Kommissar Platow, Band 15: Letzter Halt Frankfurt-Süd: Kriminalroman
Von Martin Olden
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Über dieses E-Book
Heroin. Die Königin der Drogen. Teenager wie Marion Reichert waren ihr hörig. Das Mädchen verschwand im Mai `78 von Frankfurts Straßen. Niemand im Kommissariat glaubte an ein Verbrechen. Außer mir. Ich verfolgte Marions Spuren und legte mich mit gewissenlosen Dealern an. Währenddessen fiel im fernen London eine Entscheidung, die mein Leben für immer veränderte ...
Bereits erschienen: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil" und Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg"
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Rezensionen für Kommissar Platow, Band 15
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Kommissar Platow, Band 15 - Martin Olden
26
1
Freitag, 25. September 1998
Köpfe säumten die Landstraße. Sie reihten sich aneinander wie die Kreuze auf dem Schädelberg Golgatha. Ihr Anblick widerte mich an. Denn unter ihnen gab es keinen neuen Messias, auch wenn sich die Politiker dafür hielten, deren Gesichter auf den Wahlplakaten am Randstreifen abgebildet waren. Während ich in meinem betagten Volvo Richtung Autobahn fuhr, rauschten die Werbe-Slogans der Parteien an mir vorbei. Weltklasse für Deutschland – Helmut Kohl. Deutschland braucht einen neuen Kanzler – Gerhard Schröder. Neue Mehrheiten nur mit uns – Joschka Fischer.
Ich dachte daran, wie wir den heutigen Spitzenkandidaten der Grünen im Mai `76 nach einer Demonstration von Meinhof-Sympathisanten verhaftet hatten. Fischer war verdächtigt worden, Molotowcocktails auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Nun trug der einstige Rädelsführer der Frankfurter „Putzgruppe" schicke Maßanzüge statt Motorradkluft. Ein bitteres Lachen entwich meiner Kehle. Im Innenspiegel betrachtete ich die schwarzbraune Hovawart-Hündin, die auf der Rückbank ein Mittagsschläfchen gehalten hatte. Sie hob den Kopf und schien zu sagen: Denk an Bob Dylan, Joe! The Times They Are a-Changin`!
„Nicht wirklich", sagte ich und lenkte den Wagen auf die A661. Der Motor des Schneewittchensargs schnurrte noch genauso sanft wie am allerersten Tag.
Oldie but Goldie – genau wie du, Chef!
Ich zwinkerte meiner Schutzhündin zu. „Danke für die Aufmunterung, du treue Seele."
Wir ließen die Frankfurter Stadtgrenze hinter uns und erreichten Offenbacher Gebiet. Mein Ziel war der Parkplatz Buchrain, seit eh und je ein bekannter Treffpunkt für Homosexuelle, die ein heimliches Abenteuer suchten. Das angrenzende Waldstück bot Deckung für ungestörte Liebesspiele, bevorzugt am späten Abend. Jetzt, um die Mittagszeit, waren die Parkbuchten verwaist. Ich stellte den Volvo ab und stieg aus. Ein kühler Herbstwind blies mir entgegen. Die Brise zerzauste meine grauen Haare, die an den Schläfen bereits weiß wurden. Bald würde ich aussehen wie ein Greis, obwohl ich erst Mitte fünfzig war. Noch blieben mir genügend gute Jahre, um Dinge zu klären, die ich lange vor mir hergeschoben hatte. Andererseits wusste man nie, wann das Schicksal zuschlug. Wehmütig dachte ich an meinen früheren Partner Mike Notto. Ich vermisste meinen besten Freund.
Mein Blick glitt über den Parkplatz. Wenig hatte sich verändert seit jenem grauenvollen Tag vor zwanzig Jahren, als …
Ein wütendes Kläffen holte mich in die Gegenwart zurück. Darf ich mir auch die Beine vertreten, Joe?!?
Ich öffnete die gläserne Heckklappe, damit die Hovawart-Lady herausspringen konnte.
„Hello, Sir!" Die freundliche Stimme eines Mannes wehte zu mir herüber. Er saß hinter einem kleinen Tisch, am Rande des Wäldchens. Vor ihm war eine Hinweistafel der Aidshilfe Offenbach aufgebaut. Der Streetworker mochte in meinem Alter sein. Halbglatze, Schnurrbart, Nickelbrille.
„Protect yourself!, rief er und wedelte mit einem Kondom. „Don`t give Aids a chance!
Offensichtlich hatte er das britische Nummernschild an meinem Auto gesehen und den logischen Schluss gezogen, ich sei Engländer. Mit einem Lächeln ging ich auf ihn zu. „Guten Tag, Sie können gerne Deutsch mit mir reden. Hab´s nicht verlernt."
„Man hört´s. Sind Sie aus Hessen?"
„Ja, geboren und aufgewachsen in Frankfurt. Aber ich lebe seit fast zwanzig Jahren in London."
An meiner Seite ertönte Gebell. Sag ihm, wen er vor sich hat! Detective Chief Inspector Platow von Scotland Yard!
„Ruhig, Abba. Ich streichelte ihren Kopf. „Gib nicht so an!
Der Mitarbeiter der Aidshilfe lachte. „Abba – hübscher Name für `nen Hund. Haben Sie ihn nach der Pop-Gruppe benannt oder nach dem aramäischen Wort für Vater?"
„Nach der Band. Alle meine Hündinnen hießen Abba."
Tradition verpflichtet, Yes Sir! Abba setzte sich neben mir in Positur wie ein Foto-Modell.
Mein Gesprächspartner zeigte auf den Schneewittchensarg. „Sie scheinen eine Schwäche für die Siebziger zu haben. Toller Oldtimer. Sowas gibt’s leider nicht mehr."
„Früher ist nicht alles schlecht gewesen, nickte ich. „Und heute nicht alles besser.
„Na ja, wenigstens wissen wir inzwischen, wovor wir uns schützen müssen. Erneut bot er mir ein Präservativ nebst Informationsheftchen an. „Nehmen Sie`s bitte! Dadurch können Sie Leben retten, nicht nur Ihr eigenes.
Ich schüttelte den Kopf. „Bin nicht zum Vergnügen hier."
Meine Augen ruhten auf einem Abfalleimer. Der Behälter stand noch an derselben Stelle wie damals. Bilder stiegen in mir auf. Erinnerungen an einen jungen Menschen. Verstümmelt. Vernichtet. Vergessen?
Nicht für mich! Niemals!
In Gedanken spulte ich den Film meines Lebens zurück …
2
Zwanzig Jahre früher – Donnerstag, 11. Mai 1978
Aus den Boxen des Schallplattenspielers rieselte How Deep Is Your Love von den Bee Gees. Der Teppichboden im Wohnzimmer war mit Kleidungsstücken übersät. Rock, Bluse, Büstenhalter, Strumpfhose, Slip. Der Türke Riza Bayrak saß auf dem Sofa, zündete sich ein Clubmaster-Zigarillo an und betrachtete die brünette Frau, die sich vor seinen Augen entblättert hatte.
„Güzel!, lobte der kräftige Mittzwanziger. Das Wort bedeutete „schön
in seiner Muttersprache. Bayraks Blick glitt vom mädchenhaften Gesicht der Nackten über die straffen Brüste bis zu ihren Armen. Die Einstichspuren waren kaum erkennbar. Für eine Süchtige hatte die Kleine einen ansehnlichen Körper. Noch.
„Seit wann du fixen?", fragte Bayrak.
Die Antwort kam zögerlich. „Drei Monate. Sie zitterte und schlang die Arme um ihren Leib. „Kann ich mich wieder anziehen?
Bayrak drehte den Kopf zu seinem drei Jahre jüngeren Bruder Dogan, der am Wohnzimmertisch hockte. Ein Fremder hätte die beiden leicht für Zwillinge halten können. Die gleichen pechschwarzen Haare, dieselben dünnen Oberlippenbärte und kantigen Kiefer. Sogar die Verschlagenheit in ihren Augen hatten sie gemeinsam.
Dogan war damit beschäftigt, eine Handvoll Plastik-Tütchen zu öffnen und das weiße Pulver darin mithilfe einer Küchenwaage abzuwiegen. Ein Dealer in Amsterdam hatte die Heroinportionen in die Unterwäsche der Frau eingenäht, sodass sie den Stoff von Zollkontrolleuren und Rauschgiftfahndern unbehelligt bis nach Frankfurt schmuggeln konnte. Das Apartment in der Dahlmannstraße im Stadtteil Bornheim, angemietet von einem deutschen Strohmann mit tadellosem Leumund, diente den Bayrak-Brüdern als Ort der Übergabe. Einer von vielen Schlupfwinkeln der gesuchten Mörder und Drogenhändler.
Dogan warf einen prüfenden Blick auf die Waagschale. Dann spreizte er alle fünf Finger der rechten Hand. Sein Bruder verstand das Signal. Riza Bayrak erhob sich vom Sofa und trat dicht an die Schmugglerin heran. „Wie dein Name?"
Sie schluckte. „Lore."
„Du Mädchen von Phil. Machen für ihn Ficki-Ficki", stellte Bayrak fest.
Lore nickte stumm.
„Phil gutes Mann. Er uns niemals bescheißen. Warum du?"
Die Prostituierte sah ihn verständnislos an. „Keinen Schimmer, wovon du redest." Sie straffte die Schultern. Die Geste wirkte nicht überzeugend.
Bayrak konnte ihre Angst riechen. Zufrieden strich er über seinen Schnurrbart.
„Fünf Gramm weg. Warum?"
„Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich hat der Typ in Holland zu wenig reingetan."
„Nein. Er nicht dumm. Aber du!"
„Hab euch nicht beklaut! Ehrlich!"
Die Bayrak-Brüder tauschten einen Blick. Dogan verließ den Platz am Tisch. Seine linke Hand tauchte in die Innentasche seines Cord-Sakkos. Der Stahl eines Springmessers blitzte im Licht der Deckenlampe auf.
Lores Stimme überschlug sich. „Stop! Hab nichts getan, ich schwör`s! Ihr müsst mir glauben!"
Riza Bayrak hielt den Zigarillo wie einen Speer zwischen Daumen und Zeigefinger und kam langsam auf sie zu.
„Was hast du vor? Nein!" Lore trat zwei Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen Dogan stieß, der den Fluchtweg versperrte. Von hinten legte er das Messer an ihre Kehle.
„Wenn du schreien, du tot!"
„Keine Angst!, beschwichtigte Riza. „Du nicht lügen, dann wir dir nichts tun, okay? Sagen, wo ist Stoff?
Lore presste die Lippen zusammen. Unaufhaltsam streckte Bayrak die glimmende Clubmaster-Spitze ihrem rechten Augen entgegen. Voller Genugtuung sah er, wie in Lores Pupillen die Panik aufflackerte. Die Nutte hielt sich für hart, aber das war sie nicht. Als die Glut nur noch wenige Zentimeter von ihrem Augapfel entfernt war, blinzelte Lore hektisch und begann zu wimmern. „Aufhören! Ich geb`s zu! Hab das Äitsch genommen. Weil ich`s dringend gebraucht hab, versteht ihr? Das Bisschen fällt doch gar nicht auf bei der Menge!"
„Hure!, zischte Dogan. „Bist du scheiße in Kopf?!? Fünf Gramm sind 4000 Mark bei Verkauf auf Straße!
Riza warf den Zigarillo in einen Aschenbecher auf dem Sofatisch. „Ja, Preis steigen, weil gutes Heroin werden weniger. Vieles Händler, vieles Kampf um Stoff. Du verstehen unser Problem?"
„Klar doch, beeilte sich Lore zu sagen. „Tut mir auch wahnsinnig leid, echt. Kommt nie wieder vor. Ehrenwort! Zahl euch die Kohle zurück, versprochen! Werd für euch anschaffen – rund um die Uhr! Und euch beiden mach ich`s umsonst!
„Güzel. Auf ein Fingerschnippen von Riza nahm Dogan die Klinge vom Hals des Strichmädchens. „Ziehen dich wieder an, los!
Lore ließ sich nicht zweimal bitten. Während sie ihre Kleider überstreifte, öffnete Riza Bayrak einen Aktenkoffer. Darin lagen gebündelte Hundert-Mark-Scheine sowie eine aufgezogene Spritze, die er Lore reichte.
„Belohnung für Ehrlichkeit."
Gierig griff sie nach dem Gift und jagte es sich ohne zu zögern in die Armvene.
Wenig später wand sich die junge Frau in Krämpfen auf dem Boden. Der Atem ging stoßweise, das Gesicht verfärbte sich blau. Ihr Stöhnen und Winseln wurde vom Gesang der Bee Gees übertönt. Night Fever, Night Fever, we know how to do it …
Der Disco-Sound untermalte Lores spasmische Zuckungen, worüber sich Riza Bayrak amüsierte. Er hatte der Diebin minderwertiges Dope gegeben – in einer tödlichen Dosierung. Der perfekte Mord. Wenn man die Leiche finden würde, entsorgt in irgendeinem Hinterhof, wäre die Diagnose der Rechtsmediziner eindeutig. Goldener Schuss. Ein Heroin-Opfer mehr in der Statistik.
Schon versteiften sich ihre Glieder und die Kiefer. Sie verdrehte die Augen. Schnappte ein letztes Mal nach Luft. Atemstillstand.
Riza kickte mit der Schuhspitze gegen den Kopf der Toten und gab seinem kleinen Bruder einen Befehl.
„Schaff Nutte raus – und bring Phil her! Sag ihm, wir brauchen neue Schlampe."
3
Freitag, 12. Mai 1978
Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte im Autokino Gravenbruch ausgelassene Stimmung. Über die Leinwand flimmerte Eis am Stiel, die Hit-Komödie aus Israel.
Pierre Pfeifer war Stammgast in Deutschlands ältestem Drive-In-Kino. Der Student saß hinter dem Steuer einer betagten Renault Dauphine und lachte so heftig, dass seine blonden Ponyfransen hin und her flogen.
„Na, hab ich zu viel versprochen? Die Frage galt einer dunkelhaarigen Schönheit auf dem Beifahrersitz. „Der Streifen ist `ne Wucht! Hab ihn schon zweimal gesehen!
Im Film waren die Freunde Benny, Johnny und Momo gerade dabei, die Penis-Längen ihrer Klassenkameraden zu vergleichen.
Olivia Görtz rollte mit den Augen. „Soll das lustig sein?"
„Pass auf! Gleich kommt die Stelle, an der die drei von `ner Nymphomanin verführt werden! Scharf!"
„Mir reicht`s! Den Mist guck ich mir nicht länger an. Bringst du mich heim?"
Pierre stellte sich taub und starrte durch die Windschutzscheibe. Gleichzeitig tastete er nach Olivias Knie.
„Finger