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Robert Herbig: Morde erster Klasse
Robert Herbig: Morde erster Klasse
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eBook331 Seiten4 Stunden

Robert Herbig: Morde erster Klasse

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Über dieses E-Book

Die Zutaten für diese Sammlung sind einfach: Robert Herbigs Helden sind keine Superhelden. Sie sind immer menschlich geblieben mit ihren Stärken und Schwächen. Die Authentizität in allen Kurzgeschichten versetzt den Leser in eine einmalig gute Atmosphäre. Bleiben Sie dabei, wenn Schuss- und Stichwaffen, gift oder ein Küchenmesser für einen Mord herhalten müssen. Eine raffinierte Methode nach der anderen, jemanden um die Ecke zu bringen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. März 2014
ISBN9783943948233
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    Buchvorschau

    Robert Herbig - Robert Herbig

    Abschlussball

    Am Haken

    Tom sah auf die Uhr und stellte fest, dass er seit mehr als acht Stunden am See saß. Trotz seiner dicken Kleidung begann er zu frösteln und bekam langsam kalte Füße. Im Köcher lagen zwei mittelgroße Karpfen. Drei kleinere Rotaugen hatte er wieder zurück ins Wasser geworfen. Einen der Karpfen würde er wieder in Freiheit entlassen, er wusste nur noch nicht, welchen. Bevor er nach Hause ging, würde er eine Münze werfen. Wenn ihm das Ergebnis des Wurfes nicht gefiel, würde er Harpo ausnehmen und ihn mit nach Hause nehmen. Groucho hätte dann eben Glück gehabt.

    Tom gab den Fischen, die er fing, immer berühmte Namen. Das war persönlicher, fand er. Schließlich verbrachte man ja eine gewisse Weile miteinander. Und man aß sie anschließend auf. Jedenfalls taten das die meisten Angler.

    Er hörte den Mann, ohne sich umzudrehen. Reglos blieb er sitzen und lauschte. Es war ein schwerer Mann, der Probleme hatte, die rutschige Uferböschung herunter zu kommen. Er keuchte heftig. Tom hörte, wie der Mann näher kam und schwer atmend hinter ihm stehen blieb.

    „Na, beißen sie?"

    Tom grinste, ohne den Kopf zu wenden.

    „Nur wenn man mich reizt. Oder Dumme Fragen stellt."

    Der Mann schnaufte vernehmlich.

    „Ich meinte die Fische."

    Tom nickte.

    „Gelegentlich."

    Tom fühlte, ohne es zu sehen, dass der Mann einen Blick in den Köcher warf. Er wartete auf die nächste Frage, die kommen musste. Die Frage, die immer kam.

    „Was finden die Menschen nur am Angeln?"

    Tom lächelte.

    „Es beruhigt die Nerven."

    „Das tut ein gutes Buch auch."

    „Lesen Sie denn Bücher?" Tom tat, als sei er neugierig.

    Der Mann zögerte mit der Antwort.

    „Eigentlich nicht. Mir fehlt die Zeit. Der Job, wissen Sie?"

    Tom nickte.

    „Man muss sich die Zeit nehmen. Wer weiß, wie viel man noch hat."

    Er stellte sich vor, wie der Mann die Worte auffassen würde.

    „Wie lange sitzen Sie denn heute schon hier?", wollte der wissen.

    „Was wird das? Ein Verhör?"

    „Nein, nur so. Aus Interesse."

    „Acht Stunden."

    „Hmm, doch schon so lange."

    „Brauche ich etwa ein Alibi? Ich war den ganzen Tag allein, Sie sind der erste Besucher heute." Ein kurzes Lachen war zu hören.

    Tom holte die Schnur ein und spießte mehrere Maiskörner auf den Haken.

    Dazwischen zwei große Tauwürmer. Dann holte er aus und warf den Schwimmer etwa fünfzehn Meter weit nach links in den ruhigen See.

    Rechts war das Ufergelände für Angler gesperrt, es war als Laichgebiet gekennzeichnet und stand unter Naturschutz. Obwohl ihn niemand kontrollierte, hielt sich Tom an das Verbot, dort zu angeln. Jeder gute Angler würde das tun.

    Etwa fünf Minuten lang passierte gar nichts. Noch immer stand der Mann direkt hinter Tom.

    „Gibt es denn etwas Langweiligeres als Angeln?"

    Wieder musste Tom grinsen.

    „Ja."

    „Und was soll das sein?"

    „Jemandem beim Angeln zusehen."

    Tom hörte, wie der Mann scharf die Luft einzog.

    „Sie machen sich über mich lustig?"

    Tom zuckte die Schulter.

    „Sie haben damit angefangen."

    Am gegenüberliegenden Ufer stand die Abendsonne über den hohen Bäumen und tauchte den See in ein sanftes, rötliches Licht.

    Noch eine halbe Stunde, schätzte Tom, dann würde er aufbrechen müssen. Er wollte nicht im Dunkeln hier sitzen.

    Aber vorher musste er noch die Münze werfen. Wegen Harpo und Groucho. Das würde er gerne alleine tun, ohne Beobachtung. Er müsste den Kerl also loswerden. Die Frage war nur, wie?

    Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Der Mann seufzte plötzlich hörbar.

    „Wenn ihnen das so viel Spaß macht, dann will ich sie auch nicht länger stören, Herr Buschhoff. Auf Wiedersehen."

    Tom hörte, wie der Mann sich umdrehte und Richtung Böschung ging.

    In aller Ruhe legte Tom die Angel auf die Halter und drehte sich endlich um.

    „Kommissar Kleist?"

    Der Mann blieb stehen.

    „Ja?"

    „Sie sind doch nicht gekommen, um sich mit mir über das Angeln zu unterhalten. Oder den Sonnenuntergang zu genießen. Haben Sie Daniel mittlerweile gefunden?"

    Tom bemerkte beiläufig, dass Kommissar Kleist immer noch diesen hässlichen Trenchcoat trug. Wie damals, vor drei Monaten, als Tom ihn das erste Mal gesehen hatte. Auf dem Präsidium in der Schillerstraße, zweiter Stock, Zimmer 204.

    Tom saß eine Stunde lang alleine im Verhörzimmer, bevor Kleist hereinkam, den Trenchcoat auf einen Haken hängte und sich ihm gegenüber setzte.

    „Mein Name ist Kleist, Hauptkommissar Walter Kleist, Herr Buschhoff. Ich untersuche mit meinem Kollegen, Kommissar Zufall, nein, lachen Sie nicht, der heißt wirklich so, also wir beide untersuchen den Mord an Ihrem Geschäftspartner Herrn Walser." Dann sah er Tom in die Augen.

    „Steht denn schon fest, dass Daniel tot ist und ermordet wurde, Herr Kommissar?", fragte Tom ruhig. Kleist schüttelte den Kopf.

    „Nein, definitiv noch nicht. Wir gehen intern aber von einem Gewaltverbrechen aus. Wie sie wissen, fehlt uns als letzter Beweis nur die Leiche Ihres verschwundenen Geschäftspartners."

    „Sofern er denn wirklich tot ist", warf Tom ein. Kleist legte den Aktenordner auf den Tisch und erhob sich.

    „Reden wir mal Tacheles, Herr Buschhoff. Meinem Gefühl nach haben Sie ihren Partner aus Habgier kaltblütig ermordet und die Leiche verschwinden lassen. Staatsanwalt Wecker ist zwar anderer Meinung, aber ich konnte ihn überzeugen, mir die Untersuchung zu überlassen. Sie haben meiner Meinung nach Firmengelder unterschlagen. Herr Walser hat das bemerkt, Sie zur Rede gestellt, Ihnen vielleicht sogar mit der Polizei gedroht, darum musste er sterben. In ein paar Tagen werden wir seine Leiche finden, dann bricht Ihr Kartenhaus zusammen. Bisher habe ich noch jeden erwischt, der sich für besonders schlau hielt."

    Tom nickte.

    „Man hat sich schon jede Mühe gegeben, meinen Partner zu finden, Herr Kommissar. Allerdings ohne Erfolg. Staatsanwalt Wecker hat unsere Häuser durchsuchen und die Gärten umgraben lassen, sogar Spürhunde wurden eingesetzt."

    Kleist beugte sich zu Tom hin.

    „Wir werden ihn finden, darauf gebe ich ihnen mein Wort!"

    Das war Ende Dezember gewesen. Zwei Tage vor Silvester, um genau zu sein. Daniels geschiedene Frau hatte sich am ersten Weihnachtsfeiertag an die Polizei gewandt, weil sie Thomas, den Patensohn von Tom über Silvester zu seinem Vater bringen wollte. Trotz mehrfacher Versuche war es ihr nicht gelungen, Kontakt zu Daniel herzustellen.

    Tom wurde befragt, alle Mitarbeiter der Firma, Daniel blieb unauffindbar.

    Ein Flugticket nach Buenos Aires tauchte in Daniels verwaisten Schreibtisch auf, das aber nicht benutzt worden war. Tom machte auf Bitte des Staatsanwaltes eine Aufstellung der Firmengelder und teilte ihm bestürzt mit, dass etwa 600.000 Euro vom gemeinsamen Konto verschwunden waren.

    „Aha. Da hätten wir das Motiv." Staatsanwalt Wecker triumphierte.

    Tom gab zu Protokoll, Daniel habe ihn am 21.Dezember überraschend von einem Kurzurlaub informiert. Er wolle vor Silvester wieder zurück sein.

    „Ziel der Reise?", fragte Wecker. Tom zuckte die Schultern.

    „Ich nahm damals an, Daniel wolle Ski fahren. Gefragt habe ich ihn nicht."

    Für Staatsanwalt Wecker schien das Ganze ziemlich klar zu sein. Das fehlende Geld, ein genügend großer Vorsprung, um Daniels Spuren zu verwischen. Ein typischer Fall.

    „Den finden wir nicht mehr. Der sitzt irgendwo in Südamerika und lässt sich die Sonne auf den Bauch brennen. Ich kenn mich da aus, Herr Buschhoff."

    Tage später wurde Tom ins Präsidium gerufen.

    Dort teilte man ihm mit, dass die Untersuchung von einem anderen Beamten noch einmal aufgenommen wurde. Es gäbe da noch einige Fragen an ihn.

    Kleist machte nie einen Hehl daraus, dass er Daniel für tot und Tom für dessen Mörder hielt. Fast drei Monate lang versuchte er alles, um das zu beweisen. Ohne Erfolg.

    Jetzt stand er vor Tom, am Ufer des kleinen Sees. Groß, schwer und böse aussehend. Nein, eigentlich sah er nicht böse aus, eher verärgert. Die Abendsonne färbte sein Gesicht rötlich und nahm ihm ein paar der harten Linien.

    „Staatsanwalt Wecker hat den Fall gestern zu den Akten gelegt. Es ... es wird keine weiteren Ermittlungen mehr gegen Sie geben. Eigentlich bin ich nur gekommen, um Ihnen das zu sagen." Kleist war immer leiser geworden. Tom spürte, wie schwer Kleist das Gesagte gefallen war. Er verzog keine Miene.

    „Es war eine schwere Zeit, Herr Kommissar. Für uns beide."

    Kleist legte den Kopf leicht schief und schüttelte den Kopf.

    „An meiner Meinung hat sich nichts geändert. Ich halte Sie immer noch für einen Mörder. Doch ohne eine Leiche kann ich es ihnen leider nicht beweisen. Sie haben Glück gehabt, wie es scheint.

    Auf Wiedersehen, Herr Buschhoff. Petri Heil, so sagt man doch bei Ihnen, oder?"

    Tom nickte nachdenklich.

    „Auf Wiedersehen, Herr Kommissar. Petri Dank."

    Viele Minuten lang blieb Tom danach noch völlig still auf der Bank sitzen. Er hatte sich nach vorne gebeugt, die Ellbogen lagen auf seinen Oberschenkeln. Er holte seine Angel ein, packte alles in seine Angeltasche, Groucho und Harpo ließ er frei. Er sah den beiden zu, wie sie schnell davonschwammen. Irgendwann würde er es schaffen, einen gefangenen Fisch auch zu töten. Irgendwann würde er es übers Herz bringen. Irgendwann. Nicht heute.

    Er lehnte sich langsam zurück und sah zum Rundweg hin, dorthin wo Kleist verschwunden war. Aus den Augenwinkeln heraus nahm er rechts im Laichgebiet eine Bewegung wahr. Dort hatte die Frühlingssonne längst begonnen langsam die noch vorhandene Eisdecke aufzutauen. Tom sah eine große Bisamratte, die sich vorsichtig aus dem Ufergestrüpp auf die Eisfläche begab, sich immer wieder misstrauisch schnuppernd zu ihm umdrehte um dann, etwa fünfundzwanzig Meter vom Ufer entfernt stehen zu bleiben.

    Wieder sah sie Tom an. Als sie allem Anschein nach der Meinung war, von ihm ginge keine Gefahr aus, zupfte und zerrte sie an einem bleichen, aufgeschwemmten, menschlichen Finger, der wie anklagend aus dem Wasser ragte.

    Trügerisch

    Der kleine Laubwald befand sich auf einer Anhöhe. Weites, flaches Land umgab ihn. Ein kleiner Weg, von breiten Wagenspuren durchfurcht, schlängelte sich zwischen den Feldern dahin. Es war Nachmittag, die Sonne hatte schon ein wenig an Kraft verloren, die Lerchen schraubten sich etwas müder in den Himmel. Ihr Gesang würde leiser.

    Von seinem Lieblingsplatz am Rande des Waldes aus hatte Frank einen wundervollen, kilometerweiten Blick über die friedlich daliegende Landschaft.

    Er trug Jeans, ein dünnes, kariertes Hemd und helle Stiefel aus weichem Leder. Schläfrig kaute er auf einem Grashalm, mit sich und der Welt zufrieden.

    Ein alter Traktor quälte sich mühsam den Weg herauf. Zwei Männer, die darauf saßen, unterhielten sich angeregt miteinander, lachten. Der Beifahrer hatte es sich auf seitlichen Abdeckung bequem gemacht und warf Frank beim Näherkommen einen neugierigen Blick zu. Als der Traktor Franks Höhe erreicht hatte, nickte der Fahrer freundlich, jedoch ohne anzuhalten.

    „Hallo Frank!"

    Frank nickte zurück. „Hallo Peter."

    Einige Augenblicke sah Frank den Beiden noch nach, dann machte er sich auf den Heimweg.

    „Was war das denn für ein Typ?" Fritz, der Beifahrer sah Peter neugierig an.

    „Frank?" Peter machte ein nachdenkliches Gesicht.

    „Er kommt hier aus unserer Gegend. War fünfzehn Jahre im Ausland, erzählt man sich, bevor er die alte Mühle gekauft und für viel Geld umgebaut hat."

    „Dem gehört die alte Mühle? Fritz schien überrascht. „Der sieht so ... so nichtssagend aus. Nicht wie jemand, der so viel Kohle hat.

    Peter hielt den Traktor an.

    „So, wir sind da." Dann stutzte er.

    „Frank? Nichtssagend? Hmm, merkwürdig, so hab ich das noch nie gesehen." Mühsam kletterte er vom Traktor.

    „Er arbeitet als Berater für die Industrie, ist ständig in der ganzen Welt unterwegs. Vor sechs Jahren kam er hierher, kaufte die Mühle und renovierte sie. Ich hab ihm letztes Jahr mal eine Fuhre Gemüse und Salat gebracht, für eine Gartenparty. Eine Inneneinrichtung hat die Mühle jetzt, wie in einem französischen Schloss. Seine Frau Baumann hält das Ganze in Schuss."

    „Wer ist denn Frau Baumann?"

    „Sie ist seine Dame für alles. Führt ihm den Haushalt, kocht, putzt, wäscht. Alles, was halt so anfällt. Ich sehe sie oft, wenn sie im Dorf einkaufen geht."

    Fritz sah über die Schulter zurück auf den Weg.

    „Und wenn er nicht da ist, steht die Mühle leer?"

    Peter zog die Augenbrauen nach oben.

    „Komm jetzt bloß nicht auf dumme Gedanken, mein Freund. Erstens ist die Mühle durch moderne Alarmanlagen so gut bewacht wie Fort Knox, außerdem wohnt Frau Baumann und noch ein Hausangestellter im Haus."

    Fritz schüttelte heftig den Kopf.

    „Aber ich wollte doch nur ... ich hab doch nicht ...!" Seine Gesichtsfarbe wechselte ins Tiefrote.

    Peter winkte ab.

    „Komm endlich, wir müssen wässern, wir haben schon viel zu viel Zeit verloren."

    Die letzten Meter vor der Mühle genoss Frank.

    Herrliche, große Eichen standen rechts und links der Zufahrtstrasse und rauschten im Nachmittagswind.

    Hier würde er sich zur Ruhe setzen, wenn die Zeit gekommen war. Ein, zwei Jahre noch, schätzte er, dann wollte er seinen Job endgültig aufgeben.

    Seine Reisen, die Planungen, die wochenlangen Recherchen, all das würde er hinter sich lassen. Nur noch leben.

    Er seufzte leise. Schon zweimal hatte er sich vorgenommen, alles hinzuschmeißen. Immer wieder kam etwas dazwischen.

    Morgen früh würde er wieder drei Wochen unterwegs sein. Erst eine Woche in Lissabon, dann mindestens zwei Wochen in Los Angeles. Frühestens in drei Wochen, würde er wieder zurück sein.

    Joseph, der Mann, der sich um seine Pferde kümmerte, führte Golden Star am Zügel zur Weide, als er den Hof betrat.

    „Beweg ihn noch ein wenig, Joseph, es wird ein paar Wochen dauern, bis ich wieder hier bin."

    Das Pferd reagierte auf seine Stimme und drehte den Kopf. Frank rieb über die Blesse, nahm ein Zuckerstück aus der Tasche und hielt es ihm hin. Er spürte den warmen Atem des Pferdes auf seiner Haut, die feuchten Lippen, die die angebotene Leckerei vorsichtig entgegen nahmen.

    „Du wirst dich ein wenig gedulden müssen, mein Alter, bis ich wieder zurück bin."

    Er nickte Joseph noch mal zu, dann ging er zum Haupteingang zur Mühle.

    Als er sich im Flur befand, hörte er jemanden in der Küche hantieren. Leise öffnete er die Tür.

    Eine untersetze, etwa sechzigjährige Frau mit grauen Haaren stand am modernen Herd. Bratenduft stieg Frank in die Nase.

    „Da bist Du ja endlich. Hast Du Hunger?" Ohne sich umzudrehen und ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, fragte sie. Frank lächelte.

    „Einen Bärenhunger. Ich war oben am Waldrand. Peter Bartels hab ich gesehen. Er wässert seine Felder."

    „Ach, der ist vor kurzem Vater geworden. Ein Sohn. Deck schon mal den Tisch, der Schmorbraten ist gleich fertig."

    Geschäftig hantierte sie mit dem gusseisernen Topf, während Frank zwei Teller aus dem Regal nahm und auf den Küchentisch stellte. Wenn sie unter sich waren, aßen sie meist in der Küche, Frank fand das gemütlicher als im riesigen Esszimmer.

    Nach dem Essen lehnte er sich zurück und zündete sich eine Zigarette an.

    „Dein Essen wird mir die nächsten Wochen fehlen, Luise."

    Sacht blies er einen Rauchring in die Luft. Luise setzte sich ihm gegenüber, nachdem sie das Geschirr in die Maschine gestellt hatte.

    „Margarita kocht auch sehr gut. Und die paar Tage im Hotel wirst Du wohl überstehen." Frank fühlte den vorwurfsvollen Blick, den sie ihm zuwarf, ohne sie anzusehen.

    „Du weißt, dass ich es nicht so gern habe, wenn Du hier in der Küche rauchst."

    „Ja, tut mir leid. Ich setz mich auf die Terrasse." Er nahm den Ascher und ein Glas, goss sich einen Cognac ein und ging nach draußen.

    Es war dunkel geworden, ein warmer Luftstrom kam von der offenen Hofeinfahrt herüber. Nach ein paar Minuten kam Luise nach und setzte sich in die Hollywoodschaukel.

    Die Bretter der Schaukel protestierten vernehmlich, als sie sich entspannt nach hinten lehnte.

    „Du grübelst über etwas."

    Frank zündete sich eine neue Zigarette an.

    „Vor dir kann man einfach nichts geheim halten."

    „Etwas Privates?"

    Er schüttelte den Kopf.

    „Nein, nicht nur." Er schwieg lange.

    „Ich ertappe mich immer öfter bei dem Gedanken, einfach aufzuhören, mich zur Ruhe zu setzen. Irgendwann vielleicht zu heiraten, Kinder zu haben."

    Nach diesen Worten blickte er sie direkt an, um zu sehen, wie die Worte auf sie wirkten.

    Sie nickte.

    „Auf so was in der Art warte ich schon lange, sagte sie überraschend. „Gibst Du mir auch eine? Dabei deutete sie auf seine Zigaretten.

    Frank stand auf, fischte eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie ihr hin. Dann gab er ihr Feuer.

    Luise zog den Rauch tief in sich hinein, Frank hatte das Gefühl, als wolle sie damit Zeit gewinnen.

    „Und wo, fragte sie dann, möchtest Du dich zur Ruhe setzen?"

    Frank wartete mit seiner Antwort. Langsam blickte er über den Hof, zur Einfahrt hin, durch das Tor zu den im Mondschein bleich aussehenden Feldern.

    „Warum nicht hier?"

    Wieder nickte Luise. Nachdem sie mehrere Minuten lang nichts gesagt hatte, wurde Frank ungeduldig.

    „Was hältst Du von der Idee?"

    Luise beugte sich vor.

    „Was wird aus mir?", fragte sie ihn.

    „Du bleibst natürlich hier. Das Haus ist doch groß genug, es hat Platz für uns beide." Seine Augen leuchteten.

    „Was, wenn Du wirklich heiraten solltest?"

    Er stand auf und lehnte sich ans Geländer.

    „Das war doch gar nicht sicher, sondern nur ein Beispiel. Selbst wenn, haben wir bis dahin noch eine Menge Zeit."

    Diesmal schüttelte Luise den Kopf.

    „Du hast diese Zeit, Frank, ich nicht."

    Bevor er protestieren konnte, fuhr sie fort.

    „Ich bin achtundfünfzig. Diesen Job mach ich jetzt seit mehr als dreißig Jahren. Ein, zwei Jahre noch, dann will ich mir das kleine Haus in Südfrankreich kaufen.

    „Aber diese ein, zwei Jahre könntest Du doch noch hier bleiben und dann ..."

    „Und dann?"

    Frank seufzte.

    „Ach, ich weiß doch auch nicht." Er setzte sich wieder auf die Bank und zündete sich noch eine Zigarette an.

    Frank wusste, dass Luise in ihm fast einen Sohn sah. Schon seit damals, als er mit ihrem Mann gekommen war.

    Er war damals ein junger, zorniger kaum vierzehnjähriger Teenager gewesen, der nicht verstand, was passiert war.

    Und heute?

    Aus ihm war ein gutaussehender Mann geworden. Vierunddreißig Jahre alt, fast einen Meter neunzig groß, schlank, aber muskulös, sprachgewandt und charmant. Ein offenes, freundliches Gesicht und blaue Augen rundeten den sympathischen Eindruck ab.

    „Glaubst Du denn, dies wäre der rechte Ort, um sich zur Ruhe zu setzen?"

    Er nickte, sein Gesicht leuchtete förmlich.

    „Hier ist alles so ... friedlich, irgendwie. So sicher."

    „Und Du glaubst, Du passt in diese friedliche Gegend?"

    „Warum denn nicht? Ich könnte dich auszahlen, dir deine deinen Hälfte der Mühle abkaufen."

    Sie schüttelte den Kopf.

    „Frank, darum geht es gar nicht. An das Geld hab ich dabei nicht gedacht."

    „Woran denn sonst?" Frank fragte fast trotzig.

    „Muss ich dir das wirklich erklären?" Sie sah müde aus, als sie die Frage stellte.

    „Leute deines Schlages ... Sie zögerte kurz. „Leute deines Schlages setzen sich nicht einfach zur Ruhe.

    „Leute meines Schlages ...? Frank war bleich geworden. Er wandte sich von Luise ab und machte sich auf, ins Haus zu gehen. „Frank? Ihre Stimme klang besorgt.

    Er drehte sich um und sah sie an. ‚ ’Wie das zornige Kind von damals’, schoss es Luise durch den Kopf.

    „Ja, was noch?"

    „Bitte, setz dich. Bitte!"

    Er schien unwillig, nahm dann aber doch Platz. Sie machte eine kleine Pause, wartete lange.

    „Ich will nicht, dass Du so gehst. Du weißt doch, Du warst für mich immer etwas Besonderes. Fast wie ein Sohn."

    Er lachte kurz und kehlig auf. Dann erhob er sich wieder, trat zum Geländer und stützte sich mit beiden Händen ab.

    „Fast wie ein Sohn. Aber nur fast."

    „Ich hätte dich damals nicht aufnehmen müssen." Luise wurde lauter.

    Schritte näherten sich. Joseph kam aus dem Stall. Als er Luise und Frank wie Kampfhähne gegenüber stehen sah, blieb er stehen.

    „Alles in Ordnung bei euch beiden?"

    „Fang Du auch noch an." Frank wurde wieder laut.

    „Ja, bei uns ist alles in Ordnung", erklärte er barsch.

    Joseph sah Luise kurz aber intensiv an, ging dann, ein leises „Na, dann gute Nacht", murmelnd in Richtung angrenzendes Gebäude.

    Frank besann sich und rief ihm hinterher.

    „Joseph?"

    Der blieb stehen, drehte sich aber nicht um.

    „Ja?"

    „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht ... Du weißt schon."

    Durch das schwache Terrassenlicht ahnte man das Nicken Josephs mehr, als man es sah.

    „Schon okay, gute Nacht!"

    „Gute Nacht, Joseph", sagten Luise und Frank gleichzeitig.

    Als Joseph im Dunkel verschwunden war, drehte Frank sich um.

    „Wie lange ist Joseph schon bei dir?"

    „Joseph? Der war schon bei Charly, bevor der mich kennen lernte. Ich kenne ihn seit ... fünfunddreißig Jahren."

    „Und er wollte nie aussteigen?"

    Luise lächelte.

    „Joseph war einmal fast so gut wie Du. Damals. Bis es diesen Zwischenfall gab, in Madrid, vor zwölf Jahren."

    „Damals, als Charly starb?"

    Luise nickte.

    „Joseph lag damals viele Wochen im Krankenhaus, Lungensteckschuss. Er war mehr tot als lebendig. Danach war er nie wieder der Selbe. Seither arbeitet er

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