Kommissar Platow, Band 11: Die Sünderin vom Schaumainkai: Kriminalroman
Von Martin Olden
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Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"
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Rezensionen für Kommissar Platow, Band 11
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Kommissar Platow, Band 11 - Martin Olden
1
Donnerstag, 25. August 1977
Die Schönheit war nackt. Ein Schrei lag auf ihren Lippen. Die Augen hielt sie geschlossen, während weißer Schaum auf ihre Brüste spritzte. Dem Genuss verfallen saß die Frau in der Brandung des Meeres und ließ sich von seiner Gischt umtosen. Sie bemerkte die beiden Männer nicht, die hinter einer Palme hervorlugten – mit Blicken voller Gier.
„Nun, wie gefällt ihnen die Szenerie?", fragte der Kunstmaler Theodor Kies. Das Ölgemälde der Badenixe hing in seiner Karlsruher Wohnung, die dem Weißhaarigen auch als Atelier diente. Gespannt wartete er auf die Antwort der potenziellen Käufer. Das Ehepaar Ellwanger war eigens aus Bad Bergzabern an der südlichen Weinstraße angereist, um ein Bild für ihren Bungalow zu erwerben. Theo Kies schätzte das Alter der Besucher auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. In diesen schnelllebigen Zeiten, da mit Sofortbildkameras jedes Motiv zu Tode geknipst wurde, freute es ihn, wenn sich junge Menschen für wahre Kunst interessierten. Zudem ließ ihr gepflegtes Äußeres auf Finanzkraft schließen. Frau Ellwanger trug ein Chanel-Kostüm, ihr Mann einen dunklen Anzug. Was er beruflich machte, wusste Kies nicht, aber sein Erscheinungsbild entsprach dem eines Bankangestellten.
Herr Ellwanger legte den Kopf schief und beäugte das gerahmte Bild.
„Sieht aus wie die Reklame für Atlantik Seife."
Kies holte tief Luft. Hatte es dieser Jungspund allen Ernstes gewagt, sein Werk mit einer Seifenreklame zu vergleichen? Er überspielte die Kränkung, indem er die Mundwinkel unter dem Schnurrbart zur Imitation eines Lächelns verzog. Frau Ellwanger sprach laut aus, was ihm durch den Kopf ging.
„Banause!", schimpfte sie ihren Gatten. „Verzeihen Sie seine Unwissenheit, Herr Kies. Mein Mann erkennt nicht, dass Ihr Gemälde eine moderne Variante der biblischen Erzählung Susanna im Bade ist, stilistisch angelehnt an den Akt von Tintoretto aus der Zeit um 1555. Im Zentrum steht eine Frau, deren gottgegebener Körper durch Blicke vergewaltigt wird. Der Betrachter des Bildes fühlt sich von der Lüsternheit der Spanner abgestoßen, sieht in ihnen aber gleichzeitig seine eigenen voyeuristischen Triebe gespiegelt. Ich nehme an, Sie möchten damit die Schaulust unserer Gesellschaft kritisieren?"
„In der Tat, gnädige Frau!, strahlte Kies. „Ihre Interpretation ist wunderbar! Wenn Sie mich fragen, leben wir in einer schändlichen Epoche, in der Kunst weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als Peep-Shows und Schmuddelfilmen.
Er lachte Frau Ellwanger an. Eine bemerkenswerte Dame, die Sachverstand und Schönheit vereinte. Ihr ebenholzfarbenes Haar war in der Mitte gescheitelt, die Augen leuchteten meeresblau. Wäre er ein paar Jahre jünger und nicht so glücklich verheiratet, hätte er ihr den Hof gemacht – ihrem stumpfsinnigen Mann zum Trotz. Gertrud Kies, seit beinahe fünfzig Jahren Theos Ehefrau, kam mit frisch gekochtem Kaffee aus der Küche und bat die Gäste ins Wohnzimmer.
„Haben Sie sich inzwischen für ein Bild entschieden?", fragte sie.
„Meine Frau hätte am liebsten `n Porträt von Elvis", grinste Ellwanger. „Fährt total auf den King ab. Hat seinen Star-Schnitt damals aus der Bravo ausgeschnitten und übers Bett gehängt."
„Bedaure, nicht meine Stilrichtung, sagte Kies, „obwohl mir der Name Elvis Presley selbstverständlich ein Begriff ist. Er ist vor Kurzem verstorben, richtig?
„Ja, am 16. August, antwortete Frau Ellwanger. „Ein trauriger Tag.
Sie sah aus dem Fenster auf die Blumenstraße in Karlsruhe. Gegenüber lag das Gebäude der Bundesanwaltschaft. „Zweiundvierzig ist kein Alter zum Sterben. Wie sagt man? Nur die Besten sterben jung."
Ihr Mann schnaubte verächtlich. „Ich vermisse ihn nicht. Elvis ist ein Markenprodukt des amerikanischen Imperialismus gewesen, wie Coca-Cola und Micky Maus."
„Du redest heute einen Unsinn daher!", rief sie. „Hast du In the Ghetto vergessen? Den Song hat er `69 herausgebracht und darin glasklar die sozialen Missstände in den USA angeprangert!"
„Jetzt stilisiere ihn nicht zum zweiten Bob Dylan! Elvis war ein Schnulzenheini mit ordinärem Hüftschwung, sonst nix!"
Bemüht, die Wogen zwischen dem streitenden Paar zu glätten, meldete sich Gertrud Kies zu Wort. „Mir hat seine Musik sehr gut gefallen."
„Wirklich?", fragte Frau Ellwanger.
„Erstaunt Sie das? Die graublonde Dame lachte. „Ich bin zwar schon vierundsiebzig, aber nicht von gestern.
„Gut. Frau Ellwanger nickte. „Dann werden Sie uns verstehen.
Sie griff in ihre Handtasche. Im nächsten Moment glänzte eine Beretta in der Faust der angeblichen Frau Ellwanger, die in Wahrheit Petra Helm hieß. Auch ihr Begleiter zückte eine Pistole und richtete die Mündung auf das schreckensbleiche Künstlerpaar.
„Unser Geld ist … im Schrank … in der Küche", stammelte Gertrud Kies mit erhobenen Händen.
„Wir wollen ihr Geld nicht, sagte Petra. „Das ist eine Aktion der RAF, die nicht gegen sie gerichtet ist, sondern gegen die Bundesanwaltschaft.
„Mörderbande!" Beherzt trat Theodor Kies einen Schritt auf die Terroristen zu. Der vermeintliche Herr Ellwanger schlug ihm mit der flachen Hand vor die Brust. Theodors Füße verloren die Bodenhaftung. Frau Kies schrie auf, als sie ihn rücklings auf das Parkett stürzen sah.
„Oh bitte, nein! Tun Sie ihm nichts! Er hat ein schwaches Herz!"
„Lass gut sein, Trudchen, keuchte Kies und stützte sich mühsam auf die Ellenbogen. „Diese Teufel kennen kein Mitleid. Sie haben Buback ermordet und Ponto und …
Ellwangers Finger lag auf dem Abzug. „Schnauze, Opa! Oder du kannst deinen Namen auch auf die Liste setzen!"
„Was soll das?, raunte Petra. „Spiel hier nicht den Cowboy! Los, gib den anderen das Signal, dass wir soweit sind!
Ihr Komplize gehorchte dem Befehlston. Zu Theo Kies sagte sie: „Keine Angst, ihnen beiden wird kein Haar gekrümmt. Uns wäre ein jüngeres Paar lieber gewesen, aber ihre Wohnung ist ideal für unsere Zwecke."
Kurz darauf betrat eine Gruppe junger Männer und Frauen das Wohnzimmer, bepackt mit Taschen und Pampers-Kartons. Das Ehepaar Kies wurde an zwei Sessel gefesselt, Arme und Beine mittels Klebestreifen wie ein Paket verschnürt. Trotz Petras Versicherung, ihr Leben zu schonen, stand Todesangst in Gertruds Augen. Seit den Bombennächten des Krieges hatte sie nicht mehr solche Panik ergriffen. Ein schnauzbärtiger Anarchist, der von seinen Kampfgenossen „Charly genannt wurde, packte die Kisten aus. Vor dem Fenster begann er mit dem Aufbau einer merkwürdigen Apparatur. Sie bestand aus massiven Spanplatten, verschraubt zu einem vierfächerigen Gestell, das einem Weinregal ähnelte. Darauf brachte Charly eine Batterie abgesägter Wasserleitungsrohre an, zweiundvierzig an der Zahl. Die Bastelei verschlang Stunden. Charlys Kumpel, ein spindeldürrer Typ mit Decknamen „Dago
, verlor die Geduld. „Wie lange dauert`s noch, Mann?!? Brauchst du wieder `nen Schuss Dope damit`s schneller geht?"
„Lass mich in Ruhe!, kam es von Charly. „Das Ding kann man nicht einfach in ein paar Minuten zusammenschrauben. Soll doch funktionieren, oder?
Dago wandte sich an Herrn Kies. „Du heißt Theodor, stimmt`s? Genau wie Richter Prinzing. Die alte Sau hat Ulrike auf dem Gewissen. Aber mit dem werden wir auch noch abrechnen, verlass dich darauf."
Bei Dagos Anblick bekam Gertrud Kies eine Gänsehaut. Das Feuer in seinen Augen erinnerte sie an den glühenden Wahn, mit dem sich ihr Bruder einst freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. Petra Helm befahl Dago, sich nützlich zu machen und drückte ihm ein Plakat in die Hand. Die Aufschrift lautete: Nicht schießen! In der Wohnung ist nur das Ehepaar!
„Bring es am Schrank gegenüber der Eingangstür an!"
„Wozu?", fragte Dago.
„Nach dem Anschlag werden die Bullen diese Bude durchsuchen und ich will vermeiden, dass sie um sich ballern und die alten Leutchen treffen, kapiert?" Sie klang schroff wie ein Feldwebel auf dem Kasernenhof.
„Bitte, wenn du`s so haben willst, Frau General", sagte Dago und trollte sich.
Petra sah auf ihre Armbanduhr. 15.20 Uhr. Sie lagen gut im Zeitplan. Um 16 Uhr sollte der Feuerzauber beginnen. Charly war schon dabei, die Stahlrohre mit eigenhändig gemischtem Sprengstoff zu laden. Jetzt erkannte Theo Kies das Wesen des Apparats, der von seinem Wohnzimmerfenster auf das Büro der Bundesanwälte zielte.
„Mein Gott, eine Stalinorgel! Sie wollen doch nicht etwa Raketen damit abschießen?"
„Ganz recht, sagte Charly. „Wie gefällt Ihnen meine Konstruktion? Daran sieht man, wozu eine Ausbildung als Metallschlosser gut ist! Die Teile dafür gibt`s in jedem Klempnerladen. Ich erklär Ihnen, wie`s funktioniert: In den Rohren steckt jeweils ein Geschoss, angetrieben von Sprengstoff. Ein Zeitzünder löst den automatischen Abschuss aus, sodass alle Granaten innerhalb von drei Sekunden in die beiden obersten Stockwerke knallen und explodieren. Wir haben die Wirkung getestet. Von dem Baum, auf den wir gefeuert hatten, sind nur Sägespäne übrig geblieben.
Kies rang nach Worten. „Wissen Sie, was Sie damit anrichten? Das gibt ein Blutbad!"
„Denken Sie nur an die vielen Angestellten, die um diese Zeit im Büro sind!", ergänzte seine Frau.
„Denen wird nichts passieren, sagte Petra. „Sie sitzen in den unteren Etagen. Uns geht es um die Staatsanwälte.
„Sind das etwa keine Menschen? Der Kunstmaler war fassungslos. „Wie können Sie, als gebildete Frau, einen solchen Wahnsinn gutheißen?
Petra brachte ihr Gesicht ganz nah an das seine und senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Es ist ein Warnung an die Bundesregierung. Über vierzig politische Gefangene befinden sich derzeit im Hungerstreik. Sollten Andreas, Gudrun, Jan oder einer unserer anderen Freunde von den Henkern in Bonn getötet werden, lassen wir sie spüren, dass wir genug Hass und Fantasie haben, um unsere Waffen so gegen sie einzusetzen, dass ihr Schmerz dem unseren entspricht."
Er hielt Petras kaltem Blick stand. „Sie sind vollkommen verrückt!"
Sie lächelte schief. „In den Augen der Angepassten ist jeder verrückt, der gegen den Konformismus des Denkens rebelliert." Petra zog fünf Hundertmarkscheine aus der Tasche. „Das Geld ist für sie.