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Zweimal HIMMEL und zurück: Eine Reminiszenz
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Zweimal HIMMEL und zurück: Eine Reminiszenz
eBook271 Seiten4 Stunden

Zweimal HIMMEL und zurück: Eine Reminiszenz

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Über dieses E-Book

Eigentlich war vom Ich-Erzähler des Buches ein Reisebericht über die gemeinsamen Reisen in ihre zweite Heimat Nepal geplant – doch dann verstarb seine Frau. Ist es einem Schlag auf den Kopf zuzuschreiben, den Alpträumen eines leeren Lebens, dass er sich plötzlich mitten im Winter in einem abstrakten Hotel wiederfindet, das genauso gut eine Aufbahrungshalle sein könnte? Erinnerungen an Erlebtes und Gesehenes vermischen sich zu skurrilen Gedanken und Träumen.

Fragen über die Bedeutung von Leben und Tod, dem Paradies, Jenseits und Hiob tauchen auf. Erging es ihm wie diesem, dass er aus dem Paradies, aus dem gemeinsamen Glück mit seiner geliebten Frau hinausgeworfen wurde? Muss man erst freiwillig auf Hab und Gut verzichten und heilig werden wie die Sadhus in Nepal, um für immer glückselig sein zu können? Doch selbst dabei verliert er seine geliebte Frau an einen anderen und er möchte wieder zurück in ein normales Leben.

Über die «Traum-Reise» gemeinsamer Erlebnisse und Erinnerungen erhalten wir durch die ausführlichen Beschreibungen Einblick in eine uns fremde Kultur mit deren viel entspannterem Umgang mit dem Tod und erfahren, dass man mit dem Akzeptieren des Unvermeidlichen nach der Trauer wie Phönix in ein neues Leben mit neuem Glück hineingeboren werden kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum21. Feb. 2023
ISBN9783987623240
Zweimal HIMMEL und zurück: Eine Reminiszenz

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    Buchvorschau

    Zweimal HIMMEL und zurück - Beat Mundwiler

    Reisen

    Regelkonform gesund fuhren wir per Bahn nach Berlin und fühlten uns doch so, als ob wir etwas Verbotenes täten.

    Wir waren schon von vielen Flughäfen abgeflogen, von Hamburg, Amsterdam, Dublin und Zürich, nur um ein paar zu nennen. Derjenige in Berlin, von wo unser Flug dieses Mal gehen würde, war der Neue, auf den man zu lange hatte warten müssen. In Berlin kannten wir bisher nur Schönefeld oder Tegel – keine angenehmen Orte. Meine Erwartungen waren groß und konnten kaum erfüllt werden. Doch quasi als Sprungbrett, als Katapult in eine andere Welt, in ein anderes Leben, in ein anderes Universum, war er gut genug.

    Die Reisevorbereitungen dauerten schon lange. Wir gingen Listen durch und kauften Dinge, die notwendig waren. Impfungen mussten aufgefrischt werden, um die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, klein zu halten. Tetanus zum Beispiel. Eine absolute Sicherheit gibt es nie!

    Das Ticket war schon lange gebucht. Das war das Erste gewesen für die erneute Reise nach Nepal.

    Man musste immer an viel denken, doch möglichst wenig sollte es sein. Man musste alles abwägen – wörtlich und bildlich.

    Vor dem Einpacken breiteten wir alles, was wir mitnehmen wollten, auf dem Bett aus. Es schien nicht nach viel. Es war das Nötigste, dasjenige, von dem wir annahmen, dass wir es brauchen würden. Aber auch Geschenke für Freunde. Nur die Medikamente nahm man mit in der Hoffnung, dass sie überflüssig sein würden.

    Wir fotografierten die Auslage für die sozialen Medien, obschon ich mich sonst wenig um diese kümmerte. Das Hab und Gut musste in zwei Rucksäcke und einen Koffer passen.

    Das tat es dann auch. Die Rucksäcke waren prall gefüllt. Wie eine Puppe von einem Schmetterling kurz vor dem Schlüpfen sahen sie aus. Ich wagte kaum, sie anzufassen aus Angst davor, dass sie explodieren oder die genannten Insekten vorzeitig ausfliegen könnten.

    Wir haben sie schon lange. Sie sind unzerstörbar. Also war meine Befürchtung unberechtigt. Sie hatten nicht einmal viel gekostet. Auf jeder langen Reise in die Berge hinauf waren sie mit dabei. Es gab das Eine oder Andere, das ich hatte reparieren müssen. Nach der Reparatur waren sie eher noch besser als vorher.

    Es überrascht mich, denn ich bin nicht der geborene Bastler. Wir werden sie noch lange brauchen können. Wir werden fortfahren zu reisen, denn man kommt nie an. Das zeigte die Erfahrung.

    Als wir schlussendlich im Zug saßen wurde uns bewusst, dass wir nun wirklich wieder auf der Reise waren in das Land, das wir so mochten. Entspannung setzte ein und Vorfreude. Endlich rollten wir auf Schienen in die richtige Richtung. Wir hatten keine Eile und es würde nicht das letzte Mal sein.

    Hoffentlich wird es nie nötig sein, Spuren in den Neuschnee zu machen.

    Ohne umzusteigen erreichten wir den Flughafen.

    Lange Schlangen vor Schaltern. Eher länger als gewohnt. Bald war Ostern. Teams von Fernsehstationen waren auch da. Und schon fühlten wir uns wieder schuldig. Vielleicht war es genau dieses Gefühl, das man uns vermitteln wollte …

    Aber Reisen war doch nicht verboten!

    Formulare ausfüllen, von denen keiner wusste weshalb und für wen. Keiner, der anwesend war, wusste es. Man fügte sich einfach.

    Einfach tun! Nicht fragen! Auch wenn alles nur für den Papierkorb ist. Sonst kommst du nie weg, und schließlich tat es keinem weh.

    Alles ging reibungslos und sie ließen uns gehen.

    Seit dem Frühstück waren bereits Stunden vergangen und vor lauter Aufregung brachten wir da kaum einen Bissen runter. Man darf es Reisefieber nennen, obschon es keine Krankheit im eigentlichen Sinne ist – man kann sich nicht dagegen impfen. Das heißt, wir hatten Hunger und beabsichtigten, diesen zu stillen, denn schließlich hatte der Urlaub begonnen.

    Wir hatten guten Grund, uns etwas Gutes zu tun und aßen Japanisch. Daran erinnere ich mich, weil ich mir sicher bin, dass das Bier, das ich bei der Gelegenheit getrunken hatte, japanisch war.

    Ich trinke nicht oft Bier, so dass ich mich leicht daran erinnern kann, was für eines es gewesen war. Und gerade bei Bieren finde ich Ungewöhnliches attraktiv. Bloß kein Heineken oder Carlsberg. Also bestelle ich mir eines, wenn es möglich ist, dessen Name ich nicht kenne und das an einem Ort gebraut wurde, der mir nichts sagt.

    Asiatisches Essen hatte uns mehr angesprochen als eine Bockwurst oder so, obschon ich nicht grundsätzlich etwas gegen diese habe. Chili war besonders für mich immer schon ein besonderer Genuss. Der kommt zwar auch bei Currywurst vor. Die kommenden Wochen würden wir meistens Asiatisch essen und ich freute mich – wir beide freuten uns.

    Die japanische Mahlzeit schmeckte gut. Ich kann mich an klebrige, braune, knusprige Hähnchenflügel erinnern. Das architektonische Umfeld passte nicht zur Qualität des Essens.

    Als wir satt waren, kümmerten wir uns langsam um unseren Abflug, Eile hatte wir aber keine. Wir mussten einfach etwas tun, sonst wird es selbst in einem Flughafen langweilig.

    Wir flogen zum ersten Mal mit Ethihad. Man hatte nur Gutes gehört!

    Von welchem Gate?

    Diese Frage stellte sich als Erste. Es war auch die Wichtigste. Der Flug stand schon auf der Tafel, allerdings nicht zuoberst in der Liste. Es war beruhigend zu wissen, dass es ihn wenigstens gab. Alles andere war noch offen. Vieles im Leben nimmt ja eine unerwartete Wendung.

    Langsam gingen wir unseres Weges. Alles war so neu. Glänzend neu! Es gab wenig Reisende. Wir waren darüber nicht überrascht, es hatte erwartet werden müssen. War Reisen wirklich nicht verboten?

    Parfümgeruch zog aus einem Dutyfree-Shop heraus. Der Geruch ist für mich der Inbegriff eines Flughafens. Berge von Toblerone waren zu sehen. Wir hatten kaum irgendetwas gekauft.

    Ich bin nur schwer in einen Kaufrausch zu bringen. Es geschieht eigentlich nie. Schokolade hingegen mag ich. Allerdings: „Weshalb sollte ich mir gerade jetzt eine Toblerone kaufen, wo ich es doch sonst auch nie tue?" Und ich hatte ja eben etwas Japanisches gegessen.

    Mathilda dachte eher an Mitbringsel als ich.

    Das Warten am Gate und das Boarding braucht nicht beschrieben zu werden, man kennt es. Es ist immer das Gleiche. Sie müssen möglichst effizient ein Flugzeug mit Menschen und Gepäckstücken füllen. Der Mensch wird dabei selber zu einem Gegenstand, der gepackt werden muss. Doch wenn man einmal sitzt und so eingerichtet ist, dass man einen sieben Stunden dauernden Flug überstehen kann, wird einem erneut bewusst, dass man wirklich am Verreisen ist. Man freut sich. Monatelang hat man auf diesen Moment hingelebt. Und endlich wird er wahr – Realität!

    Es wurde dann noch von jemandem behauptet, man befände sich auf seinem Platz. Das war natürlich ein Irrtum! Der sich Irrende musste von einer Flugbegleiterin eines Besseren gelehrt werden. … Uns hatte man ja nicht geglaubt.

    Wir waren abflugbereit. Es konnte losgehen. Kolonnen von Menschen zogen noch immer an uns vorbei. Es würde noch eine Weile dauern.

    Haben die alle Platz?

    Müssen wohl!

    Kinder quengelten.

    „Hoffentlich schreien sie später nicht die ganze Zeit."

    Kinder schreien wegen vielem – eigentlich wegen allem.

    Ich befasste mich mit den Filmen, die ich sehen könnte, und den Musikalben, welche zu hören sind. Es gab einiges. Eine Wahl ist immer schwierig. …

    Sicherheitsinstruktionen wurden abgearbeitet. Das ist Vorschrift.

    „Wo befindet sich die Schwimmweste?", fragte ich mich schon zehn Minuten später. Also hatte ich nicht aufgepasst. Gut nur, dass wir vor dem Zwischenhalt nicht das Meer überqueren würden. Weshalb nur – in Gottes Namen – hatte man uns auf die Schwimmweste hingewiesen? Hoffentlich saßen wir im richtigen Flieger und der Pilot wusste wirklich, wohin es ging!

    Wir vernahmen eine Durchsage des Piloten.

    Komisch. Haben Piloten alle die gleiche Stimme?

    Vielleicht ist es ein Band! …

    Die Flugbegleitung setzte sich endlich und schnallte sich an. Langsam, holpernd, rollten wir davon.

    Wie lärmig das doch war.

    Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich die Geschwindigkeit erhöhte. Dadurch wurde es noch lauter. Immer schneller werdend preschten wir dann in den Himmel hinauf, den Göttern entgegen.

    Wie schön das war!

    Den Moment des Abhebens spürten wir im Magen. Es war ein leichter Ruck wahrzunehmen. Die Lichter, die die Startbahn säumten, rasten vorbei, blieben zurück und wurden immer kleiner.

    Aussicht auf den Flughafen, Aussicht auf die Stadt. Wie von einem Berggipfel aus.

    Wir hatten ja viele Gipfelmomente gewünscht. Das musste unser Erster sein!

    Man konnte das Eine oder Andere gut erkennen. Den Turm am Alexanderplatz zum Beispiel. Doch es wurde dunkel.

    Als wir dann so richtig im Himmel hingen und kaum fühlbar dahinzogen, gab es keine Eile mehr. Musik hören, Filme schauen, Essen, Wein trinken. Einen Weißen und einen Roten, wie immer. Genießen! Dann noch einen zweiten, jedoch keinen Kaffee für mich. Der ist zu harntreibend. Ähnlich wie Bier. Ich zog mir die Schuhe aus.

    Ein Kind weinte tatsächlich, hörte aber bald wieder auf. Andere Kinder lachten.

    Lachen ärgert einen gewöhnlich nicht.

    Die ersten Passagiere schliefen bereits. Die mussten eine Tablette genommen haben!

    Es fiel mir schwer zu glauben, dass in den Landschaften, die ich so weit unter mir liegend wusste und welche bei Tag wie ein Modell aussehen mussten, wirklich Menschen lebten. Menschen wie du und ich – auch etwa gleich groß und keine Zwerge.

    Menschen schauten in den Himmel hoch und sahen uns als blinkenden Lichtpunkt vorbeiziehen, als Stern von Bethlehem.

    Auf dem Bildschirm vor mir konnte ich sehen, dass sich in dem Moment die Donau unter mir dahinschlängelte. Ich hörte Sketches of Spain. Miles Davies.

    Ich habe sie nun auch als knallgelbe Langspielplatte. Es ist die melancholischste Musik überhaupt, vor allem nach einem Todesfall! Und doch war ich nicht traurig oder deprimiert. Oder noch nicht traurig.

    Nur gut, kennt man seine Zukunft nicht.

    Ich schiebe jeden Tag den Tod um einen Tag vor mich her.

    Wir fielen in ein kleines Luftloch. Darauf musste man sich wieder anschnallen - es kämen Turbulenzen.

    Wie im richtigen Leben wird man auch im Himmel hängend manchmal durchgeschüttelt.

    Ich hielt meinen Wein fest. Dies ist mein Blut! Kein Tropfen sollte verschüttet werden!

    Bald wieder fühlten wir uns wie an den Himmel festgeschraubt. … Es war stockdunkel um uns herum. Der Himmel draußen war nun schwarz. Wir flogen ostwärts der Sonne entgegen. Tierkreisartige Lichter, welche die Straßen säumten, funkelten zu uns herauf. Ich döste manchmal ein wenig weg, mit den Skizzen von Spanien in den Ohren und Gaudis Kathedralen vor dem inneren Auge. Dann drückte ich auf repeat.

    Man dimmte die Lichter im Flugzeug und ich hörte Schnarchen und das Rascheln von Cellophan. In relativer Ruhe und Dunkelheit flogen wir dahin – oder die Welt unter uns drehte sich davon.

    Ich verfolgte den Flug auf der Karte auf dem Bildschirm vor mir. Stadtnamen tauchten auf, die ich noch nie gehört hatte. Weshalb mussten Leute in Städten wohnen, deren Namen man nicht kennt? Existierten sowohl die Städte als auch die Menschen wirklich?

    Eine Notlandung wollte ich nicht provozieren, um mich davon zu überzeugen. Ich zog die Schuhe an, die mir nicht mehr passten. Sie waren viel zu eng. Ich begab mich zur Toilette. Der Anblick ist jeweils unerfreulich. Der Geruch ist entsprechend. Als ich mich der Schuhe danach wieder entledigt hatte, wurde die Landung angekündigt und die Lichter gingen an. Ich musste auch geschlafen haben.

    Es wurde emsig im Flugzeug. Viele der Reisenden würden am Ziel der Reise sein, oder gar in der Heimat. Sie waren angekommen. Für sie ging die Reise nicht mehr weiter. Endstation. Andere mussten umsteigen. Wir mussten umsteigen! Für uns ging die Reise noch weiter. Man fragte sich, ob man den Anschlussflug erreichte. Lichter kamen wieder näher.

    Wie kann man in der Dunkelheit ein so großes Flugzeug in diesem Gewimmel von Lichtern sicher landen?

    Man kann es! Wir setzten tatsächlich auf und Lichter rasten an uns vorbei. Es wurde scharf abgebremst. Wir rollten danach lange und langsam auf dem Durcheinander der Rollbahnen dahin. Dann standen wir still. Die Hitze konnten wir nicht sehen, jedoch fühlen, als die Türen geöffnet wurden. Wie eine Mauer trat sie uns entgegen. Wie ein Faustschlag traf sie einen. Wir tauchten in den Honig ein. Mitten in der Nacht. Sie versuchte uns ins Flugzeug zurück zu drängen. Sie wollte uns nicht empfangen.

    Ich mochte es jedoch jedes Mal wieder, ihr zu trotzen und in dieses dickflüssige Medium hineinzutreten und ihr die Stirn zu bieten.

    Ich werde es wieder mögen

    Ein airconditionierter Bus brachte uns zum airconditionierten Terminal. Es war Doha. Fußballweltmeisterschaft 2022. Deswegen war der Flughafen so herausgeputzt. Man wollte die Welt beeindrucken.

    Ich werde mich bei der nächsten WM dann wieder an den Ort erinnern.

    Unser Anschlussflug ging bereits in zwei Stunden.

    Kurze Wartezeiten waren nicht unsere Gewohnheit, aus Angst, den Anschluss zu verpassen. Normalerweise machte uns langes Warten wenig aus, wenn wir damit vermeiden konnten, nervös zu werden. Wir saßen am Gate, langweilten uns und dösten manchmal ein.

    Die Reise an einen Ort, wo man sein will, ist auch immer ein wenig so wie Anlauf holen. „Mit einem Sprung hinein ins … Abenteuer", wollte ich sagen.

    Doch das war es für uns nicht mehr wirklich. Es war eher ein Nachhausekommen. …

    Das eine schließt das andere aber nicht aus.

    Das Gate. Das Tor, die Himmelspforte oder das Tor zur Hölle. Der Schlüssel in eine andere Dimension. Eine Bewusstseinserweiterung.

    Ich werde wieder reisen müssen. Ich werde Ballast abwerfen, um besser weggeblasen werden zu können. Die Winde und die Wellen werden mich treiben müssen. Von selbst geht es nicht mehr.

    Die Destination unseres Fluges war schon genannt. Der Name klang wie Heimat in unseren Ohren: Kathmandu.

    Die zwei Stunden fühlten sich lange an, doch es waren bloß 120 Minuten. Sie gingen vorbei. In der fensterlosen Halle konnten wir nicht sehen, dass es draußen bereits hell war.

    Vom Flugzeug aus sah ich weiße Sandflächen und Palmen. Auf dem Asphalt der Start- und Landebahnen flirrte es wegen der Hitze bereits.

    Die Nacht war kurz gewesen und entsprechen müde war ich. Beim Abheben jedoch, als ich zuerst das türkisfarbene Meer sehen konnte und wenig später den grauen, unwirtlichen und hügeligen Landstrich von Afghanistan auf der linken Seite, war ich hellwach. Es war eine unnatürliche, aufgezogene Wachheit. Eine eher unangenehme Wachheit. Eine künstlich aufrecht erhaltene. Doch um keinen Preis hätte ich schlafen wollen. Ich hätte auch nicht schlafen können. …

    Wir flogen weiter der Sonne zu – dem Tag entgegen. Die Minuten gingen nun wieder etwas schneller. Es gab erneut etwas zu Essen. In meiner Erinnerung tranken wir Wein, obschon es eher zu früh dafür war. Dann muss es wohl Tomatensaft gewesen sein.

    An der Stelle wird mir bewusst, dass die Zeiten nicht stimmen. Nicht stimmen können. Weil es bloß Erinnerungen sind. Nachzuprüfen, wie es gewesen sein muss, dafür nehme ich mir nicht die Mühe. Aber der genaue zeitliche Ablauf ist unwichtig, solange das Große, Allgemeine stimmt. …

    Wir flogen weiter. Nach Afghanistan und Pakistan zeigte sich Indien. Indien war eher wieder grün. Links in der Ferne tauchte die Kette des Himalaya auf. Hohe, mit Schnee und Eis bedeckte Gipfel.

    Wir hatten Freunden viele Gipfelmomente gewünscht, ich weiß. …

    Die Karte zeigt uns auf einem der Gipfel, wo die Luft dünn ist. Auf einem zu stehen, ist in jedem Fall etwas Erhabenes.

    Bei den Gipfeln in der Ferne würde es auch so sein und trotz der dünnen Luft und der damit verbundenen Gefahren wollten wir ihnen nahe kommen. Oder gerade deswegen! …

    Wir näherten uns der Kette in spitzem Winkel. Sie kam deshalb nur langsam näher.

    Zum ersten Mal würden wir am Morgen in Kathmandu landen. - Normalerweise taten wir dies am Abend. - So hatten wir den ganzen Tag noch vor uns. Die Flugzeit betrug auf einmal nur noch etwa eine Stunde. Die Hauptstadt Nepals kam näher. Es war dunstig.

    Die Luftverschmutzung ist groß. Meistens kann man die Kette der Schneeberge von den Hügeln in der Umgebung von Kathmandu schon nicht mehr sehen. Trotzdem freuten wir uns jedes Mal wieder, in der Stadt zu sein. Es ist alles so anders als zuhause. Auch viel schmutziger. Es ist größtenteils nicht schöner.

    Der Unterschied ist es, der es ausmacht.

    Die Gerüche erfreuten mich am meisten, sie stellten für mich den größten Unterschied dar. Gerüche von Gewürzen, von Gerichten, von Räucherstäbchen, von Schweiß – selbst das. Gerüche in der Straße nach Erbrochenem und Hundekot. … Das wilde Hupen der Autos. Die Verbundenheit zu den Göttern. Die fast abgeklärte Ruhe der Leute. All das machte es aus.

    Wir flogen im Tiefflug über Baschupatinath hinweg. Es ist der Ort, wo die Toten verbrannt werden. Die Rauchsäulen waren bereits zu sehen. Baschupatinath war mein Lieblingsort in Kathmandu. Er war für mich transzendent.

    Kurz danach setzten wir auf der einzigen Landebahn auf und bremsten mit rauchenden Reifen ab. Das Flugzeug machte kurz darauf eine Schlaufe nach links und rollte langsam zum Terminal. Auf der rechten Seite sahen wir die kleinen Propeller-Flugzeuge stehen, welche die Touristen in die hohen Berge hinauf bringen mussten. Zum ersten Mal würden wir nicht fliegen. …

    Als das Flugzeug stillstand, drängte man sich ungeduldig durch die schmale Tür in die Hitze hinaus. Auch hier in die Hitze hinaus. Man stolperte auf der Treppe wegen des Gedränges. Es roch schon hier genauso, wie Kathmandu zu riechen hatte. In der Ferne hörten wir, wie Kathmandu zu klingen hatte. Wir waren angekommen!

    Zu Fuß, eskortiert von Personal in leuchtend gelben Westen, ging es weiter zum Flughafengebäude. Von der gegenüberliegenden Seite sah es schöner aus.

    Weshalb versuchten sie nicht, die Ankömmlinge mit einem charmanten Anblick zu erfreuen?

    Bei all denjenigen, die das Land verlassen, spielt eine schöne Ansicht doch keine Rolle. Die Gebäude sehen jeweils aus wie eine Fabrikhalle oder eine Schule.

    Man versuchte, für die Passkontrolle und die Visumangelegenheit möglichst weit vorne in der Schlange zu stehen, mit allen nötigen Dokumenten zur Hand. Der Erste wird der Letzte sein! … Doch eigentlich hatten wir keine Eile. Allerdings ist sie ansteckend.

    In den Himmel gelangt man unbürokratisch und ganz ohne Schlange zu stehen.

    Die ersten persönlichen Nachrichten kamen per Handy an. Wir mahnten zu Geduld, hatten aber selbst fast keine mehr. … Dann, erschreckend schnell, waren wir durch und warteten urplötzlich auf das Gepäck.

    Zum ersten Mal seit Berlin ließen sich unsere Rucksäcke und der Koffer wieder blicken. Sie bewegten sich, in einer Schlangenlinie auf einem Förderband liegend, eingezwängt zwischen andere Gepäckstücke, durch den Raum und kamen immer näher. Gut waren sie nicht verloren gegangen! …

    Danach hatte ich es schon wieder eilig, obschon es immer noch keinen Grund zur Eile gab. Es war ähnlich wie bei den Pferden, denen es auch immer schneller gehen muss, je näher sie beim Stall sind. Ich ließ unser Gepäck nicht aus den Augen. Es sollte jetzt nicht noch verloren gehen. Ein Stück nach dem andern holte ich vom Band.

    Wir verließen den geschützten Raum des Flughafens. Dienste wurden angeboten, oder uns aufgedrängt. Wir kamen ohne sie aus. Es war laut und aufdringlich. Wir hatten keine Hilfe nötig. Man bot schreiend ein Taxi an oder wollte das Gepäck tragen, um ein paar Rupien zu verdienen. Eine Rupie ist uns fast nichts wert.

    Wir wurden von Familie begrüßt. Oder waren es Freunde? „Schwer zu sagen! „Was ist was? „Mit der Familie ist man meistens blutsverwandt!" Sie hängten uns zum Anlass weiße Katas um den Hals. Es gab auch schon farbige – blaue und orangene mit Zeichnungen darauf. Sie fühlten sich wie Seide an. Es war aber keine und sie fransten leicht aus. Wir hatten auch schon Blumenkränze aus orangen Nelken gekriegt.

    Orange Nelken passen, was das Brauchtum angeht, eher zu den Hindus.

    Ich mag den Glauben der Hindus. Die Farbenpracht spricht mich an, vor allem die wunderschönen Rottöne. Sie haben das wunderschönste Rot. Ich mag die vielen Götter und die Weise, wie sie dargestellt werden. Ich mag, dass es keine Dogmatik gibt, dass man sich den Gott wählen kann, welcher einem am besten entspricht. Es wird sich in der Zukunft vielleicht die Möglichkeit ergeben, mich diesem Glauben mehr zu widmen.

    Doch alles vermischt sich mehr und mehr, so dass man nicht mehr sagen kann: das ist das und das ist das. Jeder nimmt vom anderen das, was schön ist. Die Nelken waren schön und rochen gut. Katas sind auch schön. ...

    Zusammen gingen wir zum Taxi. Es stand bereit, weil unsere Freunde – oder Familie? – damit zum Flughafen hergefahren waren. Taxis sind klein, daher passten unsere beiden Rucksäcke, der Koffer und wir vier Personen schlecht hinein. Doch man war nicht strikt, was Regeln angeht. Man würde auch mit offenen Türen fahren oder mit jemandem, der auf dem Dach liegt. …

    Wir holten noch Geld aus dem Automaten und ließen die anderen warten. Von der ganzen Stadt funktionierten die Geldautomaten hier am besten. …

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