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DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE: Der Krimi-Klassiker!
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DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE: Der Krimi-Klassiker!
eBook287 Seiten4 Stunden

DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

War Marcellas Weg wirklich so klar vom Schicksal vorgezeichnet?

Um dahinterzukommen, muss man mit Alex und Gen über das Wochenende zu ihrem Landhaus an der Küste von Coney Island fahren. Und dort?

Zu der ersehnten Erholung kommen beide nicht, denn die drei folgenden Tage werden von Gewalttaten, Furcht und seelischen Qualen beherrscht...

Jean Catherine Potts (* 17. November 1910; † 10. November 1999) war eine vielfach preisgekrönte US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.

Der Roman Der Tod einer streunenden Katze erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Wohin, Marcella?).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum5. Mai 2021
ISBN9783748781875
DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE - Jean Potts

    Das Buch

    War Marcellas Weg wirklich so klar vom Schicksal vorgezeichnet?

    Um dahinterzukommen, muss man mit Alex und Gen über das Wochenende zu ihrem Landhaus an der Küste von Coney Island fahren. Und dort?

    Zu der ersehnten Erholung kommen beide nicht, denn die drei folgenden Tage werden von Gewalttaten, Furcht und seelischen Qualen beherrscht...

    Jean Catherine Potts (* 17. November 1910; † 10. November 1999) war eine vielfach preisgekrönte US-amerikanische Kriminal-Schriftstellerin.

    Der Roman Der Tod einer streunenden Katze erschien erstmals im Jahr 1955; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1967 (unter dem Titel Wohin, Marcella?).

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DER TOD EINER STREUNENDEN KATZE

    Erstes Kapitel

    Verlassen lag der weite Strand da, und nur gelegentlich tauchte ein kleiner Schwarm von emsigen Strandläufern auf, die am Rande des heranspülenden Meeres geschäftig hin und her trippelten, eifrig darauf bedacht, sich nicht die Füße nass zu machen. Nur ein Mädchen saß schon den ganzen Nachmittag am Strand und beobachtete diese kleinen Vögel, possierliche Wesen, die auf ihren spindeldürren Beinchen hin und her hüpften und emsig Sandflöhe aus der schier endlosen Sandwüste herauspickten. In dieser unendlichen Einsamkeit fand sie ein wenig Trost einfach dadurch, dass diese kleinen Geschöpfe sie umgaben. Denn alles andere war so ungeheuer groß: das ewig wogende Meer, das unübersehbare Ausmaß der Sandwüste und darüber der wolkenlose Himmel, der jetzt etwas dunkler wurde, da der Nachmittag zu Ende ging. Sie erschauerte. Der Sommer kündigte bereits sein Ende an. Auch die Woche vor dem Labor Day neigte sich dem Ende zu.

    Es war so, wie der Mann im Lebensmittelgeschäft ihr gesagt hatte: »Heute Nachmittag werden Sie den Strand ganz für sich haben. Morgen, ja schon heute Abend, werden die Leute in Massen aus der Stadt kommen, aber heute Nachmittag wird dort kaum eine Menschenseele anzutreffen sein. Sie sind allen anderen vorausgeeilt, die donnerstags die Stadt verlassen. Sie haben Glück«, hatte er hinzugefügt.

    Glück.

    So ein netter, freundlicher Mann war das gewesen. Sie hatte überhaupt keine Scheu empfunden, ihn zu fragen, wo Alex’ Haus stünde. Er hatte ihr genau beschrieben, wie sie es finden könne. »Es ist eine ziemliche Strecke zu gehen. Ich würde sagen, gut drei Kilometer. Und außerdem glaube ich kaum, dass Sie dort jemanden antreffen werden. Im allgemeinen halten diese Leute bei mir und packen ihren Wagen voll mit Lebensmitteln, ehe sie in ihr Haus fahren.«

    »Ich weiß«, sagte sie. »Er kommt nicht vor heute Abend, aber ich... habe so zeitig freibekommen, dass ich mich entschlossen habe, den Nachmittag am Strand zu verbringen.«

    »Sie können das Haus gar nicht verfehlen. Es hat ein weißes Dach und liegt ziemlich weit von der Straße entfernt; im Vorgarten stehen zwei große Weidenbäume. Gehen Sie einfach geradeaus hier die Straße entlang, biegen Sie nach links ein, wenn Sie an das Motel kommen, und gehen Sie geradeaus weiter. Dann stoßen Sie direkt darauf, und dahinter liegt der Strand, den können Sie auch nicht verfehlen.«

    Andere Kunden kamen in den Laden.

    »Ist das alles, Miss?«, fragte der nette, freundliche Mann und verabschiedete sich damit von ihr, während sie die Limonadenflasche an sich nahm und hinaus auf die Straße ging. Es war genauso, wie der Mann es ihr gesagt hatte. Bei dem Motel bog sie links in einen schmalen Weg ein, und nach einer Weile stand sie vor einem Haus mit weißem Dach und zwei großen Weidenbäumen im Vorgarten. Es war noch niemand anwesend. Aber es war Alex’ Haus. Auf dem Briefkasten stand sein Name: Alex Blair. Schon der Name hatte einen soliden, freundlichen Klang. Auch das Haus selbst gefiel ihr gut. Dort stand es als eine Zufluchtsstätte, in der man vor aller Welt sicher sein konnte. Das Mädchen betrachtete das Haus sehnsuchtsvoll.

    Doch auch hier hielt sie sich nicht länger auf, denn dieses Haus war ebenso wenig ein sicherer Hafen für sie wie das Lebensmittelgeschäft. Immerhin hatte sie einen sicheren Winkel erblickt, und sie konnte später wieder dorthin zurückkehren. Vielleicht. Natürlich konnte sie dorthin zurückkommen. Sie ging weiter den Weg entlang – ihr war, als zöge sie ein mächtiger Magnet von der Stelle – bis hinunter an den weiten Strand. Sie sank widerstandslos und ebenso kraftlos wie ein Kiesel oder wie eine der von der Flut angespülten Muscheln auf den Sand nieder. Sie nahm eine Handvoll dieser wundervoll gefärbten Muschelschalen, und als sie sie jetzt betrachtete, zog ein kindliches, verträumtes Lächeln über ihr Gesicht. Wie hübsch diese kleinen Schalen doch waren! Wie von Künstlerhand geriffelt die einen, andere hingen noch aneinander und sahen aus wie aufgeklappte Medaillons, so, als wollten sie zeigen, wie die weichen, hilflosen Wesen, die einmal in ihrem Innern gelebt hatten, dort geborgen gewesen waren. Es musste hübsch sein, dachte sie, wenn man in einer solchen Schale leben konnte. Wie wohlig und sicher würde man sich zusammengerollt in dieser kleinen Festung fühlen, und wenn man schließlich starb, so wie man eines Tages ohnehin sterben würde...

    Wieder erschauerte das Mädchen. Ich hätte nicht hierherkommen sollen, dachte sie. Ich muss zurückgehen. Doch immer noch hielt sie eine magnetische Kraft fest, und diese war sogar stärker als das erschreckende Gefühl ihrer eigenen Nacktheit, die sie empfand, obwohl sie immer noch ihren geblümten Baumwollrock, ihre schulterfreie Bluse, ihre Sandalen und ihren Schal trug. Ich habe keine schützende Muschelschale, dachte sie... Nicht einmal den zerbrechlichen, zarten Schutz, den eine Seemuschel hat. Ich habe niemals im Leben eine schützende Schale gehabt.

    »Marcella!«, rief weich und ganz nah eine Stimme. »Marcella!« Und alle die kleinen Strandläufer fuhren erschrocken auf und schossen davon. Auch das Mädchen fuhr auf, und ihr Herz flatterte wie die Schwingen der Vögel, wobei ihre langen, biegsamen Finger immer noch die Handvoll Muscheln umschlossen hielten.

    Sie war voller Furcht, aber sie war nicht überrascht. Beinahe schien es, als sei dies etwas, worauf sie während des ganzen langen traumähnlichen Nachmittags gewartet hätte. Sie hatte nie richtig daran geglaubt, dass sie imstande sein werde, ihren geheimen Plan durchzuführen. Geheim? Er musste ihn von Anfang an erraten haben. Sie hatte gewusst, dass er sie zuerst finden würde. Eben deswegen war sie aus irgendeinem Grunde hier.

    »Warum musstest du hierherkommen?«, fragte er. »Ich habe dir doch gesagt...«

    Jawohl, er hatte es ihr gesagt. Und trotzdem spürte sie, als sie sich umwandte, noch einmal einen törichten Anflug von Hoffnung. Denn die Stimme klang so sanft, ja ganz harmlos; und der, dem die Stimme gehörte, war – wie die anderen Männer – im Anfang so gut zu ihr gewesen. Doch dann erblickte sie sein Gesicht, und ihre Beine ließen sie augenblicklich fluchtartig davonrasen. Sie fanden den Weg wieder, auf dem sie sie hierhergetragen hatten. Sie schleppten sie den ansteigenden Strand hinauf durch das Gewirr von Wachsmyrten und stacheligem Gras. Und jetzt fing der Boden unter ihren fliehenden Füßen an, steiniger zu werden. Über ihr war der dunkle, rettende Schutz von Bäumen, und vor ihr lag, wenn die Hoffnung ihr nicht erneut einen grausamen Streich spielte, der schützende Hafen, an den sie sich erinnerte.

    Die panische Furcht schärfte alle ihre Sinne, so dass sie wie in Todesangst hellwach wurden. Der Schmerz in ihrer mühsam keuchenden Brust steigerte sich bis zur Unerträglichkeit. Sie fühlte deutlich, wie ihr an den Beinen der Schweiß hinablief, und spürte die Kiesel in ihren Sandalen, die ihre Füße wund rieben. Aber vor allen Dingen drangen mit grässlicher Deutlichkeit die Laute an ihr Ohr, die von ihrem eigenen, schneidenden und keuchenden Atem herrührten, und das Stampfen der Schritte – nicht nur ihrer eigenen, sondern auch derjenigen hinter ihr, die schwerer als ihre eigenen sich ihres Zieles ganz sicher waren.

    Ein Ziel! Hatte sie je ein Ziel gehabt? Jetzt hatte sie nur eine undeutliche Erinnerung an einen Ort, der ein Trost gewesen war, weil sie später dorthin zurückkehren konnte.

    Es war da, es war tatsächlich da und schimmerte vor ihr wie eine Fata Morgana. Ein weißes Dach. Zwei große Weiden. Sie konnte es gar nicht verfehlen. Alex’ Haus. Sie stolperte und fiel beinahe. Die Schritte hinter ihr kamen näher. Sie floh über das Gras und die Auffahrt – nirgendwo ein Wagen, noch niemand da, niemand, der ihr die Tür öffnen konnte – und dann die Stufen zur Veranda hinauf.

    Die Tür war unversperrt. Zum ersten Mal verspürte das Mädchen Erleichterung, doch sie wusste, dass es zu spät war, dass sie verloren war. Die Tür fiel gegen ihre zitternde Schulter. Die erbarmungslosen Finger umschlossen ihr Handgelenk.

    Sie stieß zuerst einen heiseren Schrei aus, wimmerte aber dann nur noch, als die Finger wie ein Schraubstock ihren Arm umschlossen. Es war ohnehin niemand da, der sie hören konnte. Vom Kamin herüber drang das muntere Zirpen einer Grille. Außer dem Keuchen beider, dem ihren und dem seinen, war kein Laut vernehmbar.

    »Nein, bitte nicht«, flüsterte sie.

    »Warum musstest du hierherkommen?«, fragte er wieder. »Ich kann es nicht zulassen. Siehst du das nicht ein? Ich muss es tun.« Die Finger fuhren an ihren beiden Armen hoch und umschlossen fast zärtlich ihren Hals.

      Zweites Kapitel

    »Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist«, sagte Gen. Sie drehte das Wagenfenster um einen halben Zoll nach oben und sah dabei auf den Strom von Fahrzeugen, die wie das ihrige in Richtung auf die Küste und in ein verlängertes Wochenende fuhren. »Mir ist so vergnügt zumute wie noch nie. Das beunruhigt mich.«

    »Ich kann das nachempfinden«, sagte Alex ernst. »Es gibt einfach nichts Schlimmeres als dieses entsetzliche, unkontrollierbare Gefühl von Frohsinn. Mir unterläuft das auch dann und wann mal. Zum Beispiel jetzt, da ich im Begriff bin, mit meiner Lieblingsfrau in die Ferien zu fahren. Ja, ich muss mir geradezu einen Ruck geben, um mich daran zu hindern, so richtig von Herzen glücklich zu sein.«

    »Wie bist du doch komisch.« Aber sie konnte nicht umhin, zu lachen. Sie rutschte näher an ihn heran und schob ihren Arm unter den seinen. Was war er doch für ein geliebter Schatz mit seinem liebenswerten Mondgesicht, mit dem zurückgekämmten Haar und seinen freundlichen Späßen.

    »Dagegen waren die Ferien im letzten Jahr eine recht kümmerliche Sache«, sagte er, »nicht wahr?« Und jeder andere, mit Ausnahme von Gen, würde diese Äußerung für ebenso beiläufig gehalten haben, wie sie sich anhörte.

    »Jawohl«, flüsterte sie und gab damit zum ersten Mal auch für sich selbst zu, dass die getrennten Ferien im letzten Jahr keineswegs ein rauschender Erfolg gewesen waren. Es war Gens Idee gewesen; sie sagte, sie könne einfach den Gedanken nicht ertragen, dass aus ihnen beiden eines jener langweiligen Ehepaare werden könnte, die nicht einmal im Traum noch daran dachten, etwas getrennt voneinander zu unternehmen. Mit solchen Leuten solle man sie verschonen, sagte sie. Die hätten keine Individualität mehr, sie könnten geradesogut als siamesische Zwillinge auftreten. Das war noch immer ihre Ansicht. Der Grundsatz blieb weiterhin erhalten, auch wenn Umstände im letzten Sommer dazu geführt hatten, dass sie den trübsten Monat ihres Lebens verbrachte.

    »Ich persönlich«, sagte Alex, »habe letztes Jahr eine grauenhafte Zeit durchgemacht, und es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben.«

    »Ein nettes Märchen! Wahrscheinlich hast du dich wie in früheren Zeiten großartig amüsiert, indem du hinter blonden Circen her stiegst.« In gewisser Beziehung, dachte Gen bei sich, machte sie sich selbst etwas vor, genau wie Alex. Sie erlebte dann wie früher als Kind den angenehmen Schauer, der sie überlief, wenn sie Gespenstergeschichten anhörte, von denen sie wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen. Heute war nur die Handlung eine andere, das war alles. Es ging nicht mehr um rasselnde Ketten oder stöhnende Gespenster. An ihre Stelle war die Vorstellung getreten, die genauso grausig und genauso falsch war, dass Alex je eine andere Frau als sie begehren könne.

    »Ja, grauenhaft«, wiederholte Alex, »und ich habe die Absicht, mich dafür zu entschädigen und will damit gleich jetzt anfangen. Was soll denn nur verkehrt daran sein, wenn man sich so vergnügt fühlt?«

    »Gar nichts. Ich wollte damit nur sagen...«

    Sie wollte damit nur sagen, dass es ihr nicht normal vorkam, wenn ihr heute unentwegt trotz sämtlicher Umstände so froh zumute war.

    Der Rücksitz zum Beispiel war vollgepackt mit Mr. Theobald, Vonda und Büchern. Normalerweise hätte das allein schon genügt, Gen aufzureizen. Nicht etwa, dass sie ausgesprochen etwas gegen Bücher hatte – obwohl es hübscher gewesen wäre, wenn man einmal irgendwohin führe, ohne gleich ein kleines Antiquariat an Büchern mitzuschleppen. Aber nun auch noch Mr. Theobald und Vonda... Also, die beiden waren bei Gott ein ganz verrücktes Paar! Nicht einmal zusammen hatten sie auch nur einen Funken Geist.

    Alex gab das zu. »Aber«, setzte er immer milde hinzu, »sie meinen es so gut. Sie sind die treuherzigsten und gefälligsten Geschöpfe auf der ganzen Welt. Sie würden alles tun, was ich von ihnen verlangte.«

    »Warum sollten sie auch nicht?«, fragte Gen dann jedes Mal. »Wenn du nicht wärst, hätten sie auch nicht einen Penny. Kein Mensch würde ihnen eine Arbeit geben, niemand sonst würde sich auch nur zwei Minuten lang mit ihnen herumplagen.«

    Doch das nützte nie etwas. In Wahrheit hatte Alex eine Schwäche für wunderliche Käuze, für die heimatlos herumstreunenden und nicht ins praktische Leben passenden Geschöpfe. Die Unzulänglichkeit von Mr. Theobald und Vonda brachte ihn keineswegs aus der Fassung. Sie belustigte ihn.

    Ursprünglich hatte man abgemacht, dass die beiden sich um seine kleine Buchhandlung in der Fourth Avenue kümmern sollten, wenn er auf Erkundungsfahrten ging, aber irgendwie war aus den beiden mehr oder weniger ein ständiges Inventar geworden. Man konnte sie nahezu jeden Tag dabei antreffen, wenn sie emsig die Korrespondenz falsch ablegten, vorhandene Bestellungen durcheinanderbrachten, Kunden falsch unterrichteten oder telefonische Aufträge entstellt Wiedergaben. Sie wohnten gleich neben der Buchhandlung in einem mit Gegenständen unvorstellbar vollgestopften Dachgeschoss – und sie lebten in Sünde. Und darüber hinaus in einer glücklichen, verschwommenen, eigenen Traumwelt. Daher kam es, dass Vonda selbst an Tagen, wo sie nicht arbeiteten, plötzlich mit einer Thermosflasche voll Kaffee oder Tee für Alex auftauchen konnte. »Es ist jetzt Zeit für einen kleinen Imbiss. Wissen Sie, Sie dürfen sich nicht zu Tode rackern«, pflegte sie in singendem Ton zu sagen. Ihre Stimme klang auffallend angenehm. Was sie sagte, ergab selten sehr viel Sinn, aber es war hübsch, ihr zuzuhören. Sie war viel jünger als Mr. Theobald. Si? war eine kleine, dunkle Frau mit einem wild gelockten Haarschopf, den sie auf die verschiedenste Art frisierte, was aber stets interessant aussah. Heute zum Beispiel hatte sie ihr Haar zurückgekämmt und so zusammengebunden, dass es wie ein kleiner Pompadour aussah. Sie trug für ihren Ausflug auf das Land ein marineblaues Kreppkleid mit Taschen aus Glasperlen und ein Paar Riemensandalen. Gen, die Reklameartikel für Frauenmoden schrieb, war restlos fasziniert von Vondas jeweiligen Kostümierungen.

    Sie blickte jetzt verstohlen nach hinten zu den beiden, die zwischen Büchern eingequetscht dasaßen. Sie hielten einander beseligt bei den Händen. Seit Jahren waren sie nicht mehr aus der Stadt herausgekommen. Dieser Ausflug anlässlich des Labor Days war für sie eine wahre Wonne. Alex hatte sich, um das zustande zu bringen, ziemlich umtun müssen. Natürlich konnten die beiden es sich nicht leisten, ein Haus zu mieten, und Gen – und möglicherweise Alex selbst – hätte sich davor gescheut, die beiden ein ganzes Wochenende lang in einem Gastzimmer in Blairs Haus unterzubringen. Aber dann hatte Alex an Dwight Abbott gedacht. Das Grundstück am Strande, das Dwight von seinem Vater geerbt hatte, lag gleich nebenan und war ein richtiges großes Besitztum, das ein Haus enthielt, zweimal so groß, wie Dwight es brauchte, und außerdem ein kleineres Gebäude, das ursprünglich für einen Hausmeister gedacht war und jetzt seit vielen Jahren leer stand. Dwight, dem es geradezu ein Vergnügen bereitete, andern Leuten einen Gefallen zu erweisen, war über den Vorschlag entzückt gewesen. Herzlich gern hätte er Vonda und Mr. Theobald – außer ihnen das Häuschen zu überlassen – auch noch hinausgefahren, nur war er nicht sicher gewesen, ob er sich bis morgen in der Stadt frei machen konnte, daher übernahm Alex den Transport der beiden.

    Mr. Theobald erhaschte Gens Blick und winkte ihr mit seiner freien Hand in einer Art und Weise zu, die sowohl höflich wie überschwenglich war. Er sah ein wenig wie eine schäbige Ausgabe von Franz Liszt aus. Sein ziemlich langes, weißes Haar flatterte im Luftzug, und selbst in der Dämmerung konnte Gen erkennen, wie seine Augen strahlten.

    »Der Ozon! Der köstliche, berauschende Ozon!«, sagte Mr. Theobald und sog hingerissen die mit Auspuffgasen überreichlich geschwängerte Luft ein.

    Sie hatten den Plan gehabt, zeitig fortzufahren. Doch Mr. Theobald und Vonda hatten kein Gefühl für Zeit. Daher krochen sie jetzt in dem dichten Strom der Fahrzeuge des Wochenendverkehrs langsam dahin – aber es spielte keine Rolle, Gen war einfach glücklich, anstatt gereizt und verärgert zu sein.

    Wirklich sehr rätselhaft. Außerdem gab es noch das Problem, ob sie Brad Stone als Gast zum Wochenende haben würden oder nicht. Nicht etwa, dass Brad selbst irgendein Problem verkörperte – selbst wenn es so wäre, dann musste es sich nur um ein angenehm prickelndes Problem handeln.

    »Ich vermute, dass Brad sich nicht festgelegt hat, oder?«, fragte sie.

    »Natürlich nicht«, sagte Alex. »Du kennst doch Brad, der kommt, wenn er nicht gerade im Büro festgehalten wird, auch dann, wenn seine Rothaarige eine Wut auf ihn hat.«

    »Willst du damit sagen, dass er noch immer zarte Lilien für- die Rothaarige kauft?« Es waren keine gewöhnlichen Lilien, diese keuschen, weißen Blumen, die Brads Spezialität waren. Sie waren das einzige, was sich an Begleitumständen in der langen Reihe seiner Liebesabenteuer nicht änderte. Er selbst sprach von diesen Blumen voller Achtung, indem er sie bei ihrem fachmännischen Namen nannte: Eucharis aus der Familie der Amaryllidaceen. Seine Freunde waren es, die daraus die plebejische Bezeichnung Lilien, machten, und für sie war der Ausdruck »Lilien kaufen« gleichbedeutend mit poussieren.

    »Natürlich für die Rothaarige«, sagte Alex, »doch soweit ich informiert bin, nicht ausschließlich für den Rotschopf. Deswegen hat sie ja eine solche Wut. Es sieht so aus, als bildete sich diese törichte Person ein, sie besäße ein Monopol auf ihn.«

    »Auf Brad?« Gen lachte. Dennoch, dachte sie bei sich, war es eigentlich traurig, dass Brad bisher noch nicht die Frau gefunden hatte, die ihn richtig verstand. Von ihm durfte man nicht erwarten, dass er treu war. Ihn musste man nur wegen seiner Fröhlichkeit und seiner charmanten Art schätzen... Es gab keinen Zweifel, dass er verführerisch wirkte.

    Sie rückte etwas näher an Alex heran. »Du darfst es niemandem sagen«, flüsterte sie, »aber ich hoffe, dass er nicht kommt.«

    Alex’ Lächeln strahlte reine dankbare Freude aus. Gen vermutete immer, dass Alex, obgleich er Brad durchaus gern hatte, leicht beunruhigt über die halb scherzhaften, halb ernstgemeinten Schmeicheleien war, die Brad ihr sagte. Er musste wissen, dass sie nichts bedeuteten, aber er sollte ebenso wissen, dass Gen ihre Freude daran hatte. Es konnte sogar sein, dass es Alex in gewissen Augenblicken so schien, als sei Brad mit seiner erfolgreichen Werbeagentur, seinem Ehrgeiz – von dem Alex leider sehr wenig besaß – und seinem äußerst guten Benehmen ein wirklicher Rivale.

    »Ich meine«, sagte er jetzt großzügig, »es ist mir egal.« Er nahm die Kurve in die abzweigende Straße ziemlich schwungvoll. »Jetzt sind wir bald da. Wir können an der Ecke halten und ein paar Lebensmittel einkaufen.«

    »Lass uns doch auch bei Rudy halten«, sagte Gen, »und lass uns dort in Erinnerung an alte Zeiten einen Cocktail trinken.«

    Alex wurde beinahe rot vor Freude, denn Rudys Lokal rief bei ihnen beiden die Erinnerung an ihre Flitterwochen wieder wach, und gleichviel, was man über all das, was später folgte, denken mochte, diese waren ein voller Erfolg gewesen. Sie waren in Gens Erinnerung eine Zeit ungetrübter, seliger Freude. Drei Jahre lag das zurück. Manchmal schien ihr diese Zeit viel, viel weiter entfernt zu sein. Aber heute hatte sie das Gefühl wieder verliebt zu sein, so, als segelten sie und Alex über ein goldenes Meer hinweg zu ihrer Zauberinsel, anstatt ratternd in einem Wagen zu fahren, der schon bessere Tage gesehen hatte und jetzt in Richtung auf Rudys recht gewöhnliche Kneipe Bar & Grill zusteuerte.

    Es hat keinen Zweck, dachte Gen, diesen glücklichen Zustand zu analysieren. Man musste einfach dankbar dafür sein, sich entspannen und ihn genießen, solange er dauerte. Übrigens, warum sollte er nicht ewig dauern? Warum...? Aber da fing sie ja schon wieder an, sich unnötige Sorgen zu machen, Unvollkommenheiten ins Auge zu fassen und die Rosen wegen der Dornen zu übersehen.

    Ich werde mich bessern, versprach sie sich verträumt. Alex geht zu freundlich mit anderen Leuten um, als dass er es je in dieser mit Hochdruck arbeitenden Welt sehr weit bringen könnte. Aber was spielt es schon für eine Rolle? Er ist doch so ein Schatz...

    Sie legte ihren Kopf gegen Alex’ Schulter und gab sich einem köstlichen kleinen Schlummer hin. Als sie wieder aufwachte, war es nicht mehr dämmerig, sondern richtig dunkel. Sie fuhren jetzt

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