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Exil Ibiza: Roman
Exil Ibiza: Roman
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eBook249 Seiten3 Stunden

Exil Ibiza: Roman

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Über dieses E-Book

Der selbständige Werbefachmann Bernd Kleiner verliert Mitte der 70er Jahre nicht nur den besten Kunden sondern auch seine Ehefrau. Um wieder voranzukommen, überfällt er für eine ominöse Organisation einen Pfandleiher, der dabei aber leider schwer verletzt wird. Obwohl nur 40.000 DM erbeutet wurden, spricht man in der Presse von einem Millionenraub. Verfolgt von Polizei und der Organisation, mit der er die Millionenbeute teilen soll, flüchtet er nach Ibiza und nennt sich fortan Ben Benjamin. Er genießt das Leben zwischen Residenten, Steuerflüchtlingen, Touristinnen und Neureichen und wähnt sich in Sicherheit. Doch wie viele Residenten mit ein bisschen Geld, bekommt er es auch noch mit der Insel-Mafia zu tun. Doch viel entscheidender ist für Ben die Frage: Wird er von seiner deutschen Vergangenheit eingeholt werden?

Der Autor, Immobilienspekulant und (Erfahrungs-)Millionär Klaus Barski lebte sechs Jahre als Aussteiger auf Ibiza. Sein abenteuerlicher Insiderroman spielt in der Residentenszene. Er ist aber nicht nur unterhaltsam und spannend, sondern auch informativ. Denn Barski hat viele seiner eigenen Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Weg durch sein erfolgsverwöhntes Leben in die Story einfließen lassen.
Ein Muss für Ibiza-Insider und Neuaussteiger.
SpracheDeutsch
HerausgeberSolibro Verlag
Erscheinungsdatum31. Mai 2018
ISBN9783960790525
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    Buchvorschau

    Exil Ibiza - Klaus Barski

    1

    Bernd Kleiner kaufte den 220 SB für sechstausend Mark. Eigentlich wollte der Besitzer neuntausend. Als Bernd ihn aber bei der Rundumkontrolle bat, die Motorhaube zu öffnen, und routinemäßig den Ölstab rauszog, war der milchig, schleimig. Der junge Mann gab zu, daß der Motorblock einen Riß hatte und Wasser zog.

    Bernd Kleiner kaufte den sechzehn Jahre alten Mercedes trotzdem. Schließlich handelte es sich um ein altes, fünfsitziges Cabrio, und der Preis war günstig genug bei den zu erwartenden Reparaturkosten. Im Fachhandel warnte man ihn vor Druckproblemen, es wäre leichtsinnig, einen neuen Block einzubauen. So suchte er auf Autofriedhöfen herum und erwarb dort für ein paar hundert Mark das passende, alte Ersatzteil. Für insgesamt zweitausend Mark machte er die Schleuder wieder fahrbereit: ein cooler, silberner Dampfer mit rissigem Leder, gecracktem Holzfurnier, schlechtem Lack. Aber mit dem geilen Stern vorne drauf!

    Die Heizung war defekt. Für jemanden, der zum Mittelmeer wollte, war das kein Thema.

    Nach der Weitervermietung seiner Wohnung packte er zwei Koffer, einen Seesack und sein Metzler-Schlauchboot mit Zubehör, rief morgens ein Taxi und fuhr mit dem ganzen Krempel zur Werkstatt. Er stopfte alles in seinen Wagen und startete direkt von dort aus in Richtung Spanien.

    Es war März und kalt. Er schaltete das vergammelte Radio auf AFN. Die hatten immer gute Musik. Gerade lief »Stairway To Heaven« von Led Zeppelin: »And a new day will dawn … And the forests will echo with laughter.«

    Vollgetankt rauf auf die Autobahn, Kleiner mit schwarzer Sonnenbrille, blödsinniger Prinz-Heinrich-Mütze und dem schmalen Oberlippenbart, den er noch stehen ließ. Er ging auf Nummer sicher.

    »And it makes me wonder«, dröhnte der Refrain.

    Er fühlte sich schwach, am Ende. Er, der immer der Größte, der Geilste, der Erfolgreichste sein wollte, hatte Scheiße gebaut. Einen Menschen kaputt-, sich kaputtgemacht. Nun war er auf der Flucht. War nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn kriegten.

    Vor Jahren, am SPD-Wahlstand, war er auf Ronski getroffen. Bei der Demonstration. Diesen korrupten Parteischergen, der Baudezernent werden wollte.

    Trotz der langen Zeit hatte Ronski Kleiner jetzt wiedererkannt. Wußte nicht mehr seinen Namen, aber daß er zu den Sympathisanten der Organisation gehörte. Die Polizei war bestimmt schon auf seiner Spur.

    Sein Alter – zum Glück erlebte seine Mutter das nicht mehr – würde sicherlich triumphieren. Recht hatte er, als er damals sagte: »Du bist ein Lügenbaron, ein Tunichtgut. Wirst schlimm enden!«

    Es wurde langsam dunkel. Er schaltete die Scheinwerfer ein. Bog bei Mannheim Richtung Saarbrücken und Metz ab. Es wäre wohl günstiger gewesen bis Mulhouse zu fahren, um südlich von Dijon auf die französische A7 zu kommen. Aber er wollte so schnell wie möglich raus aus Deutschland. Rüber, hinein in die französische Provinz. Fühlte sich dort sicherer. Das Wetter blieb gut. Kein Regen.

    Die ganze Sache kratzte ihn total auf, hielt ihn hellwach.

    Der AFN soff ab. Er bekam jetzt 'nen französischen Sender rein, der guten Modern Jazz spielte.

    Mensch, war er fertig – total im Arsch!

    Es kühlte inzwischen auch im Auto stark ab. Abwechselnd klemmte er mal die linke, mal die rechte Hand unter eine Arschbacke, um sie aufzuwärmen.

    Er erreichte Saarbrücken und kurz darauf die Grenze. Die Kontrollen waren lasch.

    »Ist okay«, rief man und »Au revoir!«

    Endlich in Frankreich! Er tankte und ging pissen. Raste weiter nach Westen. Dann südlicher nach Nancy, Richtung Dijon. Allmählich wurde er müde. Merkte es zuerst an den Augen.

    Er wollte sich wachhalten und begann zu singen: »Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten …«

    Dijon las er auf dem Schild. Er war immer noch wach und jagte weiter durch die Nacht, Richtung Lyon. Nach dem Überfall am Mittwoch hatte er genau zwölf Tage Fluchtvorbereitung benötigt, bis er im Wagen saß. Wahnsinn!

    Den ganzen Scheiß hatte er sich nicht nur für die lausigen einundzwanzigtausend Märker eingebrockt. Ronski im Auftrag der Organisation einen Denkzettel zu verpassen, war ja in Ordnung. Aber ihn fast totzuschlagen und obendrein die Gruppe zu beklauen – was war er nur für ein Idiot! Dumme Sau. Wie konnte er nur? Wie konnte er nur? Als ideeller Vollstrecker sich so gehenzulassen. Das war wie Verrat. Mader, der Kapo, würde es ihm nie verzeihen.

    Wie weit muß der menschliche Wurm sein Tun eigentlich selbst verantworten? Vielleicht ist das ganze Leben total vorprogrammiert? Wenn du dich halbtot strampelst, ist das nur der Ablauf einer riesigen Robotermaschinerie? Dein harter, persönlicher Einsatz nur der vorab festgelegte Ablauf eines gigantischen, allmächtigen Gesamtplans?

    Als er von einem Kleinmotorrad mit HH-Nummernschild überholt wurde, sah er auf dem Tacho, daß er nur neunzig fuhr. Er gab mehr Gas, steigerte auf Tempo hundertvierzig und zog nach ein paar Minuten an dem Hamburger vorbei. Jetzt überholte ihn keiner mehr. Um drei Uhr früh.

    Er dachte plötzlich an die »gute, heile Welt« von damals. Wie schnell doch aus einem Gewinnertyp ein Loser wurde. Damals war er Besitzer einer erfolgreichen Werbeagentur. Und er dachte natürlich an Renate, seine damalige Frau. Alles gelaufen, aus und vorbei.

    Renate war ein verwöhntes, bildhübsches Einzelkind, von Zuhause schwer verhätschelt. Ihm machte es Spaß, ihr alles zu ermöglichen, was immer ihre kleine, weiße Stirn gebar. Wie im Rausch kaufte sie die Hauseinrichtung zusammen – Geschmack hatte sie ja, allerdings einen teuren.

    Er schwamm ganz oben, machte echte, große Kohle. Aber das reichte ihm nicht. Irgendwann traf er Minke. Der schwärmte von den wahren Aufgaben des Lebens, der Bewegung. Minkes Kumpel Mader war ein Schulfreund von Baader.

    »Du mußt bei uns mitmachen«, schlug Minke vor. Na ja, zuerst half er der Organisation mal hier und mal da ein bißchen, mit Werbematerial und anderen Spenden. Über die Jahre wurde er vom Sympathisanten zum aktiven Mitglied. War ja auch eine starke Sache.

    Dann kam der geschäftliche Big Kill, sozusagen aus dem Nichts heraus. Auf der Internationalen Textilmesse stellte ihm Schwerdtfeger aus Bremen, das war Kleiners größter Kunde, seinen besten Freund Engelmann aus Hamburg vor: »Größter Schwimmbad- und Saunahändler Norddeutschlands.« Ein fetter, stets lustiger Machertyp mit großer Schnauze und Millionenumsätzen.

    Bisher bastelte Engelmann seine Werbung in Heimarbeit. Mit einem Dorfphotographen und der kleinen Vorstadtdruckerei. Als er Kleiners imponierende Arbeitsmappe sah, war er aus dem Häuschen. Kleiner erklärte ihm die Grundregeln des Einzelhandelsmarketings.

    Engelmann, ein begnadeter Starverkäufer, sagte nur: »Sie sind der absolute Werbefritze. Genau der, den ich seit langem suche. Die Ergänzung zu meiner Verkaufsarbeit.«

    Er bot Kleiner seinen Werbeetat an.

    »Circa anderthalb Millionen fürs nächste Jahr«, stellte er in den Raum und wartete auf seine Reaktion.

    Kleiner nickte cool dazu.

    »Wie teilt sich der Betrag auf?«

    »Ein Drittel für Anzeigen in Tageszeitungen, eins für Werbung in Schwimmbad- und Saunazeitschriften. Der Rest geht drauf für Farbprospekte und Messestände.« Und brüstete sich weiter: »Das macht mich im nächsten Jahr zum größten Händler Norddeutschlands.«

    Kleiner wußte nicht, daß Engelmann nichts weiter war als ein großmäuliger Schwimmbadvertreter, der gerade einen Konkurs überlebt hatte und nun eine neue GmbH auf den Namen seiner Frau aufzog – mit ein paar tausend Mark Schwarzgeld, einem protzigen, viel zu teuer angemieteten Schau-Firmengebäude und einem ahnungslosen Partner, der das Erbe seiner Frau für einen dreißig prozentigen Anteil verjubelte: für einen Direktortitel, ein hübsches Büro und einen verlogenen Händedruck des betrügerischen geschäftsführenden Gesellschafters. Der umgehend die Hälfte der Partnereinlage in die Schweiz verschob, um noch Kohle zu haben, wenn der Laden in Schieflage geriet.

    Engelmann bestellte bei Kleiner halbseitige und für später ganzseitige Anzeigen. Klotzte wie ein Wilder. Hatte sich aber zu dem Zeitpunkt schon längst übernommen. Zahlungsfähig blieb er nur, weil er ans Eingemachte ging, die Casheinlage seines Partners mußte dran glauben. Walter Samson war als technischer Direktor bei den Kunden für Installations- und Servicearbeiten zuständig und ahnte nicht einmal, was in Wirklichkeit geschäftlich lief.

    Am Anfang gab Engelmann Bernd immer Akontozahlungen, er schuldete ihm von Monat zu Monat mehr Geld. Mit dem brutalen Werbeeinsatz hoffte er auf einen größeren, ihn rettenden Auftragseingang.

    Kleiner bestellte den Anzeigenraum wie branchenüblich auf seinen Namen. Dann kam der Knall, nachdem er drei Wochen lang kein Geld von Engelmann erhielt, und dieser telephonisch und persönlich unerreichbar schien. Engelmann, der ihm sechshunderttausend Mark schuldete, wurde krank. Kleiner wartete – im Nachbarhaus versteckt – auf ihn. Der neue, teure Leasingmercedes fuhr vor, aber nur der verzweifelte Walter Samson stieg aus dem Fahrzeug.

    »Ich hab' es nicht gewußt … und nicht gewollt. Er hat auf Teufel komm raus bestellt, gepraßt, geschummelt und geklaut. Ich habe das gesamte Familienerbe verloren. Wir sind pleite«, schluchzte Samson, als Kleiner ihn zur Rede stellte.

    In diesem Frühjahr, 1975, verlor Kleiner den größten Kunden, seinen Bungalow, die Firmenräume, den guten Partner und – seine Ehefrau.

    Sein Partner Erwin und er teilten sich die Kunden auf. Das Einkommen war immer noch ausreichend. Aber die nächsten zehn Jahre würden sie wegen der Schuldentilgung wie die Hunde leben.

    Renate und er waren gerade in eine Mietwohnung umgezogen, da verlor er durch eine Fusion seinen verbliebenen größten Kunden: Schwerdtfeger. Jetzt mußten sie mit ein paar lausigen Mark auskommen … Woche für Woche. Es gab oft Streit.

    Renate nannte ihn eine Niete, einen Träumer, einen linken Wichser, der mit den Losern der Linksradikalen nur rummachte, weil er sonst nichts hinkriegte. Sie wollte weiterhin Abend für Abend ausgehen. Die tolle Frau spielen. Mit dem Mercedes-Cabrio angeben.

    Dann zog sie überraschend zu ihrer Mutter. Zugleich berichteten ihm Bekannte, Renate tauche häufig mit einem anderen Mann in der Szene auf.

    Er reichte die Scheidung ein. Sechs Monate später waren sie offiziell getrennt. Von den Weibern hatte er die Schnauze voll.

    Kein Wunder, denn vor Renate gab es Inge, seine erste große Liebe. Sie schwätzte ihm eine Autoklauidee als Kavaliersdelikt auf – und so kam er zu seiner Vorstrafe. Die würde ihm jetzt bei einer erneuten Verurteilung eine lange Haftzeit garantieren. Inge servierte ihn 1970 ziemlich gemein ab: tauschte ihn, den armen Teufel, einfach gegen Hoffman, den reichen Metzgereierben, aus.

    Er konnte die Monatsraten nicht mehr zahlen und war fertig, total fertig. Nur deshalb kam er bei der letzten Zusammenkunft auf die blödsinnige, alles vernichtende Idee. Er übernahm freiwillig den Auftrag, Ronski, dem Pfandleiher, zu zeigen, wo's lang geht: ihm eine Schreckschußpistole vor den Bauch halten, Geld zu fordern und ihm in den Arsch treten.

    Ronski stand wegen seiner Lobbyabkoche schon ewig auf der schwarzen Liste der Organisation. Und weil die für die leere Bezirkskasse dringend Geld brauchte, und Ronski eins auf die Fresse verdiente, schlug Minke vor, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Kleiner wollte das erledigen.

    Es war Essenszeit, und Ronski war allein. Der bleiche, graue, immer am Geld herumzählende, weißhaarige Mann erinnerte sich. Er erkannte Kleiner, den ehemaligen Demonstranten, wollte ihm den Colt entreißen. Zur Abwehr schlug Kleiner ihm die schwere Waffe ins Gesicht. Ronski fiel hin und der Rächer sprang über den Tresen. Da kam der Pfandleiher hoch, schrie laut um Hilfe.

    Kleiner öffnete die Kellertür. Und schlug noch mal zu. Dann lag Ronski still und bewegungslos. Kleiner erblickte Ronskis goldene Rolex, ein sehr seltenes Modell mit rotem Rubinkranz. Er hielt einen Moment inne, rief dann: »Leichenfledderei? Nicht ich!« Er ließ Ronski die Uhr und stieß ihn durch die geöffnete Kellertür die Stufen hinunter.

    Kleiner räumte die Kasse aus, klaute ein paar Geldbündel aus dem geöffneten Panzerschrank im Büro und eine offene Schmuckkiste vom Tresen. Dann torkelte er entsetzt davon, verlor noch das wunderschöne goldene Armband, die Goldschlange mit den roten Rubinaugen.

    Er, Bernd Kleiner, der arme Irre! Für die Scheißidee der Organisation und jeweils einundzwanzig Mille für die und ihn, dafür ruinierte er seine Zukunft.

    Ronski wurde ins Krankenhaus gebracht, hatte ziemlich schwere Verletzungen. Die Polizei vermutete hinter der Tat offiziell einen Kunden. Kleiner las es am nächsten Morgen in der Tageszeitung. Die Zeitung sprach von einem Millionenraub. Er konnte es nicht glauben. Die Organisation auch nicht.

    Minke nahm mißtrauisch das »bißchen Differenzgeld« von den zweiundvierzigtausend, sagte ihm, daß er ihm glaube. Aber nur ein Gespräch mit dem Chef könne ihn wieder von der schwarzen Liste löschen. Doch Mader, der Chef, war untergetaucht, verschwunden, nachdem er auf allen Fahndungsplakaten der Polizei gesucht wurde. Kleiner wußte nicht einmal, wie er wirklich aussah. Hatte ihn nie gesehen.

    Also organisierte er seine Flucht. Kaufte das Auto.

    Am Tag vor seiner Abreise sah er ein schockierendes Bild in der Zeitung: Ronski im Rollstuhl mit großer Kopfbandage, dazu der Kommentar der verzweifelten, armen Ehefrau. Ronski war teilweise gelähmt.

    Er hatte ihm den Schädel eingeschlagen, sein Gehirn verletzt. Eine widerwärtige, niedrige Handlung! Er hatte einen Menschen zum Krüppel gemacht. Ihn und seine Frau ums Leben betrogen. Für ein paar Silberlinge. Für das Schulterklopfen der Organisation. Für Geld zum Überleben.

    »Ich kaputte Sau … ich kaputte Sau«, jammerte er laut vor sich hin und raste durch die Nacht in Richtung Mittelmeer.

    Eine gescheiterte Existenz am Abgrund. Die Flucht schien ihm aber richtig zu sein. Zumindest tat er etwas. Erwischt zu werden, hätte Knast bedeutet, und das hätte keinem geholfen. Ihm nicht, Ronski nicht … niemandem.

    Durch die Auflösungsgelder konnte er trotz Schuldenzahlung achtundzwanzigtausend Mark bunkern. Trug sie im prallen Brustbeutel unter dem Hemd. Das war sein Startkapital als Ben Benjamin. So taufte er sich gleich zu Fahrtbeginn.

    Den Ausweis mit seinem richtigen Namen Bernd Kleiner würde er für die Einreise nach Spanien benützen, aber hinter der Grenze müßte er verschwinden. Dort würde Bernd Kleiner eliminiert werden, von da ab nicht mehr existieren. War eh ein Arschloch.

    Hinter Dijon wurde er richtig müde. Obwohl es kalt war, öffnete er das Fenster, machte gymnastische Verrenkungen im Sitzen und sang weiter: »… dem Spaten … dem Spaten … ins Moor … ins Moor.«

    Sein Tagesziel war Lyon. Er wollte durchhalten.

    Auf einmal saß Inge neben ihm. Komisch, er konnte sich gar nicht erklären, wo sie so plötzlich hergekommen war. Sie piekte ihn mit dem Zeigefinger in den Bauch und sang mit ihm: »Wir sind die Moorsoldaten.«

    Irgend etwas stimmte nicht.

    »Du bist doch mit dem Hoffmann?«

    Sie schüttelte den Kopf.

    »Dem Metzger?«

    »Mit dem ist schon lange Schluß. Hat immer nach Blut gerochen. Widerlich! Mit dem ist Schluß.«

    Ein gigantisches Dröhnen in seinen Ohren störte ihn. Er kämpfte hart dagegen an, um es abzuwehren, aber es wurde immer lauter. Furchtbar störend.

    Plötzlich war er hellwach. Er fuhr rechts neben der Autobahn, auf dem Grasstreifen. Links von ihm in gleicher Höhe ein Lastwagen. Seine gnadenlose Hupe hatte ihn aufgeweckt. Gerade als er auf einen Brückenpfeiler zuhielt. Oh Gott …

    Er riß das Steuer herum. Zum Glück hatte er allenfalls siebzig, achtzig Sachen drauf. Er kam wieder auf die Fahrbahn, hupte und blinkte zweimal.

    Der Lastwagenfahrer erwiderte sein Hupen und fuhr davon.

    Kleiner war wie gelähmt. Er mußte anhalten, denn er zitterte am ganzen Körper, hatte kaum noch Gewalt über den Wagen. Öffnete die Tür, zog sich am Wagendach hoch. Er versuchte zu stehen, wäre aber beinahe umgefallen. In einiger Entfernung konnte er ein Schild entziffern: »Nächste Tankstelle, 12 km.«

    Okay, das mußte gehen. Er ließ sich hinters Lenkrad fallen, fuhr langsam weiter und rief sich unterdessen mehrmals laut zu: »Nicht einschlafen! Bloß nicht einschlafen!«

    Mann, war er im Arsch. Doch er schaffte es irgendwie bis zum Rastplatz. Hielt auf dem ersten freien Parkplatz, lehnte sich nach rechts rüber und schlief sofort ein.

    Die heiße Sonne weckte ihn um zehn Uhr vormittags. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh. Fünfzig Kilometer vor Lyon.

    Wenn der Pfandleiher gestorben wäre. Was dann? Er verdrängte die aufkommende Scheißidee. Zum Glück lebte Ronski. Aber wie? Wie ein Hund, ein Restmensch mit Hundeleben.

    »Ich muß mit meiner angerichteten Lebensscheiße leben. Bleibt mir nichts anderes übrig. Vielleicht geht's dem Ronski über die Jahre besser«, versuchte er mit fadenscheinigen Argumenten sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

    Wie sollte es jetzt weitergehen? Er war auf dem Weg zum Mittelmeer, hatte viel Geld in der Tasche. Und eine kleine Kiste mit Goldschmuck: teure Uhren, Ringe, Anhänger. Zum Teil mit guten Steinen drin. Beim Abhauen schnappte er sie sich. Eine Kiste mit den Pfandstücken des Tages. Alle waren numeriert.

    Im Zeitungsartikel über den Rollstuhlfahrer Ronski sprach der Journalist von einem Millionenraub. Es handele sich um einen sechsstelligen Betrag in bar, der verschwunden sei, und um Juwelen mit einer noch höheren Versicherungssumme.

    Unsinn! Er klaute rund zweiundvierzigtausend Mark, der Schmuck war vielleicht etwas mehr wert. Da sah man mal wieder, wie die Zeitungen aus 'nem Furz 'nen Donnerschlag machen. Er schüttelte den Kopf.

    Kleiner erreichte Lyon. In den Tunneln überfielen ihn entsetzliche Wahnvorstellungen von Abermillionen Tonnen Gestein, die ihn jeden Moment zermalmen würden. Jetzt bloß kein Stau hier drin. Nach scheinbar endlos langer Zeit die Ausfahrt. Tageslicht. Er zitterte und sah bedrohliche Blitze vor den Augen.

    Es half alles nichts, er mußte rechts raus auf einen Nothalteplatz. Mit geschlossenen Augen versuchte er, sich zu beruhigen. Es dauerte über eine Viertelstunde, bis die grellen Blitze aufhörten.

    Sind das Durchblutungsstörungen im Gehirn? Erschrocken dachte er kurz über seinen körperlichen Zustand nach, startete aber bald wieder den Motor und fuhr entschlossen weiter in Richtung Südfrankreich. Der Himmel wurde blau. Nur ab und zu eine kleine Cumuluswolke. Und es wurde warm. Im Radio lief gute Beat-Musik, er kurbelte das Fenster runter und atmete die weiche, warme Luft tief ein. Augenblicklich stieg seine Laune.

    »Ich komme wieder hoch! Und ich helfe dir heimlich, Ronski«, schwor er dem Fahrtwind. Nahm sich

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