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Dr Crime und die Meister der bösen Träume
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eBook378 Seiten4 Stunden

Dr Crime und die Meister der bösen Träume

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Über dieses E-Book

Das Universum, eine hundertstel Sekunde nebenan.
Die totale Überwachung ist erst der Anfang!
Jetzt erobern die Meister der bösen Träume deine Gedanken, deine Wünsche, deine Träume, dein Ich …

Nein, sympathisch sind sie nicht, die beiden „Helden“ dieser Geschichte. Weder der abgetakelte, menschenverachtende, alte Gangster mit dem albernen Tarnnamen Dr Crıme, noch das Objekt seiner Überwachung, der großmäulige, sexistische Doktorand Leon Walter. Beide haben die fatale Angewohnheit, sich immer wieder selbst zu überschätzen.
Leon ist im Institut für Traumforschung als Proband Teil eines verstörenden Programms namens „Helter Skelter“. Dass die Forschungen insgeheim von einem internationalen Finanztycoon finanziert werden, erregt das Misstrauen von Leons Doktorvater.
Als sich Dr Crıme und Leon persönlich begegnen, sind sie sich nur in einem
einig: in der Verachtung, die sie für den anderen empfinden. Doch für Animositäten ist keine Zeit. Unerklärliche Amok-Exzesse mit vielen Toten und Verletzten öffnen Leon die Augen: Hinter „Helter Skelter“ steckt mehr als nur das harmlose Forschungsprojekt einer Provinz-Uni. Handelt es sich wirklich um die gefährlichste Waffe, die jemals in der Geschichte der Menschheit entwickelt wurde?
Als Leon und Dr Crıme endlich erkennen, dass das Schicksal, sie zu Spielfiguren einer globalen Verschwörung gemacht hat, ist es schon fast zu spät …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. März 2018
ISBN9783964260161
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    Buchvorschau

    Dr Crime und die Meister der bösen Träume - Lucas Bahl

    her."

    FOLGE 1

    WAS BISHER GESCHAH

    Licht fällt auf die Datenhalde.

    Ich bin Dr Crıme.

    Grinsen Sie ruhig wegen des albernen Namens. Ihnen wird das Lachen schon noch im Hals stecken bleiben.

    Damit ist normalerweise meine Begrüßungsformel beendet. Heute jedoch bin ich gezwungen, hinzuzufügen, dass selbst einem abgrundtief abgebrühten Charakter wie dem meinen angesichts der Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe, das Lachen in der Kehle zu einem Katarakt klirrender Eiszapfen gefroren ist.

    Falls Sie sich das absurde Bild meines Halsinneren tatsächlich vorstellen wollen, dann kommt dem ein Kameraschwenk durch eine arktische Gletscherhöhle ziemlich nahe. Auf das, was an verrottenden Fleischfetzen und erstarrten Blutlachen zwischen den Stalagmiten und Stalaktiten zu sehen ist, gehe ich nicht näher ein. Das zweite Buch von Rabelais verrät mehr.

    Damit gestehe ich zweierlei: Erstens, ich liebe solche vertrackten literarischen Irrwege. Zweitens, dummerweise teile ich diese Leidenschaft – auch wenn es da nur eine kleine Schnittmenge gibt – mit dem verachtenswerten Leon Walter.

    Was also Rabelais anbelangt, verweise ich auf das 32. Kapitel, das in Pantagruels Mund spielt.

    Und da wir gerade beim Spielen sind, sei der Hinweis erlaubt, dass ich selbst in den zu schildernden Ereignissen nur eine beschämend-bescheidene Nebenrolle gebe. Der so genannte Held, dem die Hauptrolle gänzlich unverdient in den Schoß fiel, ist besagter Leon Walter. Mir gelang es, seine vollständigen Aufzeichnungen auf eine Weise an mich zu bringen, die ich vorerst nicht näher erläutern will. Und ob ich mich im weiteren Verlauf meiner Schilderung dazu entschließen werde, auf diesen Punkt ausführlicher zu sprechen zu kommen, behalte ich mir vor. In dieser Erzählung werden die Details zu meiner Arbeit nicht das einzige unmöglich zu entschlüsselnde Geheimnis bleiben. Falls Sie Lektüren gewohnt sind, die eine vollständige Aufklärung aller in ihr behandelten Fragen und Sachverhalte bietet, muss ich Sie enttäuschen. Seien Sie stark! Das Leben funktioniert ohnehin meistens ganz anders. Eine beantwortete Frage, vorausgesetzt es war eine gute Frage und eine kluge Antwort, zieht in der Regel mindestens ein halbes Dutzend neuer Fragen nach sich.

    Allerdings kann ich meine kleine bescheidene Rolle in diesem Spiel nicht völlig vernachlässigen. Immerhin wirkten einige meiner Anstöße, ohne dass ich das gewollt hätte, in einer Weise auf das Geschehen, die man als richtungsentscheidend, um nicht zu sagen richtungsändernd bezeichnen könnte. Sie wissen schon: der kleine Stein und die große Lawine.

    Wie mein Alias bereits andeutet, treibe ich mich in den dunklen Ecken unserer Gesellschaft herum; dort, wo die Fassade der bürgerlichen Existenz und des legalen Geschäftslebens so dünn und fadenscheinig ist, dass es einem Spezialisten wie mir problemlos gelingt, unerkannt von einer Seite auf die andere zu diffundieren, wie man diesen Prozess der Osmose so schön nennt. Schlichtere Gemüter sehen in mir einfach einen netten, älteren Herrn, der seinen Ruhestand genießt, gerne reist und – vielleicht bemerkenswert für einen Knacker meines Jahrgangs – Ahnung von Computer- und Internettechnologien hat. Zu meinem letzten Auftrag namens Leon Walter kam ich – wie ich vermutete – aus genau diesen Gründen. Im Grunde sollte es einfach nur eine etwas erweiterte Form der Überwachung sein. Ein Job, den jeder Privatdetektiv mit der entsprechenden Ausrüstung auch hätte erledigen können. Aber man wollte mich, weil ich in bestimmten Kreisen dafür bekannt bin, Aufträge auch dann erfolgreich abzuschließen, wenn die Grenzen der Legalität längst überschritten sind. Außerdem war es eines dieser berühmten Angebote, die man nicht ablehnen kann.

    Bei Leon Walters Aufzeichnungen handelt es sich nicht um sein ohnehin halb oder ganz öffentliches Gesülze, das er via Twitter, Facebook oder WhatsApp abgesondert hat. Dieses unerträgliche Gelalle werde ich nur im Notfall heranziehen, wenn seine privaten Notizen Lücken aufweisen, über die dieser Mensch erstaunlicherweise neben seinen öffentlichen Posts auch verfügt. Glauben Sie mir, allein diese vertraulichen Aufzeichnungen sind Zumutung genug.

    So viel vorab: Leon ist ein reichlich unbedarfter junger Mann mit – man muss es so unverblümt sagen – ständig dicken Eiern, dessen Hauptbestreben Tag für Tag in erster Linie dem Triebabbau der stets geschwollenen Testikel gewidmet ist. Dabei scheint es ihm herzlich egal zu sein, wer ihm Befriedigung verspricht. Hauptsache, er kommt zum Schuss, wie man ebenso unschön wie chauvinistisch eine derartige Fixierung auf das Sexuelle in den längst vergangenen Jahren meiner eigenen Jugend bezeichnet hat. In seinem Fall sind die abgegriffenen Phrasen er hüpft von Loch zu Loch oder er rammelt wie ein Karnickel alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist trotz ihrer unerträglichen Banalität die zutreffendsten Beschreibungen seines Charakters. Und nur die Tatsache, dass ihm dabei bisher lediglich Vertreter der eigenen Spezies vors Rohr kamen (Rohr! Sie sehen, die mangelnde geistige Reife dieses Menschen ist ansteckend), heißt nicht, dass er sich nicht irgendwann einmal in seiner Not auch an Schafen oder Hühnern vergreifen wird.

    „How auch ever", wie Leon in seiner profund-pubertär-infantilen Art sagen würde. Der junge Mann liebt schlichte Scherze über alles: So vertauscht er gerne mal Vor- und Nachnamen und nennt sich Walter Leon, was er – wie nicht eigens betont werden muss – ungemein witzig findet.

    Ich jedenfalls, als ich unter anderem sein Smartphone gekapert hatte und dann notgedrungen den Müll an SMS, Bildchen und Videos durchforsten musste, nannte ihn seinerzeit Leon, den Unprofessionellen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich im Datenwust auch einige Spuren nachlässig gelöschter kleinkrimineller Neigungen gefunden habe, die für den Nachwuchs meiner Zunft, will man Leons Beispiel verallgemeinern, keine besonders rosige Zukunft erahnen lässt.

    Leon:

    Der Job ist ideal.

    Träumen! Und zwar im Dienst der Wissenschaft.

    Ich werde Versuchskaninchen und verdiene mein Geld im Schlaf. Ich denke, sehr viel bessere Jobs gibt’s nicht. Selbst die Arbeitszeiten sind äußerst flexibel. Wenn ich tagsüber mal ein Nickerchen halten will, um fit für die anstehende Nacht zu sein, bin ich im Institut ebenso willkommen wie nach einem anstrengenden Ausflug auf die Piste früh um halb fünf.

    Ich hatte tierisches Glück, …

    Dr Crıme:

    Da würde ich eher von Unglück oder, wenn schon, dann von teuflischem Glück reden, wobei das Wort Glück zur überdeutlichen Akzentuierung auch noch mit Gänsefüßchen umrahmt werden müsste.)

    Leon:

    … dass ich genommen wurde. Laut Mensa-Aushang suchte die Prof lediglich drei neue Schläfer für ihre Versuchsreihe.

    Ich klingele also das Institut an und diese weibliche Stimme am anderen Ende – man soll sich niemals NUR auf den Klang einer Stimme verlassen, ich weiß das und falle trotzdem immer wieder darauf rein – also die betörend verführerisch klingende Stimme fragt, ob ich sofort kommen könne.

    „Sofort?" In dir?, fügte ich in Gedanken hinzu.

    „Sofort."

    „Kein Problem. Ich räum‘ nur noch das Tablett weg."

    Schließlich will ich bei meinen Kommis, insbesondere den weiblichen, die auf so was Wert legen, nicht den Eindruck eines unverbesserlichen Messies hinterlassen.

    Wie bereits angedeutet, war das Gesicht zur Stimme eine Enttäuschung, aber dafür stimmten die Bedingungen des Jobs. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man als Dauer-Doktorand, noch dazu eingeschrieben an der geisteswissenschaftlichen Hungerkünstler-Fakultät der SFU, derart fürstlich entlohnt werden kann.

    Zur Terminabstimmung hätten sie mich eigentlich gar nicht gebraucht, denn nach Eingabe meiner Matrikel-Nummer hatte die umwerfende Stimme zum ernüchternden Äußeren sofort sämtliche Seminare und Vorlesungen auf dem Schirm – einschließlich all jener Veranstaltungen, die ich im Verlauf meiner akademischen Karriere geschwänzt hatte. Problemlos konnte sie meine künftigen Arbeitszeiten im Institut drum herum legen. Drumrum liegen, dumm herumliegen. Das ist für einen halb gebackenen Literaturwissenschaftler wie mich erstaunlich unelegant formuliert, aber (tä tä!) es passt, wie die berühmte Faust ins blaue Äugelein oder mein kleiner Walter in die Muschi einer willigen Schnalle. Denn man muss ja von berufsbedingten Schlafphasen sprechen.

    Das mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit kam erst etwas später.

    „Sie werden Traumprotokolle führen müssen, sagte die Stimme, „aber das wird Ihnen Professor Meltendonck noch genauer erläutern. Jedenfalls gehören die Protokolle mit zur Arbeitsbeschreibung. Sehen Sie, das steht hier in Ihrem Arbeitsvertrag.

    Sie zeigte auf eine Passage Kleingedrucktes, die ich ähnlich zur Kenntnis nahm, wie das Anklicken der AGBs bei Online-Versendern.

    „Muss ich mit meinem Blut unterschreiben?", fragte ich.

    Der dünnlippige blasse Mund zur umwerfenden Stimme lächelte gequält. Ich überlegte: Sollte ich je in die Verlegenheit kommen, eine Retrocompany zu gründen, die Telefonsex für Audiophile anbietet, würde ich sie abwerben.

    Die Assistentin oder Sekretärin oder was auch immer ihre genaue Funktion war, wollte mir ihren Kuli reichen. Doch ich zückte schwungvoll den erst gestern geklauten schwarz-silbernen Diabolo-Griffel von Cartier und setzte meinen Leo unter den Vertrag.

    Der Diebstahl des sündteuren Schreibgeräts mit dem zu solcher Unverfrorenheit passenden Namen versetzte mich immer noch in Hochstimmung. Jetzt brauchte ich das Ding so schnell nicht für zwei, drei lächerliche Hunnis weit unter Wert verticken. Neu kostet das Teil im Fachhandel immerhin stilvolle 666 Euronen …

    Dr Crıme:

    Statt der Traumprotokolle hat Leon Walter pünktlich zum Einstieg im Institut mit klassischen Tagebuchaufzeichnungen begonnen. Allerdings nur in den seltensten Fällen handschriftlich mit dem geklauten Edelschreibgerät namens Diabolo notiert, sondern in ein stinknormales Word-Dokument in sein Notebook getippt.

    Nb.: Die Tatsache, dass Leon zu den Nutzern von Windows, kurz den Windioten zählt, sagt eigentlich schon alles …

    Leon:

    Ich will ja nicht mäkeln. „Glück ist selten vollkommen. Und wenn es uns vollkommen erscheint, dann hat sich meist ein dichter Schleier vor unsere Augen gelegt. Die Vernebelungstaktik endogener Drogen.

    Dopamin-, Serotonin- oder Endorphin-Räusche führen zu wahrhaft paradoxen Erscheinungen. Sie fokussieren unsere Wahrnehmung passenderweise auf das, was wir sehen wollen und als gut und schön empfinden und blenden alle (unter normalen Bedingungen offensichtlichen) Mängel großzügig aus."

    Na? Wie war das?

    Ich denke, mit meinem schlauen Gelaber könnte ich auch im gut verkäuflichen Glücksbuchratgeber-Segment eine erfolgreiche Karriere starten. Aber natürlich nur unter Pseudonym, selbstredend einem weiblichen. Ein Face-Double sollte nicht schwer zu finden sein. Wie wär’s mit Waltraud Leoni? Oder gibt’s die etwa schon?

    Wo war ich stehen geblieben?

    Ach ja, die Unvollkommenheit. Als ich tags darauf neben der stimmlich überwältigenden, aber visuell eher bescheidenen Sekretärin auch die hochberühmte Frau Professor Dr. Lucia Meltendonck höchst persönlich kennenlernte, drehte sich die ganze Angelegenheit um 180 Grad. Frau Professors Stimme war – um es freundlich auszudrücken – in ihrer kaum beherrschbar-durchdringenden Art nur eingeschränkt erträglich, während sie stattdessen für ihre reifen Jahre (ich schätze sie auf Mitte, Ende vierzig) schlicht umwerfend aussah. Die Stimme der einen im Körper der anderen und das eingangs beschworene Glück wäre perfekt!

    Andererseits … und derart ehrliche Äußerungen, wie ich sie jetzt in die Tastatur hämmere, darf ich in meinen privaten Aufzeichnungen, die nicht zu meinem Arbeitsauftrag gehören, problemlos machen – es erfährt ohnehin niemand was davon, da ich nicht vorhabe, das hier zu posten (lol) … Also andererseits sagt mir meine Erfahrung, dass eine Frau mit ihrem Mund und ihren Lippen und ihrer Zunge außer Quasseln auch noch ganz andere Sachen machen kann … Oink, oink!

    Dr Crıme:

    Hatte ich Ihnen gegenüber schon erwähnt, dass unser Held ein unerträglicher Klugscheißer im Gewand eines Sprüche-Plattklopfers ist? Spätestens jetzt haben Sie es schwarz auf weiß. Und nicht nur das. Seine oberflächliche Einstellung gegenüber Frauen ist, angesichts der Tatsache, dass es sich bei Leon Walter um einen Endzwanziger handelt, skandalös vorgestrig. Ich gebe ja gerne zu, dass ich selbst keineswegs vor gewissen Chauvinismen gefeit bin. Political correctness geht mir am Arsch vorbei.

    Aber ich behandle alle gleich – und zwar gleich schlecht.

    Wenn es unumgänglich ist, stanze ich einer Frau ebenso ein Loch in den Schädel wie einem Mann. Bei solchen Fragen zählen nur die Umstände und nicht das Geschlecht.

    Und um durch Leons Aufzeichnungen keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Ich habe Frau Professor Meltendonck, nachdem meine Zusammenarbeit mit dem Meister begann, ebenfalls kennengelernt und kann Ihnen versichern, ihre Stimme ist keineswegs so schrill und schrecklich, wie dieser Trottel meint. – Gut, sie kann laut werden, auch über längere Zeit, ohne einen Anflug von Heiserkeit, aber das ist im Rahmen ihres Lehrauftrags wohl eher von Vorteil. Ansonsten stimmt Leons Beschreibung, sie ist keinesfalls unattraktiv, im Gegenteil. Was jedoch das Gelaber wegen ihres angeblich „reifen Alters" anbelangt – sie ist gerade fünfzig geworden –, so muss man das als jugendlichen Stuss abhaken. Das Bürschchen sieht sich selbst altersmäßig noch eher in der erweiterten Kindergartengruppe denn als Mitglied der Welt der sogenannten Erwachsenen.

    Sein Job im Institut für angewandte Traumforschung an der renommierten SFU unserer hübschen mittelfränkischen Stadt sollte sich letztlich als bedeutend, um nicht zu sagen als Glücksfall herausstellen, wenn auch nicht unbedingt für ihn.

    Damit Sie sich ein Bild von ihm machen können, das über die bereits gründlich entlarvenden Statements hinausgeht, die er ohne Not von sich preisgegeben hat, werde ich der Einfachheit halber einen Vergleich bemühen: Er ist groß – ich schätze mal einiges über einsneunzig – und er sieht aus wie die jugendliche Version des Schauspielers Rowan Atkinson, sattsam bekannt als Mr. Bean. Wenngleich ihm jedoch die schauspielerischen Fähigkeiten dieses Mimen völlig abgehen. Entgleisen Leon die Gesichtszüge, ist das selten komisch, sondern im Gegenteil fast immer tragisch. Selbstbeherrschung ist für Menschen wie ihn ein Fremdwort und so verrät er einem halbwegs erfahrenen Gegenüber, ohne ein Wort sagen zu müssen, alles, was der von ihm wissen will.

    Ähnlich wie Atkinson scheint er eine Leidenschaft für unvernünftig schnelle und schicke Autos zu haben, ohne sich diese freilich leisten zu können. So gut wurde sein Job dann doch nicht bezahlt.

    Leon:

    Morgen Nachmittag geht’s los. Dann wird die Kohle im Schlaf verdient.

    Um das zu feiern, geht es heute Nacht noch mal auf die Piste. Meine bisher so unnahbare Mondgöttin Eva – also Eva aus der Mondstraße in Fürth – hat mir erlaubt, sie in die Margarinefabrik zu begleiten. Dafür habe ich mich extra in meine schwarze True Religion Designer-Jeans im Rocco-Leather-Look gezwängt, die ich Anfang des Jahres in dieser Erlanger Nobel-Boutique geklaut habe.

    Wir tanzen nun schon seit Stunden inmitten tausender Partywütiger zu Techno und House aus den 90ern. Wahrscheinlich gibt es einen Grund dafür. Vielleicht feiern Scooter Goldene Hochzeit. Mir läuft der Schweiß in Strömen herab und meine Socken sind derart feuchtigkeitsdurchtränkt, dass jeder Step ein quietschend-matschiges Geräusch verursacht. Zum Glück sind die Beats derart knallend, dass selbst ich das nur vermuten, aber nicht wirklich hören kann.

    Auch Eva glänzt, aber bei ihr sieht das einfach nur derart geil aus, dass mich allein der Gedanke, diesen Schweißfilm abzulecken, zu Höchstleistungen anspornt. Mädels mögen gute Tänzer, denn sie hoffen ja, dass man sich beim Laken-Zweikampf genauso geschickt bewegt. Die vielen bunten Smarties, die wir eingeworfen haben, tun das ihre, um uns quietschlebendig zu halten.

    Vorhin – das muss schon eine Weilchen her sein – als mal eine halbe Minute lang nur die Bass-Drum aus den Boxen knallte, schrie sie in mein Ohr: „Wenn du mein Prinz bist und wacker durchhältst, gibt es später noch Dessert! Dabei zog sie das ohnehin tief ausgeschnittene, klatschnasse Shirt ein Stück nach vorne und ließ mich die runde weiße Pracht ihrer Äpfelchen bewundern. Genau in diesem Moment setzte wieder die volle Dröhnung ein und seitdem bekomme ich den bescheuerten Refrain nicht mehr aus dem Kopf: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!

    Später werde ich wohl in einem unbeobachteten Moment auch noch eine von den blauen „Davon kriegst du garantiert einen Hammerharten, Mann, das versprech‘ ich dir"-Drops einschmeißen. Nicht, dass ich die Dinger wirklich nötig hätte, aber nach all dem Speed und Ecstasy werd‘ ich kein Risiko eingehen. Schließlich erwartet meine Mondgöttin ein Rundum-Glücklich-Paket und ich habe einen Ruf zu verlieren.

    Mittlerweile grölt dieser nervige Kerl zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit in meinem Ohr: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!"

    Es klingt, als sitze der Schwachmat direkt vor dem Trommelfell, schreit seinen Text und schlägt mit seinem Knüppel – naja, worauf wohl …

    Dann zieht mich die Mondgöttin quer durch das Gewimmelmeer zuckender, sich verrenkender, von Stroboskopblitzen zerhackter Körper, bis wir schließlich hinter der DJ-Bühne vor dieser wuchtigen Stahltür stehen. Ich erkenne sie sofort wieder. Heute Abend, als wir von der U-Bahn-Station in ihrer Nähe aufbrachen, sind wir unten am eklig gefliesten Bahnsteig schon mal an einer vorbeigekommen, die genauso aussah. Eine riesige Neun prangte dort auf dem Stahl.

    Number nine, number nine.

    Verdammt, woher kenne ich das?

    Richtig, auf dieser kleinen Plastikkarte, die wir am Eingang der Margarinefabrik in die Hand gedrückt bekamen, prangte auch eine große Neun und sonst nix. Ich spür‘ das Ding in meiner Hosentasche. Es ist doppelt so dick wie ’ne normale Kreditkarte und genauso lang, nur schmäler. Und ansonsten auf beiden Seiten schwarz wie die Nacht.

    „Für eure Freigetränke", hatte der Kerl beim Einlass gesagt.

    Hier also schon wieder die Neun und wie in der U-Bahn auf einem Stahltor. Muss das Motto der Nacht sein. Ich zieh‘ die Karte aus der Hosentasche, aber meine stroboskopgeschädigten Glotzer können die Neun auf der Plaste nicht erkennen. Da ist nur tiefste Schwärze zwischen meinen Fingern. Ich steck das Ding wieder ein, denn in diesem Augenblick öffnet Eva die Tür und wir schlüpfen hindurch …

    Was erwartet Eva und Leon hinter Tür Nr. 9?

    Wird die nächste Folge diese Frage beantworten?

    FOLGE 2

    WAS BISHER GESCHAH

    Eva und Leon stehen in der Nürnberger Margarinefabrik hinter

    dem DJ-Pult vor einer Stahltür, auf die eine Neun gemalt ist.

    Kurzerhand öffnet Eva die Tür und sie schlüpfen hindurch …

    Die Musik macht augenblicklich anderen Geräuschen Platz. Tierlaute, Wasserrauschen, Blätterrascheln. Wir stehen mitten im ecuadorianischen Regenwald. Eine Affenhorde tobt über unsere Köpfe hinweg und stößt schrille Schreie aus. Bunte Papageien hocken auf Ästen und legen ihre Köpfe schräg, um die Eindringlinge anzuglotzen. Uns. Und nach wie vor plärrt die Stimme in meinem Kopf: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!"

    „Hier lang!", dirigiert Eva und ich versinke knietief im Matsch am Ufer eines etwa zwei Meter breiten Baches, der flach genug zu sein scheint, dass man ihn durchwaten kann, wenn man sich nur nicht so blöd anstellt wie ich.

    „Vorsicht!" Sie reißt mich am anderen Ufer zur Seite. Ich verrenke meinen Hals und starre direkt in Kaas sich spiralförmig drehende Pupillen.

    Soll ich mir Sorgen machen, weil wir in Mittelamerika einer Cartoonschlange begegnen? Soll ich mir Sorgen machen, weil wir auf einmal Tausende von Kilometern von unserem Ausgangspunkt entfernt sind? NEIN! Zugegeben: So was passiert auch mir nicht alle Tage, aber wenn, dann bin ich jemand der zupackt und keine Fragen stellt.

    Währenddessen singt der mittlerweile zu einem gewaltigen Männerchor angewachsene Gesangsverein in meinem Ohr: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!"

    „Dort ist es", sagt Eva und kriecht unter einer massiven, mit seltsamen Zeichen verzierten Steinplatte in eine dreieckige Öffnung, die in der Höhe knapp einen Meter misst. Links ist der obere Teil einer Säule zu sehen, von der diese Steinplatte abgestützt wird. Irgendwann einmal muss es weiter rechts ein Gegenstück dazu gegeben haben, das einst den Torsturz in der Waagerechten hielt. Doch diese Säule ist verschwunden, irgendwann umgestürzt, ihre Trümmer wurden überwuchert und vom Dschungel verschlungen. Der von ihr bis zu ihrer Zerstörung getragene steinerne Torsturz hat sich deshalb schräg in den schlammigen Dschungelboden gebohrt. Die noch sichtbaren Reste dieses Eingangs sind dermaßen wuchtig, dass er, wie ich mir vorstelle, seinerzeit groß genug gewesen sein muss, um einem Saurier hindurch zu lassen, falls es damals noch Dinos gab.

    Ich folge Eva durch die dreieckige Öffnung und gelange ins Innere einer Tempelanlage.

    Als ich zurückblicke, sehe ich, wie es draußen schlagartig dunkel wird. „Erstaunlich, wie schnell in den Tropen die Nacht hereinbricht, sagt sie und greift nach meiner Hand. „Komm!

    Woher sie auf einmal die Fackel hat, weiß ich nicht mehr. Es gibt aber ohnehin nur einen Weg. Vorwärts. Die Wände des Gangs, der rasch so groß wird, dass wir nicht mehr zu kriechen brauchen, sind über und über mit Bildern und Bilderschriften verziert.

    „Mayas, kommentiert Eva knapp und unterbricht damit für eine wohltuende Sekunde: „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!

    Wir kommen in einen kreisrunden Raum, dessen Decke mit der ausgestreckten Hand nicht mehr zu erreichen ist. In der Mitte der Decke haben die Erbauer der Anlage eine ebenfalls runde Öffnung mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern gelassen, durch die die Sterne des nächtlichen Himmels blinken. Unterhalb des Deckenfensters zur Nacht steht ein schlichter Steinkubus von vielleicht einem Meter Kantenlänge.

    „Ein Altar", sage ich, um Eva zuvorzukommen. Sie nickt und hebt den Deckel von der Schale, die in der Mitte auf dem Kubus steht. Im Sternenlicht sehen wir kleine blaue Perlen schimmern, mit denen die Schale bis fast zum Rand gefüllt ist. Ich erkenne, dass sich der Altar nicht exakt im Zentrum unterhalb der kreisförmigen Öffnung in der Kuppel befindet. Diesen Platz nimmt eine flache, kaum einen Fußbreit aus dem Boden ragende, an allen Ecken und Kanten abgerundete Lagerstätte ein, quadratisch und in der Fläche doppelt so groß wie der Altar.

    „Irgendwie sieht das Ding aus wie ein Futon", sage ich, während ich darauf Platz nehme. Die flache Erhebung lädt – obwohl aus Stein – zum Lümmeln ein.

    Eva hockt sich mir gegenüber. Sie öffnet mit den Fingern zart meine Lippen und legt eine der Perlen auf meine Zungenspitze. Dann streckt sie mir ihre Zunge entgegen, auf der ebenfalls so ein rundes Ding ruht. Wie mechanisch und ohne dass ich von diesem eigentlich höchst prickelnden Vorgang das Geringste mitbekommen hätte, haben wir uns in einem Affentempo ausgezogen und sind jetzt splitterfasernackt. Ich spüre, dass meine Göttin nicht viel Zeit mit Vorspielen vertrödeln will. Nachträglich finde ich es ungemein schade, dass ich mich partout nicht mehr daran erinnern kann, wie ich Eva die Kleider vom Leib gerissen habe, aber manche Schlüsselmomente versacken im Nebel des Vergessens.

    Jetzt dringe ich jedenfalls genau in dem Moment in sie ein, in dem sie mir ihre Zunge samt Perle in den Mund stößt. Wir schlucken beide die kleinen runden Kapseln und unsere Körper bewegen sich im Rhythmus unserer Lust.

    Keinen Wimpernschlag später heben wir ab. Wir lassen die Atmosphäre unseres blauen Planeten hinter uns. Wir rasen in einem aberwitzigen Tempo an Mond, Mars und Asteroidengürtel vorbei.

    „Bei Jupiter, stöhne ich, „die Ringe des Saturn! und schon taumeln Neptun und der einsam-traurig-degradierte Pluto von uns fort. Die Sonne ist jetzt so winzig, dass ich Mühe habe, sie zu erkennen. Sirius kommt und geht. Wir sehen brennende Schiffe an der Schulter des Orion. Und schließlich wächst uns nach dem Pferdekopfnebel der spektakulärste Ort der ganzen Galaxis entgegen, wird immer größer, immer farbenprächtiger, immer atemberaubender.

    Ich kann unmöglich erklären, wie zwei durch die Milchstraße rasende, im Liebestaumel ineinander verschlungene, nackte Körper atmen und zudem nicht augenblicklich zu schockgefrosteten Materieklumpen erstarren können. Muss aber auch gestehen, dass mir dieser Gedanke erst nachträglich in den Sinn kommt. Während unserer überlichtschnellen Schussfahrt durchs Universum sind wir voll und ganz und ausschließlich mit zwei Dingen beschäftigt: bumsen und staunen.

    „Lor Els Auge, flüstert Eva in mein Ohr. „Der jährliche Austragungsort der galaktischen Meisterschaft der besten Space-Surfer von hier bis Andromeda.

    Wir nähern uns der zentralen Raumstation, um die herum, an der vorbei und von der ausgehend die einzelnen Disziplinen ausgetragen werden.

    Jetzt ficken wir nicht mehr.

    Stattdessen ist der aus der Schwärze geborene Raum vor dieser grandiosen Kulisse mit aggressiven Hiphop-Beats erfüllt und der Männerchor von Wanne-Eickel rapt:

    „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!"

    Die Station wird langsam größer und dreht sich aus unserer Perspektive zur Seite weg, sodass wir ungehindert auf das größte Naturwunder der Milchstraße glotzen können. Die farbigen Gasnebel erstrahlen in gelben, roten und leuchtend-blauen Farbtönen und sehen wie ein riesiges, Lichtjahre durchmessendes, weit aufgerissenes Auge aus, das gottgleich alles im Kosmos überblickt und unter Beobachtung hält. Selbst die kleinste Kleinigkeit, etwa das Verwehen mikroskopisch kleinsten Blütenstaubs auf einer Wiese am Ufer der Regnitz entgeht diesem allumfassenden Blick nicht.

    „Die NSA ist sicher neidisch auf Lor Els Auge", sage ich und verfalle angesichts der überwältigen Pracht dieses Gebildes in ein andächtig gedämpftes Flüstern. Mir wird, kaum habe ich diese Banalität von mir gegeben, trotz meines gedämpften Tonfalls übel, da ich fürchte, mit meinen Worten den Zauber jäh zu zerstören, der zwischen Eva und mir entstanden ist und der von der gewaltigen Pracht, die das Universum vor uns entfaltet, auf so unbeschreibliche Weise gespiegelt wird.

    Gibt es Größeres als Sex in der freien Natur? Ja!

    Sex im All und zwar dort, wo der Kosmos am schönsten ist!

    „Das schwarze Loch in seinem Zentrum soll das stärkste in der ganzen Galaxis sein, erwidert Eva in normaler, unbeeindruckt klingender Lautstärke. Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Mein mir selbst so unpassend erschienener Kommentar löst zwar keine Abwehr bei ihr aus. Andererseits hat sich auch in ihr eine eher nüchterne Stimmung breit gemacht. „Es erzeugt die besten Gravitationswellen, die man sich als Space-Surfer wünschen kann, fügt sie hinzu, bevor sie meine Aufmerksamkeit auf ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Treiben an der Station lenkt.

    Dort tobt eine Horde mit Spraydosen bewaffneter Äffchen, die allesamt in niedlichen, kleinen, quietschbunten Raumanzügen stecken. Die Köpfchen blicken flink durch die durchsichtigen, kugelförmigen Raumhelme hin und her. Sie hinterlassen auf der tristen grauen Außenwand der Raumstation eine immer größer werdende Spur bunter Tags und riesiger Bilder. Und während wir näher schweben, um die Kunstwerke noch genauer betrachten zu können, singt der Affenchor:

    „Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an! Bass-Drum, Bass-Drum, los, gib uns den Takt an!"

    „Das muss aufhören!", denke ich und beschließe, mich wieder auf jene Gemeinsamkeit zwischen Eva und mir zu konzentrieren, die uns hierher gebracht hat. Ich greife nach ihren Brüsten und spüre die apfelgroßen Kugeln in meinen Handflächen, fühle ihre harten Nippel, dringe wieder in sie ein und ein und ein und … gemeinsam kommen wir in einem gewaltigen kosmischen Urknall, zuckend und erschauernd, aller Sinne beraubt.

    Beinahe aller Sinne beraubt. Denn aus den Augenwinkeln sehe ich noch das Ur-Grafitti an der Außenwand der Station:

    Kilroy was here!

    Ich lache und erwachte.

    In meinem Bett.

    Schlafblind tastete ich neben mir

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