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John Armis: Die komplette Saga
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eBook955 Seiten13 Stunden

John Armis: Die komplette Saga

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Über dieses E-Book

Der erfahrene Krieger John Armis und sein langjähriger Freund Will, treffen eines Tages auf die bildschöne Elfe Amalia. Ihre Heimat wurde von den dämonischen Ahrmonen zerstört und, um deren Tyrannei zu beenden, bittet sie die beiden um Hilfe.
Das Abenteuer beginnt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum5. Mai 2023
ISBN9783757869847
John Armis: Die komplette Saga
Autor

Martin Kern

Martin Kern wurde 1991 im bayrischen Tegernsee geboren. Bereits in seiner Kindheit war er fasziniert von Geschichten über Magie und tauchte in viele fantastische Welten ein. Im Jahr 2011 schloss er seine Lehrzeit im Schreinerhandwerk ab und erwarb vier Jahre später seinen Meistertitel. Fast zeitgleich entdeckte er seine Leidenschaft zum Schreiben. Ausführliche Informationen unter: Web: www.martin-kern-autor.de Facebook: Martin Kern Autor Instagram: mar.tin.kern

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    Buchvorschau

    John Armis - Martin Kern

    DANKSAGUNG

    Ein herzliches Dankeschön an meine Familie. Ihr habt mich stets ermutigt, motiviert und unterstützt. Das half mir, niemals das Ziel aus den Augen zu verlieren.

    Inhaltsverzeichnis

    Buch 1: Das erwachte Erbe des Wolfes

    Strom der Vergangenheit

    Unerwartete Nachricht

    Im Licht des Mondes

    Das Abenteuer beginnt

    Der Phantomwolf

    Die Zeit bei Mila

    Der Fluch

    Der Ahrmon

    Schmerzliche Vergangenheit

    Die Reise geht weiter

    Flüsterwald

    Fynn Draconis

    Tod und Wiedergeburt

    Früchte der Ausbildung

    Zurück in Quellbrunn

    Leben eines Diebes

    Männer unter sich

    Ein durchdachter Plan

    Ein unerwartetes Problem

    Die Hammerberge

    Distrikt Z

    Die Suche nach Anne

    Verrat

    Der Weg in die Festung

    Das Portal

    Buch 2: Der Baum des Feuers

    Schicksalhafte Begegnung

    Der Fremde

    Weltenwanderer

    Der Baum des Feuers

    Die Zeit allein

    Versiegeln

    Vorbereitung

    Bis zur Wurzel

    Nella

    Ein schlimmer Traum

    Olldors Geschichte

    Ein kurzer Zwischenstopp

    Kälte in der Hitze

    Der Samen wird gesät

    Ein rascher Aufbruch

    Die Pforte zur Schattenwelt

    Die Schattensammlerin

    Schattenlos

    Die Festung der Ahrmonen

    Geteilter Körper

    Impuls des Erwachens

    Zurück in der Heimat

    Die Ruhe vor dem Sturm

    Angriff auf Quellbrunn

    Ehrungen

    Buch 3: Das Kind des Schattens

    Das Spiel mit dem Feuer

    Abgebrannter Wald

    Wut des Wächters

    Vater und Sohn

    Der Magier im Buche

    Unerwarteter Zuwachs

    Gefahren des Nebels

    Getrennte Suche

    Der unterirdische See

    Zwei neue Wege

    Dämonische Gegner

    Der Schlächter

    Ragun erwacht

    Ein kleines Fest

    Azuras Geschenk

    Mutter der Schatten, Vater der Hüllen

    Namensvetter

    Agnetas letzte Tat

    Dämonische Hülle

    Das Kind der Schatten

    Ein neuer Aufbruch

    Buch 1

    Das erwachte Erbe des Wolfes

    Halte nicht daran fest,

    lass einfach los!

    Aaron Armis

    Strom der Vergangenheit

    »Was war das?«

    Meine Stimme überschlug sich förmlich, nachdem ich von einem starken Luftstoß fast umgeworfen wurde. Verwundert drehte ich mich zu Onkel Aaron, der mit mir gemeinsam auf dem Feld arbeitete. Doch dort, wo dieser vor einer Sekunde noch Möhren geerntet hatte, war jetzt nichts als gähnende Leere – wie vom Erdboden verschluckt.

    Verwirrt sah ich mich um, registrierte dann eine Bewegung im Augenwinkel. Etwa zehn Meter außerhalb des Ackers, vor einem Apfelbaum, stand er und steckte elegant seine Schwerter weg. Aaron bückte sich und las etwas vom Boden auf. Summend schlenderte er zu mir zurück.

    Jetzt erkannte ich einen perfekt geviertelten Apfel in seiner Hand. Er warf sich ein Stückchen in den Mund und sagte schmatzend: »Bedien dich.«

    Anstatt auf diese Einladung zu reagieren, musterte ich meinen Onkel von oben bis unten. »Wie hast du das gemacht?«

    Er neigte seinen Kopf zur Seite und steckte sich ein weiteres Stück in den Mund. Allmählich zeichnete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht ab.

    »Spann mich nicht auf die Folter, du weißt genau, was ich meine. Der Luftstoß, dein plötzliches Verschwinden, die Schwerter, der Apfel.« Inzwischen sprang ich aufgeregt von einem Bein auf das andere. »Bitte zeig es mir, ich will dich dieses Mal genau beobachten!«

    Aaron gähnte ausgiebig und streckte sich wie ein gebrechlicher Mann. »Du verlangst deinem alten Onkel ganz schön was ab, weißt du das?«

    »Spiel nicht den Tattergreis. Du lässt dir sonst auch nie eine Gelegenheit entgehen, mit einem Kunststücke anzugeben.«

    Onkel Aaron gluckste belustigt. Es machte ihm sichtbar Spaß, mich in Unwissenheit zu lassen. »Was heißt angeben? Ich wollte lediglich die stumpfe Feldarbeit etwas auflockern. Selbst schuld, wenn du nicht aufpasst.« Letzteres betonte er, als ob dies sein letztes Wort wäre. Doch nachdem er mein enttäuschtes Gesicht vernahm, sagte er: »Also schön, aber danach machen wir uns wieder an die Arbeit.«

    Auf meinen Lippen breitete sich ein Grinsen aus.

    Aaron nahm einen festen Stand ein und füllte seine Lungen mit tiefen Atemzügen. Schon nach wenigen Augenblicken schien sich die Luft, um seinem Körper, bläulich zu verfärben. Selbst der Apfelbaum wurde von dieser Energie erfasst. Der Stamm pendelte im Einklang mit meinem Onkel. Ich hielt die Augen weit geöffnet, um nichts zu verpassen. Dann ging alles Schlag auf Schlag: Eine Frucht löste sich und die Schwerkraft erledigte den Rest. Doch ehe der Apfel auf der Erde aufprallte, war da erneut ein Luftstoß, der mich dieses Mal gänzlich umwarf.

    Am Boden liegend richtete ich meinen Blick rasch wieder auf den Apfelbaum. An der Stelle, wo die Frucht hätte aufschlagen müssen, stand Onkel Aaron mit gezogenen Schwertern. Vor ihm ein aufgespaltener Apfel. Wie hatte er es nur geschafft, im Sekundenbruchteil diese Distanz zu überwinden?

    »Onkel«, rief ich verärgert, »ich habe es wieder verpasst!«

    Aaron fing unter Tränen an, laut zu lachen.»Du brauchst dich nicht vor lauter Ehrfurcht auf den Boden werfen!«

    Schmollend stand ich auf und rieb mir den Hintern, während zu ihm torkelte. Obwohl sein Gelächter ansteckend war, versuchte ich ernst zu bleiben. »Lass es mich auch versuchen«, bat ich ihn und deutete auf die Schwerter in seiner Hand.

    Aaron steckte die Klingen weg und bot mir abermals ein Stück des Apfels an. »Für solche Kunststücke braucht man erst einmal einen festen Stand. Und, nicht zu vergessen, viel Geschick und Geschwindigkeit«, fügte er zwinkernd hinzu.

    »Ich bin schnell«, wandte ich ein, »und geschickt allemal!«

    Angesichts meiner Entschlossenheit fing er wieder an zu kichern. Er hob einen Stock vom Boden auf und drückte ihn mir vor die Brust. »Für den Anfang versuche es damit.«

    Enttäuscht wog ich ihn in den Händen. »Aber Onkel, ich möchte doch deine Schwerter benutzen.«

    Er las einen heilen Apfel auf und warf ihn sich abwechselnd von einer Hand in die andere. »Wenn du den hier triffst, dann denke ich nochmal darüber nach. Wie klingt das?«

    »Einverstanden, aber versprochen ist versprochen, ja?«

    Aaron zwinkerte mir verschwörerisch zu.

    Ich nahm selbstbewusst eine Kampfpose ein und wartete konzentriert ab. Mein Onkel fackelte nicht lange. Er warf den Apfel so hoch in die Luft, dass ich den Kopf weit in den Nacken legen musste. Doch die tiefstehende Sonne blendete meine Augen. Blindlings schwang ich den Stock und drehte mich wie ein Kreisel. Erneut verlor ich das Gleichgewicht und landete auf dem Hintern.

    Onkel Aaron lachte so laut, dass er sich die Hände auf den Bauch pressen musste. »Dreh mir nicht gleich durch«, prustete er und wischte sich eine Träne weg. »Aber immerhin, wenn du den Apfel mit diesem Schwung getroffen hättest, wäre nichts mehr von ihm übrig geblieben.« Er reichte mir seine Hand.

    Wütend keifte ich den Stock an und warf ihn in die Krone des Baumes.

    »Mach dir nichts draus, John. Alles hat seine Zeit.« Sein Magen gab ein Grummeln von sich. »Und jetzt ist Zeit fürs Essen. Lass uns den Rest aufsammeln und nach Hause gehen.«

    Mit geschulterten Körben machten wir uns auf dem Weg zurück zur Hütte. Diese lag abseits eines Dorfes, in welchem wir immer einen Teil der Ernte verkauften. Schweigend marschierten wir über die Felder. Unter der Last des Korbes fiel es mir schwer, mit meinem Onkel Schritt zu halten.

    Aaron brach schließlich das Schweigen. »Wie ich sehe, mutest du dir täglich immer mehr Gewicht zu. Soll ich dir nicht lieber etwas Last abnehmen?«

    Doch ich winkte ab und keuchte: »Nein, Onkel, ich schaffe das schon. Immerhin will ich eines Tages stärker sein als du.«

    »Ich kann es kaum erwarten. Aber pass auf, dass du nicht zusammenbrichst. Vergiss nicht, man sollte sich im Leben nicht mit unnötigem Ballast quälen.«

    Über seine letzte Bemerkung dachte ich noch lange nach.

    Am späten Abend aßen wir reichlich selbstgebackenes Brot und gebratene Pilze. Ich beobachtete Aaron beim Kochen. Er schien niemals eine überflüssige Bewegung zu machen. Das war eine weitere Eigenheit, die ihn von gewöhnlichen Menschen unterschied.

    Nach dem Essen saßen wir, wie an den meisten Abenden, gemütlich beisammen. Geistesabwesend starrte ich auf die vor mir liegende Feuerstelle.

    »Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«, fragte Aaron.

    Die tänzelnden Flammen hatten mich regelrecht hypnotisiert. Feuer fand ich schon immer faszinierend. Es hatte etwas Reinigendes. »Ich denke über deine Worte von vorhin nach.«

    »Ach, was habe ich denn Großartiges gesagt, das dich so zum Grübeln bringt?«

    Ich wandte mich dem Feuer ab und sah ihm in die Augen. »Dass man sich nicht mit unnötigem Ballast quälen soll.«

    Mein Onkel warf seine Stirn in Falten. »Und wieso beschäftigt dich das?«

    Es fiel mir nicht leicht, dies zu erklären, da ich selbst nicht wusste, warum mir diese Worte so im Gedächtnis geblieben sind. »Nun ja«, sagte ich zögerlich, »ich bezweifle, dass du damit den schweren Korb gemeint hast. Du hattest deinen das-ist-eine-wichtige-Lektion-Blick aufgesetzt. Jetzt frage ich mich, welcher Sinn dahinterstecken könnte.«

    »Ach, ich wusste gar nicht, dass ich so einen Blick habe.« Er zwinkerte mir lächelnd zu. »Für deine sieben Jahre bist du schon beachtlich weitsichtig, weißt du das? Du bist neugierig und hinterfragst alles.« Er erhob sich vom Sessel und trat zur Tür. »Komm, John, lass uns einen Spaziergang machen.«

    Es war eine klare Oktobernacht und der Mond leuchtete in voller Pracht. Onkel Aaron führte mich zum Fluss nahe unserer Hütte. Mein Blick wanderte die Wasseroberfläche entlang. Obwohl es eine angenehm milde Nacht war, zitterte ich beim bloßen Gedanken da hineinzuspringen.

    »Weißt du, mein Junge,«, brach Aaron die Stille, »man kann sein Leben lang nach Stärke und Freiheit streben, doch wird man immer ein Gefangener bleiben, solange die Gedanken einen unter Kontrolle haben.«

    Ich verstand nicht, was er meinte, und runzelte die Stirn. »Soll das heißen, ich darf nicht mehr denken?«

    »Das Denken ist keine schlechte Eigenschaft. Du wirst häufig in Situationen geraten, in denen es erforderlich ist, deine Schritte zu planen. Aber es ist wichtig, dass du nicht Sklave der eigenen Gedanken wirst. Merke dir: Ein Gedanke kann schwerer als ein Dutzend beladener Körbe sein und Bewegungen und Gemüt belasten. Lass sie deshalb kommen und wieder gehen, aber halte sie nicht fest. Und, was noch schlimmer wäre, unterdrücke sie nicht.«

    Onkel Aaron blickte tief in den Fluss. Er ließ eine ganze Weile verstreichen, in der er sich folgende Wörter zurechtlegte: »Du bist ein schlauer Junge und dein Streben nach Stärke ist bewundernswert. Doch du vergeudest zu viel Zeit damit, dir einen schweren Kopf zu machen.«

    Ich sah ihn verwirrt an und wog meinen Kopf in den Händen. Daraufhin schaute ich ihm selbstbewusst entgegen. »Keine Angst, Onkel. Ich habe kräftige Schultern.«

    »Ich wollte nicht an deiner Hartnäckigkeit zweifeln«, lachte er heiter. »Es geht um etwas anderes, aber dies wirst du schon früh genug verstehen.« Er trat einen Schritt näher an das Gewässer. »Mach es wie der Fluss und lass die Gedanken, die dich beschweren, fließen. Los, schau es dir an.«

    Ich stellte mich neben ihn und blickte ins Wasser. Durch den gleichmäßigen Strom sah man unsere beiden Spiegelbilder. »Und was soll ich da jetzt genau sehen?«

    Aaron ließ sich auf die Knie fallen und berührte fast mit seiner Nasenspitze die Wasseroberfläche. »Geh näher heran, dann wirst du es erleben.«

    Ich zuckte mit den Schultern und tat es ihm gleich.

    »Erkennst du es jetzt?«

    Ohne irgendeine Erkenntnis erlangt zu haben, sagte ich, allmählich gelangweilt: »Nein, immer noch nichts.«

    »Dann pass jetzt gut auf.« Onkel Aaron nahm seinen Zeigefinger und wühlte die Wasseroberfläche auf.

    Seufzend wartete ich, bis sich die Spiegelbilder neu bildeten. Aber dann geriet ich ins Stocken – was war das? Neben meinem Spiegelbild war nicht mehr das Aarons, sondern das einer zähnefletschenden Kreatur zu sehen. Ich bekam gar nicht die Gelegenheit, das Wesen genauer zu betrachten, denn es hatte mich in den Fluss gestoßen. Die Strömung wurde wie von Zauberhand stärker und riss meinen Körper fort.

    Panisch kämpfte ich mich an die Wasseroberfläche, was angesichts des wütenden Stromes nicht einfach war. Ich versuchte, meine Panik unter Kontrolle zu bringen. Doch je mehr ich gegen den Strom ankämpfte, desto heftiger wurde er. So blieb mir nichts anderes übrig, als den Kopf über Wasser halten und zu hoffen, dass ich es irgendwie schaffen würde. Mein Körper prallte gegen einen kleinen herausragenden Fels, an dem es mir gelang, mich festzuhalten.

    Ich schrie verzweifelt nach Aaron. Da realisierte ich, dass er unweit von mir am Flussufer stand. War ich nicht kilometerweit fortgerissen worden? Doch anstatt mir zu helfen, betrachtete Aaron entspannt das Geschehen.

    »Halt nicht daran fest, lass einfach los!«, rief er mir wie aus einer fernen Welt zu.

    Selbst wenn es mein Wille gewesen wäre, hätte nicht länger durchgehalten. So blieb mir nichts anderes übrig, als auf Aaron zu vertrauen, und ließ mich vom Strom mitreißen. Vor meinem geistigen Auge blitzte ein letztes Mal diese angsteinflößende Kreatur auf. Dann umfing mich Dunkelheit.

    Unerwartete Nachricht

    Ein harter Schlag riss mich aus dem Schlaf. Benebelt stellte ich fest, dass ich neben meinem Bett auf den dreckigen Bodendielen lag. Ich rieb mir die müden Augen und murmelte kaum verständlich: »Bloß ein Traum.«

    Es war keine Seltenheit, dass ich von meiner Kindheit und dem mittlerweile verstorbenen Onkel träumte. Allerdings wirkten diese Träume in letzter Zeit wesentlich echter, kaum von der Realität zu unterscheiden.

    Ich rappelte mich hoch und schlurfte zum offenen Fenster. Die kalte Morgenluft hauchte mir Leben ein und nach ein paar Atemzügen war ich munter. Ich warf einen Blick auf die leere Straße und versuchte, mich an den Traum zu erinnern. In Gedanken verloren bemerkte ich gar nicht, wie ein junges Mädchen die Brüstung hochkletterte. Erst als ihr Gesicht im Fensterrahmen auftauchte, fuhr ich erschrocken zusammen.

    »Guten Morgen Johnny!« Es war Tess, die Tochter eines der Händler hier im Ort.

    Seufzend verdrehte ich die Augen. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du mich nicht Johnny nennen sollst?«

    Tess verschränkte nachdenklich die Arme. Mit ihrer kindlichnaiven Stimme meinte sie: »So um die tausend Mal etwa?«

    Ihre Reaktion entlockte mir ein Grinsen. Ich streckte mich und rieb mir dabei meine schmerzende Schulter.

    Tess beobachtete dies mit gerunzelter Stirn und meinte kess: »Oho, wie ich sehe, bist du mal wieder aus dem Bett gefallen. Das ist doch auf Dauer wirklich keine angenehme Art, aufzuwachen. Oder ist das normal, wenn man so alt ist wie du?« Kichernd imitierte sie, wie ich mir die Schulter rieb.

    »Pass lieber auf, dass DU nicht runterfällst!« Ich packte Tess, zog sie ins Zimmer und wirbelte sie durch die Luft.

    Ihre langen, hellbraunen Haare wehten dabei um ihr strahlendes Gesicht. »Hey Johnny, lass mich runter! Du weißt doch, dass mir davon immer schlecht wird!« Nachdem Tess wieder mit beiden Beinen auf dem Boden stand, tat sie, als ob sie sich den Staub von den Schultern klopfen würde. »Außerdem will ich doch nicht, dass deine alten Knochen bei solchen Strapazen zusammenbrechen.«

    »Schlagfertig wie eh und je, was? Aber, Spaß beiseite, was führt dich so früh zu mir, Tess?«

    Das junge Mädchen strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und nahm wieder ihren gewöhnlichen Gesichtsausdruck an. »Ich habe meinem Vater geholfen, seinen Stand am Marktplatz aufzubauen. Aber das war so langweilig. Er quasselte nur über Geschäftskram und, dass ich allmählich mehr Verantwortung übernehmen sollte. Da habe ich mich aus dem Staub gemacht und beschlossen dich zu besuchen. Du weißt schon, damit du mir wieder eine Geschichte von deinen Reisen erzählst.«

    »Du machst mich ganz verlegen, Tess«, sagte ich geschmeichelt, »aber da muss ich dich leider enttäuschen. Zuerst würde ich gerne etwas erledigen.«

    Diese Antwort stimmte sie keineswegs freudig. Doch sie zuckte mit den Schultern und meinte: »Dann nächstes Mal.«

    Nie zuvor war ich einem solch aufgeweckten Mädchen wie Tess begegnet. Ihre Natürlichkeit machte sie nicht nur bei mir beliebt. Das ganze Dorf schien zu strahlen, wenn sie über den Marktplatz tänzelte.

    Ich wandte mich ab von ihr und schlurfte zur Truhe am Fußende des Bettes. Darin befand sich meine, inzwischen mitgenommene Lederrüstung. Tess warf ebenfalls einen Blick hinein. »Aha, ich verstehe. Du gehst wieder auf gefährliche Abenteuer und zähmst wilde Bestien?«

    Ich legte mir den Brustpanzer an und zog sorgfältig die Riemen zu. »Heute nicht, ich muss lediglich ein paar Besorgungen machen.«

    Tess runzelte die Stirn. »Und dafür ziehst du dir extra dein elegantestes Gewand an, wie?« Sie schnalzte amüsiert mit der Zunge. »Ich glaube dir kein Wort, Johnny.«

    »Wer weiß«, sprach ich mit verschwörerischen Ausdruck, »vielleicht werde ich ja auf dem Marktplatz wieder von so einem übereifrigen Mädchen überfallen. Man kann nie vorsichtig genug sein.«

    Tess fuhr sich abermals kichernd durch die Haare. »Aber wenn wir uns wiedersehen, will ich ein paar Geschichten hören. Vielleicht begegnest du ja einem Vampir oder einer anderen finsteren Kreatur.«

    »Wenn ich einem Vampir begegne, dann bist du die Erste, die davon erfährt«, versprach ich und zerzauste ihr die Haare.

    Tess versuchte zu entkommen und klapste mir dabei auf die schmerzende Schulter. Jetzt tänzelte sie durch den Raum und sagte. »Ich muss wieder los, habe nämlich auch wichtige Besorgungen zu machen.« Mit einem Satz sprang sie aus dem Fenster und kletterte die Brüstung runter. Ihre Schritte wurden in der Ferne immer leiser, bis sie gänzlich verschwanden.

    Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. Die kleine Tess, so jung und energiegeladen. Jedes Mal, wenn ich hier im Ort war, überfiel sie mich. Sie hatte einen Narren an mir gefressen.

    Ich packte alles zusammen und betrachtete mein Spiegelbild. Wie so oft war ich erstaunt, wie ähnlich ich Onkel Aaron sah. Nicht nur das Gesicht, auch der drahtige Körperbau, der optimal für schnelle und flexible Bewegungen war. Die schulterlangen, dunkelbraunen Haare und die Bartstoppeln zeugten von einem Leben in der Wildnis. Zudem zierten mich einige sichtbare Narben, die ich in Ehren trug. Jede brachte eine Lektion mit sich, die zu meiner Entwicklung beigetragen hatte.

    Ich wandte mich ab und verließ den Raum.

    Das Knarren der Treppenstufen ging im Lärm der Gaststube vollkommen unter. Trotz der frühen Morgenstunde waren viele Dorfbewohner auf den Beinen. Folglich hatte der Wirt alle Hände voll zu tun, um den Ansturm zu bewältigen. Dieser entdeckte mich, ehe ich imstande war, mich aus der Taverne hinauszustehlen.

    »Guten Morgen, werter Herr«, grüßte er geschäftig. »Darf ich Euch ein Frühstück anbieten, ehe Ihr uns verlasst?«

    Dankend lehnte ich ab und durchquerte den Raum. Die stickige Luft war, wie in fast jedem Gasthaus, erfüllt von Alkohol und fetttriefendem Essen. Im Gegensatz zum Wirt schenkten mir die Gäste kaum Beachtung. Ich selbst hatte es mir aber zur Angewohnheit gemacht alles gründlich einzuprägen. Einige Bauern schimpften über ihre magere Ernte. Zwei Zimmermänner gingen ihren Tagesplan durch und der Rest unterhielt sich querbeet.

    Meine Hand lag fast auf der Türklinke, da nahm ich Notiz von einer vermummten. Person. Sie starrte mich eindringlich an und behielt selbst dann den Blick aufrecht, als ich den ihren direkt erwiderte. Nachdem wir uns einige Zeit angestarrt hatten, wandte ich mich ab und verließ das Gasthaus.

    Die Luft draußen war wesentlich besser als in den meisten Dörfern dieser Größe. Das lag daran, dass die Menschen hier nicht ihren Müll und anderen Unrat auf die Straßen warfen. Folglich gab es kaum Ratten, was ebenfalls ungewöhnlich war.

    Die Sonne erhellte mittlerweile den Marktplatz, auf dem die meisten Händler ihre Stände aufgebaut hatten. Ich besorgte mir ein paar Äpfel und schlenderte weiter über den Platz. Aus der Ferne winkt mir ein Mann zu. Stan Brown, der Vater von Tess. Ich ging zu ihm.

    »Guten Morgen, John«, begrüßte er freundlich. »Wie ich hörte, hat Euch meine Tochter überfallen. Ich hoffe, sie hat Euch nicht belästigt oder gar aus dem Schlaf gerissen?«

    Ich erwiderte seinen Gruß. »Tess hat mich lediglich ein wenig aufgezogen.«

    Stan seufzte. »Was mache ich nur mit diesem Mädchen.« Er schüttelte besorgt den Kopf. »Eigentlich sollte sie mir mit dem Stand helfen. Doch nach ein paar Minuten sprang sie auf und verkündete, dass es ihr zu langweilig sei und sie lieber Euch einen Besuch abstatten würde. Und weg war sie.«

    Diese Geschichte trieb mir ein Grinsen aufs Gesicht. War es doch so typisch für Tess. »Sie hat nun mal ihren eigenen Kopf. Ich würde mir ihretwegen keine Sorgen machen.«

    »Ihr habt wahrscheinlich recht.« Stan räusperte sich und deutete mit einer allumfassenden Geste über seine Waren. »Benötigt Ihr irgendetwas? Ich mache Euch einen fairen Preis.«

    Ich sah mir Stans Güter näher an. Er war einer der wenigen Händler auf dem Marktplatz, der keine Nahrungsmittel verkaufte. Vor allem fand man bei ihm praktische Alltagshelfer, aber auch Nützliches für Krieger wie mich. Oftmals bot er seltene Waren an, die er auf seinen Reisen zusammengetragen hatte. »Habt Ihr zufällig einen Rucksack?«

    Stan zog eine Augenbraue hoch. »Einen Rucksack? Wenn ich mich nicht täusche, habe ich Euch vergangenen Monat einen verkauft. Seid Ihr damit nicht mehr zufrieden?«

    »Nun ja, bei einer unsanften Auseinandersetzung mit einem Berggreifen, wurde er in Mitleidenschaft gezogen«, gestand ich verlegen. »Der Greif hat den Rucksack mit einer seiner scharfen Klauen aufgerissen.«

    Stan wurde kreidebleich. »Ist das Euer Ernst? Es grenzt ja schon fast an einem Wunder, dass Ihr solch eine Begegnung überstanden habt, wo doch die Berggreife als gefährliche und hinterhältige Kreaturen gelten. Man sagt, sie können mit ihren Klauen den Kopf eines Riesen zerquetschen und mit ihren Schnäbeln selbst Gestein zertrümmern. Ich habe sogar gehört, dass einen der bloße Anblick töten könne!«

    »Das ist wohl etwas weit hergeholt«, sagte ich lachend. »Aber dennoch sind sie gefährlich und werden nicht umsonst als Könige der Gebirge betitelt. Selbst erfahrene Krieger vermeiden es, den Berggreifen über den Weg zu laufen.«

    »Trotzdem habt Ihr es überlebt, beeindruckend«, betonte Stan mit Nachdruck. »Doch was den Rucksack angeht, muss ich Euch leider enttäuschen. Wie es aussieht, habe ich gestern mein letztes Exemplar einer bildhübschen Frau verkauft.«

    Ich runzelte die Stirn. »Bedauerlich, wenn das so ist, nehme ich das hier.« Ich deutete auf einen zusammengeschnürten Lederbund. »Damit kann ich wenigstens meinen ramponierten Rucksack wieder zusammenflicken.«

    Ich verabschiedete mich von Stan und schlenderte nördlich die Straße entlang. Nach einem weiteren kleinen Fußmarsch hatte ich mein eigentliches Ziel erreicht: Die Schmiede. Doch stellte ich fest, dass die Luft nicht, wie sonst um diese Zeit, von Ruß gesättigt war.

    Von drinnen vernahm ich ein Schnarchen. Ich folgte dem Lärm in die angrenzenden Räumlichkeiten. Die Luft hier konnte locker mit der im Schankraum des Gasthauses konkurrieren. Doch die Person, die dort im Strohbett lag, schien keine Probleme damit zu haben. Es war Will. Obwohl es sich bei ihm, um einen Zwerg handelte, füllte er durch seine kräftige und muskulöse Statur das Bett nahezu aus.

    Ich räusperte mich. Will schnarchte lebhaft weiter. Er drehte sich nur auf die Seite, sodass sein markantes Gesicht hervorlugte. Dieses wurde von seinem zottligen dichten braunen Haar halb verdeckt.

    Ich überlegte kurz ihn wachrütteln, verwarf den Gedanken aber schnell. Will neigte dazu, im Schlaf, um sich zu schlagen. Deshalb lehnte ich mich nur ein wenig zu ihm hinab und sprach mit etwas lauterer Stimme: »Geht man so etwa mit seiner Kundschaft um?«

    Mit ohrenbetäubendem Lärm polterte der Zwerg umher, woraufhin das Strohbett beunruhigend laut knackte. »WAS ZUM!?«, brüllte er und schlug dabei, wild um sich. »John, sag mal, bist du denn von allen Geistern verlassen? Mich so zu erschrecken, kein Benehmen, dieser Irre.« Die letzten Worte murmelte er mehr sich selbst zu. Dann gähnte er ausgiebig und richtete sich auf.

    Will reichte mir fast bis zum Kinn. Damit war er deutlich größer als andere Zwerge. Der größte Zwerg der vier Kontinente, so betitelte er sich gerne selbst.

    Ich deutete zum Ofen und meinte, leicht provokant: »Dein Meister wird dir Ohren langziehen, wenn er sieht, dass die Schmiede nicht entfacht ist.«

    Will warf mir einen beleidigten Blick zu. »Nenn ihn nicht meinen Meister. Das sind nur lachhafte Titel, die sich die Menschen ausgedacht haben, um mehr Ansehen zu erhalten. Zwerge wie ich müssen sich nicht mit sowas brüsten. Uns liegt das Handwerk im Blut.«

    Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn du das sagst. Hier« Ich warf ihm einen Apfel zu, »damit du mir nicht verhungerst.«

    Will fing die Frucht und betrachtete sie skeptisch. »Mehr hast du nicht zu bieten?«, murmelte er etwas enttäuscht. »Na ja, besser als nichts.« Nachdem er einmal hineingebissen hatte, besserte sich dennoch seine Laune. Er stand auf und musterte mich. »Wie geht es eigentlich deiner Wunde?«

    Ich fasste an die rechte Schulter und kreiste diese. »Ist gut verheilt. Was ich leider nicht von meiner Rüstung und dem neuen Rucksack behaupten kann.«

    Will betrachtete die ledrige Panzerung und zog an einem der ausgeleierten Riemen. »Bist du dieses alte Ding nicht langsam leid? Überall zusammengeflickt und schon porös ... Ich könnte dir eine ›richtige‹, und erstklassige Rüstung schmieden.«

    Ich schmunzelte. »Du weißt doch, diese gehörte einst meinem Onkel.«

    Will verdrehte die Augen und schlug sich demonstrativ gegen die Stirn. »Ach ja, stimmt, der Onkel! Na, da kann man natürlich nichts machen. Weil du schon von ihm sprichst, bist du gekommen, um deine Schwerter abzuholen?«

    »Das heißt, sofern du mit ihnen fertig bist?«

    Will plusterte sich selbstbewusst auf. »Selbstverständlich, ich würde doch nie meinen besten Freund warten lassen. Nicht nach alldem, was wir schon gemeinsam erlebt haben.« Er biss ein weiteres Mal in den Apfel und schnappte sich ein Leinenbündel im Regal. »Komm, wir gehen hinter die Schmiede. Ich muss an die frische Luft.«

    Will führte mich zur Hintertür, die in einen Hof mündete. Dort stand die Sonne tief und der müde Zwerg hatte mit der Helligkeit zu kämpfen. So tastete er sich voran, bis wir einen Tisch erreichten. Er entfaltete das Bündel behutsam und präsentierte mir die Schwerter meines verstorbenen Onkels. »Geschärft und poliert – jederzeit bereit, einem Greif das Gefieder zu stutzen«, meinte er, stolz auf sein Werk.

    Ich hielt die schmalen Klingen gegen die tiefstehende Morgensonne. Das eine Schwert war so schwarz wie die Nacht. Tief im Inneren hatte es ein verborgenes, rötliches Glühen. Das Zweite schimmerte in einem reinen, weißsilbernen Ton, der dazu im Stande war, jemanden zu blenden.

    Ich wirbelte die Klingen elegant durch die Luft und der singende Klang verdeutlichte, wie gut diese gegensätzlichen Schwerter zusammenarbeiteten. »Kein Zweiter vermag sie so zu schärfen wie du, Will.«

    Zufrieden ließ ich sie in ihre Scheiden zurückgleiten. Diese verliefen diagonal über meinen Rücken und waren mit Riemen an der Rüstung befestigt. Will hatte einmal gemeint, dass diese Konstruktion veraltet sei. Allerdings konnte man sie mit einem Handgriff vom Körper schnallen, um im Kampf nicht eingeschränkt zu sein. Ein weiterer Grund, weshalb ich die Ausrüstung meines Onkels schätzte. Sie war funktional.

    Will biss ein letztes Mal in den Apfel und warf Kerngehäuse samt Stiel über eine Hecke. Doch es dauerte keine fünf Sekunden, da flog der Abfall, zu unserer Überraschung, wieder zurück und landete direkt zu Wills Füßen.

    Der Zwerg hob den Rest des Apfels auf und murmelte: »Was zum Kuckuck soll das?« Er hielt inne, als die Hecke zu rascheln begann. Wir sahen genau hin.

    Man konnte eine zierliche Gestalt erahnen, die sich einen Weg durch die Zweige bahnte. Ich erkannte sie sofort: Es war jene vermummte Person, die mir im Gasthaus aufgefallen war. Ich legte unauffällig meine Hand um eines der Schwertgriffe.

    Der Person entging dies nicht. Überraschend sanfte sagte sie: »Keine Angst, ich bin keine Bedrohung. Ihr müsst Eure Waffe also nicht ziehen, John Armis.« Es war eine weibliche Stimme. Ihrem Klang nach war sie recht jung.

    »Woher kennt Ihr meinen Namen?«, fragte ich überrascht. »Verfolgt Ihr mich? Und was soll diese Geheimniskrämerei?«

    Sie umklammerte mit beiden Händen ihre Kapuze und warf sie nach hinten. Als ihr Gesicht daraufhin zum Vorschein kam, verschlug es mir die Sprache. Ihre Haut war makellos und nie hatte ich stimmigere und feinere Züge bei einem Menschen gesehen. Eine Schönheit, wie sie im Buche stand. Ihr Mantel verbarg den größten Teil des schwarzen Haares, sodass man nur vermuten konnte, wie lang es war. Doch das Schönste und Auffälligste an ihr waren diese tiefen, azurblauen Augen.

    Will starrte die Frau mit offenem Munde an. Mich hätte es nicht gewundert, wenn an seinem Kinn Sabber heruntergelaufen wäre. Der Zwerg fing sich schnell und umschloss mit beiden Händen die ihre. »William Hardfhord, Meisterschmied und Musikliebhaber. Es ist mir eine Freude, eine solch bezaubernde Frau im Dorf willkommen heißen zu dürfen.« Er deutete einen Handkuss an und machte eine tiefe Verbeugung.

    »Meisterschmied?«, wiederholte ich leise glucksend. Hatte er sich nicht eben erst über diesen Titel beschwert? Doch Will beachtete mich gar nicht.

    Die Fremde lächelte ihn an. »Ihr seid der freundlichste Zwerg, dem ich je begegnet bin, William.« Ihre Stimme war so rein wie ihr Äußeres und ließ Will verlegen einen Schritt zurückweichen.

    Jetzt widmete sie sich mir. Wir unterzogen uns gegenseitig einer ausführlichen Musterung. Schließlich schmunzelte ich.

    »Was ist so komisch?«, fragte sie und tat es mir gleich.

    Ich zuckte nur kurz mit den Schultern. »Weil es mir allmählich dämmert. Ihr seid eine Mondelfe.«

    »Eine Mondelfe?«, wiederholte Will erstaunt.

    Sie lächelte auch weiterhin. »Ihr habt ein gutes Auge. Aber eigentlich überrascht mich das nicht. Immerhin habt Ihr lange Zeit bei meinem Volk gelebt.«

    »Ist das wahr, John?«, brach es unweigerlich aus Will.

    Ich nickte, ohne den Blick von der Elfe zu wenden. »Ja, das ist es, allerdings ist das schon lange her.«

    Die Elfe nickte ebenfalls und durchlöcherte mich förmlich mit ihren leuchtenden Augen. Das ließ meinen Herzschlag beschleunigen und ich hätte mir gewünscht, ihr nicht in der zerschlissenen Lederrüstung gegenüberzutreten. Zum Glück war es Will nicht möglich meine Gedanken lesen.

    Der Mondelfe entging diese Beklommenheit nicht und brach ihre Musterung ab. »Wie unhöflich von mir, Ihr kennt ja noch nicht einmal meinen Namen. Ich heiße Amalia Artanis.«

    »Artanis?«, wiederholte ich stracks. »Sagt bloß, Ihr seid die Tochter von Elmon?«

    Amalia nickte, doch verflog ihr Lächeln.

    »Elmon?«, murmelte Will. »Merkwürdiger Name.«

    »Das sagst du nur, weil du ihn nicht kennst«, erklärte ich ihm. »Elmon ist gütig und warmherzig. Außerdem ist er der Oberste der Mondelfen und war viele Jahre mein Lehrer.«

    »Machst du Witze? Wie kam es den dazu?«

    Ich legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. »Wie gesagt, dies liegt schon einige Jahre in der Vergangenheit. Damals war ich ein Junge. Kurz bevor mein Onkel starb, erzählte er mir von einem entfernten Ort, der sich im südlichen Kontinent befindet. Dem Schimmerwald. Dort sollte einer seiner alten Meister leben. Als ich dann auf mich allein gestellt war, beschloss ich, dorthin zu reisen, und nach dieser Person zu suchen. Da ich jung war, kostete es mich beinahe das Leben. Ich unterschätzte die Gefahren der Wildnis. Trotzdem schaffte ich es bis zum Schimmerwald. Dort irrte ich umher, müde, hungrig und mit den Kräften am Ende. Der Verlust meines Onkels zehrte ebenfalls an mir, sodass ich bald keinen Lebenswillen mehr hatte. Ich ließ mich fallen und wartete auf den Tod. Doch eine Stimme durchdrang mich und erweckte meinen Lebenswillen.

    Als ich die Augen öffnete, strahlte mich Elmons Gesicht an. Er führte mich durch den Wald bis hin zum Mondsee, dem letzten Reich der Mondelfen.«

    Amalias Miene nahm einen traurigen Ausdruck an, sie unterbrach mich aber nicht. Scheinbar interessierte sie ebenfalls diese Geschichte und ich fuhr fort.

    »Ich brauchte Elmon nicht zu erklären, wer ich war, er schien es zu wissen. Er nahm mich auf, unterrichtete mich in den Künsten seines Volkes. Er war nicht nur ein guter Lehrer, sondern ein wahrhaftiger Freund.«

    Ich hielt kurz inne und ließ meine eigene Erzählung auf mich wirken. Dabei fiel mir auf, dass die Elfe glasige Augen bekommen hatte, und ein ungutes Gefühl überkam mich.

    »Wie ich sehe«, sprach sie jetzt kaum hörbar, »lag Euch viel an meinem Vater. Deshalb schmerzt es mich umso mehr, Euch mitzuteilen, dass er ... getötet wurde!«

    Diese Nachricht traf mich wie ein Donnerschlag und ein lähmendes Gefühl überkam meinen Körper. Wie damals, als Onkel Aaron starb. »Elmon ist tot?«, flüsterte ich kaum hörbar.

    Amalia nickte geistesabwesend.

    »Wie ist das möglich? Wer hat ihn getötet?«

    Das Krähen einiger Raben ließ die Elfe zusammenzucken. »Ich halte mich hier nur ungern länger auf. Es besteht die Gefahr, dass ich verfolgt werde. Nur so viel sei gesagt: Ich werde versuchen, die Mörder aufzuspüren. Aber dazu brauche ich Hilfe.« Amalias Gesichtsausdruck bekam etwas Flehendes. »Ich weiß nicht, wem ich trauen kann. Aber mein Vater hielt viel von Euch, deshalb seid ihr die einzige Person, die ich um Hilfe bitten würde. Allerdings könnte ich es Euch nicht verübeln, wenn Ihr ablehnt. Doch wenn Ihr Euch entschließen solltet, mir bei beizustehen, dann trefft mich nach Sonnenuntergang in der Höhle südlich dieses Dorfes. Die vor dem Teich. Im Schutz des Mondes werde ich Euch alles erzählen.«

    Mit diesen Worten zog sich die Elfe die Kapuze übers Gesicht und verschwand, so plötzlich, wie sie aufgetaucht war.

    Wir sahen ihr beide stumm hinterher. »Was für ein himmlischer Anblick, nicht?«, schwärmte Will.

    Ich ignorierte seine Bemerkung. Der Verlust meines Lehrers und Freundes traf mich ungeheuerlich. Im Stillen verabschiedete ich mich und dachte über vergangene Zeiten nach.

    Will schnipste mir mit den Fingern vor dem Gesicht herum. »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«

    Wie ich von ihm gewohnt war, bewies Will überhaupt kein Taktgefühl. Doch da dies scheinbar nicht in der Natur der Zwerge war, konnte ich ihm nicht böse sein. So schüttelte ich nur den Kopf und meinte. »Äh, ja ... himmlischer Anblick. Kann ich nur bestätigen.«

    »Was sie wohl mit Schutz des Mondes gemeint hat?«

    Ich straffte die Schultern und versuchte, meine Trauer hinter mir zu lassen. »Durch das Mondlicht verbessern sich körperliche Prozesse. Reflexe, ihre Sinne und der Heilungsprozess werden verstärkt. Jede Wunde schließt und regeneriert sich, und bei Vollmond erneuern sich all ihre Lichtzellen.«

    »Was zum Geier sind Lichtzellen?«

    Allmählich strengte mich seine Neugierde an. Eigentlich wollte ich jetzt nur meinen ehemaligen Lehrer betrauern. So fuhr ich seufzend fort. »Lichtzellen bilden sich bei den Mondelfen, wenn sie erwachsen sind. Ab diesen Zeitpunkt altern sie auch nicht mehr.« Ich stand auf. »Bitte entschuldige mich, Will. Ich muss noch einiges vorbereiten, ehe ich aufbreche.«

    Will erhob sich ebenfalls. Er wirkte fest entschlossen und Vorfreude glitzerte in seinem Gesicht. »Da bist du nicht der Einzige. Ich werde dich auf diese Reise begleiten!«

    Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Bist du sicher? Was wird aus der Schmiede? Der alte Fuchs wird nicht erfreut darüber sein.«

    Doch Will machte nur einen abfälligen Laut. »Pft, der alte Fuchs kann mir gestohlen bleiben. Genauso wie diese Schmiede. Viel zu lange habe ich hier meine Zeit vergeudet. Du weißt doch, John, ich bin ein Zwerg, der die Weite der Welt braucht, die Höhen der Berge und die Tiefen der Gewässer. Außerdem wird es allmählich wieder Zeit, dass wir beide ein anständiges Abenteuer erleben.«

    Ich machte kein Geheimnis daraus, dass mich sein Entschluss freute. Will zählte zu meinen langjährigsten Freunden. Mit achtzehn verließ ich die Mondelfen und lernte kurze Zeit später den gleichaltrigen Zwerg kennen. Inzwischen blickten wir auf eine zehnjährige Vergangenheit zurück, in der wir gemeinsam so manches Abenteuer erlebt hatten.

    »Also dann, mein Freund«, sprach ich und klopfte ihm auf die Schulter, »lass uns alles vorbereiten. Wir treffen uns am südlichen Ausgang der Stadt, wenn die Sonne tief steht.«

    Im Licht des Mondes

    Die Nachricht von Elmons Tod hatte mich erschüttert. In Gedanken versunken schlenderte ich zurück über den Marktplatz und besorgte Verpflegung für die bevorstehende Reise.

    Die Sonne erhellte mittlerweile den Platz. Zwischen den Ständen spielten Kinder. Einer der Händler schimpfte lauthals, als ein Junge seine angerichteten Waren umstieß. Dieser rannte nur lachend davon. Meine Laune besserte sich etwas.

    Elmon würde nicht wollen, dass ich in Trübsal versinke, dachte ich mir und straffte die Schultern. Meine Gedanken wanderten weiter zu Amalia und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Sie war ein ebenso faszinierendes Wesen wie ihr Vater. Ich lächelte unwillkürlich.

    Ich erreichte das Gasthaus und stieg hinauf ins gemietete Zimmer. Ich setzte mich an den Tisch, breitete das gekaufte Leder aus und nahm meinen Rucksack zur Hand. Nachdenklich betrachtete ich das zerfetzte Stück und mir schossen Bilder durch den Kopf, wie mich dieser Berggreif aus dem Hinterhalt angegriffen hatte. Ein Schauer lief mir dabei über den Rücken.

    Mit Nadel und Lederstreifen bewaffnet machte ich mich ans Werk. Schon oft hatte ich meine Ausrüstung zusammenflicken müssen und wusste daher, was ich tat. Nach getaner Arbeit betrachtete ich das Ergebnis und kam zu dem Schluss: »Keine Meisterarbeit, aber durchaus zu gebrauchen.«

    Ein vertrautes Gelächter ließ mich aufblicken. »Der Rucksack fällt doch schon auseinander, wenn man ihn nur schief anschaut, Johnny.« Tess war wieder am Fenster aufgetaucht.

    Während sie zu mir in den Raum hineinkletterte, sagte ich zu ihr: »Du weißt, dass es hier auch eine Türe gibt, Tess?«

    »Das weiß ich, Johnny, aber der Wirt hat mir wegen eines kleinen Streiches verboten, die Gaststätte zu betreten. Außerdem macht es viel mehr Spaß, hier hochzuklettern.« Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit wieder den geflickten Rucksack. »Aus der Nähe betrachtet sieht es ja noch fürchterlicher aus. Du hättest jemanden suchen sollen, der davon Ahnung hat.«

    Ich zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. »So? Ich nehme an, du sprichst von dir?«

    Tess strich sich elegant eine Strähne aus dem Gesicht. »Natürlich, schließlich bin ich eine Dame von Welt.«

    Mir rutschte ein Lacher heraus. »Zumindest kannst du dich vornehm ausdrücken.« Ich nahm ihr den Rucksack aus der Hand und zerrte zufrieden an der Naht.

    Tess begann, im Raum umher zu tanzen. Eine Weile sah ich ihr dabei zu, wie sie sich drehte, auf einem Bein herumsprang und sich abschließend auf den Hintern fallen ließ. Wir lachten beide.

    »Welche Ehre ich doch habe, dich gleich zweimal zu sehen, Tess. Wolltest du nicht etwas Dringendes erledigen?«

    Sie rappelte sich auf und fuhr mit ihren Pirouetten fort. »Das habe ich, Johnny, ist aber eine Überraschung. Erzähl du mir erst von dem Abenteuer, auf das du dich begeben wirst. Der Zwerg hat mir davon erzählt«, fügte sie hinzu, da ich verwundert dreingeschaut hatte. »Ich habe ihm vorhin ein paar Feuersteine verkauft. Erst wollte er nichts erzählen, aber ich habe nicht nachgelassen und schließlich erfahren, dass ihr ich in ein gefährliches Abenteuer stürzen wollt. Natürlich war ich neugierig und habe nachgehakt, aber er ist einfach abgehauen.«

    Ich sah Will bildlich vor mir, wie er vor der temperamentvollen Tess flüchtete. Immerhin redete sie wie ein Wasserfall, was den Zwerg zur Weißglut brachte. »Wenn Will einer Dame von Welt begegnet, wird er immer nervös, weißt du?«

    »Ist das so?« Sie hüpfte wieder aufgeregt auf der Stelle. »Lenk nicht vom Thema ab – ich will Einzelheiten.«

    Kaum hatte ich ihr von Amalia erzählt, da fiel mir Tess gleich wieder ins Wort. »Ich erinnere mich an sie. Sie hat gestern einige Dinge bei meinem Vater gekauft. Ist sie nicht wunderhübsch?« Tess zwinkerte mir vielsagend zu.

    »Worauf willst du hinaus?«

    Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ach Johnny, muss ich dir das wirklich erklären? Du müsstest deinen Blick sehen, wenn du über sie sprichst. Ist doch klar, dass du in diese Amalia verknallt bist. Außerdem lebst du seit tausend Jahren alleine. Wird langsam Zeit, dass du eine Frau findest.«

    Ich sah Tess mit gerunzelter Stirn an. »Für dein Alter weißt du ja ganz schön bescheid. Jedenfalls«, sprach ich mit anderem Tonfall weiter, »werde ich mich mit dieser Elfe und Will ins Abenteuer stürzen.«

    »Werdet ihr gegen Bestien kämpfen?«, fragte sie.

    Dies entlockte mir ein breites Grinsen. »Natürlich, was denkst du denn?«

    Tess sah mich mit großen Augen an. Dann schnipste sie mit den Fingern, als wäre ihr soeben etwas eingefallen. »Fast hätte ich deine Überraschung vergessen.« Sie kramte in ihrer Tasche und holte ein dickes Buch hervor. »Das habe ich extra für dich besorgt.« Vorsichtig öffnete sie den Wälzer und entnahm ihm eine gepresste Blüte. »Das ist eine Nelumbotumblüte, Johnny. Aus ihrem Öl kann man eine spezielle Paste herstellen, musst du wissen.«

    »Eine spezielle Paste?«, wiederholte ich mit übertriebener Neugierde, wie man sie nur bei Kindern anwendet. »Und was macht man damit?«

    »Was wohl«, sagte sie, als ob dies das Selbstverständlichste der Welt sei. »Man trägt sie natürlich auf die Rüstung auf. Durch die behandelten Stellen dringt kein Wasser ein.«

    Ich sah abwechselnd die Blüte und Tess strahlendes Gesicht an. »Das ist ein tolles Geschenk, ich danke dir. Du besitzt wahrhaftig die Gabe, um an nützliche Objekte zu kommen. Aus dir wird noch eine richtig gute Händlerin.«

    Täuschte ich mich etwa oder wirkte Tess verlegen? Jedoch nur einen kleinen Moment lang, dann war sie wieder das aufgedrehte Mädchen, das ich kannte. »Ich werde dir bei der Zubereitung helfen, da ich weiß, wie schlampig du mit deiner Ausrüstung umgehst.«

    Wir verbrachten den Rest des Tages damit, aus einem Teil der Blüte die Paste herzustellen. Tess arbeitete, zu meiner Überraschung, äußerst konzentriert. Ich ging ihr dabei nur etwas zur Hand. Zu guter Letzt behandelten wir damit die Lederrüstung. Der süßliche Duft vertrieb sogar den stickigen Hauch der Gaststube. Den Rest der getrockneten Blüte steckte ich in ein Buch und verstaute dieses im Rucksack. Dann warf ich mir die Ledermontur wieder über.

    Tess half mir, meine Sachen einzupacken und alles reisefertig zu machen, als sie plötzlich anfing zu grinsen. »Lass es uns gleich testen.«

    Ehe ich begriff, was dieser kleine Teufel damit meinte, schüttete sie mir von hinten einen Krug Wasser über den Kopf. »Haha, du müsstest mal dein Gesicht sehen, Johnny«, lachte sie lauthals los.

    Meine Haare waren klitschnass, aber der Rest des Wassers perlte an der Ausrüstung ab, wodurch der Körper komplett trocken blieb. Das Leder saugte sich nicht voll und war weiterhin geschmeidig. Selbst die porösen Riemenlaschen wirkten fast wie neu durch die Pflege. »Vielleicht sollte ich die Paste auch in meinem Gesicht auftragen?«, witzelte ich und stimmte in ihr Lachen mit ein.

    Tess begleitete mich am Abend zum vereinbarten Treffpunkt am südlichen Ausgang der Stadt. Dort wartete schon ein ungeduldiger Zwerg.

    »Da bist du ja endlich, John. Und wie ich sehe, ist die kleine Quasselstrippe auch dabei.« Man sah es Will an, wie ihm die Anwesenheit von Tess an die Nieren ging. Zwerge waren wahrhaftig nicht dafür bekannt, geduldig zu sein. So riss ihnen gerne mal der Geduldsfaden, wenn eine so lebhafte Person, wie Tess, sich um ihre Aufmerksamkeit bemühte.

    Diese grinste nur spöttisch. »Du bist schon sehr undankbar, kleiner Mann. Immerhin habe ich dir die besten Feuersteine verkauft, die man für das Geld kriegen kann. Mit denen bist selbst du in der Lage, ein Feuer zu entzünden.«

    Ich spürte förmlich, wie Will mit sich kämpfte. Seine Gesichtsfarbe entwickelte einen gefährlichen roten Ton. »Hör zu, junge Dame. Hier steht einer der besten Schmiedehandwerker der vier Kontinente vor dir. Deshalb bin ich absolut in der Lage, ein Feuer zu entfachen, ist das klar?«

    Tess blieb davon unberührt und lächelte fröhlich vor sich hin, was den Zorn des Zwerges weiter anschürte.

    »Reg dich ab, Will«, versuchte ich ihn zu beruhigen, konnte aber ein Grinsen nicht unterdrücken. »Sie will dich doch bloß ein bisschen aufziehen.« Ich wandte mich zu Tess und nahm sie in den Arm. »Auf Wiedersehen, du kleine Unruhestifterin. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.«

    Ihr Lächeln nahm eine traurige Miene an. »Ich wünsche dir alles Gute, Johnny. Und bring mir ein Andenken mit.«

    »Mach ich, Tess. Danke nochmals für dein Geschenk. Ich werde an dich denken, wenn mir das nächste Mal jemand einen Krug über den Kopf schüttet.«

    Tess grinste mich frech an, wandte sich ab und lief zurück in die Stadt. Doch nach ein paar Schritten drehte sie sich abermals um. »Viel Glück auch dir, kleiner Mann. Verbrenn dir nicht deine Finger.« Sie warf dem Zwerg einen Kuss zu und verschwand hinter der nächsten Ecke.

    Wills Gesichtsfarbe normalisierte sich langsam wieder. »Irgendwann bring ich ihr noch Manieren bei«, sagte er mit geballten Fäusten.

    Unser Treffpunkt lag einen kleinen Fußmarsch vom Dorf entfernt. Dennoch gab es auf dem Weg allerhand zu sehen. Da war ein Bach, dessen Wasser so klar und rein, dass die darumstehenden Bäume und Büsche besonders gediehen. Außerdem war das Wild hier Menschen gegenüber zutraulich. So konnte es passieren, dass plötzlich ein Elch oder anderes Tier vor einem stand. Es war eine der friedlichsten Gegenden im östlichen Kontinent.

    Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Baumkronen. Will begann, ein Lied zu summen – eine einprägende Melodie. Erst leise, dann immer lauter, bis die Vögel im Einklang mit ihm sangen. Verblüfft lauschte ich ihnen, bis er es zu Ende brachte und lediglich die Vögel etwas zwitscherten.

    »In dir steckt ja ein richtiger Barde, Will. Jetzt fehlt nur noch, dass du in albernen Hüten und Strumpfhosen herumstolzierst«, scherzte ich.

    Der Zwerg lief rot an und räusperte sich. »Äh, nur ein kleines Lied aus meiner Heimat. Es sind schon viele Jahre ins Land gezogen, seit ich sie verlassen musste. Manchmal packt mich einfach die Sehnsucht.«

    Ich wusste nur wenig von Wills Vergangenheit. Er stammte ursprünglich aus den Hammerbergen im nördlichen Kontinent. Aber warum er diese verließ, hatte er mir nie anvertraut.

    »Also, diese Amalia«, wechselte er schnell das Thema, ehe ich nachbohren konnte, »was hältst du von ihr?«

    Dies war eine Frage, die ich Will nur ungern wahrheitsgemäß beantworten wollte. Ich fühlte mich zu der Elfe hingezogen, aber wenn der Zwerg davon erfuhr, würde er es ausplaudern oder peinliche Situationen schaffen. Darum sagte ich nur: »Sie bewegt sich untypisch für eine Mondelfe.«

    Will runzelte erst die Stirn, dann fing er an zu lachen. »Du stehst auf sie, was?«

    »Wie kommst du darauf?«, fragte ich und versuchte, gelassen zu wirken.

    Doch der Zwerg sah mich mit einem vielsagenden Blick an. »Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, wann du mir Äpfel für Birnen verkaufen willst. Aber ich mache dir keinen Vorwurf. Sie ist wirklich bezaubernd. Wäre ich etwas größer, würde ich selbst mein Glück bei ihr versuchen. Andererseits ... ein Zwerg und eine Elfe ... Da würden sich meine Ahnen vermutlich im Grabe umdrehen.«

    Während des restlichen Marsches warf mir Will immer wieder schelmische Blicke zu. Allmählich ging er mir damit auf die Nerven. Umso erfreuter war ich, als wir unser Ziel erreichten. Der Bach mündete in einen großen Teich.

    »Da vorne ist die Höhle«, sagte ich und deutete auf den versteckten Eingang.

    Will gluckste. »Dann lassen wir dein Liebchen mal nicht länger warten.«

    Wir betraten die Höhle. Amalia saß meditierend auf einem flachen Stein und vor ihr prasselte ein kleines Feuer. Ohne aufzublicken sprach sie: »Schön, dass Ihr gekommen seid – sogar in Begleitung.« Wie nach einem langen, erholsamen Schlaf öffnete sie ihre Augen und strahlte Will und mich an. Dieses Mal trug sie keinen Mantel. So erkannte man ihr Haar. Es lag elegant über ihren Schultern und besaß dasselbe tiefe Schwarz wie die feingliedrige Rüstung der Mondelfen. Zudem umgab sie ein bläulicher Schimmer, was sie noch anmutiger wirken ließ. Zweifelsohne das schönste Wesen, das ich je gesehen hatte.

    Will starrte sie verdutzt an. So sprachlos, wie er war, würde er mich wenigstens nicht bloßstellen.

    Amalia wirkte alles andere als peinlich berührt. Im Gegenteil, mit einer einladenden Geste bat sie uns, am Feuer Platz zu nehmen. Wir folgten der Aufforderung. Doch Will, der scheinbar so von ihrer Schönheit geblendet war, stolperte über die eigenen Füße und fiel zu Boden. Hastig rappelte er sich auf und setzte sich ihr gegenüber. Mit einem künstlichen Gelächter wollte er sein Missgeschick überspielen und lief knallrot an.

    Mich überkam ein Anflug von Schadenfreude. Es war amüsant, mit anzusehen, wie er sich, nach all den selbstgefälligen Blicken und Sprüchen, selbst bloßstellte.

    Amalia hingegen zeigte, bis auf ein kurzes Lächeln, keine Reaktion darauf. Stattdessen sagte sie, mit ihrer sanften Stimme: »Wie ich sehe, wollt auch Ihr mir helfen, William?«

    Er wurde noch röter. »Nennt mich doch einfach Will. Und ja, ich sehe es als Pflicht, solch einer Schönheit meine Dienste anzubieten. Außerdem muss ich John vor Schwierigkeiten bewahren«, erklärte er.

    Diese Aussage konnte ich nur belächeln, war sie doch so typisch für Will.

    »Ich bin für jede Hilfe dankbar, wer weiß, auf welche Probleme wir stoßen werden.« Ein Anflug von Besorgnis lag jetzt auf Amalias Gesicht.

    »Auch wenn Will gelegentlich zu übertreiben vermag« sagte ich mit einem beruhigenden Ton, »so ist er, in der Tat, ein erfahrener Krieger. Zudem hat er geschickte Hände, wenn es ums Schlösserknacken geht.«

    Will plusterte sich auf, um eindrucksvoller zu wirken. Ich schüttelte leicht den Kopf; leider vergaß ich gelegentlich, dass er auf Lob ein übertriebenes Selbstbewusstsein entwickelte.

    Aus heiterem Himmel fing Amalias ganzer Körper an zu leuchten. Auf ihrer Haut bildeten sich feine Linien, die wie ihre Augen schimmerten. Selbst durch ihre Rüstung strahlte das Blau und tauchte die Höhle in sanftes Licht. Ein Anblick, den ich in der Vergangenheit bei den Mondelfen oft erlebt hatte, dennoch faszinierte es mich jedes Mal aufs Neue.

    Amalia drehte sich Richtung Höhlenausgang und blickte zum Teich, der den Mond reflektierte. »Der Mond strahlt heute besonders hell«, sprach sie und nahm einen tiefen Atemzug. »Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel, wenn ich kurz die Augen schließe.«

    Will und ich beobachteten Amalia. Sie genoss es, vom Mondlicht durchflutet zu werden. Eigentlich wollte ich sie nicht so offen anstarren, doch wer hätte sich bei diesem Anblick abwenden können?

    Nach einer Weile öffnete sie wieder ihre Augen. In ihnen war das Leuchten des Mondes zu sehen. Mit kraftvoller Stimme, meinte sie: »Es wird Zeit, euch zu erklären, was passiert war: Es geschah in einer klaren Vollmondnacht. Anders als gewöhnliche Nächte ist diese für uns Mondelfen die Nacht der Erneuerung – der Zeit, wo wir am verwundbarsten sind. Die Reinigung unserer Lichtzellen schwächt uns für mehrere Stunden, bis der Prozess der Erneuerung uns wieder neue Kräfte schenkt. Diese Verwundbarkeit nutzte der Feind aus.«

    Amalia holte tief Luft und erzählte weiter. »Ein seltsamer Nebel zog auf und verschlang unsere Heimat. Das Volk wurde unruhig, denn dies war kein gewöhnlicher Nebel. Er schluckte jedes Geräusch und es stank nach Schwefel. Im tauchten alsbald einige große Gestalten auf. Ihre massigen, von Stacheln überzogenen schwarzen Rüstungen waren von Flammen umhüllt. Sie streckten ihre mächtigen Schwerter in die Luft und binnen Sekunden strömte eine Armee von Ghulen und Werwölfen aus dem Nebel.«

    Amalia kämpfte erneut mit den Tränen, doch sie fuhr tapfer fort. »Die Schlacht war brutal und vermutlich bin ich die einzige Überlebende. Wir konnten ihnen nicht viel entgegensetzen, da wir ja wegen des Vollmondes geschwächt waren. Meinem Vater gelang es, viele von den Ghulen zu töten. Doch als er den dämonischen Bestien gegenüberstand, war alle Hoffnung verloren. Sie überwältigten ihn. Einer packte Vater und schleuderte ihn gegen einen Felsen. Ich befürchtete schon, dass ihn der heftige Aufprall getötet hatte, doch er konnte sich benommen hochrappeln. Unsere Blicke kreuzten sich. Selbst in dieser ausweglosen Situation lächelte er und ich hörte seine Stimme im Kopf widerhallen. Amalia, sagte er, sie dürfen das Amulett nicht bekommen. Verschwinde von hier. Finde John Armis und reise mit ihm zum Flüsterwald!«

    Jetzt rannen ihr dicke Träne die Wange hinab. »Eine der Bestien trat näher, hob sein Schwert und rammte es meinem Vater mitten ins Herz.«

    In der Höhle war es totenstill. Nur das Knistern des Feuers war zu hören, bis die Elfe fortfuhr. »Wutentbrannt wollte ich diese Kreaturen töten, aber in mir hallten die Worte meines Vaters nach. So ergriff ich schwerenherzens die Flucht.

    Im Schimmerwald gelang es mir dann, ihnen zu entkommen. Ich wollte mich anfangs im Verborgenen halten, doch nahmen die Werwölfe meine Fährte auf, weshalb ich sofort weiter Richtung Norden floh.«

    Ein kurzes Schweigen trat ein. Will hatte während der Erzählung die Luft angehalten. Er konnte Amalia nicht einmal ansehen und starrte stattdessen in die Flammen. Man hätte glauben können, dass ihm diese Geschichte selbst widerfahren wäre und er sich jetzt wieder daran erinnerte.

    »Das ist schrecklich«, brach ich das Schweigen. »Einen solchen Tod hat er nicht verdient.«

    Will schlug mit geballter Faust auf den Boden, wodurch das Erdreich ein wenig erzitterte. »Diese Bastarde!«, fluchte er lauthals. »Wenn ich die Dämonen in die Finger bekomme!«

    »Beruhige dich, Will«, versuchte ich, ihn zu besänftigen, und legte ihm meine Hand auf die Schulter. Ich wandte mich wieder der Elfe zu. »Euer Vater hatte ein Amulett erwähnt. Meinte er damit den Mondstein?«

    Amalia nickte und fasste mit ihrer Hand an den Kragen. Dadurch kam eine Kette zum Vorschein, an dessen Ende ein wunderschöner weißer Stein in der Form einer Träne baumelte. »Wenn Ihr über das Erbstück meines Volkes Bescheid wisst, dann müsste Euch dessen besondere Eigenschaft ebenfalls vertraut sein.«

    Ich nickte. »Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, dann hat mir Euer Vater einst erzählt, dass der Mondstein jede Form von Energie in sich speichern kann. Der Träger ist imstande aus dieser Kraft zu schöpfen.«

    Will hatte sich weit vorgebeugt, um das Amulett genauer zu betrachten. In seinen Augen spiegelte sich der Schein des Mondsteins. Schließlich kam er zu dem Entschluss: »So schön dieses Schmuckstück auch ist, so ist dieses wohl dafür verantwortlich, dass Euer Volk überfallen wurde.«

    Amalia seufzte wehmütig. »Vermutlich, der Mondstein hat große Macht und ich will mir gar nicht vorstellen, was alles passieren würde, wenn er in die falschen Hände gerät.« Sie sah Will und mich mit einem tieftraurigen Blick an. »Ich weiß, dass es viel verlangt ist, euch um Hilfe zu bitten, und ich kann euch nicht mit Gold oder mit Silber entlohnen. Aber würdet ihr mich dennoch begleiten?«

    Das Feuer sprühte Funken in die Höhe, als Will mit einem Stock darin stocherte. »Also mir genügt es als Lohn, wenn ich ein paar düsteren Kreaturen in den Arsch treten kann«, sagte der Zwerg, wodurch sich Amalias Stimmung etwas erhellte. »Oder was sagst du dazu, John?«

    Beide sahen mich erwartungsvoll an.

    »Um Eures Vaters Willen wäre ich auch aufgebrochen, selbst wenn Ihr nicht um Hilfe gebeten hättet. Wir werden Euch begleiten, egal was kommen mag.«

    Amalia ließ sich erleichtert zurücksinken. Ein Großteil ihrer Anspannung verflüchtigte sich. »Ich danke euch.«

    »Nicht der Rede wert«, meinte ich abwinkend. »Aber sagt, glaubt Ihr, dass diese Kreaturen die Drahtzieher sind?«

    Amalia runzelte nachdenklich die Stirn. »Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, aber ich vermute, dass hinter all dem jemand anderes steckt.« Die Elfe nahm einen Stock und zeichnete damit ein Symbol auf den Boden. »Dieses Zeichen trugen die Bestien auf ihren Armen eingebrannt. Leider ist das mein einziger Hinweis.«

    Ich betrachtete es eine Weile. Etwas Derartiges hatte ich nie zuvor gesehen. »Es sieht auf jeden Fall nach schwarzer Magie aus.« Ich dachte kurz nach. »Soweit ich weiß, gibt es seit Jahrhunderten keine Magier mehr. Wenn also einer dahintersteckt, könnte dies ein Problem werden. Eines würde mich dennoch wirklich interessieren«, meinte ich und wechselte damit das Thema. »Was erhoffte sich Euer Vater uns beide in den verwunschenen Flüsterwald zu schicken?«

    Amalia wirkte genauso ratlos wie ich und ein langes Schweigen trat ein. Ich beobachtete unsere Schatten. Durch das flackernde Feuer tänzelten sie unruhig umher. Ein Seitenblick zu Will verriet, dass er es mir gleichtat, doch er war dabei tief in Gedanken. Irgendetwas beschäftigte ihn.

    Auf einmal sprang der Zwerg auf und rief: »Jetzt fällt´s mir wieder ein!« Er ignorierte, dass sowohl Amalia und ich zusammengezuckt waren. »Der Flüsterwald, er befindet sich im nördlichen Kontinent – meine Heimat!«

    »Und was sagt uns das genau?«, fragte ich verwundert.

    Will marschierte auf und ab. Auch jetzt schien er angestrengt nachzudenken. »Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es über diesen Wald viele Mythen. Unter anderem, dass er verflucht sei und dort ein Magier umherstreift.«

    Ich sah ihn skeptisch an. »Ich weiß nicht, klingt für mich nach Altfrauengeschwätz. Geschichten, die man Kindern erzählt, um ihnen Angst einzujagen.«

    »Das kann schon sein, doch niemand wagt sich mehr in den Wald. Nur eine Handvoll, die es taten, kamen lebend heraus. Und diese Wenigen schienen den Verstand verloren zu haben. Sie berichteten von Stimmen in den Bäumen und grässlichen Dingen, die sie sahen.« Will fröstelte. Zwerge galten schon von jeher als abergläubisch. »Ob Magier oder nicht, es ist auf jeden Fall riskant, den Wald zu betreten.«

    »Wenn es wahr ist und es dort tatsächlich noch einen Magier geben sollte, dann steckt dieser vielleicht hinter der Vernichtung Eures Volkes«, meinte ich zu Amalia gewandt. »Möglicherweise schickt uns Euer Vater dorthin, um ihn aufzuspüren und dem ein Ende zu setzen.«

    Amalia blickte nachdenklich ins Leere. »Ich glaube nicht, dass mich Vater ins offene Messer laufen lassen würde. Nein, er hätte mich auf jeden Fall gewarnt.« Sie sah mir entschlossen in die Augen. »Ich bin bereit, jedes Risiko einzugehen.«

    Will saß mit erhobenem Haupt da und seine Augen glitzerten. »Das wird eine aufregende Reise. Bis zum nördlichen Kontinent werden wir eine Woche unterwegs sein und etwa doppelt so lange, bis wir den Flüsterwald erreichen. Lasst uns nicht viel Zeit verlieren und vor Sonnenaufgang aufbrechen!«

    Das Abenteuer beginnt

    Es war tief in der Nacht, doch meine Gedanken hielten mich vom Schlaf ab. Je länger ich so da lag, desto kühler wurde es, da das Feuer inzwischen bis auf die Glut runtergebrannt war.

    Ich beschloss aufzustehen und mir die Beine zu vertreten. Dabei fiel mein Blick auf Amalia, die die erste Wache übernommen hatte. Sie war noch immer umhüllt von einem sanften Lichtschein, den der Mond bei ihr auslöste. In ihrem Schoß lag ein Bogen, den sie mit einer dunkelbraunen Tinktur pflegte. Ich ging zu ihr und nahm neben ihr Platz.

    »Könnt Ihr nicht schlafen, John?«, fragte sie ihre Arbeit unterbrechend.

    Ich streckte meine müden Knochen. »Viele Gedanken halten mich wach. Außerdem träume ich in der letzten Zeit oft merkwürdige Dinge, über die ich mir klar werden muss.«

    Im Hintergrund hörten wir Will schnarchen. Amalia schmunzelte. »Wenigstens ist Euer Freund mit gesundem Schlaf gesegnet.«

    »Für meinen Geschmack etwas zu gesund.« Ich deutete auf ihre Waffe. »Es ist recht ungewöhnlich für Mondelfen, einen Bogen zu benutzen. Wenn man es genau nimmt, bin ich noch nie einem Bogenschützen unter ihnen begegnet.«

    Sie lächelte mich an, träufelte die braune Flüssigkeit auf ein Tuch und polierte ihre Waffe weiter. »Das ist wahr, doch fließt durch meine Adern nicht nur das Blut der Mondelfen. Meine Mutter gehörte einem anderen Volk an – dem der Waldelfen. Die prägendste Zeit verbrachte ich bei ihr.«

    Das erklärte, weshalb mir Amalia nie aufgefallen war, als ich selbst bei den Mondelfen lebte. »Verstehe«, sprach ich und rieb mir dabei das Kinn. »Bei unserer ersten Begegnung dachte ich mir bereits, dass Ihr Euch ungewöhnlich für eine Mondelfe bewegt. Ich habe gerätselt, woran das liegen mag.«

    Amalia lächelte mich an. »Ihr habt ein gutes Auge und einen scharfen Verstand, John Armis.« Sie strich gefühlvoll über den Bogen. »Bevor meine Mutter starb, schenkte sie mir diesen Bogen – ihren wertvollsten Besitz.«

    Das hatten wir gemeinsam. Auch mir wurden nach Onkel Aarons Tod seine Schwerter hinterlassen. Unbewusst warf ich einen Blick zum Schlafplatz, um die Klingen zu begutachten.

    Amalia folgte diesem und runzelte wissend die Stirn. »Vater hat mir von Eurem Onkel erzählt. Er muss ein großartiger Mann gewesen sein.«

    »Ja, das war er in der Tat.«

    Amalia lächelte erneut und unsere Blicke trafen sich wieder. »Und er sagte, dass auch Ihr ein großer Mann seid.«

    Ihre Worte und ihr Lächeln berührten mich zutiefst. Ich beobachtete die Elfe eine Weile bei ihrer Arbeit. Es hatte etwas Beruhigendes an sich.

    Während ich so dasaß, kam mir was in den Sinn. »Ich kann mich nicht erinnern, Euch heute Morgen mit einer solch auffälligen Waffe gesehen zu haben.«

    Amalia faltete das Tuch zusammen und legte es behutsam beiseite. »Das hätte mich auch gewundert, und doch trug ich ihn bereits bei unserer ersten Begegnung mit mir. Ich zeige es Euch wie.« Sie streckte den Bogen demonstrativ in die Luft und vollzog eine elegante Handbewegung. Daraufhin krümmte sich dieser zu einem kleinen Bündel. »Seht Ihr, so kann ich ihn einfach unter meinem Mantel verbergen.«

    Sprachlos folgte ich dem Schauspiel mit den Augen. »Jetzt bin ich in der Tat verblüfft. Sagt, ist dies eine magische Waffe? Oder seid Ihr am Ende gar selbst eine Magierin?« Bei der letzten Bemerkung zwinkerte ich.

    Amalia kicherte. »Wenn ich ein Magier wäre, würde ich vermutlich keine Waffe benötigen. Nein, es hat mehr mit der Energie der Waldelfen zu tun, die in mir steckt.«

    Sie führte dieselbe Bewegung nochmals durch und das Bündel streckte sich wieder in ihre ursprüngliche Form aus. »Ihr müsst wissen, dass mein Volk eng mit der Natur in Verbindung steht. Den Energiefluss der Bäume und Pflanzen können wir stets erfühlen. Deshalb sind wir in der Lage, diesen zu beeinflussen. Da all unsere Waffen aus der Natur stammen, können wir ihre Form auch ändern.«

    Nachdem Amalia kurz darauf gähnte, sagte ich bestimmend: »Ruht Euch aus, ich übernehme die nächste Wache.«

    Amalia nickte dankend. Mit anmutigen und lautlosen Schritten begab sie sich zu ihrem Schlafplatz.

    Es verging einige Zeit und mein Blick wanderte in Richtung Höhlenausgang. Dabei dachte ich über die Geschehnisse des Tages nach. Unter anderen Umständen wäre ich für einige Wochen im Dorf geblieben. Aber das Schicksal überraschte mich ständig.

    Während die Gedanken an mir vorbeizogen, bemerkte ich, wie zwei Personen draußen am anderen Ende des Teiches standen. Um besser zu sehen, beugte ich mich vor und kniff die Augen zusammen. Der Größe nach waren es ein kleiner Junge und ein Mann. Sie lehnten

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