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Die Eifel ist kälter als der Tod
Die Eifel ist kälter als der Tod
Die Eifel ist kälter als der Tod
eBook374 Seiten4 Stunden

Die Eifel ist kälter als der Tod

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Über dieses E-Book

Eigentlich hat Kriminalhauptkommissar Roger Lemberg die Leitung der SOKO-Eifel übernommen, um es in Zukunft etwas ruhiger angehen zu lassen. Doch gleich am ersten Tag bekommt er es mit einem mysteriösen Mordfall zu tun: Auf dem Skulpturenweg in Buchet wird eine weibliche Leiche gefunden. Schnell führen ihn seine Ermittlungen in ein Dickicht aus Eifersucht, Habgier, Neid und Hass, in dem es mehr Verdächtige gibt, als ihm lieb ist. Dabei hat der aus Mainz in seine Heimat Zurückgekehrte schon genug mit privaten Problemen zu tun. Ein seit Jahren schwelender Konflikt mit seinem Vater lodert erneut auf, und seine Ehe droht an seinem aufreibenden Job zu zerbrechen. Nur mühsam gelingt es Lemberg, Licht in das Dunkel des Falls zu bringen - da gibt es einen weiteren Toten. Und ehe Lemberg es sich versieht, hängt auch sein Leben an einem seidenen Faden.
SpracheDeutsch
HerausgeberEmons Verlag
Erscheinungsdatum16. Jan. 2017
ISBN9783863583361
Die Eifel ist kälter als der Tod

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    Buchvorschau

    Die Eifel ist kälter als der Tod - Edgar Noske

    Edgar Noske, Jahrgang 1957, lebte als freier Autor im Rheinland und in der Eifel. Im Emons Verlag erschienen zahlreiche Kriminalromane, darunter die Mittelalter-Trilogie »Der Bastard von Berg«, »Der Fall Hildegard von Bingen« und »Lohengrins Grabgesang« sowie die Kölner Leo-Saalbach-Krimis »Nacht über Nippes«, »Kölsches Roulette« und »Himmel über Köln«. In der Reihe mit Kommissar Lemberg erschienen »Die Eifel ist kälter als der Tod«, »Endstation Eifel« und »Im Dunkel der Eifel«.

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

    Die Vignette zwischen den Kapiteln zeigt die Skulptur »Motorino Amore Romanza« von Norbert Huppertz.

    © 2013 Hermann-Josef Emons Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Umschlagzeichnung:: Heribert Stragholz

    Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch

    eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

    ISBN 978-3-86358-336-1

    Eifel Krimi

    Originalausgabe

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    Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

    Für

    Katrin und Mei-Huei

    »Es war kalt, es goss, ein halber Sturm wehte,

    und vor uns lagen wie eine Mauer die schwarzen

    Forsten der Schnee-Eifel, wo die Drachen hausten.«

    Ernest Hemingway, November 1944

    »Die Eifel ist die einzige Gegend,

    in der ich mich nicht nach dem Meer sehne.«

    Roger Lemberg, September 2002

    Dreiundzwanzigmal war sie den Weg bereits gegangen. Einmal pro Woche und immer nachts. Heute aber war sie keine zwei Stunden nach Sonnenuntergang aufgebrochen, länger hatte sie es nicht ausgehalten. Dabei war sie erst gestern bei ihm gewesen. Düster war es, aber nicht stockfinster wie die anderen Male. Sie konnte den Waldboden sehen, konnte erkennen, wohin sie ihre Füße setzte.

    Trotzdem hatte sie größere Schwierigkeiten als sonst, die Stelle zu finden; sie hatte sich auf ihre Augen verlassen und nicht die Schritte gezählt. Also ging sie zurück zu den vier Buchen und versuchte es erneut. Jetzt maß sie die Strecke ab. Zweiundvierzig Schritte, dreiundvierzig, vierundvierzig. Erst der Ilex, daneben die Hagebutten. Hier musste es sein. Sie lehnte ihr Fahrrad gegen einen Baum und schob sich durch das Gestrüpp.

    Der Eingang des Stollens lag vor ihr wie das aufgerissene Maul eines Raubtiers.

    Nach wenigen Metern wagte sie es, die Taschenlampe einzuschalten. Die Temperatur fiel mit jedem Schritt. Wasser rann die Wände hinab und sammelte sich in kleinen Pfützen, um dann langsam in den Spalten des felsigen Bodens zu versickern. Von Anfang an hatte sie sich bücken müssen, inzwischen ging sie beinahe in der Hocke. Gleich würde die Stelle kommen, an der sie kriechen musste. Sie klemmte die Taschenlampe zwischen die Zähne, ging auf alle viere und schob sich bäuchlings unter der tief hängenden Felsdecke hindurch. Eisig spürte sie das Wasser an Händen und Knien. Sie hörte, wie der Rucksack am Stein schrammte. Auf der anderen Seite des Engpasses konnte sie endlich aufrecht stehen.

    Wenig später teilte sich der Stollen. Der breitere und höhere Gang endete nach knapp dreißig Metern in einem Wasserloch. Der andere, der mit einer halsbrecherisch steil abfallenden Passage begann, führte zu seinem Versteck. Das Stück war nicht sehr lang und der Boden außerdem glatt geschliffen, dennoch kostete sie die Rutschpartie jedes Mal Überwindung. Sie hockte sich auf ihre Fersen, tastete nach den Wänden und schlidderte in die Tiefe. Auf dem Rückweg würde sie sich an dem Seil hochziehen, das er an der Felswand gespannt hatte.

    Weiter führte der Stollen, immer weiter in den Berg hinein. Früher war er noch länger gewesen, aber irgendwann war der hintere Teil eingestürzt. Kurz vor der Stelle, an der Geröllmassen den weiteren Weg versperrten, zweigte rechts ein Kriechgang ab. Wieder musste sie auf die Knie. Fünf, vielleicht sechs Meter lang war der Gang, dann erweiterte er sich zu einer Kammer, die drei Meter hoch und annähernd zwanzig Quadratmeter groß war. Hier hielt er sich versteckt.

    Er war nicht da.

    Mitten im Raum war das Feldbett aufgebaut, darauf lagen der Schlafsack und die Zusatzdecke. Aufgereiht an der Wand standen die beiden Motorradkoffer und das Topcase aus Aluminium, in denen er seine Wäsche und Kleinkram aufbewahrte, etwas weiter die Wasserkanister und die Waschschüssel. Auf dem Campingtisch und dem Klappstuhl lagen einige Bücher und Zeitschriften, obenauf stand die Petroleumlampe. Sein Essen kochte er in der gegenüberliegenden Ecke, der Brenner und die Gaskartuschen markierten den Platz. Oberhalb der Kochstelle war der Abzug. Zu sehen war davon nichts, aber sie spürte den feinen Lufthauch des Durchzugs auf der Wange.

    Die Lebensmittelvorräte, hauptsächlich Konserven, lagerten in einer doppelkojengroßen Nische gleich unter der Höhlendecke, die er sein »Schwalbennest« nannte. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie sie gerade mal mit der Hand erreichen. Um hinaufzukommen, hatte er drei Steigeisen in die Wand geschlagen. Dorthin zog er sich zurück, wenn die Höhle überschwemmt wurde. Das passierte bei jedem Wolkenbruch. Dann lief das Wasserloch im anderen Stollen über, und der tiefer gelegene Teil der ehemaligen Mine wurde überflutet. Bis zu zwei Meter konnte das Wasser steigen. Die Höchststände hatte er mit einem Stift an der Wand markiert. Bis das Wasser durch irgendwelche Ritzen und Spalten im Fels wieder abgelaufen war, konnten Stunden vergehen. Im April hatte er bei Dauerregen einmal drei Tage im »Schwalbennest« ausharren müssen. Allein die Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

    Noch nie war ihr aufgefallen, wie kalt und feucht es hier unten war. Aber sie war auch noch nie allein in der Höhle gewesen. Immer war er da gewesen, und meistens hatten sie sich im Arm gehalten. Dann entdeckte sie unter dem Schlafsack sein Gewehr. Es beruhigte sie, obwohl sie nicht hätte sagen können, wieso.

    Ein schleifendes Geräusch ließ sie herumfahren. Vor Schreck fiel ihr die Taschenlampe aus der Hand. Als sie sich danach bückte, wurde ihr ein weißer Kunststoffkanister vor die Füße geschoben, und aus dem Dunkel der Röhre fragte seine Stimme: »Was willst du denn hier?«

    Behände kroch er aus dem Gang und richtete sich auf. Wie am Vortag perlte trotz der Kälte Schweiß auf seiner Stirn. Sein Bart war inzwischen bleistiftlang. Die Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Mit einem flüchtigen Kuss begrüßte er sie, ging zum Tisch und entzündete die Lampe. Der Lavendelduft des parfümierten Petroleums erfüllte den Raum. Dann löschte er seine Taschenlampe, sie tat dasselbe mit ihrer.

    »Wo warst du?«, fragte sie.

    »An der Möhnbachquelle«, sagte er. »Das Wasser aus der Höhle taugt nichts. Mir tun die Knochen weh. Du musst dein Fahrrad weiter entfernt abstellen. Am besten lässt du es bei den Buchen oder gleich am Waldrand.«

    »Ich habe immer Angst, dass es gestohlen wird.«

    »Das wäre das kleinere Problem. Du hast mir noch nicht gesagt, warum du schon wieder hier bist.«

    »Es ist etwas passiert«, sagte sie ernst.

    Er sah sie an, nahm das Gewehr vom Bett, lehnte es gegen den Tisch und setzte sich. »Ist der Interessent für den Hof abgesprungen?«

    »Nein.« Sie entnahm ihrem Rucksack ein Blatt und hielt es ihm hin. Er griff zögernd danach, als fürchtete er, dem Papier könnte Gift anhaften.

    »Ein Bild«, sagte er erleichtert. »Hat die Kleine das gemalt?«

    »Sieh es dir genau an.«

    Das tat er und drehte das Blatt sogar herum. Trotzdem zuckte er mit den Schultern. »Was soll das?«

    Sie setzte sich neben ihn. »Das ist ein Traktor, auf dem ein Mann sitzt. Ein anderer Mann liegt unter dem Traktor. Die Person mit den gelben Haaren soll ich sein.«

    Am Zittern seiner Hände erkannte sie, dass er begriff.

    »Wie kann sie das wissen?«, fragte er mit spröder Stimme.

    Sie zeigte auf eine Kugel in der Ecke des Bildes. »Das ist sie selbst. Auf dem Heuboden.«

    »Du … du hast doch gesagt, sie hätte in ihrem Bett gelegen und geschlafen.«

    »Sie muss aufgewacht sein, und weil niemand im Haus war, wird sie in die Scheune gelaufen sein. So hat sie es mitbekommen. Später ist sie dann zurück ins Haus und hat sich wieder ins Bett gelegt.« Sie nahm ihm das Bild ab. »Das ist der Grund, warum sie nicht mehr spricht. Sie hat alles gesehen. Nicht, weil sie den Tod ihres Vaters nicht verwunden hat, wie wir dachten.«

    »Wann hat sie das gemalt?«

    »Das weiß ich nicht.«

    »Wie?«

    »Das ist nur eine Kopie, eine Farbkopie.« Sie griff nach seiner Hand. »Die hat heute Nachmittag ein Mann gebracht.«

    »Ein Mann? Was für ein Mann? Ein Bulle?«

    Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Er hat mir keinen Ausweis gezeigt.«

    Er riss sich los und sprang auf. »Wer war der Mann, verdammt noch mal? Er muss sich doch irgendwie vorgestellt haben! Was hat er gesagt? Was wollte er?«

    »Ich weiß es nicht«, stammelte sie. »Es war alles so seltsam.«

    Sekundenlang starrte er sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Dann stieß er hervor: »Wie sah er aus? Groß? Klein? Verflucht noch mal, er muss doch irgendetwas gesagt haben! Der hat dir doch das Bild nicht gebracht, weil er es irgendwo gefunden hat! – Wo hat er es überhaupt her?«

    Sie senkte den Kopf, sagte aber nichts. Er packte sie grob an den Schultern und schüttelte sie. »Rede, verdammt! Begreifst du denn nicht, was auf dem Spiel steht? War der Kerl vielleicht von der Versicherungsgesellschaft?«

    »Davon hat er nichts gesagt.«

    »Also noch einmal: Wie sah er aus?«

    »Er war so groß wie du, vielleicht etwas kleiner.«

    »Beschreib sein Gesicht.«

    »Das … Ich kann das nicht. Er trug einen Hut, tief im Gesicht, und ich war so erschrocken.«

    »Das darf nicht wahr sein.«

    »Ich kann doch nichts dafür«, schluchzte sie.

    Er schäumte vor Wut, und einen Moment sah es aus, als wollte er auf sie losgehen. Dann aber schloss er die Augen und beherrschte sich.

    »Ganz ruhig«, sagte er, nicht zuletzt zu sich selbst. »Ganz ruhig. Der Reihe nach. Okay?«

    Sie nickte.

    »Wann kam er?«

    »Um kurz nach drei.«

    »Was für einen Wagen fuhr er?«

    »Einen roten.«

    »Welche Marke? Welches Modell? Einen Geländewagen? Eine Limousine?«

    »Eine Limousine. Ich glaube, es war ein Japaner.«

    »Konntest du dir das Kennzeichen merken?«

    »Nein. Daran habe ich nicht gedacht. Ich war viel zu –«

    »Schon gut. Was hatte er an?«

    »Einen Mantel, einen beigen Trenchcoat. Und diesen Hut. Er sah aus wie ein Detektiv aus einem schlechten Film.« Zum ersten Mal sah sie ihm wieder direkt in die Augen. »Dunkle Bartstoppeln hatte er. Und behaarte Hände, ziemlich kräftige. Das fällt mir jetzt wieder ein.«

    »Sehr gut. Wie hat er sich vorgestellt?«

    »Gar nicht. Er kam einfach in die Diele und hat mir das Bild hingehalten mit den Worten: ›Ihre Tochter hat Talent, finden Sie nicht?‹«

    »Weiter.«

    »Weil ich nicht gleich reagiert habe, hat er gefragt: ›Was sagen Sie zu dem Bild?‹ – ›Nichts‹, habe ich gesagt, ›was soll ich dazu sagen? Ich weiß ja nicht einmal, ob meine Tochter das gemalt hat.‹ Daraufhin hat er gegrinst und meinte, das sollte ich mal seine Sorge sein lassen. Schließlich wollte er wissen, wer die Personen auf dem Bild sind.«

    »Was hast du ihm gesagt?«

    »Gar nichts. Ich war wie gelähmt. Dann hat er auf den Toten gezeigt und meinte: ›Wenn das Ihr Mann ist, wer ist dann der Typ am Steuer des Traktors, wo doch angeblich Sie Ihren Mann überfahren haben?‹«

    »Was ist weiter passiert?«

    »Ich habe ihm gesagt, er soll verschwinden, mich würde das nicht interessieren. Daraufhin wollte er wissen, ob die Versicherung schon gezahlt habe.«

    »Verdammt, wie kann er von der Versicherung wissen?«

    »Keine Ahnung.«

    »Wie hast du reagiert?«

    »Ich hab ihm gesagt, er soll das Haus verlassen. Weil er wieder keine Anstalten machte, hab ich ihm mit dem Hund gedroht. Da ist er endlich gegangen. Das Bild hat er dagelassen, dazu aber gesagt, es sei nur eine Kopie. Das Original sei in sicherer Verwahrung. Und er hat gesagt, er würde wiederkommen. Das sei nur der Anfang gewesen. Genau so hat er sich ausgedrückt: ›Das ist nur der Anfang gewesen.‹«

    Er schluckte. »Hat er irgendeine Forderung gestellt?«

    »Nein.«

    »Hast du ihn gefragt, woher er das Bild hat?«

    »Nein.«

    Er lief einige Schritte auf und ab. Das Licht zeichnete einen gespenstischen Schatten auf die Wand. Plötzlich schnipste er mit den Fingern.

    »Das kann er doch nur von dieser verdammten Seelenklempnerin haben. Hat er die irgendwie erwähnt?«

    »Nein. Ihr Name fiel nicht. Ich hab dir alles gesagt.«

    »Dieses Miststück! Die will an der Lebensversicherung mitverdienen, das ist es. – Aber woher weiß sie von der Versicherung? Hast du mit ihr darüber gesprochen?«

    »Ich weiß nicht … Schon möglich, dass ich das erwähnt habe, als sie mich gefragt hat, wie es denn mit mir weitergeht.«

    »Verflucht, ich war von Anfang an dagegen, dass die Kleine zu ihr geht!«

    »Aber sie hat doch nicht mehr gesprochen!«

    »Spricht sie etwa jetzt? Nein! Alles für die Katz, und wir haben außerdem diesen Kerl am Hals.«

    »Vielleicht kommt er ja nicht wieder.«

    »Das ist doch Blödsinn! Natürlich taucht der wieder auf. Der hat nur mal vorgefühlt.« Abrupt blieb er stehen. »Diese Psychotante hat dir das Bild bisher nicht gezeigt, oder?«

    »Wir haben den nächsten Termin am Dienstag. Vielleicht will sie dann mit mir darüber sprechen.«

    »Worauf du dich verlassen kannst. Ihren Anteil wird sie fordern. So eine Scheiße! Gerade jetzt, wo die Provinzial endlich zahlen will! Wo endlich jemand ernsthaft Interesse an dem verdammten Hof zeigt! Wenn wir Pech haben, war alles umsonst.« Matt sank er auf das Lager an ihrer Seite und bedeckte die Augen mit dem Unterarm. »Oh, dieses Kind! Warum ist sie nicht im Bett geblieben?«

    »Sei still! Sie kann doch nichts dafür.«

    »Ich weiß, ich weiß. Es ist nur … Seit einem halben Jahr sitze ich in diesem Loch und werde langsam verrückt. Und jetzt auch noch das.«

    »Du darfst nicht verrückt werden.« Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn. »Ich brauche dich doch. Hörst du?«

    Mit einem Ruck richtete er sich auf. »Bei Gott, das werde ich auch nicht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Australien, alle unsere Pläne.« Er beugte sich zum Tisch und griff nach dem Gewehr.

    »Was hast du vor?«, fragte sie.

    »Das wirst du schon sehen«, sagte er und lud die Flinte durch. »Das wirst du schon sehen.«

    Der Mann, der an diesem Morgen die kurvenreiche Straße vom Ahrtal hinauf nach Dorsel fuhr, war fünfundvierzig Jahre alt, maß einen Meter fünfundachtzig und wog laut Digitalwaage 87,3 Kilo. Seine eisengrauen Haare waren auf halbe Streichholzlänge gekürzt, das Pflaster am Kinn war die Folge einer unkonzentrierten Nassrasur.

    Bekleidet war er mit einer sandfarbenen Cordhose, einem marinefarbenen Polohemd, einem braunen Sakko und Hush Puppies. Der Name des Mannes war Roger Lemberg, wobei der Vorname wegen der wallonischen Abstammung seiner Mutter französisch ausgesprochen wurde. Es war kurz vor neun, und Lemberg war auf dem Weg, seinen Job als Erster Kriminalhauptkommissar der SOKO-Eifel anzutreten.

    Die Dorfstraße erwies sich als üble Schlaglochpiste, wurde aber gerade saniert. Vielleicht eine Folge des Einfalls der Behörde in das zweihundert Seelen zählende Dorf.

    Das Haus lag am Ende des Ortes, linker Hand, ein gewöhnliches zweieinhalbgeschossiges Wohnhaus. Auffällig waren lediglich der Antennenwald und die überdimensionale Satellitenschüssel auf dem Dach. Gleich neben dem Haus befand sich der Fußballplatz des Dorfes, ein gepflegtes Stück Rasen mit zwei blendend weiß gestrichenen Toren. Lemberg parkte seinen Wagen und stieg aus. Die Sonne wärmte bereits, und der Himmel war nahezu wolkenlos. Die Fernsicht war bestechend. Hinter Lemberg knirschte der Kies.

    »Hauptkommissar Lemberg?«

    Der Mann war untersetzt, kahlköpfig und hatte eine gespaltene Kartoffelnase. Genau so hatte er auf dem Foto der Personalakte ausgesehen, die Lemberg per Express-Boten erhalten hatte. Als Lemberg nickte, wurde das Lächeln des anderen breiter, und er streckte die Hand aus.

    »Henning Klaes. Kriminaloberrat Canisius hat mich beauftragt, Sie zu empfangen. Er ist leider verhindert. Ein Termin in der Zentralstelle für Polizeitechnik. Wegen des Hubschraubers.«

    Klaes’ Händedruck war kräftig, aber nicht übertrieben. Geruch und Zahnfärbung entlarvten ihn als Pfeifenraucher. Laut der Unterlagen war Klaes Mitte fünfzig, verwitwet und galt als unschlagbarer Schreibtischermittler.

    »Angenehm.« Lemberg ließ den Blick erneut schweifen. »Andere Leute müssen für so eine Aussicht in Urlaub fahren.«

    »Wir haben keinen Grund zur Klage. Wenn Sie möchten, mache ich Sie mit den übrigen Mitarbeitern bekannt.«

    »Gerne.«

    Nach der Begrüßung der Damen der Telefonzentrale und des Schreibbüros ging es in das Besprechungszimmer. Lediglich eine Frau und ein Mann warteten dort. Während Klaes die Honneurs machte, memorierte Lemberg die Daten.

    Marie-Louise Berrenrath-Noll, achtunddreißig, geschieden, zwei Kinder. Sie war mittelgroß, stark in den Hüften, ansonsten aber schlank. Ihr braunes Haar trug sie praktisch kurz. Die Lippen waren eine Spur zu schmal, dafür waren ihre Augen abgründig dunkel, schwer zu sagen, ob braun oder schwarz. Zusammen mit Canisius hatte sie die SOKO-Eifel aufgebaut und war bis gestern kommissarisch stellvertretende Leiterin der Behörde gewesen. Die Beurteilung bescheinigte ihr höchste Kompetenz auf allen Fachgebieten.

    Der Mann an ihrer Seite war Tobias Schommer, einunddreißig, ledig, ein Kind. Er war nur unwesentlich kleiner als Lemberg, schlaksig, hatte blonde, seitengescheitelte schulterlange Haare und einen Dreitagebart. Mit Kaugummikauen hielt er seine Wangenmuskulatur in Form. In Frankfurt hatte er als Ass im Observieren gegolten.

    »Willkommen bei der SOKO«, sagte Berrenrath-Noll. Ihre Hand war wärmer als ihre Stimme. »Für den Augenblick müssen Sie mit uns beiden vorlieb nehmen. Die Kolleginnen Wagner und van de Sande sind dienstlich unterwegs. Und der Kollege Schupp hält sich zu einer Rehamaßnahme im Schwarzwald auf.«

    Auch die Daten der Abwesenden hatte Lemberg parat. Helena Wagner, neunundzwanzig, ledig, kinderlos. Sie war vom K1 der Kripo Koblenz zur SOKO gestoßen. Katja van de Sande, achtundzwanzig, verheiratet, kinderlos. Canisius hatte sie in Kleve abgeworben. Dieter Schupp, sechsunddreißig, verheiratet, drei Kinder. Er stammte aus Manderscheid und hatte sich vor zwei Monaten bei einem Autounfall komplizierte Unterschenkelfrakturen zugezogen. Wann er wieder dienstfähig werden würde, war noch nicht absehbar.

    Nachdem Lemberg auch Schommers Hand geschüttelt hatte, sagte er in die Runde: »Nett, dass Sie sich für die Begrüßung Zeit genommen haben. Gibt es einen Raum, in dem ich mich einrichten kann?«

    »Selbstverständlich«, sagte Berrenrath-Noll. »Ich bringe Sie nach oben.«

    Das Zimmer lag nach Nordosten und maß um die zwanzig Quadratmeter. Die Einrichtung war neu und zweckmäßig, der Teppichboden von der Sorte, die einem das Betreten an der Türklinke heimzahlt. Lemberg schnupperte. Dem ledernen Lehnstuhl haftete ein Hauch von Parfüm an.

    »Ich habe ausgiebig gelüftet«, sagte Berrenrath-Noll. Bereits im Besprechungszimmer war ihre Stimme Lemberg bekannt vorgekommen. Er wusste nur nicht, an wen sie ihn erinnerte. »Aber der Duft ist hartnäckig. Ich hoffe, es stört Sie nicht. In ein paar Tagen hat er sich verflüchtigt.«

    »War das Ihr Büro?«

    Sie nickte.

    »Wegen mir hätten Sie es nicht zu räumen brauchen.«

    »Der Kriminaloberrat wollte es so. Er sitzt übrigens gleich gegenüber. Wenn er da ist.«

    »Und Sie?«

    »Nebenan. Im Kinderzimmer.« Da Lemberg verdattert guckte, setzte sie hinzu: »Dies hier war das Schlafzimmer der Vorbesitzer.«

    Lemberg schob die Gardinen des einzigen Fensters zur Seite. Die Sicht ging weit übers Land. Auf dem gegenüberliegenden Hof jagte ein Kleinkind Hühner.

    »Warum ausgerechnet Dorsel?«, fragte er, während er den Lehnstuhl ausprobierte. »War das Ihre Idee?«

    »Bewahre!«

    »Canisius’?«

    »Nein. Der Standort wurde von der Kommission festgelegt, die die beiden Innenministerien zur Gründung der SOKO eingesetzt hatten.«

    »Sprechen Sie von Düsseldorf und Mainz? Ich dachte, die SOKO-Eifel sei auf Initiative des Bundes gegründet worden.«

    »Mir scheint, man hat Sie nicht über alle Einzelheiten informiert.«

    »Der Job wurde mir vergangenen Mittwoch angeboten. Freitag habe ich zugesagt, heute bin ich hier. Da blieb kaum Zeit, mich vorzubereiten. Nehmen Sie doch Platz.«

    Etwas geziert ließ Berrenrath-Noll sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder. Der blaue Hosenanzug und die gelbe Bluse standen ihr gut, auch wenn sie damit aussah wie eine Lufthansa-Stewardess mit liberaldemokratischem Parteibuch.

    »Tatsächlich ist die Einrichtung einer länderübergreifenden Kriminaldirektion ein Lieblingskind des Bundesinnenministers, wobei er anscheinend von Anfang an die Eifel als Pilotregion im Auge gehabt hat«, erläuterte Berrenrath-Noll mit leicht vorgerecktem Kinn. »Die Innenminister von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben sich natürlich mit Händen und Füßen gesträubt, mussten dem Druck aus Berlin aber letztendlich nachgeben. Für die Wahl des Standortes gab es zwei Bedingungen: Erstens sollte er möglichst zentral in der Eifel liegen, zweitens in unmittelbarer Nähe der gemeinsamen Landesgrenze. So ist man auf Dorsel gekommen.«

    »Wo ist die Grenze?«

    »Fünfhundert Meter hinter dem Haus beginnt Nordrhein-Westfalen. Außerdem muss es hier in der Nähe eine Erhebung geben, die Mordhügel genannt wird. Ich war allerdings noch nicht da. Ein Gerücht besagt, dies hätte die Entscheidung nicht unerheblich beeinflusst.«

    »Da sage noch einer, in den Ministerien habe man keinen Sinn für Humor.« Lemberg öffnete die Schubladen. Bis auf ein Paar Handschellen waren sie leer. »Wissen Sie, wo mein Ausweis und meine Dienstwaffe sind?«

    »Beides will Ihnen der Kriminaloberrat heute Nachmittag persönlich überreichen.«

    »Wie er meint. Tja, zentral muss aber nicht verkehrsgünstig heißen.«

    »Wenn die Lücke der A1 zwischen Blankenheim und Daun geschlossen wird, führt die Autobahn unmittelbar an Dorsel vorbei.«

    »Und unser Amt erhält wegen seiner Bedeutung eine eigene Anschlussstelle. Wie haben denn die Kollegen in Trier, Mayen und Wittlich reagiert?«

    »Die SOKO ist so beliebt wie jedes neu gegründete Konkurrenzunternehmen.«

    Lemberg seufzte. »Wo haben Sie früher gearbeitet, Frau Berrenrath-Noll? Apropos – könnten wir uns darauf verständigen, dass ich Sie nur mit einem Ihrer Namen anspreche? Mit Doppelnamen habe ich so meine Schwierigkeiten.«

    »Welcher Art?«

    »Manchmal geht mir dabei die Puste aus.«

    »Wenn Ihre Luft nicht mal dafür reicht …« Sie bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. »Aber meinetwegen. Sagen Sie Noll zu mir, das ist mein Mädchenname. – Um Ihre ursprüngliche Frage zu beantworten: in Düsseldorf, Fachbereich Organisierte Kriminalität. Eigentlich wollte ich von dort auch nicht weg, aber dem Angebot, das Kriminaloberrat Canisius mir gemacht hat, konnte ich nicht widerstehen. Die Chance, beim Aufbau einer Dienststelle mitzuwirken, hat man wahrscheinlich nur einmal im Leben.«

    Lemberg merkte, dass Noll noch etwas loswerden wollte, und zog ermunternd die Brauen hoch.

    »Wie ich hörte, waren Sie beim BKA«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Im Bereich Kriminalprävention.«

    »Zuletzt, ja.«

    »Kennen Sie den Kriminaloberrat schon länger?«

    »Canisius war beim Innenministerium in Mainz.«

    »Früher soll er aber auch beim BKA gewesen sein. Außerdem ist es von Mainz nach Wiesbaden ein Katzensprung.«

    »Aber dazwischen fließt ein tiefer Fluss. Trotzdem, Sie vermuten richtig. Canisius war einmal mein Vorgesetzter. Allerdings ist das eine kleine Ewigkeit her. Warum fragen Sie?«

    »Dann wird mir einiges klar.« Noll atmete vernehmlich durch. »Kollege Lemberg, ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie dennoch meiner uneingeschränkten Loyalität zu versichern.«

    »Wie darf ich das verstehen?«

    »Am besten so, wie ich es gesagt habe.«

    Lemberg blickte ihr in die Augen. Aber die waren zu dunkel, um etwas zu verraten. Also zählte er zwei und zwei zusammen.

    »Es ist nicht nur Ihr Stuhl, auf dem ich sitze, habe ich Recht? Ich habe Ihnen auch den Job weggenommen.«

    »Ich hatte mich ebenfalls um den Posten beworben, ja.«

    »Sie waren vom ersten Tag an dabei.«

    »Länger. Im vergangenen Jahr habe ich zusammen mit dem Kriminaloberrat die Dienststelle geplant und eingerichtet. Ihre Arbeit aufgenommen hat die SOKO zum ersten Ersten.«

    »Hatte Canisius Ihnen die Stelle zugesagt?«

    »Ich meinte zumindest, eine solche Absicht zwischen seinen Worten herausgehört zu haben.«

    »Das tut mir leid«, sagte Lemberg. »Davon habe ich nichts gewusst.«

    Noll lächelte spöttisch. »Hätten Sie davon gewusst, hätten Sie Canisius natürlich abgesagt.«

    »Nein. Die Alternative für mich hieß Personenschutz in Berlin. Mein Interesse, Ministergattinnen Einkaufstüten hinterher zu tragen, ist jedoch begrenzt. Zudem wohnt meine Familie noch in Mainz. Von Dorsel kann ich zum Wochenende nach Hause fahren.«

    »Verständlich.«

    Das Telefon unterbrach sie. Lemberg hob ab und meldete sich in eine tote Leitung hinein.

    »Sie müssen den blinkenden Knopf drücken«, sagte Noll.

    Das tat Lemberg, und diesmal klappte es. Er sagte zweimal ja und einmal danke, dann legte er auf.

    »Arbeit«, sagte er und erhob sich. »Eine weibliche Leiche in Buchet. Kommen Sie.«

    Im Treppenhaus sagte er: »Danke für Ihre Offenheit.«

    »Auch ich weiß gern, woran ich bin«, sagte Noll.

    Neben dem Haus,

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