Mord im Rosenpark: und fünf weitere authentische Kriminalfälle aus der DDR
Von Berndt Marmulla
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Über dieses E-Book
Samstag, 6. September 1986: Bei Familie Discher auf der Datsche am Rande Berlins
herrscht ausgelassene Stimmung, denn für den Nachmittag haben sich Freunde und
Nachbarn zu einer spätsommerlichen Grillparty angekündigt. Mutter Angelika bereitet
das Essen vor, Vater Horst und Sohn Maik werkeln am Haus. Als die beiden kurz vor
13 Uhr endlich den Hammer aus der Hand legen, schwingt sich Maik auf sein rotes
Klapprad, winkt seinen Eltern noch einmal zu und verspricht, pünktlich 16 Uhr, wenn
die ersten Gäste eintreffen werden, zurück zu sein. Doch als der Zehnjährige am Abend
noch immer nicht zum elterlichen Grundstück zurückgekehrt ist, beginnt eine verzweifelte Suche nach ihm, die tagelang anhalten soll. Wo ist Maik abgeblieben? Ist der Junge Opfer eines Verbrechens geworden? Berndt Marmulla rekonstruiert sechs aufsehenerregende Kriminalfälle, an deren
Aufdeckung er als Ermittler beteiligt war. Spannungsreich vergegenwärtigt er den
Tathergang, die Spurensuche und den Aufklärungsprozess – und erzählt lebhaft aus
dem Polizistenalltag in der DDR. Packend und aufwühlend!
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Buchvorschau
Mord im Rosenpark - Berndt Marmulla
Vorwort
Sehr geehrte, an tatsächlichen Kriminalfällen interessierte Leserinnen und Leser,
aufs Neue sind mir beim Stöbern in meinen Erinnerungen zahlreiche Erlebnisse vor meinem inneren Auge erschienen. Wie auch schon in meinen bisher veröffentlichten Büchern ist es eine Reise in die Vergangenheit – konkret in die 1970er und 1980er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Im täglichen Dienst waren Geschehnisse aus allen Bereichen des Strafgesetzbuchs der Gegenstand meiner Arbeit. Es galt, die Straftäter zu ermitteln und zu überführen. Fast täglich mussten Menschenschicksale beachtet werden, sei es aus der Sicht der betroffenen Personen beziehungsweise Opfer als auch aus der Sicht der Täter, die aus allen Bevölkerungsschichten kamen.
Oftmals ging es auch um tragische Ereignisse, die untersucht werden mussten, bei denen aber keine Täter zu ermitteln waren. Ich denke dabei besonders an Suizide und Unfälle mit tödlichem Ausgang. Das Ziel war es immer, das Geschehen aufzudecken und der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen.
Im vorliegenden Buch geht es im Wesentlichen um die Persönlichkeit der Täter.
Zum Teil um intelligente Personen, die durch die verschiedensten Umstände zum Straftäter beziehungsweise Verbrecher wurden. Allerdings: Niemand von diesen Tätern musste diesen Weg gehen. Sie hatten alle die Möglichkeit der Entscheidung.
Problematisch war die Entscheidungsmöglichkeit für den Kindermörder Rudi. Hier muss seine seelische Erkrankung berücksichtigt werden. Keine Entschuldigung, aber eine Erklärung!
Diese Art von Verbrechen wird nie aus der Gesellschaft verschwinden.
Wieder einmal stand mir der Journalist Rolf Kremming durch regelmäßigen Gedankenaustausch bei dem Zustandekommen dieses Buches hilfreich zur Seite. Dafür danke ich ihm herzlich.
Ebenso herzlich danke ich Frau Martina Wensierski, die als Mitarbeiterin der Berliner Sparkasse mit ihrem Fachwissen aus der damaligen Zeit zum Gelingen des Buches beigetragen hat.
Mein Dank gilt auch postum zwei in einigen meiner Bücher namentlich genannten ehemaligen Kollegen, die leider in den Jahren 2020 und 2021 verstorben sind: Oberleutnant a. D. Holger Niemitz, Mitarbeiter im Dezernat X, und Oberleutnant a. D. Rainer Ruppel, Kriminalist der Volkspolizei-Inspektion Pankow.
Dem Verlag Bild und Heimat danke ich für das entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung bei der Entstehung dieses Buches.
Berndt Marmulla, Kriminaloberrat a. D.
Berlin, im Frühjahr 2021
Quer durch die DDR – ein Serieneinbrecher und Dieb auf der Flucht
Berlin-Treptow, März 1988, ein Uhr nachts
Es war eine Nacht für Liebespaare. Warm, windstill und fast dunkel. Selbst der Mond hatte aus Rücksicht nur sein halbes Licht eingeschaltet. Maike und Rudolf nutzten die Zeit, um sich näherzukommen. Kennengelernt hatten sie sich vor drei Stunden im Berliner Tanzlokal Clärchens Ballhaus. Nach ein paar Tänzen und einer Flasche Wein wollten sie mehr voneinander, ohne die vielen Menschen um sich herum. Die Parkbank war hart und ungemütlich; doch wen stören solche Kleinigkeiten, wenn man frisch verliebt ist. Rudolf flüsterte seiner Maike süße Worte ins Ohr, Maike schnurrte wie eine zufriedene Katze. Kein Wunder also, dass keiner von beiden den Schatten bemerkte, der sich hinter ihnen vorbeischlich und im Dunkel des Parks verschwand. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Nachdem der schwarz gekleidete Fremde vorbeigehuscht war, glaubte dieser sich in Sicherheit. Der Schreck traf ihn deshalb umso heftiger, als er zwischen den Bäumen einen Polizisten erblickte. Der Fremde versteckte sich hinter einer Kastanie und wagte kaum noch, zu atmen. Verdammte Scheiße, dachte er. Beinahe wäre ich ihm in die Arme gelaufen. Wenn der Polizist ihn mitten in der Nacht mit einem Rucksack voller Einbruchswerkzeuge erwischt hätte, wäre das nicht nur das Ende seines Vorhabens gewesen, sondern hätte ihn auch gleich in den Knast gebracht. Ich muss in Zukunft vorsichtiger sein, ermahnte er sich selbst. Der Streifenpolizist lief ahnungslos weiter, blieb nur noch einmal kurz stehen, um sich einen Schnürsenkel zuzubinden.
Dreimal tief durchgeatmet – und die Angst verschwand. Das hatte ihm vor ein paar Jahren ein Mithäftling in Dresden beigebracht. Und meist funktionierte es. Dann machte sich der »Ex-Knacki« auf den Weg zu dem zweistöckigen Gebäude hinter dem Park. Obwohl er nicht besonders an Geschichte interessiert war, hatte er durch Zufall erfahren, dass sich in der Villa aus den 1920er Jahren jetzt eine Zweigstelle der Staatlichen Versicherung der DDR befand. Sie war der einzige Versicherer für Privatkunden, zuständig für Hausrat-, Kfz-, Lebens- und Unfallversicherungen. Auch das hatte ihm ein ehemaliger Knastkumpel verraten.
Das Gebäude war nicht beleuchtet, nur schemenhaft waren die Umrisse im Schein der Laternen zu erkennen. Gute Voraussetzungen für sein Vorhaben. In den vergangenen zwei Wochen war er dreimal hier gewesen und hatte die Bedingungen ausgespäht. Einmal tagsüber und zweimal in der Nacht zwischen ein und zwei Uhr. Heute wollte er zur Tat schreiten. Trotz des Polizisten im Park. Bei seinen früheren Beobachtungen hatte er die Streife auch schon einmal gesehen. Allerdings außerhalb des Parks und nicht in der Nähe der Villa. Trotzdem beschloss er, besonders vorsichtig zu sein.
Langsam überquerte er die Straße und näherte sich dem Haus. Er wusste, wie er ohne Schwierigkeiten auf das Anwesen der Villa gelangen konnte. Schon stand er an der Rückseite des Gebäudes. Der niedrige Metallzaun war keine Hürde gewesen. Es hatte nur Sekunden gedauert, bis er auf dem Grundstück war. Ein paar Schritte, dann vier Stufen hoch, und schon war er an der Tür. Er griff in den Rucksack, und mit einem Glasschneider schnitt er in Höhe des Türschlosses ein Loch in die Glastür. Vorsichtig entfernte er das herausgetrennte Glasstück und griff durch das Loch hindurch. Erfreut stellte er fest, dass im Türschloss von innen der Schlüssel steckte. Wie aufmerksam die Menschen doch sind, grinste er vor sich hin. Ein Dreh, und mit einem leisen Schnapp öffnete sich die Tür.
Bis in den ersten Büroraum waren es nur wenige Schritte. Im Strahl seiner Taschenlampe überprüfte er oberflächlich das Zimmer nach einem Safe, nach Schränken und Kassetten. Ohne Ergebnis. Er suchte ausschließlich nach Bargeld. Andere Dinge, wie etwa technische Geräte, interessierten ihn nicht – zu schwer, zu viel Verkaufsaufwand und unnötige Mitwisser.
Vorsichtig tappte er über den Flur zum nächsten Zimmer. Hier fand er, was er suchte: einen Stahlblechschrank, und in einem Schreibtisch entdeckte er zwei verschlossene Stahlblechkassetten. Mit Schraubendreher, Meißel, Stemmeisen und Bohrmaschine öffnete er die Kassetten. Aus Erfahrung klug geworden, arbeitete er nur mit Handschuhen. Denn schon einmal hatten ihn seine Fingerabdrücke hinter Gitter gebracht.
Alles geschah lautlos. Denn neben seinem Einbruchswerkzeug hatte er auch mehrere Handtücher dabei, die er über die Stahlbehältnisse legte, um Lärm zu vermeiden. Solche Unachtsamkeit wäre ihm einmal fast zum Verhängnis geworden. Bei einem Einbruch vor zwei Jahren in ein Dresdner Architekturbüro wäre er um Haaresbreite von einer Funkwagenstreife entdeckt worden. Er hatte zu viel Lärm gemacht. Aber es war noch einmal gutgegangen. Obwohl er nicht an Gott glaubte, hatte er damals den Blick erhoben und danke gesagt. Mit den Jahren war er dann immer professioneller geworden.
Er wusste selbst nicht mehr, wie viele Einbrüche er in den letzten drei Jahren begangen hatte. In Berlin war es erst der zweite. Durch Zufall hatte er bei einem Gespräch in einer Kneipe gehört, dass bei der Staatlichen Versicherung immer Bargeld aufbewahrt wurde, und das brachte ihn auf die Idee, in ein Versicherungsbüro einzubrechen. Und es war ein guter Einfall, der sich gelohnt hatte: 11.000 Mark beim ersten Bruch, und heute war er ebenfalls zufrieden, als er die Hunderter und Fünfziger sah. Geschätzte 15.000 Mark waren das. Er stopfte das Geld in den Rucksack und verschwand. Gut gelaunt verließ er den Tatort. Sogar die Tür zog er hinter sich zu. Schließlich war er ein ordentlicher Mensch.
Als er auf die Straße trat, knatterte ein Trabi mit kaputtem Auspuff vorbei. Im Park wurde laut gestritten. Eine Schutzpolizeistreife hatte Ärger mit mehreren betrunkenen Männern. Besser konnte es für ihn nicht laufen. Kein Mensch beachtete ihn. Am anderen Ende des Parks hatte er sein Fahrrad in einem Gebüsch versteckt. Unverschlossen. Auch das gehörte zu seinen Vorsichtsmaßnahmen. Falls er hätte fliehen müssen, hätte ihm das Aufschließen des Schlosses nur unnötig Zeit gekostet. Er schwang sich auf den Fahrradsattel und radelte los in Richtung Weißensee-Heinersdorf, wo er seinen Unterschlupf hatte.
Berlin-Heinersdorf
Gegen 3.50 Uhr traf er in seiner Bleibe ein. Ein kleines Einfamilienhaus in der Straße Am Wasserturm. Hier bewohnte er bei Renate S. ein möbliertes Zimmer. Die Sechzigjährige war eine ehemalige Arbeitskollegin seiner Mutter aus Radebeul und half ihrer Bekannten gern. Denn sie dachte, deren Sohn David wäre oft auf Montage quer durch die DDR und bräuchte ab und zu eine Unterkunft in Berlin. Seit Anfang 1988 benutzte der Einbrecher die Legende als herumreisender Monteur, und bis jetzt war auch alles gutgegangen. Seine Mutter in Radebeul ahnte nicht, dass sich David seit 1985 auf der Flucht vor der Polizei befand.
In seinem Zimmer angekommen, kippte er den Inhalt des