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Todessemester
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eBook370 Seiten5 Stunden

Todessemester

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Über dieses E-Book

Kommissar Alexander Hermanns ist wenig erbaut, als er während seiner nachträglich veranstalteten Hochzeitsfeier auf Geheiß von höchster Stelle zu einem Tatort beordert wird.
Unwillig nimmt er mit seinem Team die Ermittlung auf, ahnungslos, dass dieser Fall eine Belastungsprobe für seine junge Ehe bereithält.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Sept. 2011
ISBN9783844867046
Todessemester
Autor

Claudia B. Froese

Claudia Froese, Jahrgang `57, lebt seit 1988 in der Nähe von Frankfurt und arbeit dort als Krankengymnastin. Einem achtjährigen Jungen ist es zu verdanken, dass sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte - er inspirierte sie zu einer Geschichte. Danach versuchte sie sich an einem Krimi. Er fand sowohl bei Freunden als auch bei Patienten Anklang, was sie bestärkte, dem Schreiben treu zu bleiben.

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    Buchvorschau

    Todessemester - Claudia B. Froese

    gewollt.

    1

    Die Party näherte sich dem Höhepunkt, als die Kapelle einen Hochzeitswalzer intonierte und die anwesenden Gäste lautstark einen Tanz der Brautleute forderten.

    Es war Marions Hochzeitsfeier. Im Februar hatten Kommissar Alexander Hermanns und sie in aller Stille geheiratet, aber Verwandten und Freunden das Versprechen gegeben, ein großes Fest nachzuholen. Noch immer konnte Marion es nicht fassen, dass sie sich hatte breitschlagen lassen, Alex’ Frau zu werden.

    Im letzten Jahr hatten sich ihre Wege gekreuzt, als sie im Rahmen von Ermittlungsarbeiten in mehreren Mordfällen ins Visier der Polizei geriet und lange Zeit als Verdächtige galt. In dieser Zeit waren sie sich nähergekommen. Der Verdacht hatte sich schließlich als unbegründet herausgestellt, doch die Zuneigung zwischen ihnen war geblieben.

    Nun saß sie auf ihrem Platz und beobachtete die fröhliche Gesellschaft: Jenny, Kollegin und Freundin, flirtete mit jedem Mann, wie es ihre Art war, Linda, Alex’ rechte Hand und seit einem Jahr auch Marions Freundin, tanzte ausgelassen.

    Und Marions Familienmitglieder waren in angeregte Gespräche vertieft und schienen sich wohl zu fühlen. Bislang war die Feier ein voller Erfolg, nur die mittlerweile skandierenden Rufe nach einem Tanz bereiteten ihr Unbehagen. Sie hatte noch nie mit Alex getanzt, zudem mochte sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

    Lachend erhob sich Hermanns schließlich und zog eine widerstrebende Marion mit sich. Mit einem gequälten Lächeln im Gesicht folgte sie ihm auf die Tanzfläche.

    Als habe er ihre Gedanken gelesen, schloss er sie fest in die Arme und sagte: „Lass dich einfach von mir führen, dann wird’s schon klappen." Er lächelte ihr aufmunternd zu und wirbelte sie im Kreis herum.

    Wider Erwarten gefiel es Marion, auch konnte sie mühelos seinen Schritten folgen. Schon nach wenigen Augenblicken war sie gefangen von der Musik, und die Wärme von Hermanns’ Körpers tat ein Übriges, den zuvor gefürchteten Tanz in vollen Zügen zu genießen.

    Unter großem Applaus und außer Atem ließ sich Marion einige Minuten später lachend auf einen Stuhl sinken und gönnte sich einen kräftigen Schluck Wasser. Hermanns beugte sich zu ihr herüber und drückte ihr einen Kuss auf die überhitzte Wange.

    „Na, war doch gar nicht so schlimm, oder?!", fragte er.

    „Nein. Es hat mir sogar Spaß gemacht!" Sie strahlte.

    Plötzlich drang das Klingeln eines Handys an ihr Ohr. Irritiert huschte ihr Blick über die Gäste. Sie entdeckte Jörg, ein Arbeitskollege von Hermanns, mit dem Telefon in der Hand. Sie konnte nicht hören, was er sagte, dazu saß sie zu weit entfernt, aber seiner Miene nach zu urteilen war es kein angenehmes Gespräch. Beunruhigt beobachtete sie ihn weiterhin.

    Kurz darauf beendete er das Telefonat, steckte das Handy weg und trat auf Hermanns zu. Sie flüsterten miteinander.

    Marion beschlich ein ungutes Gefühl. Was hatte Jörg an diesem Abend so Geheimnisvolles mit Alex zu besprechen? Sie ließ die beiden Männer nicht aus den Augen. Hermanns nickte ein paar Mal, dann verschwand Jörg. Was hatte das alles zu bedeuten?

    Sie verscheuchte die Gedanken und widmete sie sich ihrem Bruder, der sie gerade ansprach; sie wollte sich den Tag nicht verderben lassen.

    Tobias beglückwünschte seine Schwester zu dem Glücksgriff, den sie mit der Wahl ihres Mannes getan hatte. Sein neuer Schwager gefiel ihm, was er wortreich zum Ausdruck brachte.

    Hermanns unterbrach das Gespräch. „Entschuldigt bitte. Es könnte passieren, dass ich heute Abend noch weg muss. Marion, drück die Daumen, dass die Kollegen ohne mich zurechtkommen. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dich ausgerechnet heute allein zu lassen. Aber es gab einen Mord und der Chef ist der Ansicht, dass meine Anwesenheit am Tatort erforderlich sei." Er beugte sich vor, umarmte sie und drückte sie fest an sich. Sie spürte, dass er die Party um keinen Preis der Welt verlassen wollte.

    „Ich habe erst einmal Jörg losgeschickt. Vielleicht brauchen sie mich gar nicht. Komm, lass uns tanzen!"

    Während des Tanzes flirteten sie, als wären sie frisch verliebt. Marions Herz klopfte aufgeregt, und plötzlich sehnte sie sich danach, mit Alex allein zu sein. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen. Wie sehr sie diesen Mann liebte, dachte sie gerade, als ein Kellner, der Hermanns ans Telefon bat, die Stimmung zerstörte. Bedauernd strich er Marion über die Wange, dann folgte er dem Kellner.

    Unvermittelt fand sie sich allein auf der Tanzfläche wieder.

    Dieser Tag hätte ausschließlich ihnen gehören sollen, aber Alex’ Beruf schien ihnen wieder einmal dazwischenzufunken. Resigniert zuckte sie die Achseln. Doch bevor sie in Trübsinn versinken konnte, trat ihr Vater auf sie zu und beendete den Tanz mit ihr; er hatte den unglücklichen Ausdruck in den Augen seiner Tochter bemerkt.

    „Was machst du denn für ein Gesicht? Heute solltest du doch nur strahlen!?" Liebevoll strich er ihr über die Wange.

    „Ich hasse Alex’ Job! Wie es aussieht, wird er gleich gehen. Und wer weiß, wann er dann wieder auftaucht!" Frustriert lehnte sie den Kopf an die Schulter ihres Vaters.

    „Nimm’s nicht so schwer. Immerhin wusstest du, worauf du dich einlässt, als du dich für Alex entschieden hast, oder?! Noch ist doch überhaupt nicht sicher, ob er geht."

    Ihr Vater hatte ja recht, aber es schmerzte dennoch, dass Alex sie ausgerechnet bei ihrer Hochzeitsfeier allein lassen würde.

    „Jaa! … Aber er wird gehen, das weiß ich … Wieso ausgerechnet heute?! Kann nicht jemand anders diesen Job erledigen?!" Um nicht vollends den trüben Gedanken zu verfallen, flüchtete sie in einen ausgelassenen Tanz mit ihrem Vater.

    Sie legten eine flotte Sohle aufs Parkett, als Hermanns Marion am Arm berührte, er trug bereits seinen Mantel.

    „Tut mir leid, aber ich muss gehen. Der Chef besteht darauf. Als Entschädigung hat er mir einen freien Tag versprochen." Mit einem schiefen Lächeln und einem innigen Kuss verabschiedete er sich.

    So habe ich mir meine Hochzeitsfeier nicht vorgestellt, dachte Marion betrübt und verfluchte den Tag, an dem sie sich in Hermanns verliebt hatte.

    Trotz Hermanns’ Abwesenheit blieb die Stimmung gut und der Abend wurde ein voller Erfolg. In den frühen Morgenstunden verließen die letzten Gäste das Fest. Marion begleitete noch ihre Familie zum Hotel, in dem sie Zimmer reserviert hatte, dann fuhr sie mit einem Taxi heim.

    Vor einigen Monaten war sie zu Hermanns gezogen, aber so ganz hatte sie sich noch nicht eingelebt. Immerhin war ihre Wohnung mehr als nur ein Dach über dem Kopf gewesen. Es war ein Ort, an den sie sich zurückziehen konnte, wenn ihr die Welt wieder einmal zu unwirtlich erschien, oder um einfach nur in Geborgenheit die Seele baumeln zu lassen. Dort hatte sie sich wohlgefühlt. Doch hier fehlte ihr all das. Manchmal kam sie sich sogar wie ein Eindringling vor, wie in diesem Augenblick, als sie den dunklen Flur betrat. Fröstelnd zog sie den Kopf ein und schaltete das Licht an.

    Sie betrat das Schlafzimmer, entledigte sich ihres Kleides, hängte es auf einen Bügel und schlüpfte in Jogginghose und ein weites T-Shirt. In diesem Moment sehnte sie sich zurück in ihre gemütliche Wohnung, wo sie sich nach dem Desaster, eine Hochzeitsfeier ohne Ehemann, um einiges wohler gefühlt hätte.

    Anschließend ging sie mit einem Glas Wein in der Hand ins Wohnzimmer und machte es sich in Alex’ Lieblingssessel bequem, einem uralten neu aufgepolsterten Ohrensessel, zog die Füße unter sich und grübelte.

    Halte ich es wirklich aus, die Frau eines Polizisten zu sein? Was ist, wenn ich Alex dringend brauche und er zu einem Einsatz gerufen wird? Wird nicht immer so ein Gefühl von „Er hat mich wieder einmal im Stich gelassen" in mir hochkommen? Werde ich nach mehreren solcher Enttäuschungen verbittert sein und ihm Vorwürfe machen?

    Plötzlich musste sie an Maren, Alex’ Exfrau, denken. Sie war aus der Ehe ausgebrochen. War das die letzte Konsequenz in einer Polizistenehe?

    Eine Stimme in Marions Kopf verschaffte sich energisch Gehör: Das alles hättest du dir vorher überlegen sollen. Warum hast du denn seinen Antrag angenommen, he? Selbst schuld!

    Sie schüttelte den Kopf, um die quälenden Gedanken zu verscheuchen. Was ist los mit mir? Ich liebe Alex doch und ich bereue meinen Entschluss nicht, ihn geheiratet zu haben. Ich bin einfach nur enttäuscht darüber, dass die Feier nicht meinen Vorstellungen entsprach. Basta!

    Unterdessen hatte sie das Glas geleert. Sie erhob sich, um in der Küche nachzufüllen; während des Fests hatte sie sich mit dem Alkohol zurückgehalten, doch jetzt verspürte sie das Bedürfnis danach.

    Zurück im Sessel fiel ihr Blick auf die Uhr am Videorekorder. Es war bereits vier Uhr durch und Alex noch immer nicht da, stellte sie erschrocken fest. Es musste etwas besonders Schlimmes geschehen sein, anders konnte sie sich seine lange Abwesenheit nicht erklären. Beunruhigt nippte sie am Wein.

    Die Stille in der Wohnung machte ihr zunehmend zu schaffen und so legte sie eine CD in den Rekorder. Dann saß sie einfach nur da und sah aus dem Fenster. Es wurde bereits hell und die Vögel begannen zu zwitschern.

    Irgendwann war sie wohl eingenickt, sie schreckte auf, als sie plötzlich ein Geräusch im Korridor vernahm.

    Hermanns erschien in der Tür. „Du bist noch wach?", fragte er erstaunt.

    „Ich konnte nicht schlafen. Ich habe die ganze Zeit gegrübelt, was denn so Schreckliches geschehen ist, dass du nicht wiederkommst." Von ihren düsteren Gedanken erzählte sie ihm nichts.

    Hermanns antwortete nicht, sondern fragte: „Hast du ein Glas Wein für mich?"

    Marion musterte ihn, entdeckte aber keinerlei Regung in seinem Gesicht. Er sah müde aus.

    „Natürlich habe ich Wein für dich. Meinst du etwa, ich hätte aus lauter Frust unseren gesamten Weinvorrat ausgetrunken, weil mich mein Ehemann mit den Hochzeitsgästen alleingelassen hat?, konterte sie scherzhaft. „Dann bist du aber schief gewickelt. Sie hakte sich bei ihm unter und begleitete ihn in die Küche.

    Er füllte sich ein Glas und setzte sich zu ihr an den Küchentisch. Schwer barg er den Kopf in den Händen.

    „Was ist denn nur geschehen?" Marion wollte endlich den Grund erfahren, der für die Störung der Party verantwortlich war.

    „So etwas Grauenhaftes habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nicht gesehen!" Hermanns schüttelte den Kopf, als könne er die schrecklichen Bilder, die ihn verfolgten, auf diese Weise loswerden.

    Marion trat zu ihm und legte die Arme um ihn. „Komm, erzähl. Du weißt, ich kann den Mund halten." Sanft strich sie ihm über die Wange. Sein Schweigen machte sie wahnsinnig! Sie wusste, dass er der Schweigepflicht unterlag, genau wie sie in ihrem Beruf als Physiotherapeutin, aber sie wollte ihn unterstützen, sofern es in ihrer Macht stand. Sie konnte das Gefühl ausgeschlossen zu sein nicht ertragen.

    Hermanns wischte sich über die Augen. Nach einem Schluck vom Wein sagte er: „Ich bin todmüde! Aber ich glaube kaum, dass ich schlafen kann. Diese entsetzlichen Bilder werden mich bestimmt bis in meine Träume hinein verfolgen!"

    „Dann erzähl doch endlich, was du gesehen hast!" Marion platzt bald der Kragen. Warum rückte er denn nicht mit der Sprache heraus, er konnte doch mit ihr reden?! Dennoch hielt sie sich zurück.

    Endlich, nach schier endlosem Schweigen, begann er zu sprechen. „Als ich die Wohnung betrat, in der die Leiche gefunden worden war, erwartete Jörg mich bereits und sagte, ich solle mich auf das Schlimmste gefasst machen. Ich folgte ihm in das Schlafzimmer, und da lag sie …" Er hielt inne und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Marion verdrehte die Augen, ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

    „Sie lag auf dem Bett … Die Bettlaken waren blutgetränkt. Ihr Gesicht, übrigens bildhübsch und verdammt jung, war weiß wie die Wand. Mein Magen krampfte sich bei ihrem Anblick zusammen … Und dann fiel mir auf, dass sie keine Brüste hatte … Der Mörder hatte die Brüste abgeschnitten, deshalb das viele Blut!!!!" Er schüttelte sich bei der Erinnerung an das entsetzliche Bild.

    „Ich hielt den Atem an und bemühte mich, das unkontrollierte Zittern meiner Knie unter Kontrolle zu bekommen. Mir wurde speiübel, beinahe hätte ich mich übergeben. Meine ganze Willenskraft musste ich aufbieten, um nicht zu kotzen. Jörg, der schweigend neben mir stand, war auch sehr blass. Ihm war es bei seinem Eintreffen wahrscheinlich ebenso ergangen wie mir, denn er sah mich mitfühlend an. Als ich mich nach dem Verbleib der Brüste erkundigte, sagte er kein Wort, sondern führte mich in die Küche und deutete auf den Mülleimer … Da war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Ich rannte ins Bad und kotzte mir die Seele aus dem Leib. Es war mir nicht mal peinlich."

    Hermanns schwieg erneut, war mit seinen Gedanken weit weg.

    Marion schluckte schwer und nahm einen kräftigen Schluck Wein. Was waren das nur für perverse Menschen, die zu solch einer Tat fähig waren? Sie stellte sich das Szenario in der Wohnung der Toten bildlich vor und konnte nachempfinden, dass Alex schlecht geworden war. Es war nicht immer von Vorteil, eine blühende Phantasie zu besitzen, dachte sie, bemüht, die Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen. Spontan umarmte sie Hermanns und hielt ihn fest umschlungen.

    Seinen Kopf an ihre Brust gelehnt, atmete er tief durch. „Jörg und ich konnten nicht viel ausrichten, also überließen wir der Spurensicherung das Feld … Die Frau war höchstens fünfundzwanzig, eher jünger … Was mag sie nur verbrochen haben, dass jemand ihr so übel mitgespielt hat? Hat sie das verdient?!" Tränen traten in seine Augen. Er schämte sich seiner Schwäche nicht und ließ ihnen freien Lauf. Behutsam wischte Marion sie fort.

    „Sie hat diesen Tod nicht verdient. Kein Mensch verdient es, eines gewaltsamen Todes zu sterben. Wie sagt man so gern? Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Du wirst den Fall schon klären und den Mörder finden. Denk nur an die Morde an den alten Damen, die hast du auch aufgeklärt. Du wirst das schon schaffen!"

    Mein Gott, klang das alles platt, was sie da von sich gab! Aber es schien Alex zu beruhigen.

    „Dein Wort in Gottes Gehörgang! Hermanns’ Worte klangen bitter. „Ich brauche noch ein Glas Wein.

    „Ich hol es dir, bleib sitzen." Marion erhob sich, um Wein nachzuschenken, dabei versuchte sie einen klaren Kopf zu bekommen. Die Geschichte, die Alex erzählt hatte, klang ausgesprochen scheußlich. Um nichts auf der Welt hätte sie mit ihm tauschen wollen. Im Stillen leistete sie Abbitte wegen ihrer Zweifel, die sie im Laufe des Abends gehegt hatte.

    Hermanns trank den Wein wie Wasser. Wollte er sich betrinken? Marion hätte es verstanden. Doch ihre Sorge war unbegründet. Nur geraume Zeit später erhob er sich.

    Müde sagte er: „Ich muss mich jetzt hinlegen, um neun Uhr werde ich schon wieder auf dem Revier erwartet. Ich fühle mich schrecklich!"

    Marion legte einen Arm um seine Taille, und gemeinsam gingen sie ins Schlafzimmer.

    Wie ein Kind, das man nach einem Albtraum tröstete, hielt sie ihn fest im Arm und streichelte ihn beruhigend. Eine Zeit lang ließ er es zu, doch plötzlich presste er Marion an sich und küsste sie leidenschaftlich. Augenblicklich erwachte ihre Lust, und wenig später liebten sie sich ungestüm.

    Bisweilen hatte sie den Eindruck, Alex reagiere seine Wut und Frustration ab, auch kam es ihr so vor, als brauche er die Bestätigung, dass er lebte und alles andere nichts mit ihm zu tun hatte. Weinend, sie fest umklammert, schlief er schließlich ein.

    Stundenlang betrachtete sie ihn und traute sich nicht einzuschlafen; sie wollte wach sein, falls ihn Albträume quälten. Sie konnte am kommenden Tag den versäumten Schlaf nachholen, Alex nicht. Allerdings war das Wochenende wieder einmal ruiniert, dachte sie frustriert, aber es lohnte nicht, sich darüber zu ärgern.

    Marion hatte kein Auge zugetan und stand früh auf. Sie fühlte sich erschöpft. Alex hatte friedlich geschlafen, ohne von Albträumen heimgesucht zu werden; der Alkohol hatte sicherlich seinen Teil dazu beigetragen. Sie bereitete das Frühstück zu und hing ihren Gedanken nach.

    Kaffeeduft erfüllte die Wohnung, als Hermanns sich aus den Federn schälte. Sein Kopf schien zu doppelter Größe angewachsen zu sein, er fühlte sich elend. Auch die lauwarme Dusche vermochte seine Lebensgeister nicht zu wecken. Er betrat die Küche. Verblüfft starrte er auf den liebevoll gedeckten Tisch. Marion saß am Kopfende und wünschte ihm strahlend einen guten Morgen.

    „Wie kannst du an diesem Morgen nur so fröhlich sein?" Verständnislos schüttelte er den Kopf.

    „Soll ich etwa Trübsal blasen, nur weil du ein traumatisches Erlebnis hattest und meine „Hochzeitsnacht geplatzt ist?, entgegnete sie schelmisch grinsend, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen.

    „Nein, natürlich nicht. Er nahm Platz und goss sich Kaffee ein. „Ich muss dir übrigens noch was sagen.

    Er druckste herum, und Marion schwante Böses.

    „Wir müssen unsere Reise leider verschieben. Ich bin für diesen Fall zuständig. Der Chef besteht darauf, dass ich die Aufklärung persönlich übernehme, also gibt es keinen Urlaub", brachte er schließlich gepresst heraus.

    Marion schluckte schwer, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Wusst ich’s doch! Sie verwünschte ihre eingetretene Vorahnung.

    „Das hatte ich befürchtet. Aber da ich es nicht ändern kann, werde ich mich nicht ärgern. Dann fahren wir eben, wenn der Fall abgeschlossen ist. Und dann akzeptiere ich keine Ausreden! Mir wird schon etwas einfallen, dich von der Arbeit fernzuhalten!" Sie lächelte, obwohl ihr eher nach Weinen zumute war.

    Hermanns widmete sich seinem Frühstück, um nicht antworten zu müssen. Er wusste, dass er Marion eine herbe Enttäuschung bereitet hatte. Und irgendwie quälte ihn deswegen das schlechte Gewissen. Dabei hatte er mit allen Mitteln darum gekämpft, diesen Fall nicht bearbeiten zu müssen. Aber gegen seinen Chef war er machtlos. Er bewunderte seine Frau für ihre Tapferkeit. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass sie ihm eine Szene machen würde, wie es Maren immer getan hatte. Doch wieder einmal wurde er eines Besseren belehrt, Marion ähnelte in keiner Weise seiner Exfrau. Und er wünschte sich, sie für alles entschädigen zu können.

    Marion beobachtete Alex, der mit gutem Appetit aß, sie selbst trank nur einen Kaffee.

    „Wann wirst du denn heute Abend nach Hause kommen?", erkundigte sie sich, als er schließlich den Mantel anzog.

    „Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Ich versuche, mich so früh wie möglich abzuseilen." Mit einem schiefen Lächeln verabschiedete er sich.

    Nachdem er gegangen war, kroch Marion zurück ins Bett, vergrub das Gesicht in den Kissen und weinte bitterlich. Sie fühlte sich alleingelassen und all ihrer Träume beraubt. Warum musste sie sich ausgerechnet in einen Polizisten verlieben?! Über diesem Gedanken schlief sie schließlich ein.

    2

    Eingehend betrachtete Hermanns die Aufnahmen, die der Polizeifotograf ihm ins Büro geschickt hatte. Sie waren scheußlich, und die Erinnerung an den letzten Abend stieg in ihm hoch. Wie gut, dass Linda nicht vor Ort gewesen war, überlegte er und warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Die Fotos hatten sie merklich erschüttert, noch hatte sie keinen Ton gesagt.

    „Was sagt denn Dr. Huber? Ist er mit der Obduktion schon fertig?" Linda hatte ihre Stimme in der Gewalt. Bewundernd warf Hermanns ihr einen raschen Blick zu.

    „Fertig ist er noch nicht, aber er konnte die Tatzeit eingrenzen. Sabine Zeller wurde zwischen 21 und 23 Uhr getötet. Den detaillierten Bericht liefert er nach. Lange kann das aber nicht mehr dauern, du kennst doch Huber. Die Spurensicherung hat übrigens eine ganze Menge gefunden. Das auseinanderzudividieren, wird allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen. Mist! Ich hatte mich so auf den Urlaub mit Marion gefreut! Wird Zeit, dass du dich endlich weiterbildest, damit du meine Vertretung übernehmen kannst und der ganze Kram nicht immer an mir hängenbleibt!"

    Er war schlecht gelaunt. Er meinte durchaus ernst, was er gerade gesagt hatte, andererseits wollte er Linda aber als Kollegin nicht verlieren. Sie waren ein gutes Team.

    Konzentrier dich auf die Fakten und hör auf, dir den Kopf über dieses Thema zu zerbrechen, rief er sich zur Ordnung.

    „Wer hat sie eigentlich gefunden?", erkundigte sich Linda, seinen Ausbruch ignorierend.

    „Ihr Freund. Er war dermaßen durcheinander, dass wir ihn gestern nicht näher befragen konnten. Ich habe ihn für 11 Uhr einbestellt. Bleibt zu hoffen, dass er uns nützliche Informationen liefert."

    „Den werde ich genauer unter die Lupe nehmen. Was hast du sonst noch veranlasst?"

    „Ich habe Jörg gebeten, Sabine Zellers Familie ausfindig zu machen und sie zu benachrichtigen. Er ist der Richtige für diesen Job. An seiner Stelle möchte ich allerdings nicht sein."

    „Das glaube ich dir gern."

    Es klopfte. Gleich darauf steckte ein Beamter den Kopf zur Tür herein. „Ein Herr Wedekind möchte Sie sprechen."

    „Schicken Sie ihn bitte herein. An Linda gewandt, sagte Hermanns: „Das ist der Freund der Toten.

    Zögerlich betrat ein junger Mann das Büro. Er war mittelgroß, hatte braunes kurzes Haar, war unrasiert und auffallend blass. Er wirkte übernächtigt und nervös.

    „Nehmen Sie bitte Platz, Herr Wedekind. Das ist meine Kollegin Frau Solms, stellte Hermanns Linda vor. „Zunächst einmal werden wir Ihre Personalien aufnehmen. Er hatte einen Plauderton angeschlagen und lächelte aufmunternd.

    Frank Wedekind nickte, dann beantwortete er die Fragen zu seiner Person.

    Sie erfuhren, dass er 25 Jahre alt war und an der Frankfurter Universität im letzten Semester Erziehungswissenschaften studierte. Seit einem Jahr war er mit Sabine Zeller liiert; sie hatten sich an der Uni kennengelernt.

    „Bitte erzählen Sie uns, wie der gestrige Abend verlaufen ist", sagte Hermanns schließlich.

    „Sabine und ich waren verabredet, wir wollten auf eine Semesterfete. Als sie um halb neun noch immer nicht da war, versuchte ich, sie telefonisch zu erreichen, aber ich hatte kein Glück. Also ging ich allein los."

    „Ist es häufiger vorgekommen, dass sie Verabredungen nicht einhielt?", wollte Hermanns wissen.

    „Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe mir weiter keine Gedanken darüber gemacht, schließlich wollten wir uns mit der Clique treffen. Ich nahm an, dass wir uns missverstanden hätten und sie bereits auf der Party war. Aber dem war nicht so, auch hatte niemand was von ihr gehört … Sie tauchte den ganzen Abend nicht auf …" Frank Wedekind schwieg eine Weile, bevor er fortfuhr. Linda und Hermanns warteten geduldig.

    „Wieder und wieder habe ich bei ihr angerufen, erfolglos. So gegen 23 Uhr bin ich dann schließlich zu ihr gefahren. Sie hat mich noch nie ohne eine Entschuldigung versetzt, und langsam machte ich mir ernsthaft Sorgen.

    Als sie auch auf mein Klingeln hin nicht öffnete, benutzte ich meinen Schlüssel … Und im Schlafzimmer fand ich sie dann …"

    Die Erinnerung an den grausigen Fund holte Frank Wedekind ein, er rang um Fassung. Tränen liefen über sein Gesicht, aber er ignorierte sie.

    „Möchten Sie etwas trinken, ein Glas Wasser oder einen Kaffee?", unterbrach Linda seine Gedanken.

    „Einen Kaffee, bitte. Er kramte ein Taschentuch aus der Hosentasche, schnäuzte sich und wischte die Tränen fort, dann spielte er mit der Kaffeetasse. „Wer hat ihr das nur angetan?! Ich versteh das nicht?!, fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

    „Das wissen wir im Augenblick leider auch nicht, aber wir werden es herausfinden. Was studierte Frau Zeller eigentlich?", nahm Hermanns die Befragung wieder auf.

    „Psychologie." Wedekind trank einen Schluck Kaffee.

    „Was können Sie uns über Frau Zeller erzählen? Hatte sie viele Freunde? Was machte sie in ihrer Freizeit? Hat sie Geschwister? Was wissen Sie über ihre Familie?"

    Wedekind brauchte einen Moment, um sich zu sammeln, überlegte kurz, dann antwortete er: „Sie hat eine jüngere Schwester, die lebt in Freiburg. Ich habe sie auf einer Familienfeier kennengelernt. Sabine verstand sich nicht besonders gut mit ihr. Den Grund dafür kenne ich nicht. Ich fand sie eigentlich ganz sympathisch …" Er legte eine Pause ein, Erinnerungen nachhängend.

    Es bereitete ihm Mühe, sich auf die Beantwortung der Fragen zu konzentrieren. Bilder von Sabines verstümmeltem Körper und glücklicheren Momenten wechselten in rascher Folge vor seinem inneren Auge.

    Matt fuhr er fort: „Sabine war ein ruhiger Typ, fast schon introvertiert, würde ich sagen. Trotzdem hatte sie viele Freunde. Wir gingen oft in die Disco. Sie liebte die laute Musik dort und konnte stundenlang tanzen. Aber am liebsten war sie zu Hause oder traf sich mit Freunden … Sie bevorzugte die eher leisen Töne. Sie hätten sie bestimmt gemocht …"

    Plötzlich drang die Tatsache, dass Sabine bestialisch ermordet worden war, an die Oberfläche seines Bewusstseins und schnürte ihm die Kehle zu. Der Schmerz über seinen Verlust hielt ihn fest im Griff. Mühsam brachte er die Worte hervor: „Ich möchte jetzt bitte gehen. Ich kann nicht mehr!"

    „Das geht in Ordnung. Nur noch eine Frage. Gibt es Zeugen, die Sie gestern auf der Party gesehen haben?" Hermanns stellte diese Frage in solchen Momenten nicht gern, aber er musste es tun. Jede Minute zählte in der Ermittlung eines Mordfalls.

    Frank Wedekind zuckte merklich zusammen. „Natürlich habe ich Zeugen! Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich hätte meine Freundin umgebracht?!" Ungläubig schüttelte er den Kopf.

    „Nein, das tue ich nicht. Aber trotzdem brauchen Sie ein Alibi, wie jeder, den wir befragen werden."

    „Ich kann Ihnen eine ganze Liste mit Namen von Leuten geben, mit denen ich gestern zusammen war!"

    „Gut, dann notieren Sie bitte, mit Adressen." Hermanns schob ihm Zettel und Stift zu.

    Wedekind schrieb eifrig. Als er fertig war, knallte er Hermanns angewidert den Zettel vor die Nase und rauschte davon.

    „Bitte halten Sie sich zu unserer Verfügung", rief Hermanns ihm noch hinterher, dann fiel die Tür krachend ins Schloss.

    „Du hast den armen Kerl mächtig aus der Fassung gebracht, kommentierte Linda diesen Abgang. „Du bist ein richtiges Schlitzohr! Mit dir möchte ich es nicht zu tun kriegen, sollte ich jemals in einen Mord verwickelt sein.

    „Ich habe ihm doch nichts getan, was willst du also?, grinste Hermanns. „Lass uns schleunigst diese Namen überprüfen. Ich habe nämlich keine Lust, mir wieder die Nacht um die Ohren zu schlagen. Was gäbe ich jetzt für einen Job mit geregelten Arbeitszeiten!, stöhnte er.

    Linda schmunzelte. Manchmal erging es ihr ebenso.

    Nach zwei Stunden tiefen Schlafs erwachte Marion. Sie fühlte sich nicht ausgeruht, eher zerschlagen. Müde schleppte sie sich unter die Dusche. Lange ließ sie warmes Wasser über ihren Körper laufen, dann drehte sie den Kaltwasserhahn voll auf, um endlich munter zu werden. Sie hielt die Luft an, als der kalte Strahl auf ihren Körper traf, aber die Therapie zeigte Wirkung, ihre Lebensgeister kehrten zurück.

    Als sie angezogen war, verabredete sie sich mit ihrer Familie, sie war noch heute und Sonntag in der Stadt und Marion wollte so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen.

    „Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dich heute nicht zu Gesicht zu bekommen, begrüßte sie ihr Bruder mit einem anzüglichen Grinsen. „Hochzeitnächte sollen es ja in sich haben!

    „Tobias, ärgere deine Schwester nicht immer!, folgte die prompte Ermahnung ihrer Mutter. Sie küsste Marion auf die Wange. „Wo hast du denn Alex gelassen?

    „Er muss arbeiten, ein neuer Mordfall.

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