Der Fluch
Von Michael Lindner
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Der Fluch - Michael Lindner
1
Die Insel war lang gezogen und sie hatte die Form eines Stiefels. Von den äußeren Rändern stieg das Gelände sanft an, manchmal so sanft, dass die Steigung kaum auszumachen war. In der Mitte aber, an der gegenüberliegenden Seite des großen Strandes, wo die Lagune lag und das Wasser ganz besonders seicht war, erhob sich ein mächtiger Felsen, nur wenige hundert Meter vom Ufer entfernt.
Eines frühen Morgens hatte er diesen Berg wieder einmal erklommen, um Ausschau zu halten. Es war windstill gewesen, das Meer lag ruhig da und kein Laut war zu hören. Als die Tiere noch schliefen hatte er das Plateau schon erreicht, von wo er hinabblickte auf die riesige, schwarze Fläche. Hier suchte er den Ozean ab. Zweihundert Kilometer weit oder weiter konnte er sehen bei guten Bedingungen und nichts sollte ihm entgehen in jenen Morgenstunden, sobald die Strahlen der Sonne den Horizont erleuchteten. Zu seinen Füßen lag noch still und dunkel die Insel. In der Ferne, weit draußen, war bald der erste Schimmer zu sehen, er schob sich langsam hervor und spülte Licht an die schwarzen Silhouetten der Palmen unten am Strand, tauchte sie in Orange-Töne, dass sich ihre Konturen deutlich abzeichneten, wie auf einer großen, farbigen Leinwand. Das Orange ging über in dunkleres Orange und schließlich, hoch oben am Firmament, brannte es bald in glühendem Rot, dass er meinte der Himmel stünde in Flammen. Rot wechselte in dunkleres Rot und dorthin, wo der Nachthimmel sich immer weiter zurückzog, wuchs ein lila Streifen in breitem Bogen. Die letzten Sterne waren in den schwarzen Weltraum gemalt und verschwanden allmählich. Das Lila wurde zu Blau. Er konnte Wolken erkennen darin. Schwarze Wolken. Manchmal überlegte er, wie es sein konnte, dass Wolken am Nachthimmel erschienen, da sie doch weiß waren und aus Wasserdampf bestünden. Und dann glaubte er, dass es gar keine Wolken waren, denn gleich verschwanden auch sie wieder. Die ganze Landschaft, die vorher noch unsichtbar war, tat sich jetzt innerhalb weniger Minuten vor ihm auf, als hätte jemand den Vorhang zur Seite gezogen. Zu seiner Linken fiel der Fels steil ab bis in eine Senke mit einem kleinen See, wo er schon gebadete hatte, und von dort liefen Hügel und Täler weiter bis zur Küste. Rechts von ihm war das Gelände anders beschaffen. Nicht gar so steil und versehen mit allerlei Gewächs, führte ein gangbarer Weg den Abhang hinab. Im Laufe der Zeit war es ein Weg geworden, denn da, wo vorher kein Weg war, hatte er mit der Machete Lianen entzweigeschnitten oder herabhängende Äste.
Je weiter er in den Urwald vorgedrungen war, umso schwieriger kam er voran, umso mühseliger war die Arbeit mit dem Messer wegen der Farne und Sträucher oder der Bananenstauden, deren frische Triebe viel Platz einnahmen und die er oftmals nicht wegschlagen wollte, weil sie ihm zu wertvoll erschienen.
Dann und wann traf er auf riesenhafte Orchideen mit gewaltigen, gelben Blütenkelchen, die einen entsetzlichen Gestank ausströmten. Er scheute sich ihren Stiel abzuhacken, denn es waren viel eher Tiere als Pflanzen. Einmal hatte er es dennoch getan und es graute ihm danach, denn die Blüte war durch die Wucht des Stoßes abgefallen und sie lag neben ihm, wie der Kopf eines großen toten Paradiesvogels. Und als bewegte der Vogel seinen Schnabel im Todeskampf, schlossen sich die großen hellen Blätter zum letzten Mal und verbargen ihr schmerzvolles Gesicht vor ihm, wie wenn sie klagen wollten: Du hast mich getötet!
Als dann, wie es immer so war, die Sonne höher stieg und es schnell heißer wurde, suchte er sich ein schattiges Plätzchen, am besten in der Nähe der grünen Halme, aus denen er trinken konnte so viel er wollte und die noch dazu in großer Menge zu finden waren. An den Stamm eines alten Baumes gelehnt schlummerte er nicht selten ein, die schwüle Mittagshitze drückte ihm die Lider zu und er begann von früher zu träumen. Er träumte von seinen nächtlichen Streifzügen mit alten Freunden und von seinem Mädchen, das groß und schlank war, mit pechschwarzem Haar, das in wilder Krause in alle Richtungen weg stand. Ihr Haar war so wie das Haar vieler Südländerinnen und die Farbe ihrer Haut war wie die des Cafés, den er damals noch trank. An einem jener Abende trug sie ein trägerloses, gelbes Top und dazu enge Jeans, außerdem war sie barfuß. Ihre Augen funkelten schwarz. Er war zu einer Party eingeladen worden, irgendwo in der Stadt seiner Jugend, in eines der vielen hundert Häuser mit ihren tausenden Wohnungen. Als sich die Räume mehr und mehr füllten, da erklang Musik und sie begannen zu tanzen. Auf einmal gesellte sich ein Mann zu ihnen. Es war einer seine besten Freunde von damals. Sein Name war Georg. Das Mädchen wandte sich sogleich ab und drehte ihnen den Rücken zu. Aus Hast ließ sie die brennende Zigarette fallen. Sie bückte sich. Die engen Jeans spannten sich, das Top rutschte hoch, die Wirbelsäule zeichnete sich am Rücken ab, der schlanke Körper bog sich elastisch und die Beine mit ihren straffen Schenkeln und den schlanken Fesseln in schwarzen Pumps balancierten geschickt das Gleichgewicht aus. Georg verschlang sie mit seinen Blicken und als ob er nicht fassen konnte, was er gerade gesehen hatte, schüttelte er ein paar Mal ungläubig den Kopf. In seinem feisten Nacken bewegten sich vom Schweiß verklebte Strähnen. Er roch ein wenig nach Schweiß, fand Robin.
Das Mädchen schrieb ihm Briefe. Es waren liebliche Briefe, voll von kindlicher Vergötterung, es waren ehrliche Briefe mit Zeichnungen und Pfeilen und kleinen lieben Tieren. Einmal, an einem anderen Tag, gingen sie zusammen in ihre Wohnung, über die schmalen Treppen hinauf, vorbei an dem alten Mann, der im Stiegenhaus seine Bleibe hatte, mitsamt seinem Hab und Gut. Robin konnte sich noch genau an ihn erinnern. Er hatte sich dort in einem staubigen Winkel ein altes, klappriges Bettgestell zusammen gerichtet und als er ihn das erste Mal sah, traute er seinen Augen kaum, weil er so verwahrlost war. In jener Nacht, als er zur Toilette auf den Gang musste, schlich er an dem Alten vorbei. Er wagte es nicht das Licht einzuschalten, aus Angst ihn zu wecken. Er war auf Zehenspitzen unterwegs, nur mit einer Unterhose bekleidet. Aber der Alte hörte ihn. Er hob den Kopf und Robin erkannte ganz deutlich das abgemagerte Gesicht mit dem langen Bart und die schwarzen Knopfaugen, wie sie traurig in das bleiche Mondlicht sahen. Eilig rannte er zurück ins Zimmer. Sie wartete schon auf ihn. Sie war nackt im Bett. Er schloss vorsichtig die Tür zweimal ab, aus Angst vor dem Alten. Dann kroch er unter die Decke und konnte nicht aufhören und sie konnte nicht aufhören und so ging es die ganze Nacht.
Von solchen Träumen bewegt, durchschlief er manch heiße Mittagsstunde und wenn er dann erwachte, fuhr er zusammen in größter Panik, drehte sich hastig nach allen Seiten, rieb seine Augen, erblickte grün, überall grün und nochmals grün, ehe die Erinnerung einsetzte und sich alles langsam wieder zusammenfügte.
Dann schrie es: Verdammt, verdammt noch mal!
aus ihm heraus und er griff mit laut schlagendem Herzen zu seinem Säbel, der neben ihm lag und den er wie die vielen anderen Sachen mit sich gebracht hatte, auf dem Weg in ein neues Leben. Mit ganzer Kraft hieb er ein Stück von den Halmen ab, hielt das eine Ende an den Mund und übergoss sich mit Wasser.
Dann dachte er: Es ist gut so. Es ist gut so. Ich kann nicht zurück. Es ist gut so.
Erst allmählich konnte er sich wieder beruhigen, während die Sonne nicht aufhörte zu brennen.
Eines anderen Tages, ebenso zur Mittagszeit, war er wieder eingeschlummert mitten im Wald, und diesmal wurde er von wildem Geschrei geweckt. Es surrte und knackte ringsum. Irgendjemand schoss mit Pfeilen. Die Pfeile pfiffen durch das Blattwerk und schlugen in die Stämme ein. Hastige Schritte wechselten sich ab mit lautem Rufen, das immer näherkam. Er verstand nichts, denn es war weder seine, noch irgendeine andere Sprache, die er kannte.
Wilde, irgendwelche Wilde!
dachte er und kauerte sich hinter einen mächtigen Stamm. Die Schritte kamen näher und er konnte die Richtung erahnen. Jemand keuchte und schrie, als ob er gleich sterben müsse. Jeden Moment würde er herausbrechen aus dem Unterholz und ihn entdecken. Auf einmal Stille. Dann wieder Schreie, lautes Gebrüll ganz dicht neben ihm. Ein Ast knackte und dann sah er ein Bein. Wie im Zeitraffer tauchten zuerst das dunkle Bein und dann der Körper, mit einem Lendenschurz aus braunem Stoff, zwischen den Stauden hindurch. Er blickte in die aufgerissenen Augen eines Wilden mit Kriegsbemalung. Das Blut gefror ihm in den Adern, als der Wilde losbrüllte, die Arme in die Höhe riss und schreiend auf ihn losstürzte. Da drückte er den Abzug. Er hatte das Gewehr die ganze Zeit im Anschlag gehabt. Ein Schuss löste sich und es krachte so heftig, dass er selbst erschrak. Doch noch mehr als er erschrak der wilde Kerl und fiel der Länge nach vor ihm auf den Boden und blieb da liegen, regungslos, wie tot.
Robin kam hervor aus seinem Versteck, er zitterte am ganzen Leib, trat an ihn heran, presste den Lauf seiner Flinte auf den nackten, braunen Oberkörper und schrie mit furchterregender Stimme: Keine Bewegung!
Dann stieg er in den Nacken des Mannes und überlegte kurze Zeit, ob er ihm den Stutzen über den Schädel ziehen sollte. Doch stattdessen schrie er, diesmal leiser wie zuvor und mit weniger Angst: Umdrehen sofort!
Mit seinem Fuß grub er sich unter den linken Oberarm des Kerls, hob ihn ein wenig an und brachte ihn dazu, sich auf den Rücken zu drehen. Der Wilde lag jetzt vor ihm, die Augen geschlossen, mit bemalten Wangen, hastig durch den geöffneten Mund nach Luft schnappend. Robin sah, dass er völlig wehrlos war und stieß ihn leicht mit dem Gewehrkolben an.
Was ist hier los? Sag was!
Aufgeregt zuckten seine Lippen, er versuchte zu reden und zischte etwas, wandte den Kopf in die Richtung aus der er gekommen war, verdrehte kurz die Augen und fiel dann in Ohnmacht.
Seine Oberarme waren mit mehreren nach unten zeigenden, keilartigen Symbolen in dicker, weißer Farbe bemalt, ebenso das Gesicht oberhalb der kräftigen Kieferknochen. Auf dem Brustkorb verliefen zwei halbkreisförmige Linien spiegelverkehrt an der Innenseite der Brustwarzen herum. In der Mitte, da wo das Herz schlug, berührten sie sich fast.
Er lebt
, flüsterte Robin, betastete die Farbe und strich über die harte, muskulöse Bauchdecke weiter zum etwas hervorstehenden Nabel, der von symmetrischen Dreiecken eingerahmt wurde. Er besah sich die Zeichnungen genau. Die beiden Dreiecke bildeten ein auf dem Kopf stehendes Quadrat, eine Art Raute, deren Spitze in die Leistengegend wies, da wo der Oberkörper in das Becken überging. Es war wohl eine Kriegsbemalung, dachte Robin und ließ von ihm ab. Er lauschte angestrengt. Es war jetzt nichts mehr zu hören. Seine Gefährten hatten offenbar das Weite gesucht, als der Schuss fiel.
Er hieß Nuii, der schöne junge Mann, wie er später erfuhr. Sein Gesicht war so ebenmäßig gezeichnet und es sah gar nicht aus, wie das eines Farbigen. Es war feiner, mit einer hübschen Nase und hatte den Teint einer reifen Kokosnuss. Die Augen waren so tief und schwarz wie der Ozean in der dunkelsten Nacht. Nuii konnte die Sprache der Weißen sprechen. Er hatte sie bei ihnen gelernt.
Robin nahm ihn mit in das alte Haus. Auf einem seiner ersten Streifzüge über die Insel hatte er es entdeckt, und obgleich es völlig verfallen war, war er sehr froh, es sein Zuhause nennen zu dürfen. Es bot ihm Schutz vor den wilden Tieren.
„Du warst schon hier?" fragte er ihn, als sie gemeinsam auf der hölzernen Veranda standen. Nuii nickte.
Robin war erstaunt. „Ich lebe nämlich schon einige Zeit hier", sagte er, „zwei Jahre, zwei Monate
und elf Tage."
„Ja?"
„Ja", sagte Robin und betrachtete ihn skeptisch.
„Hast du das Haus jemals betreten?"
Nuii schüttelte den Kopf, so dass seine Halskette mit dem Haifischzahn, den Muscheln, den Korallen und den kleinen weißen Perlen rasselte. Robin war sich nicht sicher, ob er ihm glauben sollte.
„Ich wohne woanders", sagte Nuii, „ich wohne
dort, wo die Weißen nicht sind."
„Wo wohnst du?" fragte Robin und sah ihn an.
„Ich wohne in der Nähe!" antwortete Nuii. Seine weißen Zähne standen in einer Reihe dicht beieinander, ohne jeden Makel. Sie glänzten wie Kokosnussfleisch.
„In der Nähe, was heißt in der Nähe?"
„In der Nähe", wiederholte Nuii. Und als wäre
es ganz selbstverständlich, sagte er: „Ich sehe dich, aber du siehst mich nicht! Robin nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife und paffte ein Rauchwölkchen nach dem anderen in die Luft, so wie er es immer machte, wenn er angestrengt nachdachte. „Seit zwei Jahren beobachtest du mich also?
„Ja", erwiderte Nuii, ohne aufzusehen.
„Und, gibt es da noch mehr von euch?" Robin zog die Stirn in Falten. Der Pfeifenqualm stand in der feuchten, schwülen Luft, wie eine dicke, schwarze Gewitterwolke, die den Himmel verfinsterte. Nuii sagte nichts. Sein leerer Blick war auf den Boden gerichtet.
„Wo sind die anderen? fragte ihn Robin nervös. „Sag schon! Sie werden doch nicht kommen, oder?
Nuii setzte sich auf die Stufen, die zur dahinterliegenden Haustüre führten. Er fächelte den Qualm zur Seite und schüttelte mit trauriger Miene den Kopf. „Nein, ich bin nicht mehr ihr Freund."
Robin verstand nicht, was er meinte. Er lehnte sich an einen der Holzpfähle unter dem Balkon. Sie umrahmten links und rechts neben der Treppe den Eingangsbereich. Zusammen mit einer Reihe weiterer Holzpfosten, denen das Wetter im Laufe der Zeit bereits stark zugesetzt hatte, trugen sie das obere Stockwerk. Er bemerkte wie Nuiis Kopf zwischen seinen Händen immer tiefer sank. Es drängte ihn, mehr zu erfahren. „Wenn du nicht mehr ihr Freund bist, fragte er, „was bist du dann?
Nuii sah zu ihm hinauf. „Ich bin ein Verräter, ein Feigling. Ich habe meine Frau betrogen!"
„Du hast deine Frau betrogen?"
„Ja, ich war verheiratet und hatte die Frau eines anderen, sagte Nuii. „Darauf steht die Todesstrafe.
Robin hielt kurz inne, nahm zwei tiefe Züge und überlegte. Dann wurde ihm klar, was er meinte.
„So ist das also", murmelte er. Langsam verstand er, was sich vorher im Wald zugetragen hatte.
„Sie jagten ihn aus ihrem Stamm, weil er ein Ehebrecher war, dachte er. „Er hatte sich mit einer ihrer Frauen getroffen und sie wollten sich an ihm rächen. Er hatte ihn, wie es schien, vor dem sicheren Tod bewahrt.
Er warf ihm, wie er so zusammengekauert auf der Treppe saß, einen unschlüssigen Blick zu. Es kam ihm alles sehr sonderbar vor. Er war jetzt länger als zwei Jahre alleine auf dieser Insel, und hatte mit keinem Menschen ein Wort gewechselt. Dann, wie aus heiterem Himmel, fiel ihm dieser Bursche in die Hände. Und er erzählte ihm nicht irgendetwas. Nein, er erzählte ihm von etwas, das ihn seltsamerweise an sich selbst erinnerte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er Nuii nicht zufällig getroffen hatte. Es war ihm, als hätte ihn das Schicksal zu ihm geführt.
„Du kennst dieses Haus?, fragte er ihn vorsichtig, „Dann weißt du bestimmt auch, warum es leer steht, oder?
Nuii nickte. „Ja! Das Haus gehörte dem König von Samoa!"
„Dem König von Samoa? Aber hier ist nicht Samoa!"
„Nein, hier ist nicht Samoa", wiederholte Nuii mit schwacher Stimme.
Robin sah ihn irritiert an, und als wäre er ihm eine Antwort schuldig, fügte Nuii fast beiläufig hinzu: „Hier ist Nuau Nalua."
Robin hörte diesen Namen zum ersten