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Die Regeln der Gewalt: Thriller
Die Regeln der Gewalt: Thriller
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eBook305 Seiten3 Stunden

Die Regeln der Gewalt: Thriller

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Über dieses E-Book

"Die Situation ist für die Mitglieder der deutschen Terroristengruppe "Kobra" verzweifelt. Durch den Fahndungscomputer des BKA in Wiesbaden gelingen der Polizei immer neue Erfolge. Das Netz wird immer dichter, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Mitglieder erschossen werden oder im Zuchthaus sitzen. Fürs Überleben gibt es nur eine Möglichkeit: den Computer zu zerstören, um den Ermittlungen einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Und das scheint unmöglich. Denn der Datenspeicher lässt sich nicht einfach sprengen, weil er 80 Meter tief in der Erde steckt und von einem Betonmantel umgeben ist. Nur durch magnetische Manipulation und entsprechende Code-Eingaben lassen sich die Daten löschen. Doch die Terroristen haben einen französischen Computerspezialisten aufgetrieben, der das Unmögliche für eine halbe Million vollbringen will. Aber in Wirklichkeit ist der Preis viel höher, und er ist auch nicht mit Geld zu bezahlen …"
(Aus: krimicouch.de) –– "'Von einem gewissen Zeitpunkt an fühlt man sich nur noch als Chirurg, der ein Geschwür aufschneidet', heißt es an einer Stelle. Die damalige Sympathisantenszene, die bedrückende Paranoia der Terroristen, die mit brutalen Gewaltexzessen sediert wird – all das zeigt Schmidt in seinem spannenden Roman als ausweglosen Entwicklungsprozess konfuser Aktionisten, ohne dabei auf simple küchenpsychologische Erklärungsmuster zurückzugreifen." (Aus: Titel Magazin, Peter Münder: "Konfuse Kobra")
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Okt. 2013
ISBN9783847654728
Die Regeln der Gewalt: Thriller
Autor

Peter Schmidt

Peter Schmidt, the author of Color and Money and the co-author (with Anthony Carnevale and Jeff Strohl) of The Merit Myth: How Our Colleges Favor the Rich and Divide America (The New Press), is an award-winning writer and editor who has worked for Education Week and the Chronicle of Higher Education. He lives in Washington, DC.

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    Buchvorschau

    Die Regeln der Gewalt - Peter Schmidt

    ZUM BUCH

    Terrorismus in der Bundesrepublik: Die Gruppe Kobra zerstört den Zentralrechner des BKA, um ihre größten Schlag zu landen – doch das Ergebnis bestimmen immer die Regeln der Gewalt ...

    "’Von einem gewissen Zeitpunkt an fühlt man sich nur noch als Chirurg, der ein Geschwür aufschneidet’, heißt es an einer Stelle. Die damalige Sympathisantenszene, die bedrückende Paranoia der Terroristen, die mit brutalen Gewaltexzessen sediert wird – all das zeigt Schmidt in seinem spannenden Roman als ausweglosen Entwicklungsprozess konfuser Aktionisten, ohne dabei auf simple küchenpsychologische Erklärungsmuster zurückzugreifen."

    (Titel Magazin, Peter Münder: „Konfuse Kobra")

    PRESSESTIMMEN

    http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

    „Auffallend an Schmidts dramaturgisch raffinierten Agenten-Storys sind – neben der Detailtreue – die skeptische Weltanschauung und eine geradezu undeutsch klare kühle Prosa."

    (stern)

    „In den vergangenen dreißig Jahren schrieb Peter Schmidt neben Komödien und Science-Fiction-Geschichten vor allem Polit-Thriller, die internationales Niveau erreichten und für die er dreimal den Deutschen Krimipreis erhielt. Jochen Schmidt nennt Peter Schmidts Debütroman ‚Mehnerts Fall’ (1981) ‚das wichtigste Debüt im deutschen Krimi seit dem Erscheinen von Richard Heys Erstling 1973" (Jochen Schmidt: Gangster, Opfer, Detektive, 1989/2009 [Tipp: Erstausgabe antiquarisch suchen]).

    Rudi Kost und Thomas Klingenmaier sagten in ihrem 1995 erschienenem Autoren-ABC ‚Steckbriefe’ (antiquarische Suche lohnt sich): ‚Peter Schmidt hat hierzulande den Polit-Thriller salonfähig gemacht und ohne sonderliche Mühe einen Standard erreicht, der internationalen Vergleichen standhalten kann.’

    Seine Geschichten aus der Welt der Geheimdienste sollte man sich heute, mit dem NSU-Desaster der Sicherheitsbehörden im Hinterkopf, noch einmal durchlesen."

    (Axel Bussmer „Kriminalakte – „Im Verhörzimmer)

    Die Hauptpersonen

    Ralf Werders – mag keinen Schmutz und verlässt sich auf seinen Instinkt

    Angelika Zeitler – ist der Kopf der Gruppe «Kobra» und hält alle Fäden in der Hand

    Richard Fall – lässt sich zu leicht von seinem Übermut verleiten

    Paul Walter, Vera Coprian – möchten in die Gruppe aufgenommen werden – aus verschiedenen Gründen

    Vodreux – ist Spezialist und schlägt daraus Kapital

    Sommer, Lummer – gehören zur Fahndungsgruppe Arm, die offiziell gar nicht existieren dürfte

    1

    Werders sah zur Wohnung im Hochhaus hinauf. Der Vorhang hinter der Balkontür war zugezogen und jemand hatte die Jalousien der Fenster heruntergelassen.

    Immer vergessen sie die Jalousien, dachte er ärgerlich, es fällt auf, wenn hohe Mieten im Voraus bezahlt werden, ohne dass jemand dort wohnt.

    Sein Blick glitt an den Fensterreihen entlang bis zur Dachkante und weiter in das hoch aufgetürmte Gewölk; es schien zu stehen, seine Färbung war bläulich, als werde es angestrahlt, oder wie vor einem Gewitter. Eine unangenehme Jahreszeit. Er hasste Schwüle und Gewitter, weil sie ihn nervös machten.

    Sein Blick fuhr zurück, über die spiegelnden Fensterscheiben …

    Sie bevorzugten Wohnungen, die dicht an einer Schnellstraße oder Autobahn lagen, möglichst mit der Tiefgaragenausfahrt direkt zum Zubringer (aber das war ein seltener Idealfall), und deshalb hatten sie diese hier gewählt – obwohl sie im Stadtzentrum lag und das nächste Polizeirevier nur 500 Meter entfernt war.

    Er musterte die Scheibe der Balkontür in der gelben Hauswand über einer Leuchtreklame für Das weißeste Waschmittel seit der Weberei (wie eh und je ging es in diesem Land mehr um die Weiße der Hemden als um ein reines Gewissen). Es schien, als habe sich der Vorhang bewegt.

    Nach dem Zeitplan war das nicht möglich. Er hatte die Zeiten im Kopf. Seit den Erfolgen Arms waren sie dazu übergegangen, auch das kleinste Stück Papier zu vernichten.

    Arm … dachte er zähneknirschend, eine Fahndungsgruppe, die offiziell gar nicht existierte, weil sie außerhalb der Legalität arbeitete. Anders konnten sie ihnen nicht beikommen … nicht dem harten Kern.

    Angelika plädierte noch immer dafür, Sommer, den Kopf der Gruppe, sofort zu liquidieren. Es war riskant, weil man ihn scharf bewachte – aber was war jetzt nicht mehr riskant? –, und er würde wohl doch einwilligen. Der Beschluss brauchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

    Richard neigte im Zweifelsfall immer zur Gewalt, auch wenn es riskant war, und Charlotte und Lena waren in Frankreich untergetaucht: sie würden erst nach der vereinbarten Kontaktaufnahme in Frankfurt wieder stimmberechtigt sein.

    Eine echte Zwei-Drittel-Mehrheit betrug seit Birkes Tod 3,33 Personen, dachte er amüsiert. Es entsprach ziemlich genau seiner eigenen Auffassung – seiner Nase, seinem «Gespür»: zu 33 Prozent dafür und 00 Prozent Unsicherheit. Doch das sollte niemanden über seine Entschlossenheit hinwegtäuschen wenn es darauf ankam.

    Werders blickte wieder an der Fassade des Hochhauses hinauf. Dann betrat er das Café neben der Bankfiliale. Er setzte sich in die Nähe des Fensters. Aber nicht an einen Fensterplatz.

    Es genügte, die Balkontür im Auge zu behalten.

    Er zahlte seinen Kaffee gleich. Es war sauberes Geld. Sie achteten jetzt sorgfältiger darauf als noch vor einigen Monaten.

    Der Verschluss der Leinentasche neben ihm war geöffnet … er hatte es oft geübt: seine Hand fuhr mit schlafwandlerischer Sicherheit über den Griff des Browning-FN. Neun Millimeter, genau das richtige Kaliber, um Sommer vom Stuhl hinter seinem Schreibtisch zu reißen.

    Werders hatte ihn nur einmal gesehen, bei einer Pressekonferenz, wo er sich harmlos im Hintergrund hielt. (Er hatte wie unbeteiligt auf einem der Klappsitze am Saalende gesessen, ein beleibter, untersetzter Mann mit dem Gesicht eines Buchhalters.)

    Es war nichts … blinder Alarm! Die Regel schrieb vor, in Verdachtsfällen mindestens zwei Stunden zu warten. Das zermürbte auch den hartnäckigsten Beschatter. Wenn aber doch Sommers Leute oder das BKA dort oben waren, würden sie sich in Geduld üben müssen. Geduld war genau das, was sie nicht hatten.

    Denn Geduld bedeutete Zeit. Und der Druck der Öffentlichkeit wurde stärker. Ihr sogenannter Druck. Was man ihr in der Tagespresse in den Mund legte. Sie glaubte, was sie glauben sollte. Man hielt sie dumm. Gegen eine Maschinerie, die alles dumm hielt, würde man nur mit Gegendruck ankommen können.

    Es war das ehernste, das erste Gesetz, und es blieb gültig, solange noch etwas zu gewinnen war.

    Werders zündete sich genüsslich einen Zigarillo an und bestellte Kakao.

    Auf den Fahndungsplakaten wurde er als Pfeifenraucher geführt. Sie waren so naiv zu glauben, dass jemand, der einmal Pfeife geraucht hätte, nicht so leicht davon ablassen könnte. Aber es bedeutete ihm nichts. Er rauchte ebenso gut Zigarillos oder gar nicht.

    Eine junge Frau betrat das Café. Sie setzte sich an den Tisch gegenüber. Sie zögerte einen Moment lang, welchen Platz sie einnehmen sollte. Als überlege sie noch, welche Schussrichtung die günstigere sein würde, wenn man es vermeiden wollte, die übrigen Besucher des Cafés zu gefährden, dachte er (es war beinahe unmöglich, in ihrer Situation nicht solche Gedanken zu haben).

    Sie legte die Handtasche rechts neben sich, genau wie er. Ihr Gesicht, soweit man es unter der dunklen Brille erkennen konnte, schien ungeschminkt. Sie trug einen dünnen, schwarzen Stoffmantel – dessen rechte Seitentasche ausgebeult war.

    Werders strich sich über die Stirn. Automatisch schob seine Hand sich in den Taschenspalt und blieb auf dem Metall des Abzugs liegen.

    Dann stand er langsam auf. Gewöhnlich war das ein Risiko. Doch die Kellnerin bediente am Nachbartisch. Und er hatte seinen Kakao noch nicht bezahlt. Das brachte sie in die Schusslinie. Er hängte sich die Leinentasche um und ließ seine Hand darin.

    «Ihr Kakao …», sagte die Kellnerin und stellte sich ihm in den Weg.

    Werders zahlte mit der anderen Hand.

    Draußen vor der Tür überblickte er schnell die Straße. Das Gewitter hatte die Stadt erreicht. Regentropfen klatschten auf den Gehsteig. Eine gelbe Straßensprengmaschine fuhr an ihm vorüber, gefolgt von vier Straßenkehrern in leuchtenden Uniformen und einem Lastwagen, der den Müll einsammelte. Werders überquerte in ihrem Schutz die Fahrbahn.

    Vor ihm war die Treppe der U-Bahn-Station. Nicht in die U-Bahn, dachte er! In so einem Rattenloch war Birke umgekommen. Mochte die Frau im Café harmlos gewesen sein oder nicht, es gab nie eine andere Wahl, als seinem Instinkt zu folgen, wenn man überleben wollte.

    Staub, den die Regenböen vor sich hertrugen, wirbelte ihn an, als er das Gitter des U-Bahn-Schachtes umrundete und in einem Supermarkt untertauchte. Er kannte das Geschäft: es besaß einen Ausgang zur anderen Straßenseite.

    Werders läutete dreimal. Es war das vereinbarte Zeichen. Dabei legte er seine Hand auf das Auge des Türspions. Für alle Fälle. «Großer Gott», sagte das Mädchen.

    Ein dunkler Haarschopf über dem mageren Hals erschien im Türspalt. Es schob die Tür weiter auf, und Werders konnte in den Korridor sehen.

    «Sie? – Nicht heute, ich habe Besuch …»

    Ihre dünnen Beine tänzelten nervös. Sie trug eine dunkelblaue Strumpfhose, und Werders bemerkte, dass sie verknittert wirkte und dass sie unordentlich – offenbar hastig – hochgezogen worden war; mit dem Gummiband nach außen.

    «Ein Kerl?», fragte er und zeigte in die Wohnung.

    Sie nickte.

    «Es ist der einzige Platz in der Stadt, den ich noch …»

    «Tut mir leid.»

    «Das könnte Ihnen Ärger einbringen.»

    «Mir nicht. Ihnen!», sagte sie. «Hauen Sie bloß ab.» Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.

    Das also waren die sogenannten Sympathisanten! Das große, graue Heer der Gleichgesinnten. Wenn man sie brauchte, verdünnisierten sie sich. Es standen jetzt fünfzigtausend auf seinen Kopf. Und der Denunziant musste nicht einmal persönlich auftreten.

    Ein Stellvertreter genügte, um die Provision zu kassieren, wie jedes Fahndungsplakat genüsslich mitteilte. Anonymität wurde ohnehin zugesichert. Und natürlich Strafmilderung, falls es sich um jemanden aus dem engeren Kreis handelte.

    Er musste noch froh sein, wenn gleich nicht die Räder von Sommers Wagen unten vor dem Haus quietschten. Ihre einzige Versicherung waren die angedrohten Vergeltungsmaßnahmen. Deshalb achteten er und Angelika sorgfältig darauf, dass sie genauestens ausgeführt wurden. Sie ruhten nicht eher, als bis der Denunziant liquidiert worden war.

    Es war eine unausweichliche Konsequenz bei diesem Spiel.

    Werders ging hinunter und dann ein Stück die regennasse Straße entlang. Er fröstelte. Hotels würde er meiden müssen …

    Seine Papiere waren zwar ausgezeichnet gefälscht und er trug ein halbes Dutzend verschiedener «Identitäten» mit sich herum, nach Belieben einzusetzen, aber es gehörte zu den eisernen Spielregeln, Hotels und Gasthäuser nur im äußersten Notfall aufzusuchen.

    Die meisten Hoteliers hatten einen verkleinerten Abzug des Fahndungsplakats neben dem Eintragungsbuch liegen. Fünfzigtausend waren schließlich kein Pappenstiel. Wenn er morgen früh nicht mit Angelika und Richard in der Wohnung zusammentraf, bedeutete das, den Plan aufs Neue zu verschieben.

    Bis dahin brauchte er ein Quartier. Es war ausgeschlossen, dass sie schon oben waren. Dann hätte das vereinbarte Zeichen im Fenster gehangen: ein leerer Bastkorb, wie er für Topfblumen gebraucht wurde. Werders betrat eine große Imbissgaststätte. Jetzt, in den Abendstunden, war sie fast leer.

    Er setzte sich an einen Tisch vor der Spiegelrückwand. Der Aufgang zur nächsten Etage befand sich direkt neben seinem Stuhl. Er aß ohne Appetit ein Stück gegrilltes Schweinefleisch im Brötchen. Das Brötchen war zu weich, und die Soße über dem Fleisch schmeckte nach Einheitspampe.

    Er dachte daran, dass Charlotte und Lena es sich in Paris jetzt gut gehen lassen würden, in teuren Restaurants. Nach dem Überfall auf die Bankfiliale hatten sie es sicher verdient. Man brauchte das: einmal auszuspannen und sich – wenn auch nicht völlig, so doch halbwegs – sicher zu fühlen.

    Die Treibjagd gegen sie hatte ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Er fragte sich, wie lange sie das durchhalten konnten.

    Wenn sich sein Plan aufging und Charlotte in Paris den geeigneten Spezialisten anwarb, würde das Kesseltreiben bald ein Ende haben. Es würde den größten Rückschlag in der Terroristenfahndung seit dem Bestehen dieser Republik bedeuten.

    Werders blickte unschlüssig über die Tische hinweg. Unangenehme Lage. Sie hatten diese Wohnung, aber es schien ihm zu gefährlich, sie zu benutzen. Er hatte immer dafür plädiert, in der Stadt noch eine Gartenlaube zu mieten.

    Gartenlauben waren unverdächtiger. Niemand wunderte sich darüber, wenn sie wochen- oder monatelang nicht benutzt wurden.

    Er hätte in das Waldstück gehen und den Blechbehälter mit den verschlüsselten Sympathisantenadressen ausgraben können … doch es wurde dunkel. Eine Taschenlampe besaß er nicht. Sie lag oben in der Wohnung, und die Geschäfte waren bereits geschlossen. In einer mondhellen Nacht hätte das Licht vielleicht ausgereicht. Aber das Gewitter hatte eine dichte Wolkendecke hinterlassen.

    Seine Fingerspitzen tasteten in der Leinentasche nach dem Banknotenbündel.

    Das Geld würde reichen. Er entschloss sich, ins Bahnhofsviertel zu gehen. Dort gab es genügend Mädchen, schöne, hässliche, alte, junge … es kam nicht weiter darauf an. Er würde bei einer die Nacht verbringen und sich dann morgens gegen elf in der Nähe der Wohnung aufhalten, um Richard und Angelika zu warnen.

    Wenn Ranke, Wertmüller und Edda Frahm nicht eingesessen hätten, wären sie womöglich ganz anders vorgegangen und hätten die Wohnung gestürmt, vorausgesetzt, sie fühlten sich den BKA-Leuten überlegen – bei gesichertem Rückzug natürlich –, Ranke war darin Spezialist.

    Aber die Zeiten hatten sich geändert; mittlerweile hinterließen sie Leichen in Kofferräumen, statt in Treppenhäusern oder auf Straßen, und zwei Drittel ihrer Aktivitäten beschränkten sich darauf, dem beinahe allmächtigen Fahndungscomputer in Wiesbaden Rätsel aufzugeben (in ihren Gedanken hatte er inzwischen so etwas wie den Stellenwert von Gottvater eingenommen).

    Er blieb vor der Auslage eines indischen Geschäftes stehen. Ein kleines Schaufenster, vollgestopft mit Buddhas aus Messing, Steinpfeifen, Räucherstäbchen, Seidenschals, Schnitzereien und bestickten Lederwaren; an der heruntergelassenen Blechjalousie nebenan lehnte ein hellblondes Mädchen in schwarzer Lederkleidung und roter Strumpfhose; es verfolgte ihn mit spöttischem und zugleich aufforderndem Blick.

    Werders war nicht besonders attraktiv. Zu hager und ausgezehrt; sein langer Hals, die dicht stehenden Augen, die er hinter einer goldgeränderten Brille versteckte, das gescheitelte, schwarze Haar hatten ihm den Spitznamen «Habicht» eingetragen. Seit einem Streifschuss am linken Bein hinkte er manchmal, wenn auch nur leicht und meist bei Wetterumschwung; die Narbe musste Nerven unter der Hautoberfläche in Mitleidenschaft gezogen haben. Manchmal benutzte er sein Hinken, um sich zu verstellen.

    «He, Langer, wie wär‘s.» Sie bewegte obszön ihre Hand vor der Strumpfhose. « Komm mit, ich mach‘s zum halben Preis …»

    Sie stellte sich neben ihn, als er schon weggehen wollte, weil andere Passanten aufmerksam wurden, und umfasste mit einem Arm seine Hüfte.

    «Hast du ‘ne eigene Bude?»

    «Wir können ins Hotel. Bude nur für die ganze Nacht.»

    «Genau was ich suche», nickte er.

    «Fünfhundert.»

    «Sechshundert – wenn du gut bist.»

    «Na hör mal», lachte sie und hängte sich an seinen Hals. «Es ist drüben, zwischen den beiden Stundenhotels, über der Einfahrt zur Autoreparatur. Lass uns vorher noch was trinken gehen, ich kenne eine hübsche Bar.»

    «Meinetwegen. Aber nur kurz.»

    Die Bar lag in einer engen Seitenstraße. Mülltonnen, überfüllte Container und leere Obstkisten versperrten den Gehsteig. Manche Bars sahen eher aus, als bäten sie um Almosen. Ihre blinden Scheiben waren mit rotem Samt verhängt. Das Licht einer halben Leuchtschrift glimmte kläglich in einem Rhythmus, der mehr von den oxydierten, elektrischen Kontakten als vom Zeitgeber diktiert wurde.

    Zwischen den Platten des Gehsteigs war eine blau schillernde Pfütze, wie ausgeflossenes Öl. Was für ein Schmutz …

    Werders verspürte körperlichen Schmerz, wenn er Unrat sah.

    Sauberkeit war noch immer die sicherste Gewähr dafür, halbwegs mit dem Leben zurechtzukommen. Wenn er sich die Hände öfter als andere wusch, dann nur deswegen, weil er schon den Gedanken an klebrige oder infizierte Hände nicht ausstehen konnte.

    Sein Magen drehte sich um, wenn er ungespültes Geschirr im Waschbecken sah. Jede Art von Dreck bereitete ihm physische Pein … und erst recht politischer …

    Noch immer hoffte er, dass es in diesem Staat allein einen großen Besen brauchte, um reinen Tisch zu machen. Nach allen Fehlschlägen der Vergangenheit war es allerdings nur noch eine schwache Hoffnung – eine die mehr glimmte als brannte, wie die Leuchtschrift über der Bar.

    In dem kleinen Raum zwischen der Tür und dem schweren, braunen Filzvorhang mit der Ledereinfassung, an dem zahllose Hände ihren Schweiß hinterlassen hatten, griff sie kurz nach seinem Hosenschlitz.

    «Schon in Fahrt?»

    Er nickte.

    «Gut so.»

    Sie zog ihn zur Theke und ließ sich auf einen Hocker plumpsen. «Wie immer», sagte sie. Und mit einem Seitenblick zu Werders: «Keine Angst, das Zeug geht auf meine Rechnung.»

    Die Wirtin stellte zwei Gläser hin. Es war ein amerikanischer Likör aus Whisky und Früchten. Werders pflegte jede Art von harten Getränken in sich hineinzustürzen. Er war nicht in der Lage, Schnaps oder Likör langsam auszutrinken – er konnte dann nicht mehr damit aufhören, obwohl niemand ihn einen echten Trinker hätte nennen können. Und jetzt war ohnehin nicht die richtige Zeit dazu.

    Er brauchte einen klaren Kopf. Das Licht in der Bar schien aus dem Nichts zu kommen; es hatte einen fahlen blauen Schimmer. Er suchte vergeblich nach einer Lichtquelle.

    «He, wen seh’ ich denn da …?» Sie rutschte von ihrem Hocker. Schon eine Weile hatte sie in das Dämmerlicht einer séparéeartig abgeteilten Tischecke geblinzelt. «Was hältst du von ‘nem flotten Vierer, Langer? Hab da was für uns entdeckt.»

    «Nicht viel, ich würde lieber …» Werders folgte ihrem Blick, als sie zum Tisch ging.

    Dort saß ein ziemlich bulliger Mann in einer abgewetzten gelben Lederjacke. Sein pelziges Haar sah dicht wie das eines Affen aus, seine Handrücken waren stark behaart. Er beugte sich über den Ausschnitt eines hübschen, aber rotgesichtigen Mädchens, das anscheinend zum Inventar gehörte.

    Lummer! Durchfuhr es ihn. Aus Sommers Gruppe. Offenbar hatte der andere ihn beim Eintreten nicht bemerkt, sonst hätte es eine Katastrophe gegeben.

    Werders wartete einen Augeblick ab, bis die Wirtin sich zum Regal wandte, um nach einer Flasche zu greifen. Dann verschwand er sachte hinter dem Filzvorhang.

    Und als er bemerkte, dass niemand seinen Rückzug entdeckt hatte, schob er leise die Tür zu und verließ so unauffällig wie möglich das Lokal.

    Er ging schnell bis zum Ende der Gasse, dann im Schutz mehrerer parkender Reisebusse über den Rathausplatz.

    Lummer galt schneller Schütze. Und er pflegte nicht zu warten, bis jemand ihm diesen Ruf streitig machte. Er hatte Birke auf dem Gewissen. Das Hirn über die Kachelwand neben dem Fahrkartenautomaten verteilt …

    Er benutzte den gleichen Browning-FN, Kaliber neun Millimeter, wie sie. Werders ging durch eine Toreinfahrt, bog in den nächsten Hauseingang und horchte auf Schritte …

    Nichts, dachte er erleichtert. Plötzlich wurde das Bedürfnis nach einem Bett und einem heißen Bad übermächtig.

    Herrgott noch mal. Da ist die Wohnung, und ich steh hier unten wegen einer Gardine, die sich bewegt hat …

    Er trat langsam aus dem Schatten des Hauseingangs und ging weiter. Das Hochhaus lag am Anfang der Parallelstraße.

    2

    Werders fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage und ging der Reihe nach jeden parkenden Wagen ab, seine Hand in der Leinentasche versenkt, den entsicherten Browning so in der Faust, dass er jederzeit durch den Taschenrand zielen konnte.

    Keiner der Wagen war besetzt. Er sah jedes Mal auf ihre Fußmatten und die Rücksitze.

    Dann fuhr er mit dem Lift bis zur Etage, in der die Wohnung war.

    Er schlug laut die Fahrstuhltür zu, öffnete die danebenliegende Tür der Abstellkammer, in der sich Reinigungsgeräte und eine Aluminiumleiter befanden, warf sie ebenfalls vernehmlich zu – und öffnete sie sofort wieder einen Spalt weit.

    Dabei horchte er in den Gang hinaus.

    Jetzt hätte sich eigentlich etwas rühren müssen, wenn Gefahr im Anzug war. Meist postierten sie ihre Leute hinter den benachbarten Türen, und wenn sie über Funksprechgerät die Nachricht erhielten, dass er hochkam, würde das Schlagen der Tür ein Signal sein, mit der Waffe in der Hand herauszustürmen.

    Aber nichts geschah …

    Er wartete zehn Minuten ab …

    War wieder mal zu vorsichtig, dachte er und schob die Tür der Abstellkammer auf …

    Die Wohnung besaß einen Vorraum, der durch eine weitere Tür verschlossen war. Als er aufgeschlossen und die Klinke gedrückt hatte, sah er, dass im Zimmer dahinter Licht war … es flackerte bläulich und schien von einem Fernseher zu kommen. Werders erstarrte …

    Ein plötzlicher Schweißausbruch ließ ihn frösteln.

    Jetzt wieder die

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