ACE DRILLER - Serial Teil 2: Das Prometheus-Gen
Von Yves Patak
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Über dieses E-Book
Eine Blindfahrt vom Rummelpark zum geheimsten Ort Brooklyns. Eine Begegnung mit einer Kreatur, die einem Drogentrip zu entstammen scheint. Ein Duell gegen einen spleenigen Baron.
Was als skurriles Abenteuer begann spitzt sich rasch zu - umso mehr, als sich ein Erzfeind aus der Vergangenheit zurückmeldet.
Bevor sich Ace nur ansatzweise mit seiner neuen Berufung anfreunden kann, wartet bereits die erste Mission auf ihn: ein Einsatz gegen den mörderischen Gangsta-Dämon Snoop Wolff …
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ACE DRILLER - Serial Teil 2 - Yves Patak
Saphia
Brooklyn – Samstag, 01:02 Uhr
Die Fahrt scheint ewig zu dauern. Irgendwo muss es eine mathematische Formel geben die besagt, dass Zeit proportional zu Lichtmangel zähflüssiger wird – oder gar stehenbleibt. Jedenfalls ist mir hinter der schwarzen Augenbinde jedes Zeitgefühl flöten gegangen. Zudem hat es Shabba mit seinen jamaikanischen Fahrkünsten geschafft, mein Orientierungsorgan nachhaltig zu ramponieren.
Als die Limo endlich anhält, habe ich keinen Schimmer, ob wir uns hundert Meilen weit von Brooklyn befinden oder wieder an unserem Startpunkt. Ich höre ein Rattern wie von einem Metalltor. Die Limo fährt ein paar Meter vorwärts, stoppt wieder, und nochmals höre ich das Rattern, diesmal hinter uns. Das Motorengeräusch verstummt. Neben mir knarrt das Leder der Polsterung, dann höre ich, wie die Autotür sich öffnet.
„Du kannst die Augenbinde abnehmen, sagt Daisy. „Wir sind angekommen.
Ich ziehe mir das Seidentuch vom Gesicht und reibe mir die Augen. Wir befinden uns in einer leeren Lagerhalle – leer bis auf einen ziegelroten Schiffscontainer. Daisy und Shabba sind bereits ausgestiegen und unterhalten sich leise. Alle Sinne hellwach steige ich aus dem Auto und ziehe mir die Halle rein. Grauer Zementboden. Betonmauern. Wellblechdach. Die Fenster der Oberlichter derart schmutzig, dass sie wohl selbst tagsüber keinen noch so kühnen Sonnenstrahl durchlassen. Vier nackte Glühbirnen an der Decke verströmen ein spärliches Licht, das kaum bis zum Boden reicht.
Mein Blick wandert zu dem Schiffscontainer mitten in der Halle. Standardgröße, etwa sechs Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Ich schiele zu Daisy und Shabba hinüber. Der Jamaikaner lehnt lässig gegen die Fahrertür, während meine Gastgeberin eine Textnachricht in ihr Handy tippt. Sie lässt das Handy in ihre Handtasche gleiten und schaut zu mir.
„Bereit?"
„Klar. Für was?"
„Komm."
Ich folge ihr zum Container. Die Frontseite ist mit diversen Typenbezeichnungen bedruckt. Daisy beugt den Kopf zu einer der Schriften – JOP 4300 – und scheint direkt durch das ‚O‘ zu spähen. Ein leiser Piepton, die Schrift verschwindet, und an ihrer Stelle leuchtet ein grünlicher Bildschirm auf. Mit routinierter Lässigkeit drückt Daisy eine Hand auf den Schirm. Im Container ertönt das Surren von sich zurückziehenden Bolzen, dann schwingen die Türflügel lautlos nach außen. Statt aus dünnem Blech bestehen diese aus dem wuchtigen Stahl eines Nationalbanktresors.
Ich hebe eine Augenbraue. „Retinascan und Hand-Biometrie?"
„Korrekt. Das System erkennt nicht nur die Person, sondern misst zudem via Hautwiderstand, Pulsfrequenz und anderen Faktoren etwaige Stresszeichen. Falls ich also mit Waffengewalt gezwungen würde, einem Eindringling Zugang zu verschaffen, bleibt die Tür zu – selbst wenn man mich erschießt. Die Sicherheitsmaßnahme lässt sich nicht austricksen."
Sie betritt den Container, und ich folge ihr.
„Ziemlich beeindruckend, sage ich. „Nicht ganz so cool wie die Tür zur Winkelgasse im Harry Potter-Streifen, aber ziemlich –
Ich stocke mitten im Satz und schaue mich verwirrt um. Von außen war mir der ISO-Container eher kompakt vorgekommen, eine Büchse, die auf einen Sattelzug passen würde. Doch von innen sieht die Sache anders aus. Dramatisch anders. Wir stehen in einem gewaltigen Kuppelsaal, der den Felsendom in Jerusalem bleich aussehen ließe. Sechs baumdicke Säulen strecken sich zu einer gigantischen, goldenen Kuppel empor. Aus bunten Bleiglasfenstern strömt sanftes Licht herein. Die Wände um uns herum sind mit unzähligen Ikonen behängt, der Boden von einem prächtigen Mosaik gepflastert. Die ganzen Kultrequisiten scheinen von einem Kreuzzug durch das orthodoxe Russland zu stammen.
„Heiliger Gimli!" Völlig verdattert drehe ich mich um. Hinter uns schwingen die Stahltüren langsam zu. Wie zum Geier kann der Container von drinnen zehnmal grösser sein als von außen?
Daisy bemerkt meinen Blick. „Ziemlich lebensnah, nicht wahr?"
„Lebensnah? Ich pfeife durch die Zähne. „Wohl eher atemberaubend! Wie macht ihr das?
„Das ist P18. Daisy prüft den Kuppelsaal mit dem kritischen Auge einer Künstlerin, die den Makel in ihrem Werk sucht. „Einer unserer Projektionsräume. Hier werden ultramoderne Hologrammprogramme getestet und ausgefeilt. Eine High End-Beschaffung, die uns schon bei etlichen Einsätzen äußerst gelegen kam.
Erst jetzt bemerke ich, wie wir kaum merklich nach unten sinken. Der Container, der von innen wie ein Tempel aussieht, ist ein Lift!
Ein diskretes Ruckeln signalisiert, dass wir angekommen sind, doch keine Türe öffnet sich. Von dem Kuppelsaal führen sternförmig fünf identische Gänge ins Unbekannte, nur, dass dies reine Projektionen sind. Daisy macht mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Mit energischen Schritten marschiert sie in die Richtung, die der Längsachse des Containers entspricht. Falls meine Berechnungen stimmen, wird sie jeden Moment gegen eine absolut nicht-virtuelle Wand knallen. Ich beiße die Zähne zusammen. Nichts geschieht. Daisy verschwindet im reich verzierten, nicht wirklich existierenden Korridor wie Alice im Kaninchenbau. Meine Verwirrung wächst, und ich eile ihr hinterher. Ein leiser Duft von Weihrauch und altem Mörtel liegt in der Luft. Leise gregorianische Chöre strömen aus unsichtbaren Lautsprechern. Die Täuschung ist in der Tat phänomenal.
Daisy schreitet forsch voran, ihre hohen Absätze ein Metronom auf dem Mosaikboden. Auch im Korridor schmücken unzählige Ikonen die Wände, todernste Heilige, deren Augen uns auf Schritt und Tritt zu folgen scheinen. Unauffällig streiche ich mit dem Finger über einen der vergoldeten Rahmen. Holz, mit einer dünnen Staubschicht. Definitiv kein Hologramm. Vor einem der Heiligenbilder bleibt Daisy unvermittelt stehen. Auf dem Bild ist ein Mann mit Mönchstonsur und abstehenden Ohren abgebildet. Auf seinem rechten Arm hockt eine Taube, zu seinen Füßen liegen ein Wolf und ein Lamm.
„Der Heilige Georg?" spekuliere ich, während Daisy eine Lesebrille aus der Handtasche fischt und das Bild studiert wie bei einer Vernissage.
„Franziskus von Assisi."
Sie drückt auf das Auge der Taube. Die Wand samt Bild rollt zur Seite, und vor uns öffnet sich ein weiterer Gang, dieser jedoch eng und düster wie der eines mittelalterlichen Verlieses.
„Auch ein Hologramm?" frage ich.
„Nein. Gute alte Tunnelbauarbeit. Komm, weiter."
Ich folge Daisy über grobes Kopfsteinpflaster, das sich in der Tat sehr real anfühlt. Der Stollen ist knapp breit genug, dass wir nebeneinander gehen können und so schummrig beleuchtet, dass man sich fast vortasten möchte. Die feuchte Felsendecke hängt stellenweise so tief, dass ich den Kopf einziehen muss. Kann es sein, dass die Liga bei illegalen Grabarbeiten auf Katakomben gestoßen ist, von denen die Denkmalschutzbehörde von New York nichts ahnt?
„Daisy – "
„Pssst! flüstert sie. „Nicht jetzt.
Während wir uns schweigend fortbewegen, bemerke ich, dass ich Daisys Absätze kaum noch höre – als ginge sie plötzlich auf Zehenspitzen. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Nicht reden? Leise gehen?
Der Geruch von Feuchtigkeit und Schimmel ist überall, doch auf einmal nehme ich etwas Anderes war – etwas Scharfes. Etwas, das mich an einen Dschungel denken lässt.
Unter meinen Schuhen knackt es.
Im trüben Licht sehe ich, dass der Boden mit unzähligen dünnen Ästen übersät ist. Einige knisternde Schritte weiter überkommen mich Zweifel.
„Daisy, flüstere ich, „das sind doch nicht etwa Knochen, auf denen wir spazieren?
„Doch, wispert sie zurück. „Die Knochen dienen als akustisches Warnsignal dafür, dass wir uns Saphias Aktionsradius nähern. Ich glaube, sie hat uns bemerkt.
Bevor ich fragen kann, wer Saphia ist, löst sich etwas aus den Schatten vor uns. Ein weißes Ungetüm, das den gesamten Gang ausfüllt.
„Daisy, was zur Hölle – "
Weiter komme ich nicht. Zischend und fauchend stampft die Kreatur auf uns zu. Mein Cop-Instinkt übernimmt die Kontrolle. Ich ziehe die Zeus und feure dreimal. In dem engen Steintunnel ist das Krachen der Pistole ohrenbetäubend. Trotzdem erkenne ich im Bruchteil einer Sekunde, dass meine Kugeln nichts Gutes bewirkt haben. Das Zischen wird zu einem grimmigen Schnarren, und das Ding rast auf uns zu wie ein D-Zug mit Bremsversagen. Rote Augen blitzen auf, ein riesiges Maul, nein, ein Schnabel voller messerscharfer Zähne öffnet sich, bereit, mir den Kopf abzureißen. Ich habe keine Chance, dem Ungeheuer auszuweichen und mache mich auf den Todesbiss gefasst. Metall klirrt, und eine unsichtbare Hand reißt das Monster zurück. Zorniges Schnattern echot von den Wänden. Das Ding vor mir ist so grauenhaft, dass mein Gehirn durchzukentern droht. Knapp eine Handbreit vor meinem Gesicht öffnet und schließt sich der mörderische Schnabel, und ich starre auf die Speichelfäden zwischen den Reißzähnen. Ein enormes Flügelpaar drischt auf die Tunnelwände ein, verwirbelt die Knochensplitter am Boden.
Ich drehe mich zu Daisy.
„Was zur Hölle ist das?"
„Saphia, erklärt sie ungerührt. „Eine moldawische Wergans.
„Wer-was?"
„Wergans. Die ornithologische Version des gemeinen Lykanthropos, des Werwolfs. Über Therianthropie können wir uns ein anderes Mal unterhalten."
Ich betrachte die glänzende Stahlkette, die das Ungetüm um den Hals trägt. Eine Kette, die mir soeben das Leben gerettet hat. Wahrscheinlich uns beiden.
„Wergänse sind ausgezeichnete Wächter", erklärt Daisy im Tonfall einer Museumsführerin, während