns, die sich berufen fühlen. Denn wir lieben Die Bewegung!«

    2. KAPITEL

    »Halt die Fresse! Halt die Fresse!«

    Kimathi erwachte schreiend aus seinem Alptraum. Es war Sonntagmorgen elf Uhr. Er lag ausgestreckt auf dem Schlafzimmerboden seiner Villa in Bassonia. Er rieb sich die Augen und sah, dass er noch immer Anzug, Krawatte und Schuhe trug. Ein leeres Whisky-Glas lag neben ihm auf dem Boden, wo er es offensichtlich in der Nacht zuvor hatte fallen lassen. Zum dritten Mal in Folge hatte er nun schon diesen Traum gehabt. Manche Details waren so beklemmend, dass er sich in letzter Zeit gefürchtet hatte, alleine zu Bett zu gehen. Scheiße! Egal wie stark du bist, die Erinnerung an das, was dir Angst macht, holt dich im Traum immer wieder ein, dachte er und setzte sich auf. Doch er konnte die Bilder aus dem Alptraum nur schwer in Zusammenhang bringen. All das war vor mehr als zwei Jahrzehnten passiert, damals im Exil, und er konnte sich kaum mehr an die Gesichter der Personen erinnern, geschweige denn daran, was mit ihnen geschehen war.

    Kimathi stand auf und zog sich Krawatte, Jackett und Schuhe aus. Er schwankte, noch immer betrunken vom nächtlichen Besäufnis im Hyatt Regency Hotel in Rosebank. Er wusste nicht einmal mehr, wann er nach Hause gekommen war. Irgendwann um zwei oder drei morgens, dachte er, als ihm ein brennender Schwall Galle in die Kehle stieg. Mit der Hand auf dem Mund stolperte er ins Badezimmer, unter seinen Füßen spürte er die kalten Marmorfliesen. Vorm Waschbecken schloss er die Augen, würgte mehrmals und spuckte eine gelbliche und bitter schmeckende Flüssigkeit aus. Sein Kopf fühlte sich schwer und aufgedunsen an, wie kurz vorm Platzen. Gierig trank er Wasser direkt aus dem Hahn, doch das Hämmern in seinem Kopf hielt an. Als er sich haltsuchend auf das Becken stützte, fiel ihm ein, dass er seine Medikamente nicht genommen hatte. Laut Verschreibung sollte er zwei Tabletten morgens und drei am Abend nehmen.

    Kimathi torkelte ins Schlafzimmer, öffnete die unterste Schublade, nahm zwei Pillen heraus, warf sie sich in den Mund und ging zurück ins Bad, um nachzuspülen. Die Kopfschmerzen wollten einfach nicht aufhören. Er schleppte sich zur Bar und goss sich einen doppelten Rémy Martin ein; das, hoffte er, würde den Kater schon verjagen. Er leerte das Glas in einem Zug, starrte einen Moment hinein und schüttete nach. Mit dem Cognac in der Hand öffnete er die Haustür und trat ins Freie.

    Die klare, frische Morgenluft strömte in seine Lungen; Kimathi ließ sich in einen weißen Sessel neben dem Pool fallen, wo er, aus der Ferne betrachtet, wie ein Seehundbulle aussah, der sich auf einem der Felsen von Duiker Island räkelt. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, stellte es ab und rieb sich die Hände. Als er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug, begann sein Hirn langsam zu arbeiten. Nicht mehr der Alptraum beschäftigte ihn jetzt, sondern das Treffen mit seinen Geschäftspartnern, das am nächsten Tag anstand. Auch Ludwe, der Generaldirektor des Ministeriums für öffentliches Bauen, würde dabei sein. Da wird Kohle fließen, grinste er in sich hinein und schlug sich triumphierend auf den Unterarm.

    Das Geräusch eines Autos in der Einfahrt riss ihn aus seinen Gedanken. Er reckte den Kopf und sah den silbernen Golf V seiner Exfrau vorfahren. Anele kam mit ihrer gemeinsamen Tochter Zanu, die gerade sieben geworden war. Er hatte Anele seit zwei Monaten nicht gesehen, jetzt witterte er Streit. Sie waren seit zwei Jahren getrennt, Anele wohnte in Killarney, wo sie ein Apartment besaß.

    Kimathi hob langsam sein Glas vom Boden auf. Er hatte noch nicht getrunken, da stand Anele schon vor ihm. Er betrachtete sie; ihm schien, sie hatte zugenommen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißen Tupfern, eine verzierte cat’s-eye-Sonnenbrille, schwarze Wedges und ein goldenes Armband in Form eines Seesterns. In der linken Hand hielt sie eine Bibel; anscheinend kam sie gerade aus der Kirche. Kimathi machte keine Anstalten, sich zu erheben und sie zu umarmen oder ihr wenigstens die Hand zu schütteln.

    »Du gehst seit zwei Monaten nicht ans Telefon!« Sie schien sofort zum Geschäftlichen übergehen zu wollen, mit diesem drängenden Unterton in der Stimme. »Also muss ich wohl selbst vorbeikommen. Es geht um Zanus Unterhalt.«

    Kimathi nickte wortlos. Sein Blick hing an ihren roten Chandelier-Ohrringen, dann bemerkte er den geschmeidigen schwarzen Schwung des Eyeliners am Bogen ihrer Wimpern. Die Farbe ihres Nagellacks war vom gleichen Ton wie die ihrer Lippen – orange-rot. Sie sieht blendend aus, dachte er.

    Er merkte, dass er sie sein Verlangen zu deutlich spüren ließ, wandte sich ab und blickte erst zu Zanu, dann hinauf zu den bunten Vögeln, die laut auf dem rot geziegelten Dach des Nachbarhauses tschilpten. Einige umkreisten ein Nest in dem Baum, der neben dem Haus wuchs.

    »Ach so, Unterhalt?«, sagte er beiläufig, als würde ihn das Thema nicht interessieren. »Ende des Monats kann ich versuchen, dir etwas zu überweisen. Im Moment bin ich pleite.«

    »Sie ist mit dem Schulgeld vier Monate im Rückstand! Und du lebst hier auf großem Fuß und säufst deinen teuren Whisky!« Wut schwang in ihrer Stimme, als sie das Glas in Kimathis Hand sah. »Wann zahlst du endlich für die Ausbildung deiner Tochter? Scheinbar kannst du es dir ja doch leisten! Warum verkaufst du nicht einfach deine teuren Fusel und schaffst das Geld ran, hä?«

    »Ehrlich gesagt, ich bin total verkatert«, erwiderte Kimathi und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Kann das nicht warten, bis ich wieder nüchtern bin? Ich will anständig mit dir streiten!«

    Anele starrte ihn an, als hätte er sie gerade aufgefordert, ein Glas seiner Spucke zu trinken. Zorn verzerrte ihr Gesicht, doch Kimathi tat, als würde er es nicht bemerken. Eine Weile standen sie schweigend, beide gefangen in schmerzhaften Erinnerungen.

    »Warum tust du das?«, fragte Anele schließlich mit Abscheu in der Stimme. »Warum? Sag es!«

    »Um dir diese Frage zu beantworten, erlaube mir zuerst eine andere«, holte Kimathi umständlich aus und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Wer hat darauf bestanden, sie auf diese teure Schule zu schicken? Du natürlich«, und er zeigte mit dem Finger auf Anele, »denn du weißt ja immer alles besser. Ich habe dir gesagt, dass wir sie an einer günstigeren Schule anmelden müssen, nicht in Sandton. Ich habe dich gewarnt! Fünfundneunzigtausend im Jahr können wir uns einfach nicht leisten. Jetzt hast du den Beweis!«

    »Das reicht!«, schnitt ihm Anele feindselig das Wort ab. »Ich sage es dir zum letzten Mal. Zanus Schulgeld macht fünftausendfünfzig im Monat oder sechzigtausendsechshundert im Jahr. Hör also auf, mir dauernd diese Zahl vorzurechnen! Oder gibt es da etwa noch ein anderes Kind, das dich fünfundneunzigtausend im Jahr kostet?«

    »Was macht das für einen Unterschied?«, erwiderte Kimathi. »Ob es nun fünfundneunzig- oder sechzigtausend sind – du hast mir Zanu weggenommen. Warum sollte ich dich jetzt dafür bezahlen, dass du dir mit deinem Typen eine schöne Zeit machst? Vielleicht gibst du das Geld ja gar nicht für meine Tochter aus?« Die letzten Worte, kaum ausgesprochen, erschienen ihm töricht. Anele schnalzte angewidert mit der Zunge. »Weißt du was, Kimathi Fezile Tito? Kann sein, dass du im Exil eine Menge gelernt hast. Aber eines bestimmt nicht«, zischte sie, »ein Mensch zu sein!« Tränen schossen ihr in die Augen. »Du bist ein widerlicher Scheißdreck von einem Menschen!«

    Zanu begann zu weinen – tiefe, verzweifelte Schluchzer schüttelten ihren kleinen Körper. Kimathi ging vor ihr in die Hocke. So, Auge in Auge mit ihrem Vater, starrte Zanu ihn einfach nur an, verstört und mit verschleiertem Blick.

    »Es tut mir so leid, mein Liebling! Warten wir, bis Papa einen Fuß auf den Boden kriegt, mein Zuckerpüppchen. Dann wird alles gut«, sagte er und hüllte sie in seinen Cognacatem. »Im Moment mahlen die bürokratischen Mühlen noch etwas langsam für Papa, verstehst du? Aber das wird bald besser!«

    Anele starrte angeekelt auf ihn herab. Als Kimathi den Nacken seiner Tochter zu streicheln begann, ballte sie die Hand zur Faust, ließ locker, verkrampfte wieder. Ein freudiges Strahlen hellte Zanus Gesicht auf, als Kimathi die Hand ausstreckte und ihre kleinen Finger umschloss.

    »Das sagst du ihr jedes Mal!«, fuhr Anele dazwischen. »Glaubst du, sie versteht, was du da redest?« Anele kämpfte wieder mit den Tränen. »Ist dir eigentlich klar, wie viel Stress und Kummer du uns damit bereitest?«

    »Papa, gestern war mein Geburtstag«, sagte Zanu traurig. »Warum hast du mir nicht gratuliert und einen Kuchen gekauft?«

    »Entschuldige, mein Engel, ich war sehr beschäftigt.« Kimathi zog sie enger an sich heran. »Papa liebt dich jeden Tag, und an deinem Geburtstag ganz besonders! Ende des Monats schenke ich dir eine große Geburtstagsparty! Wir mieten eine Hüpfburg für dich und deine Freunde!«

    Unwillkürlich zog Zanu sich aus seiner Umarmung zurück; ihre Augen durchforschten Kimathis Gesicht, als würde sie dort Spuren der Lüge suchen. Anele schüttelte den Kopf, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Im Gegenzug versuchte Kimathi, Haltung zu bewahren, indem er seine Hosentaschen durchwühlte. Er zog einen Zweihundert-Rand-Schein hervor und drückte ihn seiner Tochter in die Hand. »Hier, kauf dir einen Geburtstagskuchen.«

    Anele kommentierte die gönnerhafte Geste mit einem Zischen. »Du beleidigst die Intelligenz meiner Tochter!« Ein Ausdruck tiefer Verachtung stand nun in ihren Augen, die noch schmaler geworden waren. »So billig sind wir nicht.«

    Sichtlich bemüht, ihre Wut zu beherrschen, packte Anele Zanu bei der Hand und zog sie zum Auto.

    Kimathi grinste säuerlich. »Gegen Frust hilft am besten Vitamin P«, rief er ihr in herablassendem Tonfall hinterher. »Dein Körper scheidet eindeutig zu viel Salz aus. P wie Penis!«

    Anele schnalzte wieder vor Ekel und verbiss sich ein Fluchen. Sie öffnete die Wagentür, schob Zanu hinein und bat sie zu warten. Kaum war das Kind sicher im Wagen verstaut, ging sie zu Kimathi zurück und baute sich vor ihm auf.

    »Vielen Dank für den Tipp, Herr Doktor. Aber ich dulde es nicht, dass du so vor meiner Tochter sprichst. Tu das nie wieder, hörst du! Nie wieder, Kimathi!« Sie hielt inne und blickte ihn kalt an. »Geschiedene Frauen sind nicht automatisch einsame Frauen. Hättest du nicht gedacht, was? Sie haben einfach keine Lust mehr auf Typen wie dich, die ihre kleinen Mickerschwänze für Vitamin P halten.«

    »Fahr zur Hölle!«

    Anele schüttelte lachend den Kopf. »Hölle?«, sagte sie. »Wir sehen uns vor Gericht!«

    »Ist das eine Drohung?«

    »Ja«, erwiderte sie mit einer Schärfe, die ihm unverhohlen zu verstehen gab, dass es zwischen ihnen endgültig vorbei war.

    Kimathi wollte etwas sagen, doch aus seiner Kehle kam kein Laut. Stattdessen sackte er zurück in den Sessel, geschlagen und erschlafft. Er fühlte sich schwach, einsam und hilflos. Er trank einen großen Schluck Cognac, schloss die Augen und schnaufte aus. Als er die Augen öffnete, waren die Kopfschmerzen wieder da. Er beobachtete Anele, die eilig über den Rasen davonging, und ballte die linke Hand zur Faust.

    ***

    Sie hatten sich zum ersten Mal in den Union Buildings³ in Pretoria getroffen, zur Amtseinführung des Präsidenten Thabo Mbeki vor acht Jahren, im Juni 1999. Da war Anele erst zwanzig gewesen und wunderschön, den Abschluss der Benoni High School gerade in der Tasche. Er hatte zu der Zeit als Wirtschaftsberater im Präsidialamt gearbeitet, sie war Mitarbeiterin der Mzukwana Catering-Firma gewesen, die das Essen für die Gäste der Präsidentenwahl bereitstellte. Während sie im Speisesaal ihre Runden zog und verschiedene Gerichte auftischte, konnte er seinen Blick nicht von ihr lassen. Ihre Augen glühten in einem Gesicht, das von der hohen Stirn über die ausgeprägten Wangenknochen spitz auf das schmale Kinn zulief. Sie trug schwarze Hosen mit weitem Schlag, eine karamellfarbene Bluse, schwarze, mit Pailletten besetzte Schuhe, einen Blazer mit Schlangenhaut-Muster, eine Halskette aus Korallen und goldene Armreifen; er fand sie umwerfend. Auf eine Art erinnerte sie ihn an seine Mutter, Akila. Er hätte sie auf der Stelle und vor Jedermanns Augen küssen wollen, um den orange-roten Lippenstift zu schmecken. Stattdessen hatte er es gerade einmal geschafft, ihr seine Visitenkarte zuzustecken, die sie, wie sie später, als sie schon eine Weile zusammen waren, gestehen sollte, noch am selben Tag verloren hatte.

    Die nächsten Tage hatte Kimathi damit verbracht, die Mzukwana Catering-Firma ausfindig zu machen. Endlich in Besitz ihrer Telefonnummer, hatte er versucht, Anele zu einem ersten Treffen zu bewegen. Sie lehnte ab, schob Ausreden vor, die Sache war ihr unangenehm. Tatsächlich willigte sie erst ein, mit ihm auszugehen, als Kimathi einen außergewöhnlichen Schritt wagte.

    Es war der 25. Juni 1999, ein Freitag, den Anele in der Zeit, als sie noch zusammen waren, oft als den romantischsten Tag ihres Lebens bezeichnet hatte. Nachdem Kimathi sich von einigen seiner Arbeitskolleginnen Tipps in Sachen Liebesromanze hatte geben lassen, rief er beim Floristen Nkele an, der sein Geschäft an der Ecke Church und Beatrix Street in Pretoria hatte, und bestellte für Anele vierundzwanzig Blumensträuße, Lieferadresse: ihr Arbeitsplatz in der Proes Street. Sobald das erledigt war, telefonierte er mit Aneles Chefin, Ms. Smith, und informierte sie über die Lieferung, die über den Tag verteilt eintreffen sollte – vier Sträuße pro Stunde. Alle Frauen im Büro hätten sie darum beneidet, erinnerte Kimathi noch heute Aneles Worte. Jede ihrer Kolleginnen habe nun plötzlich Kimathi, den Romantiker, kennenlernen wollen. So zumindest hatte sie es ihm erzählt, als sie noch ein glückliches Paar waren.

    Den fünfundzwanzigsten Strauß hatte Kimathi ihr dann persönlich gebracht – zum Büroschluss um punkt halb fünf. Sie war völlig überwältigt von seiner Geste. Er hatte sie auf dem Heimweg an der Rezeption abgefangen, und als er sie fragte, ob sie mit ihm zu Abend essen wolle – um punkt acht –, hatte sie keine Widerstände mehr gezeigt. Er führte sie ins Restaurant Baobab, das sich in der Menlyn Park Mall befand. Bei Kerzenschein erzählte sie ihm, dass Sisa, ihr aktueller Freund, ein Schlägertyp und Autoknacker war. Sie sei nicht glücklich mit ihm, Sisa nämlich hatte im Barcelona-Viertel des Daveyton-Townships angeblich so einige Frauen. Nach zwei weiteren Abendessen beschloss Anele, Sisa zu verlassen; ihre weiteren Treffen mit Kimathi hatten nun ernstere Absichten.

    Die Trauung fand am 14. Februar 2000 statt. Stundenlang hatten sie mit ihrem Heiratsberater Mapaseka zusammengesessen und ihm ihren stilvollen Hochzeitstraum erläutert – mit Erfolg, denn jeder Dienstleister oder Lieferant, den Mapaseka vorgeschlagen hatte, übertraf beim Festakt ihre höchsten Erwartungen. Die Hochzeitsfeier fand in einer exklusiven Location auf dem Gelände der Cradle of Humankind⁴ statt.

    Die Gäste kamen von weit her – aus Tansania, Angola, Sambia, Australien, England und sogar aus den USA, alle zusammen waren sie vierhundertfünfzig Gäste. Kimathi hatte Ludwe und Sechaba als Trauzeugen gewählt, Aneles Brautjungfern, Aya und Yolanda, kamen aus dem Daveyton-Township. Der Tag war erfüllt von Liebe, Freude und Gelächter. Sogar ein Ständchen hatte Kimathi Anele dargebracht – Always You von James Ingram, unter den großen alten Bäumen am Ufer des Flusses, der durch den Garten mäanderte. Es war ihr Lieblingssong, und unmittelbar danach hatte sie ihm zugeflüstert: »Du hast mein Herz gestohlen, Kimathi Fezile Tito, also nehme ich mir deinen Nachnamen. Als Rache.«

    ***

    Eine schwarze Ameise biss Kimathi in die linke Hand und holte ihn unsanft zurück in die Wirklichkeit. Er zerquetschte das Insekt mit dem Finger. Es ist aus und vorbei, dachte er. Selbst den Diamantring, eines seiner teuren Geschenke, hatte Anele zuletzt verpfändet. Für Zanus Schulgebühren, hatte sie achselzuckend erwidert, als er sie danach fragte.

    Kimathi blickte auf sein Glas Cognac, das am Boden stand; ein paar Ameisen waren darin ertrunken. Er schüttete den letzten Rest in den Garten, spürte Verlangen nach mehr, stand auf und ging zurück ins Haus. Vor der Bar bog er ab und öffnete instinktiv die Tür seines Schlafzimmers. Als er den Raum betrat, den er einst mit Anele geteilt hatte, zwang er sich seine Ex-Frau in einem Bild vor Augen, an das er noch immer gerne dachte. Er öffnete eine Schublade und fischte einen roten BH und den GString heraus, den sie dazu getragen hatte. Als sie aus dem Haus ausgezogen war, hatte er beides vor ihr versteckt – Souvenirs, die ihn an sie erinnern sollten. Er holte Aneles Lieblingsparfum aus dem Schminktisch hervor – Lancôme Trésor Midnight Rose – und sprühte es auf den BH und den G-String. Dann saugte er den Geruch ein und setzte sich aufs Bett, in den Händen die Unterwäsche. Gedankenversunken starrte er an die Wand. Vergiss es. Nostalgische Gefühle sind Selbstbetrug. Sie gehört nicht mehr dir. Du hast sie für immer verloren. Du musst weitermachen, Kumpel. Und sie muss es auch.

    3. KAPITEL

    Kimathi war ein echtes Kind des Exils, gezeugt in einem Akt liebloser Geilheit im Dorf Mazimbu Darajani, nahe Morogoro in Tansania, das auch als Dark City bekannt war. Sein Vater, Lunga Tito, stammte von den Xhosas ab und lebte in Dimbaza, einem Township zwanzig Kilometer außerhalb von King William’s Town. Seine Mutter war eine Swahili aus Kwa-Ngiriki. Kimathi sprach beide Sprachen fließend, Xhosa und Swahili. Seine Eltern hatten sich im Januar 1969 in Kwa-Ngiriki kennengelernt, während Lungas Exil in Tansania. Noch im gleichen Jahr, am 31. Oktober, wurde Kimathi geboren; sein Geburtstag fiel mit dem des Mau Mau-Führers Dedan Kimathi Waciuri zusammen, der

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