Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Gesammelte Werke
Gesammelte Werke
Gesammelte Werke
eBook4.495 Seiten65 Stunden

Gesammelte Werke

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Knut Hamsun ist ein norwegischer Schriftsteller, der 1920 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Er war ein Pionier der psychologischen Literatur mit der Technik des Bewusstseinsstroms und des inneren Monologs und beeinflusste Autoren wie Thomas Mann, Franz Kafka, Stefan Zweig, Herman Hesse und Ernest Hemingway.
Diese Sammlung enthält:
Romane
Benoni
Rosa
Das letzte Kapitel
Unter Herbststernen
Gedämpftes Saitenspiel
Die letzte Freude
Die Stadt Segelfoß
Kinder ihrer Zeit
Die Weiber am Brunnen
Hunger
Mysterien
Pan
Segen der Erde

Novellen
Sklaven der Liebe
Der Sohn der Sonne
Zachäus
Über das Meer
Ein Erzschelm
Vater und Sohn
Frauensieg
Eine Straßenrevolution
Alexander und Leonarda
Sommerwonne
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum17. Feb. 2023
ISBN4064066459574
Gesammelte Werke
Autor

Knut Hamsun

Born in 1859, Knut Hamsun published a stunning series of novels in the 1890s: Hunger (1890), Mysteries (1892) and Pan (1894). He was awarded the Nobel Prize for Literature in 1920 for Growth of the Soil.

Ähnliche Autoren

Ähnlich wie Gesammelte Werke

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Gesammelte Werke

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Gesammelte Werke - Knut Hamsun

    Romane

    Inhaltsverzeichnis

    Benoni

    (d.v. Pauline Klaiber-Gottschau, edited by Julius Sandmeier)

    Inhaltsverzeichnis

    I

    II

    III

    IV

    V

    VI

    VII

    VIII

    IX

    X

    XI

    XII

    XIII

    XIV

    XV

    XVI

    XVII

    XVIII

    XIX

    XX

    XXI

    XXII

    XXIII

    XXIV

    XXV

    XXVI

    XXVII

    XXVIII

    I

    Inhaltsverzeichnis

    Zwischen dem Meer und Benonis Haus liegt ein Wald. Er gehört nicht Benoni, sondern der Gemeinde. Es ist ein großer Mischwald aus Tannen, Birken und Espen.

    Zu einer bestimmten Zeit des Sommers kommen die Leute aus zwei Kirchspielen hier zusammen und hausen und fällen nach Herzenslust; wenn sie fertig sind und das Holz heimgefahren haben, liegt der Wald das ganze Jahr wieder still da, und Tiere und Vögel haben wiederum eitel Frieden. Dann und wann kommt ein Lappe, der von einem Kirchspiel in das andere wandert, durch den Wald; sonst hat nur Benoni hier Sommer wie Winter seinen Weg. Und Benoni geht bei trockenem und bei nassem Wetter, wie es sich trifft, er ist ein starker und fester Kerl, der sich vor keinem Hindernis fürchtet.

    Benoni ist Fischer wie alle anderen an der Küste. Daneben aber bringt er die Post über das Gebirge und wieder zurück, alle vierzehn Tage macht er diese Wanderung und hat seine feste kleine Bezahlung für diese Arbeit. Nicht alle bekommen jedes Vierteljahr festen Lohn vom Staat, und deshalb ist Benoni ein richtiger Teufelskerl unter seinesgleichen. Wohl kam es manchmal vor, daß der eine oder andere nach einem glücklichen Heringsfang draußen heimkam und vor Stolz über Geld und Ansehen pfeifend einherging. Aber das war nicht von langer Dauer. Die guten Leute steckten alle so tief in Schulden beim Kaufmann Mack auf Sirilund, daß, wenn sie diese getilgt hatten, ihnen selber nur noch eine Erinnerung an die Zeit verblieb, in der sie vor lauter Reichtum auf den Wegen gepfiffen hatten. Benoni dagegen kam unveränderlich Jahr für Jahr mit des Königs Post auf dem Rücken daher und war ein ganzer Teufelskerl und wie die Obrigkeit selbst mit dem Wappenschloß und Löwen auf der Posttasche.

    Eines Morgens kam er durch den Gemeindewald und wollte über das Gebirge. Es war Sommer, und da und dort fällten die Leute Bäume im Wald. Und die Tochter des Nachbarpfarrers war auch anwesend und hatte einen Federhut auf.

    Da ist der Benoni, jetzt bekomme ich Begleitung nach Hause, sagt sie. Und sie hieß Rosa.

    Benoni grüßt und meint: ja, wenn sie mit ihm vorlieb nehmen wolle.

    Sie war eine stolze Dame, Benoni kannte sie wohl, er hatte sie aufwachsen sehen; jetzt aber war er ihr seit einem Jahr nicht mehr begegnet. Wo war sie wohl gewesen?

    Und der Küster Arentsen auf dem Küstershof hatte einen Sohn, einen hellen Kopf, der nun seit mehreren Jahren im Süden die Rechte studierte; da besuchte Rosa wohl den jungen Arentsen, wenn sie von daheim fort war. Niemand wußte etwas Bestimmtes. Rosa war so schweigsam.

    Eija. Rosa hatte wohl auch ihre kleinen Geheimnisse und war merkwürdig für sich selbst, so für ihren eigenen Bedarf. Wie zum Beispiel heute. Mußte sie doch schon um vier Uhr morgens in Wald und Feld hinausgegangen sein, um gegen acht Uhr im Gemeindewald sein zu können. So unternehmend und furchtlos war sie. Auch ihr Vater war ein stolzer und großer Mann, in seinen Freistunden ging er auf die Jagd und trieb allerlei Tierfang. Aber außerdem war er ein berühmter Kanzelredner.

    Ein paar Stunden lang gingen Benoni und Rosa plaudernd dahin, und sie fragte ihn nach vielen Dingen. Sie setzten sich und hielten Rast. Benoni bot ihr von seinem einfachen Mundvorrat an, und sie aß tüchtig davon, um ihn zu ehren. Dann gingen sie noch eine Stunde; es fing an warm und in Strömen zu regnen und Rosa schlug vor, daß sie sich irgendwo unterstellen sollten. Aber Benoni, der die Post des Königs trug, hatte keine Zeit dazu. Sie gingen noch eine Weile, da glitt Rosa im Schmutz aus und konnte nun nicht mehr so recht gehen.

    Benoni sah sie an und die Dame dauerte ihn. Er blickte zum Himmel auf und erkannte, daß der Regen in kurzer Zeit aufhören würde; um ihr einen Gefallen zu tun, sagte er:

    Wenn Sie damit vorlieb nehmen wollen, unter einem einfachen Felsen zu sitzen.

    Sie gingen zu einem steilen Felsen, dort war eine richtige Höhle.

    Hier kann man ja großartig sitzen, sagte Rosa und kroch ganz hinein. Wenn man nun auch noch deine Löwentasche bekommen könnte, Benoni, um darauf zu sitzen.

    Das wage ich nicht, antwortete Benoni entsetzt. Aber wenn Sie eine getragene Joppe nicht verschmähen.

    Damit zog Benoni seine Joppe ab und gab sie der Dame, damit sie sich darauf setzen konnte.

    Wie flink er ist! dachte sie wohl ihrerseits, und der junge Mann gefiel ihr recht gut. Sie scherzte mit ihm und wollte auch den Namen seines Mädchens wissen.

    Als ungefähr zehn Minuten verstrichen waren, stieg Benoni wieder ans Tageslicht und erforschte noch einmal den Himmel. In diesem Augenblick kam ein Lappe vorbeigewandert und sah ihn. Und das war noch dazu der Lappe Gilbert.

    Regnets noch? fragte Benoni, um etwas zu sagen. Er war ein wenig verlegen.

    Nein, es ist klar, antwortete der Lappe.

    Benoni holte die Posttasche und seine Joppe aus der Höhle, und die Pfarrerstochter folgte ihm nach.

    Das beobachtete der Lappe  .....

    Und der Lappe Gilbert ging zur Küste und brachte die Neuigkeit in der Gemeinde herum und ging damit sogar bis in den Laden auf Sirilund.

    Du, Benoni, sagten die Leute von diesem Tag an im Scherz, was triebst du denn mit der Pfarrerstochter Rosa in der Höhle? Du kamst halb nackt und ganz erhitzt aus der Höhle heraus und hattest keine Joppe an. Was soll man davon halten?

    Du sollst davon halten, daß du eine Klatschbase bist, antwortete Benoni, als die Obrigkeit, die er war. Laß mich nur den Lappen treffen, der das gesagt hat!

    Aber die Zeit verging, und der Lappe Gilbert wagte wieder Benoni zu begegnen.

    Hallo, was hast du damals in der Höhle gemacht und was hast du dort verrichtet? sagte er vorsichtig. Und er lächelte mit kleinen Augen, als sähe er in die Sonne.

    Kümmere dicht nicht darum, sagte Benoni unergründlich und lächelte auch. Mehr tat er dem Lappen nicht.

    Benoni hatte angefangen durch das große Gerede, das von ihm und Rosa, der Pfarrerstochter, umlief, ein wenig hoffärtig zu werden. Es ging auf Weihnachten zu; als er mit seinen kläglichen Genossen beim Weihnachtsbranntwein saß, war er tatsächlich ein Mann, der es weit gebracht hatte. Jetzt hatte der Lensmann ihn auch zum Gerichtsboten erwählt, und es gab keine Auktion oder Verpfändung mehr, bei der Benoni nicht zugegen war. Da er im Lesen und Schreiben gut bewandert war, durfte er auch ohne weiteres die Bekanntmachungen des Lensmannes am Kirchberg oben verlesen.

    Ja, das Leben war gefällig, das Leben war höflich gegen Benoni, gegen Postbenoni. Und alles, womit er sich befaßte, glückte ihm. Rosa, die Pfarrerstochter, war bald nicht mehr im geringsten zu gut für ihn.

    Damals in der Höhle! sagte er und schnalzte mit der Zunge.

    Du wirst wohl nicht behaupten, daß du sie gehabt hast? fragten die Kameraden.

    Benoni antwortete:

    Es ging schon gar nicht anders.

    O Wunder! Und jetzt sollst du sie bekommen?

    Benoni antwortete wieder:

    Mach dir keine Sorgen. Das kommt jetzt einzig und allein auf den Benoni und mich an.

    Aber was wird der Nikolai vom Küstershof dazu sagen?

    Was der Nikolai dazu sagen wird? Der hat gar nichts dabei zu sagen.

    Nun war es heraus.

    Und es wurde so oft und von so vielen wiederholt, daß es doch seine Richtigkeit haben mußte. Wer weiß, vielleicht fing Benoni selbst an, es zu glauben.

    II

    Inhaltsverzeichnis

    Wenn der angesehene Pfarrer im Nachbarkirchspiel, Herr Jacob Barfod, jemand durch einen Boten wissen ließ, daß er mit ihm sprechen wollte, blieb nichts anderes übrig als hin zu gehen. Er hatte zwei Türen vor seinem Arbeitszimmer, die eine hinter der anderen, und die Leute pflegten schon zwischen diesen beiden Türen die Mütze abzunehmen.

    Als Benoni das nächstemal mit der Post kam, sandte der Pfarrer einen Boten nach ihm.

    Das habe ich jetzt für meine Großsprecherei! dachte Benoni voll Angst. Der Pfarrer hat gehört, womit ich geprahlt habe, und jetzt will er mich zugrunde richten und vernichten. Da aber der Bote nach ihm gesandt worden war, blieb ihm nichts anderes übrig als zu gehen. Benoni nahm die Mütze zwischen den beiden Türen ab und trat ein.

    Doch der Pfarrer war heute nicht gefährlich. Im Gegenteil, er wollte Benoni um einen Gefallen bitten.

    Du siehst diese Blaufuchsfelle hier, sagte er. Ich habe sie schon seit dem Frühwinter hier. Ich werde sie nicht los. Nimm sie mit zu Mack auf Sirilund.

    Benoni war so wunderbar erleichtert, daß er zu schwätzen anfing:

    Ja, das will ich wirklich gerne tun. Und noch diesen Abend, heute abend um sechs Uhr.

    Sage Mack von mir, daß der Blaufuchs auf acht bis zehn Speziestaler steht.

    Benoni schwätzte in seiner großen Erleichterung wieder:

    Zehn Speziestaler? sagen Sie zwanzig. Sie sollen sie nicht um einen Spottpreis hergeben, wirklich nicht.

    Und dann bringst du mir das Geld, Benoni.

    Ja, das nächstemal. So sicher, wie ich hier vor Ihnen stehe  ... Ich werde das Geld hier auf Ihren Tisch legen.

    Als Benoni über das Gebirge heimging, fühlte er weder Hunger noch Müdigkeit vor lauter Zufriedenheit mit sich selbst und dem Leben. Sieh an, der Pfarrer begann schon, ihn zu Dienstleistungen zu benützen, er gliederte ihn gewissermaßen der Familie an. Eines Tages würde Fräulein Rosa wohl noch einen Schritt weiter gehen.

    Er bekam ganz richtig zehn Taler für das Stück, und brachte das Geld getreulich und sicher zurück. Diesmal aber war der Pfarrer abwesend, er traf seine Frau und mußte ihr das Geld abliefern. Er bekam Kaffee und Schnaps für seine Mühe.

    Und wieder ging Benoni heimwärts zu seiner Hütte an der Küste. Er hatte viele Gedanken. Jetzt mußte Fräulein Rosa etwas tun; es ging auf den Frühling zu und es war Zeit zu einer Entscheidung.

    Da schrieb er einen Brief an die Tochter des Pfarrers, und er geriet ihm gut.

    Schließlich bat er sie mit offenen Worten, sie möchte doch die Hand nicht ganz von ihm abziehen. Und ehrerbietigst Benoni Hartvigsen, Gerichtsbote.

    Den Brief überbrachte er selbst  ...

    Jetzt aber war das Leben nicht mehr höflich gegen Benoni.

    Seine Prahlerei und die schamlose Erdichtung beim Weihnachtsschnaps hatten endlich das Nachbarkirchspiel und Rosa erreicht. Jetzt kamen schlimme Zeiten.

    Der Pfarrer sandte wieder einen Boten zu ihm. Benoni hatte sich wie stets in letzter Zeit schön und gut angezogen und trug eine Joppe über der anderen, um die äußere aufschlagen zu können, und außerdem hatte er ein besonders schönes Kattunhemd an.

    Es ist die Antwort auf den Brief, dachte Benoni, er möchte meine Absichten kennen lernen, er hat ja recht, es gibt viele niedrige Verführer und Betrüger auf dieser Welt, aber dazu gehöre ich nicht.

    Benoni ist beklommen. Auf dem Pfarrhof angelangt, ging er zuerst in die Küche, um dort irgend eine Neuigkeit zu erfahren, vielleicht konnte ihm auch ein Gesichtsausdruck etwas verraten.

    Der Pfarrer wollte mit dir sprechen, sagten die Mädchen.

    Na, mehr wie ein Nein würde er auf seinen Brief auf keinen Fall bekommen. Und das wollte er schon wie ein Mann ertragen. Gar so versessen war er ja auf die Pfarrerstochter auch niemals gewesen.

    Jawohl, antwortete er den Mädchen und richtete sich auf. Ich werde schon zum Pfarrer hineingehen. Und er fuhr sich durch seinen Haarpelz; er hatte so dickes und zottiges Haar.

    Er will mich nur um einen neuen Gefallen bitten, dachte er auf seinem Weg zum Arbeitszimmer.

    Dort standen, als er eintrat, der Pfarrer und auch seine Tochter. Keines beantwortete seinen Gruß. Der Pfarrer hielt ihm ein Papier hin und sagte:

    Lies das!

    Dann begann der Pfarrer im Zimmer auf und ab zu gehen, während Rosa aufrecht und stumm am Schreibtisch stand.

    Benoni las. Es war eine Erklärung – daß ich das, was ich, Benoni Hartvigsen an ehrenrührigen Erfindungen über mich und Fräulein Rosa Barfod verbreitet habe, hiermit öffentlich zurücknehme und das Ganze für eine schändliche Unwahrheit erkläre.

    Benoni hatte Zeit genug, es zu lesen. Schließlich fragte der Pfarrer, durch Benonis immer stärker zitternden Hände und dessen langes Schweigen gereizt:

    Hast du es noch nicht zu Ende gelesen?

    Doch, antwortete Benoni leise.

    Was sagst du dazu?

    Benoni stammelte:

    Es ist wohl so. Es war nicht anders zu erwarten.

    Und Benoni schüttelte den Kopf.

    Der Pfarrer sagte:

    Setz dich hierher und schreibe deinen Namen unter die Erklärung.

    Benoni legte seine Mütze auf den Boden, ging zusammengesunken an den Tisch und schrieb. Er vergaß nicht einen langen Schnörkel unter seinen Namen zu machen, wie er es sich angewöhnt hatte.

    Dieses Papier wird jetzt an den Lensmann in deinem eigenen Kirchspiel zur Verlesung auf dem Kirchberg gesandt, sagte der Pfarrer.

    Benoni war ganz dumpf und schwer im Kopfe, er antwortete:

    Ja, das wird es wohl.

    Während dieser ganzen Zeit stand Rosa aufrecht und stumm am Schreibtisch  ...

    Das Leben war nicht mehr höflich. Bald kam der Frühling, die Krähen fingen an Zweige zusammenzutragen; wo aber waren die Freude, der Gesang, das Lächeln und die Herrlichkeit? Und was scherte sich Benoni jetzt um den reichen Heringsfang! Er hatte an drei Großnetzen, die einen Fang gemacht hatten, kleine Anteile und hatte im stillen gedacht, dies könnte ihm und Rosa, der Pfarrerstochter, zugute kommen, – wie jämmerlich töricht war er gewesen!

    Einen Tag und eine Nacht lang blieb er vor Gram im Bett liegen und sah sein altes Hausmädchen kommen und gehen und wiederum kommen. Und wenn sie ihn fragte, ob er krank sei, so war er krank, und fragte sie, ob es ihm jetzt nicht besser ginge, so war er nachgiebig und antwortete, doch, es ginge ihm besser.

    Auch den nächsten Tag lag er noch im Bett. Es wurde Samstag. Vom Lensmann kam ein Bote mit einem Paket.

    Ein Mann ist da mit einem Paket vom Lensmann, sagte das Mädchen an seinem Bett.

    Benoni antwortete:

    So. Ja, leg das Paket dorthin.

    Das sind die Bekanntmachungen, die ich morgen verlesen muß, dachte Benoni. Er blieb noch eine Weile liegen, plötzlich steht er auf und öffnet das Paket: Auktionen, entwichene Gefangene, die jährliche Steuerverteilung. Und da lag auch seine eigene Erklärung. Er greift sich mit beiden Händen an den Kopf.

    So sollte er es also selbst tun, sollte am Kirchberg stehen und seine eigene Schande verkünden!

    Er biß die Zähne zusammen und sagte:

    Jaja, Benoni!

    Als aber der nächste Tag kam und heller Sonnenschein, da verlas er seine eigene Erklärung nicht. Alles andere las er vor, aber dies nicht; die Sonne, die Sonne war zu stark, und hundert Augen sahen ihm gerade ins Gesicht.

    In tiefer Niedergeschlagenheit begab er sich nach Hause; er vermied jede Begleitung und nahm den Weg durch Wald und Moore, um allein zu sein. Ach, das war das letztemal, daß ihm eine Begleitung angeboten wurde, die er nicht annahm, es würde sich ihm nie wieder einer anbieten.

    Bald kam es an den Tag, daß Benoni am Kirchberg Papiere unterschlagen hatte. Am nächsten Sonntag setzte sich der Lensmann die Mütze mit dem Goldrand auf und verlas selbst die Erklärung in Anwesenheit von vielen Leuten.

    Etwas Unerhörtes war in der Gemeinde geschehen, und das Geschwätz summte von Berg zu Berg. Benoni war gefallen, er lieferte auch die Tasche mit dem Löwen darauf ab und hatte die Post zum letzten Mal ausgetragen. Jetzt war er zu gar nichts mehr auf Gottes weiter Welt da.

    Er ging heim zu seiner Hütte und grübelte und grämte sich eine Woche lang. Da kam an einem Abend ein Netzmeister zu ihm ins Haus und brachte ihm seinen Anteil am Fischfang. Danke! sagte Benoni. Am Abend darauf kam der Netzmeister Norum, der gleich vor Benonis Hütte einen großen Fang gemacht hatte. Von ihm bekam Benoni drei kleine Anteile am Netz und außerdem einen großen Strandanteil. Danke! sagte Benoni.

    Ihm war es gleich, er war zu nichts mehr zu gebrauchen.

    III

    Inhaltsverzeichnis

    Kaufmann Mack auf Sirilund war mächtig genug, mit einem Menschen etwas Gutes oder etwas Böses zu beginnen, ganz wie er wollte. Und seine Seele war sowohl schwarz wie weiß. Darin, daß er tun und lassen konnte, was er wollte, glich er seinem Bruder Mack auf Rosengaard; aber er übertraf ihn dann und wann dadurch, daß er etwas tat, was er nicht tun durfte.

    Nun ließ Mack durch einen Boten dem Benoni ausrichten, daß er sich sofort auf Sirilund einfinden solle.

    Benoni folgte dem Boten, der noch dazu einer von Macks Ladengehilfen war.

    Benoni hatte jetzt Angst vor allem in der Welt und sagte entmutigt:

    Was will er wohl von mir? Sah er ungnädig aus?

    Ich könnte nicht sagen, was er von dir will, antwortete der Gehilfe.

    Gehen wir also in Gottes Namen! sagte Benoni finster.

    Als er vor Macks Kontor stand, war er niedergeschlagener und demütiger denn je. Er stand so lange da, räusperte sich und machte sich schön, daß Mack selber ihn draußen hörte und die Türe mit einem Ruck öffnete.

    Na – komm herein! sagte Mack selbst.

    Und niemand hätte ihm ansehen können, ob er Benoni aufrichten oder hinabstürzen wollte.

    Mack sagte:

    Du hast dich schlecht aufgeführt.

    Ja, antwortete Benoni.

    Aber die anderen haben sich ebenso schlecht aufgeführt, sagte Mack.

    Mit diesen Worten begann er im Zimmer auf und ab zu gehen und sich dann ans Fenster zu stellen und hinauszusehen. Plötzlich wandte er sich um und fragte:

    Du hast in letzter Zeit einen ziemlichen Brocken Geld verdient?

    Ja, erwiderte Benoni.

    Was willst du damit machen?

    Ich weiß nicht. Mir ist alles gleich.

    Du solltest Heringe dafür kaufen, sagte Mack. Hier, gleich vor meiner Türe gibt es Heringe. Du salzt und verarbeitest den ganzen Hering, den du für dein Geld bekommen kannst und sendest ihn nach dem Süden. Tonnen und Salz nimmst du, wenn du willst, von mir.

    Eine Weile verging, ehe Benoni den Mund aufmachen wollte, und Mack fragte kurz und bündig:

    Nun, fängst du morgen an?

    Wenn Sie meinen, antwortete Benoni.

    Mack ging wieder ans Fenster und wandte dem Zimmer den Rücken zu, er überlegte offenbar.

    Ho, Mack war ein großer Herr und ein Denker! Benoni bekam ein wenig Zeit und begann nun auch seinerseits zu denken. Mack war bei Geschäften ein glatter Teufel, seine Seele war vielleicht mehr schwarz als weiß. Benoni wußte, daß Mack den größten Teil des Herings besaß, der im Großnetz vor seiner Hütte stand, jetzt wollte er die Gelegenheit benützen und etwas abstoßen, gut verkaufen. Das Jahr war schon vorgeschritten und der Hering konnte leicht verderben. Außerdem konnte Mack nun von seinem großen Faßlager und von seinem Salz verkaufen.

    Benoni überdachte dies alles und sagte:

    Das kommt eben auf den Preis an. Das ist klar.

    Ich will dir helfen, antwortete Mack und wandte sich um. Du sollst wieder mit irgend etwas in Gang kommen. Du hast gefehlt, aber das haben andere auch getan, jetzt mag es mit der Prüfung genug sein.

    Er meint es wirklich so, dachte Benoni. Er fühlte sich auf einmal weich und dankbar und sagte:

    Ich danke Ihnen vielmals.

    Nun sprach Mack als der mächtige Mack und sagte:

    Ich habe vor, unserem guten nachbarlichen Pfarrer einen kleinen Brief zu schreiben. Im übrigen bin ich Rosas Pate, ich habe ihr und ihrem Vater ein paar Worte zu sagen. Na, das brauchst du ja eigentlich nicht zu wissen. Wieviel Geld hast du?

    Oh, es kann schon etliches ausmachen, alles in allem.

    Du verstehst, sagte Mack, daß deine Taler natürlich weiter keine Rolle für mich spielen. Ich darf wohl behaupten, daß du das ganz genau weißt. Also deshalb geschieht es nicht. Aber ich möchte dir wieder auf die Beine helfen.

    Ja, Dank und Ehre dafür.

    Du fragtest nach dem Preis. Darüber können wir morgen sprechen. Wir treffen uns ja auf dem Schiff.

    Mack nickte zum Zeichen, daß sie fertig wären; aber als Benoni in der Türe stand, rief er:

    Ach höre, da ich schon von dem Brief gesprochen habe, hier ist er. Du kannst ihn wohl in den Postkasten werfen, dann wird er morgen abgesandt  ...

    Benoni wurde Heringsaufkäufer. Er stellte Leute an, die die Heringe ausnahmen und einsalzten und seine Tonnen hin und her rollten. Wenn Mack auf Sirilund ihm sein Vertrauen wieder geschenkt hatte, wer wäre dann so eingebildet gewesen, sich noch zurückzuhalten? Schließlich fühlte Benoni etwas von der alten Freude und Macht in seiner starken Brust.

    Er hatte sich keineswegs zu irgendeinem dummen Kauf von Mack verleiten lassen. Von dem Augenblick an, als ihm die erste kleine Aufmunterung zuteil geworden war, wurde er wieder der rasche und verständige Bursche, und er setzte nicht sein ganzes Geld auf den Hering. Die Hälfte tut es auch! dachte Benoni. Außerdem war jetzt Macks Brief an Pfarrer Barfod abgegangen, und Mack konnte ihn nicht mehr zurücknehmen.

    Benoni kaufte Hering, salzte Hering ein und fing an sich wieder zu ermannen. Er merkte jetzt, daß die Leute ihn wieder grüßten, wenn er vom Arbeitsplatz kam und ging, und daß sie Sie zu ihm sagten, weil er ein Kaufmann unter ihnen geworden war.

    Sein Heringshandel hätte leicht schlecht für ihn ausgehen können, und Mack selbst verdiente schwerlich das Vermögen daran, das er sich anfangs erwartet hatte. Während aber Mack es im Großen anpackte und zwei Lastdampfer mit seiner Menge von Heringen nach Bergen sandte, lieh Benoni sich im kleinen Stil eine von Macks Jachten und segelte sie selbst mit zwei Mann im Frühling nach dem Süden. Er legte bei großen und kleinen Orten an und verkaufte seine Ware tonnenweise. Es hätte ihm schlechter gehen können, er verdiente ein wenig und legte Geld auf die Seite. Um Johanni kam er wieder nach Hause.

    Da geschah es, daß Rosa, die Pfarrerstochter, wieder seinen Weg kreuzte. Er traf sie an der Kirche, sie ritt. Es kam selten vor, daß man einen Reiter im Kirchspiel sah, und alle Kirchengänger betrachteten sie neugierig. Benoni grüßte demütig und langsam mit seinem Hut und erreichte, daß sie nickte. Auf ihrem Gesicht lag kein Schatten, dann ritt sie im Schritt weiter, ihr Schleier wehte im Wind weit nach hinten wie blauer Rauch. Sie war wie eine Erscheinung.

    Auch diesmal ging Benoni durch Moore und Wald von der Kirche heim. Ich bin erbärmlicher als viele andere Geschöpfe, dachte er, aber die feine Dame hat vielleicht gehört, daß ich wieder auf die Beine gekommen bin, und daß ich mich ein wenig hinaufarbeite. Weshalb hätte sie sonst genickt?

    Gegen Ende des Sommers wurde ihm angeboten, Macks Klippfische auf der Galeasse nach Bergen zu segeln. Er war noch niemals in Bergen gewesen, aber einmal mußte es ja das erstemal sein; fanden andere den Weg, so fand er ihn wohl auch.

    Ich sehe, du hast in verschiedenen Dingen eine glückliche Hand, sagte Mack zu ihm.

    Ich habe die Hände und Füße, die Sie mir wieder gegeben haben, antwortete Benoni ganz richtig und ließ Mack die Ehre.

    Es war kein kleiner Schritt bis zum Schiffer auf der Galeasse Funtus. Benoni stand nun mindestens auf einer Stufe mit dem Schullehrer der Ortschaft, und da er Geld besaß, brauchte er auch den kleinen Handelsleuten draußen auf den Schären nicht aus dem Weg zu gehen.

    Einige Zeit vor Weihnachten kam er mit der Galeasse wieder heim, alles war gut gegangen und sein Fahrzeug voll beladen mit allerlei Waren, die Mack auf diese Weise von Bergen heimschaffen ließ, um die Fracht zu sparen.

    Benoni fühlte sich innerlich wie ein Admiral, als er von der Galeasse an Land ging und die Grüße der Leute auf der Landungsbrücke beantwortete. Mack empfing ihn gut und fein und bewirtete ihn in seinem eigenen Zimmer mit Schnaps. Es war zum erstenmal, daß Benoni hier saß. An den Wänden hingen große Gemälde und es gab hier vergoldete Möbel, die Erbstücke waren, und an der Decke hing ein Lüster mit Hunderten von Fransen aus klarem Kristall. Danach gingen sie auf das Kontor, wo Benoni seine Abrechnung vorlegte und Mack ihm dankte.

    Benoni stand jetzt höher im Ansehen als jemals, und die Leute, an ihrer Spitze Mack selbst, fingen so nach und nach an, ihn Hartvigsen zu nennen. Nicht einmal in jenen Tagen, da er königlicher Postbote und Gerichtsbote gewesen war, hatte ihn irgend jemand Hartvigsen genannt, aber jetzt hieß er so. Er schaffte sich Vorhänge für die Fenster seines Zimmers an, was man übrigens eine Anmaßung von ihm nennen konnte, – im Haus des Küsters wurde darüber auch getuschelt. Er hatte von Bergen einige feine weiße Hemden mitgebracht, die er anzog, wenn er zur Kirche ging  ...

    In den Weihnachtsfeiertagen wurde er zu Mack eingeladen. Mack war jetzt allein, seine Tochter Edvarda hatte sich mit einem finnischen Baron verheiratet und kam nie mehr nach Hause; in seinen Stuben herrschte nun eine fremde Haushälterin über alles, aber sie verstand ihre Sache und liebte Geselligkeit.

    Es waren mehrere Gäste geladen, und auch Rosa war da. Als Benoni sie sah, glitt er demütig und ganz schief durchs Zimmer an eine Wand hin.

    Mack sagte:

    Das ist Fräulein Barfod, du kennst sie. Sie gehört nicht zu jenen, die etwas nachtragen.

    Ich höre von meinem Paten, daß du unschuldig bist, Benoni, sagte Rosa klar und geradezu. Ihr hättet beim Weihnachtsschnaps zusammengesessen und ein anderer habe es gesagt. Das ändert die Sache.

    Ich weiß nicht  ... Es könnte doch sein, daß ich selbst  ... es nicht sagte, murmelte Benoni.

    Von dieser Sache soll jetzt gar nicht mehr gesprochen werden, mischte Mack sich ein und führte Rosa wie ein Vater fort.

    Benoni wurde es besser zumute, es wurde leichter, heller um ihn. Mack hatte ihm wieder geholfen, ja, hatte ihn wie weiße Wolle reingewaschen. Er ermannte sich so weit, daß er zum Lensmann ging und ihn begrüßte. Später, bei Tisch betrug er sich ja vielleicht nicht in jeder Beziehung so wie die anderen Herren; aber er beobachtete gut und lernte manches an diesem Abend. Macks Haushälterin saß neben ihm und war ihm eine gute Wirtin.

    Aus dem Gespräch bei Tisch hörte er, daß Rosa wieder eine kleine Reise machen sollte. Heimlich sah er sie an. Stolz und fein war eben stolz und fein, da gab es nichts! Was konnte es da helfen, wenn man auch Geld am Hering verdiente und sich Vorhänge an die Fenster hängte; war man nicht zur Größe geboren, so blieb man doch eben immer Benoni. Rosa konnte nicht mehr so ganz jung sein, aber sie hatte herrliches hellbraunes Haar und lachte voll und schön mit ihrem reifen Mund. Und niemand hatte eine so volle Brust wie sie. Ich werde nicht noch einmal ein Narr sein und zu ihr aufsehen, dachte Benoni.

    Es sind bereits Heringe in den Fjorden eingeschlossen, sagte Mack heimlich zu ihm und zeigte ihm ein Telegramm. Komm morgen früh aufs Kontor.

    Benoni wäre jetzt am liebsten eine Zeitlang daheim geblieben und hätte die Achtung genossen, die er durch die Führung der Galeasse gefunden hatte. Aber er ging trotzdem am nächsten Morgen zu Mack.

    Ich habe dir ein Angebot zu machen, sagte Mack. Ich überlasse dir mein Großnetz gegen bare Bezahlung, und du kannst nun selbst Fischfang treiben. Wie gesagt, der Hering wird bereits in den Fjorden gefangen.

    Benoni war nicht undankbar, und er dachte an die Hilfe, die Mack ihm gestern abend geleistet hatte. Aber das Großnetz war nicht mehr so, wie es hätte sein sollen. Er sagte nur:

    Aber dazu bin ich noch nicht Manns genug.

    Doch, das bist du, das bist du schon, antwortete Mack. Du hast eine glückliche Hand. Bei mir ist das eine andere Sache, ich muß immer andere anstellen, und ich habe niemand, der den Fischfang betreiben könnte.

    Ich will es lieber für Sie tun, erbot sich Benoni.

    Mack schüttelte den Kopf und sagte:

    Du sollst es billig bekommen mit Booten und Gerätschaften, samt den zwei Ferngläsern. Du sollst es zu einem Spottpreis bekommen.

    Ich will es mir überlegen, antwortete Benoni bedrückt.

    Er überlegte und überlegte, aber es endete doch damit, daß er das Netz kaufte. Es gab niemand, der Mack gleich kam, und er wagte nicht ohne seine Gnade zu sein. Er stellte sich Leute an und segelte mit dem Groß-Netz in die Fjorde hinein.

    Nun kam es auch auf die Gnade des Himmels an!

    Drei Wochen lang lag er zusammen mit anderen Fischerbooten und spähte aus. Der Hering war nur unbedeutend. Er warf das Netz ein paarmal aus, aber es wurde nicht mehr als eine Mahlzeit für die Mannschaft, und sein großes Netz war zu kostbar dafür. Er wurde immer finsterer und finsterer, der größte Teil seines Reichtums bestand nun in einem halbabgenützten Großnetz, das nichts verdiente, sondern nur jeden Tag ein wenig mehr verfaulte. Mack war nun doch eine teure Hilfe für ihn gewesen.

    Eines Abends sagte er zu seinen Leuten: Da ist nichts zu machen. Wir warpen uns heute nacht wieder hinaus.

    In aller Stille fuhren sie fort, warpten und segelten. Die Nacht war rauh und kalt, sie hielten sich nahe dem Land. Es ging gegen Morgen. Benoni war eben im Begriff, das Ruder zu verlassen und sich in schlechter Laune hin zu legen, als er draußen im Meer ein fernes Brausen hörte. Er sah in der Dunkelheit nach Osten und sah nach Westen, bemerkte aber kein Anzeichen eines Sturmes. Wie seltsam die Luft ist! dachte Benoni. Er blieb weiterhin am Ruder und steuerte dem Lande entlang, das Meer zur Seite, es wurde ein wenig heller, ein nebliger Tag brach an. Jetzt hörte er das merkwürdige Geräusch in der Luft näher kommen. Plötzlich erhebt sich Benoni und späht aus, noch war nicht viel zu sehen, aber er begriff aus den fernen Vogelschreien, was zu erwarten war. Augenblicklich trieb er seine Leute an und wies sie an ihre Posten.

    Es war der Hering, der vom Meer her kam.

    Von einem ungeheueren Walfischschwarm, einem Wirrwar, einem tausendfachen Geschrei von Vögeln wurde der Hering in den Fjord hineingetrieben.

    Benonis Boote befanden sich zu weit an der Seite, beinah dicht am Land, und bis er die Segel klargemacht hätte und mitten in den Fjord gekommen wäre, wären Fische und Vögel an ihm vorbei gezogen gewesen. Die See war weiß von den Fontänen der Walfische und von den Seevögeln.

    Wir hätten nicht fortsegeln sollen, dachte Benoni finster.

    Da war nun nichts anderes zu machen, als viele Stunden lang wieder in den Fjord zurückzukreuzen, um möglicherweise zum Schluß der ganzen Sache zu kommen.

    Es tagte. Dann und wann rauschte ein verspäteter Wal vorbei.

    Da sah Benoni das große Heer der Vögel vom Fjord zurück und wiederum auf sich zukommen, der Heringsschwarm hatte in einem großen Bogen umgedreht, und die Walfische jagten ihn immer noch vor sich her. Benoni war vor einer Bucht, die sich ins Land hineinzog. Irgend ein Ereignis hatte die Heringsmassen veranlaßt, sich in zwei Scharen zu teilen, eine Verwirrung war entstanden, vielleicht hatten die verspäteten Walfische, die dem Strom entgegengekommen waren, ihn gespalten. Wie ein Sternenmeer blinkte der Hering rings um Benonis Boote. Es hatte keinen Sinn, das Netz zwischen den Walfischen auszuwerfen, Benoni steht mit stockendem Atem da. Da sieht er, wie die ganze Bucht kocht und die Luft über ihr weiß von Vögeln ist, die Bucht ist zum Platzen voll von Heringen. Benoni rief einige kurze Worte, griff da und dort blitzschnell zu, das Netz lief aus. Sie spannten es vom einen Ufer der Bucht bis zum anderen, der Hering stand bis ans trockene Land hinein. Hier war das Großnetz am Platze.

    Draußen im Meer herrschte noch ein ungeheurer Lärm von den Walfischen und Vögeln und ließ erkennen, wohin die andere Heringsschar den Weg eingeschlagen hatte.

    Benoni troff von Schweiß, und seine Knie zitterten, als er in die Jolle stieg. Er ließ sich am Netz entlang rudern, um nachzusehen, ob es gut und dicht ausgelegt war.

    Nun war es doch gut, daß wir herausgesegelt sind, dachte er.

    Er sandte zwei Männer mit einem Brief fort, um Mack auf Sirilund seinen großen Fang mitzuteilen. Er beschrieb die Beschaffenheit des Herings, daß es eine schöne Mischung sei; schrieb von der Tiefe der Bucht, daß keine Gefahr für ein Entweichen des Herings bestünde. Außerdem meldete er, daß es wie ein Fingerzeig Gottes gewesen sei: Der Hering hätte im Fjord gedreht, sei auf ihn zugekommen und hätte sich gleichsam selbst mitten vor seinen Augen in einer Bucht gefangen  ... Was die Größe des Fanges betrifft, erdreiste ich mich nicht, eine Zahl zu nennen, die allein der, der die Sterne des Himmels zählt, ausgerechnet hat. Aber sie ist sehr groß. Ehrerbietigst Benoni Hartvigsen, mein Name.

    Mack war ihm jetzt wie immer ein guter Freund und sandte von selbst Telegramme nach Osten und Westen, um Benoni Käufer zu verschaffen. Und jeden Tag glitten Segelschiffe und Dampfer in den Fjord hinein und legten sich vor Benonis Netz; auch aus seiner eigenen Heimatgemeinde kamen Fischerboote, um Heringe als Köder für den Fischfang auf den Lofotinseln zu kaufen, und bei ihnen hielt er es nicht so genau, sondern gab ihnen ein Maß nach dem anderen umsonst.

    Nun entstand in der kleinen Bucht ein bisher ungekannter Verkehr von herbeireisenden Kaufleuten, Uhrenjuden, Seiltänzern und losen Mädchen aus der Stadt, es ging wie auf einem Markt zu; auf dem kahlen Strand erhob sich eine kleine Stadt aus Kisten und Zelten und Verschlägen. Und das Geld blitzte in den Händen aller wie Heringsschuppen  ...

    IV

    Inhaltsverzeichnis

    Im Frühling sagte Mack selbst zu Benoni:

    Ich will dir etwas sagen, mein guter Hartvigsen, du solltest dich verheiraten.

    Als Benoni das hörte, zierte er sich und erniedrigte sich und antwortete:

    Mich will niemand haben.

    Aber du mußt dich natürlich nach deinem Rang verheiraten und darfst dich nicht fortwerfen, fuhr Mack unbeirrt fort. Ich wüßte schon eine Dame. Na, darüber sprechen wir nicht. Sag einmal, Hartvigsen, hast du bisher in deinem Leben schon einmal größere Verluste durch deine Geschäfte mit mir gehabt?

    Verluste?

    Es ist sonderbar. Du mußt ja ziemlich viel Geld haben; aber du setzt es nicht bei mir ein.

    Ich habe keine so großen Mittel.

    Du versteckst sie also in der Kiste? Das ist zu merkwürdig. So wie deine Vorfahren ihr Geld bei den meinen anlegten, solltest auch du es bei mir aufheben. Ich sage dies aus keinem besonderen Grund, aber das sind wir nun alle so gewohnt.

    Zögernd antwortete Benoni: Die Sache ist die, daß alte Leute mir einen solchen Schrecken eingejagt haben.

    So? Sie haben dir wohl von den Zusammenbrüchen nach dem Kriege erzählt? Mein Vater war ein großer Handelsmann, und er machte nicht bankrott. Und ich bin wohl auch kein kleiner Handelsmann, und ich bin nicht bankrott. Das hoffe ich wenigstens zu Gott.

    Ich habe vorgehabt, mit meiner kleinen Summe zu Ihnen zu kommen, sagte Benoni.

    Da ging Mack wieder ans Fenster und begann nachzudenken, wie er das zu tun pflegte; den Rücken drehte er Benoni zu. Dann fing er an:

    Da kommt nun die ganze Gemeinde zu mir, und ich bin wie ein Vater zu den Leuten. Sie geben mir ihre Schillinge, bis sie sie wieder brauchen, und erhalten dafür eine Quittung mit meinem Namen darauf: Sirilund, den soundsovielten, Ferdinand Mack. Dann vergeht kürzere oder längere Zeit, sie kommen zurück und bitten um ihr Geld; und da wäre nun die Quittung, sagen sie. Gut, ich zähle das Geld auf, hier bitte! Dann sagen sie: Aber das ist zu viel, es war nicht so viel. Das sind die Zinsen, antworte ich.

    Ja, die Zinsen, sagt Benoni unwillkürlich.

    Selbstverständlich gibt es Zinsen. Ich verwende das Geld und ich verdiene wieder Geld damit, antwortet Mack und wendet sich vom Fenster ab. Und was nun dich betrifft, Hartvigsen, so handelt es sich ja bei dir um eine größere Summe. Da gebe ich dir nicht nur eine einfache Quittung, sondern einen feierlichen Revers, einen Pfandbrief. Ich sage das nicht mit irgendwelcher Absicht, ich pflege es nur so zu halten. Die großen Geldleute kann man nicht so behandeln wie die kleinen, sie müssen Sicherheit haben. Denn deine Summe ist ja nicht so, daß ich sie ganz einfach aus der Westentasche nehmen und jederzeit zurückgeben kann, deshalb bekommst du ein Pfand in Sirilund mit allen dazugehörigen Herrlichkeiten und allen Fahrzeugen.

    Sie halten mich zum Narren! ruft Benoni verwirrt aus. Dann verbesserte er seine Respektlosigkeit und fügte hinzu: Ich meine, Sie sollten so etwas nicht sagen. Das ist vollkommen übertrieben.

    Benoni hatte von Kind auf niemals etwas anderes gehört als eine Stimme über Macks und Sirilunds Größe. Allein der Handelsplatz mit den Speichern, der Mühle, dem Recht zum Branntweinverkauf, der Dampfschiffhaltestelle, der Bäckerei und der Schmiede war sein geringes Geld vielfach wert; dazu kam der Hof, »der Grund und Boden«, mit den Eierholmen, Beerenmooren und dem Trockenplatz; endlich die Galeasse und die beiden Jachten.

    Zur vollen Verwirrung Benonis antwortete Mack milde und überlegen:

    Ich sage nichts anderes, als daß es bei mir so gemacht wird. In dieser Beziehung könntest du deines Geldes sicher sein. Aber wir wollen nicht mehr davon reden.

    Benoni stammelte:

    Mein Gott, lassen Sie mich ein wenig darüber nachdenken. Wäre ich nicht von den alten Leuten so abgeschreckt worden  ... Aber wenn Sie  ... ich habe große Lust dazu.

    Wir wollen gar nicht mehr davon reden. Weißt du, an wen ich eben gedacht habe, als ich am Fenster stand? An mein Patenkind Fräulein Rosa Barfod. Sie fiel mir eben ein. Hast du ein wenig an sie gedacht, Hartvigsen? Die jungen Leute sind sonderbar, sie reiste nach Weihnachten nach dem Süden und sollte ein Jahr lang fortbleiben, aber jetzt ist sie wieder heimgekommen. Vielleicht zieht sie etwas hierher. Na, adieu Hartvigsen. Du kannst ja über das mit dem Geld nachdenken, wenn du magst. Ganz wie du willst  ...

    Nun aber geschah es, daß Benoni einen Tag nach dem andern verstreichen ließ, ohne Macks Wunsch wegen des Geldes nachzukommen. Lassen wir ihm Zeit! dachte wohl Mack auf Sirilund, der glatte Aal in jeglichem Handel und Wandel; lassen wir ihn nur die Antwort noch überlegen, dachte er wohl. Denn er hatte keine Lust, Benoni einen Boten zu senden.

    Benoni war nicht gerade auf den Kopf gefallen, er verstand Macks Andeutungen über Rosa sehr wohl. Als er tage- und nächtelang gegrübelt hatte und immer pfiffiger geworden war, entschloß er sich, Mack zu umgehen und auf eigene Faust zu handeln. Nein, er besaß durchaus keinen so großen Reichtum, wie Mack es darstellen wollte; wo sollte er ihn auch hernehmen? Hoho, Benoni war nicht umsonst früher schon ein schlauer Kerl gewesen.

    Er machte sich fein, zog zwei Joppen und das Sonntagshemd an und wanderte über das Gebirge. Er ging geradewegs auf den Pfarrhof. Schon im voraus hatte er sich ausgerechnet, daß der Pfarrer in der Annexgemeinde sein würde.

    Er ging in die Küche und gab vor, auf einer Geschäftsreise zu sein, er müsse über den Sund. Ob er beim Pfarrer ein Boot zu leihen bekäme.

    Der Pfarrer sei fort, antworteten die Mädchen.

    Ob denn nicht die gnädige Frau oder Fräulein Rosa daheim wären? Grüßen Sie nur von Benoni Hartvigsen.

    Das Boot bekam er. Aber weder die Pfarrerin noch Rosa kamen heraus und sagten: Guten Tag, guten Tag, Hartvigsen, bitte schön, komm doch in die Stube herein!

    Das scheint nicht zu helfen! dachte Benoni. Er ruderte über den Sund, trieb sich eine Weile im Wald umher, ruderte wieder zurück und ging abermals in die Küche des Pfarrhofs, um für das Boot zu danken.

    Es war ganz das gleiche, nicht ein Schimmer von der Herrschaft war zu sehen.

    Das hilft gar nichts! dachte Benoni auf dem Heimweg über den Berg. In vielen Dingen war er wie Eisen und Stahl, aber den Vornehmen gegenüber wurde er mutlos und verzagt. Was soll ich tun? dachte er weiter in bezug auf Rosa. Soll ich mich nach meinem Wohlstand verheiraten, oder soll ich mich mit einem Mädchen aus meinem früheren Stand verheiraten und zu einem Nichts herabsinken?

    Daheim machte er sich viel zu schaffen, er hatte vier Zimmerleute, die ihm einen großen Schuppen für das Großnetz bauten. Aber sein Sinn war deshalb nicht leicht und hell, seine Unzufriedenheit nahm zu, er wurde mißtrauisch, es schien ihm, als fingen die Leute an, ihn wieder Benoni statt Hartvigsen nennen.

    Womit hatte er diese Schmach verdient!

    Eines Tages sagte Mack zu ihm:

    Du baust einen Schuppen, das hättest du nicht nötig gehabt. Du hättest wie bisher dein Netz bei mir aufbewahren können. Aber etwas anderes ist, daß du dein Haus vergrößern solltest. Wenn du dich nach deinem heutigen Stand verheiraten willst, mußt du doch noch etliche Zimmer haben. Die Damen wollen das so.

    Sie sprachen noch eine Weile darüber, und plötzlich hatte Benoni den Einfall, das mindeste, was er jetzt tun könne, sei, Mack Vertrauen zu zeigen und ihm das Geld zu bringen. Auf dem Heimweg überlegte er noch einmal alles: Angesichts des mächtigen Pfandes, das Mack dagegensetzte, bestand ja keine Gefahr für das Geld, im Gegenteil, es machte ihn zu Macks heimlichem Teilhaber und Mitbesitzer an Sirilund. Ach, dieses Geld, wenn das Glück es wollte, machte es den ärmsten Teufel zum Herrn.

    Benoni brachte seinen Reichtum in einem Sack daher, es war viel Silber; er wollte nicht an der Summe knausern; hatte Mack die große Meinung von ihm, daß er ein reicher Mann sei, so sollte er keineswegs unrecht bekommen. Deshalb kratzte er alles zusammen, bis es glatte fünftausend Speziestaler waren, um die Summe recht groß zu machen.

    Du meine Güte! sagte auch Mack, um ihm zu schmeicheln.

    Sie müssen meinen schäbigen Geldbeutel entschuldigen. Ich habe keinen schöneren, bemerkte Benoni und schwoll vor Stolz.

    Mack ließ ihn sich nicht weiter brüsten:

    Aber all dies Silber! sagte er. Die Geldscheine stehen doch jetzt pari.

    Wie stehen sie?

    Pari. Das heißt, sie sind genau so gut wie Silber. Das weißt du doch. Na, Silber ist ja am besten.

    Ich glaubte doch, daß es einigermaßen gutes Geld wäre, was ich hier bringe, sowohl das Silber wie das Papier, sagte Benoni ein wenig verletzt.

    Aber Mack wollte ihn in seinem Übermut nicht noch mehr bestärken, er antwortete kurz: Selbstverständlich und fing zu zählen an. Dies nahm lange Zeit in Anspruch, da standen dann große Stapel von Talern, die auf einen Haufen zusammengeworfen und wieder in einen Sack geschüttet wurden. Dann wurden die Scheine gezählt und dann ging Mack mit wahrer Feierlichkeit ans Werk und schrieb einen großen Revers.

    Dieses Dokument mußt du gut aufbewahren, sagte er bedeutungsvoll zu Benoni  ...

    Jetzt aber geschah auch das große Wunder, daß Rosa nicht nur zu Besuch nach Sirilund kam, sondern geradezu anfing, Benoni mit guten und gedankenvollen Augen ins Gesicht zu blicken, als grübelte sie über ihn nach. Eines Tages kam sie an den Strand hinunter und sagte:

    Ich will mir nur deinen neuen Schuppen ansehen.

    Da ist nun weiter nichts Großes für Sie zu sehen, antwortete Benoni in seiner ersten Verwirrung und Freude. Als er sich dann später wieder ein wenig erholt hatte, sagte er: Ich will auch mein Haus vergrößern.

    Wirklich! Was baust du denn an?

    Ich habe gemeint, eine Stube und eine Kammer, antwortete Benoni vorsichtig.

    Das ist vollkommen richtig, sagte Fräulein Rosa freundlich. Dann willst du dich wohl verheiraten?

    Das kommt nun noch darauf an.

    Ich weiß ja nicht, wie die ist, die kommen wird, aber an deiner Stelle würde ich die Kammer recht groß und hell bauen.

    Ja, sagte Benoni. Würden Sie das so haben wollen?

    Ja.

    Ehe sie ging, wurde Benoni mutig und sagte:

    Wollen Sie es nicht verschmähen, herzukommen und sich alles anzusehen, wenn es fertig ist?

    Dann baute Benoni die Stube und die große Kammer, und er übertrieb ein wenig und baute die Kammer ebenso groß wie die Stube. Als Rosa es sich ansah, war er innerlich ein Hasenfuß und fürchtete, es könnte nicht recht sein. Aber wiederum sagte sie freundlich, es sei so, wie sie es sich gedacht habe.

    Genau an dieser Stelle und in diesem Augenblick hätte er nun wohl ein Wort sagen sollen, aber er sagte es nicht. Am Abend ging er zu Mack hinüber und bat ihn, es zu sagen, – wenn er meine, daß irgendeine Aussicht bestehe.

    Mack brachte mit klaren und kurzen Worten Benonis Anliegen vor, lächelte ihnen beiden ein wenig zu und verließ das Zimmer.

    Da saßen sie nun allein.

    Ich glaube nicht, Benoni, daß es dir zur Freude gereichen wird, sagte Rosa ganz offen. Ich bin lange Zeit mit einem Mann unten im Süden verlobt gewesen, nicht umsonst war ich so lange von zu Hause fort.

    Dann wollen Sie sich womöglich mit ihm verheiraten?

    Nein, daraus wird nichts. Daraus wird nie etwas werden.

    Ja, wenn Sie sich dann mit mir begnügen wollen? Aber ich bin nicht anders, als Sie mich hier sehen, ein einfacher Mann. Ich kann es mir also gar nicht erhoffen.

    Rosa dachte nach und blinzelte langsam mit den Augen.

    Wir können es vielleicht versuchen, Benoni. Mein Pate findet, ich sollte es tun. Aber das muß ich dir sagen, fügte sie lächelnd hinzu, du bist nicht meine erste Liebe.

    Nein, nein, das kann ich ja auch nicht erwarten. Aber darauf kommt es mir auch nicht an, antwortete Benoni seinem Vorstellungskreis entsprechend.

    So waren sie einig  ...

    In den folgenden Wochen wurde viel über dieses ungewöhnliche Ereignis gesprochen, wohl sei es vielleicht Gottes Fügung, trotzdem aber sei es merkwürdig. Doch bei den Küstersleuten sagte man ganz offen: Gottes Fügung? Das hat der Hering gemacht. Wäre Benoni nicht durch den Hering so bodenlos reich geworden, hätte er sie niemals bekommen.

    Denn die Küstersleute hatten ja den Sohn, der weit eher hätte Rosa, die Pfarrerstochter, bekommen sollen.

    V

    Inhaltsverzeichnis

    So vergingen einige Wochen, Rosa kam oft zu Mack auf Sirilund, und Benoni traf jedesmal mit ihr zusammen. Die Leute neckten sie nicht, es war nicht Sitte, ein Paar zu necken, das nichts ableugnete, und Rosa und Postbenoni gestanden im Gegenteil ganz offen, ja, sie sollten einander heiraten.

    Benoni fuhr damit fort, sein Haus und den Schuppen einzurichten, er kleidete seine Zimmer mit Holz aus und strich sie wie andere große Leute an, und wer sein Haus vom Meer aus sah, sagte: Dort liegt Benonis Hauptgebäude.

    Auf Sirilund gab es eine Veranda, und Benoni ging mit dem Gedanken um, sich ebenfalls eine solche kleine Veranda machen zu lassen, im kleinen natürlich, ohne Schnitzerei, nur daß man ein paar Bänke hinstellen, sich dort aufhalten konnte. Er sprach zuerst mit einem der Maler darüber.

    Ich bin so hoffärtig geworden, daß ich mir so einen Schuppen hierher bauen möchte, sagte er, einen ganz kläglichen Aufbau, sagte er.

    Der Maler, ein Mann aus der Gemeinde, begriff nichts. Einen Schuppen?

    Die Leute nennen es Veranda, erklärte Benoni und wandte sich ab.

    Was wollen Sie damit?

    Nein, da hast du wahrlich recht. Es soll auch nur so zum Vergnügen sein, damit man einen Platz hat, von wo aus man sich umsehen kann.

    Lachte der Maler? Benoni machte es rasch ab; er wollte sich nicht offen ins Gesicht grinsen lassen. Er rief die Schreiner herbei, erklärte ihnen mit unnötiger Bestimmtheit, was er wünschte, gab die Höhe an, deutete umher.

    Es soll ein Platz werden, wo man im Sommer sitzen und Kaffee trinken kann, sagte er.

    Die Schreiner verstanden ihn bedeutend rascher, sie waren von auswärts und hatten schon gar manches in dieser Welt gesehen.

    Leute mit dem nötigen Kleingeld haben eine Veranda, sagten sie und nickten.

    Einige Tage später war Benoni ein neuer Einfall durch den Kopf geschossen. Auf Sirilund gab es auch einen Taubenschlag. Der stand mitten auf dem Hofplatz und war auf einer einzigen Säule errichtet, er war weiß gestrichen und das Taubenhaus selber trug zu oberst eine Messingkugel. Es herrschte bewegtes Leben dort mit all diesen Vögeln, Hühner waren doch rein gar nichts gegen Tauben.

    Wenn ich mir nun eines Tages einige echte Tauben verschaffte, könnte ich sie gar nicht unterbringen, sagte Benoni.

    Er rief die Schreiner herbei und zeigte ihnen, wo das Taubenhaus stehen sollte.

    Und die Wochen verstrichen, der Herbst kam. Benoni arbeitete daheim und zog nicht mit dem Netz aus. Die Zimmerleute und Maler waren abgereist, zuletzt hatten sie noch farbige Fensterscheiben in die Veranda einsetzen müssen, so daß sie wie der Eingang zum Paradies aussah. Nicht einmal auf Sirilund gab es farbige Scheiben in der Veranda, das hatte sich dieser Schlingel Benoni in seinem eigenen Kopf ausgedacht. Die Scheiben waren aus blauem, rotem und gelbem Glas.

    Als aber die Handwerker fort waren, fühlte sich Benoni einsam; er ging zu Rosa und sagte, für eine Person allein sei es nicht auszuhalten, und was sie zu einer Veränderung meine? Rosa aber eilte es nicht damit, sich fortzugeben. Sie könnten sich im Frühjahr verheiraten, das sei früh genug.

    Inzwischen vertrieb Benoni sich die Zeit mit ein wenig Fischfang am heimatlichen Strand; als aber die Bucht zu gefrieren anfing, wurde es zu mühsam, das Eis aufzuschlagen, und der Fischfang hörte auf. So hatte Benoni nichts weiter auf der Welt zu tun, als Sonntags in die Kirche zu gehen. Ach, das waren Tage für ihn, wo er sich wünschte, wieder die Löwentasche zu tragen; die aber trug jetzt ein Häuslerbauer des Pfarrhofes, ein Familienversorger ohne Ansehen.

    Da kam Benoni Hartvigsen in die Kirche. Er trug zwei Jacken und Schaftstiefel mit lackierten Stulpen. Er kam keineswegs mit gebeugtem Rücken daher, sondern hoch aufgerichtet wie ein Denkmal, und wenn er die Psalmen mitsang, blieb er niemals zurück. Redete er auf dem Kirchberg mit den Leuten, benahm er sich durchaus nicht etwa so töricht, als wollte er die geringen Bewohner der Ortschaft nicht kennen; aber er blieb auch nicht stehen und fror grün und blau um eines Gespräches willen. Der Mack und ich! konnte er sagen. Ob du es mir glaubst oder nicht, wir bekamen gestern ein Telegramm, der Hering kommt vom Meer herein! Als der Amtsdiener des Lensmannes seine Bekanntmachungen verlesen hatte, trat er zu Benoni und stellte einige Fragen: Der Hering – sind Nachrichten von draußen gekommen? Benoni antwortete: Der Mack und ich waren gestern an Bord des Dampfers und fragten. Noch eine Frage, und Benoni äußerte: Von morgen ab fängt es bei mir so langsam an geschäftig zu werden.

    Die Gemeinde stand rings umher und nickte: Dieser Teufelskerl, nun bekam er eine Eilbotschaft gewissermaßen von unserem Herrgott selbst, wenn der Hering in Sicht war! Und Benoni fuhr sich durch seinen Haarpelz und lächelte mit seinen großen, gelben Walroßzähnen: Nein, das sei wirklich zu viel gesagt, das sei Übertreibung, aber er habe eben seine Erfahrungen, so jämmerlich er auch hier vor ihnen stehe.

    Der Diener des Lensmannes schloß sich ihm auf dem Heimweg von der Kirche an. Die beiden waren sich einigermaßen gleichwertig; Benoni hatte seinen großen Reichtum, vom anderen aber mußte man sagen, daß er feiner in Sprache und Gebaren war. Und der Lensmann hatte ja auch erst, als Benoni aufhörte Gerichtsbote und rechte Hand des alten Mannes zu sein, diesen Diener aus der Stadt kommen lassen müssen.

    Sie sprachen von Benonis Haus, von seiner Veranda, davon, wie vornehm sie sei, vom Taubenschlag, von der Hochzeit. Benoni scherzte überlegen über die Frauen, die Damen; konnte ein vernünftiger Mann sich auf ihre Gedanken verstehen? Was wollte sie mit ihm, der doch nichts anderes war als ein gewöhnlicher Führer der Galeasse! Und er nannte Rosa seine Braut.

    Das muß ich sagen, fing der Diener des Lensmannes an, Ihr würdet sie wohl nicht mehr um vieles hergeben?

    Nicht um alles, was Ihr hier seht, antwortete Benoni und deutete auf sein Heim. Sie verlieren? Das gibt es nicht, ich habe ihr Herz gewonnen.

    Wenn Ihr nun so geht und miteinander schwätzt, redet Ihr da auch so wie wir jetzt, über die einfachen Dinge, die vorkommen?

    Ich rede genau so einfältig und ungelehrt mit ihr wie mit Euch, antwortete Benoni.

    Großartig! sagte der Diener des Lensmannes.

    Sie waren zu Benonis Haus gekommen, und die beiden Männer gingen hinein. Nach einigen Schnäpsen gab es Essen und Kaffee und wiederum Schnäpse. Benoni wollte diesen Gast ganz herrlich bewirten, diesen Mann, der auf einer Stufe mit ihm stand und den er endlich einmal zu fassen bekommen hatte. Und ihr Geschwätz erfüllte die Stube. Der Diener des Lensmannes war ein junger Mensch in feinen Kleidern und mit steifem Halskragen; man erzählte sich von ihm, daß er alle Gesetze beim Lensmann gründlich studierte, so daß man sich vor ihm in Acht nehmen müsse.

    Ich kenne mich jetzt in vielen Dingen so gut aus und in der Kanzlei habe ich wohl jedes einzelne Protokoll im Kopf, sagte er. Aber mit Rosa Barfod, oder, wie ich eigentlich sagen müßte – Fräulein Barfod – ich weiß nicht, ob ich mich getrauen würde, ein Gespräch mit ihr zu führen.

    Sie würde dich nicht beißen, antwortete Benoni. Ein Gespräch mit ihr? Lieber Mann, ich nehme sie in die Arme und hebe sie hoch. Mit einem Griff. Aber es ist klar, ich muß mit so einer Frauensperson sehr zart umgehen und sie dann wieder schön niedersetzen. Auch darf ich nichts Gemeines sagen oder mich in ihrer Anwesenheit schlecht aufführen. Da hängt zum Beispiel ein Tabaksbeutel, den sie mir geschenkt hat.

    Sie besahen sich den Beutel, der aus Perlen und Seide gearbeitet war. Daß er aber den Beutel als Geschenk bekommen hatte, war von Benoni herzlich gelogen, denn er hatte ihn im Gegenteil auf seiner Reise mit der Galeasse in Bergen gekauft.

    Da er mit dem Beutel Glück hatte, wurde Benoni angefeuert, noch mehr zu erfinden, um so recht zu zeigen, welch eine gute Braut er hatte.

    Wenn ich mir erst die Zeit nähme, Euch alles zu zeigen, was sie mir gegeben hat! sagte er. Ich habe Kragen und Kleidungsstücke und Taschentücher, alles mit Perlen und Seide. Ich habe ganze Schränke und Kisten voll.

    Großartig! sagte der Angestellte des Lensmannes.

    Benoni fuhr fort:

    Ihr redet vom Wissen und was das alles betrifft, aber was meint Ihr nun zu der, die mehr gelernt hat als wir? Einmal hat sie mich sehr erschreckt.

    Wie denn?

    Benoni erinnerte sich einer Begebenheit, die einen starken Eindruck auf ihn gemacht hatte, beeilte sich aber nicht, sie zu erzählen. Er schenkte ein, sie tranken. Benoni saß da und machte sich feierlich und mystisch. Es hatte sich um eine Flaschenpost gehandelt. Eine Flasche mit einem Zettel darin war gefunden worden, drei Mann kamen in einem achtrudrigen Boot von den äußersten Schären hereingesegelt und brachten die Flasche. Sie gingen zum Lehrer; er verstand nichts. Sie gingen zum Pfarrer; er verstand nichts. Da fiel ihnen ein, damit zu Mack zu gehen  ... Nun wißt Ihr doch, daß es sicherlich nicht viele Dinge in der Welt gibt, die Mack nicht versteht; aber hier hing er fest. Ich saß selbst auf dem Sofa in seiner eigenen Stube, als die Flasche kam und Mack zu lesen anfing. Was soll das nun bedeuten? sagte er. Dann fragte er mich, ich konnte nichts antworten. Mack grübelte und las und starrte auf seine Hand. Da fing ich allmählich an zu glauben, es müsse etwas auf dem Zettel stehen, das Mack für sich selbst behalten wolle. Es handelt sich um Heringe, dachte ich, um große Fischzüge draußen. Denn Ihr wißt doch selbst, Mack ist ein großer Denker. Aber hier tat ich ihm unrecht; plötzlich rief er in den oberen Stock hinauf: Rosa! Und Rosa kam herunter.

    Pause. Da saßen die beiden Männer und waren ganz erfüllt von dieser Begebenheit. Der Diener fragte:

    Kam sie damit zurecht? Ich begreife ja sehr gut, wie die Sache zuging, ich bin nicht so dumm: sie verstand das Schreiben?

    Benoni dachte nach und machte sich lange Zeit wichtig. Sie verstand es! sagte er mit Nachdruck.

    Das wollt Ihr nun wohl nicht behaupten?

    Es war genau so wie eins von den zehn Geboten oder wie irgendeine andere Kleinigkeit für sie.

    Großartig! sagte der Diener des Lensmannes.

    Es war genau wie ihre Muttersprache für sie. Ich wurde ganz kleinlaut dabei. Es fehlte nicht viel und ich dachte, sie sei von einer anderen Welt und gehöre zu den Unterirdischen.

    Was stand auf dem Zettel?

    Es handelte sich um Menschen in Seenot.

    Nach dieser unheimlichen Erzählung tranken sie noch ein paarmal tüchtig und vergaßen die Flaschenpost. Sie fingen an vom Großnetz zu sprechen, von der Galeasse Funtus und von der Reise nach Bergen.

    Was den Heringsfang betrifft, sagte Benoni, so wünschte ich mir nichts lieber als einen neuen Fang zu machen. So ein Fang bringt es mit sich, daß eine ganze kleine Stadt bei diesem Netz voller Heringe entsteht. Juden, die mit Uhren handeln, und Goldschmiede kommen, es ist wie ein Markt. Da gehe ich nun hier umher und kann unsere goldenen Ringe nicht kaufen, ehe nicht der Hering da ist. Ich bin ganz hilflos mit meinen zwei leeren Händen.

    Aber Benoni hatte seine beste Karte bis zuletzt aufgehoben: Macks Dokument über die fünftausend Taler, den Revers. Er hatte nichts dagegen, daß die Neuigkeit bekannt wurde, und unter dem Vorwand, das Papier von einem Kundigen begutachten zu lassen, holte er es nun hervor und breitete es vor dem Diener des Lensmannes aus.

    Langes Schweigen und gründliches Studium.

    Was meint Ihr dazu? fragte Benoni.

    Der Diener des Lensmannes antwortete:

    Genau so gut wie Gold.

    Ja, das war es, was auch ich meinte. Und ist es nun auch Eure Meinung, daß Sirilund mit all seinen Herrlichkeiten die fünftausend Taler wert ist? Und Benoni zählte nun all diese Herrlichkeiten auf, an denen er ja jetzt geradezu Mitbesitzer war. Er wurde vor Wichtigkeit ganz aufgeblasen.

    Der Diener des Lensmannes studierte immer noch an dem Papier herum und sagte schließlich:

    Aber es muß im Thing bekanntgegeben werden. Das ist Vorschrift.

    VI

    Inhaltsverzeichnis

    Der Hering, den Benoni prophezeit hatte, kam nicht, und er konnte die goldenen Ringe nicht kaufen. Es war, als sollte es nicht sein. Benoni ging nach Sirilund und sagte zu Rosa:

    Was meinst du, wenn wir jetzt heirateten? Da sie nicht antwortete: Ja, tun wir das! aber in ihrem Gesicht auch keine abschlägige Antwort zu lesen war, fragte er: Können wir uns nicht wenigstens aufbieten lassen?

    Wir haben ja noch Zeit, antwortete sie. Willst du nicht im Winter nach den Lofotinseln?

    Das habe ich nicht vorgehabt.

    Er war ein wenig gekränkt. Ein Mann in seinem Wohlstand fuhr doch nicht auf den Fischfang. Sie begriff, daß sie etwas Falsches gesagt hatte und wollte es wieder gutmachen.

    Ich glaubte, du solltest die Galeasse für Mack führen.

    Nein. Mack hat nicht mit mir darüber gesprochen.

    So. Und du willst wohl auch nicht mit ihm darüber reden?

    Immer gekränkter antwortete Benoni:

    Ich habe es nicht so nötig.

    Sie legte ihre Hand auf die seine, um ihn wieder zu versöhnen. Ach dieses Menschenkind, da saß sie nun mit ihrem vollen herrlichen Mund und sagte nicht: Komm, laß uns auf der Stelle heiraten! Wer konnte sich auch auf die Damen verstehen?

    Er umarmte sie und küßte sie. Und sie ließ es geschehen. Das war das zweite Mal.

    Ich will einen goldenen Ring und ein goldenes Kreuz für dich kaufen, sagte er.

    Ja, ja. Aber das eilt doch nicht.

    Was in aller Welt ist mit dir los? fragte er und sah sie an. Mit nichts eilt es?

    Ihre grauen Augen begannen sich zu verdunkeln, es war wie ein Sonnenuntergang. Sie erhob sich und ging ein paar Schritte fort.

    Ich habe nichts  ... Gibt es heuer keinen Hering, glaubst du?

    Das kommt darauf an. Aber wenn der Hering kommt, so fahre ich. Ich verstehe, daß du das möchtest.

    Wieder die gleiche Sache, sie setzte sich zu ihm, um ihn noch einmal zu versöhnen. Als ihm klar wurde, daß diese Taktik sich lohnte, tat er in passenden Zwischenräumen verstimmt und erreichte dadurch, daß sie ihn wieder mit kleinen zärtlichen Worten und durch Streicheln zu besänftigen versuchte. Sie war so geizig mit ihren Annäherungen, niemals erwies sie ihm irgendeine Zärtlichkeit, ohne daß sie dazu gezwungen war.

    Aber so bestimme doch einen Tag, sagte Benoni, wir müssen doch einen Tag für unsere Hochzeit festsetzen.

    Da sie nun nicht gut ausweichen konnte, wollte sie die Zeit wenigstens möglichst lang hinausziehen und sprach von einem Jahr oder so etwas; – was er dazu meine, in einem Jahr, vom nächsten Weihnachtsfest ab gerechnet?

    Neues Gekränktsein.

    Ich will nicht darum betteln, sagte Benoni.

    Sie einigten sich endlich dahin, daß jeder von seiner Seite aus ein wenig nachgeben sollte, und Rosa warf ein Datum, spät im nächsten Jahr hin, einen Tag um Mittsommer herum. Bis dahin war noch gut und gerne ein halbes Jahr zu warten, ja, beinahe sieben Monate  ...

    Ehe Benoni nach Hause ging, sah er noch in Macks Laden hinein. Mack selbst und seine beiden Gehilfen standen da und schrieben die Preise auf die neuen Waren, die für Weihnachten hereingekommen waren. Große Kisten standen offen da, aus denen sie alle Gestelle mit Stoffen und Waren füllten. Es war bitter kalt im Laden, die Tinte war zu einem Brei gefroren, den Mack, so oft er eine Zahl schreiben wollte, mit seinem Atem auftaute. Er hatte Handschuhe an; aber die beiden Gehilfen arbeiteten mit bloßen Händen.

    Dann und wann kam und ging ein Kunde.

    Benoni verlangte den neuen Kalender. Er

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1