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Die Cranach-Verschwörung: Katinka Palfys 15. Fall
Die Cranach-Verschwörung: Katinka Palfys 15. Fall
Die Cranach-Verschwörung: Katinka Palfys 15. Fall
eBook315 Seiten4 Stunden

Die Cranach-Verschwörung: Katinka Palfys 15. Fall

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Über dieses E-Book

In Kronach, der Cranach-Stadt, soll in Kürze ein wiederentdecktes Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren enthüllt werden. Wenige Tage zuvor stürzt die Studentin Lara in einem Bamberger Hochhaus durch einen Müllschacht, den es längst nicht mehr geben dürfte. Die Spur führt Privatdetektivin Katinka Palfy zu einer Galeristin, einem exaltierten Maler und deren glamourhaften Entourage, die sich tief in ein Netz aus Lügen und Realitätsverlust verstricken …
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum9. Feb. 2022
ISBN9783839272060
Die Cranach-Verschwörung: Katinka Palfys 15. Fall

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    Buchvorschau

    Die Cranach-Verschwörung - Friederike Schmöe

    Zum Buch

    Vergiss, was du sahst! Als die Studentin Lara durch einen Müllschacht stürzt und stirbt, geht die Bamberger Polizei von einem Unfall aus. Doch kurz darauf erhält Privatdetektivin Katinka Palfy einen anonymen Umschlag. In diesem befinden sich 10.000 Euro und der Auftrag, im Umkreis der Galeristin Nicola von Gleewitz wegen Betrugs zu ermitteln. Katinka stößt in ein Konstrukt aus Geld und Lügen vor, in dem es weniger um Kunst, als um einen legendenhaften Selbstentwurf geht, mit dem sich exaltierte Künstler und ihr Gefolge schmücken. Schnell erkennt sie: Weder die Galeristin noch der von ihr bemutterte Maler sind das, was sie in der Öffentlichkeit vorgeben zu sein. Doch was haben die Ereignisse mit der geplanten Enthüllung eines angeblich wiederentdeckten Gemäldes von Lucas Cranach dem Älteren zu tun, dessen 550. Geburtstag im nahe gelegenen Kronach gefeiert wird? Katinkas Ermittlungen in einer exzentrischen Welt voller Selbstüberschätzung und Realitätsverlust bringen sie bald selbst in tödliche Gefahr.

    Geboren und aufgewachsen in Coburg, wurde Friederike Schmöe früh zur Büchernärrin – eine Leidenschaft, der die Universitätsdozentin heute beruflich nachgeht. In ihrer Schreibwerkstatt in der Weltkulturerbestadt Bamberg verfasst sie seit 2000 Kriminalromane und Kurzgeschichten, gibt Kreativitätskurse für Kinder und Erwachsene und veranstaltet Literaturevents, auf denen sie in Begleitung von Musikern aus ihren Werken liest. Ihr literarisches Universum umfasst unter anderem die Krimireihen um die Bamberger Privatdetektivin Katinka Palfy und die Münchner Ghostwriterin Kea Laverde.

    Impressum

    Alle genannten Personen, Gebäude sowie das Gemälde »Venus mit Amor und Schwalbe« sind reine Erfindungen. Manche Einrichtungen wie die Fränkische Galerie, diverse Ladengeschäfte und Hochhäuser gibt es in der Wirklichkeit, doch sie führen im Roman ein Eigenleben, das sie im wahren Leben nicht haben. Polizeiliche Verfahren habe ich zugunsten der Dramaturgie an einigen Stellen modifiziert.

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    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Andreas Rauh / shutterstock

    ISBN 978-3-8392-7206-0

    Vorbemerkung

    »Es gibt kein Muss in der Kunst, denn die Kunst ist frei.« 

    – Wassily Kandinsky

    AN EINEM ABEND,

    BEVOR ALLES BEGANN

    Kapitel 1

    »Du solltest ihm den Raum nicht zeigen.« Ihre Stimme hatte diesen scharfen Beiklang.

    Er lachte. Laut und lässig, mit einer Spur Sorglosigkeit. Sein Lachen hallte hohl in dem noch leeren Saal.

    »Unsinn. Er ist nicht gefährlich. Er ist ein Freund!«

    »Ich halte es für keine gute Idee.«

    Es wurde windig und kühl, bald würden die ersten Gäste hereinkommen, um das Fest am knisternden Kaminfeuer fortzusetzen. Gläser klirrten, die Fetzen von Gelächter drangen zu ihnen herauf. Am oberen Ende des Gartens wiegten sich die Birken im Wind. Die hellgrünen Blätter würden in ein, zwei Wochen einen satteren Ton annehmen, Smaragdgrün, eine Farbe, die er liebte.

    »Wir werden ihn noch brauchen«, sagte er leichthin, während er sein Champagnerglas betrachtete, als habe er nie zuvor eines gesehen. Der Joint in seiner anderen Hand glomm, er hielt ihn ihr hin. »Willst du?«

    »Nein. Wir brauchen ihn nicht. Hör zu: Mach das nicht. Die Leute müssen nicht alles wissen.«

    »Er ist doch nicht ›die Leute‹!«

    »Nur wir beide sind eingeweiht. Und Gerd.«

    »Und Lara.« Er nahm einen Zug.

    »Das lässt sich ja wohl schlecht vermeiden.« Sie machte eine unwirsche Handbewegung. »Wo ist das Mäuschen überhaupt?«

    Er hob die Schultern. Champagner schwappte über Daumen und Zeigefinger. Lara hatte ihre eigenen Probleme. Wenn ihr Gesicht ihn nicht dermaßen inspiriert hätte! Ganz bestimmt hätte er sie nach zwei Sitzungen zum Teufel gejagt. Ihre Misshelligkeiten langweilten ihn. Nur nicht, wenn sie arbeiteten. Intensiv arbeiteten. Dann ging er ab. »Irgendwo da draußen?«

    »Im Partyfieber? Dazu ist sie viel zu schüchtern.« Sie schüttelte den Kopf, steckte eine lose Haarsträhne fest. »Bestimmt ist sie längst nach Hause gefahren. Ich verstehe dich nicht. Warum so eine Unvorsichtigkeit wagen?«

    Ihre Ängstlichkeit ging ihm auf den Wecker. Er exte das Glas und stellte es auf das Fenstersims. Nahm einen tiefen Zug von seinem Joint, spürte einen zarten Schwindel durch seinen Kopf schwirren. Sie folgte ihm mit klappernden Absätzen, als er ins Treppenhaus hinausging. Es wurde Zeit.

    »Da kommt er.« Er reichte ihr den Joint. Sie griff nun doch danach, ein Reflex nur, er wusste, sie würde keinen Zug nehmen. Von unten klangen die Schritte eines Menschen herauf, der Energie und Selbstsicherheit ausstrahlte. Einer, der ihm die nötige Anerkennung vor einem großen Kreis an Menschen sichern würde. Wenn er denn mal dazu käme, wieder für sich selbst zu arbeiten. Für sein eigenes Verständnis. Für sein Renommee. Was er gerade tat, sicherte ihm sein Auskommen, dafür war er dankbar, und es erwies sich nur als folgerichtig, in diesem Hamsterrad weiterzulaufen, bis er genug auf die Seite gelegt hatte. Das war bald so weit. Sehr bald. Anschließend würde ihm der Mann in dem Designeranzug in Indigoblau, der Stufe um Stufe federnd nahm, von Nutzen sein können.

    Seine Gesprächspartnerin schlüpfte durch die nächstbeste Tür und schloss sie lautlos hinter sich.

    Er rieb sich die Hände. Freie Bahn.

    FREITAG

    Kapitel 2

    Sie hatten die Zufahrt zum Hochhaus gesperrt. Blaulicht flackerte. Die Uniformierten sicherten die Zugänge mit Flatterband. Zwei Vans der KTU fuhren vor. Türen schlugen, Ausrüstung wurde geschleppt, kurze Begrüßungen ausgetauscht. Es regnete leicht. Hauptkommissar Harduin Uttenreuther sah kurz in den grauen Himmel. Von wegen, dass das wieder ein Trockenjahr wird, dachte er, als wollte er vor dem, was ihm bevorstand, noch einmal einen Gedanken fassen, der sich mit Allerweltsdingen beschäftigte. Obwohl die enormen Niederschlagsmengen seit Wochen seiner Meinung nach nicht normal waren. Jedenfalls ist es behaglicher, über das Wetter zu klagen, als eine Leiche zu inspizieren, dachte er. Er hätte gern stundenlang hier gestanden und sich wie ein Rindvieh von den sanften Regentropfen benetzen lassen.

    Hardo blickte an dem Gebäude hinauf, vor dem sich das ganze Theater entfaltete. In Bamberg wurde manchmal gelästert, dass die Stadt nur vier Hochhäuser hatte. Hier, in der Siemensstraße, am Stadtrand. Vor einem von ihnen machte er sich jetzt mit einem Großaufgebot an Einsatzkräften an die Arbeit. Der Verkehr vom Berliner Ring hallte zu ihnen herüber. Freitägliches Feierabendchaos.

    »Gehen wir, Chef?« Polizeiobermeisterin Sabine Kerschensteiner tauchte neben ihm auf.

    Sie will es schnell hinter sich bringen, dachte Hardo, während er durch die Haustür trat. Ein uniformierter Kollege grüßte ihn.

    »Dütsch, Sie habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen!«

    »Stimmt, Chef. Lehrgang. Und Elternzeit«, grinste Urban Dütsch.

    »Vater geworden?«

    »Von Zwillingen.«

    »Glückwunsch, Dütsch.«

    Der Polizist lief rot an vor Freude, eine Farbe, die sich mit dem Rot seines Haarschopfes, der unter der Mütze hervorquoll, unangenehm biss.

    »Haben Sie den Tatort gesehen?«

    »Zum Glück nicht, Chef. Einer der Kollegen, die da unten waren, hat es nicht mal mehr an die frische Luft geschafft, bevor er seinen Mageninhalt … Sie wissen schon.«

    »Na, Prost Mahlzeit«, murmelte Hardo. Er folgte der Kerschensteinerin eine schmale Treppe hinunter ins Untergeschoss.

    »Hier befindet sich der Müllraum«, erläuterte die junge Polizistin. »Dort liegt sie. Es schwimmt alles.«

    Schweigend legten sie die wenigen Meter zurück bis zu der Stelle, wo die Polizei bereits mit Flatterband abgesperrt hatte, die Spurensicherung ihre Ausrüstung auspackte und ein Kollege fotografierte. Stefan Kühn. Ein geschätzter Mitarbeiter. Er war weiß um die Nase.

    Das Bild, das sich im Müllraum bot, war verheerend. Eine junge Frau lag in einer riesigen Blutlache. Das blonde Haar war wie ein Kranz um ihren Kopf ausgebreitet und färbte sich von all dem Blut sekündlich dunkler. Hardo ging in die Hocke. Die Augen der Frau waren halb geschlossen. Das wachsweiße Gesicht zeigte Anstrengung und Schrecken und, so fand Hardo, Resignation. Die Beine hatte sie halb an den Körper gezogen. Am rechten fehlte der Fuß.

    »Um Gottes willen«, murmelte er.

    »Sie muss durch den Müllschacht gestürzt sein«, sagte Stefan Kühn leise. Der etwa 30-jährige Kollege war ein Schrank von einem Mann mit stoppelkurzem blonden Haar. Äußerlich wirkte er wie einer, an dem alles abprallte. Aber dies nicht. »Schlank genug ist sie.«

    »Der Schuh am linken Fuß …«

    »Ja, das ist merkwürdig. Die Ferse ist runtergetreten, die Schnürsenkel hängen offen.«

    »Wo ist der zweite?«

    »Es gibt keinen zweiten Schuh, Chef«, erwiderte Sabine Kerschensteiner. »Jedenfalls nicht neben der Leiche. Es gibt auch keinen zweiten Fuß.«

    Hardo schluckte. »Solche Müllabwurfanlagen sind längst verboten. Die dürfen nicht mehr betrieben werden, in den meisten Häusern wurden sie zurückgebaut.«

    »Die Einwurföffnungen auf den einzelnen Stockwerken sind versiegelt. Nur im obersten Stock hat man das offenbar nicht gemacht. Vergessen. Auf später verschoben. Vielleicht fehlte das Material. Und dann hat niemand mehr dran gedacht.«

    Mittlerweile hatten die Spurenleute ihre Hochleistungsscheinwerfer aufgebaut. Das Blut trocknete bereits ein. Die Blässe des Opfers wirkte gespenstisch im grellen Licht.

    »Überall Blutschlieren.« Kühn zeigte auf den Boden. »Stammen die von ihr selbst?«

    Letztlich konnte er sich die Antwort selbst geben, aber er wollte die Kollegen am Ball halten. Ihre Aufmerksamkeit nicht verlieren, nicht zulassen, dass sie in dem Horror hier unten versackten.

    »Am wahrscheinlichsten ist«, Kühn räusperte sich, »dass sie mit dem Fuß in den Häcksler geraten ist. Der hat ihr den Fuß abgetrennt. Anschließend fiel sie aus der Öffnung hier.« Er zeigte auf den Durchlass knapp über ihnen.

    »Wer ist sie?«

    »Sie heißt Lara Gentsch und wohnt im obersten Stock«, sagte die Kerschensteinerin. »Ist 22 und studiert BWL.«

    »Sie hat ein Madonnengesicht«, warf Kühn ein. »Finden Sie nicht? Lang, zart, schmale Nase …«

    Hardo betrachtete das Antlitz der Toten. Ein schönes junges Mädchen. Schön sogar im Tod.

    »Habt ihr jemanden nach oben geschickt?«, fragte er. »Um rauszufinden, ob es dort Fingerabdrücke an der Einwurföffnung gibt? Oder andere Spuren?«

    »Der Fleischmann Lutz kümmert sich«, sagte Kühn.

    »Kann eine junge Frau durch die Klappe eines Müllschachts stürzen?« Hardo war bewusst, dass er mehr zu sich als zu den anderen sprach. »Die Dinger sind dermaßen eng …«

    »Es könnte funktionieren. Ich habe mir den Zugang angesehen. Sie ist schlank, war sicher gelenkig.«

    »Aber sie müsste es willentlich getan haben«, wandte Hardo ein. »Wer tut so was?«

    »Suizid?«, fragte Kühn.

    »Das wäre eine ziemlich grausige Methode«, widersprach Sabine Kerschensteiner.

    »Veranlasst ein Screening. Wir müssen wissen, ob sie Drogen oder Alkohol konsumiert hat.« Hardo stemmte sich hoch und ging ein paar Schritte. Das Maul des Häckslers war blutverschmiert. »Ich fürchte«, sagte er zu Kühn gewandt, »wir müssen die ganze Konstruktion auseinandernehmen. Allein schon, um den zweiten Fuß zu finden.«

    Kapitel 3

    Sie standen draußen vor dem Haus. Allmählich wurde es dunkler. An diesem verregneten Abend früher als sonst im Frühling. Es nieselte leicht. Kein richtiger Regen, befand Hardo. Einer, der nervte. Die Stimmung drückte. Depressiv machte.

    Aus den Streifenwagen drangen die Geräusche des Polizeifunks. Ein paar verhaltene Gespräche unter den Kollegen, die die Absperrungen sicherten, waren zu hören. Immer noch flackerte Blaulicht. Hardo ahnte die Anwesenheit vieler Neugieriger, die von ihren Balkonen zu ihnen herunterstarrten. Realityshow statt Freitagabendfernsehen.

    Stefan Kühn kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche.

    »So was habe ich noch nie gesehen.«

    »Hm«, brummte Hardo.

    »Der Pathologe sagt, sie hat den Sturz überlebt. Ist mit den Füßen zuerst runter. Unten ist ein Fuß in dem Häcksler hängen geblieben und von der Maschine abgerissen worden. Sie selbst hat sich aus dem Schacht befreit, hat geblutet wie ein Schwein. Entschuldigung, Chef.«

    »Und ist schließlich verblutet.«

    »Ja, wahrscheinlich ziemlich schnell.« Kühn saugte gierig an seiner Zigarette. »Meine Güte! Wenn die Zeugin früher da unten rumgelaufen wäre, hätte … ach, egal. Das ist es ja. Es ist dann immer egal. Am Ende. Weil ja schon alles passiert ist. Sie muss da unten noch ein paar Minuten lang rumgekrochen sein, hat vielleicht um Hilfe gerufen. Deshalb die Schlieren auf den Fliesen.«

    Hardo roch den Zigarettenrauch. Etwas wiederkehrend Normales in dem ganzen Wahnsinn, den der Polizeialltag für ihn mitunter bedeutete. Meistens nichts als Routine, Akten, Besprechungen, Protokolle. Aber mitunter auch dies hier: Verzweiflung, Selbstanklage. Weshalb?, dachte er genervt. Ich habe sie nicht da runtergestürzt.

    »Unfall, Suizid, Mord. Kühn! Wir brauchen Antworten, und zwar schnell. Werten Sie die Fotos aus und bündeln Sie die Aussagen aus den Wohnungen. Vor allem die von den Zeugen aus dem obersten Stock. Wenn jemand sie in den Müllschlucker gezwungen hat …«

    »Dagegen spricht, dass sie mit den Füßen zuerst runtergerutscht ist.«

    »Nicht unbedingt. Der Täter kann sie sediert haben. Warum trug sie den Schuh so lose?«

    »Jemand, der es sich zu Hause in der Wohnung gemütlich macht, schlüpft halt nur halbherzig in seine Schuhe.«

    »Oder trägt Hausschuhe.« Hardo atmete tief durch. »Haben wir schon die Resultate der Wohnungsdurchsuchung?«

    »Ich kümmere mich.« Entschlossen schleuderte Kühn seine Kippe weg und ging davon.

    Hardo sah ihm nach, wie er in einen Wagen stieg, den Motor startete und wegfuhr. Die Verkehrsgeräusche vom Berliner Ring waren leiser geworden. Halb neun. Er hatte heute bald zu Hause sein wollen.

    Sabine Kerschensteiner kam zu ihm. »Chef? Sollen wir jetzt mit der Zeugin reden?«

    »Also los.« Er hatte in seinem gesamten Berufsleben gut daran getan, forsch auf das zuzugehen, was sich sowieso nicht vermeiden ließ. Sabine Kerschen­steiner folgte ihm.

    »Name?«

    »Die Zeugin heißt Elvira Kolopkina. Wohnt hier seit über 30 Jahren, betonte gleich selbst, dass sie das halbe Haus kennt, trotz Fluktuation.«

    »Wie alt?«

    »74.«

    Der Fahrstuhl brachte sie in die erste Etage.

    Als sie in den Flur traten, lehnten neugierige Bewohner in ihren halbgeöffneten Wohnungstüren. Hardo folgte Sabine Kerschensteiner zu einer Wohnungstür, die einen Spalt offen stand und an die jemand ein Plakat mit Werbung für ein Trompetenkonzert in der Gau­stadter Kirche geklebt hatte. Er blickte auf das Datum. Schließlich auf seine Uhr. Das Konzert hatte vor zwei Stunden begonnen. Sie klopften und traten ein. Die Diele lag im Dunkeln.

    »Hallo?«, rief Hardo.

    »Hier, in der Küche.« Eine weibliche Stimme.

    Hardo machte ein paar Schritte. Schon stand er in der Küche. Er, der sich an ein Leben in einem großzügigen Altbau gewöhnt hatte, bekam Beklemmungen.

    »Frau Kolopkina«, sagte Sabine zu der Frau, die an einem winzigen Küchentisch saß. Ein Sanitäter packte gerade seine Gerätschaften ein. »Das ist Hauptkommissar Harduin Uttenreuther von der Bamberger Mordkommission. Er leitet die Ermittlung. Ich hatte Ihnen ja schon gesagt …«

    »Jaja, geht klar«, knurrte Elvira Kolopkina. Sie rollte das ›r‹ noch ausgiebiger als Hardos urfränkische Kollegen.

    »Ist sie in Ordnung?«, fragte Hardo den Sanitäter halblaut.

    »Sie steht unter Schock. Im Moment ist sie funktionsfähig, wenn Sie so wollen. Der Horror schlägt ja immer später zu. Sie hat ihre Tochter angerufen, die ist auf dem Weg.« Der Mann griff nach seinem Medikoffer und ging.

    »Uttenreuther mein Name. Dies ist meine Kollegin, Sabine Kerschensteiner.« Hardo setzte sich unaufgefordert zu der Frau an den Küchentisch.

    »Die Dame habe ich bereits kennengelernt.« Die Kolopkina setzte eine selbstbewusste Miene auf.

    »Gut. Bitte schildern Sie, was Sie da unten im Müllraum gesehen haben.«

    »Wahrscheinlich wollen Sie alles haarklein wissen, wie? Also, ich bin hier so was wie die inoffizielle Hausmeisterin. Da unten, beim Müllraum, da sind auch noch die Trockenräume. Manchmal wird da geraucht. Sie wissen schon.« Sie schnupperte demonstrativ. »Und deshalb drehe ich da unten ab und zu eine Runde. Nur, dass es nicht ausartet. Verhindern kann man ja leider nicht, dass die Leute machen, was sie wollen. Wie gesagt, die rauchen wie die Schlote.«

    »Hasch?«

    »Was weiß ich, was die so konsumieren. Als ich damals eingezogen bin, lebten anständige Leute im Haus. Wer hier wohnte, der hatte eine ehrliche Arbeit. Hat sich halt nichts Schickeres leisten können. Aber jetzt …« Sie machte eine wegwerfende Bewegung. »Wird ja immer schwieriger, mit dem Lohn auszukommen. Manche machen zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. Junge Dame, könnten Sie vielleicht Tee aufsetzen? Ich glaube, ich schaffe das nicht. Bin ein bisschen wacklig auf den Beinen.«

    Sabine machte sich am Wasserkocher zu schaffen.

    »Diese Müllabwurfanlagen sind in Bayern seit Jahren nicht mehr zugelassen. In allen Etagen außer der zwölften sind die Einwurföffnungen versiegelt. Warum wurde ein Stockwerk vergessen?«

    »Ich weiß es nicht.«

    »Und der Müllraum? Warum hat niemand diesen Häcksler wenigstens vom Stromnetz genommen?«

    Die Kolopkina zuckte die Schultern. »Bei meiner Seele, Herr Kommissar, ich habe keine Ahnung. Wie gesagt, der Müllraum dient nur noch den Leuten, die was rauchen. Oder … Sie wissen schon.«

    »Wann gingen Sie ins Untergeschoss?«, fragte Hardo.

    »Kurz nach sieben. Ich gehe nicht später. Ab acht igle ich mich ein. Und dann spazierte ich da unten entlang, stellen Sie sich vor, und sah Blut unter der Müllraumtür durchsickern. Ich dachte, jetzt schlägt’s dreizehn.Und so ein komischer Geruch da drin! Also habe ich die Tür aufgerissen, auf den Lichtschalter geschlagen. Das mit dem Licht dauert, bis die alten Röhren sich einschalten. Da lag sie. Mein Gott!«

    Das Wasser kochte.

    »Ich sah das Blut. Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Ich habe gleich gesehen: Das ist die Lara! Die ist nett, ein wirklich wohlerzogenes Mädchen, grüßt immer, ist freundlich, also … du lieber Jesus, wie konnte das passieren.«

    Sabine goss Tee auf und stellte die Kanne auf den Tisch.

    »Lara wohnte allein?«

    »Ja, die studiert.« Die Kolopkina weigerte sich anscheinend, über das Opfer in der Vergangenheitsform zu sprechen. »Ein ganz feiner Charakter. Immer fröhlich. Und so hübsch!«

    »Hatte sie einen Freund?«

    »Nein, das glaube ich nicht. Die bekam nie Besuch. Jedenfalls habe ich nichts davon mitbekommen.«

    »Lara wohnte im zwölften Stock, Sie sind hier unten – da können Sie nicht alles beobachtet haben.«

    Die Frau lachte schelmisch. »Wenn Sie mir nicht glauben, schlage ich vor, gehen Sie mal auf meinen Balkon. Dort sitze ich sogar im Winter. Mit Heizpilz. An mir müssen alle vorbei, die Eingangstür ist ja nur ein paar Meter weg. Mir entgeht nichts.«

    »Gibt es noch andere Eingänge?«

    »Natürlich. Muss es geben wegen Feuerschutz und so. Aber wer vom Ring kommt, der parkt da vorne an der Straße«, sie wies in eine Richtung wie ein Feldherr, der das Kommando zur Schlacht gibt. »Also müssen im Prinzip alle von vorne kommen, auch wenn sie hinten reingehen.«

    »Das schauen wir uns später an, Chef«, sagte Sabine, während sie nach Tassen suchte und schließlich drei Stück auf den Tisch stellte.

    »Wollten Sie eigentlich zu dem Konzert in der Gau­stadter Kirche? Sie haben ein Plakat an der Wohnungstür hängen.«

    »Ach, das. Das hänge ich nur auf, um einer Freundin einen Gefallen zu tun, die da im Chor singt, wissen Sie. Schenken Sie mir gleich ein, junge Frau, bitte.« Die Kolopkina wies auf ihre Tasse. »Ich brauche einen ordentlichen Schluck Tee. Also, das wird mir ewig nachgehen. Sie hatte nur noch einen Fuß! Mein

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