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Fesselnde Entscheidung 2
Fesselnde Entscheidung 2
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eBook353 Seiten4 Stunden

Fesselnde Entscheidung 2

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Über dieses E-Book

In Südfrankreich erholt sich Elisa von den dramatischen Erlebnissen. Fernab der Heimat findet sie etwas wieder, von dem sie glaubte, es für immer verloren zu haben: ihren Seelenfrieden. Doch die Distanz entfernt sie auch von Tim.
Plötzlich wird sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und nicht nur ihre Beziehung mit Tim wird auf eine harte Probe gestellt, sondern ihr ganzes Leben gerät komplett aus den Fugen.
Währenddessen laufen bei PHARMASchulte die Geschäfte weiter. Der neue Mitarbeiter, Philipp Stein, ist gerade dabei, sich in sein Aufgabengebiet einzuarbeiten, als er eine unglaubliche Entdeckung macht. Dann kreuzt auch noch eine junge Frau seinen Weg und er trifft eine folgenschwere Entscheidung. Ohne es zu ahnen, befindet er sich längst in einem gefährlichen Strudel, in dem es um viel mehr geht als um Leben und Tod.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum9. Jan. 2016
ISBN9783738054156
Fesselnde Entscheidung 2

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    Buchvorschau

    Fesselnde Entscheidung 2 - Alissa Sterne

    Widmung

    Für

    »Will wissen, wie’s weitergeht«-Kerstin

    &

    »Alles wird gut«-Detlev

    Ihr seid unglaublich!

    Und für alle,

    die sich über eine Fortsetzung von »Fesselnde Entscheidung« freuen.

    Ihr seid meine Motivation!

    ICH DANKE EUCH VON GANZEM HERZEN!!

    Alissa Sterne, im November 2015

    Prolog

    Stille. Absolute Stille.

    Und doch hatte sie irgendetwas geweckt. Benommen öffnete sie die Augen und sah nichts außer Dunkelheit. Kalte Angst legte sich auf ihre Haut und ließ sie frösteln. Sie wollte schreien, aber wagte es instinktiv nicht. Vorsichtig tastete sie um sich und fühlte Sand auf kühlem Steinboden. Voller Panik richtete sie sich auf und stieß mit dem Kopf gegen eine Wand. Ihr stockte der Atem. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust. Mit zitternden Händen fühlte sie eine raue zerklüftete Steinwand. Auf wackeligen Beinen schwankte sie langsam an ihr entlang und stoppte abrupt, als sie nach wenigen Metern eine Ecke spürte. Von da tastete sie sich weiter in die Finsternis hinein. Nach wenigen Schritten erreichte sie wieder eine Ecke. Plötzlich machte ihr Herz einen Aussetzer, als sie mit einem Mal eine glatte Oberfläche ertastete. Irgendetwas Metallenes. Mit beiden Händen untersuchte sie den Gegenstand und fand so etwas wie einen Türgriff. Sie schaffte es aber nicht, ihn hinunterzudrücken. Mit all ihrer Kraft zog und rüttelte sie am Knauf, aber er bewegte sich keinen Millimeter. Vollkommen fassungslos ließ sie sich auf die Knie fallen und wischte sich die aufkommenden Tränen weg. Sie war eingesperrt und würde es für unbestimmte Zeit auch bleiben! Wieder wollte sie schreien, aber sie brachte keinen Ton heraus. Ihre Kehle war vollkommen ausgetrocknet. Mit einem Schlag drangen donnernde Kopfschmerzen in ihr Bewusstsein. Als wenn jemand wie verrückt immer wieder mit einem Hammer auf ihren Hinterkopf einschlug. Sie umfasste mit beiden Händen ihren Schädel, aber es half nicht.

    Schließlich strich sie ihre langen Haare aus dem Gesicht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das Letzte, woran sie sich erinnern konnte? Doch sie war nicht in der Lage, einen Gedanken zu Ende zu denken. Immer wieder verloren sie sich in ihrem Kopf. Ein übermächtiges Angstgefühl durchflutete ihre Adern. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrem Rücken und zwischen ihrem Mund und ihrer Nase. Mit wirrem Blick meinte sie unvermittelt, weiter hinten auf dem Boden einen hellen kleinen Punkt zu erkennen. Auf allen vieren kroch sie zu der Stelle und wischte panisch über den hellen Fleck. Jetzt erschien er auf ihrem Handrücken. Sie richtete den Kopf nach oben und traute im ersten Moment ihren Augen nicht. Ein feiner Lichtstrahl drang von der Decke in die Dunkelheit. Irgendwo da oben musste eine Öffnung sein! Ein Ausgang! Von Hoffnung getrieben überlegte sie krampfhaft nach einer Möglichkeit, irgendwie nach oben zu gelangen. Zuerst probierte sie es über den metallenen Gegenstand, den sie für eine Tür hielt. Aber sie rutschte immer wieder ab und fand keinen Halt, um sich nach oben ziehen zu können. Dann hatte sie einen Einfall. Vielleicht konnte sie an einer der rauen Wände hochklettern? Erneut tastete sie die Wände ab. Aufgeregt glitten ihre Hände über große und kleine Steine, die unregelmäßig aus den Wänden ragten. Immer wieder zog und rüttelte sie an ihnen, um ihre Festigkeit zu prüfen. Dann fühlte sie plötzlich so etwas wie kleine Einkerbungen, die offensichtlich nach oben führten – direkt an der Wand, die dem feinen Lichtstrahl am nächsten war. Eine Art Treppe nach oben in die Freiheit? Ihr Herz machte einen Sprung. Entschieden trat sie den Aufstieg an. So fest sie konnte, krallte sie sich mit ihren Händen in den winzigen Vertiefungen fest, drückte ihren Körper flach gegen die Wand und suchte mit den Füßen Halt. Unter größter Kraftanstrengung zog sie sich mit den Armen höher und höher. Sie wagte nicht, nach unten zu blicken, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf die Wand vor ihr und jede einzelne Bewegung – mit nur einem Ziel vor Augen: irgendwie nach draußen zu gelangen. Ihre Kräfte ließen nach. Als sie anfing, unkontrolliert am ganzen Körper zu zittern, zwang sie sich, kurz innezuhalten und durchzuatmen. Panik ergriff sie. Was, wenn ihre Kräfte nicht ausreichten? Sie schaute nach oben und schluckte trocken. Sie musste ein gutes Stück zurückgelegt haben, denn aus dem feinen Lichtstrahl war ein breiter heller Streifen geworden. Eindeutig, da oben ging es hinaus. Neue Kraft durchströmte sie. Noch mal holte sie tief Luft, suchte dann mit der rechten Hand nach der nächsten Einkerbung und zog sich hoch. Plötzlich rutschte ihr rechter Fuß ab. Händeringend versuchte sie, in letzter Sekunde neuen Halt zu finden. Doch die Schwerkraft zeigte kein Erbarmen. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte sie ungebremst in die Tiefe und schlug hart auf den Boden auf.

    Dann herrschte wieder Stille. Totenstille.

    1. Kapitel – Wenige Wochen zuvor

    Es regnete sanft und leise. Wie feine Bindfäden fielen die Regentropfen im spärlichen Licht der Straßenlaternen geräuschlos vom dunklen Himmel.

    In seinem schmucklos eingerichteten Büro bemerkte Philipp Stein davon nichts. Viel zu sehr war er in die Dokumente vor ihm vertieft. Er konnte nicht glauben, was er da las. Das war unfassbar! Er wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte: der gedruckte Text oder die handschriftlichen Bemerkungen am Rand. Mit der einen Hand rieb er sich über die Augen, mit der anderen blätterte er ungläubig die rund hundert Seiten Papier erneut durch. Hatte er endlich einen Volltreffer gelandet? War es das, wonach er insgeheim gesucht hatte?

    Er registrierte weder das penetrante Flackern der Neonröhre über ihm, das ihn vor ein paar Stunden noch fast den letzten Nerv geraubt hatte, noch die dramatische Szene, die einer der Monitore links neben ihm zeigte: Trotz der sparsamen Außenbeleuchtung war zu erkennen, wie ein klobiger Kerl mit brutaler Gewalt auf eine wehrlose Frau einschlug. Mitten ins Gesicht, bis sie taumelnd auf den Pflastersteinen zusammensackte und auf die Seite fiel. Mit einem letzten Tritt in die Magengrube ließ der Mann von seinem Opfer ab und verschwand in die anonyme Dunkelheit.

    Philipp warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. 20:39 Uhr. Verdammt, schon so spät!, dachte er und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück. Kopfschüttelnd vergrub er sein Gesicht in den Händen. Fast bedauerte er seine heutige Entdeckung. Wenn das wahr war, dann … Wieder schüttelte er ungläubig mit dem Kopf, als er sich schwerfällig erhob. Vom langen Sitzen schmerzte sein Rücken. Sport wäre jetzt vielleicht der richtige Ausgleich, zog er kurz in Erwägung, aber sein knurrender Magen hatte eine verlockendere Alternative parat. Also entschied er sich für Currywurst mit Pommes auf dem Heimweg. Hastig sortierte er die Dokumente wieder in die richtige Reihenfolge und verstaute sie da, wo er sie gefunden hatte: im Safe. Dann ließ er einen prüfenden Blick über das Büro schweifen, beobachtete kurz die Bilder der Überwachungskameras, zückte schließlich sein Smartphone und machte wie jeden Abend ein Foto von seinem Arbeitsplatz, um am nächsten Morgen sicher zu sein, dass noch alles an seinem Platz und nichts verändert war. Weder der Kugelschreiber noch die Maus oder die Armlehnen seines Sessels oder sonst irgendetwas. Mit einem lauten Knacken ließ er die schwere Tür ins Schloss einrasten. Reflexartig vergewisserte er sich, dass die Tür wirklich verschlossen war, erst dann schaltete er auf dem Flur das Licht an. Offenbar war er nicht nur der Erste, der morgens zur Arbeit erschien, sondern wieder mal der Letzte, der ging. Als er mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss fuhr, lockerte er seine Krawatte und betrachtete kurz sein müdes Spiegelbild. Augenränder hatten sich wie nachtragende Schatten seiner schlaflosen Nächte tief in sein Gesicht gegraben und sein ehemaliger Drei-Tage-Bart mutierte mehr und mehr zu einem dichten, dunklen Vollbart. Er fuhr sich durch seine dunkelbraunen Haare und ließ den Blick an sich hinabschweifen. Wenn das so weiter ging, würde er bald einen Bauch ansetzen. Kurz fühlte er sich an seine alte Eitelkeit erinnert. Früher mal war er sehr bedacht auf sein Äußeres gewesen, aber das war lange her, und seit er seine neue Arbeitsstelle angetreten hatte, vernachlässigte er es noch mehr. Nach der langen beruflichen Auszeit wollte er endlich einen guten Job machen, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hungerte er vor allem nach Anerkennung.

    Mit einem Knopfnicken verabschiedete er sich am Empfang vom diensthabenden Wachmann und trat hinaus in die Kälte. Ein Schwall frischer Luft schlug ihm entgegen. Er atmete tief durch und blickte in den schwarzen Himmel über ihn. Wieder musste er an die Papiere denken, die er entdeckt hatte. Es war unfassbar! Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg zu seinem silberfarbenen Mercedes-Benz 300 SL Roadster, den er sich mit seiner ersten vielversprechenden Gehaltsabrechnung finanziert hatte. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass der Gehweg nass war. Offensichtlich hatte es geregnet, ohne dass er es mitbekommen hatte. Plötzlich hörte er ein leises Wimmern. Instinktiv stellten sich seine Nackenhaare auf. Er hielt inne und versuchte, die Quelle des Geräuschs zu lokalisieren. Seine Gedanken überschlugen sich. Was war das? Es klang wie ein Kind, das verzweifelt versuchte, nicht zu weinen.

    »Ist da jemand?«, rief er laut.

    Absolute Stille. Weder ein Wimmern noch ein Schluchzen war mehr zu hören. Er kratzte sich am Kopf und überlegte. Vielleicht war es auch nur eine Katze oder aber sein Tinnitus hatte ihm einen üblen Streich gespielt. Gerade als er sich abwenden und nach links zu seinem Auto gehen wollte, vernahm er ein gedämpftes, schmerzerfülltes Stöhnen. Es kam von rechts aus Richtung der Einfahrt. Alarmiert blickte er um sich und öffnete mit einem geübten Griff das Gürtelholster seiner Waffe. Zu dieser späten Stunde war der Parkplatz vollkommen verlassen. So weit die dürftige Beleuchtung es zuließ, hatte er freie Sicht. Sein Auto stand unweit links von ihm. Er aber ging im Schutz des Bürokomplexes langsam nach rechts. Fast hatte er das Ein- und Ausfahrtstor erreicht, als er wieder ein Wimmern hörte. Jetzt laut und deutlich. Das war keine Katze und kein Tinnitus, sondern ein Mensch. Keine Frage. Schnell tippte er den Zahlencode in das Tastenfeld an der Tür neben dem Tor ein, dann führte er seine Chipkarte vor das Lesegerät. Surrend öffnete sich die Tür. Er verließ das Firmengelände und blickte um sich. Stumm verfluchte er die spärliche Straßenbeleuchtung, als er einer Eingebung folgend nach rechts abbog und die Straße und den Gehweg so gut es ging nach etwas Verdächtigem absuchte. Abrupt beschleunigte sich sein Herzschlag, als er im Halbdunkel plötzlich Beine entdeckte, die aus einem Gebüsch ragten. Mit schnellen Schritten eilte er zu der Person, die versuchte, sich aufzurichten.

    »Oh Gott! Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte er und half der Frau in eine sitzende Position. Zu mehr war sie offensichtlich nicht in der Lage.

    »Was ist passiert? Sind Sie überfallen worden? … Warten Sie, ich rufe einen Krankenwagen.«

    »Nein, bitte nicht!«, hörte er sie mit zittriger Stimme sagen.

    Verständnislos musterte er die junge Frau. Auf Anfang 20 schätzte er sie. Ihr linkes Auge war blutunterlaufen und dick angeschwollen. Sie konnte es kaum öffnen. Ihr ganzes Gesicht war verschmiert. Er war sich nicht sicher, ob mit Blut oder Schminke. Wahrscheinlich aus beidem, schlussfolgerte er.

    »Aber Sie sind verletzt! Sie bluten … Sie müssen in ein Krankenhaus!«

    »Nein, bitte nicht!«, sagte sie immer noch sehr leise, »das sieht schlimmer aus, als es ist.«

    »Das wage ich zu bezweifeln. Auf jeden Fall rufe ich die Polizei! Hat man Ihnen etwas gestohlen?«

    »Nein, bitte auch keine Polizei!« Ihre Stimme wurde lauter.

    »Aber …«

    »Das war mein Freund … Beziehungsweise mein Exfreund.«

    »Ein Grund mehr zur Polizei zu gehen!«

    »Nein, ich will das nicht! Bitte lassen Sie mich einfach in Ruhe. Das ist nicht Ihr Problem!«

    »Aber ich kann Sie hier doch nicht einfach liegen lassen!«

    »Mir geht es gut … also, es ging mir schon mal besser, aber … wird schon wieder.«

    Erneut versuchte sie aufzustehen, doch ihre zitternden Beine versagten ihr den Dienst. Tränen der Verzweiflung sah er in ihren Augen aufblitzen. Er kniete sich vor sie und redete mit sanfter Stimme auf sie ein, in der Hoffnung, sie zur Vernunft zu bringen. Wahrscheinlich befand sie sich in einem Schockzustand, befürchtete er.

    »Wo wollen Sie denn jetzt hin? Kann ich Sie vielleicht irgendwo hinbringen? … Auch wenn ich finde, dass Sie in ein Krankenhaus gehören.«

    »Danke, das ist echt nett von Ihnen, aber …« Sie brach ab und wischte sich mit dem Handrücken ihre Tränen weg.

    »Würden Sie mich bitte einfach allein lassen?«

    »Mein Auto steht gleich hier hinten auf dem Parkplatz. Ich werde Sie sicherlich nicht hier liegen lassen. Kann ich Sie vielleicht zu … zu einer Freundin fahren, oder so?«

    »Das geht nicht.« Nach einer kurzen Pause fügte sie leise hinzu: »Er würde mich überall finden.«

    »Sie müssen zur Polizei gehen. Da sind Sie vor diesem Kerl sicher!«

    Die junge Frau schüttelte müde mit dem Kopf. »Sie verstehen das nicht! … Beim nächsten Mal bin ich tot … Bitte lassen Sie mich einfach in Ruhe! Gehen Sie jetzt bitte nach Hause und leben Sie Ihr Leben!«

    Vollkommen perplex beobachtete Philipp, wie sie sich voller Entschlossenheit aufrichtete, als wenn sie ihren Beinen unmissverständlich klarmachen wollte, dass sie es nicht wagen sollten, ihr erneut den Dienst zu quittieren. Nur ihr schmerzverzerrtes Gesicht ließ erahnen, wie es tatsächlich in ihr aussah. Besorgt fing er ihren Blick auf. Aber sie wandte sich von ihm ab, angelte mühsam nach ihrer Handtasche, die irgendwo im Gebüsch verborgen lag, und machte schließlich einen Schritt weg von ihm. Plötzlich taumelte sie und versuchte mit rudernden Armen im letzten Moment irgendwo Halt zu finden. Bevor sie wieder im Gebüsch landete, fing Philipp sie auf. Ohne etwas zu sagen, hob er sie hoch und war für den Bruchteil einer Sekunde überrascht, wie leicht sie war.

    Sie leistete keinen Widerstand, sondern schien fast dankbar zu sein, als er sich mit ihr in Bewegung setzte und sie zurück zum Eingangstor trug.

    »Ich kann nicht ins Krankenhaus, die würden mir zu viele Fragen stellen. Und zur Polizei will ich auch nicht«, sagte sie bestimmt, und doch wirkte ihre Stimme kraftlos.

    »Habe ich schon verstanden. Und ich hoffe, du verstehst, dass ich dich hier irgendwie auch nicht stehen … beziehungsweise liegen lassen kann.«

    Ohne sie abzusetzen, tippte er an der Tür, die das Firmengelände vom Rest der Welt trennte, schnell die Zahlenkombination ein und öffnete mit der Chipkarte die Tür. Erst vor der Beifahrertür seines Wagens setzte er sie sanft ab und ließ sie auf den Sitz rutschen.

    »Ist das Ihr Auto?«, fragte sie mit einem Hauch von Bewunderung in der Stimme.

    »Nein, ist geklaut.«

    »Ach so.«

    Er traute seinen Ohren nicht und beugte sich zu ihr hinab, um in ihrem Gesicht zu lesen, ob ihre gleichgültige Reaktion gespielt oder ernst war. Er war sich nicht sicher.

    »Natürlich ist das mein Auto. Was denkst du denn?«

    »Welches Baujahr?«

    »1963. Du interessierst dich für Autos?«, fragte Philipp überrascht.

    »Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe noch nie in so einem tollen alten Auto gesessen.«

    Gefühlvoll schloss er die Beifahrertür. Während er um den Wagen herumging, überschlugen sich seine Gedanken. Was für ein Abend! Was für ein Tag! Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und reichte ihr die Hand. »Philipp.«

    Sie lächelte zaghaft. »Sarah. Wo bringst du mich hin?«

    Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung … Vielleicht in eine Notfallambulanz?«

    »Nein! Bitte nicht! Sonst steig ich sofort aus!«

    Auch wenn er nicht glaubte, dass sie weit kommen würde, wollte er es nicht auf einen Versuch ankommen lassen.

    »Und wenn ich dich zu deinen Eltern bringe?«

    »Für meine Eltern bin ich gestorben.«

    Philipp zog die Stirn kraus. Da saß eine Frau in seinem Auto, die offenkundig nicht nur zusammengeschlagen worden war, sondern noch viel mehr Probleme am Hals hatte.

    »Wo wohnst du? Sonst fahre ich dich auch nach Hause.«

    Sah er da so etwas wie Panik in ihren Augen aufblitzen?

    »Du willst mich zu ihm bringen?«

    »Nein. Natürlich nicht. Ich wusste nicht, dass ihr zusammenwohnt … also zusammengewohnt … äh … ist ja auch egal ...« Philipp brach ab, kratzte sich an der Stirn und dachte nach. Was sollte er jetzt machen? Er konnte sie doch nicht einfach mit zu sich nach Hause nehmen, aber andererseits? Allerdings … was, wenn sie innere Verletzungen oder sogar eine Hirnblutung hatte? Sie gehörte in ärztliche Obhut! Plötzlich hatte er eine Idee und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Ein Kumpel von mir ist Sportmediziner. Der soll sich zumindest mal dein Auge ansehen. Er wird auch keine Fragen stellen, okay?«

    »Ich habe keine Krankenversicherungskarte dabei.«

    »Er wird’s überleben.«

    Kaum hatte er es ausgesprochen, zog er auch schon sein Smartphone aus der Tasche und betätigte das Display. Während er sich das Handy mit der linken Hand ans Ohr hielt, startete er mit der anderen den Motor und fuhr los.

    »Hey Markus, ich bin’s. Alles klar bei dir? … Du eine Freundin von mir ist in eine Schlägerei geraten und will partout nicht ins Krankenhaus. Aber ihr Auge ist fast zugeschwollen. Könntest du dir das einmal anschauen? … Prima, danke! Bis gleich!«

    Nachdem er die Pin eingegeben und die Zutrittskarte vor das Lesegerät gehalten hatte, öffnete sich das imposante Firmentor und sie fuhren hinaus auf die menschenleere Straße, vorbei an dem Gebüsch, in dem er diese ramponierte und jetzt am ganzen Körper zitternde Frau gefunden hatte.

    »Alles okay?«, erkundigte er sich.

    »Ja. Mir ist nur auf einmal entsetzlich kalt.«

    »Kein Wunder! Deine Klamotten sind ja auch total durchnässt. Im Büro hatte ich es gar nicht mitbekommen, aber es muss ganz schön geregnet haben. Wie lange hast du da schon gelegen?«

    »Nicht so lange. Glaube ich ...« Ihre brüchige Stimme erstarb.

    Philipp warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. Ihre langen blonden Haare hingen wirr an ihr herab. Sie wirkte vollkommen aufgelöst. Innerlich wie äußerlich. Einem Impuls folgend hätte er am liebsten ihre Hand genommen, um sie zu beruhigen, aber er tat es nicht, sondern konzentrierte sich wieder auf die Straße vor ihm. Keiner sagte etwas. An einer roten Ampel stoppte er den Wagen und schaute wieder zu ihr hinüber. Er folgte ihrem Blick auf seine rechte Hand, die das Lenkrad fest umschloss. Vielleicht suchte sie einen Ehering oder fragte sich, woher die Narbe stammte, die quer über seinen Handrücken verlief. Vielleicht hatte sie auch Angst vor ihm. Er konnte ihren Blick nicht richtig deuten und fragte sich, was er sagen sollte, um das bedrückende Schweigen zu brechen. Als sich ihre Blicke trafen, zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Tränen standen in ihren Augen und drohten mit ihrem nächsten Wimpernschlag über ihre geschundene Wange zu laufen. Tiefes Mitgefühl legte sich wie eine schwere Last auf seine Schultern.

    Ihre dünne Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

    »Ich dachte, er würde mich lieben«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.

    »Wart ihr schon lange zusammen?«

    Sie wich seinem Blick aus und starrte wie paralysiert auf die rote Ampel vor ihnen.

    »Ja.«

    Ihre knappe Antwort sagte ihm, dass sie keine weiteren Fragen wollte. Also konzentrierte er sich auch auf die rote Ampel und war erleichtert, als sie endlich auf Grün umsprang.

    Schweigende Minuten später bog Philipp in eine verkehrsberuhigte Seitenstraße und parkte seinen Wagen vor einem Häuserblock aus roten Backsteinen.

    »Im Erdgeschoss hat Markus seine Praxis. Oben wohnt er«, erklärte er, als er die Beifahrertür geöffnet hatte und ihr heraushalf. Er sah, wie sie die Zähne zusammenbiss. Ihr Körper musste ein Meer aus Schmerzen sein.

    »Soll ich dich …?« Doch bevor er seine Frage beenden konnte, hakte sie sich bei ihm ein. An der anderen Hand hielt sie ihre Tasche fest, die sie während der gesamten Fahrt auf ihrem Schoß fest umklammert hatte.

    Kaum hatten sie die Eingangstür erreicht und Philipp den Klingelknopf gedrückt, ging die Tür auf und ein durchtrainierter Mann, der sein weißes T-Shirt fast mit seinen imposanten Oberarmen zu sprengen drohte, lächelte ihnen gut gelaunt entgegen.

    »N’Abend Philipp! Wen bringst du mir denn da?«

    »Das ist Sarah. Ähm … ich habe ihr versprochen, dass du keine Fragen stellst.«

    »Was du nicht alles so versprichst. Dann kommt mal rein.«

    Fünf Minuten später fand sich Philipp im Wartezimmer wieder. Markus hatte ihn freundlich, aber bestimmt aus dem Behandlungsraum verwiesen und Philipp war seiner Aufforderung nur zu gerne nachgekommen. Zwar hatte er kein Problem damit, Blut zu sehen, aber als Markus anfing, an ihrem Auge herumzudrücken, stieg ein Schwall Übelkeit in ihm auf. Nun saß er da, wartete und versuchte, einen Sinn in den farbenfrohen abstrakten Bildern an der Wand zu erkennen. Gleichzeitig hoffte er, dass Markus die Vernunft sprechen lassen und Sarah in ein Krankenhaus einweisen würde. Die Last auf seinen Schultern wog schwer. Er wollte nicht die Verantwortung für einen anderen Menschen tragen und für einen fremden schon gar nicht. Um sich abzulenken, griff er nach einer Zeitschrift vom fein säuberlich aufgereihten Stapel vor ihm, nur um sie im nächsten Moment wieder zurückzulegen. Er konnte sich nicht aufs Lesen von Illustrierten konzentrieren. Sarah beherrschte seine Gedanken. Mit was für einem üblen Kerl war sie zusammen, der sie an den Rand der Bewusstlosigkeit niedergeschlagen hatte? Was hatte sie verbrochen, dass sie keinen Unterschlupf bei ihren Eltern finden konnte?

    Ruckartig ging die Tür auf und Philipp schaute überrascht auf. Sarah sah zwar immer noch mit ihrem blauen, geschwollenen Auge ramponiert aus, aber jetzt verdeckten keine blutigen Überreste mehr ihr hübsches feingliedriges Gesicht. Vielleicht lag es auch an ihrem schüchternen Lächeln, das seinen Herzschlag beschleunigte. Er räusperte sich und stand auf.

    »Äh … du siehst … viel besser aus.«

    Sie lächelte.

    »Danke! Ich fühle mich irgendwie auch schon besser. Markus hat mir eine Spritze gegen die Schmerzen gegeben.«

    Wie eine Seifenblase zerplatzte Philipps Hoffnung, Markus könnte Sarah in ein Krankenhaus einweisen.

    »Ist denn so weit alles mit ihr … okay?«, wandte er sich an Markus, der hinter Sarah zum Vorschein kam.

    »Ich denke, dass nichts gebrochen ist. Innere Verletzungen kann ich aber natürlich nicht ausschließen. Außerdem bin ich kein Augenarzt.«

    »Meinst du nicht, es wäre …«, als er Sarahs entsetzen Blick sah, brach er ab.

    »Diese junge Frau hier hat mir glaubhaft versichert, dass du dich gut um sie kümmern wirst.«

    »Hat sie das?«

    »Ja, das hat sie. Also pass gut auf sie auf! Kühlen ist das Beste, was sie jetzt machen kann.« Dann drehte er sich zu Sarah um und ergänzte: »Und wenn dir irgendwie komisch wird oder du nicht mehr richtig sehen kannst, muss Philipp sofort einen Notarzt rufen. Alles klar?«

    Sie nickte und hakte sich wie selbstverständlich bei Philipp ein, der irritiert erst sie ansah und dann Markus einen Hilfe suchenden Blick zuwarf. Aber Markus wollte oder konnte ihn nicht als solchen deuten, sondern sagte stattdessen: »Trotz allem wünsche ich euch noch einen schönen Abend.«

    Damit entließ er sie hinaus in die Kälte der Nacht und Philipp fragte sich, was an diesem Abend schön sein sollte. Der Abend hielt nur das für ihn bereit, was der Tag versprochen hatte: eine Katastrophe nach der nächsten.

    *

    Es hatte wieder zu regnen angefangen. Die Scheibenwischer kratzten über die Windschutzscheibe, schweigend saßen sie nebeneinander, während Philipp ziellos durch die Stadt kurvte und sich dabei ertappte, wie er krampfhaft versuchte, aus der scheinbar verfahrenen Situation doch noch einen für beide Seiten angenehmen Ausweg zu finden.

    »Hast du wirklich keine Idee, wo ich dich hinbringen könnte?«, wagte er einen vorsichtigen Vorstoß.

    Einen flüchtigen Blick warf sie ihm zu, schüttelte leicht mit dem Kopf und schaute dann wieder gedankenverloren zum Seitenfenster hinaus. Die Stadt zog an ihnen vorüber. Er biss sich auf

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