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Bonames: Der fünfte Fall für Kommissar ›Worschtfett‹
Bonames: Der fünfte Fall für Kommissar ›Worschtfett‹
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eBook257 Seiten3 Stunden

Bonames: Der fünfte Fall für Kommissar ›Worschtfett‹

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Über dieses E-Book

Frankfurt am Main in Angst und Schrecken. Die IAA bedroht von Anschlägen. Während einer Pressekonferenz ein Attentat auf einen Software-Entwickler, der maßgeblich in den Diesel-Betrugs-Skandal verstrickt war. Die Bedrohungslage ist ernst. Sehr ernst. Alle Polizeikräfte sind mobilisiert, um die Lage in den Griff zu kriegen.

Als im nördlichen Stadtteil Bonames eine junge Bankangestellte erschossen am Steuer ihres Kleinwagens aufgefunden wird, fordert man den Gießener Kommissar Roman Worstedt als Spezialisten für soziale Brennpunkte an. Gemeinsam mit seiner Kollegin Regina Maritz soll Worstedt – hinter seinem Rücken despektierlich "Worschtfett" genannt – die Ermittlungen übernehmen.

Je mehr die Hintergründe der unterschiedlichen Verbrechen zutage gefördert werden, desto mehr scheinen diese auf erschütternde Weise miteinander verwoben zu sein.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Nov. 2018
ISBN9783954414444
Bonames: Der fünfte Fall für Kommissar ›Worschtfett‹

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    Buchvorschau

    Bonames - Charly Weller

    macht.

    1. HUPEN

    Hier«, rief der Mann in sein Handy, »können Sie das hören?« Er hielt es über die Brüstung des Balkons hinunter zur Straße, wo eines der dort parkenden Autos in einem fort am Hupen war.

    Der Mann war barfuß und trug ein weißes, ärmelloses Feinripp-Unterhemd zu einer schwarzen Boxershorts-Unterhose mit rot aufgedruckten Eintracht-Adlern. Er war Mitte fünfzig, und sein zerzaustes Haar ließ vermuten, dass er kurz zuvor noch im Bett gelegen hat.

    Am Abend zuvor hatte er keinen Alkohol getrunken. Nicht einen einzigen Tropfen. Was allerdings zur Folge hatte, dass er noch um vier Uhr in der Früh wach gelegen hat. Ihm fehlte zum Einschlafen schlichtweg seine angestammte Dröhnung.

    Als er gegen halb sieben dann zur Toilette musste, war er einfach aufgeblieben. Er versuchte, sich zu erinnern, wann es zum letzten Mal seit seiner Jugend vorgekommen war, dass er um halb zehn Uhr abends ohne Alkohol ins Bett gegangen war. Ihm fiel nur die Woche ein, die er nach einer Blinddarmoperation im Krankenhaus verbracht hatte. Damals hatte er noch bei seinen Eltern auf dem »Platz« gewohnt. Bald darauf war er dann zu seinem älteren Bruder gezogen, der es in der Oberen Kreuzäckerstraße in Praunheim, direkt gegenüber vom Knast, zu einer kleinen Zweizimmerwohnung gebracht hatte.

    Diesem Umzug hatte er es letztendlich zu verdanken, endlich eine Arbeit gefunden zu haben. Denn bis dahin waren seine Bewerbungsaktivitäten stets dann gescheitert, wenn er als Anschrift die Bonameser Straße 85 angeben musste. Da hieß es in der Regel gleich: »Ach, das Zigeunerlager«, und er war unten durch.

    Die Obere Kreuzäckerstraße war da schon eine andere Hausnummer. Da meinte man eher, dass Zucht und Ordnung, für die innerhalb der Haftanstalt mit der ganzen Strenge des Gesetzes gesorgt wurde, über die Mauern hinaus auf die unmittelbare Umgebung übertragen würden.

    Seinen ersten Job hatte er dann bei einem Einkaufsmarkt gefunden. Er erinnerte sich so gut daran, weil für den nächsten Morgen ein Vorstellungsgespräch anstand, an dem ihm sehr gelegen war und bei dem es ebenfalls um einen Job im Lager eines Einkaufsmarktes ging. Alle möglichen Arbeiten hatten sie ihm über die Jahre hinweg unterjubeln wollen. Autowaschanlage, Müllabfuhr und all so’n Zeug, was kein Schwein machen will. Aber er war nicht für jeden Dreck zu haben. Da hatten sie sich geschnitten. Er fand immer einen Weg, warum er nicht genommen wurde. Um sich lieber als Harzer mit kleinen Nebeneinkünften über die Runden zu bringen.

    Weil ihm an diesem Job, um den es an dem Morgen gehen sollte, so verdammt viel lag, wollte er für das Vorstellungsgespräch unbedingt ausgeschlafen sein. Ausgeschlafen, fit und hellwach. Um alles in der Welt. Und um den Ausgang des Gesprächs auch ja nicht dem Zufall zu überlassen, hatte er sich nach der Tagesschau noch ein Hemd gebügelt. Er erinnerte sich, dass er sich zum letzten Mal ein Hemd gebügelt hatte, als seine Frau gestorben war. Das war jetzt sieben Jahre her. Als er dann das frisch gebügelte Hemd betrachtete, kam ihm in den Sinn, vielleicht noch etwas mehr hermachen zu können, wenn er dazu eine schöne Jacke trug. Weil er aber außer einer Eintracht-Fan-Jacke nur diverse Jeansjacken und Kapuzenpullover im Schrank hängen hatte, rief er seinen Freund Harry an. Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an. Harry war ebenfalls »auf dem Platz« groß geworden, und weil er so außerordentlich wortgewandt war, stand er im Ruf, landesweit einer der gefragtesten Rekommandeure für Fahrgeschäfte zu sein.

    Harry wohnte im dritten Stock und fuhr jede Woche in bestem Zwirn nach Bad Nauheim zum Ball-Paradox ins Café König. Dort machte er dann auf dicke Hose und gab sich als Börsenmakler aus, um mit einsamen Damen, die zur Kur in Bad Nauheim weilten, das Tanzbein zu schwingen. Gelegentlich hatte er Hilmar schon angefixt, doch mal mitzukommen, aber der war für diese Art von Ringelpiez mit Anfassen nicht zu haben. Denn seit dem Tod seiner Frau hatte er mit Weibern nichts mehr am Hut.

    Als Hilmar ihn an diesem Abend anrief und nach einer Jacke fragte, die was hermachen würde, meinte Harry, seinen Ohren nicht zu trauen. Was will dieser verlauste Althippie auf einmal mit einer schicken Jacke, dachte er sich, meinte aber im nächsten Moment: »Komm runter, du kriegst was verpasst, dass Graf Koks neben dir aussieht wie ein indischer Bettelmönch.« So kam es, dass Hilmar ein kariertes Sakko über sein Hemd anziehen konnte, das an die früheren Auftritte des Moderators Peter Frankenfeld im Fernsehen erinnerte.

    Als Hilmar fast dreißig Jahre zuvor schon mal bei einem Einkaufsmarkt gearbeitet hatte, hatte er als Einkaufswagenschubser auf dem Hof angefangen. Zu der Zeit mussten noch keine Geldstücke oder Chips als Pfand in die Einkaufswagen gesteckt werden, um sie benutzen zu können. Sein Job war es deshalb gewesen, die auf dem Parkplatz wild verstreut stehen gelassenen Wagen einzusammeln und in den vorgesehenen Standbuchten zusammenzuschieben. Er hatte diese Arbeit geliebt. Das kann man nicht anders sagen. Denn er war den ganzen Tag über an der frischen Luft gewesen, und es gab niemanden, der ihm was zu sagen hatte. Er war rundherum sein eigener Herr und hat auch später immer wieder gesagt, dass er dieser Arbeit am liebsten bis ans Ende seiner Tage nachgegangen wäre.

    Dann aber hieß es auf einmal, dass neue Einkaufswagen eingeführt werden sollten. Und zwar solche, wo eine Münze eingesteckt werden müsste, um sie benutzen zu können. Auf diese Weise sollten die Leute dazu angehalten werden, ihre Einkaufswagen nach der Benutzung selbst zu den Abstellbuchten zurückzubringen. Als er zum ersten Mal davon hörte, war ihm schlagartig klar, was die Einführung dieser neuen Wagen für ihn bedeutete. Nämlich, dass man ihn wegrationalisieren würde.

    Als er dann während einer Frühstückspause das Gerücht streute, mit seiner bevorstehenden Entlassung zu RTL gehen zu wollen, wollte der Chef des Marktes auf einmal tatsächlich mit ihm reden. Man würde ihn doch nicht im Regen stehen lassen, schleimte der Mann rum und bot ihm schlussendlich an, ins Lager des Marktes wechseln zu können.

    Richtig begeistert war Hilmar über diese Versetzung nicht. Jedenfalls nicht gleich. Dafür war die Arbeit im Freien einfach eine viel zu große Erfüllung für ihn gewesen. Aber wenigstens müsste er nicht stempeln gehen, sagte er sich, und fand nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten doch recht bald Gefallen an seinem neuen Tätigkeitsfeld. Was in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass unter den Lagerarbeitern eine außergewöhnliche Kollegialität bestand. So war es an der Tagesordnung, sich den persönlichen Bedarf an Lebensmitteln kurzerhand von der Rampe hinunter in den Kofferraum seines dort zuvor postierten Autos einzuladen. Im Endeffekt war das die beste Zeit seines Lebens. Alles in Saus und Braus. Und dann war damals auch noch Ramona in sein Leben getreten. Seine Ramona.

    Ihre erste Begegnung fand an dem Tag statt, als Edwin Müller, der Detektiv des Marktes, von der Ambulanz abtransportiert wurde. Der Mann hatte einen größeren Karton mit einem Guckloch versehen und sich von einem Gabelstapler hoch in eines der Regale bugsieren lassen. Von diesem erhöhten Standpunkt aus wollte er ausspähen, ob Kunden etwas klauten. Was Müller aus diesem Winkel jedoch nicht mitkriegen konnte, war, dass ein Regalauffüller eine Leiter an das Regal angestellt hatte und hochkletterte, um Waren aus den dort gelagerten Kartons zu holen. So kam es, dass dieser Mann sich völlig unbedarft gerade an dem Karton zu schaffen machte, in dem Müller auf der Lauer lag. Plötzlich hallte ein markerschütternder Schrei durch den Verkaufsraum, weil der Regalauffüller dem Detektiv sein Trapezmesser unbeabsichtigt durch die Kartonwand hindurch in die linke Wange gerammt hatte. Die Folge war eine böse Narbe in der betroffenen Gesichtshälfte, die dem Detektiv anschließend den Namen »Scarface« eintrug. Große Teile der Belegschaft wurden an diesem Tag Zeuge, wie der verletzte Detektiv blutüberströmt aus dem Karton geborgen wurde. Mit blankem Entsetzen im Gesicht konnte die anwesende Fleischereifachverkäuferin Ramona nicht anders, als sich einem der Anwesenden an die Schulter zu drücken. Zu dem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass es sich bei dem Mann, der ihr da zögerlich Trost spendete, um Hilmar Petri handelte.

    Nach diesem Vorfall trafen die beiden eine Woche später zufällig auf dem Gang zum Pausenraum aufeinander. Sie blieben einfach stehen und glotzten sich an wie zwei schwangere Mondkälber, wie man so sagt. Bis Ramona schließlich meinte: »Na?«

    Um nicht den Eindruck zu erwecken, mundfaul zu sein, entgegnete Hilmar daraufhin: »Und?«

    Dann ergriff Ramona erneut die Initiative und meinte: »Sonst nix?«

    Was Hilmar wiederum nicht unkommentiert stehen lassen wollte und seinerseits anführte: »Was denn noch?«

    So begann seinerzeit die Liebe zwischen Ramona von der Metzgerei und Hilmar aus dem Lager. Nach außen hin ließen die beiden sich nicht anmerken, dass sie zusammengekommen waren. Und gleichzeitig eine gewinnbringende Allianz zur Verbesserung ihres leiblichen Wohlergehens pflegten. Denn fortan orderte Hilmar bevorzugt bestes Rinderfilet bei seiner Liebsten, das er auch eingepackt bekam, aber von Ramona zur Berechnung des Preises auf der Registrierkasse als Schlachtabfall für den Hund deklariert wurde. Was den Preis selbstredend nachhaltig günstiger gestaltete.

    Die beiden zogen zusammen in die Wohnung im Ben-Gurion-Ring, in der zuvor Ramona mit ihrem geschiedenen Mann gelebt hatte und wo Hilmar nun immer noch wohnte. Sie lebten wie die Maden im Speck. Und bestimmt wäre das auch noch lange so weitergegangen, wenn nicht so oft Sendungen mit Reisen in ferne Länder im Fernsehen gelaufen wären. Dabei hatte ein Bericht über die Insel Lombok Ramona so sehr in ihren Bann gezogen, dass sie nirgendwo anders mehr Urlaub machen wollte als auf diesem indonesischen Eiland. Nur zu gerne hätte Hilmar seiner Liebsten diesen Wunsch erfüllt, aber es war klar, dass er es mit seinem Verdienst nie dazu bringen würde. Entsprechend lag für ihn auf der Hand, sich um zusätzliche Einnahmequellen bemühen zu müssen.

    Da kam es ihm nicht ungelegen, dass sein Bruder meinte, in dem Markt, wo Hilmar arbeitete, einen Verstärker entdeckt zu haben, der seine Gnade gefunden hätte. Das Teil, sagte er, sei für achthundert Mark im Angebot, aber er würde auf der Stelle zweihundert dafür hinblättern, wenn er es als »vom Laster gefallen« abschnappen könnte. So kam es, dass Hilmar sich ein paar Tage später mit besagtem Verstärker sowie einem Karton Waschpulver auf der Kundentoilette einschloss. Er klebte den Verstärker hermetisch mit Plastikfolie ab und ritzte das Waschpulverpaket fein säuberlich mit einem Skalpell auf. Dann entfernte er so viel Waschpulver aus dem Paket, dass der Verstärker leicht darin verstaut werden konnte. Sein Plan war, an der Kasse das Waschmittel zu bezahlen und den Verstärker als Beifang mitzunehmen. Und wahrscheinlich wäre das auch glattgegangen, wenn er nicht das überschüssige Waschpulver der Einfachheit halber in die Kloschüssel gekippt hätte. Denn anstatt es auf diese Weise zu entsorgen, verursachte er ein Schaumbad, das den gesamten Toilettentrakt in Mitleidenschaft zog und Scarface auf den Plan rief. Zu seiner fristlosen Kündigung und einem Hausverbot bekam Hilmar auch noch vom Gericht dreißig Tagessätze à fünfzehn D-Mark aufgebrummt. Zudem wurden seine Bewerbungen bei anderen Einkaufsmärkten von da an stets negativ beschieden. Was er darauf schob, dass die Märkte offenbar untereinander schwarze Personallisten führten.

    Weil er sich an diesem Morgen um neun Uhr bei dem Marktleiter in Rödelheim vorstellen sollte, machte er sich kurz nach acht los. Er wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Da er schon lange kein Auto mehr hatte, fuhr er mit der U-Bahn. Vorher kontrollierte er noch zu Hause, dass er auch ja seinen präparierten VGF-Fahrschein dabeihatte. Diesen hatte er sich im Jahr zuvor zugelegt und ihn seitdem immer wieder aufs Neue benutzt. Für diese Mehrfachbenutzung hatte er die Seite, auf die in dem Entwerter die Fahrtdaten aufgedruckt wurden, mit Klarlack übersprüht. Wodurch die für die jeweilige Fahrt relevanten Daten zwar aufgedruckt wurden, hernach jedoch mit ein wenig Spucke umgehend wieder entfernt werden konnten. So war der Fahrschein kostensparend vielfach verwendbar. Und um auf Nummer sicher zu gehen, deponierte er das Ticket auch noch in einem transparenten Klarsichtetui, um nicht Gefahr zu laufen, dass der Aufdruck aus Versehen verwischt werden könnte.

    Um zwölf Minuten vor neun traf er in dem Einkaufsmarkt in Rödelheim ein. Die Sekretärin des Marktleiters unterbrach misslaunig ihr konzentriertes Lösen eines Kreuzworträtsels, um ihrem Chef über die Gegensprechanlage in dessen Büro zu vermelden: »Chef, hier ist ein gewisser …«

    Mit einem entsprechenden Blick forderte sie Hilmar auf, nochmals seinen Namen zu nennen.

    »Petri«, ergänzte Hilmar den Satz der Sekretärin, »Hilmar Petri.«

    Die Sekretärin leitete den Namen weiter, woraufhin aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage eine Männerstimme blaffte: »Hab jetzt keine Zeit. Ich ruf ihn nachher an. Um zwei. Sag ihm das. Um vierzehn Uhr.«

    »Alles klar«, beendete die Sekretärin die Konversation und nickte Richtung Hilmar, der wiederum bestätigend zurücknickte, die Information erhalten zu haben.

    Unterwegs zur Tür des Büros wandte Hilmar sich nochmals um: »Meine Nummer haben Sie ja, oder?«

    »Sowieso.«

    »Oder soll ich sie Ihnen vielleicht sicherheitshalber noch mal aufschreiben?«

    »Wenn ich sage, dass ich Ihre Nummer habe, habe ich sie gefälligst auch, okay?«

    »Alls klar. Dann noch einen schönen Tag.«

    Offenbar kam es der Dame dann doch eine Spur zu schroff vor, wie sie sich Hilmar gegenüber verhalten hatte. Weshalb sie zum Abschied ein wenig schönwettertechnisch meinte: »Schickes Sakko.«

    »Danke«, entgegnete Hilmar und dachte bei sich: Druff geschisse. Dann war er weg.

    Die Rückfahrt über rankten seine Gedanken um die Frage, warum der Marktleiter so mit ihm umgesprungen war. War ihm wirklich was dazwischengekommen, sodass er keine Zeit hatte? Oder gab es vielleicht nach wie vor diese schwarze Liste? Oder war dieser Mensch ganz einfach nur ein arrogantes Arschloch? Er spielte in seinem Kopf ein Sammelsurium von Schlagfertigkeiten durch, mit denen er sich hätte souveräner verhalten können, zu denen er in der Situation jedoch nicht fähig war.

    Vertieft in diese Gedanken, bemerkte Hilmar den Kontrolleur erst, als der sich bereits vor ihm aufgebaut hatte.

    »Ihren Fahrschein bitte«, sagte der Mann, woraufhin Hilmar das Klarsichtetui aus der inneren Brusttasche von Harrys Sakko fingerte.

    Verdammte Scheiße, dachte er in dem Moment, weil ihm einfiel, dass er über den ganzen Zirkus tatsächlich vergessen hatte, den Fahrschein auf den aktuellen Stand zu bringen, also den alten Aufdruck wegzuwischen und das Ticket erneut zu entwerten.

    Der Kontrolleur brauchte einen Moment, bevor er sagte: »Der Abstempelung zufolge ist der Fahrschein ungültig. Sie hätten sich für die Rückfahrt einen neuen lösen müssen.«

    Hilmar fiel als Ausrede ein: »Ich bin eine Station zu weit gefahren und hatte gedacht …«

    »Tut mir leid. Das kann ich nicht akzeptieren …«

    Der Mann begann, den Fahrschein aus dem Etui zu fingern, wobei der Aufdruck tatsächlich verschmiert wurde.

    »Was ist denn das?«, meinte der Kontrolleur, als er das bemerkte.

    »Keine Ahnung …«, entgegnete Hilmar.

    »Dann werde ich Ihnen mal sagen, wonach das verdammt aussieht«, fuhr der Kontroletti fort, »nach einer Urkundenfälschung, danach sieht das aus. Ich denke, wir steigen an der nächsten Haltestelle mal zusammen aus, einverstanden?«

    Was sollte er machen? Was sollte er nur machen? Beten?

    »Was passiert denn jetzt?«, fragte er den Kontrolleur.

    »Haben Sie Ihren Personalausweis dabei?«

    »Leider nicht, nein.«

    »Dann werden wir die Polizei verständigen, um Ihre Personalien aufzunehmen. Von mir erhalten Sie eine Zahlungsaufforderung für die Strafe wegen Schwarzfahrens. Und was die Urkundenfälschung angeht, wird die Staatsanwaltschaft sich mit Ihnen in Verbindung setzen.«

    Mit dem Einlaufen des Zuges in die U-Bahn-Station Festhalle liefen Hilmars Gedanken Amok. Was hatte er sich da verdammt noch mal eingebrockt? Warum konnte ihm so etwas passieren? Wie sollte er da nur wieder rauskommen?

    Als die Türen des Waggons sich öffneten, versetzte er dem Kontrolleur in seiner Verzweiflung einen beherzten Tritt mit der Fußspitze an dessen Schienbein, um im nächsten Moment wie von der Tarantel gestochen den Bahnsteig hinunterzuflüchten. Er lief wie um sein Leben, und es sah tatsächlich so aus, als könnte ihm die Flucht gelingen. Immerhin hatte der Kontrolleur noch nicht seine Personalien aufgenommen und auch noch nicht die Polizei verständigt. Vielleicht würde ja doch noch alles gut ausgehen. Das dachte Hilmar Petri, bis ihm plötzlich um eine Ecke herum Menschen entgegenkamen, die genau in die Richtung wollten, aus der er angelaufen kam. Und ehe er sich versah, war er auch schon mit einem der Männer so wuchtig aufeinandergeprallt, dass beide

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