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Zwischen Himmel und Hades: Ein Hadessphere-Roman
Zwischen Himmel und Hades: Ein Hadessphere-Roman
Zwischen Himmel und Hades: Ein Hadessphere-Roman
eBook543 Seiten7 Stunden

Zwischen Himmel und Hades: Ein Hadessphere-Roman

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Über dieses E-Book

Vom Straßenkind zum Star – für Rafael „Viper“ Estes ist dieser Traum wahr geworden. Doch der Erfolg fordert seinen Tribut. Am Ende einer Tournee, erschöpft, übersättigt und gereizt, beschließt er, sich eine Auszeit auf Hawaii zu gönnen.

Die Malerin Lani arbeitet auf Hawaii an den Werken für ihre erste Ausstellung. Sie trifft Rafael bei einem Ausflug, bei dem sie neue Motive sucht. Er fasziniert sie und sie bietet ihm spontan an, für sie als Modell zu arbeiten.

Sie verliebt sich in ihn und lässt sich auf eine leidenschaftliche Affäre ein, ohne mehr von Rafael zu erfahren, als seinen Vornamen.

Rafael nimmt alles, was Lani gibt und verlässt sie schließlich, um sich zu beweisen, dass er nicht abhängig von ihr ist.

Rafael ist frei, doch er kann Lani nicht vergessen. Er kehrt zurück, um sich dafür an ihr zu rächen.

 

Erster Roman der Hadessphere-Reihe.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum9. Mai 2019
ISBN9783955001254
Zwischen Himmel und Hades: Ein Hadessphere-Roman

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    Buchvorschau

    Zwischen Himmel und Hades - Charlott E. Martin

    Prolog

    Die Luft flirrte über dem sonnenglühenden Asphalt. Dicht an dicht schoben sich glitzernde Karossen durch die wabernde Hitze, ein träger, lärmender Strom, der am Horizont in heißem Dunst und Bedeutungslosigkeit versickerte.

    Zwei Motorräder lösten sich aus einem der sonnenglitzernden Stränge, bogen auf einen Parkplatz ab und steuerten auf den schmalen Streifen Schatten zu, den eine Reklamewand warf. Das überlaute Poltern der Motoren verstummte abrupt. Die Fahrer, einer auffallend hellblond, der andere dunkelhaarig, musterten schweigend die kupferfarben verglaste Front eines mehrstöckigen Firmengebäudes.

    „Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?"

    Rafael „Viper" Estes lehnte sich auf seiner schwarzen Harley-Davidson zurück und streckte seine, in ausgebleichten, vor langer Zeit einmal schwarzen, Jeans steckenden, Beine aus. Seine Augen hinter den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille waren nicht zu erkennen, aber in seiner Stimme lag genügend Distanz, um deutlich zu machen, dass nicht er hatte herkommen wollen. Jemand hatte ihnen einen Job angeboten – herzlichen Dank. Das wäre das erste Mal in seinem Leben, dass er Zeuge eines Wunders wäre. Niemand, der seine Sinne beisammenhatte, verschenkte etwas, ohne eine Gegenleistung zu fordern oder stillschweigend zu erwarten. Es war Ewigkeiten her, dass er sich Illusionen hingegeben hatte, er war nur hier, weil Steel so gedrängt hatte.

    Mit einer ungeduldigen Kopfbewegung warf er sein Haar, das der Wind ihm ins Gesicht geweht hatte, über die Schultern zurück und sah auffordernd zu seinem Freund, der seinerseits das Gebäude musterte. Immerhin würde er jetzt erfahren, was sie hatten, dass man nicht nur Außenseitern wie ihnen einen Job angeboten hatte, sondern sich auch die Mühe gemacht hatte, sie überhaupt ausfindig zu machen. Und wenn schon. Ohne großes Interesse sah er an sich herab und klopfte achtlos den Staub aus seiner Kleidung. Wie sein Freund trug er Jeans, schwere Motorradstiefel, ein T-Shirt, das vor langer Zeit einmal schwarz gewesen war und eine abgetragene Jeansweste, auf deren Rücken zwei gekreuzte Streitäxte und der Schriftzug „Warlord MC" prangten, das Emblem ihres Motorrad-Clubs. Sobald die Leute sie auf ihren Motorrädern sahen, dachten sie an Mord und Totschlag und die vielen Jungfrauen, die gleich geschändet würden. Biker kamen gleich nach dem Teufel. Er machte sich nichts daraus, empfand sogar ein fast perverses Vergnügen daran und nahm jedes Zurückweichen als Tribut. Sollten sie sich doch in ihrer Furcht suhlen. Es interessierte niemanden, dass die Warlords ein paar Freunde waren, die Spaß an Motoren und Geschwindigkeit hatten und in ihrer Freizeit einfach nur ein wenig Spaß mit ihren heißgeliebten Motorrädern haben wollten. Und dann sollte es gerade in dieser Firma keine Vorurteile geben? Warum hatte man sich wegen der Jobs dann nicht an einen der örtlichen Clubs gewandt?

    Das Gebäude der Firma Triple M, das sie sich gerade ansahen, lag im Gebiet der Dragons, eines mit den Warlords seit Ewigkeiten verfeindeten Clubs. Obwohl sie nicht darüber gesprochen hatten, war der schwelende Konflikt der Grund, warum sie überhaupt hergekommen waren. Die Aussicht auf eine Konfrontation und das Wissen, zu zweit gegen eine Übermacht bestehen zu müssen, hatte sie gereizt. Leider schienen die Dragons noch in ihren Betten zu liegen, bis jetzt hatten sie nicht einen von ihnen zu Gesicht bekommen.

    Außerdem hatte sie der Anruf doch neugierig gemacht. Schließlich drängte man Leuten wie ihnen Jobs nicht gerade auf. Es waren nicht nur die Clubwesten und die Motorräder, auch ihre Tätowierungen hielten ihre bürgerlichen Mitmenschen auf Abstand. Rafaels Blick glitt über seinen linken Arm und die schwarze Viper, die sich vom Handrücken bis zur Mitte seines Oberarms ringelte. Ihre Kiefer waren weit aufgerissen, die Giftzähne bereit, sich in zuckendes, heißes Fleisch zu bohren, schnell, präzise, tödlich - wie er. Er kam ohne Reißzähne aus, seine Waffen waren subtiler, aber deswegen nicht weniger gefährlich. Das hatte sich herumgesprochen und deswegen ließ man ihn in Ruhe – mehr sogar, als ihm lieb war.

    „Gehen wir rein, knurrte er. „Ich habe keine Lust, hier draußen gegrillt zu werden.

    Chris „Steel Delaire, wandte den Kopf und lächelte. „Hören wir uns an, was dieser, er fingerte in den Taschen seiner Weste und zog schließlich mit einem befriedigten Brummen eine Visitenkarte hervor. „Richard Morrison von uns will."

    Rafael erwiderte das Lächeln mit einem kaum sichtbaren Verziehen eines Mundwinkels. Er war nur aus Neugier und ohne Hoffnung auf einen Job hergekommen, aber Chris schien die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben, dass die Fahrt doch noch etwas an Aufregung bot. Zwar war die Hinfahrt ereignislos, sprich, langweilig gewesen, doch das hieß nicht, dass er nicht darauf brannte, den Rückweg interessanter zu gestalten. Es war ihm durchaus zuzutrauen, die Dragons anzurufen, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Chris lebte für die in seinen Augen viel zu seltenen Gelegenheiten, seine silbernen Dolche aus seinen Stiefeln ziehen konnte. Einer dieser Dolche zierte als Tattoo - Schmuck und Warnung zugleich - seinen linken Unterarm. Ob die Dolche, seine stahlblauen Augen oder sein Interesse an Motoren ihm zu seinem Rufnamen verholfen hatten, war vergessen worden. Irgendwann hatte es sich so ergeben und es war dabei geblieben.

    Als sie die Lobby betraten, wurden sie zu ihrer Überraschung mit dem Hinweis, sie würden bereits erwartet, in den zweiten Stock gebeten.

    „Was kann ich für Sie tun?", fragte eine attraktive Brünette in einem marineblauen Kostüm, als sie den angegebenen Raum betraten. Ihr kühler Blick registrierte ihre verstaubte, abgetragene Kleidung und die Tatsache, dass sie sich nicht der Mühe unterzogen hatten, sich zu rasieren oder sonst präsentabel zu machen.

    „Mr. Morrison erwartet uns."

    Chris nahm seine Sonnenbrille ab und ließ seinen anerkennenden Blick langsam in ihren Ausschnitt tropfen. Die Schultern der Sekretärin strafften sich und ein Lächeln durchbrach das ewige Eis.

    „Er telefoniert gerade."

    Selbst das Eis in ihrer Stimme war einem samtigen Schnurren gewichen. Sie wies auf eine Sitzgruppe aus maulbeerfarbenem Leder. „Nehmen Sie bitte noch einen Moment Platz. Sobald er fertig ist, sage ich ihm, dass Sie da sind."

    Rafael widmete den galanten Manövern seines Freundes lediglich das beiläufige Interesse, das er auch einem Verkehrsstau oder einem Regenguss entgegengebracht hätte. Chris‘ Reaktion auf attraktive Frauen war so vorhersehbar, wie die Gezeiten und so wenig abzuwenden, wie der Tod. Er nahm seine Sonnenbrille ab, steckte sie in die Brusttasche seiner Weste und sah sich um. Allein das Holz und das Leder im Vorzimmer waren mehr wert, als Chris und er in zehn Jahren verdienen konnten, das Designerkleid, das jemand der Vorzimmerpflanze sprichwörtlich auf den Leib gemalt hatte, noch einmal so viel. Wer auch immer sie herbestellt hatte, musste sich einen Scherz erlaubt haben.

    Sie ließen sich auf das sündhaft teure Ledermöbel fallen. „Es hat zehn Sekunden gedauert, dann hatte sie dich gebadet, rasiert und in parfümierte Laken gesteckt, raunte er Chris zu. „Im Moment überlegt sie, auf wie viele Arten sie dich vernaschen könnte.

    Zwei Minuten später öffnete sich die Tür zum Allerheiligsten und ein junger Mann, mit einem schmalen, intelligenten Gesicht, scharfen braunen Augen, einer Adlernase und einem humorvollen Mund eilte auf sie zu. Dunkle Locken fielen auf den Kragen seines hellgrauen Anzugs, der so dezent, wie teuer war. „Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, sagte er und schüttelte erst Rafael, dann Chris die Hand. „Ich bin Richard Morrison. Eigentlich wollte ich Sie in meinem Büro stilvoll empfangen, aber leider ist mir etwas dazwischengekommen.

    Rafael warf Chris einen gereizten Blick zu.

    Richard Morrison fing den Blick auf: „Um Himmels Willen, laufen Sie nicht gleich davon. Ich will Sie nicht versetzen. Schließlich hat es uns einige Mühe gekostet, Sie zu finden. Wir werden nur einen kleinen Ortswechsel vornehmen. Kommen Sie. Ich denke, es wird Sie interessieren."

    Er öffnete die Tür und ließ Rafael und Chris den Vortritt. „Joanna, sagte er über die Schulter zurück, „ich bin im großen Studio. Keine Anrufe. Ich möchte nicht gestört werden.

    Richard Morrison führte seine Gäste angeregt plaudernd durch ein unüberschaubares Gewirr heller Gänge in einen kleinen Raum, dessen Längswand verglast war und freien Blick auf ein aufwändig eingerichtetes Tonstudio gab. Der Besucherraum war schlicht, aber elegant in verschiedenen Naturtönen gehalten, schokoladenbrauner Teppichboden, cremefarbene Wände, Couch und Sessel mit tabakbraunen Lederbezügen. Geschickt angebrachtes, indirektes Licht lenkte den Blick auf Porträts bekannter Künstler.

    „Meine Herren, nehmen Sie doch Platz. Ich denke, es wird Sie interessieren. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?"

    Die Herren waren höchst interessiert und baten um ein Bier. Durch die Glaswand beobachteten sie Elli Marshall, die gerade ihren Musikern das Zeichen zum Einsatz gab. Elli Marshall galt als eine der größten Jazzsängerinnen aller Zeiten und sie war nach einhelliger Meinung besser denn je.

    Offensichtlich war der als äußerst schwierig bekannte Star mit der Gesamtsituation unzufrieden, denn sie unterbrach mit einer unwirschen Handbewegung das Spiel des Pianisten.

    „Hör auf, so geht das nicht! Wo ist Morry?"

    Ein Studiomusiker wies auf Richard Morrison, der zwischen Rafael und Chris auf der Couch des Besucherraumes Platz genommen hatte.

    „Da sind Sie ja endlich! Morry, ohne John kann ich nicht arbeiten. Sie wollten sich um Ersatz kümmern." Mit kriegerisch in die Hüften gestützten Armen musterte Elli die drei Männer im Besucherraum.

    „Dachte ich es mir doch! Natürlich kümmern Sie sich lieber um zwei junge hübsche Männer, als einer alten, schwarzen Frau zur Seite zu stehen."

    Richard Morrison erhob sich und drückte einen Knopf auf dem Tisch vor sich. „Elli, Sie wissen ganz genau, dass Sie keine alte Frau sind und dass ich Sie über alles liebe, sagte er. „Aber ich dachte, Sie wollten heute gar nicht arbeiten. Ich weiß, ich weiß, lachte er, als Elli Marschall ihm einen sprechenden Blick zuwarf, „dass ich Sie nicht so lieben würde, wenn Sie nicht so arbeitswütig wären. Was halten Sie davon, eine kleine Pause zu machen? Ich kümmere mich um alles, aber zuerst muss ich die beiden so neugierig machen, dass sie mir nicht davonlaufen." Er zwinkerte ihr zu, erntete jedoch nur ein weiteres Schnauben.

    Rafael und Chris wechselten einen erstaunten Blick.

    „Im Übrigen, Elli, finden Sie wirklich, dass die beiden gut aussehen?, fragte Richard Morrison. „Ich weiß, dass die Geschmäcker verschieden sind, aber gestern noch haben Sie mir versichert, dass …,

    „Was? Dass Sie ein großes Mundwerk haben?, fauchte sie zurück. „Versuchen Sie nicht, mich einzuwickeln. Ich gebe Ihnen zehn Minuten.

    Morrison sah der Diva nach, die mit raschen, entschlossenen Schritten auf ihren nadelscharfen Stilettos das Studio verließ, dann wandte sich wieder seinen Gästen zu: „Zehn Minuten müssten ausreichen. Erinnern Sie sich an das letzte Biker-Treffen in Sturgis, South Dakota?"

    Ein erfreutes Lächeln erhellte Chris’ Gesicht. Rafael schmunzelte. Jeder, der dort gewesen war, erinnerte sich daran. Sturgis war der Höhepunkt ihres Jahres gewesen. Jedes Jahres. Von überall kamen die Motorrad-Verrückten zu diesem grandiosen Fest. Auch sie waren auf ihren Maschinen von der Westküste bis in die Kleinstadt am Rande der Black Hills gefahren um eine Woche mit Gleichgesinnten zu feiern. Schon der prachtvolle Anblick der auf der Hauptstraße in endlosen Reihen aufgestellten Harleys war die lange Anfahrt wert. Chrom und Stahl, soweit das Auge blickte, eine Maschine prächtiger und auffallender als die andere. Nach Sturgis fuhr man, um mit einer riesigen Familie ein gewaltiges Fest zu feiern. Eine Woche lang brodelte auf der sonst ruhigen Hauptstraße das Leben. Man führte sein Bike und sein Mädchen vor, erging sich je nach Temperament in alten Rivalitäten oder neuen Freundschaften, fiel alten Bekannten in die Arme und tauschte Erinnerungen und Neuigkeiten aus. Es gab Wettbewerbe, Geschicklichkeitsrennen und jede Menge Bier.

    „Aber ja, strahlte Chris, „Woran genau haben Sie gedacht?

    Rafael teilte die Freude seines Freundes nicht. Irgendwas war faul. Morrison sah nicht aus, wie einer, der an Chrom und Bier Interesse hatte. Morrison sah aus, wie einer, der bei Pferderennen ein Vermögen ließ und es genoss, dabei gesehen zu werden, einer, der vor Geld stank.

    „Ich habe Filmmaterial in die Hände bekommen, sagte Morrison, „auf den Sie beide zu sehen sind, eine Aufnahme, bei der an einem Lagerfeuer sitzen und zweideutige Lieder singen.

    Rafael drehte seine Bierflasche in den Händen und sah ins Studio, wo nichts außer den Instrumenten zu sehen war. Morrison hatte sie nicht eingeladen, um über Sturgis zu reden und er war nicht so weit gefahren, um dumme Fragen zu beantworten. Der Kerl spielte auf den letzten Abend vor der Rückfahrt an, an dem sie mit Freunden gegrillt und dabei versucht hatten, herauszufinden, wie viel Alkohol der menschliche Organismus zu vertragen imstande ist. Irgendwann hatte jemand ihm eine Gitarre gereicht und Steel hatte zu seinen Melodien Stegreifverse mit mehr oder weniger handfestem Inhalt gesungen.

    „Ich hoffe, Sie wollen uns nicht damit erpressen", schmunzelte Chris.

    „Sagt Ihnen der Name Charles Hayden etwas?"

    Rafael warf Chris einen gereizten Blick zu, dem Chris mit einem beschwichtigenden Nicken begegnete. Dann nickte er Richard Morrison zu, der fortfuhr: „Charles hat mich beauftragt, Sie ausfindig zu machen. Er sucht Musiker für seine neue Band."

    „Wie viel?", fragte Rafael.

    „Wie bitte? Richard Morrison blinzelte irritiert. „Wir zahlen Ihnen Ihre Auslagen.

    Rafael schoss Chris einen gereizten Blick zu und erhob sich. Richard Morrison erhob sich ebenfalls. „Können Sie sich vorstellen, wie viele junge Leute sich darum reißen, hier Probeaufnahmen ermöglicht zu bekommen?"

    „Reden wir nicht um den heißen Brei herum, sagte Chris Delaire. „Sie haben Interesse daran, dass wir vorspielen, das sollte Ihnen zweihundert wert sein. Wir haben kein Interesse daran, unsere Zeit zu verschwenden.

    Richard Morrison starrte sie an, als seien sie verrückt geworden.

    Rafael stellte seine Bierflasche auf den Tisch. Er warf Chris einen warnenden Blick zu und verließ den Raum. Ein paar Schritte weiter stieß er die Tür zum Aufnahmeraum auf. Einen der Angestellten, der ihn aufhalten wollte, schob er mit einem beiläufigen „Verpiss dich!" zur Seite. Der Flügel zog ihn wie magisch an. Ein Steinway. Es war Ewigkeiten her, seit er auf einem anständigen Klavier gespielt hatte, einen Flügel dieser Qualität hatte er noch nie unter den Fingern gehabt. Er setzte sich auf den Hocker und ließ seine Finger über die Tasten gleiten. Zum Eingewöhnen spielte er Stücke, die er noch aus seiner Kindheit im Kopf hatte, einfache Weisen, um die Finger wieder geschmeidig zu machen, doch schon bald ging er zu komplizierteren Melodien über, wie sie ihm gerade einfielen. Er lächelte, als die Töne wie Silber unter seinen Fingern hervorquollen. Selbst wenn Steel keinen Cent aus Morrison herausholte, hatte sich die Fahrt gelohnt. Rafael reihte Melodie an Melodie, wechselte von Klassik zu Jazz, ließ Notenfolgen einfließen, die ihm gerade in den Sinn kamen. Er bemerkte nicht, wie Richard Morrison seinen Leuten ein Zeichen gab, ihn nicht zu unterbrechen, sah nicht dessen Gesicht einen interessierten Ausdruck annehmen. Steel hatte ihn schon in Bars spielen hören, aber das waren halbherzige Vorstellungen gewesen, die bei weitem nicht das zeigten, was er konnte. Aber wer nur einen billigen Barpianisten suchte, bekam auch nichts Besseres.

    Im Besucherraum sah Chris Richard Morrison von der Seite an. „Nur zum besseren Verständnis: Als ich zweihundert sagte, meinte ich pro Person."

    „Sie sind unverschämt!"

    Chris hob eine Schulter und wartete. Zwanzig Sekunden vergingen in ungemütlichem Schweigen, dann erhob er sich und drückte auf die Sprechtaste zum Aufnahmeraum.

    „Viper?"

    Rafael hob den Kopf, unterbrach sein Spiel jedoch nicht.

    Morrison schnalzte gereizt mit der Zunge und hob beide Hände. „In Ordnung, zweihundert pro Person."

    Rafael nickte. Auf Steel konnte man sich verlassen.

    „Ich denke, Sie machen sich nicht viele Freunde mit ihrer Art", knirschte Morrison.

    Chris grinste. „Ich kann damit leben."

    Morrison schwieg.

    „Wann erwarten Sie Mr. Hayden?", fragte Chris, als Richard Morrison keine Anstalten machte, das Schweigen zu brechen.

    Morrison sah auf seine Armbanduhr, ein exquisites, sehr flaches, goldenes Modell, dessen Wert Rafael und Chris ein Jahr oder länger sorglos leben lassen könnte.

    „Charles wollte um vier Uhr hier sein, antwortete Morrison. „Bis gestern konnte man sich darauf verlassen, dass er pünktlich ist.

    Chris nickte. „Wenn Sie einen Rat von mir annehmen wollen: Lassen Sie Viper bis dahin sein Spielzeug. Er wird schwierig, wenn er sich gereizt fühlt."

    Morrisons fuhr mit beiden Händen durch sein makelloses Haar. Er atmete tief ein und stieß dann die Luft langsam durch die Nase wieder aus. „Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss das mit Elli abklären. Sie verstehen: Dies hier ist ein kommerzielles Unternehmen, kein … Spielplatz."

    Obwohl er sich um einen neutralen Tonfall bemühte, war eine gereizte Note in seine Stimme unverkennbar. Elli Marshall hatte unterdessen begonnen, das Problem auf ihre Art zu lösen. Schon kurz, nachdem sie das Klavierspiel wahrgenommen hatte, war ihr Kopf im Fenster des Regieraumes erschienen. Mit konzentriert zugekniffenen Augen nippte sie an ihrem Kaffee und ließ den Mann am Flügel nicht aus den Augen. „Wer immer du bist, geh nicht weg!", sagte sie über das Mikrophon zum Studio.

    Rafael hob den Kopf und lächelte. „Ich hoffe, das ist nicht alles, was ich für Sie tun kann."

    Elli kicherte. Kurze Zeit später steuerte sie entschlossen auf den Flügel zu. Rafael erhob sich, als sie ihn erreicht hatte.

    „Um Himmels Willen, setz dich", stöhnte sie und sah an der sie turmhoch überragenden Gestalt empor.

    Rafael setzte sich. Die Fotos, die er von Elli kannte, wurden ihr nicht gerecht. Sie zeigten nur das Abbild einer überschlanken Frau mit scharfen, lebhaften Zügen. Ihre Lebendigkeit, die Aura von Explosivität, die sie umgab, konnte von Fotos nicht eingefangen werden. Es zeigte sich in ihren schnellen, bestimmten Bewegungen, aber bewusst wurde es einem so richtig, dachte er, wenn man in ihre Augen sah, die in einem Moment amüsiert funkeln und sich im nächsten wie Laser fest brennen konnten.

    Elli lehnte sich an den Flügel, ihr Blick glitt aufmerksam an ihm herab und sie fragte: „Wie heißt du?"

    „Viper."

    Elli wedelte gereizt mit der Hand. „Lass den Unsinn", raunzte sie.

    Rafael begann, sich für diese energische kleine Person zu erwärmen. „Rafael."

    „Sehr gut. Also, Rafael: Ich gebe heute Abend eine kleine Party. Nichts offizielles, nur ein Treffen mit ein paar Freunden. Ich würde mich freuen, wenn du und dein Freund uns Gesellschaft leisten würdet."

    Rafael hob eine Braue. „Zu schade, dass unser Butler die Smokings gerade in die Reinigung gebracht hat."

    Elli warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Wie viel zahlt dir der alte Geizkragen?"

    Hinter der Trennscheibe schnappte Richard Morrison nach Luft.

    „Zweihundert", antwortete Rafael.

    Elli legte den Kopf zur Seite und schob die Unterlippe etwas vor. „Was hältst du davon, wenn ich zweihundert drauflege? Dafür spielst du den Song mit uns ein. Dann habt ihr genug, um euch ein Hotelzimmer zu nehmen und für eine Zahnbürste und ein Hemd zum Wechseln. Sie zwinkerte und fragte über die Schulter: „Geht das in Ordnung?

    Morrison hob die Hände. „Natürlich geht das in Ordnung. Machen Sie nur alles so, wie Sie wollen. Wozu bin ich eigentlich noch hier? Wenn Sie meinen Job auch noch machen, kann ich ja heimgehen."

    „Seien Sie nicht albern, Morry. Elli verwarf seinen Einwand mit einer Handbewegung. „Ich muss weg und Sie wissen das. Lassen Sie diesen süßen Jungen zeigen, was er kann. Wenn ich nicht John haben kann, will ich Rafael. Es ist sowieso eine Frechheit von John, sich ausgerechnet jetzt ein Bein zu brechen.

    Sie wandte sich wieder Rafael zu und wies auf die Noten. „Kannst du das spielen?"

    Rafael schnaubte.

    „Großartig!, gluckste Elli und winkte ihre Musiker herein. „Jungs, das ist Rafael. Rafael, das sind Nick, Dave, Tom und Juan.

    Sie schwebte zu ihrem Mikrophon und lächelte zufrieden in die Runde. „Also dann, Jungs, zeigt, was ihr könnt."

    Im Zuschauerraum räkelte sich Chris auf der Couch. „Genießen Sie es. Für schlappe zweihundert plus Spesen bekommen Sie eine erstklassige Aufnahme."

    Morrison fuhr auf. „Jetzt ist es genug, Steel, oder wie auch immer Sie heißen. Überspannen Sie den Bogen nicht."

    Chris seufzte und erhob sich umständlich. „Beruhigen Sie sich, ich gehe ja schon. Zu schade, dass wir Ihr Flaggschiff jetzt verärgern."

    „Setzen Sie sich, verdammt noch mal!", knirschte Morrison. Seine Nasenflügel zucken und er schien sich nur mit Mühe zu beherrschen.

    Chris lehnte sich lächelnd zurück. Morrison tat es Chris nach und lehnte sich in eine Couchecke zurück, um der Aufnahme seine gesamte Aufmerksamkeit zu widmen.

    Das Öffnen der Tür zum Besucherraum ließ Chris und Richard Morrison die Köpfe wenden. Drei Männer betraten den Raum. Charles Hayden, der bekannte Pianist und Sänger, wirkte fast schmächtig vor dem hochgewachsenen, schwarzhaarigen Mann, der hinter ihm den Raum betrat. Er hatte lichtbraunes, gelocktes Haar, das gerade den Kragen seines auffällig schwarz und blau gemusterten Seidenhemdes erreichte. Kluge braune Augen und ein humorvoller Zug um den Mund machten ihn Chris sofort sympathisch. Chris lächelte und schüttelte die dargebotene Hand.

    Der zweite Mann blickte sich suchend um. Er nickte Chris kurz zu und reichte ihm die Hand.

    „Hi, ich bin Hawk."

    Schwarze, leicht mandelförmige Augen taxierten Chris rasch und gründlich. Chris erwiderte den Händedruck und maß seinerseits den Neuankömmling. Als das Klavierspiel einsetzte, sahen beide ins Studio. Der dritte der Männer nahm neben Chris auf der Couch Platz und reichte ihm stumm die Hand. Chris ergriff sie und nickte grüßend. Pat Connors war ihm ebenfalls ein Begriff. Der Bassist sorgte nicht nur mit seinem ausdrucksstarken Spiel für Aufsehen, sondern auch durch seine Hochzeit mit dem Top-Model Darlene Reed. Einer seiner Schneidezähne war abgebrochen und wenn er lächelte, wie jetzt, unterstrich diese kleine Unvollkommenheit das Ebenmaß seiner als klassisch geltenden Züge, statt es zu stören. Wie der dunkelhaarige Mann, der an die Wand gelehnt, keinen Blick vom Aufnahmeraum ließ, trug er Jeans und ein weißes T-Shirt.

    Obwohl im Aufnahmeraum nichts von einem Gespräch zu hören gewesen wäre, sprach niemand; jeder schenkte der Aufnahme seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

    Charles Hayden hatte sich so an die Wand gelehnt, dass er sowohl die Vorgänge im Studio, als auch die im Besucherraum verfolgen konnte.

    Elli endete mit einer spektakulären Tonfolge, die selbst ihre Kapazitäten bis zum Äußersten forderte. Zufrieden verließ sie ihren Platz.

    „Danke, Jungs, das war’s für heute."

    Sie schoss einen auffordernden Blick zur Trennscheibe. „Zufrieden?"

    Sie ging zu Rafael und tätschelte seine Wange. „Es bleibt bei heute Abend, ich bestehe darauf. Morry kann euch mitnehmen. Ihr könnt wichtige Leute kennenlernen."

    „Wer könnte einer solchen Einladung widerstehen?"

    „Es wäre dumm von dir, zu widerstehen. Verbindungen sind in unserem Geschäft das Allerwichtigste. Du hast meinen Tag gerettet, Rafael, und du hast keine Ahnung, wie sehr ich es genießen werde, mich zu revanchieren."

    Gemeinsam schlenderten sie zur Tür. Rafael öffnete die Tür, beugte sich zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Elli warf den Kopf in den Nacken und lachte trillernd. Sie lächelte noch, als sie bereits in ihrer Limousine saß.

    Gelassen, als sei es sein Recht, über die Einrichtungen des Studios nach Gutdünken zu verfügen, betrat Rafael wieder den Besucherraum und nickte grüßend in die Runde. Sein Blick blieb an Colin Arden hängen.

    „Hawk!", sagte er kalt.

    „Viper!"

    Auch Hawks Gruß lag nur geringfügig über der Grenze zur Beleidigung. Er hatte sich von der Wand abgestoßen und erwartete ihn mit verschränkten Armen. Doch Rafael ignorierte ihn, er sah Charles Hayden entgegen, der ihm mit einem charmanten Lächeln die Hand entgegenstreckte.

    „Hallo, ich bin Charles Hayden, es freut mich, Sie kennenzulernen."

    „Ich weiß, wer Sie sind, nickte Rafael. „Ich mag ihre Musik.

    Charles nahm das Kompliment mit einem höflichen Nicken und einem halben Lächeln zur Kenntnis. Doch Rafael war noch nicht fertig: „Im Gegensatz zu ihren Texten, die sind absoluter Schwachsinn."

    Richard Morrison schnappte nach Luft.

    Chris schmunzelte, er erhob sich und lehnte sich neben Hawk an die Wand. „Kein Grund, liebenswürdig zu sein, wenn es sich vermeiden lässt."

    „Viper, wie wir ihn kennen und lieben, entgegnete Hawk mit einer Grimasse. „Keine fünf Sekunden bis zum ersten Einschlag.

    Chris grinste. „Du kennst ihn. Schon länger?"

    „Ungefähr zehn Jahre, nickte Hawk. „Lange genug, um zu wissen, dass er an Charles nur seine Artillerie einstellt.

    Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören können, als Rafael sein Opfer daraufhin musterte, ob noch ein Anzeichen von Leben zu sehen war.

    Charles Hayden war jedoch hart im Nehmen. „Was gefällt Ihnen nicht daran?, fragte er freundlich. „An konstruktiver Kritik bin ich immer interessiert.

    Er zauberte ein elegantes, goldenes Zigarettenetui aus seiner Brusttasche und bot Rafael eine schwarze Zigarillo an. Rafael bediente sich und hob eine Augenbraue. „Haben wir so viel Zeit?"

    Charles gab ihm Feuer und lachte. „Wenn Sie sich dazu entschließen können, mit einem Dilettanten, wie mir zusammenzuarbeiten, haben wir alle Zeit der Welt."

    „Wenn Sie mit zweihundert pro Person einverstanden sind, okay. Pro Stunde!"

    „Plus Spesen", warf Chris ein.

    Charles Haydens Lächeln wich einer geschäftsmäßig nüchternen Miene. „Einverstanden. Wir haben das Studio für den Rest des Tages. Lassen Sie uns doch einfach ausprobieren, ob es mit uns funktioniert. Aber ich warne Sie: Der Flügel und die Keyboards sind mein Ressort. Richard hat Ihnen sicher schon erzählt, dass mich Ihre Fähigkeiten als Sänger und Gitarristen interessieren. Was sagen Sie? Es findet sich auch sicher Gelegenheit, über meine Texte zu reden. Sie hätten dann die Möglichkeit, mir zu beweisen, dass Sie es besser können."

    „Ich kann es besser!", sagte Rafael kühl.

    Richard Morrison verfolgte den Dialog mit verständnislosem Kopfschütteln. „Dieser Tag ist nicht meiner, murmelte er. „Ich habe noch einige Termine, sagte er laut und erhob sich abrupt. „Wenn die Herren mich bitte entschuldigen wollen. Wir sehen uns heute Abend."

    Charles nickte ihm zu. „Bis dann, also. Vielen Dank, für deine Mühe, Morry."

    „Ich werde dich bei Gelegenheit daran erinnern", brummte Richard Morrison säuerlich. Er schloss die Tür mit Nachdruck hinter sich.

    Rafael grinste Chris quer durch den Raum an und fragte: „Was hast du denn mit dem angestellt?"

    „Die zweihundert pro Person hat er noch geschluckt, aber die zusätzlichen Spesen haben ihm dann die Laune verdorben."

    „Er wird es überleben, stellte Charles Hayden nüchtern fest. „Nun, sind Sie dabei?

    Rafael verständigte sich mit einem kurzen Blick mit Chris, dann nickte er. „In Ordnung, wir müssen sowieso die Zeit bis heute Abend überbrücken."

    Er wandte sich an Pat Connors: „Hallo Pat, nett Sie kennenzulernen."

    „Hi, Viper. Pat Connors lächelte breit. „Nette Vorstellung.

    „Danke."

    Rafael wechselte ein paar belanglose Worte mit ihm, dann legte er das letzte Stück zu Chris und Hawk zurück.

    „Es ist lange her, Viper", sagte Hawk.

    „Nicht lange genug. Ist die Sache auf deinem Mist gewachsen?"

    „Nein, gab Hawk bestimmt zurück. „Ich habe Charles ausdrücklich abgeraten. Aber Charles hat darauf bestanden. Vielleicht hat er einen Hang zum Masochismus.

    Rafael lächelte dünn: „Masochismus kommt hin, denke ich. Warum sollte er sich sonst ausgerechnet dich ausgesucht haben? Was machst du hier, trägst du seine Sachen?"

    Hawk schnaubte müde. „Was soll das, Rafael? Selbst dir müsste inzwischen klar sein, was ich hier mache."

    In der nächsten Sekunde hatte Hawk die unendliche Befriedigung, miterleben zu können, wie in Rafaels Augen Verstehen aufglomm.

    „Was kann man von einem wie dir anderes erwarten? Mehr als auf der Kriegstrommel herumzuschlagen ist nicht drin."

    Charles Hayden ließ seine gerade angerauchte Zigarillo in den Aschenbecher fallen. Colin „Hawk" Arden war eine Seele von Mensch, es sei denn, jemand war so unklug, abfällige Bemerkungen über seine indianische Herkunft zu machen.

    „Etwas Besseres, als für einen Hungerlohn Klavier zu spielen." Hawk hatte sich völlig in der Gewalt; Rafaels höhnisch verzogene Lippen und hochgezogenen Augenbrauen schienen keinen Eindruck auf ihn zu machen.

    „Ich sagte dir schon vor Jahren, dass ich genau das mache, was ich für richtig halte. Und im Gegensatz zu dir habe ich mir nicht die Hände durch Schlägereien verdorben, oder sollte es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein, dass deine Linke etwas steif ist?"

    Rafaels Gerade traf Hawks Kinn ansatzlos und ohne Vorwarnung. Mit einem erstickten Ächzen taumelte Hawk zwei Schritte rückwärts, prallte gegen die Wand und rutschte dann langsam zu Boden.

    „Nicht allzu steif, oder?", schnurrte Rafael.

    Hawk betastete vorsichtig seinen Unterkiefer und verzog das Gesicht, als seine Finger auf eine empfindliche Stelle trafen:

    „Habe ich vergessen zu erzählen, dass er nachtragend ist?", fragte er Charles, der sich erschrocken über ihn gebeugt hatte. Rafael schob Charles beiseite und streckte Hawk die Hand entgegen.

    „Jetzt sind wir quitt, Hawk."

    Hawk ließ sich bereitwillig wieder auf die Beine ziehen. Er betastete vorsichtig seine Unterlippe und warf einen Blick auf seine Finger. Kein Blut - Rafael hatte mit seiner Linken zugeschlagen, der, an der er keine Ringe trug.

    „Du bist eine verdammte Plage, Hawk, knurrte Rafael, doch es klang eher resigniert, als erbittert. „Kaum ist man dich los, tauchst du aus einer anderen Ecke wieder auf.

    „Nimm’s nicht tragisch, Viper. Hawk grinste schief, seine Unterlippe schwoll langsam an. „Es ist ja nur ein Nachmittag. Danach kannst du Charles ja sagen, dass du mit mir nicht mithalten kannst.

    Rafael hob das Kinn eine winzige Spur, gerade so viel, um eine gelinde Warnung auszudrücken. Hawk hob seinerseits das Kinn und starrte zurück.

    „Heilige Scheiße!", entfuhr es Chris.

    „Falscher Ausdruck, Steel, knurrte Rafael, „mit heilig hat das ganz und gar nichts zu tun.

    „Im Gegenteil, perfekt formuliert. Genau das sage ich auch immer, wenn er mir über den Weg läuft, korrigierte Colin energisch. Ein amüsiertes Grinsen huschte über sein Gesicht und er knuffte Rafael freundschaftlich in die Seite: „Man kann es ausgleichende Gerechtigkeit nennen oder das Gleichgewicht des Schreckens, wie immer du willst. Stell dir nur einmal vor: Du und ich, brüderlich vereint durch die Musik - ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Nur gebe dieses Mal ich den Takt an.

    Rafael gab ihm in höchst vulgärer Weise zu verstehen, was die Menschheit zu seiner Erbauung tun könne und dass er nichts dagegen hätte, wenn Hawk die Aufgabe stellvertretend übernehmen wolle.

    Charles sah stirnrunzelnd von einem zum anderen, dann fiel sein Blick auf Chris, der kopfschüttelnd und leise vor sich hinkichernd in einem Sessel lümmelte und dem Austausch von Freundlichkeiten lauschte. „Anscheinend ist mir etwas entgangen. Darf ich mitlachen?"

    „Ich denke, wir sind in ein Familientreffen geraten. Finden Sie nicht, dass diese Innigkeit einem das Herz öffnet?"

    „Sie meinen, dass die beiden verwandt sind? Weshalb sind Sie da so sicher? Man kann auch mit Leuten streiten, mit denen man nicht verwandt ist."

    „Mit Verwandten klappt es aber immer, am besten mit Geschwistern, grinste Colin. „Viper ist mein Bruder.

    „Halbbruder, knurrte Rafael barsch. „Wir wollen nicht übertreiben.

    „Halbbruder", stimme Colin friedfertig zu.

    Eine Familienähnlichkeit war auf den ersten Blick nur schwer festzustellen. Beide waren hochgewachsen, schlank und sonnengebräunt, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten. Rafaels Haar fiel in dichten, schwarzen Locken bis zu seinen Schultern, Hawks flossen glatt und glänzend bis fast zu seiner Taille. Rafaels Züge wirkten beherrscht und auch seine grünen Augen zeigten selten einen anderen Ausdruck als den kühler Berechnung. In Colins dunklen Augen blitzte immer wieder ein Lächeln auf. Seine Züge waren nicht weniger ausgeprägt, als Rafaels, aber lebendiger, heiterer, aber auf den zweiten Blick bemerkte man Gemeinsamkeiten in Gestik und Haltung, die weit über Zufälle hinausgingen.

    „Dann lasst uns anfangen. Colin versetzte Rafael einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Ich bin gespannt, was dabei herauskommt, wenn deine und Charles’ Auffassung von Lyrik aufeinanderprallen. Stell dir vor, welchen Dienst du der Menschheit erweist, wenn du Charles dazu bringst, nicht mehr über romantische Liebe, sondern über Aufruhr, Widerstand und Revolution zu schreiben. Wie werden sie dir dankbar sein, wenn sie die Welt mit deinen Augen sehen dürfen.

    Pat Connors schmunzelte. „War es das, was du im Sinn gehabt hat, als du mir eine Band versprochen hast, die neue Wege geht?, fragte er Charles leise. „Ich hätte wissen müssen, dass du eine Höllenfahrt daraus machst.

    Kapitel 1

    Lani Kahuena liebte die frühen Morgenstunden. Die Luft war frisch und klar, würzig vom Geruch der feuchten Erde und süß vom Duft der weißen und gelben Plumeriablüten vor dem Haus. Jetzt, kurz vor Sonnenaufgang, gehörte die ganze Welt ihr allein.

    Sie lehnte sich über die Verandabrüstung und sah über den noch dunklen Garten zum Meer. Eine leichte Brise spielte mit ihrem Haar, das in dichten dunklen Wellen bis zu ihren Hüften fiel und dem dünnen Stoff ihres gelben Pareos. Diese Seite Kauais lag noch im tiefsten Schatten, doch auf den Wellen lag bereits ein Schimmer von Silber und der Himmel erstrahlte in allen Farben des Regenbogens, von staubigem Blau am Horizont, über zartes Rosa und transparentes Orange bis zu einem feurigen Gelb auf der Kuppe des Hügels hinter ihrem Haus. Gleich würde die Sonne über den Kamm steigen und mit grellen, glühenden Strahlen nach diesem Tal greifen.

    Hinter der scharfen schwarzen Kontur des Hügels erstrahlte der Himmel in gleißendem Licht und dann stach der erste Lichtstrahl des Tages wie ein feuriger Pfeil hinter dem Hügel hervor und tauchte die Welt in glühendes Gold.

    Lani sah zum Horizont, bis das Gold verblasste und dem klaren Indigo des Tages wich, dann seufzte sie zufrieden und richtete sich auf. Bis die Sonne das Haus erreichte und das Licht gut genug war, dass sie an dem Bild weiterarbeiten konnte, das sie vor drei Tagen begonnen hatte, würde noch eine Stunde vergehen. Sie hatte also Zeit genug, schwimmen zu gehen.

    Lani sprang die drei Stufen von der Veranda und rannte den schmalen Pfad entlang, der durch taufeuchtes Gras und glänzend grüne ti-Pflanzen zu einem Felsabbruch und dann über Vorsprünge und Nischen im Fels zum Strand führte. Der Abhang hüllte sich noch nächtliches Schwarz und die Trittsteine waren kaum erkennbar, aber Lani hatte den Abstieg bereits so oft gemacht, dass sie nicht mehr darauf achten musste, wie sie die Füße setzen und wann sie sich mit den Händen abstützen musste. Blätter und Gräser streichelten über ihre nackten Arme und die feuchte Kühle des Morgens legte sich angenehm auf ihre Haut, als sie rasch und sicher den gewohnten Weg nach unten nahm. Über dem schweren, scharf-würzigen Duft von Gras und Blättern und der atemberaubenden Süße von Blüten schwebte ein Hauch von Salz. Lani hielt inne und sah aufs Meer hinaus. Die Brandung war stark an diesem Morgen, die Wellen schäumten wie kochende Milch und warfen sich so ungestüm gegen das Land, als ob sie es verschlingen wollten. Das Wasser würde herrlich sein.

    Sie ließ die letzten Tritte aus und sprang in den Sand. Mit einer Hand löste sie den Knoten ihres Pareos und band ihn locker um einen der Äste, die sich aus den Büschen am Fuß der des Abhangs reckten, dann rannte sie der Brandung entgegen, voller Vorfreude auf den ersten Ansturm der Wellen. Das Leben war schön, der Morgen war herrlich und gleich würde die Gischt sie einhüllen, wie eine wütende, sprudelnde Wolke.

    Ein Schatten hinter einer Gruppe von Palmen fing ihren Blick. Irgendetwas war hinter dem Hügel aus Sand, den der Wind um die Stämme herum aufgetrieben hatte. Eigentlich war es kein Hügel, sondern eher eine sanfte Welle im Sand, aber sie war hoch genug, dass sich etwas dahinter verbergen konnte.

    Lani zögerte nur kurz, dann ging sie in einem weiten Bogen darauf zu. Vielleicht war es ein Tier. Treibholz wurde nur bei Sturm soweit ans Ufer geschwemmt und ein Felsbrocken, der sich aus dem Abhang gelöst hatte, wäre im lockeren Sand nicht so weit gerollt. Sie saß oft unter den Palmen und malte, Sonnenuntergänge, Wolken und Meer, Vögel oder Träume, oder sie verlor sich einfach im Bernsteinlicht des abendlichen Himmels. Hätte sie hier nicht sprichwörtlich jedes Sandkorn gekannt, wäre sie vorbeigelaufen, ohne etwas zu bemerken.

    Sie atmete vorsichtig, bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden, um das Tier, sollte es eines sein, nicht zu erschrecken.

    Es war kein Tier. Lani atmete scharf ein, das Geräusch gellte in ihren Ohren und sie presste beide Hände vor den Mund, um es zu ersticken. Vor ihr lag im Sand lag ein Mann. Er lag auf dem Bauch, den Kopf auf die verschränkten Unterarme gebettet. Ein Mann. Bei Tageslicht hätte sie ihn bereits vom oberen Rand des Abhangs sehen können, im Zwielicht es frühen Morgens war er bereits aus wenigen Schritten Entfernung kaum auszumachen. Neben seinem Kopf stand eine Sporttasche mit geöffnetem Reißverschluss. Vorsichtig tastete sie sich näher heran, sorgsam darauf achtend, außerhalb seiner Reichweite zu bleiben, für den Fall, dass er erwachte und nach ihren Knöcheln griff. Endlose gepresste Atemzüge später hatte er sich noch immer nicht bewegt und Lanis Herzschlag, gerade noch ein dröhnender Trommelwirbel in ihren Ohren, ließ nach und die Starre in ihren Gliedern löste sich. Sein Gesicht war ihr zugewandt, aber es war von langen, tiefschwarzen Locken verdeckt, die sich auch über beide Arme und bis in den Sand ergossen. Er trug lediglich eine Jeans, die wenig kunstvoll an den Oberschenkeln eher abgehackt, als abgeschnitten worden war, und lange, schlanke Beine sehen ließ, sein Oberkörper war nackt. Gebräunte Haut spannte sich über breite Schultern und einen durchtrainierten Rücken, seine Oberarme, soweit Lani sie unter der Flut von Locken sehen konnte, waren muskulös. Er war ein gut gebauter Mann und unter künstlerischen Aspekten hatte sie einen interessanten Fund gemacht. Wäre das Licht besser gewesen und hätte sie daran gedacht, ihren Skizzenblock mitzunehmen, hätte sie die Gelegenheit für ein paar wirklich gute Skizzen nutzen können. Aber wer hätte damit rechnen können? Seit sie auf Kauai arbeitete, war sie jeden Tag an diesem Strand gewesen, aber nie hatte sie auch nur eine Menschenseele getroffen. Fast schien die kleine Bucht von den Menschen vergessen worden zu sein. Für haoles, Touristen, war sie zu weit abseits der Hotels und die Einheimischen bevorzugten andere, leichter zugängliche Strandabschnitte. Deshalb hatte sie begonnen, diesen Strand als den ihren anzusehen.

    Tatsächlich jedoch war dies ein öffentlicher Strand, er hatte das gleiche Recht, hier zu sein, wie sie. Wahrscheinlich war er einer dieser Träumer, die durch die Welt zogen, immer auf der Suche nach dem Schatz am Ende des Regenbogens, einer, der nur arbeitete, um die nächste Mahlzeit und ein Bett in einer billigen Absteige bezahlen zu können. Seine gesamte Habe schien aus seiner Sporttasche und seinen Leinenschuhen zu bestehen.

    Es wäre unrecht, ihm zu unterstellen, ein potentieller Vergewaltiger zu sein, aber sie wollte auch nicht warten, bis er aufwachte, um dann herausfinden zu müssen, dass er die Geschichten über liebeshungrige Hawaiianerinnen für bare Münze nahm. Wenn sie klug war, verzichtete sie auf ihr Bad. Morgen war auch noch ein Tag. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah unschlüssig zum Meer, dann zu ihm und wieder zum Meer. Nein! Wenn er das Recht hatte, hier zu sein, hatte sie es auch. Der Strand war für alle da. Außerdem war es noch früh. Bis er erwachte, war sie bestimmt schon wieder zuhause.

    Lani wandte sich zum Gehen, als sie aus den Augenwinkeln ihren Pareo bemerkte, der wie ein Banner im Wind flatterte. Sobald der Mann die Augen öffnete, würde er ihn sehen und vielleicht als Einladung auffassen. Alles nur das nicht! Lani rannte zurück, pflückte den Stoff und nahm ihn mit zum Wasser. Sie beschwerte ihn mit einem Stück Treibholz, dann rannte sie in die Brandung. Mit kräftigen Zügen schwamm sie durch die schäumende Gischt. Sie genoss das Kräftemessen mit den Wellen, die sie wieder an den Strand werfen wollten, schwamm weit hinaus und ließ sich dann von der Strömung ans Ufer zurücktragen. Erfrischt und zufrieden wrang sie ihr Haar aus und knotete ihr Tuch um die Hüften. Die Sonne stand hoch und würde sie getrocknet haben, noch bevor sie zuhause war. Und der Fremde? Sie sah zu den Palmen, aber er lag noch immer da, wie sie ihn verlassen hatte. Konnte jemand wirklich so tief schlafen? Oder war er tot? Zögernd ging sie zu der stillen Gestalt zurück. Seine Tasche war offen und lag auf der Seite, einer seiner Schuhe lag neben seinem Kopf, der andere etwas entfernt im Sand. Er konnte abgestürzt sein und sich bis zu dieser Stelle geschleppt haben. Im tiefen Schatten konnte sie nicht sehen, ob er noch atmete. Lani ertappte sich dabei, nervös den Pareo in ihren Händen zu kneten und ihre Unterlippe aufzubeißen. Was sollte sie tun? Brauchte er Hilfe? Aber wenn sie versuchte, ihn zu wecken, ging sie ein Risiko ein. Was, wenn er sie dann angriff? Lani entschied sich für Sicherheit und gegen jedes Risiko. Wenn er tot war, war er es später auch noch. Wenn er am Abend immer noch so dalag, würde sie Hilfe holen.

    Sie wandte sich ab, konnte aber nicht umhin, ihm über die Schulter einen letzten bedauernden Blick zuzuwerfen. Es wäre schade um ihn. Jammerschade.

    Auch als sie vor ihrer Staffelei stand, fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Immer wieder schob sich sein Bild vor das, an dem sie arbeitete. Waren seine Augen schwarz oder von einem sanften, dunklen Braun? Und sein Haar? War es dunkelbraun oder tiefschwarz? Die Sonne musste die Stelle, an der er lag, inzwischen erreicht haben und rote Funken in seinen Locken entzünden. Oder würden stahlblaue Lichter darauf schimmern? Hör auf damit, beschwor sie sich. Keine Träumereien, konzentriere dich auf deine Arbeit! Bis zur Ausstellung sind es nur noch sechs Wochen.

    Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, aber letztendlich gelang es ihr doch, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, die sie nur

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