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FAMILIENBANDE: Der Krimi-Klassiker!
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eBook257 Seiten3 Stunden

FAMILIENBANDE: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Das erste Opfer: eine Hausangestellte der Fergusons, das zweite, eine alte Kartenlegerin. Dann kommt die Familie selbst an die Reihe. Und die Polizei braucht nicht lange zu suchen: Der Liebhaber von Tochter Alexandra legt ein umfassendes Geständnis ab.

Aber die Mordserie im Hause Ferguson ist noch nicht zu Ende...

 

Penelope Wallace (* 30. Mai 1923; † 13. Januar 1997 in Oxford) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin und die Tochter von Edgar Wallace, dem Meister der Spannung.

Der Roman Familienbande erschien erstmals im Jahr 1982.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum21. Mai 2021
ISBN9783748783466
FAMILIENBANDE: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    FAMILIENBANDE - Penelope Wallace

    Das Buch

    Das erste Opfer: eine Hausangestellte der Fergusons, das zweite, eine alte Kartenlegerin. Dann kommt die Familie selbst an die Reihe. Und die Polizei braucht nicht lange zu suchen: Der Liebhaber von Tochter Alexandra legt ein umfassendes Geständnis ab.

    Aber die Mordserie im Hause Ferguson ist noch nicht zu Ende...

    Penelope Wallace (* 30. Mai 1923; † 13. Januar 1997 in Oxford) war eine britische Kriminal-Schriftstellerin und die Tochter von Edgar Wallace, dem Meister der Spannung.

    Der Roman Familienbande erschien erstmals im Jahr 1982.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    FAMILIENBANDE

    Für Clare Penelope

      Prolog

    »Hallo... hallo, kann ich bitte... ach, Sie sind es, Sir... Ich bin am Paddington-Bahnhof... Ja, den hab’ ich verpasst. Ich musste überlegen. Es geht nicht. Sie war so gut zu mir... Ja, Sie wissen, dass ich alles für Sie tun würde, aber nicht das, nicht einmal für Sie... Ach, das dürfen Sie nicht sagen.«

    Die scharfe Stimme verstummte. Es knackte in der Leitung. Sie hängte betrübt ein, griff nach ihrer braunen Handtasche und drückte die Tür der Telefonzelle auf. Der Bahnhofslärm umbrandete sie. Sie zog die Nase hoch und zog ein feuchtes Taschentuch aus ihrem grauen Mantel, um ihre Augen zu betupfen. Ein schnelles Gepäckfahrzeug kam herangefegt. Der Fahrer rief: »Aufpassen!« Vielleicht war das die Antwort. Sie schloss die Augen. Das Poltern wurde lauter, Reifen quietschten, Stimmen schrien durcheinander. Der Lärm entfernte sich mit dem Fahrzeug. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und eine Stimme sagte: »Kann ich Ihnen eine Tasse Tee besorgen?« Sie öffnete die Augen und sah einen jungen Mann vor sich: Mitte Zwanzig, blond, freundlich blickende Augen – was sie einen netten, jungen Mann genannt hätte.

    »Sehr liebenswürdig, Sir«, sagte sie automatisch. »Ich... ich muss den 4.45-Zug erreichen... er fährt gleich ein.« Ja, auch er würde auf sie zu donnern, dachte sie. Sie trat näher an die Bahnsteigkante heran.

    »Das ist sehr gefährlich«, sagte der hellhaarige Fremde und zog sie mit sanfter Gewalt zurück. »Ich fahre im selben Zug. Wir können gemeinsam warten.«

    Der Zug fuhr ein, und sie stieg langsam in ein Abteil zweiter Klasse. Da nur ein Platz frei war, ging der blonde Mann im Korridor weiter. Sie beachtete die anderen Reisenden nicht, die sich endlos über ihre Weihnachtseinkäufe unterhielten.

    Zwei kleine Kinder mit lieben Gesichtern fielen ihr auf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie griff wieder nach dem Taschentuch. Der Zugkellner kündigte Tee und leichte Erfrischungen an. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung und rollte vorbei an den mit Weihnachtspaketen überhäuften Gepäckkarren, den sich leerenden Bahnsteigen, den rußigen Gebäuden, hinaus durch reifbedeckte Felder. Mit der Beschleunigung des Zuges schien auch ihre Kraft zuzunehmen. Sie stand unbeholfen auf und bahnte sich unter Entschuldigungen einen Weg zwischen den verpackten Weihnachtsgeschenken am Boden.

    Der Zug sollte Reading in zehn Minuten erreichen. Einige Fahrgäste sammelten ihr Gepäck ein, die laute Unterhaltung erfuhr keine Unterbrechung, niemand hörte den gedämpften Schuss. Niemand, bis auf den Menschen, der ihn abgab, und die bedauernswerte Person, die langsam zu Boden sank, die braune Handtasche umklammernd, während das Blut sich auf dem grauen Mantel ausbreitete...

      Erstes Kapitel

    Angus MacLeod, Chef der Anwaltskanzlei MacLeod und Pethwick, putzte die Gläser seiner Hornbrille, steckte das Taschentuch sorgfältig in die Brusttasche zurück und las noch einmal die Meldung in der Daily Post, die ihm beim Frühstück aufgefallen war. In der Wärme seines behaglich eingerichteten Büros fiel Konzentration leichter.

    DIENSTMÄDCHEN

    VERWITWETER MILLIONÄRIN IN DER

    EISENBAHN ERMORDET

    SCHAFFNER FINDET LEICHE

    Miss Audrey Jackson, Dienstmädchen bei Mrs. Elizabeth Ferguson, Grafton Manor, wurde gestern im 16.45-Zug von Paddington tot aufgefunden. Miss Jackson ist erschossen worden. Die Polizei sucht nach einem vollbärtigen Mann, der mit der Getöteten (siehe rechtes Bild) in einem Abteil saß, sowie nach einem blonden, mittelgroßen Mann, der auf dem Bahnsteig neben ihr beobachtet wurde.

    Es folgten die Aussagen des Schaffners. Er habe ein reserviertes Abteil geöffnet und die Leiche gefunden. Danach kam das etwas wirre Interview mit einer Mrs. Hardlow, ihrer Schwester, Mrs. James, und dem älteren ihrer Kinder. Alle waren sich darin einig, dass die Getötete ein stilles, kleines Geschöpf gewesen sei, das beim Einsteigen in den Zug tieftraurig gewirkt habe, wenngleich es sich später zu erholen schien. Der blonde Mann auf dem Bahnsteig sei ihnen vage in Erinnerung, den bärtigen jungen Mann, der im Abteil gesessen hatte und in Reading ausgestiegen war, konnten sie ziemlich genau beschreiben, und etwaige Widersprüche in ihren Schilderungen wurden ausgeglichen durch den Reporter, der das Phantombild eines entschieden unheimlich wirkenden Menschen geliefert hatte, für ihn offenbar der Mörder. Nach diesen Angaben und dem Bericht des Arztes war Miss Jackson anscheinend rund fünf Minuten vor dem Eintreffen des Zuges in Reading gestorben.

    Eine weitere Aufnahme zeigte Grafton Manor, den Herrensitz, den Mrs. Ferguson bewohnte. Der Hinweis darauf, der Besitz sei ihr von ihrem verstorbenen Ehemann Robert zusammen mit dem Rest seines Vermögens, dessen Höhe unbekannt sei, hinterlassen worden, fehlte nicht. Die übrigen Erben seien seine vier hübschen Töchter Elizabeth, Victoria, Margaret und Alexandra sowie seine beiden Söhne Edward und Paul gewesen.

    Angus MacLeod nahm die Brille ab und faltete die Zeitung zusammen. Spätere Ausgaben würden zweifellos Interviews mit Mrs. Ferguson und ihren Kindern bringen; man würde verblichene Fotografien ausgraben und die alten Geschichten auf den neuesten Stand bringen. Die Familie hatte schon immer Nachrichtenwert besessen. Freilich mochte Audrey Jacksons gewaltsamer Tod mit den Fergusons gar nichts zu tun haben und die Polizei die richtige Erklärung sogar finden, aber zunächst war das Ganze für die Familie nur von Nachteil. Angus MacLeod nahm den Telefonhörer ab.

    »Verbinden Sie mich mit Mrs. Ferguson, bitte...«

      Zweites Kapitel

    Angus MacLeods Vertrauen in die Tüchtigkeit der Polizei wäre vielleicht gestärkt worden, hätte er gewusst, mit welchem Eifer einige Beamte in diesem Augenblick am Werk waren. Seine Befürchtung allerdings, man werde mit den Ermittlungen bei den Fergusons beginnen, war berechtigt. Im Lauf des Vormittags wurden alle sechs Kinder des verstorbenen Robert Ferguson vernommen. Man bat sie um Informationen jeglicher Art über die tote Miss Jackson. Ob man eine Ahnung hatte, wen sie in London getroffen habe. Ob sie sich gemeldet habe, als sie am Vortag dort gewesen sei. Ob man von irgendwelchen Feinden der Toten wisse. Die Fragen hielten sich ebenso wie die Antworten von fünf der Familienangehörigen im Rahmen des Üblichen. Sie hatten stets denselben Wortlaut und waren wenig nutzbringend: ein bedauerndes Nein. Mit Entschiedenheit konnte lediglich bestätigt werden, dass Miss Jackson allgemein Jackie gerufen worden sei.

    Die sechste Vernehmung hielt sich weder im Rahmen des Üblichen noch war sie langweilig.

    Der Kriminalinspektor las den Namen von seiner Liste ab, als er den Wagen vor dem zurückhaltend vornehmen Wohnhaus im Stadtteil Knightsbridge zum Stehen brachte.

    »Mrs. Alexandra Dirke.«

    »Die Ehefrau von Sebastian Dirke«, sagte ein Sergeant, der viel von Etikette und Redefreiheit hielt.

    Der Inspektor knurrte etwas Unverständliches. Gemeinsam betraten sie das Gebäude.

    »Immerhin eine angenehme Abwechslung, mal auf Leute in solcher Umgebung zu treffen«, meinte der Sergeant.

    »An Geld scheint’s denen ja allen nicht zu mangeln.«

    Mit dem Lift fuhren sie zur dritten Etage hinauf. Ihre vielstrapazierten Füße trugen sie zur Wohnungstür.

    Der Inspektor drückte auf den Klingelknopf und fragte sich, ob das adrette Dienstmädchen an der Tür blond oder schwarzhaarig sein würde.

    Die Tür wurde aufgerissen. Die Frau, die vor ihnen stand, war zwar mittelblond, sah aber nicht nach einem Dienstmädchen aus. Sie war nicht ungepflegt, aber etwas an ihrem Äußeren erweckte den Eindruck, als hätte sie die Sekunden seit dem Läuten damit verbracht, geladene Revolver in ihren Taschen zu verstauen und das Hackbeil zu suchen.

    »Oh!«, sagte sie. »Ich dachte, das ist mein Mann.«

    Der Inspektor ging darauf nicht ein. Er teilte förmlich mit, er und der Sergeant wollten Mrs. Dirke sprechen, wenn das möglich sei.

    Er wunderte sich nicht, als sie ihm die Hand hinhielt.

    »Das bin ich. Kommen Sie rein. Ich... es ist leider ein bisschen unordentlich.«

    Der Beginn des Gesprächs unterschied sich zwar von den Vernehmungen ihrer Geschwister, aber als sie im Wohnzimmer saßen, höflich Getränke ablehnten, Zigaretten jedoch annahmen, kam der Inspektor zu dem Schluss, dass das Ganze wohl doch ebenso langweilig und nutzlos sei wie die anderen Gespräche.

    Mrs. Dirke, die Ende Zwanzig zu sein schien und ihre würdevolle Haltung wiedergefunden hatte, bedauerte, aber...

    Sie besaß den Charme, mit dem die ganze Familie gesegnet zu sein schien. Äußerlich glich sie ihren beiden ältesten Geschwistern Elizabeth und Edward. Die anderen drei waren dunkelhaarig.

    Der Inspektor sah den Sergeant Krakel in sein Notizbuch malen, die später als »Nein, ich wusste nicht, dass Jackie nach London gefahren war« zu übersetzen sein würden. Er hörte die Antworten nur halb und stellte seine Fragen eher lustlos.

    Die Türglocke läutete.

    »Entschuldigen Sie mich rasch, Inspektor? Unser Mädchen ist in den Weihnachtsferien. Sie lebt in Wales.«

    Wieder läutete es. Ihre unfreiwillige Gastgeberin zögerte dennoch.

    »Wollten Sie mir noch mehr Fragen stellen?«, fragte sie.

    »Nicht viele. Nichts Wichtiges mehr, Mrs. Dirke. Wir können auch ein andermal wiederkommen, wenn Sie verabredet sind.«

    Sie wurde ein bisschen rot. Der nicht unzynische Inspektor hatte den Verdacht, der Besucher könne ein Mann sein – allerdings nicht Mr. Dirke.

    Darin irrte er.

    »Das könnte mein Mann sein«, sagte sie.

    Der Inspektor dachte an ihre Miene, als sie ihnen die Tür geöffnet und wohl erwartet hatte, ihren Mann vor sich zu sehen, und hielt eine interessante Entwicklung für möglich.

    »Er hat nämlich seinen Schlüssel verloren«, erläuterte sie.

    »Möglicherweise kann Mr. Dirke uns behilflich sein?«, erkundigte sich der Inspektor.

    »Das bezweifle ich, Inspektor.« Mit erhobenem Haupt rauschte sie hinaus. Sie hörten die Tür gehen, dann folgte gedämpftes Stimmengemurmel.

    Der Sergeant hob den Kopf und schaute sich im Zimmer um.

    »Nicht übel, die Einrichtung«, meinte er. »Das Gemälde da...«

    Der Inspektor hatte die Ohren gespitzt, um zu hören, was in der Diele gesprochen wurde, und brachte seinen Untergebenen mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen. Dann kam Mrs. Dirke ins Wohnzimmer zurück, begleitet von einem schwarzhaarigen, gutaussehenden Mann. Er war ungefähr so alt wie sie und wurde als ihr Ehemann vorgestellt. Er lächelte die beiden Polizeibeamten charmant an, was lediglich den Erfolg hatte, dass er ihnen missfiel und Argwohn erregte. Sebastian Dirke wirkte aber fast auf alle Geschlechtsgenossen so und betrachtete das als unbewusste Eifersucht der anderen.

    »Meine Frau sagt mir, dass Sie Jackies Tod untersuchen. Kann ich Ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein?«

    »Wir stellen nur Routinefragen, Mr. Dirke. Wir versuchen zu ermitteln, warum sie nach London gefahren ist und ob sie irgendwelche Feinde hatte.«

    »Da kann ich Ihnen vielleicht helfen.«

    »Also weißt du, Sebastian. Wir wissen auf keine ihrer Fragen eine Antwort.«

    Sebastian Dirke sah seine Frau prüfend an, setzte sich und zündete eine Zigarette an, bevor er antwortete.

    »Einem Zeugen darf man nicht soufflieren, meine Liebe.«

    »Was wissen Sie, das uns helfen könnte, Mr. Dirke?«

    »Ich weiß zum Beispiel, warum Jackie immer wieder nach London fuhr. Sie werden das inzwischen wohl auch herausbekommen haben. Sie besuchte einen Mann.«

    »Woher weißt du das?«, fuhr Alex auf, und gleichzeitig sagte der Inspektor: »Welchen Mann?«

    Sebastian verbeugte sich ironisch in Richtung seiner Frau. »Ich weiß so manches«, sagte er zu ihr und fügte, zum Inspektor gewandt, hinzu: »Das, fürchte ich, werden Sie selbst ermitteln müssen.«

    »Verstehe«, sagte der Inspektor. »Wissen Sie sonst noch etwas über Miss Jackson?«

    »Ja, Sebastian, was weißt Du noch?«

    »Irgendwelche... Feinde...?«, half der Inspektor vage nach.

    »Einen, bestimmt«, sagte Sebastian lächelnd.

    Der Sergeant packte seinen Bleistift fester.

    »Wer ist das?«, fuhr der Inspektor auf.

    Sebastian lachte.

    »Also, ich muss schon sagen, Inspektor! Der Mörder, natürlich.«

    Der Inspektor verspürte in diesem Augenblick Mitgefühl und Verständnis für Mrs. Dirkes vermutete Suche nach Hackebeilen.

    »Sehr amüsant, Mr. Dirke«, gab er kalt zurück. Mrs. Dirkes Miene verriet aufkeimenden Zorn, aber ihre Stimme klang ruhig, als sie sagte: »Ja, Inspektor, mein Mann ist immer... amüsant.« ,

    Sebastians Lächeln wirkte jetzt ein wenig schief.

    »Ich glaube nicht, dass ich sonst noch etwas beisteuern kann, Inspektor. Falls mir noch etwas einfällt, gebe ich Ihnen Bescheid.«

    »Vielen Dank. Vielleicht lassen Sie mich wissen, wo Sie zu erreichen sind, wenn das notwendig werden sollte. Oder sind Sie über Weihnachten hier?«

    »Hier? Nein, nein, wir sind alle in Grafton. Die Familie versammelt sich dort zu jedem Weihnachtsfest. Das ist sogar die einzige Gelegenheit, alle Verwandten zu sehen. Halten Sie das für etwas Gutes, Inspektor?«

    »Wen? Verwandte?«, fragte der Inspektor verwirrt.

    »Familienweihnachten«, erläuterte Sebastian und sprach weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. »Ich persönlich finde, dass solche Feste voller Gefahren sind – freilich auch sehr interessant. Überlegen Sie nur: 361 Tage im Jahr gehen sechs Menschen, wenn man Mrs. Ferguson einrechnet, sogar sieben, mit ihren Ehemännern, Ehefrauen und anderen Personen ihre getrennten Wege. Jeder führt ein eigenes Leben, jedes Dasein unterscheidet sich vom anderen. Dann kommen sie für vier Tage alle zusammen, komplett mit Ehegesponsen, und sollen sich in Frieden und Nächstenliebe üben. Ich sage Ihnen, lieber Inspektor, bei einer Familie, die aus starken Einzelpersönlichkeiten besteht, kann da alles Mögliche passieren.«

    Der Sergeant wartete diskret, bis er und der Inspektor wieder im Auto saßen, bevor er das Wort ergriff.

    »Das ist ja wohl der Gipfel!«, sagte er. »Wenn man ihn hört, muss das ein Rudel wilder Tiere sein, die sich über Weihnachten gegenseitig zerfleischen wollen. Von einem bin ich überzeugt: Wenn wir seinen Tod aufklären müssten, würden wir Motive genug finden.«

    »Ein seltsamer Mensch, Sergeant«, räumte der Inspektor ein. »Ich glaube, er möchte gern, dass irgendetwas passiert. Aber bei dem Mann in der Sache Jackson könnte er trotzdem recht haben. Wir befassen uns am besten noch einmal mit einer der anderen Personen.« Er blickte auf die Liste. »Mrs. Victoria Blakener.« Das Seufzen des Sergeants brachte er mit einem ergänzenden Wort zum Schweigen. »Witwe.«

    »Trotzdem...«, begann der Sergeant.

    »Wir fahren zu Mrs. Blakener, die eine vernünftige Frau ist und uns gewiss sagen kann, wie zuverlässig Mr. Dirkes Angaben sind.«

    »Die arme Mrs. Dirke!«, sagte der Sergeant kopfschüttelnd.

    »Die nächste halbe Stunde wird sie ihm wohl alle Namen an den Kopf werfen, die sie vor uns nicht aussprechen konnte.«

    In Wahrheit verließ Alexandra Dirke ihre Wohnung fünf Minuten nach dem Abschied der Kriminalbeamten. Auf die Frage ihres Ehemannes: »Wohin gehst du denn? Was ist mit dem Mittagessen?« hin, forderte sie ihn auf, sich zum Teufel zu scheren. Sie hatte die Tür hinter sich zugeknallt, um ihrer Antwort Nachdruck zu verleihen. Sie winkte ein Taxi heran und nannte dem Fahrer die Adresse ihrer Schwester Victoria in Chelsea. Als sie vor der Tür des kleinen Reihenhauses ein Polizeiauto stehen sah, brach sie in Tränen aus.

    »Fahren Sie um den Park herum«, sagte sie schluchzend zum Fahrer.

    »Der ist ziemlich weit weg, Miss. Wie war’s mit dem Embankment?« schlug der Fahrer hilfreich vor. Die schwer verständliche Antwort enthielt einen Hinweis auf Sprünge in die Themse. Als die Haustür aufging, sagte Alexandra rasch: »Bitte, um den Block herum.« Bis das Taxi wieder in die kleine Straße hineinfuhr, war kein Polizeiauto mehr zu sehen und Alexandra hatte sich wieder gefasst. Sie gab dem Fahrer ein ordentliches Trinkgeld nebst einem bleichen Lächeln und läutete an der Tür ihrer Schwester. Victoria öffnete. Als Alexandra ihre ruhige, würdevolle Haltung sah, verspürte sie eine Friedlichkeit, die sie in den vergangenen Wochen nicht gekannt hatte,

    »Oh, Vicky«, sagte sie, »warum bin ich nicht schon früher gekommen?«

    Victoria gab keine Antwort auf diese rätselhafte Frage. Nachdem sie ihre Schwester begrüßt hatte, ging sie voran in die Wohndiele.

    »Brandy mit Soda?«

    »Bitte.« Alexandra sank in einen Sessel. »Ach, Vicky, was soll ich bloß tun?«

    Vicky brachte ihr ein volles Glas, setzte sich und antwortete: »Trink das, jammre nicht und erzähl mir lieber, was du meinst.«

    »Es ist furchtbar«, sagte ihre Schwester düster. »Ich versuche seit vierzehn Tagen, den Mut aufzubringen, um Mutter zu erklären, dass ich nicht länger mit Sebastian Zusammenleben kann. Nun diese Geschichte mit Jackie. Sebastian behauptet, es wäre gemein, Mutter damit zu behelligen, weil sie so durcheinander ist, in den Zeitungen sähe das auch nicht gut aus, bis alles aufgeklärt sei, und ich... ich kann einfach nicht mehr.« Ihre Stimme versagte. Sie schluckte krampfhaft. »Außerdem ist da André...«

    Victoria sah ihre Schwester scharf an.

    »Liebst du André?«, fragte sie.

    »Oh, ja«, rief Alexandra hingerissen.

    »Wenn ich mich recht entsinne, ging es dir bei David, bei Frank, bei dem Spanier und diversen anderen ganz ähnlich.«

    »Diesmal ist es anders.«

    »Ja, das behauptest du jedes Mal, Alex.«

    »Mit Sebastian kann ich jedenfalls nicht mehr leben. Das ist die Hölle. Möchtest du mit ihm verheiratet sein?«

    »Das nicht, aber wir waren ja alle dagegen, als du uns erklärtest, du würdest ihn heiraten. Willst du Andrés Frau werden?«

    »Nein. Ich wollte niemals heiraten. Sebastian ließ mir einfach keine Ruhe, und ich hielt euch für so ungerecht, dass ich schließlich ja gesagt habe.«

    »Alex, du bist für deine dreißig Jahre in mancher Beziehung reichlich naiv. Du hältst es vermutlich

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