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Gegenpäpste: Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen
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eBook812 Seiten10 Stunden

Gegenpäpste: Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen

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Über dieses E-Book

Gegenpäpste durchziehen die Kirchengeschichte von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters. Dabei ist der mehrdeutige Begriff zugleich zeitgenössisches Stigma und Urteil "ex post". Er schließt die so Bezeichneten aus der historischen Reihe der Nachfolger Petri aus und raubt ihnen plakativ jede Legitimation. Der Band unternimmt erstmals den Versuch, die teils hartnäckig geführten Konkurrenzkämpfe um das römische Bischofsamt systematisch zu beleuchten: Kommunikations-, Handlungs- und Legitimationsstrategien der Protagonisten sowie die Wahrnehmungsmuster der Zeitgenossen stehen im Mittelpunkt. In dieser Perspektive bilden die "Gegenpäpste" gleichsam Prüfsteine, an denen Reichweite und Fragilität des universalen Autoritäts­anspruchs des mittelalterlichen Papsttums sichtbar werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberBöhlau Köln
Erscheinungsdatum3. Sept. 2012
ISBN9783412217112
Gegenpäpste: Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen

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    Buchvorschau

    Gegenpäpste - Harald Müller

    Papsttum im mittelalterlichen Europa

    Das Papsttum prägte die religiösen, politischen und kulturellen Strukturen im mittelalterlichen Europa nachhaltig, es wurde aber auch seinerseits aus den Regionen der lateinischen Christenheit heraus geformt. Die Reihe Papsttum im mittelalterlichen Europa soll Arbeiten vereinen, die sich mit dieser inzwischen ältesten Institution europäischer Geschichte in der Perspektive der wechselseitigen Interaktion mit den Kirchen des Kontinents, der gegenseitigen Beeinflussung und Formung beschäftigen. Das Spektrum möglicher Themen schließt dabei nicht nur den Ausbau der päpstlichen Autorität in gesamtkirchlicher Perspektive ein, sondern bietet breiten Raum für die Betrachtung der hierzu eingesetzten Instrumente: Funktionsweisen und Handlungsgewohnheiten der Kurie wie das Reisen, die Erteilung von Weihen durch den Papst, Zeremonie und Memoria am Hof des römischen Bischofs, dazu die im Hochmittelalter beginnende Ausbildung eines kurialen Apparates mit zentralen Einrichtungen wie der Kanzlei, der Kammer, der päpstlichen Kapelle, der Audientia oder der Rota, mit deren Hilfe die Kommunikation mit den Partnern der gesamten Christenheit und darüber hinaus in geregelte Bahnen gelenkt wurde. Mittel der päpstlichen Fernwirkung wie Legaten, delegierte Richter, Kollektoren oder dem Heiligen Petrus direkt unterstellte Institute, nicht zuletzt Synoden und Konzilien als Knotenpunkte kirchlicher Kommunikation und Willensbildung sind hier mit einzubeziehen.

    Die künftig in dieser Reihe erscheinenden Studien werden ihr Augenmerk vor allen Dingen auf das Prozesshafte und die interaktive Qualität richten, um auf diese Weise mögliche Zentralisierungs- und Homogenisierungseffekte, die Ausrichtung auf und die Angleichung an Rom exemplarisch sichtbar zu machen, aber auch um gegenläufige Entwicklungen wie die Ausbildung regionaler Eigenheiten, landeskirchliche Abschottungen oder die Ausbildung von Häresien als Reaktion auf einen von der römischen Zentrale forcierten Verdichtungsprozesses zu charakterisieren. Im Zentrum stehen Formung und Wirksamkeit des mittelalterlichen Papsttums – eines Papsttums, das nicht isoliert bestand und daher nur in seinem Austausch, dem Geben und Nehmen, mit den europäischen Kirchen und Reichen zu beschreiben und zu verstehen ist.

    Jochen Johrendt und Harald Müller [<<7||9>>]

    Zu diesem Band

    Die Aufmerksamkeit der vom 8. bis 10. September 2011 in Aachen veranstalteten Tagung „Gegenpäpste – Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter" galt dem Behauptungskampf konkurrierender Papst-Prätendenten, gleichsam der agonalen Phase ihres ‚Kampfes um Rom‘. Ziel war es, in der Betrachtung der Gegenpäpste über das historische Urteil ,Gegenpapst‘ an sich und seine traditionellen rechtlichen Angelpunkte hinauszugehen, indem die Perspektive auf Handlungsmuster und kommunikative Aspekte verlagert wurde¹. Mit dem vorliegenden Band, der die Ergebnisse dieser Veranstaltung zugänglich macht, steht nun erstmals eine systematisch angelegte Bestandsaufnahme zum Thema zur Verfügung.

    Die Gefahr, sich bei einem Betrachtungsobjekt mit einer europäischen Spannweite von über 400 Jahren in Details zu verlieren, ist groß. Ihr wird durch die Verschränkung von Einzelfallstudien mit zeitübergreifenden Betrachtungen grundsätzlicher Erscheinungsformen begegnet. Es geht dabei nicht um eine lückenlose Übersicht über Schismen unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Reichweite oder gar über sämtliche (von wem auch immer) approbierten oder vermuteten Gegenpäpste. Vielmehr gilt es, den Konkurrenten um das römische Bischofsamt als historischen Akteuren näher zu kommen, Spezifika dieses Konkurrenzkampfes herauszuarbeiten und dabei mögliche Veränderungen aufzuzeigen, etwa im Stellenwert legitimierender Elemente, im politischen Gebaren oder in der zeitgenössischen Wahrnehmung.

    Die konzertierte Annäherung orientiert sich an gemeinsamen Leitfragen. Sie eröffnen Vergleichshorizonte auch dort, wo die historischen Einzelfälle im Hinblick auf die prägenden Umstände päpstlicher Amtsausübung divergent sind. Fünf Betrachtungsfelder verleihen dem Erkenntnisinteresse ein wenig innere Ordnung:

    1. Exempla: Einzelfälle päpstlicher Konkurrenz werden in ihrer Entstehung, ihren Parteienkonstellationen, Ereignisabfolgen und Handlungsmotiven analysiert, um die Mechanismen und Wirkkräfte besser verfolgen zu können.

    2. Instrumente: Mittel und Techniken der Obödienzfestigung wie das Verschicken von Wahlanzeigen, das Aussenden von Legaten, das zu einem regelrechten Wettlauf geraten konnte, das Locken mit Privilegien oder das Drohen mit Sanktionen, um Unentschlossenen auf die Sprünge zu helfen. Welche Rolle [<<9||10>>] spielte hierbei ein effizienter kurialer Apparat? Für Innozenz II. etwa war es 1130 von großem Vorteil, dass er auf die eingespielte und zugleich formale Autorität spendende päpstliche Kanzlei zurückgreifen konnte, weil der Kanzler Haimerich auf seiner Seite stand. Das Konzil von Basel musste sich in den 1430er Jahren eine solche Behörde nach römischem Vorbild (ad instar curiae Romanae) dagegen erst aufbauen.

    3. Argumente: Jeder Kandidat im Rennen um die Cathedra Petri suchte seine eigene Position unanfechtbar zu machen, dabei zugleich die Position der Kontrahenten zu schwächen. Wählerkreis und Amtserhebung boten die ersten legitimatorischen Ansatzpunkte. Die publizistische Auseinandersetzung, die nach 1159 zwischen Alexandrinern und Viktorinern um die Immantation der Kontrahenten geführt wurde, ist ein Musterbeispiel für den Kampf um die eigene Legitimation, die den reinen Wahlakt deutlich transzendiert. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man für Felix V. in Basel alle Etappen des traditionellen römischen Einsetzungszeremoniells peinlich genau glaubte nachbilden zu müssen – bis hin zur Huldigung durch die städtische Judengemeinde, die es freilich in Basel 1439 nicht mehr gab. Legitimationselemente und Legitimationsdefizite wurden genau abgewogen und bewusst kommuniziert. Dies gilt in der Phase der aktiven Auseinandersetzung ebenso wie post mortem. Die Erinnerung an überwundene Konkurrenten wurde häufig verhindert, getilgt oder überschrieben – wie in Santa Maria in Trastevere, das Innozenz II. neu erbaute, um die daran haftenden Erinnerungsspuren seines Gegenspielers Anaklet II. zu verwischen. Dort, wo Grabmäler bezeugt sind wie etwa für Clemens III./Wibert von Ravenna und Viktor IV./Octavianus de Montecelli, fehlt es nicht an Berichten über deren zornige Zerstörung durch spätere Päpste. Bei Nikolaus V. (†1333) endete diese Praxis. Dieser Papst-Prätendent durfte von seinen Ordensbrüdern dezent bestattet werden, nachdem er offiziell seinen Irrtum eingestanden hatte. Damit war der Weg zu den Grablegen konkurrierender Päpste des Großen Abendländischen Schismas gewiesen, als verfestigte und langwirkende Obödienzbereiche zur Stein gewordenen Memoria auch von Gegenpäpsten führten.

    4. Wahrnehmung: Die Zeitgenossen mussten die verwirrende, gegebenenfalls ihre persönliche Heilserwartung gefährdende Störung in der Kirchenstruktur bewältigen. Ihre Haltung entschied, wer im Ringen um den römischen Bischofsstuhl am Ende siegte. Dieser Blickwinkel wurde bisher selten eingenommen. Übertragen in die Diktion der Urkundenforschung könnte man sagen: Aussteller- und Empfängerperspektive müssen intensiver korreliert werden. Hier ist allerdings das Feld weiter und unübersichtlicher als bei der Konzentration [<<10||11>>] auf die Akteure im direkten Umfeld der jeweiligen päpstlichen Rivalen. Ob man eigene Urkunden nach einem der konkurrierenden Prätendenten datierte, ob man Privilegien zu erlangen suchte und sie in längerer Perspektive auch beim Scheitern des Kandidaten aufbewahrte oder vernichtete, kann als Indiz für den variablen Autoritätswert der jeweiligen Aussteller gewertet werden.

    5. Wirkungen: Erfolgte die Beilegung der Konflikte durch gewaltsame Verdrängung oder wurden die Unterlegenen in die siegreiche Kirchenfraktion ‚resozialisiert‘, wie zuletzt Felix V., der nach seiner Abdankung 1449 eine neue Rolle als Kardinallegat fand? Was besagen die unterschiedlichen Lösungswege im Hinblick auf schwankende Machtverhältnisse oder differente Vorstellungen von der Heilbarkeit eines Schismas? Zu fragen ist schließlich auch, ob es sich bei Gegenpäpsten und Schismen um produktive Autoritätskrisen handelte, die zu konstruktiven Ergebnissen führten, etwa durch Verfeinerung des Papstwahlverfahrens oder durch Ausformung alternativer ekklesiologischer Konzepte.

    Dieser letzte Punkt wirft die grundsätzliche Frage nach der kirchengeschichtlichen Bedeutung der Gegenpäpste auf: Sie werden in diesem Band nicht als Reihung individueller, exotischer Sonderfälle einer ansonsten geregelt voranschreitenden Papstgeschichte betrachtet, sondern als Störfälle, als Herausforderungen für das mittelalterliche Papsttum als Institution – gleichsam als Prüfsteine universaler Autorität, wie es im Titel des zu Grunde liegenden, von der DFG geförderten Forschungsprojekts heißt. Denn neben den persönlichen Konkurrenzen der Protagonisten stand nicht weniger auf dem Spiel als die universale Autorität des römischen Bischofs. An ihrer Ausformung hatten die Päpste des hohen Mittelalters unentwegt gearbeitet, nachdem sie der stadtrömischen Begrenzung entwachsen waren: an einem universalen Führungsanspruch in der lateinischen Christenheit, der nicht nur auf die christliche Lehre zielte, sondern selbstbewusst die umfassend normgebende auctoritas im Blick hatte². In der Konkurrenzsituation um das römische Bischofsamt musste sich im ursprünglichen Sinne des griechischen Begriffs der krisis nicht nur entscheiden, welcher der Prätendenten sich am Ende durchsetzen sollte und aus welchen Gründen. Es stand auch zur Debatte, ob und wie die [<<11||12>>] Autorität des Amtes in einer solch grundlegenden strukturellen Störung bewahrt werden konnte. Die Beiträge dieses Bandes bewegen sich also im gedanklich weit gesteckten Rahmen des Themas ‚Autorität und Krise‘, für das die Gegenpäpste ein lohnendes Untersuchungsfeld eröffnen.³

    Die Herausgeber empfinden tiefe Dankbarkeit gegenüber den Autorinnen und Autoren dieses Bandes, die sich bei der Abfassung ihrer Beiträge einem engen Terminplan unterworfen und sich inhaltlich an den oben skizzierten Leitfragen des Projekts orientiert haben. Dank schulden wir auch denjenigen, die seinerzeit die Tagung durch ihre Vorträge und Diskussionsbeiträge bereichert haben, ohne dass man diese hier unmittelbar nachlesen kann; manche Impulse daraus sind in die vorliegenden Aufsätze eingeflossen. Vielfältige Hilfestellungen haben die Durchführung des Symposions und die Drucklegung des Bandes erleichtert: Die Philosophische Fakultät der RWTH Aachen gewährte durch ihren Dekan, Herrn Prof. Dr. Will Spijkers, einen namhaften Zuschuss. Die Zusammenarbeit mit dem Böhlau-Verlag, insbesondere mit der Lektorin Frau Dorothee Rheker-Wunsch, erwies sich als anregend und zielführend. Das Team des Lehrstuhls für Mittlere Geschichte schließlich hat es durch seinen gemeinsamen Einsatz erst ermöglicht, die Tagung organisatorisch zu meistern. Auch die Redaktion des vorliegenden Bandes in so kurzer Zeit hätte ohne die Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere durch Tabea Amthor, Kathrin Steinhauer und Christian Schiffer, nicht bewältigt werden können. Ihnen allen gilt daher unser aufrichtiger Dank!

    Aachen, im April 2012

    Harald Müller

    Brigitte Hotz [<<12||13>>]

    _____________

    1  Vgl. dazu den Tagungsbericht bei H-Soz-u-Kult, 04.01.2012, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3976.

    2  Vgl. zum Prozess Jochen JOHRENDT, Harald MÜLLER (Hg.), Römisches Zentrum und kirchliche Peripherie. Das universale Papsttum als Bezugspunkt der Kirchen von den Reformpäpsten bis zu Innozenz III., Berlin 2008 (Abhandlungen der Akademie zu Göttingen, phil.-hist. Kl., N. F. 2) und DIES. (Hg.), Rom und die Regionen. Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche im Mittelalter (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl., N. F., 19), Berlin 2012.

    3  Die in den Beiträgen verwendeten Siglen orientieren sich am Gebrauch im Lexikon des Mittelalters.

    Gegenpäpste

    Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter

    HARALD MÜLLER

    Als am 19. April 2005 Josef Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt und sein Amtsname Benedikt XVI. publik gemacht wurde¹, fragten sich Journalisten, Fernsehzuschauer und Zeitungsleser, welche programmatische Botschaft sich in dieser Namenswahl wohl manifestiere. Besonders beliebt war es, mit zahlreichen Experten nach Vorgängern gleichen Namens zu suchen. Benedikt von Nursia rückte kurz – obwohl nie Papst – als europäisch integrierende Figur ebenso in den Mittelpunkt wie als Symbol einer verinnerlichten Kirche. Die 15 Päpste mit dem Namen Benedikt vor 2005 nach Vorbildern im Geiste des neuen Pontifex zu durchmustern, erwies sich am Ende einmal mehr als der richtige Ansatz. Ins Visier gerieten allerdings nur diejenigen Benedikte, die von der Kirche als rechtmäßige Päpste anerkannt sind. Blickt man genauer zurück, so sind aber immerhin mindestens fünf mittelalterliche Namensvettern zu zählen, deren Rechtmäßigkeit zumindest umstritten ist. Während bei den meisten dieser Kandidaten die Zählung stillschweigend fortgesetzt wurde, versagte man Benedikt XIII. und Benedikt XIV., die beide der Avignoneser Obödienz des Großen Abendländischen Schismas angehörten, den Eintrag in die offizielle Papstliste, so dass 1724 erneut ein Benedikt XIII. zu Buche schlug². Als Bezugspunkte für die Namenswahl des neuen Papstes schieden diese aus der Liste getilgten Petrusnachfolger selbstverständlich von vornherein aus.

    [<<13||14>>] Solche ‚Gegenpäpste‘ sind Schattenseite und gegebenenfalls Katastrophenfall eines römischen Bischofsamts schlechthin, das die wichtigste Legitimation seines Führungsanspruchs in der christlichen Kirche des Mittelalters seit dem 5. Jahrhundert aus der ununterbrochenen und eindeutigen apostolischen Sukzession von Petrus bis in die Gegenwart schöpft³. Die kettengleiche Nachfolge Petri ist ein exklusives Amt, das keine Konkurrenz, erst recht keine Teilung dulden konnte und kann; gleichwohl kam dies bis zu 40 Mal vor⁴.

    Was ist eigentlich ein ‚Gegenpapst’? Die Definitionsversuche der einschlägigen Nachschlagewerke erläutern lediglich, dass es sich um jemanden handelt, der den Namen und das Amt des Papstes zu Unrecht führte und ausübte oder beides zumindest vorgab zu tun. Es handelt sich also um Usurpationen des römischen Bischofsamtes, deren Verläufe und deren unrechtmäßiger Charakter weiter spezifiziert werden. So unterscheidet der ‚Dictionnaire de droit canonique‘ zwischen gewaltsamer Usurpation des vakanten römischen Bischofsstuhls und der Errichtung eines Gegenpapsttums, nachdem bereits ein rechtmäßiger Papst gewählt worden war⁵. Das ‚Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte‘ kennt nur Gegenpäpste, die in diesem zweiten Sinne, also konkurrierend bzw. im engeren Sinne schismatisch erhoben wurden⁶. Umsichtiger differenziert Olivier Guyotjeannin im ‚Dictionnaire de la Papauté‘ das unkanonische, angemaßte Papsttum. Er unterscheidet drei Ausgangssituationen eines solchen kirchenrechtlichen Mangels: a) die unrechtmäßige Wahl eines Kandidaten bei Vakanz des Bischofsstuhles, [<<14||15>>] b) eine Doppelwahl in dieser Situation und c) die gewaltsame Aneignung des römischen Bischofsstuhls in Konkurrenz zu einem amtierenden Papst. Diese formalen Grundkonstellationen, so räumt auch Guyotjeannin ein, besagen jedoch wenig über die rechtliche Substanz der Ansprüche einzelner Kandidaten, denn weder die Wahlverfahren noch die Umstände der Erhebungen zum römischen Bischof waren im Mittelalter so eindeutig festgelegt, dass stets zweifelsfrei zwischen rechtmäßig und unkanonisch zu unterscheiden ist⁷. Nicht zuletzt daraus erklärt sich auch die je nach Liste schwankende Zahl der Gegenpäpste.

    Die mangelnde Eindeutigkeit von Phänomen und Begriff überfordert pointierte Erklärungen. Es bedarf einer sorgfältigen Betrachtung, die mehr leisten muss als nur die Klärung der rechtlichen Grundlagen eines solchen Anspruchs, Papst zu sein. Die Komplexität liegt dabei im grundsätzlichen Antagonismus von Papst und Gegenpapst begründet. Der ‚Gegenpapst‘ existiert allein in der polaren Spannung mit einem rechtmäßigen, historisch kanonisierten Amtsinhaber – ohne Papst kein Gegenpapst – und vor dem Hintergrund eines im Prinzip unteilbaren (römischen) Bischofsamtes. Man kann in den Gegenpäpsten pauschal die Inhaber der Cathedra Petri sehen, die als illegitim oder zumindest als zweifelhaft aus der Liste der Päpste ausgesondert wurden. Damit aber wird die Bezeichnung ‚Gegenpapst‘ zum historischen Werturteil. Sie präsentiert ein Ergebnis mit eindeutig negativen Zügen, denn mit dem hochmittelalterlichen Aufstieg der römischen Bischöfe zur dogmatischen und rechtlichen Führungsinstanz einer zunehmend hierarchisch strukturierten lateinischen Kirche erhielt die unbestrittene und ungeteilte Autorität des Papstes eine universale Relevanz für das Funktionieren der Amtskirche und die Heilserwartung der Gläubigen⁸. Gegenpäpste und die aus ihrer Konkurrenz [<<15||16>>] resultierenden Schismen werden daher als Störungen gekennzeichnet, deren Wirkungsspektrum von der lokalen Irritation bis zur europaweiten Kirchenspaltung reicht und deren Negativmarkierung bis zum Stigma der Ketzerei gesteigert werden kann. Insofern erscheint es zumindest aus der Perspektive einer kirchennahen Geschichtsschreibung plausibel, dass denjenigen, die vom approbierten Pfad der Papsthistorie abwichen, weniger analytische Aufmerksamkeit als affirmierende Ausgrenzung zuteil wurde. Die wenigen Beiträge, die sich explizit mit konkurrierenden oder zweifelhaften historischen Päpsten beschäftigen, folgen oft implizit dieser Logik der Bereinigung: Sie spüren vorrangig der Gültigkeit von Wahl- und Erhebungsakten nach, um rechtmäßige Päpste von angemaßten zu unterscheiden.

    Das Projekt ‚Gegenpäpste – Prüfsteine universaler Autorität im Mittelalter‘ strebt demgegenüber eine erweiterte Betrachtungsweise des Phänomens ‚Gegenpäpste‘ an. Sein Ziel ist eine umfassende Charakterisierung dieser unerwünschten konkurrierenden Vervielfältigung päpstlicher Autorität in ihren jeweiligen Bedingungen, Verläufen und Ergebnissen. Weniger Beschreibung und Bewertung als das detailgenaue wie systematisierende Verfolgen der Konkurrenz an sich stehen in seinem Zentrum. Insbesondere den Handlungs- und Kommunikationsstrategien sowie der Wahrnehmung und Erinnerung durch die Zeitgenossen gilt das Interesse. Nicht die Gegenpäpste als historisch Gescheiterte, sondern als aktiv konkurrierende Prätendenten um das Papstamt werden in den Mittelpunkt gerückt. Es geht, pathetisch formuliert, um den ‚Kampf um Rom‘ – um ein Rom, das teils konkret geographisch, teils als Metapher für die Spitzenposition in der lateinischen Christenheit zu verstehen ist.

    Die realen Ausprägungen dieses Kampfes sind dabei über einen Untersuchungszeitraum von rund 600 Jahren betrachtet so facettenreich, dass man sich fragen muss, ob etwa die kurzzeitige Usurpierung des römischen Bischofsstuhls durch Anastasius Bibliothecarius im 9. Jahrhundert vergleichbar ist mit den konsekutiven Erhebungen konkurrierender Päpste im Großen Abendländischen Schisma des Spätmittelalters. Gehören Gegenpäpste, die aus dem Konflikt zwischen weltlichen Mächten und Papsttum hervorgingen und die mitunter von den Zeitgenossen als idolum imperatoris bezeichnet wurden⁹, in dieselbe Kategorie wie [<<16||17>>] solche, die aus dem Dissens der wählenden Kardinäle resultierten? Funktioniert der ‚Gegenpapst‘ als Forschungsbegriff überhaupt und zumal im Frühmittelalter, wenn wir von Papsttum im Sinne seiner hoch- und spätmittelalterlichen Gestalt noch gar nicht sprechen wollen? Beide Probleme – Vergleichbarkeit der Einzelfälle und terminologische Unschärfe – verweisen in ihrer Grundsätzlichkeit erneut auf die unbefriedigende Erforschung des Themenkomplexes. Das Etikett suggeriert eine Klarheit, die man bei näherer Betrachtung von Quellen und Literatur vergeblich sucht. Deshalb und weil schon seine bloße Benutzung die zuvor skizzierte, historisch urteilende, traditionsbewusste Sichtweise dokumentiere, wurde im Vorfeld der Tagung mehrfach angeregt, auf den Begriff ‚Gegenpäpste‘ zu verzichten oder zumindest konsequent Anführungszeichen als Indikatoren des Problembewusstseins zu benutzen. Auch dies verweist letztlich auf den grundsätzlichen Klärungsbedarf in der Sache, denn eine neue Begriffsbildung wird nur überzeugen, wenn ihr eine systematische Erforschung des Phänomens vorausgegangen ist.

    Eine solche umfassende Untersuchung ist Gegenstand des genannten Aachener Gegenpäpste-Projekts; die folgenden Einzelstudien bilden wichtige Trittsteine auf diesem Weg. Am Beginn steht die Aufgabe, Grundlagen und Erkenntnisziele zu skizzieren, die als Wegmarken dienen können. Einen Schlüssel für das Verständnis der Thematik liefert insbesondere die zeitgenössische Begriffsverwendung. Sie weist mit ihrem aggressiven, ja stigmatisierenden Potenzial künftigen Annäherungen die Richtung und folgt deshalb unmittelbar auf eine kurze Skizze des Forschungsstandes. Aus der Verwendung der mittelalterlichen Begrifflichkeit in den Quellen lassen sich inhaltliche Problemfelder und Fragehorizonte entwickeln, innerhalb derer sich die voranschreitende Projektarbeit ebenso bewegen wie die hier anschließenden Einzelbeiträge.

    1. Themen der Forschung

    Gemessen an der Selbstverständlichkeit, mit welcher der Begriff ,Gegenpapst‘ benutzt wird, erweist sich das wissenschaftliche Interesse an diesem Phänomen als [<<17||18>>] schwach. Eine moderne Geschichte der Gegenpäpste existiert bislang nicht. Das Thema wurde als Ganzes nur in einer 1754 verfassten ‚Istoria degli antipapi‘ des Sorrenter Erzbischofs Lodovico Agnello Anastasio behandelt, die jedoch ohne wissenschaftliche Relevanz ist. Ähnliches gilt für ein nunmehr gut 40 Jahre altes, im Titel gleich lautendes Bändchen Ludovico Silvanis¹⁰; beide bieten hauptsächlich aneinandergereihte Viten und verfolgen apologetische Ziele. Zu den seltenen Versuchen übergreifender Betrachtung gehören die beiden bereits genannten Lexikonartikel von Armand Amanieu mit seinen prägnanten, rechtlich ausgerichteten Kommentaren und Olivier Guyotjeannin¹¹. Monographisch behandelt allein die ungedruckte Dissertation von Michael Edward Stoller ,Schism in the Reform Papacy. The documents and councils of the antipopes 1061–1121‘ die Gegenpäpste eines längeren Betrachtungszeitraums¹². Die Mehrzahl der Beiträge verfolgt das Thema chronologisch selektiv, meist auf konkrete schismatische Situationen bezogen. Lässt man die überbordende Literatur zum Großen Abendländischen Schisma beiseite¹³, so geraten auf diese Weise vor allem die Doppelwahlen von 1130 und 1159 mit ihren ausgreifenden (kirchen-)politischen Dimensionen, deutlich seltener Einzelgestalten wie Felix V. (1439–1449) oder die Gegenpäpste des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts in den Blick, darunter Wibert von Ravenna/Clemens III. – mit Anaklet II. (1130–1138) der einzige, dem bislang eine eigene Monographie zuteil wurde¹⁴. Daneben überwiegt in der Forschung die [<<18||19>>] Fokussierung auf sachliche Segmente konkurrierender Pontifikate. Nur gelegentlich wurde dem Aufbau jeweils eigener Kurien etwa durch Kardinalserhebungen Beachtung geschenkt¹⁵. In jüngerer Zeit hat die Frage nach konkreten Mechanismen der Obödienzbildung und damit der faktischen Durchsetzung des jeweiligen Anspruchs stärkeres Gewicht erlangt. Vor allem für die langwierigen Schismen von 1130, 1159 und 1378 wurden diese politischen Dimensionen von Anhängerwerbung und Parteinahme eingehender behandelt. Dabei fanden besondere Aufmerksamkeit: Kardinäle, kuriale Strukturen, Urkunden, Kanzlei und Kirchenrecht¹⁶, die Rolle der geistlichen Orden als Propagandisten und Brückenköpfe der Einflussnahme¹⁷, schließlich Ausdrucksformen der Anerkennung päpstlicher [<<19||20>>] Autorität in den Quellen, etwa durch die Datierung von Urkunden nach einem der Prätendenten¹⁸. In all diesen Studien wird die Konfliktsituation des Schismas mit dem daraus resultierende Bedarf an Orientierung und Entscheidung wie ein Brennglas für die Analyse von Verhaltensweisen benutzt. Gemeinsam ist ihnen der leitende Blick auf strukturelle Gegebenheiten, größere Handlungszusammenhänge und verschärfende oder beruhigende Faktoren im Schisma, während die konkurrierenden Päpste als Personen, ihr Ringen um Anerkennung und gegebenenfalls ihr persönliches Scheitern eher am Rande bleiben.

    Insgesamt dominiert die Frage der formalen Rechtmäßigkeit konkurrierender Ansprüche. Hierin zeigt sich eine die Forschung prägende legalistische Grundauffassung. Sie ist im Kern durch die Ekklesiologie der römischen Kirche vorbestimmt, deren Spitzenamt – anders als auf weltlicher Seite, wo es häufiger zum Gegen- oder Nebeneinander mehrerer Herrscher in einem Reich kam¹⁹ – keine Verdopplung duldete; es kann nur einen rechtmäßigen Papst geben. Gegenpäpste geraten infolgedessen gleichsam per definitionem auf die illegale Seite, ihr Scheitern [<<20||21>>] erhält in der historischen Bilanz etwas Zwangsläufiges. Nicht von ungefähr ist Harald Zimmermanns bekanntes Buch über die Papstabsetzungen des Mittelalters eine Fundgrube für Nachrichten über gescheiterte Papst-Prätendenten²⁰. Das juristische Paradigma ist für die Betrachtung schismatischer Konstellationen von fundamentaler Bedeutung, seine genaue Rolle im Kontext einer umfassenderen Erforschung der Gegenpäpste bleibt aber noch zu diskutieren.

    Eine ebenfalls auf bereits überwundene Rivalen im päpstlichen Konkurrenzkampf zielende Erweiterung des formalrechtlichen Aspekts bieten Einzeluntersuchungen zu Strafen und spektakulären Schandritualen, denen überwältigte Gegenpäpste zu Lebzeiten und nach ihrem Tod unterworfen wurden. Verstümmelung an den Sinnesorganen beraubte den Rivalen erkennbar jeder Möglichkeit, künftig als priesterlicher Konkurrent in Erscheinung zu treten, und markierte jenseits juristischer Spitzfindigkeiten für alle sichtbar die Niederlage und Illegitimität des Bestraften. Nacktes Reiten auf einem Esel gab den Delinquenten der Lächerlichkeit preis und zeigte in drastischer Symbolik, dass er sich außerhalb der Ordnung bewegte hatte, die nun im Umkehrschluss wiederhergestellt worden war²¹.

    Der Blick auf Bestrafung und rituelle Bewältigung des Krisenszenarios verschiebt die Gewichtung vom Ius zum Agon. Es wird deutlich, dass bis zuletzt, mitunter bis zum physischen Ende, um die Cathedra Petri gekämpft wurde und dass die Diskreditierung der Rivalen im Umkehrschluss die eigene Legitimitätsbehauptung unterstrich. Mit dieser Sichtweise, die dem seit den 1980er Jahren wachsenden Interesse der Mediävistik an symbolischen Handlungen und kulturellen Dimensionen geschuldet ist, erreicht auch die Beschäftigung mit Gegenpäpsten [<<21||22>>] eine neue Qualität, indem sie sich prinzipiell für die kommunikativen Aspekte dieser Konkurrenz öffnet. Sie reicht von der Propaganda der Protagonisten, ihrer Publizisten und Historiographen²² bis auf das Feld der verbotenen oder verfemten Memoria, das freilich für die Gegenpäpste erst ansatzweise untersucht ist²³. Wie fruchtbar und angemessen diese Öffnung sein kann, zeigt sich beim genauen Blick auf die zeitgenössische Terminologie.

    2. ‚Gegenpäpste‘ – Begriffsproblem oder Problembegriff?

    Der Terminus Gegenpapst stößt in Singular und Plural aufgrund seiner Unschärfe und weil bereits die bloße Benutzung ein Werturteil im Sinne einer Aussonderung aus der rechtmäßigen Tradition der römischen Bischöfe impliziert, bei Historikern auf Vorbehalte. Die Unsicherheit wird durch die Vermeidung des Begriffs oder durch den Rückgriff auf Anführungszeichen im Sinne von Problem-Markierungen dokumentiert²⁴. Bei aller wohlbegründeten Reserve gegenüber dem Begriff fehlt es aber bislang an überzeugenden Alternativen. ‚Papstschisma‘ böte sich [<<22||23>>] als Beschreibung einer durch ihre Verdopplung funktional irritierten Kirchenführung an. Das Phänomen lässt sich im Spätmittelalter breit aufzeigen und wurzelt zudem in einer klaren kirchenrechtlichen Definition: „Wenn gegen einen amtierenden Bischof ein anderer Bischof erhoben wird", heißt es bei Gratian mit Rückgriff auf den Kirchenvater Cyprian²⁵. Doch auf die begrenzt wirksamen päpstlichen Konkurrenzen vom Frühmittelalter bis ins beginnende 12. Jahrhundert passt der mit modernen, wirkungsbezogenen Vorstellungen aufgeladene Begriff ebenso unvollkommen wie auf die Amtszeit Nikolaus’ V. (1328–1330), den Gegenpontifex von Ludwigs des Bayern Gnaden. Rückt man zudem gegenüber dem Sachverhalt die konkurrierenden Prätendenten in den Vordergrund, so gerät man mit der personalisierten Form ‚Schismatiker‘ unweigerlich in dieselbe Bredouille einer Legitimitätsbewertung a priori, wie sie der beanstandete ‚Gegenpapst‘ enthält.

    Zunächst scheinen alle Wege doch wieder zum inkriminierten Gegen-Begriff zurückzuführen und dies nicht nur mangels Alternative. ‚Gegenpapst‘ wird als heuristischer Begriff tauglich, wenn man ihn (und sich selbst) so weit wie möglich von der wertenden Konnotation befreit. Dazu muss der Sinngehalt der sprachlich zugrundeliegenden griechischen Präposition anti auf seine genuine konfrontative Bedeutung reduziert werden: auf das Gegenüberstehen, das buchstäblich Widerständige. In dieser semantischen Rumpfversion wird der Gegenpapst zu einem Konkurrenten um das römische Bischofsamt im Sinne der Situationskennzeichnung, ohne dass schon etwas über die Legitimität des Anspruchs, die Wirksamkeit der Rivalität oder gar den historischen Ausgang des Rennens gesagt würde. ‚Konkurrenzpäpste‘ ist eine sinnvolle Bezeichnung, freilich ohne jeden provokanten Charme. Nicht die wertende Gegenüberstellung von Papst und Gegenpapst, sondern die zunächst neutrale Opposition von (Gegen-)Papst und (Gegen-)Papst wäre das Muster. Diese gedankliche Reduktion auf die zunächst unbewertete Konfrontation mehrerer Papst-Prätendenten ist im Kern eine kontrafaktische Operation, denn sie verlangt dem Historiker ab, den bekannten Lauf der Kirchengeschichte ein Stück weit zu ignorieren. Gleichwohl erscheint dies sinnvoller, als sich in apologetische Diskussionen um das Sein oder Nichtsein einzelner Gegenpapst-Figuren zu verstricken. Auch sei an dieser Stelle daran erinnert, dass es im genannten Forschungsprojekt ganz bewusst um Gegenpäpste im Plural geht. [<<23||24>>] Nicht der individuellen kirchenhistorischen Bilanz, sondern möglichen gemeinsamen Merkmalen einer Personengruppe, die durch ihren hartnäckigen Anspruch auf den Petersthron die mittelalterliche Kirche herausforderte, gilt das Interesse. Bei allem Unbehagen gibt es derzeit keinen triftigen Grund, den eingeübten Begriff Gegenpäpste in der genannten wertneutralen Weise zur Markierung des zu untersuchenden Konkurrenzproblems über Bord zu werfen.

    Invasor – pseudopapa – antipapa

    Ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis des Phänomens Gegenpäpste und damit auch für die Konzeption seiner Erforschung liegt in der zeitgenössischen Begriffsverwendung. Dem in alle modernen europäischen Sprachen eingebürgerten ‚antipope‘ oder ‚antipape‘ steht das lateinische antipapa nicht gleichgewichtig und erst relativ spät gegenüber²⁶. Michael E. Stoller hat 1985 das Aufkommen des Begriffs antipapa untersucht und eine weitgehend simultane Genese um die Mitte des 12. Jahrhunderts konstatiert. Für die Zeit vor 1200 lassen sich kaum 20 Quellen finden, die einen antipapa aufweisen²⁷. Als erste berichtet die Yorker Chronik des Hugo Cantor über den 1121 von Calixt II. in einem Schandritt durch Rom gejagten Gregor VIII./Mauritius von Braga in Form der Klimax antipapa, anti-Petrus, [<<24||25>>] anti-Christus²⁸. Sie wird von Stoller auf circa 1127 datiert, doch endet in diesem Jahr zunächst nur ihr Berichtszeitraum; Hugo starb erst am 4. Juli 1139. Wann genau in dieser Zeitspanne der Text zu Pergament gebracht wurde, bleibt offen, auch wenn gute Gründe für eine Niederschrift vor 1130 sprechen. Als Beleg für die Verwendung von antipapa bleibt die Chronik ein früher Solitär²⁹. Stollers behut­samer Vorschlag, den anglo-normannischen Raum als Wiege des antipapa-Begriffs zu betrachten, übersieht zumindest die Historia Compostellana, die ebenfalls wohl noch vor 1140 den anti-Terminus verwendet³⁰.

    Der Wert der Begriffsuntersuchung liegt jedoch ohnehin weniger in der Ermittlung eines Datums für die ‚Erfindung‘ des Gegenpapstes als in der Herausarbeitung unterschiedlicher, von der Perspektive des Autors abhängiger sprachlicher Einkleidungen des Phänomens. Wohl zu Recht weist Stoller darauf hin, dass [<<25||26>>] die Chroniken sich des antipapa-Begriffs bedienen, um mit relativer historischer Distanz schismatische Situationen zu schildern; dass andererseits, wie er knapp bemerkt, vorgängig und parallel zum antipapa auch andere Vokabeln benutzt wurden, bevorzugt pseudopapa und invasor/intrusus, um eine Konkurrenzsituation an der Spitze der römischen Kirche zu kennzeichnen³¹. Ein Beispiel mag genügen, um die Beobachtungen zu illustrieren. Der schon erwähnte Erzbischof Mauritius von Braga, genannt Burdinus, war im März 1118 von Heinrich V. zum Papst Gregor VIII. erhoben worden. Erst Calixt II. gelang es, Burdinus gefangen zu nehmen, ihn nackt und verkehrt herum auf einem Esel reitend, von der Bevölkerung geschmäht und mit Kot beworfen, in einer Art negativem Triumphzug durch Rom führen zu lassen, um ihn anschließend für immer in Klosterhaft zu stecken³². Die unmittelbar zeitgenössischen Quellen bezeichnen Burdinus durchgehend als pseudopapa, als intrusus und apostata, als bestia und als Häresiarchen, auch zweiter Arius wird er genannt, nicht aber antipapa. Erst in den 1140er Jahren verurteilt Abt Suger von Saint-Denis denselben Gregor VIII. in einer an die Formulierung der Yorker Chronik erinnernden Wendung als tortuosus antipapa, imo antichristus³³. Auch Wilhelm von Tyrus kennt 1174 rückblickend dann einen antipapa Burdinus³⁴. Mit weiterem Blickwinkel wird dieser Befund bestätigt. Sigebert von Gembloux benutzt für alle Gegenpäpste in seinem bis 1111 reichenden Berichtszeitraum [<<26||27>>] ausschließlich die Kennzeichnung pseudopapa, während die späteren Fortsetzer seiner Weltchronik, etwa Robert von Torigny, Abt von Mont St-Michel (†1186), und die sogenannte Fortsetzung von Anchin sämtliche Gegenspieler Alexan­- ders III. zwischen 1159 und 1177 ganz selbstverständlich antipapae nennen³⁵.

    Der antipapa betritt also erst kurz vor der Mitte des 12. Jahrhunderts die Bühne der Chronistik, ohne indessen den Pseudopapst je gänzlich verdrängen zu können. Hierfür dürfte eine semantische Differenz von Bedeutung sein, denn anti- und pseudopapa sind keineswegs synonyme Begriffe. Hinter beiden stehen unterschiedliche Wahrnehmungen und Absichten. Der pseudopapa Burdinus ist in der Sprache der Quellen ein invasor und Ketzer – wahlweise Apostat oder Häretiker³⁶. Pseudopapa bündelt damit die beiden Hauptvorwürfe, die konkurrierende [<<27||28>>] Prätendenten um das Petrus-Amt einander in verbaler Auseinandersetzung entgegenschleuderten. Als Invasor oder Usurpator galt, wer die Cathedra Petri zu Lebzeiten eines amtierenden Papstes gewaltsam an sich gerissen hatte.

    Die Durchsicht der Quellen fördert darüber hinaus einen Pulk von Ungestalten aus Bibel und Kirchengeschichte zutage, der aufgeboten wurde, um den Vorwurf zu orchestrieren, ein angemaßter Papst zu sein. Der in Diensten Eugens IV. stehende Florentiner Humanist Poggio Bracciolini demonstriert 1447 in einer Schmähschrift gegen Felix V., den Papst des Basler Konzils, und in ihr vorausgehenden Briefen eindrucksvoll die Bandbreite dieses Arsenals. Der letzte mittelalterliche Gegenpapst ist für ihn Architekt des Bösen, Schüler Satans, Cerberus, Mahumet, Antichrist, Diokletian, Arius und Moloch, an anderer Stelle nach Vergil ein monstrum horrendum³⁷. Vor allem das Alte Testament liefert dabei mit Noahs abtrünnigem Sohn Kanaan (Gen. 9,25), mit Belial und Baal die eingängigen Bilder wechselseitiger Verketzerung³⁸. Idolatrie – Götzendienst – war dabei [<<28||29>>] ein durchschlagendes Argument. Calixt II. nannte den Kontrahenten Burdinus/Gregor VIII. ein Götzenbild des deutschen Königs, ein Teutonici regis idolum, und enthüllte damit, wen er für den eigentlichen Motor des Schismas hielt³⁹. Das ist die Sicht des Investiturstreit-Zeitalters, die wesentlich an der Auseinandersetzung der Gregorianer mit Wibert von Ravenna/Clemens III. entwickelt wurde⁴⁰.

    Die Wortwahl der Quellen offenbart bei genauerer Betrachtung deskriptive und denunzierende Elemente. Je nach persönlichem Standpunkt des Verfassers und Textsorte sind Situationen unterschiedlicher aggressiver Potenz zu beobachten. Es lässt sich ein gut bestücktes Arsenal des Illegitimitätsvorwurfs erkennen, das sich grob in die Themenfelder Usurpation, Häresie und antichristliche Erscheinungsformen gliedert und dessen sich die konkurrierenden Parteien ebenso differenziert bedienten wie vermeintlich distanzierte Historiografen.

    [<<29||30>>] An den drei zentralen Begriffen invasor, pseudopapa und antipapa lässt sich auf der Basis einer umfänglicheren eigenen Belegsammlung die Problemlage skizzieren. Der intrusus/invasor (seltener usurpator) steht für das illegale, oft gewaltsame An-sich-Reißen des Amtes. Dies mag die Realitäten des Kampfes um die Cathedra Petri widerspiegeln, doch spielt die Kennzeichnung auch auf eine rechtliche Komponente an: invasio, das Eindringen, ist Bestandteil der erwähnten kanonistischen Schisma-Definition⁴¹. Pseudopapa ist demgegenüber spezieller. Der so Bezeichnete wird in eine Reihe gestellt mit den pseudoprophetae, den falschen Propheten der Apokalypse⁴². Das Stigma ist damit grundsätzlich zugleich ein Häresievorwurf. Die Schreckensgestalten des Alten Testaments illustrieren den Pseudopapst in den Texten ebenso wie die Vorwürfe der Idolatrie und der Apostasie oder der Titel haeresiarcha. Hierin eine bloß dogmatische Komponente zu sehen, griffe allerdings zu kurz. Denn nur in einem einzigen Falle erlaubte das Kirchenrecht den Papst abzusetzen, dann nämlich, wenn er sich als Häretiker, als a fide devius, erwies; die Initiierung oder Aufrechterhaltung eines Schismas fiel unter diesen Tatbestand⁴³. Der Häresievorwurf war das umfassende, geradezu letale Argument gegen einen Konkurrenten um den Papstthron, deshalb ist es zutreffend, von der Verketzerung des Konkurrenten zu sprechen. Pseudopapa betont dabei zugleich im Sinne eines [<<30||31>>] „asymmetrischen Gegenbegriffs" (Koselleck) die eigene Orthodoxie und Rechtmäßigkeit des Sprechers⁴⁴.

    Der antipapa schließlich reiht sich erst um 1130 in das Begriffsarsenal ein und bleibt im 12. Jahrhundert noch selten; das um 1140 entstandene Decretum Gratiani kennt ihn nicht. Überhaupt begegnet das griechische Präfix anti in der mittelalterlichen Kirche nur in wenigen Wortverbindungen: musikalisch-liturgisch in antíphona, theologisch in antichristus, dessen assoziative Nähe zu antipapa evident ist⁴⁵. Es gab also definitiv Gegenpäpste avant la lettre, doch darf man bezweifeln, dass das späte antipapa nur des falschen Papstes neues Sprachgewand war, das nach Gusto angelegt wurde. Die Begriffswahl begleitete wohl eher einen Wahrnehmungswandel der Zeitgenossen. Zwischen pseudo und anti, zwischen dem falschen und dem Gegenpapst könnte, wie das Einsetzen der Belege suggeriert, die Erfahrung eines tiefgreifenden Schismas liegen, in dessen Verlauf nicht nur die personalen Spitzen konkurrierten, sondern sich getrennte Hierarchien etablierten und dessen Wirkung weit über Rom hinausreichte. Vor diesem Hintergrund ist auf einen Brief Bernhards von Clairvaux an die Bischöfe Aquitaniens hinzuweisen. Der Zisterzienser, wirkungsvollster Propagandist Innozenz’ II., polemisiert darin gegen Bischof Gerhard von Angoulême, der als Legat im Lager Anaklets II. stand⁴⁶. In dem Brieftraktat fällt der Begriff antipapa erwartungsgemäß [<<31||32>>] nicht. Anaklet und Gerhard werden in bewährter Weise als Schismatiker und Häretiker gebrandmarkt⁴⁷. Bernhard arbeitet jedoch durchgehend mit Gegenüberstellungen: christianus – antichristus, die Heiligen werden vertrieben, damit die Bestie angebetet werden könne (Offb. 13,6), schließlich: „er versucht Altar gegen Altar zu errichten, Äbte den Äbten, Bischöfe den Bischöfen gewaltsam überzustülpen, dabei die Rechtgläubigen zu verjagen und Schismatiker zu erheben."⁴⁸ In dieser Passage wird eine organisatorische Struktur beschworen, die dem catholicus entgegengesetzt ist. Über den pauschalen Vorwurf persönlichen Irrglaubens geht das hinaus ins Systematische, und erst damit ins Anti-päpstliche. Das entspräche zumindest der u. a. von Ordericus Vitalis und den Bischofsgesten von Le Mans geäußerten Wahrnehmung, das Schisma habe in vielen Bistümern, Klöstern und Stiften zu Doppelwahlen geführt⁴⁹. Nicht die schiere Dauer eines Konkurrenzpapsttums oder sein Zustandekommen, sondern seine organisatorische Reife, überörtliche Verankerung und damit Wirksamkeit könnten 1130 bei den Zeitgenossen in weit stärkerem Maße als bei den vorausgegangenen, kaiserlich forcierten Eigenpäpsten des Investiturstreit-Zeitalters die Wahrnehmung einer veritablen Gegenhierarchie verstärkt und zu neuer Begriffsbildung inspiriert haben. Dass diese Schisma obendrein nicht von außen hineingetragen worden war, sondern im engsten Führungskreis der Ecclesia Romana entstanden war, dürfte ein Übriges zur verschärften Wahrnehmung beigetragen haben.

    Der antipapa-Begriff scheint in seiner konkreten historischen Genese wie in seiner Signifikanz deutlich auf die Sphäre der ausgeprägten Schismen zu verweisen. Trotz seiner deskriptiven Qualität, die ihn vom aggressiven pseudopapa [<<32||33>>] deutlich trennt, verliert er nie seine assoziative Nähe zum Antichristen⁵⁰. Auch sollte man den Glauben an die Stringenz zeitgenössischen Sprachgebrauchs nicht überstrapazieren. Immer wieder vermischen sich in den Texten Deskription und Diffamierung, und es bleibt offen, was man sich unter dem Wortungetüm pseudoantipapa vorzustellen hat, mit dem die Fortsetzung des Liber Pontificalis im 15. Jahrhundert den von Ludwig dem Bayern 1328 kreierten Nikolaus V. verunglimpfte⁵¹.

    Dem Ausflug in die antipapale Namenkunde ist abschließend anzufügen, dass man sich hütete, dem jeweils anderen den Rang eines regulären Amtsinhabers zuzubilligen. Stattdessen ignorierte man die vorgebliche Papstwürde des Konkurrenten – Beschädigung durch bewusstes Unterlassen. Hier waren die Petrusnachfolger eine besonders leichte Beute, denn von der Mitte des 10. Jahrhunderts an nahmen sie nach der Wahl einen neuen Namen an, um ihren Übertritt in das Amt zu signalisieren. Die bekannte Aufforderung Heinrichs IV. aus dem Jahr 1076, der „falsche Mönch Hildebrand" möge vom Stuhle Petri herabsteigen, negierte durch Weglassung des Papstnamens den Rang des Trägers. Burdinus war bei seinen Gegnern nie Gregor VIII., Petrus Pierleoni nie Anaklet II., Clemens III. blieb bei den Gregorianern stets Wibert von Ravenna. Otto von Freising und Rahewin nennen Alexander III. in ihren Gesta Friderici stets nur magister Rolandus, nie beim Papstnamen; die einzige Ausnahme dort geht auf einen inserierten Brief zurück, stammt also nicht von den Verfassern selbst⁵². Und als Silvester IV. nach sechsjährigem Gegenpontifikat 1111 sein angemaßtes Amt in die Hände Paschalis’ [<<33||34>>] II. legte, nannte er sich selbst nur noch bei seinem Taufnamen⁵³. Zu dieser selektiven Beispielreihe der Titel- und Namensverweigerung passt die Berichterstattung der Fortsetzung von Anchin über den Frieden von Venedig 1177, in der Johannes von Struma/Calixt III. bei seiner Unterwerfung unter Alexander III. als apostolici nominis presumptuosus invasor bezeichnet wird⁵⁴. Die bloße Verwendung des Titels antipapa in solchen Situationen wäre wohl einer indirekten Anerkennung des päpstlichen Ranges gleichgekommen. Schon deshalb war das umfassend diffamierende pseudopapa in der direkten Kontroverse die Diktion der Wahl⁵⁵.

    3. Kampf um Rom – Behauptungsstrategien und Untersuchungsfelder

    Der Wortlaut der Quellen lässt pseudopapa als den Begriff mit der höchsten Signifikanz erkennen. Man kann diesen Terminus als richtungweisenden Indikator für eine Annäherung an das Phänomen nehmen, wird in ihm doch das enorme agonale Potenzial der zu untersuchenden Situation deutlich. Das Bestreben der Rivalen im Kampf um den römischen Bischofsstuhl zielte mit aller Konsequenz darauf, den Vorwurf, ein pseudopapa zu sein, abzuwehren, ihn umzulenken auf die Kontrahenten und keinesfalls als antipapa in den Chroniken oder gar in den römischen Bischofslisten zu enden. Schon die Zeitgenossen besaßen in dieser Hinsicht ein ausgeprägtes ‚Listenbewusstsein‘. So berichtet Helinand von Froidmont in seiner um 1204 verfassten Chronik, der Name Konstantins II. (767–769), eines der markantesten Invasoren auf dem Stuhl Petri, sei aus der Papstliste und der Zählung [<<34||35>>] vollständig entfernt worden: iste pseudopapa de ordine et numero paparum abrasus est⁵⁶. Ein Verständnis für die geordnete historische Legitimation im Sinne der Zugehörigkeit zu einer klar abgegrenzten Gruppe (ordo) scheint ebenso vorhanden wie der Gedanke einer zeitübergreifenden Reihe, als die der Verweis auf den numerus der römischen Bischöfe gelesen werden kann. Deshalb wollte Pandulf, der Biograph Paschalis’ II., den Namen Wiberts von Ravenna/Clemens’ III. nicht nur auf Erden getilgt sehen, sondern auch im himmlischen Liber vitae. Die Begründung: non iam papa qui numquam papa – Häresiarch sei sein wahrer Titel⁵⁷. Um ein solches Ende zu vermeiden, mussten die Rivalen indes auf mehreren Feldern erfolgreich sein.

    Rechtmäßigkeit und Häresievorwurf

    Der ,Kampf um Rom‘ wurde nicht nur auf dem Feld der juristischen Legitimation ausgefochten. Zu unpräzise waren die Wahlordnungen des Frühmittelalters, zu spärlich die Informationen über die Erhebungsvorgänge, als dass sich stets zuverlässig entscheiden ließe, welcher Kandidat auf sichererem rechtlichem Grund stand⁵⁸. Nicht von ungefähr ist zu beobachten, dass gerade schismatische Wahlen zu einer schrittweisen Präzisierung der Wahlordnungen führten, um formalrechtliche Schwachstellen zu tilgen, häufig aber auch um den Modus der eigenen Erhebung rückwirkend zu kanonisieren⁵⁹. Zudem stellte sich das grundlegende Problem, dass nach päpstlicher Ansicht in der Gesamtkirche keine Instanz bestand, [<<35||36>>] die zu einem Urteil über den römischen Bischof befugt war. Der Satz prima sedes a nemine iudicatur erwies sich gerade in Schismazeiten als prekär, verlangte doch die paralytisch wirkende Konkurrenz an der Kirchenspitze mit ihrer Tendenz zur Verfestigung der Lagerbildung ganz besonders nach rascher und verbindlicher Klärung⁶⁰.

    In geradezu paradoxer Weise scheint Anaklet II. aus der Doppelwahl des Jahres 1130 als der Kandidat mit der höheren rechtlichen Qualität hervorgegangen zu sein, durchgesetzt hat sich am Ende jedoch Innozenz II. Politisches Geschick und die schlagkräftigeren Parteigänger erwiesen sich als stärker als die Buchstaben der Papstwahldekrete⁶¹. Wie wenig man der Konkurrenz um den Stuhl Petri allein mit dem Blick auf die rechtlichen Argumente beizukommen vermag, belegt schließlich die Tatsache, dass bis ins 15. Jahrhundert hinein der Vorwurf der Häresie das konstanteste Stigma war, das man einem Konkurrenten um das Papstamt einzubrennen suchte⁶². Das mag überraschen, handelt es sich beim mittelalterlichen Gegenpapsttum doch zunächst eher um ein Problem der Kirchenstruktur als um eines des Glaubens. Beide Ebenen sind jedoch ineinander verschränkt. Zum einen wird das Herbeiführen eines Schismas als Vergehen an der Einheit der Kirche und damit als Häresie gewertet. Die Spaltung besaß also eine grundsätzliche ketzerische Komponente⁶³. Zum anderen hat Othmar Hageneder 1978 überzeugend herausgearbeitet, dass sich das Papsttum von der Mitte des 11. Jahrhunderts [<<36||37>>] an die sogenannte „Häresie des Ungehorsams" zur Waffe machte. Mit dem stärker werdenden Primat des römischen Bischofs ging eine Dogmatisierung römischer Entscheidungen einher, die immer weniger auf den Bereich der christlichen Lehre beschränkt blieb. Der Papst verkörperte und sicherte die Einheit der Kirche. Gregors VII. Leitsatz aus dem Dictatus papae, dass katholisch nur sei, wer mit der römischen Kirche übereinstimme, bringt dies auf den Punkt. Umgekehrt formuliert: Wer sich hartnäckig gegen Rom stellte, war ein Häretiker, als Gegenpapst ein Götze⁶⁴. Der genuin dogmatisch gebundene Häresiegedanke wird durch einen rechtsrelevanten performativen Akt ergänzt, durch eine Häresie des Verhaltens, deren verbale Kennzeichen Simonie⁶⁵, Invasion und schließlich offener Ungehorsam – in der lateinischen Form periurium als Meineid oder Eidbruch – gegenüber Rom sind, wobei Rom gedanklich mit der Einheit der Kirche unter päpstlicher Führung gleichgesetzt wird. Paschalis II. schloss die Formel, mit der er das Anathem über Wibert von Ravenna und dessen Anhänger verhängte, mit einer selbstbindenden Sanctio: Quod si, quod absit, aliqua excusatione vel argumento me ab hac unitate divisero, periurii reatum incurrens, eternę penę obligatus inveniar et cum auctore scismatis habeam in futuro seculo portionem⁶⁶. Ein vom Papst in Kauf genommener Verlust der kirchlichen Einheit käme dem Eidbruch gleich.

    [<<37||38>>] Wohl nicht zufällig sind die wenigen Zeugnisse gegenpäpstlicher Abdankung in der Form der confessio gehalten, die schwere eigene Irrtümer und Verfehlungen eingesteht und damit weniger in den Bereich des förmlichen Rechtsstreits verweist als in die Sphäre grundsätzlicher Glaubensproblematik, auch wenn diese kirchlich-strukturell folgenreich war⁶⁷. Erst Ludwig der Bayer kehrte im Übrigen 1328 beim Versuch der Absetzung Johannes’ XXII. zu einem dogmatisch fundierten Häresieverständnis im Sinne der Irrlehre zurück⁶⁸. In diesem Dokument ist vom pseudopapa Iacobus de Caturcho die Rede, der sich Johannes nenne. Das Präfix pseudo rückt auch ihn hier explizit in eine Reihe mit den falschen Aposteln und – stets mitschwingend – mit den falschen Propheten⁶⁹.

    Legitimitätsbehauptung und Obödienzfestigung

    Für juristische Spitzfindigkeiten scheint im Behauptungskampf um den eigenen Anspruch auf den päpstlichen Thron wenig Platz. Er wurde nicht primär auf dem Feld der Legalität, sondern auf dem sehr viel weiteren Feld der Legitimität ausgefochten. Legitimität und Reputation des Gegners galt es massiv zu bestreiten, die eigene im Gegenzug zu festigen. Das bei der historischen Beschreibung von Schismen oft benutzten Wort der Obödienz, ihrer Gewinnung, Festigung oder ihres Entzugs, erhält seinen Sinn erst durch die Person, der man Gehorsam entgegenbringt bzw. an deren Autorität man sich auszurichten bereit ist. Autorität ist jedoch ein höchst elastisches Wort, das im Hinblick auf das Amt des römischen Bischofs im Mittelalter zwischen moralischem Ansehen und rechtlicher [<<38||39>>] Gewalt changiert⁷⁰. In der Krisensituation miteinander konkurrierender Papst-Prätendenten bildeten Autoritäts- und Obödienzfestigung zwei Seiten derselben Medaille. Autorität führte zu Anhängerschaft und deren Vergrößerung ihrerseits zu einer Vermehrung des autoritativen Gewichts der Führung; umgekehrt gilt dasselbe. Im Großen Schisma wirkt der Entzug der Obödienz oder die diesbezügliche Drohung einzelner Reiche katalytisch. Bisweilen galt die Meinung der ecclesia Gallicana als entscheidend in der Frage, welcher der konkurrierenden Prätendenten die Oberhand behalten sollte⁷¹.

    Der Kampf um das römische Bischofsamt fand in einer Gemengelage von rechtlichen und außerrechtlichen Aspekten statt, die eine umfassend beschreibende Annäherung an das Phänomen empfiehlt. Sie muss vor allen Dingen auf die Überzeugungsarbeit und Gewinnungsstrategien der Rivalen abzielen. Dabei waren effiziente Strukturen des eigenen Hofes, der Kommunikation, Rechtsprechung und Verwaltung von wachsender Bedeutung. Erfolgte die Doppelwahl aus dem Innersten der römischen Kirche selbst heraus, so war die Loyalität zumindest eines Teiles der Kardinäle und kirchlichen Amtsträger zweifelhaft. Eine Ergänzung bzw. partielle Ersetzung durch eigene Kräfte wurde erforderlich. Trat ein Papst von außen gegen die bestehende römische Hierarchie an, musste er Kardinalskollegium und Kurie sogar weitgehend komplett nachbilden. Ein eigenes Kardinalskollegium stärkte langfristig die eigene Legitimationsbasis und war der Nukleus einer eigenen Administration⁷².

    Die eigenen Ansprüche und Sichtweisen auch über große Entfernungen hinweg und möglichst flächendeckend zu verbreiten, setzte die entsprechenden Instrumentarien und ihre Handhabung ebenso voraus wie deren Aufnahme und Akzeptanz bei den Empfängern. Auch die Urkunden der Gegenpäpste wurden in weit überwiegender Zahl auf Nachfrage ausgefertigt, ihre richterliche Autorität gesucht oder gemieden, ihre Legaten willkommen geheißen oder ferngehalten. Insbesondere Legaten wurden als Medien der Obödienzgewinnung forciert eingesetzt, [<<39||40>>] wobei es zu regelrechten Wettläufen an die umworbenen Höfe kommen konnte⁷³.

    Die Bindung zwischen der römischen Zentrale und den Kirchen und Menschen in den Regionen Europas manifestierte sich in zunehmender Weise durch päpstliche Urkunden. In den meisten Fällen handelten die Päpste hier reaktiv, d. h. sie stellten Privilegien oder Mandate deutlich seltener aus eigenem Antrieb (motu proprio) aus als auf Nachfrage der Urkundenempfänger. Wer sich mit einem solchen Begehren an den römischen Bischof wandte, der erkannte in sehr direkter Weise dessen rechtliche Autorität an⁷⁴. Schismatische Zustände an der Spitze der römischen Kirche verlangten von den Petenten entweder hohe Flexibilität oder ein Bekenntnis für eine Seite. Die prinzipielle Unteilbarkeit des römischen Bischofsamtes führte allerdings dazu, dass Zeugnisse historisch unterlegener Prätendenten häufig aus den Archiven und damit aus dem Gedächtnissen der Empfänger getilgt oder zumindest die Namen der Aussteller unkenntlich gemacht wurden⁷⁵. [<<40||41>>] Niemand wollte mit Urkunden, die von einem Illegitimen, vielleicht sogar von einem Häretiker herrührten, in Verbindung gebracht werden. Günstigenfalls verloren sie ohnehin ihre Rechtskraft, ungünstigenfalls machten sie den Empfänger verdächtig, mit der historisch als falsch erwiesen Partei sympathisiert zu haben oder gar selbst ein Schismatiker zu sein. Die gezielte Vernichtung solcher Stücke ist also in Betracht zu ziehen⁷⁶. Merkwürdig nimmt sich in diesem Zusammenhang das Verhalten der Kölner Erzbischöfe im Alexandrinischen Schisma aus. Rainald von Dassel und sein Nachfolger Philipp von Heinsberg ließen sich von den Päpsten, die sie anerkannt hatten, weder die nötigen Weihen erteilen noch nahmen sie aus den Händen Viktors IV. und Calixts III. das Pallium entgegen. [<<41||42>>] Ob dies einer Politik der Distanz gegenüber Rom geschuldet war oder Zweifel an der Dauerhaftigkeit der von Barbarossa gestützten Päpste andeutet, bleibt offen⁷⁷.

    Nicht immer war eine Fehlausrichtung im Schisma rückwirkend reparabel. So verharrte Kalabrien, dessen Kirchenorganisation zu wesentlichen Teilen von Anaklet II. geschaffen worden war, nach dessen Niederlage gegen Innozenz II. in Distanz zum Papsttum. Zumindest erreichte die Zahl der Papsturkunden für dortige Empfänger im 12. Jahrhundert über Jahrzehnte hinweg nicht mehr die Frequenz früherer kalabrisch-päpstlicher Kontakte⁷⁸.

    Neben der Funktion solcher päpstlicher Instrumente der Bindung durfte die Form nicht vernachlässigt werden; sie war an traditionelle Konventionen gebunden. Mit einer bewussten imitatio Romae auf den Gebieten des päpstlichen Zeremoniells, ikonographischer Elemente oder des Urkunden- und Kanzleiwesens konnte der historische Zentralort päpstlicher Tradition auch fern des Tibers zumindest symbolisch behauptet werden. Paul Ewald stellte für Anaklet II., aber in durchaus grundsätzlicher Perspektive fest: „dass wir es hier mit einem der Gegenpäpste zu thun haben, dass also von diesen, wie überhaupt alle Formen des päpstliche Regiments, auch die Canzleiinstitutionen gewahrt wurden."⁷⁹ Wer wie Innozenz II. von Beginn an die Kanzlei mit dem Kanzler Haimerich in seinem Rücken wusste, der war befreit von der Last, für diese Aufgaben loyales Personal zu finden, es gemäß dem Herkommen für die Abfassung päpstlicher Urkunden auszubilden oder sich selbst erst dieses traditionellen Formen-Regelwerks zu versichern. Er konnte vielmehr die routinierte Effizienz des Schreibbüros und die dort angeknüpften personalen Netze für seine Zwecke nutzen⁸⁰. Selbst die Väter des Basler Konzils, die sich phasenweise explizit vom amtierenden Papst abgrenzten, [<<42||43>>] erachteten es als unverzichtbar, am Rhein eine betont nach römischem Muster agierende Kanzlei und weitere Ämter ad instar curie Romane zu schaffen⁸¹.

    Ebenso deutlich tritt die suggestive Kraft der Form im Bereich des Erhebungszeremoniells hervor. Neben Strukturen und Instrumenten galt es natürlich Argumente zu finden und publik zu machen, welche die jeweils eigene Position im Rennen um die Cathedra Petri unanfechtbar erscheinen ließen. Die Auseinandersetzung zwischen Alexandrinern und Viktorinern nach der Doppelwahl von 1159 um die Immantation der Kontrahenten lehrt, dass hier der Ablauf des gesamten Erhebungszeremoniells ein zentraler, den Wahlakt deutlich transzendierender Baustein päpstlicher Legitimation war. Ihn galt es in der jeweils eigenen Lesart unter das Volk zu bringen, mögliche Defizite zu verschleiern bzw. umzudeuten⁸², denn ein mangelhafter Erhebungsakt, ein Rechts- oder Formverstoß bei Wahl und Weihe boten sich in allen betrachteten Konfliktkonstellationen als buchstäblich kardinales Argument in der Legitimitätsauseinandersetzung an⁸³. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man für Felix V. in Basel die Etappen des traditionellen stadtrömischen Einsetzungszeremoniells peinlich genau glaubte nachbilden zu müssen – bis hin zur Huldigung durch die städtische Judengemeinde, die es freilich in Basel 1439 nicht mehr gab⁸⁴. Legitimationselemente und Legitimationsdefizite wurden genau abgewogen und bewusst kommuniziert. Mit ihnen sorglos umzugehen, wäre sträflich gewesen.

    Besetzung der Erinnerung

    Solche abgestimmten Handlungsweisen lassen sich nicht nur im Kontext der Obödienzgewinnung beobachten, sondern auch beim Umgang der Päpste mit überwundenen Konkurrenten. Hatten frühmittelalterliche Invasoren des Papstthrons nicht selten ein gewaltsames Ende gefunden, das jegliche Befähigung für das angemaßte [<<43||44>>] Amt durch Blendung oder Verstümmelung demonstrativ zunichte machte, so markiert der aufsehenerregende Schandritt des Burdinus von 1121 einen Einschnitt⁸⁵. Danach breitet sich weitgehende Stille aus. Sofern man ihrer habhaft wurde, verbrachte man die Gegenpäpste in Klosterhaft. An die Stelle des öffentlichen Triumphs in urbe wie bei Burdinus trat die dauerhafte Verbannung der Konkurrenten aus der öffentlichen Wahrnehmung. Bei der Suche nach ihren Begräbnisstätten verliert sich die Spur der meisten im Nebel. Nur wenige Graborte der hochmittelalterlichen Papst-Prätendenten bis zu Nikolaus V. (†1333) sind überhaupt bekannt, wobei die fehlende Erinnerung kaum zwingend am häretischen, eine christliche Bestattung verhindernden Charakter des Gegenpapsttums festzumachen sein dürfte; hier scheinen simples Vergessen oder ein gezieltes Verschweigen die näher liegenden Motive zu sein⁸⁶. Der Ort der Bestattung ist bis heute ein potentieller Nukleus unerwünschter Verehrung, wie das von Neonazis regelmäßig frequentierte, mit Zustimmung der Familie am 20. Juli 2011 schließlich aufgegebene Grabmal des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel oder ex negativo die verhinderte Bestattung der sterblichen Überreste Osama bin Ladens zeigen.

    Wibert von Ravenna/Clemens III. fand 1100 in Civita Castellana sein Grab, nicht aber seine letzte Ruhe. Als Gerüchte von Wundern an seiner Tumba die Runde machten, ließ Paschalis II. die Leiche entfernen, nach Rom überführen und in den Tiber werfen⁸⁷. Und während Alexander III. seinen 1164 verstorbenen Konkurrenten Viktor IV. in Lucca ruhen ließ⁸⁸, sorgte Gregor VIII. 1187 in zorniger Aufwallung dafür, dass dessen Knochen vor die Kirchentür gesetzt wurden⁸⁹. Angesichts dessen ist es ein Rätsel, dass Paschalis III., Viktors Nachfolger, ausgerechnet in St. Peter, in Tuchfühlung mit dem Apostelfürsten, bestattet werden [<<44||45>>] durfte⁹⁰. Mit Nikolaus V. änderten sich die Zeiten. Er wurde nach seiner Unterwerfung unter Johannes XXII. im Jahre 1330 an der Kurie in ehrenvoller Haft gehalten und fand drei Jahre später ebenfalls in Avignon, in der Kirche seines Ordens eine unauffällige letzte Ruhestätte. Die Grabsorge der konkurrierenden Päpste des Großen Abendländischen Schismas wurde entweder von deren Ordensbrüdern übernommen oder fand ihren öffentlichen Ort in der jeweiligen Heimat oder an einer früheren Wirkungsstätte des Kandidaten, nicht jedoch an den für das Papsttum traditionsbildenden Begräbnisorten, der Peterskirche oder der Lateranbasilika⁹¹.

    Der stark schematisierte Überblick über die Bestattungssituationen zeigt eine deutliche Tendenz zum freieren Umgang mit den toten Gegnern und das Einräumen der Möglichkeit zur Erinnerung an diese. Eine konsequente damnatio memoriae hätte dagegen wie bei Wibert/Clemens III und Oktavian/Viktor IV. auf völlige Tilgung zielen müssen. In den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters war es dagegen möglich, dass sich Familien, Ordensbrüder, Gönner und Verehrer durch ein Grabmal als Form ‚gebauter Memoria‘ zu dem Bestatteten bekannten.

    Parallel zu dieser schleichenden Gewöhnung an öffentliche Hinweise auf päpstliche Konkurrenz ist ein zunehmend milderer Umgang mit den überwundenen Konkurrenten zu deren Lebzeiten zu beobachten. Hatte Innozenz II. auf dem II. Laterankonzil 1139 die wieder gewonnene Einheit der Kirche auch dadurch demonstrativ betont, dass er den Kardinälen Anaklets eigenhändig die Zeichen ihrer Würde abriss – und damit nach Meinung Bernhards von Clairvaux zu weit ging⁹² –, so ließ Alexander III. knapp drei Jahrzehnte später Calixt III. nach dessen [<<45||46>>] Unterwerfung als päpstlichen Vikar von Benevent tätig werden, übertrug ihm eine Abtei und entließ dessen vermeintliche Kardinäle in die Ämter und Ordines, aus denen sie gekommen waren⁹³. Felix V. wurde im 15. Jahrhundert für seine Abdankung gar mit dem prestigeträchtigen Titel eines Kardinalbischofs der Sabina und mit der Würde eines ständigen päpstlichen Legaten in Savoyen belohnt – der Gegenpapst also gewissermaßen in die Papstkirche resozialisiert⁹⁴.

    Ob die Spaltung der Kirche machtvoll oder maßvoll beigelegt wurde, hing offenbar von den situativen Rahmenbedingungen der Resignationen ab. Die Reichweite des Schismas und die Intensität der Schisma-Erfahrung dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Rivalitäten römischen Zuschnitts und kurzlebige Konkurrenzen vermochte man durch Ausschaltung des Konkurrenten und demonstrative Wiederherstellung der ‚rechten Ordnung‘ aus der Welt zu schaffen, die lang anhaltenden, die europäischen Mächte spaltenden Schismen oder gar die spätmittelalterliche Dauerkrise von 1378 bis 1417 (und regional darüber hinaus) waren mit solchen mehr oder weniger grobschlächtigen Mitteln der Verdrängung, wie sie Verstümmelung, Klosterhaft oder Schandritt darstellten, nicht mehr zu glätten. Die Überlieferung gibt hier Hinweise. Für Wibert von Ravenna/Clemens III. sind 55 Urkunden, sechs Synoden und mindestens vier Legatenmissionen zu verzeichnen; er verfügte mit eigenen Kardinälen, einem Kanzler und einer Kammer über einen frühen Behördenapparat und ragte damit über die anderen Gegenpäpste von des deutschen Herrschers Gnaden weit heraus. Für Anaklet II. schlagen mehr als 70 Urkunden in nur acht Jahren seines Wirkens zu Buche, Viktor IV. bringt es in fünf Jahren immerhin auf knapp 60 Urkunden – jeweils bei grundsätzlich schlechter Überlieferungschance⁹⁵. Den [<<46||47>>] Endpunkt markiert auch hier Felix V., der ein achtbändiges Bullarium hinterlassen hat⁹⁶.

    Es bedurfte in wachsendem Maße integrierender Anstrengungen, um die Konkurrenten selbst, ihre Administration und Anhängerschaft mittels Verhandlungen und Kompensationen in die eine römische Kirche zurückzuführen. Dieser Befund des Wandels bietet im Übrigen rückblickend noch einmal ein Indiz für die besondere Eindringlichkeit der Kirchenspaltung von 1130. Nach den kaiserlich gestützten Gegenpäpsten des Investiturstreits ging dieser Riss nun durch das innerste Zentrum der Kirche. Dass Innocenz II. damals die Titelkirche seines Gegenspielers Anaklet, S. Maria in Trastevere, abreißen und neu erbauen ließ, dürfte vorrangig das Ziel verfolgt haben, im römischen Nahbereich des Konfliks jegliches Andenken an den unterlegenen Konkurrenten durch bauliche Überschreibung mit der eigenen Memoria zu überdecken⁹⁷.

    Die rigorosen Techniken der Verbannung aus der Öffentlichkeit, der Unterdrückung bzw. Überschreibung von Memoria funktionierten auf lange Sicht nicht mehr. Mit der Zulassung wahrnehmbarer Bestattung und Erinnerungspflege tritt unmittelbar die Frage nach der Gestaltung solcher Grabmäler und dem möglicherweise an ihnen etablierten Kult in den Vordergrund. Aufwand und Aussage solch einer ‚gebauten Memoria‘ waren heikel, denn der Verstorbene musste verbal und symbolisch bezeichnet werden – mit seinem Namen, seiner Herkunft und seinen Ämtern. Das Grabmonument konnte zum Träger biographisch-historischer Information und Interpretation werden, indem man temporäres Papstsein oder den Anspruch darauf etwa durch Verwendung päpstlicher Embleme wie der gekreuzten Schlüssel oder der Tiara manifestierte. Die kunsthistorische Erforschung der Grabmäler von Päpsten und Kardinälen hat sich bislang aus Überlieferungsgründen auf die frühe Neuzeit konzentriert. Eine Ausweitung des Betrachtungsfeldes ins späte Mittelalter dürfte insbesondere für die Zeiten der Konkurrenz um den Stuhl Petri neue Einblicke versprechen. Fühlten sich die ikonographischen Legitimationsbestrebungen ex post einer vollständigen Imitation traditioneller Formen verpflichtet [<<47||48>>] wie beim päpstlichen Erhebungszeremoniell oder lassen sich in Marmor geschlagene Formen einer kreativen gegenseitigen Überbietung feststellen?⁹⁸

    Der Umgang der Päpste mit überwundenen Konkurrenten um das Amt zu Lebzeiten und nach deren Tod ist in einer eigentümlichen Spannung zwischen Schaffung und Vermeidung von Öffentlichkeit anzusiedeln. Einerseits musste der eigene Sieg in der zeichenorientierten Welt des Mittelalters eindeutig inszeniert werden, andererseits konnten Zweifel an der Eindeutigkeit der päpstlichen Sukzession und erst recht memoriale Keimzellen des Widerstands eine gefährliche Wirkung entfalten, weil sie eine andere Lesart der Kirchengeschichte boten, indem sie dem ordo und numerus der Päpste, wie es Helinand von Froidmont nannte, die Eindeutigkeit nahmen⁹⁹.

    Wahrnehmung und Wirkung

    Die Zeitgenossen waren in Schisma-Zeiten dagegen von anderen Sorgen geplagt. Wie laut die Nachrichten von Konkurrenzen um das römische Bischofsamt im früheren Mittelalter an das Ohr der einfachen Bevölkerung drangen, lässt sich nicht genau beantworten. Die Chronisten der Kirchenspaltungen des 12. und erst recht des ‚langen‘ 14. Jahrhunderts lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass die Verdopplung kirchlicher Strukturen bis in die Diözesen hinein von den Menschen wahrgenommen wurde und zu Verunsicherung führte. Solange das Schisma andauerte, waren die rechtlichen und administrativen Verhältnisse der Kirche ebenso infrage gestellt wie die reine Lehre und die Verwaltung der Sakramente, mithin am Ende auch das individuelle Seelenheil der Gläubigen. Konkurrierende Päpste und Schismen drangen vom Hochmittelalter an immer stärker als reale Phänomene in das Bewusstsein. In der Historiographie lässt sich hierfür aus dem Aufkommen und Eindringen des meist deskriptiv verwendeten antipapa- Begriffs möglicherweise ein Indiz gewinnen¹⁰⁰. Geschichtsschreibung setzt bei aller Gefahr der Verzerrung durch Fehlinformation und persönliche Interessen doch stets [<<48||49>>] eine Reflexion des aufgezeichneten Geschehens voraus. Insofern spiegeln sich in den Formulierungen, Vergleichskategorien und Beurteilungen zeitgenössische Wahrnehmungskategorien. Sie sind freilich selten wertneutral, sondern entwerfen das

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