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Der Schlächter von Bern: Kriminalkommissar Moretti ermittelt
Der Schlächter von Bern: Kriminalkommissar Moretti ermittelt
Der Schlächter von Bern: Kriminalkommissar Moretti ermittelt
eBook463 Seiten6 Stunden

Der Schlächter von Bern: Kriminalkommissar Moretti ermittelt

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Über dieses E-Book

Bei seinem Einsatz im Berner Münster stößt Kriminalkommissar Paolo Moretti mit seinem Team auf einen entsetzlich zugerichteten Leichnam. Von Beginn an wird klar, dass der Mörder das perfekte Verbrechen versucht. Obwohl der mögliche Auftraggeber bald im Familienkreis des Opfers gefunden scheint, teilt Polizeiaspirant Morgan Custer Morettis Auffassung nicht: Er glaubt an die Tat eines Serienkillers. Auch der Mord an einer Prostituierten bringt die Polizei trotz der eindeutigen Handschrift des Schlächters nicht weiter.
Dieser ergötzt sich am vergeblichen Bemühen der Polizei, seiner habhaft zu werden. Wie eine Spinne hockt er in seinem Netz und wartet auf die nächste Gelegenheit zum Töten. Als ihm Moretti endlich auf die Spur kommt, gerät der Kriminalkommissar selbst in tödliche Gefahr ...

Band 2: Der Schattenmörder
Band 3: Der Tote im Wald

Alle Krimis dieser Reihe sind in sich abgeschlossen und können auch unabhängig voneinander gelesen werden.

Der Schlächter von Bern ist Ursula Gerbers erster Kriminalroman.
Dank guten Kontakten zu Polizei und Pathologie versucht die Autorin möglichst authentisch zu sein. Ihre Beschreibungen sind atmosphärisch, gefühlvoll und wahrheitsgetreu. Dabei bleiben die Charaktere ihrer Ermittler mit ihren Stärken und Schwächen immer menschlich und liebenswert und entwickeln sich in jedem Buch weiter.
In ihren Kriminalromanen beschreibt Ursula Gerber Gegenden in der Nähe ihres Wohnorts. Da hinein verwebt sie ihre Geschichten so spannend, dass sich LeserInnen auch schon umgedreht haben wollen, um sich zu versichern, dass der Mörder nicht auch schon hinter ihnen steht ...
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum19. Apr. 2023
ISBN9783989110403
Der Schlächter von Bern: Kriminalkommissar Moretti ermittelt
Autor

Ursula Gerber

Ursula Gerber ist eine Schweizer Autorin, geb. 1966, Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Die Powerfrau wohnt über dem Thunersee im schönen Berner Oberland. Schreiben ist ihr Lebenselixier. Das tut sie, seit sie 13 ist. Jetzt möchte sie jedoch endlich ihre Geschichten als Bücher veröffentlichen, anstatt sie noch länger in der Schublade verstauben zu lassen, und einem breiten Lesepublikum zur Verfügung stellen. Denn es bereitet ihr Vergnügen, Menschen zu erfreuen, zu unterhalten, ihnen fremde oder vergessene Handwerke, Länder und Menschen nahe zu bringen. Sie schreibt auf Hochdeutsch und ebenso in ihrer berndeutschen Muttersprache. Das Weihnachtsbuch „Der viert Chünig“ in Schweizer Dialekt ist ihre erste Zusammenarbeit mit ihrer Mutter, der Mundartautorin Rosmarie Stucki. Ursula Gerber hat sich aber nicht auf ein bestimmtes Genre festgelegt. Sie schreibt über alles, was ihr gefällt und ihr gerade einfällt. So hat sie neben Thrillern, Krimis auch Liebesgeschichten, Abenteuergeschichten, Western und sogar über Erotik geschrieben. Ihr letztes Werk "Nur der Himmel über uns - Dhaulagiri - Weisser Berg" ist ein Roman über die sensationelle Erstbesteigung 1960 des Dhaulagiri I, des letzten höchsten Achttausenders der Erde durch eine Schweizer Expedition. ...Und weitere werden folgen. Sie dürfen gespannt bleiben.

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    Buchvorschau

    Der Schlächter von Bern - Ursula Gerber

    Der Schlächter

    von Bern

    Ursula Gerber

    IMPRESSUM

    © 2023 Copyright by Federlesen.com

    überarbeitete Fassung 2022

    Text: Ursula Gerber

    Cover: Edition Bärenklau.com

    Neu-Gestaltung: Verlag Federlesen.com

    Verlags-Webseite: federlesen.com

    E-Mail: federlesen@gmx.ch

    ISBN: 9783989110403

    Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Der Schlächter von Bern

    Ursula Gerber

    Verlag Federlesen.com

    Inhalt

    Der Schlächter von Bern

    2. Tag

    3. Tag

    4. Tag

    12. Tag

    13. Tag

    ÜBER DIE AUTORIN

    Der entstellte Leib des Mannes sah entsetzlich aus.

    Der geschockte Blick der Polizeibeamten war auf den brutal zugerichteten Körper gerichtet, der leblos zwischen den letzten Sitzbänken und dem freistehenden Altartisch über den beiden Treppenstufen lag.

    Obwohl ihm Röbi Gehrig von der Einsatzleitzentrale des Polizeinotrufs 117 beim Aufgebot berichtet hatte, dass ein Toter im Berner Münster gefunden worden sei, dem die Därme heraushingen, hatte es sich Stefan Zollinger von der Autopatrouille nicht so schlimm vorgestellt. 

    Er sah in der Tat wie abgeschlachtet aus! Mit weit aufgerissenen Augen, ausgestreckten Armen und angewinkeltem Bein lag er da wie ein Gekreuzigter, den Oberkörper halb nackt, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Fetzen seines Hemdes klebten an teilweise bereits verkrusteten Wunden, andere hingen mit Blut vollgesogen an den Seiten seiner Rippenbögen hinunter, und der Rest... - das personifizierte Grauen!

    Zollinger war nahe daran, sich zu übergeben, obwohl er erst beim Eingang stand und zu ihm hinüberblickte. Der Anblick war schon von Weitem entsetzlich genug, und er hatte Mühe, seinen Magen unter Kontrolle zu halten. Als er sich seinen Kollegen näherte, glitten seine Finger eher unbeabsichtigt fahrig durch das kurze, aschfarbene Haar, das er mit Gel zu einer Igelfrisur gestylt trug.

    Sanitätsarzt Beat Vollmer stellte seinen schwarzen Koffer auf der vordersten Sitzbank ab und machte sich für die Arbeit bereit. Mit Latexhandschuhen und übergestülpten Plastikhauben an den Füßen, beugte er sich gerade über den Mann, um am Hals nach der Jugularisvene zu tasten und den Puls zu fühlen, ob dieser überhaupt noch da war, als sich Zollinger endlich bei ihnen einfand.

    Korporal Jacques Federer, Teamchef der aufgebotenen Autopatrouille, trat mit etwas Abstand neben ihn und erwartete, dass er hochblickte und ihm Bescheid gab.

    Vollmer warf dem breitschultrigen Mann, der mit seiner Größe und dem Bart ein bisschen wie der Filmschauspieler Bud Spencer in jungen Jahren aussah, einen ausdruckslosen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Da ist nichts mehr zu machen. Wir brauchen den Kriminal Technischen Dienst und die Spezial Fahndung."

    Federer hatte nichts anderes erwartet, alles andere wäre ein krasses Wunder gewesen. Nickend drehte er sich mit verzerrter Miene nach Zollinger um. Seine dunkle Stimme klang rau, als er ihm seine Anweisungen erteilte: „Steffu, gib die Instruktionen weiter. Du weißt ja, was zu tun ist. Mit dem Kinn deutete er auf den kreidebleichen Sigrist. „Und wir brauchen einen Notfallpsychiater hier zur Personenbetreuung!

    Zollinger, der selbst würgte, war froh, sich zum Telefonieren abwenden zu können, ehe die Rebellion seines Magens überhandnahm. Er zog sein Handy hervor und wählte die Nummer der benötigten Dienststelle.

    ~

    Bei der Kriminalpolizei Bern hatte Kriminalkommissar Paolo Moretti, der Chef der Spezial Fahndung III, seinen Dienstkollegen, der die Nachtschicht geleistet hatte und mit ihm das gemeinsame Büro teilte, erst unlängst verabschiedet. Mit einem dampfenden Kaffeebecher in der Hand kehrte er soeben zurück und drückte die Türe hinter sich ins Schloss.

    Er war untersetzt und von mittelmäßiger Statur. Der Blazer seines Jacketts spannte sich leicht über seiner Bauchrundung, die vergoldeten Knöpfe hingen ein wenig schief.

    Moretti stellte den Becher auf dem Schreibtisch ab, um sich aus der Jacke zu zwängen, die er anschließend ordentlich über einen Bügel an den stehenden Kleiderständer hängte, dann zog er den rollenden Bürostuhl zurück und nahm auf dem Sitz Platz. Das Gestänge quietschte, als er seinen Hintern in das Sesselpolster hineindrückte, bis er bequem saß, danach zog er die Dienstpistole aus dem Gürtelholster und verstaute sie in der Schreibtischschublade.

    Er hatte kaum die Hand nach dem Becher wieder ausgestreckt, als Charles Renoir, der sich länger als vorgesehen auf dem Revier hatte aufhalten lassen, ins Büro zurückkehrte und jetzt nochmals einen kurzen Blick zu ihm hineinwarf, um seine Sachen zu holen.

    Renoir war schlank, drahtig und in der Größe das absolut krasse Gegenteil zu seinem rundlichen Kollegen. Um seine Mönchstonsur krausten sich die letzten Reste einer ehemals üppigen Haarpracht. Das lange Gesicht wirkte vom mangelnden Schlaf etwas grau.

    Im Gegensatz zu Moretti war er ein Choleriker, der leicht reizbar und seinen Untergebenen gegenüber nicht immer nur freundlich gesinnt war, doch jetzt war er müde von der durchwachten Nacht und dadurch friedlich gestimmt, dass sich alles zu seiner Zufriedenheit entwickelt hatte. Jetzt sehnte er sich nur noch nach einer Handvoll Schlaf.

    Er richtete den Revolver an seinem Gürtel, dann nahm er seine Jacke vom Kleiderbügel und schlüpfte hinein. Aufbruchbereit sagte er, um sich zu verabschieden: „Ich geh dann jetzt", und winkte Moretti zum Gruß ein letztes Mal zu. Mit derselben Bewegung hob er die Hand vor den Mund, um das Gähnen dahinter zu verstecken.

    Über Morettis Züge glitt ein schwaches Lächeln, als er die Hand hob und ihm ebenfalls zuwinkte. „Okay, mach’s gut."

    „Du auch."

    „Und schlaf gut."

    Renoir gähnte ungeniert und kam diesmal mit seiner Handbewegung zu spät. „Das hoffe ich, danke. Ich wünsche dir einen ruhigen Tag. Bis heute Abend."

    „Ja klar, ich bin da", entgegnete der kleine Mann aufgekratzt und nickte ihm zufrieden zu. Die Nacht war ziemlich ruhig verlaufen und er war guten Mutes, dass auch dieser Tag – wie die meisten dieser Stadt jedenfalls – recht angenehm verstreichen würde.

    Renoir nickte. Während Moretti vorsichtig an seinem dampfenden Kaffee nippte, indem er nur kleine Schlückchen zu sich nahm, ging er hinunter in die Tiefgarage und verließ im Gefolge seiner Mannschaft die Hauptwache der Kriminalpolizei.

    ~

    Doch kaum war er verschwunden, Moretti hatte sich moralisch auf einen ruhigen Tagesablauf eingestellt, läutete draußen im Flur bei der Zentrale das Telefon und der erste Notruf ging ein.

    Korporal Karl Sutter warf tief seufzend einen kurzen Blick zu seinem Kollegen Fritz Morand hinüber. Er war ein Mann um die vierzig, mit kurzem, dunklem Haar, das eng seinem Kopf anlag und trotz seinem leicht fortgeschrittenen Alter noch kein einziges graues Haar aufwies. „Nicht zu fassen, es geht schon los!, murmelte er mit seinem Bariton sauer und machte deutlich, dass er gar nicht für stressige Arbeit aufgelegt war. „Wenn sich die Leute doch ein bisschen besser benehmen könnten!

    Morand strich sich mit dem Finger über seinen dünnen Oberlippenbart und nickte ihm aufmunternd zu. „Darauf kannst du wohl ewig warten", meinte er trotz allem gutgelaunt. Aber es war in der Tat kläglich, dass sich die Bevölkerung der Schweiz immer mehr an die USA anlehnte; leider auch in Bezug auf die zunehmende Kriminalität und Gewaltbereitschaft.

    „Ja, scheint so", stöhnte jener.

    Morand verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. „Bist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden, was?", zog er ihn gutmütig auf.

    Sutter schüttelte müde den Kopf. „Nein, schlecht geschlafen. Franziska war mal wieder hier und hat den größeren Teil des Bettes für sich beansprucht. Um einer weiteren Bemerkung zuvorzukommen, hob er ab und meldete sich: „Kriminalpolizei Bern, Sutter am Apparat, guten Tag, nahm er den Anruf so salopp wie möglich entgegen.

    Die Stimme des Beamten am anderen Ende der Leitung klang ziemlich außer sich, er sprach hektisch und atemlos: „Hallo, Kari. Ich bin’s, Steffu Zollinger vom 827. Wir haben einen außergewöhnlichen Todesfall im Münster! Kommt bitte schnell! Es ist grässlicher als alles, was ihr euch vorstellen könnt! Und das in einer Kirche!" Es klang, als könnte er nicht begreifen, dass selbst in einem Gotteshaus so etwas passieren konnte.

    Sutter lehnte sich im Sessel zurück, deutete mit dem erhobenen Finger und drehte sich herum, um die Kollegen auf sich aufmerksam zu machen, während er das Telefon ans Ohr drückte. „Hallo, Steffu. Was ist passiert?", erkundigte er sich gespannt.

    „Ein Toter im Münster! Er ist fürchterlich zugerichtet, seine Därme hängen raus! Er ist ausgeweidet worden wie ein...!" Er bemühte sich um die richtigen Worte, um nicht Schwein zu sagen.

    Sutter zog beunruhigt eine Braue in die Höhe. „Was sagst du da?" Am anderen Ende der Leitung hörte er Zollinger entnervt seufzen.

    „Es klingt ziemlich ausgeflippt, ich weiß. Wenn es nicht der Sigrist gewesen wäre, der uns angerufen hat, dann hätten wir das auch gedacht. Aber ich kann dir versichern, es ist kein schlechter Scherz! Leider!"

    Hoffentlich interpretierte Steffu Zollinger nicht mehr in seinen Bericht hinein, als es in Wirklichkeit war!, dachte Sutter bei sich. Wenn es allerdings zutraf, dann musste es wirklich fürchterlich sein; so unheimlich hatte bisher noch keiner seiner Anrufe geklungen! „Hast du den Kriminal Technischen Dienst schon verständigt?"

    „Mache ich gleich. Und den Staatsanwalt und den Leichenbestatter... Kommt bitte schnell!", jammerte der arme Mann hörbar vor Entsetzen mit grellem Ton in die Muschel.

    „Wir kommen sofort. Sutter nickte und hängte auf. Er drehte sich zu seinen Kollegen um, die das Gespräch bereits neugierig mitverfolgt hatten. „Ein Toter im Münster!, wiederholte er Zollingers Worte nur kurz.

    Die Kollegen an den drei Tischen des großen Empfangsbüros warfen ihm baff ungläubige Blicke zu. Er war sicher, dass es einige für einen makabren Scherz hielten. Während er sich neben Uhrzeit und Zollingers Name ein paar Notizen auf seinen Block kritzelte und dabei fast zu atmen vergaß, weil sich ihm die beschriebene Szene automatisch bildlich aufdrängte und er dabei heftig schlucken musste, machten sich seine Kollegen trotz ihrer Skepsis aufbruchbereit. Rasch legte er den Stift beiseite und erhob sich.

    „Das ist unglaublich! Ein Toter im Münster? Bist du sicher?", fragte Patrik Berger mit gerunzelter Stirn skeptisch. Er lehnte gelangweilt in seinem Sessel und machte nicht den Eindruck, als würde er viel davon halten.

    Bereits etwas steif vom Sitzen angelte Sutter nach seiner Jacke. Er riss sie von der Sessellehne, während er bereits um den Schreibtisch herum eilte und dann als Erster gegen die Türe stürmte, um Kommissar Moretti die Nachricht zu überbringen. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich über seinen jungen Kollegen zu ärgern, der weiterhin in seinem Sessel lümmelte und keine Anstalten machte, sich zu erheben. Sutter nickte nur knapp über die Schulter zurück. Bevor er um die Ecke verschwand, sah er, dass ihm die anderen hinterhereilten.

    Auf dem Korridor jedoch hörte er das Stakkato zusätzlicher Schritte und war ganz erstaunt, wie schnell der Junge mit einem Sprint aufholte, wenngleich er missmutig zwischen den anderen hinter ihm her trabte. Dennoch musste er sich ein Grinsen verbeißen, weil ihn scheinbar doch plötzlich die Neugier gepackt hatte, als er drängend fragte: „Was hat er denn gesagt? Wie sieht er denn aus? Der Tote, meine ich."

    „Wie jemand aussehen kann, dem die Därme aus dem Bauch hängen und es sich offensichtlich um einen Mord in der Kirche handelt!", knurrte ihm Sutter, ohne sich umzudrehen, unwirsch zu.

    Ohne darauf zu achten, wie weit ihm die Kollegen folgten, eilte er über den Korridor der Chefetage zu und stieß ohne Vorwarnung heftig die Türe zu Morettis Büro auf. Im Gang blieb er stehen und streckte lediglich den Kopf zur Türe herein, während er atemlos rief: „Ein AgT im Münster, Chef! Es scheint furchtbarer als alles zu sein, was wir uns vorstellen können! - Jedenfalls sagte das Steffu Zollinger von der 827!", relativierte er auf Morettis Hochziehen der Augenbrauen schnell.

    Dieser war überrascht, dass sein sonst eher besonnener Beamter für einmal völlig aus der Fassung geraten schien und vor Aufregung sogar beinahe zu atmen vergaß. Er fragte sich, was ihn an dem entgegengenommenen Telefonanruf derart entsetzt haben mochte? Aber er nickte und stemmte sich sofort aus seinem Sessel in die Höhe. Ohne nachzuhaken ordnete er noch schnell ein paar Papiere auf dem Schreibtisch, um nach seiner Rückkehr alles Erledigte fein säuberlich vom Rest getrennt ohne Unordnung vorzufinden.

    „Sorry." In der allgemeinen Hektik des Aufbruchs drückte sich Wachtmeister Franz Scherrer, der die Abteilung leitete, an seinem Teamkollegen vorbei. Er musste sich querstellen, um sich zwischen Tür und Angel an Sutter vorbeizuschieben.

    Genervt warf ihm dieser einen ärgerlichen Blick zu, weil er dabei von ihm angerempelt wurde.

    Scherrer war ein großgewachsener, sommersprossiger Mann mit raspelkurz geschorenem, rostrotem Haar. Wieder einmal hatte der Wachtmeister als Portier freiwillig den Empfangsdienst übernommen. Als dieser war er der Erste, der die Anliegen von Personen in Empfang nahm, die persönlich auf dem Revier vorsprachen oder sich telefonisch meldeten, um ihre Anliegen vorzubringen. Eigentlich entsprach die Stelle nicht seinen Fähigkeiten, aber er wollte damit allen demonstrieren, dass hier jeder gleichgestellt war und gleichbehandelt wurde und halt auch manchmal unqualifizierte Arbeiten erledigt werden mussten.

    Mit einem gleichgültigen Schulterzucken warf er, von einem weiteren „Sorry", begleitet, einen entschuldigenden Blick über die Schulter auf seinen Teamkollegen zurück.

    Sutter sah, dass er ein Stück Papier in der Faust hielt, als er zielstrebig auf ihren Vorgesetzten zueilte.

    Dieser ließ sich bei der Zusammenkrämerei seiner Utensilien nicht stören. Er hatte die Angewohnheit, seine Taschen zu leeren, wenn er sich in seinen Bürostuhl setzte, da ihn das Zeug in den Gesäß- und Hosentaschen beim Sitzen störte. In dem Moment klaubte er seine Dienstmarke von der Tischplatte und zog die Schreibtischschublade auf, in der er erst vor wenigen Minuten seinen Revolver verstaut hatte.

    „Entschuldige, Chef", wiederholte Scherrer ungeduldig, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

    „Ja?" Moretti blickte mit leicht missmutigem Gesichtsausdruck zu ihm hoch. Sutter und Scherrer überragten ihn um Haupteslänge.

    „Besuch für dich da, Paolo!", meldete der Beamte mit unüberhörbar gereiztem Ton, während er seine Worte mit einem Kinnrecken hinüber zur Türe begleitete, hinter der sich der angekündigte Besuch befand.

    Ungehalten schüttelte Moretti den Kopf. „Jetzt nicht, keine Zeit! Ein neuer Fall!", knurrte er verdrossen. Er war in Eile und gespannt darauf, was so fürchterlich war, dass er so etwas Grausiges in seiner jahrelangen Laufbahn noch nicht erlebt haben sollte.

    Raufbolde, Besäufnisse und Prügeleien waren ja leider auch in Bundesbern nichts Ungewöhnliches und an der Tagesordnung, genauso wie die mutwillige Zerstörung von Gemeindegut wie Stadtbrunnen oder schmutzige Sprayereien an den altehrwürdigen sandsteinernen Fassaden der ehemaligen hochmittelalterlichen Herrschafts- und Stadthäuser, womit sich die normalen Polizisten auseinandersetzen mussten, während sie sich dafür mit Vergewaltigungen, schwerer Körperverletzung, Entführungen, Menschen- und Waffenhandel oder Wirtschaftsdelikten herumschlugen. Noch nicht mal ein Mord war, wenn auch ganz, ganz selten, etwas Außergewöhnliches. Aber da selbst Sutter vor Aufregung beinah außer Atem war, klang der Notruf aus dem Berner Münster für den untersetzten Endfünfziger schon ziemlich alarmierend, wenngleich er sich nichts Vergleichbares vorstellen konnte, das den gewöhnlichen Rahmen so sprengen sollte. 

    Scherrer wusste selbst, dass der Besucher in Anbetracht des neuen Falls äußerst ungelegen kam, blieb aber hartnäckig: „Ich weiß. Er kommt direkt von der Polizeischule", entschuldigte er sich.

    Als habe sein Untergebener nicht verstanden, wurde Morettis Miene noch um ein Vielfaches abweisender. „Ich habe jetzt keine Zeit!", schleuderte er ihm ungehalten lauter entgegen.

    Doch Scherrer kam nicht darum herum, auf seiner Ankündigung zu bestehen: „Er hat ein Empfehlungsschreiben bei sich - von Sam Mosley!"

    Das war der höchste dekorierte Kriminalist der Westschweiz, eine ursprünglich amerikanische Spürnase und seit Jahren Morettis Freund. Er hatte Rang und Namen und wenn er jemanden empfahl, dann galt das etwas.

    Die Erwähnung des Namens versetzte selbst den eingefleischten Kommissar in Erstaunen. „Mosley? Er richtete sich aus seiner gebeugten Haltung auf und streckte den Rücken durch. Mit hochgezogener Augenbraue blickte er Scherrer überrascht an. „Muss ja ein wahrer Teufelskerl sein!

    Der Beamte kam gar nicht dazu, ihm darauf zu antworten, weil sich sein angekündigter Besuch verselbständigte und in dem Moment unaufgefordert ins Büro hereinplatzte, aufgerichtet mit geradem Rücken, als hätte er einen Stock verschluckt, und aufgekratzt fragte: „Sprechen Sie von mir, Sir?"

    So, als hätte er gemerkt, dass er etwas falsch gemacht hatte, nahm er sich zurück und deutete einen koketten Bückling an, ehe er sich vorstellte: „Morgan Custer, Sir. Zu Ihren Diensten, Sir." Er sprach sehr gut Hochdeutsch, wenn auch mit unüberhörbar amerikanischem Akzent. Indem er zusätzlich das i als ö und das ch wie ein k aussprach, hörte es sich erst recht so an, als hätte er eine Kartoffel oder sonst eine teigige Masse im Mund.

    Scherrer wirbelte herum und zuckte bei seinem Eintritt ungemütlich die Achseln. Die Frechheit, die der junge Mann durch sein forsches Eindringen an den Tag legte, raubte ihm kurzfristig die Sprache.

    Mit zielstrebigen Schritten hielt Custer auf den fülligen Mann hinter seinem Schreibtisch zu und schlug militärisch die Hacken zusammen, als er neben Scherrer vor dem Schreibtisch stehenblieb.

    Begleitet von einem weiteren, missbilligenden Blick und einer Bewegung aus dem Handgelenk heraus, reichte ihm dieser sein Empfehlungsschreiben zurück, das bisher noch keine Aufmerksamkeit gefunden hatte.

    Moretti betrachtete den jungen Mann nur kurz.

    Dieser war schlank und großgewachsen. Das hellblonde Haar schimmerte im Schein der Deckenbeleuchtung fast silbrigweiß, während ihm aus dem schmalen Gesicht zwei ausdrucksstarke, blaue Augen entgegenleuchteten. Obwohl er in Zivil gekleidet war, ließ ihn sein knielanger Trenchcoat ziemlich adrett und dienstlich erscheinen.

    „Tag!" Moretti bückte sich wieder und suchte weiter seine Siebensachen zusammen. Damit gab er ihm zu verstehen, dass er sich mit seinem Eintritt zu viel herausgenommen hatte und dass er in Eile war.

    „Yeah, guten Tag, Sir." Etwas verloren stand der junge Mann vor ihm und drehte, weil Moretti nichts weiter sagte und sich nicht um ihn kümmerte, sein Empfehlungsschreiben zwischen den Fingern.

    Sutter wartete ungeduldig auf den Zehen wippend einen halben Schritt hinter ihm. Er beugte sich leicht nach vorne, um Scherrer über die Schulter ins Ohr zu flüstern: „Sieht so aus, als hätten wir ein Problem."

    Dieser nickte andeutungsweise und stieß einen ungehaltenen Seufzer aus.

    Schließlich war es Custer, der den Faden für ein Gespräch wieder aufnahm: „Ich wurde hergeschickt, um Sie bei Ihrer Arbeit zu unterstützen, Sir."

    „Aha. Moretti warf ihm nur einen kurzen, gleichgültigen Blick zu. Er hatte alles andere als Interesse daran, einen solchen Jungspund unter seine Fittiche zu nehmen, was er diesen auf brutale, fast bösartige Weise spüren ließ: „Und Sie denken, einen Frischling wie Sie kann ich hier brauchen?

    Morgan Custer blieb die Luft weg. Er öffnete den Mund und schluckte etwas betreten. Er fühlte sich beleidigt und war irritiert, dass seine Empfehlung ihm scheinbar doch nicht alle Türen öffnete. „Ich war Jahrgangsbester, Sir!", warf er sich protestierend in die Brust.

    „So, so, knurrte Moretti gedehnt. Endlich hatte er seine Stapel so geordnet, dass er sie verlassen konnte und die nötigen Utensilien wieder in seine Taschen gestopft; er war bereit zum Aufbruch. Sein Blick streifte Custer wieder nur kurz, bevor er gleichgültig zum Abmarsch drängte: „Wie dem auch sei – wir haben einen Tatort! Also, kommen Sie! Er hatte keine Lust, sich von dem Grünschnabel an seinem Tempo hindern zu lassen. Er würde sich später um sein rühmliches Empfehlungsschreiben kümmern. Allen voran stürmte er aus dem Büro.

    ~

    Auf der Fahrt vom Polizeirevier bis zum Tatort in der Stiftskirche des Berner Münsters flogen die Aare, die Nydeggbrücke und die Sandsteinfassaden von Berns Altstadthäusern nur so an ihrem Fenster vorbei.

    Während Moretti und Sutter nebeneinander im Fond und Custer vorne neben dem fahrenden Scherrer im selben Dienstwagen saßen, der mit Blaulicht und Sirene ostwärts am Kornhaus vorbei durch die asphaltierten Straßen bretterte, bequemte sich der Alte endlich, sich seinem Gast mit etwas mehr Interesse zuzuwenden: „Sie sind kein Hiesiger? Wie kommt das?"

    Custer musste sich halb nach rückwärts umdrehen, um zwischen den Sitzen über die Schulter hinweg zu den beiden nach hinten blicken zu können. Er lächelte schmal im Versuch, die vorbeifliegende Gegend dennoch halbwegs im Auge behalten zu können. „No, right, bestätigte er, während sie die hohen Stadthäuser hinter sich ließen und über die Nydeggbrücke rasten. „Amerikaner mit hiesigen Wurzeln. Und Sie? Italiener?, konterte er.

    Dabei fiel ihnen auf, dass sich immer wieder amerikanisch-englische Brocken in sein Deutsch einschlichen.

    Sutter entwich ein tiefer Seufzer. Er fragte sich einmal mehr, woher das Jungchen die Frechheit nahm, so mit seinem Vorgesetzten zu sprechen, und warf ihm einen kurzen, strafenden Blick zu, den er aber nicht wahrzunehmen schien.

    Moretti schüttelte den Kopf. „Auch mal emigriert. Mein Urgroßvater, glaube ich", war alles, was er sich dazu zu sagen bequemte.

    Der junge Mann drehte sich wieder nach vorne, um sich bequemer hinzusetzen.

    Franz Sutter hatte den Eindruck, dass er pikiert war, weil der Kriminalkommissar sich nicht mit ihm unterhalten wollte. „Woher kommen Sie, Custer?", forschte er notgedrungen, weil er sich halbwegs dazu verpflichtet fühlte, als Moretti schwieg, um sich moralisch auf den neuen Fall vorzubereiten.

    Er drehte sich wieder zurück, um nach hinten zu sehen. „Aus Wisconsin, Sir. Aber aufgewachsen bin ich in Kansas City."

    „Eine etwas größere Stadt als unsere", mokierte sich Scherrer, der das Lenkrad mit beiden Fäusten umklammerte und den Blick starr auf die Straße gerichtet hielt. 

    Morgan Custer nickte ernsthaft. „Right. Aber weniger schön."

    Moretti pflichtete ihm erfreut zu. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass der Ami seiner Stadt Tribut zollte.

    Das Gespräch versandete.

    Scherrer bog um eine scharfe Kurve.

    „Was denken Sie, was uns erwarten wird?", erkundigte sich Custer, der unwissend rücksichtslos die kurze, wertvolle Zeit der moralischen Vorbereitung auf das Entsetzliche zerstörte.

    Moretti schüttelte unwirsch den Kopf.

    „Weiß’ nicht!, knurrte Sutter ungehalten. Er hatte keine Lust, dem Grünschnabel seine dürftigen Informationen auf die Nase zu binden, er würde es ja gleich selbst sehen! „Hoffentlich können Sie Blut sehen! Er freute sich schon darauf, dass der Großkotz gleich seine erste Schwäche zeigen würde.

    Custer nickte. Seine ausdrucksstarken, blauen Augen begannen vor Vorfreude auf seinen ersten Fall zu glänzen.

    Aus dem südöstlichen Stadtteil bogen sie rechts gegen die Kirchenfeldbrücke ein, überquerten zum zweiten Mal die Aare, den breiten Fluss aus den Bergen, der sich um Berns Altstadt herumschlängelt und sie zu einer Halbinsel macht. Durch die hervorragende geologische Begebenheit war Bern in früheren Jahrhunderten dadurch eine praktisch uneinnehmbare Festung gewesen, die leicht zu verteidigen war.

    Die Fußgänger und Touristen auf der Brücke drehten sich neugierig nach dem Einsatzwagen um, der mit heulender Sirene und Blaulicht über die altehrwürdigen Pflastersteine fuhr. Aus der Hotelgasse bogen sie rechts in die Münstergasse ab.

    Vor dem inzwischen stark mit neugierigen Besuchern frequentierten Münsterplatz musste Scherrer unerwartet scharf auf die Bremse treten, um einen Fußgänger zu verschonen. Mit einem harten Ruck brachte er das Fahrzeug beinahe zum Stehen; die Insassen wurden aus ihren Sitzen nach vorne und wieder zurückgeschleudert.

    Nachdem der Wagen von zu schnell auf beinahe Null herabgebremst hatte, ohne den unvorsichtigen Passanten auch nur zu streifen, stieß Moretti einen Seufzer der Erleichterung aus. Obwohl er Scherrers Fahrkünste kannte, hatte er dennoch befürchtet, dass er diesen mit seinem wildwestlichen Fahrstil diesmal überfahren würde. Glücklicherweise war seinen Männern so etwas bisher noch nie passiert, aber man konnte ja nie wissen, und er fand, das Manöver vorhin sei ziemlich gefährlich gewesen.

    Während er darüber nachdachte und sein Adrenalin unter Kontrolle zu halten versuchte, bekundete Scherrer ziemliche Mühe, sich nun durch die dichte Menschenmasse einen Weg auf den Münsterplatz zu bahnen, ohne dass sich Morettis Befürchtungen doch noch bewahrheiteten. Die Leute standen so eng beisammen, dass es äußerst schwierig war, niemanden anzufahren. Er musste mehrmals hupen und sich mit heftigem Winken und Blinken die letzten Meter bis zum Ziel erkämpfen. Schließlich brachte er sein Fahrzeug hinter dem Einsatzwagen der Autopolizei und dem Krankenwagen zum Stehen und schaltete Motor und Sirene aus. Auch das Blaulicht hörte auf, sich zu drehen.

    Erleichtert über die glückliche Ankunft wuchtete Moretti die Wagentüre auf, rangelte sich zurecht und hievte seine Pfunde in die Höhe.

    Nach ihm warfen Sutter und Custer ihre Türen zu und folgten ihm, der Amerikaner etwas langsamer, weil er damit beschäftigt war, die eindrucksvolle Kirche mit ihren filigranen Spitzen, Bögen und Türmchen zu betrachten. Am Heck des Wagens blieb er einen Moment lang stehen und blickte an der kunstvoll verzierten Fassade entlang in die schwindelerregende Höhe des Turms empor, dessen Spitze an die hundert Meter in den hellblauen Morgenhimmel ragte.

    Zwischen ihnen kamen der zweite Einsatzwagen und der Kleinbus des Kriminaltechnischen Dienstes inmitten der neugierigen Zaungäste zum Stehen.

    Scherrer warf die Wagentüre zu und eilte hinter Moretti und Sutter her zum Eingang, was bereits nicht mehr so einfach war, weil die umstehenden Leute sie bedrängten, so dass sie sich mit den Ellbogen einen Weg durch sie hindurchbahnen mussten.

    Obwohl aus dem Pulk heraus schreiend die ersten Fragen gestellt wurden, was denn passiert sei, trafen sie bei Moretti auf taube Ohren. Ohne davon Notiz zu nehmen, walzte er durch die Menschenmenge hindurch wie ein Schneepflug.

    Obwohl er leicht mehr als untersetzt war, staunte Custer über die Leichtigkeit, mit der er sein Gewicht vorwärtstrug. Mit einem Ruck stieß er sich von der Motorhaube ab, an der er eben noch gelehnt hatte. Mit langen Schritten heftete er sich ihnen an die Fersen, als befürchtete er, durch die Behinderung aufgehalten zu werden oder für den Einsatz zu spät zu kommen.

    Die zweite Patrouille und die Beamten des kriminaltechnischen Dienstes stiegen eilig aus ihren Wagen. Mit ihren unhandlichen Arbeitskoffern beladen, folgten sie ihren Kollegen.

    ~

    Als Moretti mit seinen Leuten im Schlepptau vor dem Portal eintraf, riss Heino Bach von der Notfallpolizei die schwere Pforte des mittleren Haupttors auf, um sie einzulassen.

    Einen kurzen Augenblick blieb der Polizeichef schnaufend vor dem Eingang stehen und wandte den Kopf zurück. „Jordi, Seematter, schafft die Leute hier weg! Oder seht zumindest zu, dass keiner hier reinkommt!", wies er die hinzueilenden Beamten der zweiten Patrouille befehlsgewohnt über die Schulter hinweg an. 

    Die beiden nickten ihm mit vor Enttäuschung langen Gesichtern zu. Sie hätten das Szenario im Inneren selbst gern miterlebt, wussten aber, dass sie hier draußen nicht weniger wichtig waren, um die Kriminalisten bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

    Die Sonne glänzte kurz auf Morettis Halbglatze auf, ehe er als erster in den Schatten des reich geschmückten Vorbaus des dreiteiligen Westportals eintauchte. „Hallo, Heino." Mit ausgestreckter Hand blieb er in der Tür erneut kurz stehen, um Bach zu begrüßen, der einer der wenigen Beamten im Bezirk war, der ihn nicht um mindestens einen halben Kopf überragte.

    Custer nutzte den Moment, um mit einem raschen Blick den weltberühmten Eingang in sich aufzunehmen.

    Allein schon das Portal mit seinen 234 feingearbeiteten und 47 lebensgroßen Sandsteinfiguren, die das Jüngste Gericht darstellten, war ein Meisterstück gotischer Feinsteinzeug- und Handwerkskunst.

    Während er das Bild in sich einsog wie ein Sammler, um es bis in alle Ewigkeit in Erinnerung zu behalten, huschte ein schwaches Lächeln über seine erwartungsvollen Züge.

    Vor ihm verschwanden die Beamten im dunklen Inneren der Stiftskirche.

    Er gab sich einen Ruck und folgte ihnen.

    Bach führte den Kommissar ein paar Schritte in den dunklen Vorbau hinein, während dieser sich erkundigte: „Wer ist zuständig bei euch, Heino? Wer leitet die Aktion?"

    Der Beamte deutete nach vorne gegen den Altar. „Jacques Federer."

    Moretti nickte ihm zu. „Ah ja, das ist gut, danke." Seine Augen begannen sich langsam ans Halbdunkle zu gewöhnen. Als er durch die Kirche nach vorne blickte, konnte er schon von Weitem Federer mit seinem Team um den Toten herumstehen sehen, der mit ausgestreckten Armen und angewinkeltem Knie über den beiden Treppenstufen unter dem freistehenden Altartisch lag. Bereits aus der Ferne nahmen ihm die nur teilweise sichtbaren oder angedeuteten Attribute über das fürchterliche Geschehen, die ihm angekündigt worden waren, den Atem.

    „Wer hat ihn denn gefunden?" Aufgrund der Atmosphäre der Kirche war er bemüht, sein Organ etwas zu dämpfen. Lauter zu sprechen wäre ihm als Lästerung vorgekommen. Entsprechend klang sein Zischen ziemlich düster und tonlos.

    Heino Bach musste sich zu ihm hinüberbeugen, um ihm ebenso leise zuzuraunen: „Der Sigrist. Er ist da drüben. Gleichzeitig deutete er mit der Hand auf den blassen Kirchenmann, der sich noch immer atemlos vor Grauen an einer Säule anlehnen musste und scheinbar unschlüssig zwischen Kirchenmitte und Ausgang im Halbdunkeln stand, und begleitete ihn zu ihm hinüber. „Das ist Herr Kummer. Kommissar Moretti von der Mordkommission, machte er die beiden miteinander bekannt.

    Der Sigrist streckte ihm eine eiskalte Hand entgegen, die sich anfühlte wie die Hand eines Toten. „Hallo. Ich habe angerufen", stellte er sich mit abgehackten Sätzen tonlos vor.

    Moretti nahm ihm nickend den Gruß ab. „Guten Morgen. Sie haben den Toten gefunden?"

    Kummer nickte heftig und deutete mit der freien Hand gegen das Chorgestühl nach vorne, während er sich mit der anderen sicherheitshalber weiterhin an der massigen Säule festhielt, was eigentlich mehr psychologisch als hilfreich war, weil er sie ja nicht umfassen konnte. Ohne den Blick zu wenden, streckte er die Hand aus, während er überflüssigerweise: „Dort liegt er!", sagte. Er schwankte wie ein Blatt im Wind. Sein Gesicht war kalkweiß.

    Er sieht aus wie ein wandelndes Gespenst, ging es Custer schmunzelnd durch den Sinn. Sein Blick war nur einen kurzen, einprägsamen Moment auf den Kirchenmann gerichtet, ehe ihn der Anblick des entfernt wie drapiert daliegenden Toten und die um ihn herumstehenden Beamten wie magisch in seinen Bann zogen.

    Die Beamten ließen Moretti bei Kummer stehen.

    Draußen versuchten Jordi und Seematter zwischen dem Portal und der Menschenansammlung eine akzeptable Distanz durchzusetzen, obwohl dies zu zweit fast unmöglich war, da es immer wieder Leute gab, die sich in ihrem Rücken zum Eingang hinüberstahlen, um einen neugierigen Blick ins Innere auf das verborgene Geschehen zu werfen.

    Während Bach an die Türe zurückkehrte, um die vorwitzigen Gaffer energisch am Eindringen zu hindern, traten die Männer aus dem Vorbau heraus in die eigentliche Kirche und stürmten durch den Mittelgang der Basilika.

    „Danke, Herr Kummer. Unser Notfallpsychiater wird sich gleich um Sie kümmern. Halten Sie sich bitte zur Verfügung, ich komme später auf Sie zurück", bemerkte Moretti knapp, ehe er ihnen eilig folgte.

    Über ihren Köpfen rückten die Pfeiler und das gewölbte Dach der Kathedrale in schwindelerregende Höhen. Die Größe und Höhe des Kirchenraums waren imposant. Unter dem Kreuzrippengewölbe, das normalerweise durch seine Akustik einem Orchester zu hervorragendem Klang verhalf, hallte das Stakkato ihrer Schritte laut durch das Gotteshaus, doch ungeachtet dessen eilten sie den hölzernen Sitzreihen entlang durchs Mittelschiff auf den durch die beiden Stufen erhöht stehenden Alter zu. Durch die Strahlen der Morgensonne, die durch die vielfarbigen Glasfenster der religiösen Bildnisse der Kirche hineinschienen, wurde der Klinkerboden in allen Regenbogenfarben angestrahlt.

    Der Sigrist folgte den Kriminalisten mit langsamen, fast bleiernen, kleinen Schritten. Obwohl ihn der Anblick des Leichnams grauste, gewann seine Neugier über das Geschehen und die erwartete Polizeiarbeit für einen kurzen Moment die Oberhand, bevor ihn der Mut wieder verließ. In sicherem Abstand, jedoch auf Hörweite, blieb er dann doch lieber wieder stehen und beäugte die Szenerie nur von weitem.

    „Ah, Paolo, endlich! Gott sei Dank, dass ihr kommt!" Einsatzleiter Federer unterbrach das Gespräch mit dem Beamten; er umging den toten Mann und eilte den Ankömmlingen erleichtert entgegen.

    „Hallo, Jacques." Über Morettis Gesicht glitt nur kurz ein erfreuter Schimmer.

    Je näher sie dem Toten kamen, desto mehr war von den schrecklichen Verletzungen zu erkennen, die ihm zugefügt worden waren. Dennoch prallten die Polizisten geschockt zurück, als sie ganz heran waren und sich das volle Ausmaß des Entsetzens vor ihren Augen ausbreitete.

    Die leblose, halb entkleidete Gestalt des Mannes, der mit ausgestreckten Armen über den beiden Treppenstufen herabhing, war bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Fetzen seines Hemdes klebten an verkrusteten Wunden, andere hingen blutdurchtränkt und starr nach dem Eintrocknen von seinen Seiten herab. Der obere Teil des Bauches sowie der knorpelige Teil seines Brustkorbs klafften auf und aus der Öffnung quollen ihnen die Eingeweide entgegen. Einzig der Unterleib mit den Beinen schien relativ unversehrt, obwohl auch die Hose bis hinunter auf die Schuhe von Blut vollgesogen und verspritzt war, jedoch ansonsten intakt aussah.

    „Großer Gott!"

    „Grundgütiger!"

    „Was für eine Sauerei! Wer hat das arme Schwein so ausgeweidet?", stießen die Männer ihr Entsetzen über die Gräueltat mit lautstarken Mutausdrücken aus. Es half ihnen, sich Luft zu machen und sich gleichzeitig von dem schrecklichen Anblick etwas zu distanzieren. Ihre Ausrufe widerhallten in der Kirche und drangen zumindest teilweise bis auf den Platz hinaus. 

    Vor dem Portal hatten Jordi und Seematter alle Hände voll zu tun, die immer stärker drängelnden Gaffer am Näherkommen zu hindern, die mit langen Hälsen über ihre Schultern hinweg einen Blick ins Innere der Basilika zu erhaschen versuchten, um ihre Neugier zu stillen, während andere in ihrem Rücken frech an ihnen vorbeimarschierten, bis sie an der Türe grob von Heino Bach gestoppt wurden. Frustriert mussten sie einsehen, dass sich durch den Druck der Hintenstehenden der vorgegebene Distanzring zunehmend verkleinerte.

    Während sie sich vergeblich bemühten, die Gaffer auf Abstand zu halten, markierte Heino Bach inzwischen

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