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Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht: (Verflixt und zugebissen 6)
Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht: (Verflixt und zugebissen 6)
Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht: (Verflixt und zugebissen 6)
eBook461 Seiten6 Stunden

Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht: (Verflixt und zugebissen 6)

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Über dieses E-Book

Bei so einer Familie braucht man keine Feinde mehr!

Seinen Klienten Geld abzuluchsen, würde Finanzberater Michael Girard im Traum nicht einfallen. Dumm nur, dass ihm das niemand glaubt, und plötzlich ist die halbe Pariser Unterwelt hinter ihm her. 

Privatinsolvenz ist keine Option, Flucht dafür schon! Leider weiß Michael nicht so recht, wie das überhaupt geht. Und als der berüchtigte Jason Harris seine zwölf Millionen von ihm zurückfordert, glaubt Michael, nicht mal genug Zeit zu haben, um sein Testament zu schreiben. Doch Jason ist nicht nur ein Mafiaboss, sondern auch der überforderte Vater eines drei Monate alten Babys, das ausgerechnet bei Michael ruhig wird. Aus ‚Geld oder Leben‘ wird ‚Babysitten oder Leben‘, und die Wahl fällt Michael nicht schwer. Dabei würde er statt eines Babys lieber die Polizistin Natalia im Arm halten. Aber diese hat noch eine Rechnung mit Jason offen und ist fest entschlossen, sie endlich zu begleichen.

Auch der sechste Band der witzig-skurrilen Erfolgsreihe ›Verflixt und zugebissen‹ ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Teilen gelesen werden.

 

SpracheDeutsch
HerausgeberZeilenfluss
Erscheinungsdatum31. Okt. 2022
ISBN9783967142518
Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht: (Verflixt und zugebissen 6)

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    Buchvorschau

    Wer einmal beißt, dem glaubt man nicht - Allyson Snow

    1

    Horrorfilme mit väterlichen Nöten

    Michael hockte auf der Rückbank einer schwarzen Limousine. So hätte er damals gern seinen Junggesellenabschied verbracht. Allerdings räkelten sich an Michaels Seite statt einer Stripperin zwei Kerle, deren Anzüge so stramm um die bulligen Körper saßen, dass bei jeder Bewegung die Nähte knirschten. Als wäre der Tag nicht bereits beschissen genug, presste einer der Armani-Hulks die Mündung einer Pistole unter Michaels Kiefer und grub die Finger so fest in seinen Arm, dass dieser bereits taub wurde. Aber so tat er wenigstens nicht mehr weh. Im Gegensatz zu Michaels Nase. Wann immer er Luft holte, stach der Schmerz bis in seine hinterletzte Gehirnwindung. Der Schlag in sein Gesicht war, verflucht noch eins, völlig unnötig gewesen. Als hätte er sich gegen diese beiden Rambos zur Wehr setzen können, als die ihn aus dem Büro in die Luxus-Karre gezerrt hatten.

    Noch vor zwei Stunden hätte Michael das alles für eine mäßig interessante Einleitung eines Pen-and-Paper-Rollenspiels gehalten. Was sollte er sagen? Es war ganz offensichtlich kein Spiel. Dann könnte Michael nämlich eine Pause einlegen und sich mit seinen Mitspielern beratschlagen, wie zum Teufel er aus diesem Schlamassel herauskam!

    Eine Flucht war schier aussichtslos. Um etwas Derartiges zustande zu bringen, müsste er erst über den Schoß des Mannes neben ihm klettern, und bei seinem Pech hielt der dabei nicht still. Selbst wenn, müsste Michael unverzüglich den Türöffner finden und beten, dass die Kinder- bzw. Entführtensicherung nicht aktiviert war. Sollte er es wider Erwarten aus dem Wagen schaffen, gab es noch genügend Autos, die ihn im Pariser Berufsverkehr rings um den Arc de Triomphe überfahren würden.

    Es hupte wild durcheinander, Mopeds schlängelten sich inmitten der Autos vorwärts, und Michael zählte mindestens fünf, die sich beim Überholen so nahe an der Limousine entlang schoben, dass ihre Ellenbogen die getönten Scheiben streiften. Wenn das alles ein Traum war, dann ein verdammt mieser. Sie waren mitten im unbesorgten Getümmel der Stadt, in der Öffentlichkeit, trotzdem wusste niemand, dass hier gerade ein Mann von zwei Schwerverbrechern in Designer-Anzügen bedroht wurde.

    Sie bogen in die Les Champs ein, fuhren an vielen kleinen Läden vorbei, in denen sich die Touristen tummelten. Ein paar Meter weiter, vor einem Café, lehnten sogar zwei Polizisten an ihren Motorrädern. Michael müsste nur laut genug schreien, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Ob die Karre schalldicht war?

    »Denk nicht mal dran«, knurrte der Hüne mit der Pistole und presste ihm den Lauf so fest gegen den Hals, dass er nicht einmal mehr schlucken konnte. »Die sind alle von uns geschmiert, bâtard.«

    »Genau«, grunzte es auf Michaels anderer Seite. »Wenn die nicht spuren, bekommen die ihre Gehaltserhöhung als Bleiinjektion verpasst.« Ein hässliches Feixen zuckte über das Gesicht des Mannes und brachte die Linien an seinen Mundwinkeln und um die Augen in Bewegung. »Aber es gibt immer mal wieder Pisser, die denken, sie wären klüger als die Mafia und die Polizei zusammen. Tja, falsch gedacht. Bald wirst du die Rechnung dafür begleichen. Ziemlich dämliche Idee, paar Mille von der Mafia zu verlieren.«

    »Aber ich habe nicht …«

    »Ja, ja, das Lied singen alle.«

    Also bitte, Michael war nicht im Geringsten musikalisch, kein Lügner, und erst recht verlor er keinen Cent von dem Geld, das ihm jemand anderes anvertraute.

    »Ich bin Finanzberater«, presste Michael so würdevoll hervor, wie es ihm mit beinahe eingedrücktem Adamsapfel möglich war. »Keiner meiner Kunden hat je sein Geld verloren. Vielleicht war die Rendite mal kleiner als erwartet, aber es gibt nun mal Jahre mit miesen Zinsen. Es gibt Zeiten, in denen sogar die Börse schlecht läuft. Aber sie erholt sich, wenn man nur genügend Geduld hat, sein Geld vernünftig anlegt und diversifiziert.« Dieser Sermon sprudelte routiniert aus ihm heraus, aber er wusste genau, dass jedes Wort überflüssig war. Die Kerle wollten ihn vermutlich nicht für den letzten Börsencrash verantwortlich machen. »Das einzige Geld, das ich je eingebüßt habe, war das, was mir meine Ex-Frau bei der Scheidung rausgepresst hat!«

    Allein bei dem Gedanken an Chloé fing Michaels Nase wieder an zu bluten. Er schmeckte das Blut, es lief über seine Lippen und tropfte auf seine Hose.

    »Tobie, gib ihm ein Taschentuch«, schnarrte der Mann, der Michael die Pistole gegen den Hals presste. »Jason hat es nicht gern, wenn seine Sitze Blut abbekommen.«

    Michael hätte gern gefragt, wer dieser Jason war. Allerdings drückte ihm Tobie in diesem Augenblick ein Tuch auf die zerschlagene Nase und das darauffolgende Stechen ließ schier sein Hirn explodieren.

    »Lass ihn!«, bellte es an Michaels Seite.

    »Du bist zu weich«, behauptete Tobie, und Michael wusste im ersten Moment nicht, ob er ihn oder seinen Kumpan meinte.

    Michael war zu sehr mit Stöhnen beschäftigt, als dass er eine sinnvolle Erwiderung gefunden hätte, die nicht aus ›aua‹ bestand, dafür antwortete Tobies Komplize.

    »Es wäre unschön, wenn wir an einer Apotheke halten müssen, um ihn mit Riechsalz wieder auf die Beine zu bringen.«

    »Hab dich nicht so, Franck, lediglich ein bisschen Vorfreude schaffen«, brummte Tobie. »Sonst kommt hier noch einer und haut sich die Taschen mit Moneten voll.«

    Der Druck ließ nach, und als das Tuch herunterfiel, hob Michael reflexartig die Hand und fing es auf.

    »Ich weiß nichts von Millionen«, beharrte er und hoffte, dass er nicht völlig hysterisch klang. Panischen Menschen glaubte man nicht. Das hatte er mal irgendwo gelesen.

    Das Feixen wandelte sich in ein kaltes Lachen. »Das Lied kannst du unserem Chef vorsingen. Aber da solltest du die Töne besser treffen.«

    »Ich habe nicht das Geringste damit zu tun!« Michaels Stimme überschlug sich, und in seinem Gehirn ratterten die Rädchen. Die Finanzberatungsagentur bestand lediglich aus vier Leuten. Alexandre, Hank, Michael und ihrem Boss David Gounelle. Welcher davon sollte mit Millionen herumgespielt haben? Das konnte doch nur David gewesen sein. David. Den Mund weit aufgerissen, starre blaue Pupillen, die weichen Wangen bleich, und die Angst hatte sich auf ewig in sein totes Gesicht eingebrannt. Michael hatte seinen Augen nicht trauen wollen, als er David so im Büro gefunden hatte. Er hatte Michael erst eine Viertelstunde vorher erlaubt, Feierabend zu machen, und dieser war schon auf dem Heimweg gewesen. Aber weil er sein Handy vergessen hatte, war er zurückgekommen und hatte die Leiche gefunden. Und bevor Michael auch nur einen klaren Gedanken hatte fassen können, der über ›heilige Scheiße‹ hinausging, waren schon Tobie und Franck in das Büro gestürmt, hatten einen Blick auf den Toten geworfen und ihn angebrüllt, ob er Michael Girard sei. Hätte er nur den Kopf geschüttelt, aber so schlau war er vor Schreck nicht gewesen. Kaum hatte Michael die Frage bejaht, hatten sie ihn schon in die Limousine gezerrt. Statt brauchbarer Hinweise, warum zum Geier jemand David getötet hatte, erzählten die ihm nur was von verlorenen Millionen. David war vermutlich der Hauptverdächtige gewesen, hatte behauptet, nichts zu wissen, und nun war er tot. Michael würde wahrscheinlich bald das gleiche Schicksal ereilen. Weil er keinen Schimmer von irgendwelchen Millionen hatte. Er hatte auch keine Ahnung, was David mit dem Geld angestellt hatte. David musste seine Griffel im Spiel gehabt haben, immerhin war er ein kontrollsüchtiger Tyrann gewesen. Dem wäre niemals entgangen, wenn einer seiner Mitarbeiter zahlungskräftige Kundschaft bediente, ohne ihn darüber zu informieren. Warum schossen die sich also ausgerechnet auf ihn ein? Warum auf keinen der anderen Verbliebenen?

    »David hat die großen Aufträge geregelt«, versuchte Michael es erneut.

    Francks Mundwinkel zuckten zu einem höhnischen Lächeln nach oben. »Ziemlich laue Masche, die Schuld auf ‘nen Toten zu schieben.«

    Michael wünschte wirklich, er wäre die Sorte Mensch, die im Angesicht des drohenden Todes noch einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte. Die Wahrheit war weitaus erbärmlicher. Zwar verlegte er sich noch nicht aufs Winseln und Betteln, aber er wusste nicht, was er erwidern sollte, damit die ihm endlich glaubten. Sie würden ihn nicht laufen lassen. Ob ihm dann wenigstens dieser Jason glaubte? Der war hoffentlich heller als seine Schergen. Zum Teufel, er konnte nur sagen, dass er von nichts wusste. Aber dieses Nichtwissen hatte ihm bereits eine blutige Nase eingebracht. Und wenn Tobie ihm die Pistolenmündung weiter so in den Hals bohrte, musste die am Ende noch chirurgisch entfernt werden.

    Michael versuchte, so gleichmäßig wie möglich zu atmen und das panische Kribbeln hinter seiner Stirn zu ignorieren. Er wünschte wirklich, er könnte sich einreden, es werde alles gut. Die Hoffnung flatterte in ihm, doch die Angst verlor sich damit nicht. Er merkte erst, dass er immer hektischer atmete, als Franck ihm einen harten Stoß gegen die Brust versetzte.

    »Erspar uns die Panikattacke. Wenn du schnell redest, haste es auch schnell hinter dir«, lautete dessen zweifelhafte Aufmunterung. »Ne flotte Kugel aus dem Nichts ist manchmal ein Geschenk.«

    Michael wollte auf der Stelle hier raus! Er warf sich über Francks Knie und Richtung Tür. Das Einzige, was er auf diesem Weg erreichte, war, dass seine Stirn gegen die Scheibe knallte. Er wurde grob zurückgerissen, und würde Michael nicht so zappeln, würde Franck ihm wahrscheinlich die Pistole noch mit dem Lauf voran in den Mund stopfen. Er lehnte sich mit seinem vollen Gewicht auf Michael, bis dieser keinen Muskel mehr rühren konnte.

    Michaels Gedanken drehten sich im Kreis, rissen die Hände hoch und kreischten panisch durcheinander. Er musste sich eine hervorragende Story ausdenken. Herrgott noch eins, warum hatte er Chloé nicht öfter zu den Pen-and-Paper-Abenden begleitet? Solche Spiele schulten die Kreativität, aber er war nun mal ein Zahlenmensch. Er konnte Geld so verwalten, dass eine vernünftige Rendite dabei heraussprang, nur eine Geschichte, die ihm jetzt den Arsch rettete, das bekam er nicht hin. Michael fiel eine Alternative ein: Jason mit einem monotonen Fachvortrag über Finanzierungsmöglichkeiten in die Lethargie versetzen und dann rennen, als wäre der Teufel hinter ihm her. Das war zwar die mieseste Exit-Strategie aller Zeiten, aber was Besseres hatte er nicht.

    Endlich schob sich Franck von ihm herunter, sein Blick ruhte warnend auf Michael. Sobald er falsch zuckte, würde sich der Hüne wieder auf ihn werfen. Die Flucht konnte er also vorerst von seiner To-do-Liste streichen.

    Michael sah durch die Fenster die Straßen von Paris vorüberziehen. Einerseits wünschte er sich, diese Höllenfahrt würde endlich ein Ende nehmen. Andererseits fürchtete er sich vor dem, was ihm bevorstand, wenn die Limousine endgültig hielt.

    Eigentlich erwartete er, dass sie ihn in die Vororte von Paris karrten. Zu einem verlassenen Lagerhaus oder in ein Gewerbegebiet, seinetwegen auch auf ein verwildertes Grundstück. Irgendwohin, wo ihn niemand schreien hörte. Aber er täuschte sich gewaltig. Sie kurvten durch die wuselige Innenstadt und bogen neben einem Hotel in die Einfahrt zum Hinterhof ein. Nur Mülltonnen, ein fünftüriger Smart und Fahrräder standen hier.

    Franck stieß die Tür auf und packte noch während des Aussteigens Michael am Kragen. Mit einem Griff, als würde er hauptberuflich Leute zum Schafott begleiten, zerrte er ihn aus dem Wagen und bugsierte ihn zum Hintereingang. Er öffnete die Tür, und gefolgt von Tobie marschierten sie durch die Hotelküche. Michael starrte den Koch und seine Helfer sicher nicht minder verblüfft an wie diese ihn. Er war viel zu überrascht, um nach Hilfe zu rufen. Und selbst als Michael daran dachte, wagte er es noch immer nicht. Franck drückte die Mündung der Pistole gegen Michaels Seite, verdeckt von seinem Sakko. Er manövrierte Michael durch eine Lobby mit spiegelblankem Marmorboden. Michael erhaschte gerade noch einen Blick auf den beleuchteten Namen ›Hôtel des Lamomières‹, und schon befanden sie sich in einem Lift. Die Türen schlossen sich, und Michael war einfach nur übel. Die Erleichterung darüber, in einem Hotel – einem Ort voller Zeugen – gelandet zu sein, verursachte ihm einen leichten Schwindel, und trotzdem befahl er sich, sich nicht zu früh zu freuen. In Krimis starben schließlich auch haufenweise Menschen in Hotels.

    Die Fahrt im Aufzug erschien endlos, Tobie hatte die Taste für den obersten Stock gedrückt. Das Herz klopfte hart in Michaels Brust. Als sich die Türen öffneten, schleiften ihn die beiden einen langen Flur entlang, ausgelegt mit rotem Flor. An einer dunklen Holztür steckte Tobie eine Schlüsselkarte in den Schlitz, stieß die Tür auf, und Franck schob Michael in die Suite. Die Tür fiel hinter ihnen zu, und Michael ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er war riesig. Vor einem Kamin standen eine Chaiselongue und wuchtige Sessel, in denen man sicher herrlich in den Wälzern aus dem Bücherregal schmökern konnte. Darüber hing ein Kronleuchter, mit dem man locker jemanden den Schädel spalten konnte, wenn der Deckenhaken nachgab. Die Türen führten sicherlich in die Schlaf- und Badezimmer. Und auf der anderen Seite des Raumes gab es einen Whirlpool. Einen Whirlpool mitten im Zimmer! Das Becken war hüfthoch und thronte inmitten einiger Liegen, die mit weißem Stoff bezogen waren. Der Fußboden und der Pool waren in dunkle Fliesen eingefasst, und von oben schenkten kleine Strahler heimeliges Licht.

    Das Einzige, was nicht zu der Luxusausstattung passen wollte, war der Inhalt des Pools. Er brodelte wie kochendes Wasser. Dichter Nebel waberte über den Rand, die Schwaden wanderten am Boden durch die Suite und lösten sich auf, sobald sie ein Luftzug durch das offen stehende Fenster erwischte. Es stank erbärmlich, wie in einem explodierten Chemielabor.

    Franck folgte Michaels Blick und grinste gehässig. »Ein Bad in Schwefelsäure und du brauchst dir nie wieder Sorgen um verstopfte Poren machen.«

    »Ich dachte immer, Schwefelsäure wirkt ätzend auf die Atemwege«, entfuhr es Michael. Bis auf den Gestank, der einem die Tränen in die Augen trieb, konnte er sich ganz offensichtlich nicht über absterbende Lungenflügel beschweren.

    »Glaubst du mir etwa nicht?«, bellte Franck, und Michael hob schnell die Hände.

    »Ich stelle ganz sicher keine Folterinstrumente infrage.«

    Am Ende wollten sie es ihm noch beweisen, dass da wirklich Schwefelsäure drin war. Aber was machte er sich vor? Das würden sie ohnehin. Seine Erleichterung war eindeutig verfrüht gewesen, und diese Erkenntnis traf ihn umso härter. Die scherten sich nicht um irgendwelche Zeugen. Die wollten ihn hier fertigmachen. In einer Suite, die man sonst benutzte, um seine Auserwählte zu betören. Na ja, bis auf das Schwefelsäurebad. Damit schlug man wohl selbst die hartnäckigste Frau in die Flucht.

    Michaels Herz schlug ihm dermaßen hoch im Hals, dass es ihm faktisch bereits auf der Zunge hockte und sich kreischend an seinem Backenzahn festklammerte. Er zitterte, und seine Beine fühlten sich an wie Pudding. Franck ließ ihn unvermittelt los, und Michael stöhnte, als er mit den Knien voran auf dem Boden aufschlug. Herrlicher Mist. Der erste Schritt der Folter bestand anscheinend darin, ihn sich selbst seine Kniescheiben zertrümmern zu lassen.

    Er hörte das Klappen der Tür und hob den Kopf. Sein Blick fiel auf den eintretenden Mann, der die Tür zufallen ließ und sich dagegen lehnte. Zu seinen Füßen kauerte ein Hund, der Michael einen kurzen, desinteressierten Blick zuwarf und sich dann auf Erkundungstour durch die Suite begab. Michael sah ihm kurz nach, bevor er sich wieder auf die Gefahr konzentrierte, die eindeutig der Kerl an der Tür war, der gerade … einen Joint rauchte? Das war dann wohl Jason. Er sah nicht sonderlich alt aus. Höchstens Mitte dreißig. Das rotblonde Haar fiel ihm in die Stirn, und sein Bart war kurz genug, um exakt drei Tage alt zu sein. Den feinen Linien um seine Augen nach zu urteilen, lachte er viel. Bloß war das hier kein blöder Scherz, denn er musterte ihn so kalt, dass Michael sich verspannte, bis es in seiner Brust stach.

    »Gibt es eigentlich einen Grund, warum ihr ihn hierhergebracht habt?«, wandte sich Jason an Franck.

    »Du hast gesagt, wir sollen ihn an einen Ort bringen, der nicht zu weit vom Hotel entfernt ist«, rechtfertigte sich Franck.

    Tobie nickte. »Genau, und was ist näher als eine Suite im Hotel?«

    »Wie high war ich, als ich euch eingestellt habe?«, fragte Jason.

    Wahrscheinlich war es besser, dass die beiden keine Antwort gaben. Besser für sie, aber auch nicht sonderlich gut für Michael. Dieser sah sich zwar möglichst unauffällig nach einem Fluchtweg um, aber wenn er nicht gerade einen selbstmörderischen Sprung aus dem Fenster wagen wollte, stand vor dem einzigen Ausgang aus der Suite ein rauchender Mafioso, der sich über seine Mitarbeiter ärgerte und jetzt auf Michael zutrat. Dieser rappelte sich auf und wich zurück.

    »Um mich zu betrügen, hättest du früher aufstehen müssen.« Jasons Stimme war sanft, trotzdem schwang in ihr eine Drohung mit, dass Michael vor Angst beinahe die Luft wegblieb.

    »Ich fasse es nicht, dass ich überhaupt fragen muss …«, sagte Jason, »aber wo zum Teufel ist mein Geld?«

    Das wüsste Michael auch wahnsinnig gern. Dann könnte er auf der Flucht die Ganoven mit Bündeln und Münzen bewerfen. »Ich weiß nichts darüber.«

    »Wenn ich für diesen Satz jedes Mal einen Euro bekäme, könnte ich mir inzwischen eine Insel davon kaufen.«

    »Dann erwischst du immer die Falschen?« Michael hätte sich am liebsten geohrfeigt. Mit einer Kraft, die eher auf einen gestandenen Preisboxer als auf einen angefressenen Mafioso hindeutete, der andere für sich arbeiten ließ, packte er Michael am Hals und hob ihn hoch. Durch Michaels ohnehin schon malträtierte Kehle drang kein Laut heraus, und es kam kein Sauerstoff hinein. Michael versuchte sich aus dem Griff zu winden, aber genauso gut könnte er auch versuchen, gegen einen hungrigen Eisbären zu gewinnen. Der knurrte garantiert ähnlich. Michael hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, seine Sicht verzerrten schwarze Schlieren, und er merkte, wie seine Beine in der Luft strampelten, ohne Halt, ohne etwas zu treffen. Sein Peiniger versetzte ihm einen Stoß, und Michael krachte auf den Boden, diesmal auf den gefliesten Teil der Lounge. Schmerz zuckte durch seine rechte Seite, seine Schulter und seine Kehle.

    Michael hatte es doch gewusst – er traf nicht die richtigen Töne.

    Er rang nach Luft und konnte das intensive Aroma des Joints riechen, als sich Jason vor ihn hockte. »Du bist nicht zufällig an einem Vortrag über Finanzierungsmöglichkeiten interessiert?«, fragte Michael schwach.

    »Du bist ja ein ganz Mutiger«, schnurrte sein Gegenüber regelrecht.

    Michael wünschte, es entspräche der Wahrheit. Ihm entkam nur ein Ächzen, als er nach oben gezogen und gegen die Einfassung des stinkenden Pools gestoßen wurde. Der weiße Hund sprang schwanzwedelnd auf einen Liegestuhl und legte sich hin, als würde er bei der heutigen Hinrichtung in der ersten Reihe sitzen wollen.

    »Amüsiere mich, du Narr«, sagte der Chef der Schlägerbande. »Vielleicht rettet es dir das Leben.« Er hielt inne und zog an dem Joint. »Fairerweise muss ich sagen, dass es genauso gut sein kann, dass ich dir danach den kümmerlichen Rest deines Lebens so zur Hölle mache, bis du denkst, ich wäre der Teufel persönlich.«

    »Das ist längst der Fall«, erwiderte Michael und spähte in den Pool. Das Geblubber hatte ein wenig nachgelassen, und der Nebel trat nicht mehr so stark über die Einfassung. Michael fühlte sich an Trockeneis erinnert.

    »Grimme Taten erwachet. Auf zu Zorn, auf zu Verderben und blutig Morgen!¹«, faselte Jason, und Michael starrte ihn fassungslos an.

    »Na, wo ist das her?«, setzte Jason grinsend nach und blies eine Rauchwolke in Michaels Richtung.

    »Herr der Ringe.«

    »Da kennt sich jemand aus«, stellte Jason anerkennend fest. Wenn der ihm jetzt noch Beifall klatschte, sprang Michael freiwillig in den Säurepool. Er kam sich vor wie in einer schlechten Horrorkomödie. Das Dumme daran: Es war immer noch ein Horrorfilm, und wenn ihm niemand zufällig eine Axt in die Hand drückte, war er derjenige, der in der ersten halben Stunde des Films draufging. Dabei rief er nicht mal blöde ›Ist jemand hier?‹ in den gruseligen dunklen Raum.

    Wieso eigentlich nicht?

    »Ist jemand hier?«, fragte er, und seine Stimme zitterte angemessen, sodass jeder Regisseur entzückt wäre.

    Jason blinzelte irritiert. »Machen dich die Dämpfe schon high?«

    »Nein, ich wollte auch aus einem Film zitieren.«

    »Den kenn ich wohl nicht.« Jason zuckte die Schultern und schnippte die Reste des Joints weg. In Michaels Richtung. Vorsichtshalber stolperte er weg von dem Pool, am Ende explodierte das Ding noch. So wollte er nicht sterben. Hatte er erwähnt, dass er überhaupt nicht sterben wollte?

    »Ich habe mit dem Geld nichts zu tun gehabt.«

    »Der Film ist mir ebenso unbekannt, welcher soll das sein?«

    Herrgott noch eins. »Es ist der Film ›Michael Girard hat nichts mit irgendwelchen Millionen zu tun gehabt!‹. Meine Kunden sind Menschen um die vierzig, die sich Gedanken um ihre Altersvorsorge machen, oder halbwegs rüstige Rentner, die ihren Ruhestand genießen wollen. Davon besitzt keiner Millionen.«

    »Das kannst du dem Pfarrer bei deinem Begräbnis erzählen, solltest du es als Geist zurückschaffen«, erwiderte Jason gelangweilt. »David hat mir gesagt, dass sich ein gewisser Michael Girard um die Details der Abwicklung kümmert. Ebenjener wäre ein kreativer und außerordentlich verlässlicher Kopf, wenn es darum ginge, Geldbestände offiziell werden zu lassen.«

    Es war die Ironie seines Lebens. Da hatte sich Michael verdammt lange Jahre abgerackert, um von David für seine Arbeit gewürdigt zu werden, und dieser elende Mistkerl schob seinen Namen ausgerechnet für Geldwäsche vor. Michael fehlten die Worte. Wie zum Teufel sollte er beweisen, dass das eine Lüge war?

    »Wo ist eigentlich David?« Jason wandte sich seinen Mitarbeitern zu, die sich prompt ansahen, als wäre der jeweils andere schuld.

    »Tot«, antwortete Franck dumpf. »Wir haben den da mitgenommen, als er sich davonmachen wollte.«

    »Ich würde meine Mutter für gutes Personal verkaufen, wenn ich noch eine hätte«, knurrte Jason. »Wer hat David umgebracht?«

    »Ich weiß es nicht …« Michaels Blick huschte zu Franck und Tobie. Vielleicht waren die ja schon vorher da gewesen und dann noch mal zurückgekommen, als sie sahen, wie er das Büro betrat?

    »Nee«, sagte Franck schnell. »Der war schon hinüber, als wir ankamen.«

    »Ich habe nichts gehört«, wehrte Michael ab und würgte. »Ich war schon auf dem Weg nach Hause, hatte aber mein Handy vergessen. Also ging ich zurück zum Büro, und als ich aufschloss, lag er dort.«

    »Und meine Jungs haben dich zufällig mit der Tatwaffe erwischt?«, spottete Jason.

    »Nein!«

    »Ne Knarre oder so haben wir nicht gesehen. Aber er kann nicht lange tot gewesen sein«, wandte Franck ein. »Das Blut quoll noch aus der Wunde. Wir haben aber ehrlich gesagt nicht nachgesehen, ob jemand Spuren hinterlassen hat und …«

    Wortlos ging Jason zu Franck, packte ihn an den Schultern und stieß ihn in den Pool.

    Franck tauchte mit einem lauten Platschen ein, zappelte, und Michael rechnete mit dem schrecklichsten Anblick, als sein Kopf die Wasseroberfläche wieder durchstieß. Er stützte sich auf den Poolrand und hievte sich hinaus. Er tropfte fröhlich in den Ablauf, aber er war lediglich nass.

    »Wenn ich an Ermittlungen interessiert wäre, würde ich die Polizei nicht von der falschen Seite des Gesetzes in den Wahnsinn treiben«, pflaumte ihn Jason an, bevor er spöttisch die Lippen verzog. »Das nächste Mal triffst du hoffentlich bessere Vorbereitungen. Ein Whirlpool voller Trockeneis! Wenn ich meinen Ruf ruinieren will, dann mach ich das selbst.«

    Also waren Michaels Chemiekenntnisse doch nicht so schlecht! Das hier war ein Horrorfilm mit äußerst miesen Special effects, aber wer wäre Michael, sich darüber zu beklagen? »Und was stinkt hier so?«

    »Alte Windeln von meiner Kleinen«, ächzte Franck und schüttelte sein Bein aus. »Der Chemiker unseres Vertrauens hat sich beim letzten Experiment leider selbst in die Luft gesprengt, deswegen konnte ich auf die Schnelle keine Schwefelsäure besorgen. Also musste Trockeneis für die Dämpfe herhalten, und Kinderschisse lassen jeden Schwefelgeruch alt aussehen.« Er hörte auf, sich zu schütteln, und deutete hinter eine Poolliege. Dort lag tatsächlich ein Haufen Windeln. Der weiße Hund schien mit ihnen spielen zu wollen, doch wann immer er zu nahe kam, schreckte selbst er vor dem Geruch winselnd zurück.

    Michael könnte schwören, dass er den Abfall genauso konsterniert betrachtete wie Jason.

    »Ich war eben mit der Müllentsorgung dran.« Franck hüstelte und sah seinen Boss an. »Eine Zeitlang wollten wir Baumwollwindeln benutzen. Ist besser für die Umwelt, aber so schnell kommt man nicht mit Waschen nach. Kackt deine Kleine nicht auch, als würde sie dafür bezahlt werden?«

    »Sie pupst auf jeden Fall eine Menge. Bei dem ganzen Methangas wundert es mich, dass besagte Umwelt rund um mein Haus nicht bereits einer atomar verseuchten Einöde gleicht«, brummte Jason.

    Bevor Michael sich in die Selbsthilfegruppe gepeinigter Väter einmischen konnte, trat Jason nahe an ihn heran.

    »Du willst mir also einreden, du wärst so unschuldig wie ein Baby vor dem ersten Schiss?«, knurrte Jason.

    »Es wäre sehr praktisch, wenn ich das könnte«, ächzte Michael. »Ich würde meine Seele dafür verkaufen.«

    »Für einen Pakt mit dem Teufel haben wir keine Zeit«, erwiderte Jason. »Also warst du nicht auf der monatlichen Gala von Héctor Berthier?«

    »D-d-doch.«

    »Und hast du eine Aktentasche aus dem blauen Barockzimmer mitgenommen?«

    »Ich sollte sie für David mitnehmen. Er sagte, darin befänden sich Papiere, die er für Monsieur Berthier prüfen soll.«

    Michael gefiel nicht im Geringsten, wohin das Gespräch führte. Was war in dieser verfluchten Tasche gewesen? Geldbündel? Dafür war sie zu leicht gewesen. Jason tat ihm nicht den Gefallen, es zu verraten. Er schlug eine Seite seines Sakkos zurück, und Michael rechnete mit dem Anblick einer Pistole, aber er holte lediglich ein gefaltetes Blatt Papier raus. Er erkannte den Briefbogen des Auktionshauses Sotheby's, Jason entfaltete das Schreiben und tippte auf etwas am Ende der Seite.

    »Wessen Unterschrift ist das?«

    Michael schloss die Augen. Das konnte doch nicht wahr sein. »Meine«, presste er hervor und hob die Lider.

    Selbst Sauron wäre bei Jasons diabolischen Lächeln der Eine Ring runtergefallen. »Dann, mein bedauernswerter Freund, hast du jetzt ein gewaltiges Problem.«

    2

    Bitte aus dem mörderischen Bällebad abholen

    So sehr Natalia das Dasein als Vampir hasste, es besaß eindeutig Vorteile. Selbst die beste Wanze musste man erst einmal in die Nähe des Gespräches schmuggeln, um mithören zu können, statt sich entspannt an die nächste Ecke zu lehnen und einfach nur die Ohren zu spitzen. Oder im jetzigen Fall: an die Tür zur Suite. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, im Flur Wachen aufzustellen. Zweimal war sie von einem Etagenkellner gestört worden, aber sie hatte sich schnell im Treppenhaus verborgen und war zurück zur Tür gerast, sobald die Luft rein war. Dadurch hatte sie sicher einiges verpasst, aber trotzdem genügend mitbekommen, um sagen zu können: Jasons aktuelles Opfer gab sich erstaunlich wenig Mühe, seinen Hintern zu retten. Er leugnete zwar grundsätzlich, das Geld geklaut zu haben, war jedoch bei Jasons sonstigen Fragen geständiger als jeder Verbrecher, dem sie jemals begegnet war. Viel Zeit auf Erden würde Michael nicht mehr beschieden sein, wenn er so weitermachte. Jason würde aus ihm herauspressen, wo das Geld war, und dann endete dieser Mann als Abendessen des Blutsaugers. Sollte sich Michael Girard die Kohle tatsächlich unter den Nagel gerissen haben, konnte man getrost ›selbst schuld‹ auf seinen Grabstein meißeln. Aber Natalia gönnte es Jason schlichtweg nicht, es sich so einfach zu machen. Michael war der Schlüssel zu einer Horde Mafiosi, die ihr Geld bei der Agentur von David Gounelle gewaschen hatten, und Natalia wollte jedes schmutzige Detail wissen. Dann wollte sie Haftbefehle beantragen lassen und jeden beteiligten Kriminellen persönlich in eine Zelle stecken. Bis auf Jason Harris – ihn wollte sie nicht nur einsperren, sie wollte wesentlich mehr.

    Natalia verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Warum redeten die nicht mehr? Girard hatte doch zugegeben, dass da irgendwo seine Unterschrift stand. Machte Jason Kaffeepause, oder was war los?

    Sie hörte das Kläffen eines Hundes und ein gedämpftes Keuchen. Das Geräusch kannte sie, es entstand, wenn man jemanden an der Kehle packte. Wusste der Henker, wieso Jason sein Verhör vorzeitig beendete. Vielleicht hatte er ja genauso Kohldampf wie Natalia.

    Der Etagenkellner lieferte dem Klappern von Tellern und Deckeln nach zu urteilen in einer anderen Suite auf der Etage gerade das Abendessen. Das roch herrlich nach Bouillabaisse, selbst für eine Vampirin, die sich auf Blut spezialisiert hatte.

    Das Keuchen im Inneren der Hotelsuite endete in einem Röcheln. Verflucht, das war nicht gut. Natalia vergewisserte sich, dass die Pistole immer noch in dem Halfter unter ihrem Arm steckte, trat von der Tür zurück, bis sie die Wand des Flures im Rücken spürte. Sie stieß sich ab und donnerte mit aller Kraft, die sie in ihrem vampirischen Dasein aufbringen konnte, durch die Tür. Die stoppte ihren Lauf nur minimal. Natalia sprengte sie buchstäblich aus den Angeln, und erst als sie gegen jemanden krachte, verlor sie das Gleichgewicht. Sie landete auf einem menschlichen Körper und den Trümmern der Tür. Zwischen den Splittern erkannte sie einen schwarzen Anzug und ein Gesicht, das eindeutig zu einem von Jasons Mitarbeitern gehörte. Der Kerl rührte sich nicht mehr. Sie wälzte sich herum und erhaschte einen Blick auf Jason. Er stand bloß da, die Arme vor der Brust verschränkt und dieses unsäglich breite Grinsen im Gesicht.

    Sie wollte sich auf ihn werfen, doch etwas sprang auf ihre Brust. Weiches Fell kitzelte sie im Gesicht, und eine raue, feuchte Zunge leckte ihr mehrfach über das Gesicht.

    »Hau ab«, fauchte sie und bekam prompt Fell in den Mund. Sie schob das verflixte Vieh von sich herunter. Unter weißen Fellbüscheln blitzten sie dunkle Knopfaugen an, und der Hund wedelte so enthusiastisch mit dem Schwanz, dass er sich dabei fast selbst umwarf.

    Als wäre es nicht bereits demütigend genug, von einem Kläffer aus dem Konzept gebracht zu werden, hievte Jason sie am Arm auf die Füße. Leider ging er auf Abstand, ehe sie die Nähe zu ihm für eine gepflegte Körperverletzung missbrauchen konnte.

    »Natalia! Hat Peppi deinen dramaturgischen Auftritt versaut?«, erkundigte sich Jason. »Du hast ausgesehen, als ob du dich auf mich stürzen wolltest, bevor er dich begrüßt hat. Aber du kannst gern noch mal reinkommen.« Jason kramte aus seiner Tasche einen zerknitterten Joint und zündete ihn an. Natalia verdrehte die Augen. Wenn der Typ halb so viel kiffen würde, wären die meisten Pariser Drogendealer arbeitslos.

    Natalia rappelte sich auf und sah die Anwesenden der Reihe nach an. Das hiesige Hotelpersonal müsste von dem Radau längst auf den Plan gerufen worden sein, aber der Flur blieb leer. Es sah nicht mal der Etagenkellner nach, was hier los war. Entweder hatten sie vorher die Anweisung erhalten, die Füße stillzuhalten, wenn sie seltsame Geräusche wie einen in Todesangst schreienden Mann oder eine zersplitternde Tür hörten, oder sie besorgten bereits Verstärkung. Sie würde es sehen, wenn es so weit war. Im Moment besaß sie gute Chancen, sich Michael Girard krallen und mit Jason fertigwerden zu können.

    Der zweite seiner Männer, die Michael ins Hotel geschleift hatten, stand tropfnass neben dem Whirlpool, und er war … ein Mensch. Einzig und allein seine Waffe konnte ihr gefährlich werden, denn leider eiterten die Kugeln auch bei Vampiren schlecht raus. Angeschossen zu werden war zwar nicht unbedingt tödlich, aber es tat trotzdem weh.

    Und dann war da noch Michael Girard. Strubbeliges braunes Haar und dunkle Augen, in denen sich die Angst spiegelte. Seine Nase hatte geblutet, und es duftete nach B Rhesusfaktor negativ. Sie liebte diese Blutgruppe. Sie schmeckte wie guter, leichter Landwein. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und ihre Kehle brannte. Sie brauchte langsam Blut.

    »Also was ist jetzt?«, riss Jasons Stimme sie aus ihren Gedanken.

    »Ich komme nicht noch mal rein!«, murrte Natalia.

    »Schade, dann hättest du dich nämlich mal umziehen können. Die Lederjacke ist dir mindestens drei Nummern zu groß, und warum trägst du Männerschuhe?«

    »Damit kann man Idioten wie dir besser in den Hintern treten.«

    »Das ist nicht richtig. Aus Erfahrung kann ich dir sagen, dass Stiftabsätze sehr viel größere Schmerzen verursachen«, grinste Jason.

    Das wäre tatsächlich mal ein Argument, freiwillig in Schuhe mit absurd hohen Absätzen zu steigen.

    Natalia griff in ihre Jackentasche und hielt Jason ihren Dienstausweis unter die Nase. Sie konnte es sich gerade so verkneifen, ihre Personalien samt Mittelfinger gegen seinen Zinken zu pressen. »Du bist verhaftet.«

    »Weswegen?«

    »Freiheitsberaubung.«

    Jason fasste nach ihrer Hand und drückte sie von seinem Gesicht weg. »Wessen Freiheit war ich so neckisch zu stehlen?«

    Natalia sah wortlos zu Michael Girard. Er hatte sich auf eine Liege gesetzt, der Hund kletterte auf seinen Schoß und schmiegte sich an ihn. Michaels Teint machte den

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