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Immer der Fremdling
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eBook450 Seiten8 Stunden

Immer der Fremdling

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Über dieses E-Book

»... wird die gesamte Aufmerksamkeit des Lesers von Anfang bis Ende auf sich ziehen. Sehr zu empfehlen...« Midwest Book Review

»... eine unterhaltsame und rasante Lektüre, die garantiert, dass jeder junge Leser / Spieler den Wunsch hat, in einer fernen Zeit ein Held zu sein.« Historical Novel Society

 

Wenn es ums Gaming geht, traut sich Max Anderson so einiges zu. Nur tappt er diesmal in eine Falle, ein experimentelles Geschichtsspiel, das Max in die Vergangenheit verbannt. Überleben ist möglich, aber nicht garantiert. Um heimkehren zu können, muss er die Regeln des Spiels herausfinden und die Missionen erfüllen — wenn er lange genug überlebt — zu scheitern bedeutet für immer in der Vergangenheit verloren zu sein. 

 

Jetzt sitzt Max im mittelalterlichen Thüringen fest, unvorbereitet und ahnungslos. Es ist das Jahr 1471 und er merkt bald, dass man als Fremdling schnell seinen Kopf verliert. Vor allem nachdem er eine hübsche Magd von einer tödlichen Infektion heilt und dadurch den teuflischen Möchtegern Grafen Ott provoziert. Übernacht landet er in einem Hornissennest sich befehdender Adeliger, die vor nichts haltmachen, den verdächtigen Fremdling in ihrer Mitte zu zerstören.

 

Ein spannender Zeitreiseroman, der die wahre Geschichte der thüringischen Burg Hanstein und ihres wohl berühmtesten Ritters, Werner von Hanstein, mit viel Witz und Abenteuer zum Leben erweckt. 

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Nov. 2020
ISBN9783948100162
Immer der Fremdling
Autor

Annette Oppenlander

Annette Oppenlander is an award-winning writer, literary coach and educator. As a bestselling historical novelist, Oppenlander is known for her authentic characters and stories based on true events, coming alive in well-researched settings. Having lived in Germany the first half of her life and the second half in various parts in the U.S., Oppenlander inspires readers by illuminating story questions as relevant today as they were in the past. Oppenlander’s bestselling true WWII story, Surviving the Fatherland, was a winner in the 2017 National Indie Excellence Awards and a finalist in the 2017 Kindle Book Awards. Her historical time-travel trilogy, Escape from the Past, takes readers to the German Middle Ages and the Wild West. Uniquely, Oppenlander weaves actual historical figures and events into her plots, giving readers a flavor of true history while enjoying a good story. Oppenlander shares her knowledge through writing workshops at colleges, libraries and schools. She also offers vivid presentations and author visits. The mother of fraternal twins and a son, she recently moved with her husband and old mutt, Mocha, to Solingen, Germany.

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    Buchvorschau

    Immer der Fremdling - Annette Oppenlander

    ANNETTE OPPENLANDER

    © 2020 Annette Oppenlander

    Umschlaggestaltung, Illustration: fiverr.com/akira007

    Lektorat, Korrektorat: Kerstin Brömer

    Übersetzung: Annette Oppenlander

    Herausgeber: Annette Oppenlander, Erfer Str. 27, 42657 Solingen

    ISBN e-Book: 978-3-948100-16-2

    ISBN Taschenbuch: 978-3-948100-17-9

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Was andere sagen

    »... wird die gesamte Aufmerksamkeit des Lesers von Anfang bis Ende auf sich ziehen. Sehr zu empfehlen...« –Midwest Book Review

    »... eine unterhaltsame und rasante Lektüre, die garantiert, dass jeder junge Leser / Spieler den Wunsch hat, in einer fernen Zeit ein Held zu sein.« –Historical Novel Society

    »Rasantes, überzeugendes YA-Debüt« –Giselle Green, #1 Bestselling Autorin von A Sister’s Gift

    »Ein wunderbar gestaltetes Toben zur Zeit der Herren, Damen und Ritter. Cooles Spielerlebnis ist eine Untertreibung, da sich der junge Max im 15. Jahrhundert wiederfindet, als er ein neues Videospiel beta testet. Es wird Geschichte geschrieben, es gibt viele Intrigen und die Bande der Freundschaft werden geknüpft, während ein moderner Junge mutig durch die Vergangenheit navigiert. Bist du Max genug, um das Spiel zu spielen?« –Lee Ann Ward, Autorin und Ehemalige Seniorlektorin von Champagne Books

    »Immer der Fremdling steckt voller winziger Details, die eine Geschichte realistisch und eindringlich wirken lassen, von den Lederbändern, mit denen die Schuhe befestigt werden, bis zum schleimigen Brei, der den größten Teil der Ernährung der Bauern ausmachte. Mir hat besonders gut gefallen, wie Oppenlander den dramatischen Kontrast zwischen der Art und Weise zeigt, wie Bauern und Aristokraten im Mittelalter lebten.... Wer historische Fiktion oder mittelalterliche Fantasie liebt, wird Immer der Fremdling mit Sicherheit genießen.« –Mike Mullin, Autor der Ashfall Trilogie

    »Ich habe dieses Buch so geliebt und dass es sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit spielt, macht es noch besser!« –Lone Tree Reviews

    »...eine großartige Lektüre.« –Reading to Unwind

    »Ich muss das nächste Buch schnell in die Hände bekommen! Ich liebe Max Nerds!« –Written Melodies

    »...actionreich UND spannend.« –Kayl’s Krazy Obsession

    »Ich habe dieses Buch wirklich geliebt.« –The Book Beacon

    »...wunderbar anschaulich.« –Jessica and Gracie Blog

    »Mit viel Action, historischen Ereignissen und sogar ein wenig Romantik werden Teenager Annettes ersten Roman in der Reihe ›Immer der Fremdling‹ genießen.« –The Singing Librarian

    »Ausgezeichnetes Buch. Die historische Kulisse, die großartigen Charaktere und die intensive Action sorgten für eine wundervolle Lektüre.« –Sher a Hart. Written Art. Blog

    »... ein ausgezeichnetes Toben in der Vergangenheit.« –Jemima Pett Blog

    Auch von Annette Oppenlander

    Vaterland, wo bist Du?: Roman nach einer wahren Geschichte

    Erzwungene Wege: Historischer Roman

    47 Tage: Wie zwei Jungen Hitlers letztem Befehl trotzten (Novelle)

    Englische Bücher

    A Different Truth (Historical Mystery – Vietnam War Era)

    Escape from the Past: The Duke’s Wrath (Book 1)

    Escape From the Past: The Kid (Book 2)

    Escape From the Past: At Witches’ End (Book 3)

    47 Days: How Two Teen Boys Defied the Third Reich (Historical Novelette)

    Surviving the Fatherland: A True Coming-of-age Love Story Set in WWII (Historical Biographical Fiction)

    Everything We Lose: A Civil War Novel of Hope, Courage and Redemption (Historical Fiction)

    Where the Night Never Ends: A Prohibition Era Novel (Historical Fiction)

    When They Made Us Leave: A Novel about Hitler’s Mass Evacuation Program for Children (Historical Fiction)

    A Lightness in My Soul: Inspired by a True Story (Historical Novella)

    Für meinen Mann und besten Freund Ben, der jedes Wort, das ich produziere, geduldig liest,

    für meine Tochter Nicole und für meine Gamer-Jungs, Brian und Ethan.

    Escape_map vertical alignment

    Nerd  [ nɜːd ]

    Substantiv, maskulin [der]; JARGON ABWERTEND

    sehr intelligenter, aber sozial isolierter Computerfan¹

    Nerds verbinden vor allem drei Eigenschaften mit anderen Nerds: »soziale Vernetzung per Mausklick, Ironie und Intelligenz. Als besonders ausgeprägte Form des Computerfreaks gehört zum Nerd das Klischee eines Eigenbrötlers, der das Haus nur mit Bekenner-T-Shirt verlässt ...«²

    ¹ Duden. https://www.duden.de/rechtschreibung/Nerd

    ² Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Nerd

    Kapitel eins

    Es war genau 21:32 Uhr, als ich es mir auf meinem Lieblingsstuhl mit der mexikanischen Decke als Kissen bequem machte. Ich hatte keine Ahnung, dass ich innerhalb einer Stunde fort sein würde. Ich meine fort wie verschwunden.

    Während der superschnelle Cyber Xtreme mit dem 32-Zoll-Monitor hochfuhr, ein Schuldgeschenk meines Vaters und der einzige kostbare Gegenstand, den ich besaß, starrte ich auf die unbeschriftete CD in meiner Hand. Laut meinem Freund Jimmy enthielt sie ein geheimes neues Spiel, das sein Vater erfunden hatte. Ebenfalls laut Jimmy enthielt das Spiel einen Programmfehler – ich fragte mich, warum sein Vater ihm das Ding überhaupt gegeben hatte. Allerdings war es durchaus möglich, dass Jimmy sich die CD ohne Erlaubnis ausgeliehen hatte.

    Die meisten Leute hielten Jimmy für einen Glückspilz. Er lebte in einer Villa, weil sein Vater so eine elefantöse Techfirma managte. Meine Mutter und ich teilten uns ein reetgedecktes Dreizimmerhäuschen mit tausend Spinnen. Wer lebte im 21. Jahrhundert noch in einem Haus mit Strohdach? Der Computer schnurrte, während er die CD schluckte, das tollste Geräusch der Welt. Er brauchte ewig, um das Inhaltsverzeichnis der CD einzulesen, was mir den ersten Hinweis hätte geben sollen, dass etwas nicht stimmte. Wenn es eins gab, was mich nervte, war es ein lahmer Prozessor oder ein altmodisches Programm – und an meinem Gerät lag es definitiv nicht. Ich spielte seit meinem siebten Lebensjahr – seit nunmehr neun Jahren – und verstand etwas davon. Vor allem, wenn es ums Debuggen ging. Ich war versessen darauf, das Problem herauszukriegen, vielleicht ein paar Dollar damit zu verdienen. Ich war Amerikaner und dachte noch immer in Dollar statt Euros, weil wir erst seit zwei Jahren in Deutschland lebten.

    Auf der Suche nach einem Schokoriegel wühlte ich in meiner Schreibtischschublade, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung auf dem Bildschirm wahrnahm. Ich blickte auf und sah eine Flamme, die über das Display tanzte. Sie brannte erst gelb, dann rot und blau. Ich rauchte zwar nicht, aber in meinen Augen wirkte sie so echt, als könnte man daran eine Zigarette anzünden. Das Feuer gravierte Buchstaben in den Monitor: WeltenReiter. Toller Name. Natürlich kapierte ich nichts – ich Idiot.

    Unterhalb des Feuers erschien ein Globus, einer von der Art, die bei Bibliothekaren auf dem Schreibtisch stand. Er rotierte langsam um die eigene Achse, wurde größer und immer größer, als würde ich wie bei Google Earth in das Bild hineinzoomen, mir zuerst Europa, dann Deutschland näher heranholen. Jimmy hatte recht. Das war das Coolste, das ich je gesehen hatte, die Grafik so realistisch, als würde die Erdkugel in meinem Zimmer schweben. Bornhagen, das Dorf, in dem wir lebten, war mit einer Tür gekennzeichnet. Hier eintreten blinkte darunter.

    Ich hatte die Nase voll vom Warten, meine Finger zuckten auf der Tastatur. Erst hatte das Laden ewig gedauert, und jetzt gab es nur eine Landkarte? Wie öde. Aber ich hatte außer einigen Algebra-Aufgaben nichts zu tun – und die sollten mir locker von der Hand gehen, denn anders als Jimmy hatte ich mit Mathe keine Probleme –, also klickte ich auf die Tür.

    Sofort formten sich auf dem Bildschirm riesige Felsen zu einem Tor, durch das man einen Haufen Hügel und einen schattenhaften Wald sah. In der Ferne, hoch auf einem Berg, thronte eine Burg mit zwei Türmen. Von einem hing schlapp ein fahler Wimpel herunter. Es erinnerte mich an etwas, aber zu dem Zeitpunkt dachte ich nicht weiter darüber nach. Ein Ochsenkarren zog langsam einen Feldweg entlang auf die Burg zu.

    Ich schnupperte. Irgendetwas stank nach dampfendem Mist. Ich wollte mich gerade nach der Quelle umsehen, als auf dem Bildschirm ein Mann erschien, der einen holprigen Weg entlangeilte. Er röchelte und stolperte auf nackten Füßen daher. Offensichtlich war er verletzt, denn der dreckige Lappen auf seiner rechten Schulter war dunkel vor Blut. Das Spiel zoomte den Mann selbsttätig näher heran und folgte ihm in den Wald. Riesige Eichen schluckten das Sonnenlicht und produzierten im Unterholz ein ständig wechselndes Schattenspiel. Ich meinte, es würde kühl. Zu der Zeit dachte ich, wie lahm das Spiel trotz der realistischen Grafik sei – es gab weder Monster noch Drachen, absolut nichts Aufregendes.

    Im Hinterkopf nagte die Furcht, meine Mutter könnte hereinkommen. Der Whiskey, den sie so gern mochte, ließ sie regelmäßig auf der Couch einschlafen, aber ganz sicher war das nie. Zum Glück hatte sie keine Ahnung, wie oft ich bis tief in die Nacht am PC spielte.

    Pferdegalopp dröhnte aus dem Nichts. Sichtbar zitternd verharrte der Mann einen Moment, bevor er sich ins Unterholz schlug. Am Rande des Waldes tauchten Reiter in Kettenhemden und Helmen auf, ihre kastanienfarbenen verschwitzten Rösser wieherten. Metall schepperte und zerschnitt die Luft, als die Männer ihre Schwerter zogen.

    In dem Moment brummte mein Handy. Ich zögerte. Hatte Jimmys Vater vielleicht herausgefunden, dass ich das Spiel ausgeliehen hatte? Ich schob den Gedanken fort, weil sich auf dem Bildschirm eine Pergamentrolle mit verkohlten, brüchigen Rändern entfaltete und ein Menü offenbarte.

    Level eins fortfahren

    Experte

    Pausieren

    Beenden

    Jetzt Expertenlevel spielen? blinkte darunter. Endlich. Es gab also eine Fortgeschrittenenversion. Sobald ich darauf klickte, begann der Bildschirm zu pulsieren und sich scheinbar auszubreiten. Wie wenn man durch Aquariumglas schaut, erschienen die Baumstämme, Büsche und Blätter größer und dreidimensional, schärfer und näher. Ich hörte Vogelgezwitscher und Rascheln im Unterholz. Und der Gestank war zurück.

    Mit einem Mal zog sich meine Brust zusammen. Es war, als würde ich in einem mannsgroßen Schraubstock stecken, der meinen gesamten Körper zusammenpresste und meine Rippen quetschte. Meine Lunge pochte und ich bekam keine Luft, nicht mal einen halben Atemzug. Meine Arme und Beine waren gefühllos. Tu was, ging mir durch den Kopf. Ich zwang mich, aufzustehen. Irgendwas stimmt mit dem Spiel nicht, stopp das Spiel. Es ging nicht. Sterne explodierten hinter meinen Augenlidern und ich musste jeden Schnipsel Aufmerksamkeit und all meine Kraft fürs Luftholen nutzen.

    Mir kam in den Sinn, ich könnte gerade einen Herzinfarkt erleiden.

    Das Gesicht meiner Mutter erschien vor meinem inneren Auge. Ich wollte nach ihr rufen, aber meine Lunge hatte aufgegeben, meine Zunge lag wie ein verrottetes Stück Fleisch im Mund. Meine Mutter würde mich am Morgen tot auf dem Teppich vorfinden. Meine Sicht vernebelte, wurde schwarz. Ich drohte, das Bewusstsein zu verlieren. Panisch zog ich den Atem ein und bekam etwas Luft. Langsam, aber stetig wurde das Atmen leichter und die erdrückende Schwere ließ nach.

    Den Nebel wegblinzelnd, wischte ich mir die feuchte Stirn. Ich musste dringend zum Arzt.

    Vor mir bewegte sich etwas. Dort, am Rande der Lichtung, kauerte der in Lumpen gekleidete Mann. Er hielt sich den rechten Ellbogen und zitterte und jetzt, da ich näher dran war, bemerkte ich, dass Blut von seinem Handgelenk tropfte. Die drei Reiter hatten ihn umzingelt und richteten ihre Klingen auf den Hals des Mannes. Ein Reiter saß ab, sein Gesicht war von einem Kurzhelm und einem gelockten braunen Bart beschattet, stählerne Fehdehandschuhe bedeckten seine Hände wie Echsenschuppen. Die anderen beiden verharrten regungslos ... warteten. Um herauszufinden, was die Reiter machten, verlagerte ich mein Gewicht und sah nach unten.

    Und erstarrte.

    Ich stand auf den knorrigen Wurzeln einer Eiche. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein, bestimmt bildete ich es mir nur ein. Aber das waren definitiv meine Nikes, die ich vergessen hatte, auszuziehen. Ich bewegte einen Fuß. Blätter raschelten. Ein Zweig zerbrach. Etwas Schreckliches war passiert, etwas, das ich nicht verstand. Ich blinzelte und sah nach rechts: Bäume und Unterholz verloren sich in den Schatten. Ich erinnerte mich an die Computermaus in meiner rechten Hand, aber als ich den Arm hob, waren meine Finger leer – abgesehen von der Schmiere von etwas Klebrigem auf meiner Handfläche. Blut. Ich blutete.

    Moment mal.

    Der Strauch neben mir war ebenfalls blutverschmiert. Nicht meins, ging mir durch den Kopf. Angewidert wischte ich mir die zittrigen Hände mit einer Faustvoll Blätter sauber und sah nach, was hinter mir lag. Der Wald verlor sich in der Finsternis – Schatten über Schatten, fast schwarz.

    Mein Zimmer war verschwunden.

    Kapitel zwei

    Das Rascheln wurde lauter. Es stammte nicht von den Männern, sondern aus Richtung der Bäume hinter mir. Meine Knie gaben nach und ich war mir undeutlich des dumpfen Geräusches bewusst, das ich verursacht hatte. Ich musste herausfinden, was gerade passiert war, musste meine Schritte zurückverfolgen. Wo war mein Zimmer? Meine Gedanken wirbelten, während ich den Boden nach einem Zeichen meines Zuhauses, irgendetwas Vertrautem, absuchte.

    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie der bärtige Bandit den Kopf drehte. Ich duckte mich hinter einen Haselnussbusch und spähte durch die Blätter. Der Kerl hatte das Schwert gehoben und kam auf mich zu.

    Ich bückte mich noch tiefer, in meinen Ohren dröhnte mein eigener Herzschlag. Raues Gelächter kam von den anderen beiden Reitern. Trotz meiner Panik bemerkte ich, wie sie die Schulter des verletzten Mannes mit ihren Schwertern anstießen. Ich roch ihre stinkenden Körper – und die Angst des Verwundeten.

    Der bärtige Mann kam weiter auf mich zu. Sonnenlicht glitzerte auf seiner Klinge. Er tat einen weiteren Schritt, lauschte und ließ seinen Blick über die Büsche schweifen. Ich zwang meinen zitternden Körper zu absoluter Stille. Das musste irgendein Test im Spiel sein.

    Der Kerl kam näher. Noch zehn Meter. Alles an ihm wirkte bedrohlich: die Augen hatten die Farbe von Schlamm, das rasiermesserscharfe Schwert war breit wie eine Hand. Sieben Meter. Ich hielt den Atem an.

    Ein Schrei erklang.

    »Habt Mitleid, edle Herren«, schrie der blutende Mann. Er kniete jetzt und wedelte flehend mit dem gesunden Arm. »Ich bitte euch.«

    Ich senkte den Blick. Irgendwo hatte ich gelesen, dass das Weiße eines Auges einen verraten kann. Meine Augenlider halb geschlossen haltend, lugte ich wieder durchs Gebüsch. Der Braunbärtige stand weniger als vier Meter entfernt. Aus solcher Nähe sah er noch schlimmer aus: ein Rohling mit Armen so dick wie meine Oberschenkel, seine in Leder gekleidete Brust breit wie ein Fass. Trotz seiner Wuchtigkeit hatte er den Gang eines lauernden Tieres. Ich starrte ihn in gelähmter Faszination an. Jede Sekunde würde er mich entdecken, und doch konnte ich nichts weiter tun, als meine Hände in die Hosentaschen zu stecken, um sie ruhig zu halten. Es ist ein Computerspiel, schrie mein Hirn. Es passiert wirklich, argumentierte mein Bauch.

    »Eilet Euch und bindet den Gefangenen«, erscholl eine eisige und gelangweilte Stimme. »Wir haben genug Zeit verprasst.« Der Reiter sprach in einer Art mittelalterlich klingendem Deutsch, trotzdem verstand ich ihn.

    Der bärtige Mann in meiner Nähe hielt inne. Er schaute nach links und nach rechts, drehte sich dann abrupt um. Ich zog hastig die Luft ein, während meine Ohren von dem abklingenden Adrenalin rauschten.

    »Ich zahle für das Brot«, jammerte der Verletzte. »Ich finde ...« Der Rest seiner Worte ging in undeutliches Murmeln über.

    Der bärtige Gauner ragte jetzt über seinem Gefangenen empor, ein Riese, der ein lästiges Insekt zerquetscht. Der Reiter mit der kalten Stimme wackelte mit dem Schwert vor der Nase des Verletzten. »Erteilt ihm eine Lehre.«

    »Am besten die Hände.« Der Bärtige leckte sich erwartungsvoll die Lippen, während er das Schwert über den Kopf hob.

    »Nein, bitte!«, schrie der verletzte Mann. »Ich bezahle den Grafen, ich verspreche es.«

    »Streck die Arme aus«, befahl der Bandit und hob dabei das Schwert höher.

    Ich blinzelte, wollte mich abwenden, doch meine Augen weigerten sich.

    »Den rechten Mittelfinger«, sagte der Reiter mit der kalten Stimme. »Er wird keinen Bogen mehr schießen.«

    »Leg die Hand auf den Boden«, murrte der Bärtige, »oder ich schneide sie ab und füttere dich damit.« Er klang enttäuscht.

    Der verletzte Mann beugte sich nach vorn und platzierte seine blutverschmierte Hand auf den Waldboden.

    Während der Bandit die Spitze der Klinge auf dem Mittelfinger des Mannes richtete, drehte der Gefangene den Kopf und für einen winzigen Augenblick trafen sich unsere Blicke. Seine Augen waren blaugrün wie meine eigenen und in ihnen lag so etwas wie ein Erkennen. Bildete ich es mir nur ein oder hatte der Mann tatsächlich fast unmerklich genickt?

    Bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich gesehen hatte, hörte ich ein sanftes Knirschen. Ein grauenerregender Schrei stieg in den Himmel, breitete sich aus und zerrte an meinem Gehör. Der Kopf des Mannes wirbelte herum, seine gesamte Aufmerksamkeit galt nun seiner verstümmelten Hand. Er umklammerte die Handfläche, um Druck darauf auszuüben, sein Gesicht war so blass wie die Wolken über uns. Endlich sah ich weg.

    »Bindet ihn«, erklang die eisige Stimme. Sie wirkte noch immer gelangweilt, aber es schwang auch ein Element von Dringlichkeit mit. »Wir sollten verschwinden, bevor Hansteins Wachen auftauchen.«

    Der widerliche Gestank von Blut wehte herüber, bittere Galle stieg in meinen Mund. Vor meinem geistigen Auge sah ich das strömende Blut, das von der Hand des Mannes tropfte, sah die leere Stelle, wo noch kurz zuvor der Mittelfinger gewesen war. Kotz bloß nicht. Ich zitterte. Die Panik, entdeckt zu werden, drehte mir den Magen um. Ich war mir sicher, dass der Gefangene mich gesehen hatte. Und wenn er mich nun verriet?

    Um mich abzulenken, wischte ich mir die feuchten Hände an der Jeans ab. Der Reiter hatte Hanstein erwähnt. Die Ruinen der alten Burg Hanstein lagen von meinem Zuhause aus nur wenige hundert Meter die Straße rauf. Ich hatte sie besucht, als Onkel William aus den USA zu Besuch dagewesen war. Komisch, wie verrückt Amerikaner auf Burgen waren. Jimmys Vater hatte ein Spiel mit unserer Nachbarschaftsburg erfunden? Nicht allzu kreativ, wenn man mich fragte. Aber wie kann das alles so wirklich erscheinen?, kommentierte mein Hirn.

    Plötzlich schmerzte mein Hinterkopf und eine Eichel rollte auf den Boden. Ein Tannenzapfen traf meinen Hals. Was zum Teufel ... Ich drehte mich abrupt um. Weniger als drei Meter entfernt kauerte ein Junge, etwa in meinem Alter, in einem Haufen Eichenlaub. Er hielt einen ziemlich dreckigen Zeigefinger an die Lippen, seine Augen waren vor Schrecken geweitet, doch auch Wut spiegelte sich darin. Ich blinzelte erneut. Vielleicht war das alles ein Traum und ich war einfach beim Spielen eingeschlafen.

    Der Junge bedeutete mir, ich solle näher kommen. Während die Banditen ihren Gefangenen auf die Füße zwangen und Blätter über den blutbeflecken Waldboden traten, krabbelte ich auf den Jungen zu. Kaum war ich da, drehte er sich wortlos um und flitzte vornübergebeugt in den Schatten der Bäume. Ich folgte. Mein Nacken kribbelte, während ich mir vorstellte, wie mich der bärtige Widerling mit seiner schrecklichen Klinge von hinten angriff. Trotzdem drehte ich mich nicht um, besorgt, ich könnte stolpern und hinknallen. Das musste Teil des Spiels sein.

    Der Junge lief erstaunlich schnell und ich hatte Mühe, ihn nicht zu verlieren.

    Endlich blieb er stehen. »Was treibst du in Hansteins Wäldern?« Er wedelte abschätzig mit dem Arm. »Sie bringen uns um. Du darfst hier nicht sein.« Sonderbar, wie der Junge die Rs rollte. Doch trotz des Dialekts sprach er schnell. Ich musste mich anstrengen, ihn zu verstehen.

    »Wie bitte?«

    »Bist du auch noch von der Torheit befallen?«

    Ich starrte das schmierige Gesicht an. Wovon sprach der Kerl? Vielleicht sollte ich mit den Grundlagen beginnen. »Wer bist du?« Zu meinem Erstaunen kam mein Deutsch glatt heraus, es hatte seine Vorteile, zweisprachig aufgewachsen zu sein.

    »Bero. Und du?«

    »Max.«

    »Was für ein absonderlicher Name.« Bero starrte mich zornig an. »Bist du strohdumm oder was, dass du die Männer des Grafen bespitzelst?«

    »Welcher Graf? Mann, wovon sprichst du?« Ich glotzte Bero an, der aussah, als hätte er sich seit einem Jahr nicht gekämmt, und dessen Haut vor Schmutz strotzte. Er war barfuß. Die Hosen, ausgiebig mit Löchern versehen und ausgefranst, reichten nur gerade so über die Knie. Hemd und Hals waren vor lauter Dreckflecken kaum erkennbar. Von ihm ging ein so abscheulicher Gestank aus, dass Fliegen um seinen Kopf schwärmten, aber das schien ihm nicht aufzufallen. Ich trat einen Schritt zurück. Besser auf Distanz gehen, falls die Fliegen noch hungrig waren.

    »Graf Schwarzburgs Handlanger. Sie werden uns ermorden, weil wir ihnen zugesehen haben. Der Herr ebenfalls.«

    »Wer ist Schwarzburg? Welcher Herr?«

    Bero grunzte in einem offensichtlichen Versuch, eine Beleidigung zu unterdrücken. »Die Herren von Hanstein. Ihnen gehört dieser Wald«, sagte er betont langsam, als wäre ich ein Trottel.

    Gerade, als ich mir eine scharfe Erwiderung überlegte, bewegten sich hinter Bero die Büsche, gefolgt von Grunzen und Schnaufen. Ich starrte ungläubig, dann ergriff mich eine erneute Welle von Angst. Meine Beine wurden weich, mein Mund war zum Sprechen zu trocken. Rund ein Dutzend Wildschweine mit schwarzen groben Borsten sausten auf uns zu.

    Bero sah sich gelassen um und zuckte die Schultern. »Meine Säue ...«

    »Deine Schw... Säue?« stotterte ich. »Sind die nicht gefährlich?«

    Bero sah mich verdutzt an. »Ach, bist auch noch ein Hasenfuß. Und tranig obendrein.« Er kicherte, es klang verächtlich. »Jeder weiß, dass das Nutztiere sind. Ich dachte, du seiest mutig, da du doch hinter den Männern des Grafen hergeschlichen bist.«

    Wenn ich nicht so verwirrt gewesen wäre, hätte ich ihn beschimpft. Schweine auf dem Bauernhof waren schließlich rosa. »Und was machst du im Wald, wenn keiner Zutritt hat?«, brachte ich hervor.

    Ein durchtriebenes Grinsen breitete sich auf Beros Zügen aus. »Ernte ist knapp und meine Säue brauchen Futter. Der Wald hat jede Menge Bucheckern, Eicheln und Wurzeln für uns alle.« Er wurde ernst. »Die Herren werden nichts vermissen.«

    »Ich verstehe«, sagte ich, obwohl ich nichts verstand. »Wo wohnst du?«, fuhr ich fort, um das Thema zu wechseln. Vielleicht sollte ich Fragen stellen, damit ich, verdammt noch mal, dieses blödsinnige Spiel beenden konnte. Ich spielte schließlich nicht, um von einem stinkenden Schweinehirten verarscht zu werden.

    Bero deutete mit dem Daumen über seine Schulter, »Dorten drüben, im Dorf.«

    »Welches Dorf?«

    »Bornhagen. Und du?«

    »Ebenfalls.« Es war heraus, bevor ich Zeit zum Nachdenken gehabt hätte.

    Bero trat einen Schritt zurück und schüttelte, offensichtlich alarmiert, den Kopf. Sein Ausdruck, eben noch voller Hohn, verwandelte sich in Misstrauen. »Nay, unmöglich. Ich kennte dich.« Er musterte mich aufmerksam, sein Blick endete auf meinen Nikes, die weiß und silbrig im verblassenden Licht schimmerten. »Du siehst nicht aus wie wir. Deine Roben sind ...« Bero schienen die Worte zu fehlen, während er mein T-Shirt und meine Jeans anstarrte. »Es sei denn ...«

    »Was?«, fragte ich. »Ich spiele ein Computerspiel.« Was sagte ich da? Ich war im Spiel und erklärte einer der erfundenen Figuren von Jimmys Vater, dass ich spielte? Bestusst. »Ich meine, ich komme aus der Nähe. Ich weiß nicht ...«

    Bero starrte mich noch immer an, so, als wollte er sich eine Meinung bilden. »Nähe? Ha!« Er spuckte ins Laub. »Nay, du siehst sonderbar aus. Deine Stiefel ... Vielleicht arbeitest du doch für Hanstein. Ein Spion. Du wirst mich an den Herrn verraten. Seine Wachen werden mich ergreifen und ich werde nie Knappe.«

    »Knappe?« Ich hatte Mühe, Beros Gefasel zu folgen. Es klang wie Deutsch, aber auch wieder nicht. Mehr wie ein entfernter Dialekt. Noch sonderbarer war, dass Bero mich zu verstehen schien. Das musste am Spiel liegen.

    Mit einem Seufzer ließ Bero sich zu Boden fallen. Seine Säue hatten es sich in der Nähe gemütlich gemacht, wühlten grunzend mit ihren langen Schnauzen in der Erde.

    »Ich bin kein Spion.« Ich hockte mich neben den Kerl, der auf einmal verloren wirkte. »Ich hab mich ... verlaufen.«

    Bero schwieg, während er Stöckchen und Blätter zwischen seinen verdreckten Zehen herausfischte.

    »Würde ich hier bei dir bleiben, wenn ich ein Spion wäre? Ich habe mich genau wie du versteckt.« Ich hielt inne, dachte an die blutige Hand des Gefangenen, an den Blick, mit dem er mich angesehen hatte. Ein Schaudern lief mir über den Rücken und ich fragte mich, ob Bero das Ganze mitbekommen hatte. »Erzähle mir von den Knappen.«

    Bero schüttelte mürrisch den Kopf. Er sah flüchtig nach oben zu den Baumkronen und schnupperte. »Abendzeit. Mutter wird ärgerlich sein, wenn ich zu spät zum Mahl komme. Das bedeutet Prügel.« Er sprang leichtfüßig wie ein Eichhörnchen auf und pfiff gleichzeitig. Erneutes Grunzen und Quieken erklang, während sich die Säue um ihren Herrn scharrten. Bero zog skeptisch die Brauen zusammen. »Bis irgendwann ... oder nicht.«

    Es klang nach »lass mich gefälligst in Frieden«.

    Ich stand ebenfalls auf. Es wurde dunkel, die Schatten im Unterholz wirkten wie schwarze Tinte und ich konnte kaum noch den Himmel ausmachen. Vielleicht war das der Moment, eine Pause einzulegen und einen Snack zu suchen. Mutter hatte immer Eiscreme im Gefrierfach.

    Als Bero in die Dämmerung verschwand, drehte ich mich einmal um die eigene Achse. Alles, was ich sah, waren Schatten. Alles, was ich hörte, war der Gesang einer viel zu glücklichen Amsel über mir. Ich sah zu Boden. Ich stand noch immer im Wald und keineswegs auf dem Teppich meines Zimmers. Es gab weder eine Computermaus noch eine Pausentaste.

    Ich zitterte. Irgendwie war ich ins Spiel geraten und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Alle Spiele hatten Ziele wie Punkte sammeln oder Missionen durchführen, Dämonen erschießen oder Gold sammeln. Aber jedes Spiel hatte auch eine Pausentaste und man konnte jederzeit aus dem Spiel aussteigen. Was in aller Welt sollte ich hier mitten im Wald erreichen? Die widerliche Szene mit dem verletzten Mann kehrte in meine Gedanken zurück, vor meinem inneren Auge sah ich erneut das Loch, wo zuvor der Finger gewesen war. Dann war da noch das Blut an meiner eigenen Hand. Der schreckliche Gestank. Niemals zuvor, nicht mal, als mein Vater uns verlassen hatte, hatte ich mich so einsam gefühlt ... und verängstigt. Aber Spiele waren doch virtuell und machten Spaß ...

    Wie viel Zeit war vergangen, seit ich die Expertentaste gedrückt hatte? Es musste Stunden her sein. Mutter würde ausflippen, wenn ich bis morgen Früh nicht zurück sein sollte. Ich schüttelte den Kopf, aber alles blieb wie bisher. Bis auf ein neues Rascheln zu meiner Rechten. Es war viel lauter als das eines Eichhörnchens oder eines Vogels. Wer wusste schon, welche gefährlichen Tiere sich Jimmys Vater ausgedacht hatte? Vielleicht hatte er den Wald mit Wölfen und Bären vollgestopft.

    Die Panik ergriff mich erneut. Ich stand absolut still, versuchte, mein Hirn in Bewegung zu setzen. Was passierte, wenn ich von einem Bären gefressen würde? War das in einem Spiel überhaupt möglich?

    Vielleicht hatte ich einen Hinweis übersehen. Jimmy würde mich morgen auslachen. Okay, ich hatte Level eins übersprungen und war direkt als Experte eingestiegen, offensichtlich ein übler Fehler. Ein toller Spieler war ich.

    Gegen die wiederaufsteigende Panik ankämpfend, kam mir Bero in den Sinn. Vielleicht sollte ich mit ihm gehen und mir so Zeit verschaffen, alles zu überdenken und Anhaltspunkte zu sammeln. Wenigstens kannte der Kerl sich aus, selbst, wenn er aussah, als hätte er ein Jahr auf der Müllkippe zugebracht. Er klang nicht dumm, obwohl er komisch daherredete.

    Spontan machte ich mich in die Richtung auf, in die Bero verschwunden war. Ich beschleunigte meinen Schritt, bis ich rannte und schließlich sprintete. Im Zwielicht erschien alles grau, aber ich erkannte noch die Spuren von zerbrochenen Zweigen und durchwühlten Blättern.

    »Bero?«, schrie ich. Ich lief weiter, immer schneller, bis meine Lunge schmerzte und meine Oberschenkel brannten.

    Am Rande des Waldes war es etwas heller und im verbliebenen Licht fiel das Land leicht in Richtung ... ja was eigentlich ab?

    Wo die gepflegten Häuser und von Hecken umrandeten Gärten, die geteerten Straßen und Straßenlaternen Bornhagens hätten sein müssen, duckten sich Hütten und strohgedeckte Schuppen entlang verschlammter Fußwege. Das konnte nicht stimmen. Ich lebte seit zwei Jahren in Bornhagen, kannte jede Straße und fast jedes Haus. Ich musste woanders sein, in einem mittelalterlichen Fantasiedorf, in irgendeiner Touristenattraktion.

    Beros dürre Gestalt huschte etwa zweihundert Meter vor mir den Weg entlang und verschwand gerade um die Ecke.

    »Warte auf mich!«, schrie ich aus vollem Hals und fiel wieder in einen Sprint.

    Endlich kam Bero wieder in Sicht, er hatte tatsächlich angehalten. Seine Säue grunzten laut, wahrscheinlich wollten sie in ihren Stall.

    »Mann, danke«, keuchte ich, als ich näher kam.

    »Was willst du?« Bero runzelte die Stirn. »Ist spät, Säue brauchen Wasser.«

    Ich schluckte die Trockenheit in meinem Mund herunter, ein sicheres Zeichen meiner zunehmenden Nervosität. Ich überlegte, was ich sagen sollte, vielleicht irgendeine Bockmistgeschichte über einen Überfall oder dass ich meine Eltern in einem blutigen Autounfall verloren hatte, aber es erschien mir unwahrscheinlich, dass Bero mir glauben würde. Ich entschied mich für die Wahrheit.

    »Hör mal, ich brauche ein Bett, nur für heute Nacht. Ich habe mich verlaufen. Ich bin nicht von hier, nicht wirklich. Ich werde versuchen, es dir zu erklären, aber ich weiß, du bist spät dran. Ich bin kein Spion, selbst wenn ich komisch klinge. Ehrlich gesagt, bist du meine einzige Hoffnung. Sonst ... Ich weiß nicht, wo ich hin soll.« Ich öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Mehr gab es nicht zu sagen.

    Beros Blick hing an meinen Schuhen. Eine Minute verging. Keine Ahnung, ob es an meiner Erklärung lag oder an der offenkundigen Angst, die meine Stimme zittern ließ, jedenfalls nickte Bero endlich.

    »Du kannst kommen. Musst mit den Sauen helfen. Und halte das Maul bei Mutter.« Er knuffte mich in die Schulter, aber das störte mich nicht. Ich war sonderbar erleichtert.

    »Mensch, danke.«

    Am Rande des Dorfes hockte eine von Zäunen umgebene Hütte. Schwarzgefärbte Balken kreuzten die ehemals weißen und jetzt gräulichen Wände, die mich an ein Schachbrett erinnerten. Auf dem Sims hockte ein etwa zwölfjähriges Mädchen und enthülste Erbsen bei einer schwelenden Flamme. Es sah nicht auf, bis Bero das Gatter öffnete und seine Säue in das Gehege mit einem niedrigen Schuppen scheuchte. Ich schlich hinterher.

    »Mutter ist missgelaunt ... wegen dir«, rief das Mädchen in Beros Richtung. Als ihr Blick auf mich fiel, wurden ihre Augen groß und ihr

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