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Kill Run Die: Krimi
Kill Run Die: Krimi
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eBook323 Seiten4 Stunden

Kill Run Die: Krimi

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Über dieses E-Book

In Frankfurt werden kurz hintereinander zwei Frauen getötet. Beide auf die gleiche schreckliche Weise. Und die Kripo um Hauptkommissar Bernd Steiner, bekannt für seine rauen Methoden, hat keinen Plan, was dahinterstecken könnte.
Ein Kronzeuge des BND taucht in der Mainmetropole unter. Privatdetektiv Thomas Martini erhält den Auftrag, ihn aufzuspüren. Ist der mysteriöse Mann für die Bluttaten verantwortlich?
Steiner und Martini treffen bei ihren Ermittlungen aufeinander. Beide mögen sich nicht. Sind aber aufeinander angewiesen, um die Fälle aufzuklären. Zudem geraten beide auf die Abschussliste eines Gegners, dem jedes Mittel recht ist, um ein Geheimnis zu bewahren – ein Geheimnis, so düster wie die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele.

Die bekannten Krimi-Autoren Alexander Schaub und Martin Olden legen erstmals gemeinsam einen Krimi vor – und lassen ihre angestammten Hauptfiguren Martini und Steiner, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aufeinander prallen. Ergebnis: Ein Krimi, bei dem kein Auge trocken bleibt.
SpracheDeutsch
Herausgebermainbook Verlag
Erscheinungsdatum26. Okt. 2020
ISBN9783947612918
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    Buchvorschau

    Kill Run Die - Alexander Schaub

    Kapitel 1

    Montag, 17. März 2014, 07:00, Igelsberg, Schwarzwald

    Die alte Frau räumte den Gastraum auf. Sie trug auf einem Tablett Gläser, Tassen, Teller und Essensreste in die Küche, als ein Pärchen die Treppe, die zu den Fremdenzimmern führte, herunter stieg. „Grüß Gott, die Familie Meier. Wollen Sie frühstücken?"

    Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, Frau Bischler. Wir haben ein kleines Picknick in unseren Rucksäcken. Wir wollen Richtung Nagoldtalsperre laufen und es uns dort gemütlich machen."

    „Da wünsch ich ihnen einen schönen Tag und viel Spaß", erwiderte Frau Bischler.

    Die Meiers bedankten sich und verließen das Landgasthaus Erlenhof. Sie liefen den Besenfelder Weg entlang, ließen die Nagoldstraße hinter sich. Am ersten Feldweg rechter Hand bogen sie ab in Richtung Wald. Der steinige Weg knirschte unter ihren Wanderschuhen, als sie zügig ausschritten. Nach ein paar Minuten erreichten sie den Waldrand, an dem sie ein paar hundert Meter entlang wanderten, bis sie einen Abzweig erreichten, dem sie in den Wald folgten. Am rechten Straßenrand stand ein alter grüner Lanz, der schon bessere Tage gesehen hatte. Die Bäume des Waldes waren bereits belaubt und hinderten das Sonnenlicht am Eindringen.

    Sie liefen schon eine halbe Stunde, als Frau Meier sagte: „Karl, wir müssen da lang!" Sie deutete nach rechts einen schmalen Pfad entlang.

    Karl zog eine alte Wanderkarte aus der Tasche und studierte sie. „Nee, wir müssen links bleiben, Gertrud."

    „Aber ich bin mir sicher!", erwiderte seine Frau.

    „Ich hab die Karte – und nach der müssen wir hier lang."

    „Aber Karl, ich bin mir wirklich sicher. Letztes Jahr als wir … Sie verstummte. Zwei Wanderer kamen ihnen entgegen. Frau Meier ging dem Mann und der Frau ein paar Schritte entgegen und sprach sie ohne Umschweife an. „Grüß Gott! Können Sie uns vielleicht helfen? Berührungsängste kannte Frau Meier nicht.

    Die Frau musterte sie aus wachen Augen. „Guten Tag. Was wollen Sie?" Ihr Ton war nicht unfreundlich, aber auch nicht einladend. Eher kühl.

    „Die Nahgoldtalsperre? Da lang oder hier auf dem Weg bleiben?"

    Der Mann antwortete anstelle der dunkelhaarigen Frau. „Sie müssen auf dem Weg bleiben. In etwa einem Kilometer müssen Sie dann rechts ab."

    „Siehst du, wir müssen hier weiter", triumphierte Herr Meier.

    „Na gut, dann komm! An das Wandererpärchen gewandt sagte seine Frau: „Danke und schönen Tag noch.

    Mit diesen Worten verschwanden die Meiers gen Osten. Die Wanderer blickten ihnen nach, bis sie außer Sicht waren, dann lenkten sie ihre Schritte weg von dem befestigten Weg hinein in das Dickicht des Waldes. Das Unterholz war sehr dicht. Es fiel ihnen schwer, geradewegs nach Norden zu laufen. Gelegentlich zogen sie einen Kompass zurate, um ihre Richtung zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.

    Nach einer weiteren halben Stunde wurde das Gestrüpp am Waldboden lichter. Sie erreichten einen Platz mit vier Bäumen, die in einem fast symmetrischen Quadrat angeordnet waren. In ihrer Mitte befand sich ein runder Holzdeckel, wie der Verschluss eines Kanals.

    Der hochgewachsene Mann hob den Deckel an. Darunter kam ein dunkler Schacht zum Vorschein. Er nahm einen herumliegenden kleinen Ast und warf ihn in die Dunkelheit. Es dauerte etwa vier Sekunden, bis er auf dem Boden aufschlug. Die Frau zog ihren Rucksack ab und holte ein Seil heraus. Sie entfernte Blätter und Erde vom Rand des Schachts, bis sie einen Eisenring in Händen hielt. Sie befestigte das Seil an dem Ring, zog ein paar Mal mit aller Kraft daran, bis sie sicher war, dass es festsaß. Dann warf sie es in die Finsternis des Abgrunds.

    Der Mann wickelte sich das Seil um das linke Handgelenk, dann ließ er sich in das dunkle, gähnende Loch hinabsinken. Er stützte sich mit den Füßen an der Wand ab, dabei ließ er das Seil langsam durch seine Hände gleiten. Die kleine Stirnlampe, die er sich auf den Kopf gesetzt hatte, spendete genug Licht, um die vor ihm liegende Wand zu erhellen.

    Nach ein paar Minuten, etwa in fünf Metern Tiefe, wurde der Lichtstrahl von einem zweiten Metallring reflektiert. Er löste die rechte Hand vom Seil, legte sie um den Ring und zog daran. Ein leichtes Vibrieren ging durch den Erdschacht. Aus der Wand rechts unter ihm, schob sich eine Metallplattform heraus. Als das Vibrieren abebbte, war der Schacht unter ihm verschlossen. Er setzte die Beine ab, ließ das Seil los, hob den Kopf nach oben und rief: „Du kannst runter kommen!"

    Kurz darauf stand seine Begleiterin neben ihm.

    Die Lampe des Mannes richtete sich auf die Wand, aus der die Bodenplatte herausgeglitten war. Ein paar Sekunden irrlichterte der Strahl hin und her. Dann erfasste er ein schwarzes Viereck, eine Klappe, ungefähr zwanzigmal fünfzehn Zentimeter groß. Ein Griff in die linke Hosentasche des Mannes und eine Art Scheckkarte kam zum Vorschein. Er hielt sie vor das Viereck. Mit einem Klick sprang es auf. Eine dunkel glimmende Fläche kam zum Vorschein. Er legte seine linke Handfläche darauf. Ein weißer heller Strich entstand an seinen Fingerspitzen und fuhr die Handfläche hinunter. Unten angelangt verschwand er wieder. Für zehn Sekunden geschah nichts. Dann ging wieder ein Vibrieren durch den Schacht und die Wand vor den beiden glitt zur Seite. Sie gab den Blick auf einen hell erleuchteten Gang frei. Die beiden traten ein. Als sie etwa fünf Schritte die leicht abschüssige Röhre entlang gelaufen waren, schloss sich die Tür lautlos hinter ihnen.

    Sie folgten dem Gang, von dessen Metallwänden ihre Schritte widerhallten. Es gab weder Abzweigungen noch Türen, außer am Ende des Hohlweges. Dort befand sich ein weiterer Handabdruckleser. Auch dieser gewährte ihnen Zugang. Die Tür glitt zur Seite und sie betraten einen Raum mit Schreibtischen, die durch Stellwände voneinander getrennt waren. An drei von den Tischen saßen Männer, die kurz aufsahen und sich dann wieder ihrer Arbeit widmeten. Die Neuankömmlinge wurden nicht weiter beachtet.

    Die beiden wandten sich einer Tür auf der linken Seite des Raums zu. Die Frau klopfte kurz und trat ein.

    In dem Raum hinter der Tür stand nur ein Schreibtisch. An ihm saß eine Person, die aufblickte, als die beiden hereinkamen. Der Mann setzte sich auf einen der beiden Besucherstühle und schlug die Beine übereinander. Dann begrüßte er die Gestalt hinter dem Schreibtisch: „Guten Morgen, Caligula."

    Montag, 17. März, 07:07, Frankfurt Flughafen

    Der Flieger setzte zur Landung an. Die Räder der LH-666 berührten den Asphalt der Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens. Ein leichter Ruck ging durch die Kabine. Einige der hundertachtzig Passagiere holten hörbar Luft, so auch die junge Frau neben Robert Esslinger.

    „Keine Angst, das ist normal", sagte er, ein Lächeln im Gesicht, das ein gepflegter Pfeffer-und-Salz-Bart zierte. Die Frau nickte flüchtig. Als das Flugzeug ausrollte, war die Erleichterung auf ihrem Gesicht nicht zu übersehen. Bevor die Dame ausstieg, nickte sie Esslinger noch einmal zu, packte ihren Trolly und ließ sich mit den anderen Gästen hinaustreiben.

    Robert Esslinger und der Mann neben ihm am Fenster waren die letzten beiden Fluggäste in ihrer Reihe. Hinter ihnen saßen zwei weitere Herren in dunklen Anzügen. Ansonsten war die Kabine leer. Die Gruppe hatte absichtlich gewartet, bis sie alleine an Bord war. Esslinger wollte böse Überraschungen vermeiden.

    „Kommen Sie, Winter! Jetzt können wir gehen", forderte er den Schwarzhaarigen neben sich auf und nickte den beiden Anzugträgern hinter ihnen zu. Sascha Winter blickte Esslinger aus dunklen Augen an, sagte aber nichts. Der junge Mann wirkte weder beunruhigt noch nervös. Er schien völlig ausgeglichen. Ein Wunder bei dem, was hinter ihm liegt, dachte Esslinger. Winter hatte eingewilligt in einem sehr brisanten Fall auszusagen. Jeder andere an seiner Stelle wäre panisch oder paranoid geworden – nicht Winter.

    Kurz bevor sie alle aufstanden, rieb sich Sascha Winter die linke Schulter. Eine Bewegung, die Esslinger in den letzten Tagen des Öfteren bei seinem Begleiter beobachtet hatte. „Schmerzen?", fragte er.

    „Unwesentlich", kommentierte Winter knapp, während er sich erhob.

    Am Ausgang des A-320 standen die beiden Stewardessen, die sie während des Fluges überaus freundlich bedient hatten.

    „Danke, dass Sie mit uns geflogen sind. Beehren Sie uns bald wieder", verabschiedete sich die Blondine, auf deren Namensschild Maurer zu lesen war. Den ganzen Flug über war sie sehr bemüht gewesen, vor allem um Winter. Esslinger musste zugeben, dass sein Begleiter sehr attraktiv war und bestimmt auf siebzig Prozent aller Frauen anziehend wirkte. Insgeheim verglich er Winters Aussehen mit Sebastian Stan, dem Darsteller des Bucky Barnes aus den Marvel-Filmen. Wie kam er nur auf diesen Vergleich? Ja, die Leidenschaft seiner Tochter, Comicverfilmungen. Kurz blitzte ein wehmütiger Gedanke an Jennifer in ihm auf. Seine mittlerweile erwachsene Tochter, die sich von ihm abgewendet hatte, und deren Zuneigung er zurückzugewinnen versuchte.

    Essinger blickte wieder zu Winter. Dieser schenkte der Stewardess ein Lächeln, das sie zum Schmelzen brachte.

    „Hier ist ein Gutschein für einen kostenlosen Drink auf Ihrer nächsten Reise." Maurer drückte Winter ein visitenkartengroßes Stück Papier in die Hand. Esslinger entging nicht, dass die Finger der jungen Frau leicht zitterten. Winter nahm die Karte entgegen und bedankte sich. Er lächelte ihr noch ein weiteres Mal zu, bevor sie den Flieger verließen.

    Sie betraten Terminal D des Rhein-Main Airports über die Ziehharmonika ähnliche Gangway. Esslinger blickte Winter an. „Ist das wirklich ein Gutschein?" Seine Stimme strotzte vor Skepsis. Der Schwarzhaarige grinste breit und hielt seinem Begleiter das Papier hin. Darauf hatte die Stewardess ihren Namen und eine Handynummer notiert.

    „Sie sind unglaublich!, lachte Esslinger. „Passiert Ihnen das öfter?

    Winters Blick wurde nachdenklich. „Ein, zwei Mal vielleicht." Esslinger spürte, dass sich mehr hinter den Worten verbarg, als sein Gegenüber preisgab.

    „Mir passiert so etwas nie, meldete sich einer ihrer beiden Begleiter, die hinter ihnen liefen. „Manchen Männern fliegen die Frauen nur so zu, ob sie es wollen oder nicht. Stimmt’s Winter?

    Der Tonfall des Mannes barg einen provokativen Unterton, der Esslinger nicht entging. Er wandte sich um, blickte ihn tadelnd an, worauf der Redner sofort verstummte. An Winter gewandt sagte er dann: „Ein Wagen erwartet uns am Ausgang." Esslinger deutete in Richtung des Zollbereichs.

    „Ich müsste noch mal auf die Toilette", erwiderte Winter.

    „Hat das nicht Zeit bis …?"

    „Nein!", unterbrach der Schwarzhaarige.

    „Okay. Da vorne ist ein Wegweiser zum nächsten WC. Ich gehe aber mit. Als Winter protestieren wollte, fügte Esslinger hinzu: „Zur Sicherheit! Ihre beiden Begleiter wies er an, hier auf sie zu warten.

    An der Toilette angekommen ging Esslinger voran, öffnete die Tür und inspizierte den Raum. Außer ihnen war niemand zu sehen.

    „Also los, gehen Sie!", forderte Esslinger seinen Begleiter auf. Winter verschwand in einer der Boxen. Esslinger wartete am Waschbecken.

    Plötzlich hörte er ein Stöhnen wie von einem Kranken oder Verletzten. „Winter! Was ist los? Alles in Ordnung?" Der Mann antwortete nicht. Esslinger rief ein zweites Mal. Wieder keine Antwort.

    „Winter, wenn Sie nicht antworten, komm ich zu Ihnen rein!" Als der Angesprochene immer noch nicht reagierte, ging Esslinger zu der Kabine, in der Winter verschwunden war. Er öffnete die Tür.

    Was er sah, verwirrte ihn. Winter stand vollständig angezogen hinter der Tür und starrte ihn an.

    „Was ist mit Ihnen? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?"

    Ohne eine Erwiderung schlug Winter ihm ins Gesicht, dass er gegen die Kabinentür taumelte. Ein zweiter Schlag schleuderte Esslinger gegen die Wand. Dann legte sich Schwärze über sein Bewusstsein und er glitt in eine tiefe Ohnmacht.

    17. März, 07:45, Hattersheim Okriftel

    „Guten Morgen, mein Schatz."

    Die Worte drangen an mein Ohr, warm, weich und zärtlich. Wie ein alter Motor, der beim Anspringen stottert, nahm mein Hirn seine Arbeit auf. Ich hob die schweren Lider und blinzelte in den Lichtkranz, der Jays Kopf wie ein Heiligenschein umgab.

    „Morgen", krächzte meine Stimme zurück. Ich versuchte, zu schlucken, aber meine Zunge klebte wie ein alter Socken an meinem Gaumen.

    Jay beugte sich zu mir herab und küsste mich zärtlich auf die Lippen. „Na, du müder Krieger. War`s wieder spät? Ich nickte. „Hast du den Sack endlich geschnappt? Wieder ein Nicken. „Dann kann ich darauf hoffen, mit meinem Verlobten wieder zusammen einschlafen zu können?"

    „Ja, … kannst du." Meine Stimme wollte mir immer noch nicht gehorchen. Ich tastete nach der Wasserflasche neben meinem Bett und trank einen Schluck, nachdem ich sie geöffnet hatte. Danach umarmte ich Jay und zog sie zurück ins Bett.

    „Hey, was soll das werden?", fragte sie keck.

    „Nach was fühlt es sich denn an?", gab ich zurück.

    Jay ließ ihr wunderschönes helles Lachen erklingen. „Ich muss arbeiten! Bei mir steht in neunzig Minuten der erste Patient auf der Matte."

    „Das ist lang genug für …"

    Sie wand sich aus meinem Griff. „Und wer kommt dann völlig derangiert in seiner Praxis an?"

    „Aber …"

    „Nix, aber!"

    „Aber, ich …"

    Sie hob den Zeigefinger wie eine Mutter, die ihrem Kind sagt, dass es jetzt keine Süßigkeiten bekommt. Dann gab sie mir einen langen Kuss und stand wieder auf. „Herr Martini! Sie wissen genau, wie lang die Fahrt nach Frankfurt zur Alten Oper dauert."

    „Jaaaa, weiß ich." Selbst in meinen Ohren klang ich wie ein nöliger Teenie, dem die Eltern kein neues Handy kaufen wollten. Jay hatte seit Anfang des Jahres ihre Praxis für Psychotherapie in der Leerbachstraße. Es war eine Gemeinschaftspraxis, zusammen mit einer weiteren Psychotherapeutin und einer Psychologin. Bei der Einweihung hatte ich ihre beiden Kolleginnen kennengelernt. Das Ganze fühlte sich vielversprechend und stimmig an, zwischen den Frauen herrschte eine gute Chemie. Und ja, die Praxis lief gut.

    „Deine Verrückten sind dir wichtiger als ich", quengelte ich weiter.

    „Zu deinem Glück weiß ich, dass das nicht dein Ernst ist. Dann zog sie die Stirn kraus. „Oder doch?

    Erneut versuchte ich sie zu greifen, aber sie sprang lachend ein Stück weg von mir. Meine Reflexe ließen um diese Uhrzeit sehr zu wünschen übrig. Jay warf mir einen Handkuss zu, während sie das Schlafzimmer verließ.

    Ich wälzte mich aus dem Bett und ging ins Bad. Der Vierzigjährige, der mich aus dem Spiegel ansah, war niemand, den ich hätte küssen wollen. Meine schwarze Mähne stand in alle Richtungen vom Kopf ab und der Dreitagebart war bald mehr grau als schwarz. Einzig meine wasserblauen Augen wirkten wach, klar und hell. Auch wenn meine Figur sportlich wirkte, wofür ich viel trainieren musste, fühlte ich mich im Moment alles andere als agil.

    Meine Selbstreflexion wurde von Jays Stimme unterbrochen. Sie steckte den Kopf zur Tür herein. „Ich geh jetzt. Ihr Blick glitt an meinem Körper hinunter und blieb ziemlich weit unten haften. „Wirklich schade, dass ich gehen muss, sagte sie mit laszivem Unterton, der mich innerhalb von einer Sekunde zum Kochen brachte.

    „Das Angebot steht noch."

    Sie lachte. „War das Wortspiel beabsichtigt? Egal, gib mir ´nen Kuss. Ich muss weg!"

    „Jawohl, Frau von Linde." Ich salutierte und verabschiedete meine Verlobte, wie es sich gehörte. Dann hörte ich die Haustür zuschlagen und war alleine.

    Eine halbe Stunde später kam ich aus dem Bad. Ich lief schnurstracks in die Küche, die Kaffeemaschine rief nach mir, ich konnte es genau hören.

    Das Gute am Leben als Privatdetektiv war, dass ich meinen Tagesablauf selbst bestimmen konnte. Wann stehe ich auf. Wann arbeite ich. Wann faulenze ich. Wobei das letztere, Faulenzen, seit geraumer Zeit zu kurz kam. Seit den Ereignissen im letzten Jahr stand mein Telefon nicht mehr still. Hatte ich mich kurz zuvor noch gefragt, ob ich meine Detektei schließe und wieder zur Polizei gehe, was nicht wirklich eine Option war, stellte sich jetzt die Frage nach Unterstützung – brauchte ich einen zweiten Mann? Diese Entscheidung schob ich schon seit September vor mir her, war aber noch zu keiner Entscheidung gekommen. Jay lag mir schon länger in den Ohren endlich jemanden einzustellen, aber ich war ambivalent in dieser Beziehung.

    Als der erste Kaffee meine Kehle hinunterrann, überlegte ich, was heute anstand. Den Bericht der gestrigen Nacht schreiben. Ehemann betrügt Frau mit Sekretärin – der Klassiker. Jörn Kostas anrufen und ihm mitteilen, dass seine Frau eine Affäre mit ihrem Personaltrainer hat – auch ein Klassiker – und so weiter und so fort.

    Noch während ich über meinen Tag nachdachte, klingelte es an der Haustür. Seit wir letztes Jahr im September nach Hattersheim Okriftel in den Sterntalerweg gezogen waren, gingen die persönlichen Besuche von potenziellen Klienten zurück. Worüber ich nicht böse war. Heute schien sich wieder einmal jemand zu unserem kleinen Einfamilienhaus verirrt zu haben. Ich betätigte den Summer für das Gartentor und öffnete, die Tasse in der Hand, die Haustür. Eine Sekunde später bereute ich, die Gegensprechanlage nicht benutzt zu haben.

    „Hallo Herr Martini! Marion Zinzer vom Frankfurter Kurier", schmetterte mir die brünette, hochgewachsene Frau entgegen.

    „Ich weiß, wer Sie sind, Frau Zinzer. Was wollen Sie schon wieder?", fiel ich ihr ins Wort.

    „Eine Exklusiv-Story. Sie hob die Hand, als ich Luft holte, um zu einer Erwiderung anzusetzen. „Bevor Sie ablehnen, mein Verlag lässt sich das was kosten. Eine nicht unerhebliche Summe. Sie rieb Zeigefinger und Daumen aneinander.

    „Und was muss ich dafür machen?"

    „Ich möchte alles über den Engelmacher und Ihre Beziehung zu ihm erfahren. Die Details, die in keiner anderen Gazette zu finden sind. Den Menschen Josef Larusso. Sie sind der unumstrittene Experte, wenn es um den Serientäter in ihm geht. Den Mann, der blonde Frauen getötet, ihnen eine Schlange in den Mund gesteckt, mit Papierflügeln wie Engel aufgebahrt hat …"

    „Josef Larusso war ein Monster!, unterbrach ich die Journalistin ein weiteres Mal. „Er hat diese Frauen nicht nur ermordet, er hat unzählige Männer und Frauen geschlachtet! Darunter Menschen, die mir nahe standen …

    Diesmal unterbrach Zinzer mich. „Deshalb möchte ich die Hintergründe beleuchten. Ich will nicht das Monster, wie Sie ihn nennen, zeigen, sondern die Person und ihre sozialen Kontakte."

    „Mir war nicht bewusst, dass Soziopathen so hoch im Kurs stehen. Und jetzt reicht’s. Verschwinden Sie! Ich habe, wie die letzten fünfmal, kein Interesse an einem Interview." Ich wollte die Tür effektvoll zuknallen, doch die Journalistin stellte ihren Fuß in den Rahmen.

    „Herr Martini, bitte!"

    „Muss ich noch deutlicher werden?"

    „Ich bin dabei, eine große Serie über Serienmörder zu schreiben, aber dafür möchte ich nicht nur die Taten aufzählen und verurteilen. Sondern auch die Gesichter hinter den Bestien. Die Gesichter, die sie der Gesellschaft zeigen."

    Ich schnaufte enerviert: „Was kommt als Nächstes? Dass meine Verlobte Ihnen ebenfalls Rede und Antwort stehen soll?"

    „Sehr gerne. Jasmina von Linde ist als Psychologin eine Autorität auf ihrem Gebiet. Sie hat Ihnen zweimal geholfen, Täter zu fassen …"

    Mit einer Handbewegung schnitt ich Zinzer das Wort ab. „Es reicht! Jay hat bewusst keine Interviews gegeben, um den Hype um Larusso nicht noch anzufachen. Das wird sich auch für Sie nicht ändern. Meine Verlobte wird weder für Ihr Schmierblatt noch für irgendein anderes ein Interview, geschweige denn eine Expertise abgeben. Und dasselbe gilt für mich. Ende der Geschichte. Ich blickte die Brünette durchdringend an. Äußerlich war Marion Zinzer sehr attraktiv, keine Frage. Sie hatte bestimmt schon den einen oder anderen Gesprächspartner unter Zuhilfenahme ihrer weiblichen Reize zum Reden gebracht. Bei mir biss sie auf Granit. Die Journalistin lief mir seit fast einem Jahr nach, um ein Interview zu bekommen. Alle anderen Reporter hatten mittlerweile aufgegeben, nur diese Ziege nicht. Waren ihre Besuche und Kontaktaufnahmen anfangs selten, wurden sie in letzter Zeit immer häufiger. „Sollten Sie nicht endlich aufhören, mich und Frau von Linde zu belästigen, werde ich mich an die Polizei wenden wegen Stalking.

    „Ich glaube nicht, dass Sie damit durchkommen. Aber bitte." Sie zuckte die Schultern.

    „Leben Sie wohl. Auf Nimmerwiedersehen!" Ich schob Zinzers Fuß zurück und schlug die Tür zu. Diesmal knallte es laut und endgültig. Hoffentlich sehe ich die nie wieder, dachte ich, während ich in mein Arbeitszimmer ging, um mich dem unausweichlichen Papierkram zu stellen.

    17. März, 12:57, Igelsberg Schwarzwald

    Die Tür öffnete sich. Ein kleiner Mann mit kurzen grauen Haaren und kleinem Kugelbauch betrat das Zimmer. Caligula, der über einer Akte gesessen hatte, blickte auf. „Was gibt es, Flavius?"

    Flavius druckste herum. Es war ihm anzusehen, dass das, was er zu sagen hatte, keine Begeisterungsstürme bei seinem Zuhörer auslösen würde. „Ich habe einen Anruf aus Frankfurt erhalten. Er schluckte schwer und schlug den Blick nieder. „Sascha Winter hat sich abgesetzt.

    Caligula fuhr sich mit beiden Händen durch die schwarzen, vollen Haare und ließ ein verzweifeltes Stöhnen hören. „Wie?"

    „Was meinen Sie?", fragte Flavius.

    „Wie ist er entkommen?", gab Caligula lauter zurück.

    „Ach so, das meinen Sie. Er hat seinen Bewacher auf einer Toilette am Flughafen überwältigt. Als Lucius wieder zu sich kam, war Winter nicht mehr aufzufinden."

    „Verdammt! Caligula schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wie konnte das passieren?

    Flavius zuckte die Schultern. „Es tut mir leid, aber mehr weiß ich noch nicht."

    „Dann erkundigen Sie sich gefälligst!", schrie Caligula und schlug ein zweites Mal auf die Tischplatte.

    „Ja, sofort", antwortete der andere eingeschüchtert und wandte sich zum gehen.

    „Stopp!, rief sein Chef hinter ihm her. Der kleine Mann kam zurück in das Büro. „Lucius geht mir auf die Nerven, genauso wie …, flüsterte Caligula vor sich hin.

    „Was meinten Sie?", fragte Flavius, da er das Gemurmel des Vorgesetzten nicht verstanden hatte.

    Caligula blickte zu ihm auf. „Verständigen Sie Artemis."

    17. März, 19:22, Frankfurt Goldstein

    Auf seiner Flucht, nachdem er die Herrentoilette verlassen hatte, brachte Sascha Winter das Handy eines Touristen an sich. Er rempelte einen älteren Mann an und stahl ihm das moderne Smartphone aus der Innentasche seiner Jacke.

    Während er auf die Dunkelheit wartete, war er zu Fuß durch die Frankfurter Randgebiete gewandert. Griesheim, Niederrad, Goldstein und Schwanheim. Bei seinem Streifzug war ihm eine alte Schirmmütze in die Hände gefallen, welche ihm sehr gelegen kam. Er setzte sie auf und zog sie so tief ins Gesicht, dass seine Augen nicht mehr zu sehen waren. Dies musste als Verkleidung reichen. Als der Abend anbrach und der Himmel sich dunkel färbte, begab er sich auf den Weg zu seinem Ziel.

    Die

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