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DIE MASKE AM SARG: Der Krimi-Klassiker
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eBook264 Seiten3 Stunden

DIE MASKE AM SARG: Der Krimi-Klassiker

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Über dieses E-Book

Hauptgewinn: einhunderttausend Pfund! Dieser entfiel auf ein Lotterie-Los, das ein paar gute Freunde gemeinsam gekauft hatten. Doch plötzlich... ist das Los verschwunden.

Wer hat es an sich genommen? Jeder verdächtigt den anderen...

Alan Birchip, ein junger Rechtsanwalt, soll die Fäden entwirren.

Und schließlich wird aus Diebstahl und Betrug – Mord...

Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein packender Thriller Die Maske am Sarg erschien erstmals im Jahre 1960.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum21. Aug. 2019
ISBN9783748713432
DIE MASKE AM SARG: Der Krimi-Klassiker

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    Buchvorschau

    DIE MASKE AM SARG - Sidney H. Courtier

    Das Buch

    Hauptgewinn: einhunderttausend Pfund! Dieser entfiel auf ein Lotterie-Los, das ein paar gute Freunde gemeinsam gekauft hatten. Doch plötzlich... ist das Los verschwunden.

    Wer hat es an sich genommen? Jeder verdächtigt den anderen...

    Alan Birchip, ein junger Rechtsanwalt, soll die Fäden entwirren.

    Und schließlich wird aus Diebstahl und Betrug – Mord...

    Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein packender Thriller Die Maske am Sarg erschien erstmals im Jahre 1960.

    DIE MASKE AM SARG

    Erstes Kapitel

    Jener 5. Februar, ein Freitag, war der sechste Tag einer ganz Australien belastenden Flitzewelle. Diese war von solchen Ausmaßen, dass schweißtriefende Journalisten sich gezwungen sahen, hundert Jahre zurückzugehen, um eine zu finden, die mit ihr zu vergleichen war. Alan Birchip, glücklicherweise kein Journalist, gab sich zufrieden, wenigstens einen kühlen Ort gefunden zu haben. T. J. Shannocks Büro, ein luftgekühlter Horst im fünfzehnten Stockwerk in einem der Glas- und Aluminium-Wolkenkratzer am Anfang der Collins Street in Melbourne, war tatsächlich kühl. Shannock, der mit dem Rücken zu dem hitzeflimmernden Panorama der rauchigen Stadt, den staubigen Parks und der stahlblauen Bucht saß, winkte Birchip mit seiner glatten, gepflegten Hand zu und sagte: »Fein, dass du kommst, Birch. Setz dich, und bediene dich selbst. Hier ist alles, was du zum Rauchen brauchst.«

    Birchip nahm Platz und versuchte in Shannocks Gesicht zu lesen. T. J. Shannocks Erscheinung war, genau wie das Messingschild an seiner Tür, das ihn als Finanzberater auswies, unbestritten beeindruckend. Er war groß, wenn auch nicht ganz so groß wie Birchip, und elegant gekleidet. Seine Schädeldecke zeigte zur Hälfte ein Stück rosige Haut, der Rest aber war mit zu früh ergrauten Locken bewachsen, was den Eindruck vermittelte, als sei sein Kopf mit Spinnweben beklebt. Sein blasses, breitflächiges Gesicht umgab ihn mit der Aura einer gewissen, geheimnisvollen Überlegenheit. Gleichzeitig erweckte es unglücklicherweise das Gefühl, dass Shannock plante, wie er heimlich einen unter den Daumen bekommen konnte.

    »Hast du kürzlich aus Tysons Bend gehört?«, fragte Shannock.

    Als Birchip verneinte, schienen sich Shannocks Augen zu verschleiern. »Nun, dafür habe ich eine ganze Menge zu hören bekommen; was auch der Grund ist, weshalb ich dich bat, zu mir zu kommen. Ich weiß, du bist ein vielbeschäftigter Anwalt, deshalb möchte ich mich gleich bedanken, dass du dir die Zeit genommen hast. Es tut sich einiges in Tysons Bend. Ich denke, wir sollten schnellstens hinfahren.«

    »Warum ich?«, fragte Birchip, dessen familiäre Bande mit Tysons Bend im Nord-West Mallee längst gelöst waren.

    »Sie brauchen Hilfe, mein Freund!« Shannock strich sich mit der Hand über den kahlen Teil seines Schädels. »Außerdem bietet sich für Allan Birchip, den Sohn des Dorfes, der es geschafft hat, ein bekannter Rechtsanwalt zu werden, eine Chance, etwas für sein Heimatdorf zu tun.«

    »Und was ist es, das ich für das Heimatdorf tun kann?«

    Shannock griff in eine Schublade, holte eine offizielle Bekanntmachung der Ergebnisse von einer der Tattersall-Lotterien heraus und schob sie seinem Besucher hin.

    »Schau dir das mal genau an, Birch, besonders die erste Zeile«, forderte er Birch in einem Ton auf, als würde er ein großes Geheimnis enthüllen.

    Die Überschrift lautete:

    Tattersalls–Sonderlotterie, 100.000 Pfund Hauptgewinn.

    Dann folgte die Liste der zehn Hauptgewinner mit den Summen, Losnummern, samt Namen und Adressen der glücklichen Gewinner. Darunter standen dann in übersichtlichen Reihen die Losnummern, diesmal ohne Details, von etwa zweitausend kleineren Gewinnen. Die Ziehung hatte vor neun Tagen stattgefunden, und Birchip hatte das Ergebnis bereits studiert, weil er einer der Spieler gewesen war, die sich bei der Auslosung des Gewinns von 100.000 Pfund mit einem Fünfer beteiligt hatten, in der Hoffnung ein Vermögen zu gewinnen. Er hatte Pech gehabt.

    Die erste Zeile unter der Überschrift besagte:

    1.Preis 100.000 Pfund Los Nr. 34.618, S. Talory.

    Hauptpostlagernd, Melbourne

    »Was hat das mit Tysons Bend zu tun?«, fragte Birchip.

    Shannock saß nun mit gekreuzten Beinen seitlich von dem Schreibtisch, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt, und schaute zur Zimmerdecke hinauf. Mit einem trägen Seitenblick auf Birchip erklärte er: »Diese 100.000 Pfund sind bis jetzt nicht angefordert worden. Um die Sache kurz zu machen, will ich dir erzählen, wieso ich das weiß. S. Talory ist ein geehrter – nein, vergiss das, Birch. Kein geehrter, sondern eher ein sorgfältig umhegter Gast im Hotelrestaurant meiner Schwester Sally Moyses in Tysons Bend.«

    Der Ausdruck seines Gesichtes hatte sich auf eine Weise verändert, für die Birchip, als er seine Überraschung überwunden hatte, keinen Grund erkennen konnte.

    »Was möchtest du, dass ich tue?«, fragte Birchip. »Soll ich die Verhandlungen mit Tattersall übernehmen?«

    Dies schien Shannock sichtlich zu reizen. Sein blasses Gesicht war plötzlich leicht gerötet, als er sagte: »Hör mir jetzt gut zu. Ich besitze einen Anteil an diesen 100.000 Pfund. Außer mir gibt es in Tysons Bend noch weitere acht Leute, von S. Talory abgesehen, die einen Anteil daran besitzen. S. Talory gehört nur ein Zehntel von dem Los. Das Los hätte unter dem Namen Lotteriegemeinschaft Tysons Bend eingetragen sein sollen. Dieser Talory ist ein billiger, verstohlener...« Er unterdrückte seinen Ärger und fuhr fort: »Wir möchten, dass du nach Tysons Bend kommst und ihn zurechtbiegst.«

    »T. J.«, erklärte Birchip kurz angebunden, »es ist einer meiner unumstößlichen Grundsätze, mich niemals in Auseinandersetzungen dieser Art einzumischen. Nur Ungelegenheiten und kein Profit.«

    »Lass mich dir erst die Geschichte erzählen«, beharrte Shannock. Seine Stimme war jetzt wieder gelassen und verbindlich. Er zündete sich eine Zigarette an und stieß eine gerade, kräftige Rauchsäule aus. »Vergangenen Oktober war ich in Tysons Bend, um Sally zu helfen, ein bisschen Ordnung in ihre Angelegenheiten zu bringen. Sally ist zwar anderer Meinung, aber ihr verstorbener Ehemann, Pete Moyses, Gott hab’ ihn selig, war einer ihrer vielen Missgriffe. Junge, du weißt selber, was unser altes Heimatdorf letzten Endes ist – ein Laden mit einem Postamt, eine Schule, ein paar Häuser und damit hat es sich schon. Und es wird niemals etwas anderes sein. Aber mein verstorbener Schwager sah in Tysons Bend ein anderes Mildura, ein neues Renmark, ein künftiges Handelszentrum für Citrusfrüchte und Weintrauben. Er stürzte sich also mit Schwung hinein und stellte für achtzigtausend Pfund ein Hotelrestaurant hin. Selbstverständlich besaß er keine achtzigtausend Pfund, aber natürlich würde er ein Vermögen machen, sobald der eingebildete Boom begann. Dann starb er und ließ Sally, die nicht genug Hirn besitzt, ihren Verlust mit Anstand einzustechen und die Sache aufzugeben, in der Tinte sitzen. Deshalb erreicht mich alle Augenblicke ein SOS-Ruf, und ich muss hinfahren und den bösen Wolf von der Tür verjagen. Freund, glaub mir, es ist nur gut für Sally, dass ich ihr liebender Bruder bin!«

    »Ich bezweifle nicht, dass Sally das ebenfalls erkennt«, bemerkte Birchip und wurde mit einem vielsagenden Blick bedacht.

    »Tja, als ich nun vergangenen Oktober dort war, wohnte dieser S. Talory – S bedeutet Samuel – in Sallys Hotel«, fuhr Shannock kühl fort. »Er ist ein undurchsichtiger, unangenehmer Kerl mit einer Nase für Geld. Nach seiner eigenen Rede lebt er davon, kleine Ladengeschäfte in den Stadtrandgebieten hochzupäppeln. Er kauft zum Beispiel einen Süßwarenladen auf, sagen wir in der Nähe einer Schule, arbeitet zwanzig Stunden am Tag, bis er ein Geschäft aufgebaut hat, das er um einige tausend Pfund mehr verkaufen kann, als er dafür bezahlt hat; dann sucht er sich einen Käufer und steigt aus. Das ist seine Darstellung. Wenn sie wahr ist«, sagte er anerkennend, »ist es eine gute Sache. Kapital ist in Australien nicht steuerpflichtig – bis jetzt. Das bedeutet, dass dieser S. Talory – ich betone wieder, wenn es wahr ist, was er erzählt – eine Menge schnellverdientes Geld auf diese Weise macht, auf das die Steuerbehörden nicht ihre Finger legen können. Jedes Mal, wenn er ein Geschäft verkauft hat, macht er Ferien, um sich von der Anstrengung zu erholen, und er hat es sich offensichtlich zur Gewohnheit gemacht, diese Ferien in Tysons Bend zu verbringen.«

    Birchip, der sich eine Menge Orte denken konnte, die zur Erholung weit geeigneter wären, erkundigte sich, warum dieser Talory ausgerechnet Tysons Bend dazu ausersehen hätte.

    »Er hat seine Gründe dafür nie bekanntgegeben«, entgegnete Shannock mit einem zynischen Funkeln in seinen grünen Augen. »Aber es geht das Gerücht, dass er ungewöhnlich stark mit Molly Boston befreundet ist.«

    Birchip wurde nachdenklich. Lew Boston war Tysons Bends heiterer, von Ehrgeiz unbelasteter Polizeibeamter. Doch nach Birchips wohlüberlegter Ansicht würde Lew schnellstens aufhören heiter zu sein, wenn irgendein Mann auf die Idee kam, sich mit seiner Frau ungewöhnlich zu befreunden, wie Shannock es ausgedrückt hatte.

    »Wir wollen die Romanze übergehen«, meinte Birchip, seine breiten Schultern hebend. »Was ist nun mit dem Los Nr. 34.618?«

    Shannock drückte seine Zigarette aus.

    »Während ich mich dort aufhielt«, berichtete er, »musste S. Talory für ein paar Tage in irgendeiner geschäftlichen Angelegenheit in die Stadt zurück. Gerade zu dieser Zeit kündigte Tattersall seine Sonderlotterie mit dem Hauptgewinn von 100.000 Pfund an. An dem Abend, bevor er wegfuhr, waren wir alle in der Bar – du weißt, wie es dort zugeht, Birch.«

    Birchip wusste es. Tysons Bend war ein abgelegener Ort, fast hundert Meilen von der nächsten höheren Polizeibehörde entfernt, und Lew Boston kümmerte sich nicht um die Sperrstundenvorschriften. Sally konnte ihre Bar vierundzwanzig Stunden am Tag offenhalten, solange es ruhig und ordentlich zuging. Und das tat es auch, denn Lew betrachtete ein blaues Auge oder eine blutige Nase nie als Ruhestörung oder Gefahr für den Frieden.

    »Wir befanden uns also alle in der Bar«, wiederholte Shannock. »Da schlug einer vor, wir sollten ein Los in dieser Lotterie kaufen, und so kam die Lotteriegemeinschaft Tysons Bend zustande. Zehn von uns, einschließlich Talory, beteiligten sich mit jeweils zehn Pfund. Wir gaben ihm das Geld, sodass er das Los kaufen konnte, während er sich in der Stadt aufhielt.«

    »Wer sind die anderen Mitglieder der Lotteriegemeinschaft?«

    »Sally, ich, Lew Boston, Molly Boston – vier«, zählte Shannock die Namen an seinen Fingern ab. »Old Quorn, Arch Crommer, Lorna Crommer – sieben. Helen Grey, die Lehrerin und Mrs. Seagrim – du kennst sie noch nicht. Sie ist die neue Köchin, die Sally für das Restaurant angestellt hat. Dann zähl noch Talory dazu – und du hast alle zehn, Birch.«

    »So ungefähr der ganze Ort«, meinte Birchip. »Ausgenommen Ding-dong. Warum machte er nicht mit?«

    »Himmel, Birch, Ding-dong ist verrückt wie eine Amsel! Jedes Mal, wenn er weggeht und wieder zurückkommt, ist es schlimmer mit ihm. Glaub mir, es wäre gut, wenn er ein für alle Mal wegbliebe. Andererseits muss man bedenken, dass er für so ein gottverlassenes Nest immer noch ein halbwegs guter Barkeeper ist. Aber, wenn ich mich recht erinnere, hatte er gerade wieder einmal einen seiner irren Einfälle. Er behauptete, er müsste den Mount Everest ersteigen – er kletterte auf die Regale hinter der Bar –, und so kam es, dass wir ihn ausließen.

    Aber, um wieder auf das Los zurückzukommen. Ich war bereits abgefahren, als Talory nach Tysons Bend zurückkehrte; doch Sally schrieb mir später alles darüber. Als er kam, fragten sie ihn gleich nach dem Los. Er hatte auch eines mitgebracht, aber als sie sahen, dass es auf den Namen S. Talory ausgestellt war, flogen die Funken. Old Quorn und Lorna Crommer machten am meisten Krach, und Sally regte sich auch rechtschaffen auf. Talory behauptete, es wäre ihm eben ein Versehen unterlaufen, als er das Antragsformular ausfüllte, und was, zum Teufel, sollte das schließlich ausmachen? Sie seien doch alle Freunde, oder etwa nicht? Sie könnten ihm schon Zutrauen, dass er das Richtige tat. Davon abgesehen, ob sie wirklich erwarteten, das Große Los zu ziehen? Worauf Sally in einem Anfall von gesundem Menschenverstand erklärte, dass sie ebenso viel Chancen wie irgendein anderer hätten, was ohnehin nicht viel sei; aber da immerhin noch weitere zweitausend Gewinne ausgesetzt seien, war es leicht möglich, einen der kleineren zu gewinnen, sodass es auf jeden Fall einfacher und fairer gewesen wäre, wenn er das Los unter dem richtigen Namen eingetragen hätte. Natürlich stimmten ihr alle zu, mit Ausnahme von S. Talory.«

    Shannock zog sein Taschentuch und tupfte sich die Stirn. Trotz der Klimaanlage schwitzte er.

    »Talory lachte«, berichtete er weiter. »Dann meinte er, okay, wenn sie die Sache so ansehen, würde er eben Sally das Los übergeben. Sie sollte es dann aufbewahren. Und sollte es tatsächlich gewinnen, würde es bestimmt keine Schwierigkeiten geben, dass jeder seinen Anteil daran erhielte. Sally nahm das Los, verschloss es in dem Schreibtisch in ihrem Büro, und jedermann beruhigte sich wieder. Talory fuhr im Lauf des Novembers und Dezembers noch einmal für ein paar Wochen in die Stadt, kehrte über Weihnachten und Neujahr nach Tysons Bend zurück und war um den 5. Januar wieder in Melbourne. Am 24. Januar fuhr er wieder nach Tysons Bend hinaus. Und das war, wie du weißt, genau drei Tage vor der Ziehung.«

    Shannock wischte sich wieder den Schweiß vom Gesicht. Die Spannung unter seinem gelassenen Gehabe war deutlich zu erkennen.

    »So weit, so gut«, sagte er. »Die Ziehung fand am Dienstag – das war der 27. Januar – statt. Sie saßen natürlich mit gespitzten Ohren um Sallys Radio in der Bar und warteten auf die Ergebnisse. Ich hörte hier zu. Und als dann der Sprecher verkündete, dass das Los 34.618 der Gewinner war, kannst du dir den Tumult vorstellen. Hunderttausend Pfund! Für jeden zehntausend! Na, ich war am Telefon, so schnell ich konnte. Und dann brach die Hölle los. Sally ging zu ihrem Schreibtisch, um das Los zu holen und, Junge – Junge«, Shannocks Stimme zitterte, obwohl er sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, »das verdammte Los war verschwunden!«

    »Verschwunden?«, wiederholte Birchip. »Verloren oder...«

    Shannocks Taschentuch trat wieder in Aktion.

    »Warte, bis du alles gehört hast«, unterbrach er Birchip. »Sally erzählte mir, dass sie immer mal wieder nach dem Los sah, nur um sicher zu sein, dass es noch da sei. Ist zwar ungewöhnlich für sie, denn gewöhnlich befinden sich ihre Papiere in einem höllischen Durcheinander, und sie weiß nie, wo was ist. Macht sich auch nicht viel daraus, was das betrifft. Aber diesmal hatte sie noch zwei Tage zuvor, am Sonntag, nach dem Los gesehen, und es hatte in der Schublade ihres Schreibtisches gelegen. Talory traf drei Tage vor der Ziehung ein. Ich sagte vorher, dass die Hölle losbrach. Das ist eine starke Untertreibung, mein Junge. Es ist nur ein Wunder, dass kein Mord geschah. Sally beschuldigte Talory, das Los weggenommen zu haben, und der platzte vor Wut. Er erklärte, er habe es nicht getan und ging gleich zum Gegenangriff über. Sally sei diejenige, die gewusst habe, wo es sich befand, und sie täusche nur vor, als sei es verschwunden. Er gab auch gleich einen guten Grund dafür an. Sally hat noch an die vierzigtausend Pfund Schulden auf ihrem Hotelrestaurant, und der Gewinn, wenn sie ihn für sich selbst auf die Seite bringen könnte, würde sie ein für alle Mal von ihren Sorgen befreien. Junge, die ganze Bande ging aufeinander los! Der Streit nahm wüste Formen an. Na, du weißt selbst, wie Old Quorn und Lorna Crommer hochgehen können. Aber man muss es den Einheimischen lassen, dass sie trotzdem zu Sally hielten, sodass es acht zu eins gegen Talory stand. Nein, sieben zu eins. Ich vergaß, die Schule war wegen der Weihnachtsferien noch immer geschlossen, und Helen Grey war noch nicht zurück. Sie ist irgendwo in Gippsland zu Hause. Der Streit war immer noch im Gange, als ich am Nachmittag in Tysons Bend eintraf...«

    »Was sagst du da? Wieso das?«, fragte Birchip überrascht.

    »Ich erzählte dir doch, dass ich Sally, so schnell ich konnte, anrief«, erklärte Shannock, »nachdem ich am Radio das Ergebnis gehört hatte. Als sie mir sagte, das Los sei verschwunden, setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr los, via Tysons Bend. Vierhundertsiebenunddreißig Meilen bis Mildura. Ich schaffte es in sieben Stunden. Hielt nur zweimal, um zu tanken. Nein, entschuldige, noch zweimal. Die Polizei stoppte mich wegen Übertretung der Geschwindigkeitsgrenze. Wenn der Fall vor Gericht kommt, musst du mich verteidigen, Birch, denn ich möchte nicht meinen Führerschein verlieren.«

    »Verrückt!«, kommentierte Birchip.

    Shannock zündete sich wieder eine Zigarette an und blies hastig kleine, zerfetzte Rauchwolken vor sich hin.

    »Der Streit flammte erneut auf, als ich dort eintraf«, fuhr er fort. »Aber S. Talory spielte uns aus. Er forderte Lew Boston, Arch Crommer, Old Quorn und mich auf, ihn selbst, sein Zimmer und sein Gepäck zu durchsuchen. Das taten wir auch und fanden nichts. Dann erklärte er, was dem einen recht ist, sei dem anderen billig; alle anderen Mitglieder der Lotteriegemeinschaft sollten ebenfalls durchsucht werden. Sie selbst, ihre Wohnungen, ihr Besitz. Nun, das war natürlich Unsinn. Helen Grey befand sich sechshundert Meilen entfernt in Gippsland – sie kam am nächsten Tag nach Tysons Bend und muss ebenfalls wie der Teufel gefahren sein – ich war gerade eingetroffen, und wo sollte man denn aufhören zu suchen? Man hätte in jeden hohlen Balken, jedes Kaninchenloch, jedes Vogelnest schauen müssen, jeden Zoll Boden im Umkreis von Meilen umgraben müssen. Mein Gott, es war unmöglich! Und überflüssig. Talory hatte das Los.«

    »Eine unberechtigte Annahme«, warf Birchip ein.

    »Das ist eine Beleidigung für deine Freunde«, erklärte Shannock hitzig. »Ich will es durchgehen lassen und beweisen, dass Talory der einzige Mensch in der Welt ist, der das Los haben kann.« Er warf seine halbgerauchte Zigarette in den Aschenbecher und zündete sich eine neue an. »Birch, du hast dir selbst schon Lose bei Tattersall gekauft. Du weißt also, wie es dort zugeht. Bevor man das Los kauft, muss man ein Antragsformular ausfüllen. Angenommen, man ist ein bescheidener Typ, und will nicht, dass Gott und die Welt erfährt, dass man gewonnen hat – was eine gute Idee ist, denn sobald so etwas bekannt wird, hat man sämtliche Strauchdiebe, Lumpen, Spinner und Bettler auf dem Hals, die alle an deinem Glück teilhaben wollen. Nun, was tut man da? Man fängt also bei der

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