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Blauer Schimmer: Fantasy
Blauer Schimmer: Fantasy
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eBook298 Seiten4 Stunden

Blauer Schimmer: Fantasy

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Über dieses E-Book

Die achtzehnjährige Theresa lebt in Althusen - einem kleinen, verschlafenen Dorf in Norddeutschland. Sie glaubt an einem der langweiligsten Orte der Welt zu wohnen, in dem nie irgendetwas Aufregendes passiert. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als sie die Verlassenen kennenlernt: Es eröffnet sich ihr eine verborgene, geheimnisvolle Welt, in die sie immer weiter eintaucht.

Als sich Theresa dann auch noch Hals über Kopf in eines dieser übersinnlichen Wesen verliebt, wird ihr Leben aufregender, als sie es sich je hätte träumen lassen: Matti, der Junge mit den Wuschelhaaren, zieht Theresa sofort in seinen Bann. Doch Matti ist unsterblich und kein Mensch mehr.
In Theresa wachsen die Zweifel, ob ihre Liebe überhaupt eine Zukunft hat….

Eine romantische Fantasy-Geschichte für junge und junggebliebene Leserinnen!
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum20. Okt. 2014
ISBN9783735751775
Blauer Schimmer: Fantasy
Autor

Judith Zentner

Judith Zentner ist Lehrerin an einer Schule für Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Dorf bei Oldenburg. Bisher toben nur ihre zwei Kinder durch den Garten, doch die würden sich gewiss über Besuch von den Wichtelmanns freuen …

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    Buchvorschau

    Blauer Schimmer - Judith Zentner

    - Für meinen Großvater und für Tom und Ylvie -

    Inhaltsverzeichnis

    VORWORT

    DIE VERBORGENEN WINKEL ALTHUSENS

    FAMILIE

    ACHTZEHN

    FRIEDRICHS GESCHICHTE ODER ZURÜCK ZU IHR

    FRAGEN ÜBER FRAGEN

    DIE VERLASSENEN

    EIN SCHOCK

    ENDLICH ANTWORTEN

    JOHANNS GESCHICHTE ODER KAMPF GEGEN DAS VERGESSEN

    NEU IN ALTHUSEN

    GEISTERGESCHICHTEN

    ALLTAG IM ANGESICHT DER UNENDLICHKEIT

    MATTIS GESCHICHTE ODER UNZERTRENNLICH

    GÄNSEHAUT

    UNERWARTETER BESUCH

    ANSGARS GESCHICHTE ODER MUTTERLIEBE

    EIN NEUER FREUND

    MAGDALENAS GESCHICHTE ODER FLUCHT IM FEUER

    PLÄNE SCHMIEDEN

    AUF DER SUCHE

    ABSCHIED

    NEUE PROBLEME

    ROUVENS GESCHICHTE ODER EWIGE RACHE

    UNTER BEOBACHTUNG

    ENDE DER SUCHE

    ENTTÄUSCHUNG

    WIE EIN ALBTRAUM

    ZURÜCK IM LEBEN

    ALTE LIEBE ROSTET NICHT

    DIE WELT RETTEN

    DANKSAGUNG

    KONTAKT

    VORWORT

    Eigentlich passiert nie irgendetwas Außergewöhnliches in Althusen, jedenfalls nicht so lange ich denken kann. Es ist eines dieser typischen Dörfer in Norddeutschland, das im Windschatten einer größeren Stadt liegt: ein paar Bauernhöfe, ein Bäcker, eine Tankstelle, ein kleiner Supermarkt, ansonsten nur Wohnhäuser. Das Aufregendste ist hier noch der Baggersee, der im Sommer Badespaß verspricht und im Winter, wenn man Glück hat, zum Schlittschuhlaufen taugt. Manche würden Althusen vielleicht sogar „idyllisch nennen, andere fänden vermutlich „öde oder - etwas netter ausgedrückt - „verschlafen" passender.

    Aber jetzt ist alles anders - hier in Althusen. Dabei hat sich eigentlich nichts verändert, außer mir selbst!

    DIE VERBORGENEN WINKEL ALTHUSENS

    Ich war wie üblich auf dem Weg zu Großvater Friedrich und fragte mich, was es wohl heute zum Mittag gäbe: aufgewärmte Dosen-Ravioli oder doch eher Pfannkuchen? Für viel mehr als diese Gerichte reichten Großvaters Kochkünste nicht aus. Trotzdem gingen mein Bruder Kurt und ich immer gerne zu ihm essen, wenn unsere Eltern lange arbeiten mussten. Er freute sich über die Gesellschaft, vor allem seit meine Oma Martha vor fünf Jahren gestorben war, und wir freuten uns über eine warme Mahlzeit und die unzähligen Geschichten, die Großvater immer zu erzählen hatte. Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, als ich klingelte und Friedrich vor mir stand. Obwohl er schon zweiundachtzig Jahre alt ist, misst er fast zwei Meter, hat eine kräftige Statur und schlohweiße Haare, die er sich mit einem Kamm feinsäuberlich zu einem Seitenscheitel kämmt, so dass ihm eine Haarsträhne seitlich über die Stirn hängt. Das lässt ihn fast noch ein bisschen jugendlich und verwegen aussehen, einmal ganz davon abgesehen, dass er nur noch ein Auge hat. Während des zweiten Weltkrieges hat er einen Kopfschuss erlitten, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Stattdessen verlor er sein rechtes Auge und trägt seitdem entweder eine Augenklappe über der rechten Augenhöhle oder aber eine Brille, die links so aussieht wie jede andere Brille auch, deren rechte Seite jedoch einfach dunkelbraun eingefärbt ist. Als ich noch ein Kind war, führte das zu dem hartnäckigen Gerücht, dass mein Großvater ein Pirat sei und Friedrich trug auch nicht zur Aufklärung dieses Missverständnisses bei, da er nur geheimnisvoll grinste und mit seinem verbliebenen Auge zwinkerte, wenn ein Kind wagte, ihn direkt danach zu fragen.

    „Zu welchen kulinarischen Genüssen hast du dich heute hinreißen lassen, Großvater Friedrich?", fragte ich ihn, nachdem ich ihm einen Kuss auf die Wange gegeben hatte. Früher sagte ich einfach Opa zu ihm. Aber als ich älter wurde, machte ich mir einen Scherz daraus ihn förmlich Großvater zu nennen, da er immer fand, dass sich das so furchtbar alt anhörte. Irgendwann krönte ich das Ganze dann noch, indem ich seinen Vornamen hinzufügte. Es ist so eine Art augenzwinkernder running-gag zwischen uns geworden und Kurt hat es von mir übernommen. „Wir empfehlen für heute Spiegelei auf Toast, verehrte Enkeltochter, antwortete er gewohnt verschmitzt. Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. „Tatsächlich. So etwas Exotisches hatten wir aber schon lange nicht mehr, zog ich ihn auf. Kurt hatte vor mir Schulschluss gehabt und saß darum schon auf der Eckbank in der Küche. Er stopfte bereits ein Toast in sich hinein und brachte lediglich ein „Hey" und ein Nicken zur Begrüßung heraus, während er weiterkaute.

    Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, brach Kurt nach Hause auf, weil er am Nachmittag mit seiner Band proben wollte. Mich aber fragte Großvater Friedrich: „Hast du noch Lust auf einen kleinen Spaziergang?". Zwar war morgen Wochenende und ich hatte heute auch noch nichts weiter vor, aber mich machte der Ausdruck „kleiner Spaziergang" misstrauisch, da ich wusste, was das bei Friedrich zu bedeuten hatte. Schon oft war ich mit ihm zu einen „kleinen Spaziergang" aufgebrochen und fand mich dann auf einer ausgedehnten Wanderung wieder. Das war so eine Art Hobby von Großvater: Mit seinem Fotoapparat bewaffnet, unternahm er lange Streifzüge durch Althusen, dessen Umgebung und Nachbardörfer, immer auf der Suche nach passenden Motiven für seine Fotosammlung. Dabei bevorzugte er alles Alte, Verlassene, Verfallene, irgendwie Geheimnisvolle. Auf diesen Exkursionen hatte ich ihn schon oft begleitet und auch wenn ich häufig maulte, weil mir der Weg zu lang wurde, so musste ich doch insgeheim zugeben, dass es sich stets lohnte, weil er mir immer wieder Dinge zeigen konnte, die ich ohne ihn gar nicht bemerkt, an denen ich einfach vorbeigeblickt hätte. Das konnte ein knorriger, abgestorbener Baum sein, ein vor sich hin rostendes Autowrack oder ein altes, verlassenes Fabrikgebäude, das dem Verfall anheimgefallen war. Er öffnete mir die Augen für die geheimnisvolle Magie dieser Dinge. Vor allem in meiner Kindheit wurde meine Fantasie davon beflügelt und ich malte mir Geschichten von Elfen und anderen zauberhaften Wesen aus, die diese Orte und Dinge bewohnten.

    Ich wog also einen langen Fußmarsch gegen möglicherweise verlockende Einblicke in die verborgene Welt Althusens ab und gab mich geschlagen. „Ja gerne antwortete ich, „aber ich möchte anschließend keine Blasen an den Füßen haben, weil du mich um die halbe Welt gezerrt hast. Er lachte nur und bemerkte gespielt theatralisch: „Ich gelobe feierlich, den Fußmarsch auf ein Mindestmaß zu begrenzen und dir dafür etwas Besonderes zu zeigen. „Abgemacht!, antwortete ich und schlug in seine ausgestreckte Hand ein.

    Er führte mich zunächst durch die Straßen Althusens, die ich nur allzu gut kannte, bis wir den Ortsrand erreichten. Von da an führte ein Feldweg in die Weiden, Wiesen und Felder, die das Dorf umgaben. Auf diesen steuerte Großvater zielstrebig zu. Er war nicht asphaltiert, sondern bestand aus Sand und Schlacke. Außerdem war er nach tagelangen Regengüssen ziemlich aufgeweicht. Mit Blick auf meine Chucks, die garantiert nicht wasser- und schlammfest waren, fragte ich Großvater, ob wir ausgerechnet diesen Weg gehen müssten. „Es ist nicht mehr weit, beschwichtigte er mich. Und dann fing er ein merkwürdiges Gespräch an: „So, morgen wirst du also achtzehn, stimmt`s?, stellte er mehr fest, als dass er fragte. „Ja, stimmt. Wieso?, erwiderte ich. „Wichtiger Tag ist das morgen, weißt du?, fuhr er fort. „Ab morgen bist du volljährig, sozusagen erwachsen. Die Kindheit ist morgen offiziell zu Ende. Ich sah ihn argwöhnisch an, um zu sehen, ob er vielleicht grinste, weil er mich ein bisschen aufziehen wollte, aber er sah sehr ernst aus. Verwunderung machte sich in mir breit. Mit meinem Großvater konnte ich mich zwar immer wunderbar unterhalten, aber normalerweise waren unsere Themen die Bücher, die wir gerade lasen oder die Musik, die wir gerne hörten und ähnliche Dinge. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er schon mal ein Gespräch über „ernste Angelegenheiten mit mir geführt hätte. „Wie meinst du das?, fragte ich ihn schließlich. „Ich muss dir etwas erzählen. Etwas, was mir mit achtzehn Jahren widerfahren ist. Es hat mein Leben verändert und es ist an der Zeit, dass du davon erfährst und selbst entscheidest, was du mit diesem Wissen anfangen möchtest. Aber jetzt sind wir erst mal angekommen. Ich erzähle später weiter. Verwirrt blickte ich mich um. Seine bedeutungsschwere Ankündigung hatte mich so durcheinandergebracht, dass ich gar nicht mehr auf den Weg und meine Umgebung geachtet hatte. Wir waren etwas außerhalb des Dorfes inmitten einiger Kuhweiden angekommen. Zwischen zwei dieser Weiden führte ein kleiner Sandweg auf eine Gruppe dicht beieinander stehender Bäume zu – beinahe ein kleines Wäldchen. Auf diesen Sandweg bog er nun ein und ich stolperte ihm hinterher. Der kleine Weg war mir vorher noch nie bewusst aufgefallen und ich hatte keine Ahnung wohin, er führte. Als wir auf Höhe der Bäume angelangt waren, konnte ich sehen, dass dahinter ein Gebäude versteckt lag. Je näher wir kamen, desto mehr wurde von dem kleinen Häuschen sichtbar. Es musste einmal ein altes Bauernhaus gewesen sein, das in früheren Zeiten zu einem Hof gehörte, der hier inmitten der Weiden gelegen hatte. Als wir vor dem Haus angelangt waren, nahm ich es deutlicher in Augenschein. Es war ein typisches Objekt von Großvaters Fotobegierde: Das alte Häuschen hatte seine besten Tage eindeutig hinter sich. Durch den hellen Putz an der Frontseite zogen sich tiefe Risse, das rotgedeckte Ziegeldach wies viele Löcher auf und war in der Mitte offensichtlich eingesunken. In den Fenstern, die mit ihren sechsfachen Sprossen bestimmt einmal freundlich ausgesehen hatten, fehlten an vielen Stellen die Scheiben. Teile des Hauses waren außerdem mit dichtem Efeu überwuchert, der auch vor dem Inneren nicht Halt machte und durch die Löcher in den Fenstern und im Dach hineinwuchs.

    Großvater Friedrich schien das jedoch alles nicht abzuhalten. Einsturzgefährdete Gebäude hatten ihn meines Wissens noch nie abgeschreckt und so ging er geradewegs auf die Eingangstür zu. Diese hing schief in der Türzarge, so dass sie ihren eigentlichen Zweck, nämlich vor Wind und Wetter zu schützen sowie ungebetene Gäste draußen zu halten, sowieso nicht mehr erfüllte. Großvater öffnete die Tür so weit, dass wir hineintreten konnten. Wir standen in der Diele des alten Häuschens. Vorsichtig darauf bedacht, wohin ich trat, sah ich mich um, während wir weiter in den nächsten Raum schritten. Im Inneren des Hauses sah es auch nicht besser aus. Überall lagen Steine, Dachziegel und Glasscherben auf dem Boden, Teile der Innenwände waren eingestürzt und an manchen Stellen war die Zimmerdecke eingebrochen, so dass man durch klaffende Löcher in das obere Stockwerk sehen konnte. Von den Wänden, die einst mit einer gemusterten Tapete beklebt waren, war nun der nackte Putz zu sehen von wenigen Stellen abgesehen, an denen noch Reste der Tapete in zerfetzten Bahnen herabhingen. An einigen Fenstern hingen noch Fetzen vergilbter Gardinen. Es waren sogar noch ein paar alte Möbelstücke vorhanden. Mitten im Raum stand ein altes Ledersofa, an dessen Rückseite der Bezug aufklaffte und den Blick auf das Schaumstoffinnere freigab. Aus der Sitzfläche stachen Sprungfedern hervor. Ebenso erging es dem dazu passenden Sessel, der seitlich vom Sofa stand. Ein Esstisch aus Holz mit sechs Stühlen, von denen die weiße Farbe abblätterte, eine große Schrank- und Regalwand, die aussah, als würde sie in sich zusammenfallen, sobald man sie berührte, und sogar ein Fernseher aus prähistorischen Zeiten, dessen Mattscheibe zersprungen war, komplettierten die Inneneinrichtung in dem Raum, in dem wir standen. Es musste einmal das Wohn- und Esszimmer der Menschen gewesen sein, die hier einst gelebt hatten, dachte ich. Sofort kamen mir tausend Fragen: Wer hat hier wohl gelebt? Und warum haben sie das Haus verlassen? Wieso haben sie ihre Einrichtung nicht mitgenommen? Während ich so vor mich hin grübelte bemerkte ich, dass auch Großvater sich umsah – aber nicht so wie ich, so erstaunt wie man sich nur beim ersten Mal umsieht. Er sah so aus, als wäre er schon oft hier gewesen und, was mich noch viel mehr wunderte, er nickte mehrmals in verschiedene Richtungen. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, sah er mich fragend an, oder vielleicht sogar prüfend. Als ich nicht darauf reagierte, fragte er nur: „Und?. Ich wusste nicht so Recht, was ich darauf sagen sollte. Sicher, es war wieder einer dieser faszinierenden Orte, der geheimnisumwoben, fast sogar magisch wirkte. So ein typischer Großvater-Friedrich-Ort eben. Und als Kind hätte ich sicher schon überlegt, wo man sich am besten verstecken kann und ob es hier wohl spukt, wenn es Nacht wird. „Es ist … außergewöhnlich, antwortete ich darum nun zögerlich. Aber das schien nicht das zu sein, was sich Großvater erhofft hatte. Er sah ein wenig frustriert, vielleicht auch enttäuscht aus, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Er fragte leichthin: „Willst du auch noch die anderen Zimmer sehen? „Klar, gab ich zurück.

    Das Bild, das sich im Wohnzimmer des Hauses gezeigt hatte, setzte ich in den anderen Räumen fort: Überall Spuren des Verfalls, aber ein Großteil der Hauseinrichtung war zumindest noch vorhanden. Im Erdgeschoss gab es noch die Küche, ein kleineres Schlafzimmer, ein Bad und eine Art Abstellraum. Zum Obergeschoss gehörten drei weitere Wohn- und Schlafräume. Wenn ich richtig gerechnet hatte, wohnten hier also ehemals mindestens fünf Menschen, wenn man davon ausging, dass eines der Schlafzimmer von einem Elternpaar benutzt wurde. Vom oberen Stockwerk aus hatte man einen guten Einblick in den ziemlich großen Garten, der sich an die Rückseite des Hauses anschloss. Er bestand aus einer weitläufigen Wiese, die mit mehreren Obstbäumen bewachsen war. Diese wurden oftmals von dichten Schlingpflanzen überwuchert. Zwischendrin gab es mehrere Inseln aus dichtem Rosengestrüpp, die einstmals die Beete gebildet haben müssen. Der verwunschene Eindruck des Hauses setzte sich hier nur natürlich fort.

    Als wir dort oben standen und in den Garten hinabblickten sagte Großvater: „Ich kenne dieses Haus schon sehr lange und komme oft hierher. Fragend sah ich ihn an: „Warum?. Als er gerade antworten wollte, hörte ich den Klingelton meines Handys, der mir eine SMS ankündigte. Ich murmelte: „Entschuldigung, und sah auf das Display. Die Nachricht kam von meiner Mutter. „Es ist Regina, fügte ich erklärend hinzu und las die wenigen Zeilen: „Wo bleibst du? Die Pizza wartet. „Oh nein!, entfuhr es mir. „Was ist los?, wollte Großvater wissen. „Ich habe völlig vergessen, dass ich Regina und Joschi versprochen habe, dass wir heute Abend gemeinsam Pizza backen. Sie warten schon auf mich. Meine Eltern halten es aus irgendeinem Grund für pädagogisch sehr wertvoll, wenn man sie nicht Mama und Papa, sondern bei ihren Vornamen nennt. Ich verstehe zwar nicht warum, aber tue ihnen trotzdem den Gefallen. Mein Vater heißt eigentlich Joachim, aber er wurde schon „Joschi genannt, solange ich denken kann. „Na, dann aber los – ab nach Hause! forderte mich Großvater auf. „Es tut mir so leid. Ich hätte so gerne noch deine Geschichte gehört. Und ist es wirklich in Ordnung, wenn du alleine nach Hause gehst?, fragte ich besorgt. Es war Herbst und obwohl es erst später Nachmittag war, fing es schon an, dunkel zu werden. „Machst du Witze? Ich bin schon so oft alleine von hier nach Hause gegangen, da werde ich es dieses Mal wohl auch noch schaffen. Schließlich bin ich ein Mann im besten Alter!, scherzte er. Ich schaute ihn skeptisch an, aber er schien daran keinen Zweifel zu hegen. Also beschloss ich, dass es tatsächlich am einfachsten wäre, wenn ich direkt von hier nach Hause ginge und mir den Umweg über Großvaters Wohnung sparte. Ich tippte noch eine schnelle Antwort - „Bin in zehn Minuten da!- und drückte Großvater einen Kuss auf die Wange. Im Gehen rief ich ihm noch zu: „Komm gut nach Hause. Bis morgen. Auf deine Geschichte bin ich immer noch sehr gespannt! Ich lief vorsichtig die wackelige Holztreppe hinunter, aus dem Haus hinaus und zurück auf den kleinen Sandweg. An dessen Ende lief ich in die entgegengesetzte Richtung, aus der wir gekommen waren und war in wenigen Minuten zu Hause angekommen.

    FAMILIE

    Joschi, Regina und Kurt saßen schon am Esstisch und unterhielten sich, als ich ankam. Es war zu einer Art Ritual geworden, dass wir alle paar Wochen gemeinsam Pizza machten. Wenn Kurt und ich auch zunehmend eigene Wege gingen und Regina und Joschi uns dabei große Freiheiten ließen – auf diese wenigen gemeinsamen Familienabende legten unsere Eltern großen Wert. „Kurt hatte uns ausgerichtet, dass du noch mit Friedrich unterwegs bist, aber ich dachte, du bist vor siebzehn Uhr zu Hause, erklärte Regina. „Tut mir echt leid, ich hab unseren Termin völlig verschwitzt, gab ich zu. „Aber wir können sofort loslegen, fügte ich noch beschwichtigend hinzu. „Das will ich auch hoffen, grummelte Kurt vor sich hin, „ich hab einen Mordskohldampf!". Ich rollte mit den Augen. Schließlich hatte er bei Großvater Friedrich ja zum Mittag auch schon mehrere Toasts verdrückt, so dass er jetzt eigentlich noch keinen Hunger leiden dürfte. Aber vierzehnjährige Jungs schienen irgendwie immer Hunger zu haben.

    Unser Pizza-Ritual lief jedes Mal folgendermaßen ab: Alle Zutaten für den Belag wurden auf den Tisch gelegt. Jeder schnappte sich etwas davon und schnippelte, was das Zeug hielt. Ich nahm mir eine rote Paprika. Anschließend holte Joschi den Teig, den er schon vor einigen Stunden zubereitet hatte und der nun schön aufgegangen war, rollte ihn auf dem Blech aus und jeder bekam eine Ecke des Bleches zugeteilt, die er mit seinen Wunschzutaten belegen durfte. Nachdem die Pizza im Backofen war und ihren herrlichen Duft verströmte, deckten wir gemeinsam den Tisch und ließen uns anschließend unser gemeinsames Werk schmecken. So saßen wir oft noch recht lange beieinander und unterhielten uns, manchmal spielten wir auch im Anschluss noch etwas gemeinsam. Diese wenigen gemeinsamen Familienabende genossen wir alle, auch wenn Kurt sich vermutlich zu cool vorkam, um das zuzugeben.

    Heute lief das Gespräch unweigerlich auf meinen morgen bevorstehenden Geburtstag zu. „Und? Was steht nun morgen an? Planst du doch noch die ultimative Spontangeburtstagsparty?, wollte Joschi wissen. Wie mich das nervte! Mehrmals schon in den letzten Wochen hatte ich deutlich gemacht, dass ich keine Lust auf eine große Party hatte und es nichts dergleichen geben würde. Ehrlich gesagt war mir nicht klar, was alle sooo außergewöhnlich daran fanden, achtzehn Jahre alt zu werden. Klar, rein rechtlich war man nun volljährig. Aber ansonsten änderte sich doch am eigenen Leben erst einmal gar nichts. Außerdem war ich ein ziemlicher Partymuffel, ich machte mir einfach nicht viel daraus. „Nein, Joschi! KEINE PARTY. Ich hab Lena und ein paar anderen Freundinnen gesagt, dass sie gerne vorbeischauen und sich ein Stück Kuchen abholen können. Und Großvater kommt natürlich auch. Aber das war`s. Joschi guckte mich entgeistert an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Als ich achtzehn wurde, hab ich die Party des Jahrhunderts gefeiert. Also zumindest glaub ich das, denn ich war so besoffen und bekifft, dass ich gar nicht mehr viel davon weiß, kicherte er. Das war ja mal wieder ganz typisch. Allein die Vorstellung fand ich schon peinlich, aber er schien zu erwarten, dass ich das genauso machen würde. Mir war die Lust auf Familie geradewegs vergangen, darum stand ich auf und sagte: „Ich backe noch schnell einen Kuchen für morgen. Als ich mich schon gerade aus dem Zimmer stehlen wollte, rief Joschi mir hinterher: „Das kommt gar nicht in Frage. Du wirst doch nicht deinen eigenen Geburtstagskuchen backen. Ich mache dir wie jedes Jahr meine berühmte Schokotorte. Dazu konnte ich trotz allen Ärgers nicht nein sagen, denn seine Schokotorte war wirklich ungemein lecker und ich selbst hätte jetzt nur noch Lust gehabt, einen schnellen Marmorkuchen zusammenzurühren. „Na gut, wenn du unbedingt willst, entgegnete ich grinsend. „Dann geh ich jetzt hoch und mach noch ein paar Hausaufgaben, versuchte ich aus der Situation zu entkommen. „Resa, morgen ist Wochenende seufzte Joschi. „Sei doch nicht so verdammt pflichtbewusst. „Okay, dann hör ich jetzt laut Musik und lese dabei. Ist dir das wild genug?, fragte ich entnervt. Alle am Tisch schmunzelten vor sich hin: Unterhaltungen dieser Art gab es bei uns öfter.

    Bevor mich noch jemand aufhalten konnte, war ich zur Tür hinausgeschlüpft, lief die Treppe hinauf und schloss meine Zimmertür hinter mir. Ich drehte tatsächlich laute Musik auf, schnappte mir das Buch vom Nachttisch, das ich gerade las und warf mich auf mein Bett. Schon nach wenigen Seiten merkte ich, wie meine Augenlider immer schwerer wurden und ich gar nicht mehr richtig verstand, was ich da eigentlich las. Ich legte das Buch beiseite, zog mich schnell um und ging mir die Zähne putzen. Als ich wieder in mein Bett fiel, musste ich noch einmal an Großvaters merkwürdiges Verhalten heute denken. Das eigenartig ernste Gespräch über meinen Geburtstag, das er angefangen hatte, sein prüfender Blick im verfallenen Haus und sein seltsames Genicke. Mir fiel auch wieder ein, dass er mir anscheinend eine wichtige Begebenheit aus seinem Leben erzählen wollte und mir lief ein Kribbeln den Rücken hinunter, als mir klar wurde, dass das alles irgendwie miteinander in Verbindung stehen musste. In Gedanken ging ich noch einmal durch das verfallene Haus, das mir Großvater heute gezeigt hatte. Dann war ich auch schon eingeschlafen.

    ACHTZEHN

    Am nächsten Morgen, einem Samstag, wurde ich von einem durchdringenden Lärm aus meinem Traum gerissen. Ich saß senkrecht im Bett und sah meine Familie vor mir, die sich um mein Bett gruppiert hatte. Kurt und Joschi hatten ihre E-Gitarren umgeschnallt und spielten darauf Happy Birthday, während Regina dazu sang. Meine Eltern spielen beide in einer Rock-Punk-Grunge-Band - Joschi als Gitarrist und Regina als Sängerin. Sie sind wohl auch die größten Fans der Band Nirvana, die, die den Grungerock erfunden haben. Als sich ihr Sänger, Kurt Cobain, 1994 erschoss, war die Namensgebung für Kurt, der 1995 geboren wurde, quasi besiegelt. Manchmal frage ich mich, ob das nicht irgendwie ein schlechtes Omen war, schließlich ist die Sache für Kurt Cobain ja nicht gerade gut ausgegangen und drogenabhängig war er auch noch. Allerdings wirkt mein Bruder Kurt meist ganz fröhlich und die einzige Parallele, die ich bisher zu seinem Namensgeber feststellen kann, ist, dass er ebenfalls in einer Band spielt. Unser Keller wurde schon vor langer Zeit zum Probenraum umfunktioniert und meine Eltern und Kurt müssen sich darum streiten, wer wann mit seiner Band dort spielen darf.

    Ich hingegen durfte mich jetzt, dank Nirvana, über das schrägste Geburtstagsständchen meines Lebens freuen. Auf jeden Fall war ich jetzt wach – hellwach. „Alles Gute zum Geburtstag!, riefen alle fröhlich im Chor, als sie ihr Lied beendet hatten. Ich war aufgestanden und alle umarmten mich und gratulierten mir. Wir gingen hinunter und setzten uns an den bereits gedeckten Frühstückstisch. Regina hatte meinen Platz mit Blumen, Kerzen und bunten Servietten geschmückt und meine Geschenke drum herum drapiert. Das hatte sie schon so gemacht, als ich noch ein Kind war und das würde sie wohl auch noch so machen, wenn ich alt und grau wäre. Aber es sah wirklich nett aus und ich fing gleich an auszupacken. Von Kurt hatte ich eine CD mit den seiner Meinung nach derzeit abgefahrensten Bands bekommen. Ich kannte nicht eine davon, ließ mich aber gerne überraschen. Meine Eltern schenkten mir ein paar Bücher und hauptsächlich Geld. Das hatte ich mir so gewünscht, da ich noch unschlüssig war, ob ich mir ein neues Fahrrad oder ein Tablet davon kaufen sollte. Wir frühstückten gemeinsam und anschließend begann ich mit den Geburtstagsvorbereitungen. Joschi kam mit seiner Schokotorte ins Esszimmer und stellte sie in die Mitte des Tisches. Sie sah wirklich extrem lecker aus. „Danke dafür. Manchmal bist du doch der Beste, sagte ich strahlend und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Immer gerne, gab er grinsend zurück, „für meine Lieblingstochter habe ich keine Kosten und Mühen gescheut. Ich bin, nebenbei bemerkt, seine einzige Tochter – zumindest hoffe ich das!

    Ich wusste nicht genau, wann die ersten Gäste eintreffen würden, denn ich hatte

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