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Schau heimwärts, Engel. Band Drei
Schau heimwärts, Engel. Band Drei
Schau heimwärts, Engel. Band Drei
eBook401 Seiten4 Stunden

Schau heimwärts, Engel. Band Drei

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Über dieses E-Book

“Schau heimwärts, Engel” ist ein Roman von Thomas Wolfe aus dem Jahr 1929. Es ist der erste Roman von Wolfe und gilt als stark autobiografisch geprägte amerikanische Coming-of-Age-Geschichte. Es wird allgemein angenommen, dass die Figur des Eugene Gant ein Abbild von Wolfe selbst ist. Der Roman erzählt kurz das frühe Leben von Eugenes Vater, umfasst aber hauptsächlich die Zeitspanne von Eugenes Geburt im Jahr 1900 bis zu seinem endgültigen Auszug von zu Hause im Alter von 19 Jahren. Der Schauplatz ist eine fiktive Darstellung seiner Heimatstadt Asheville, North Carolina, die im Roman Altamont, Catawba, genannt wird.

Die Beschreibungen von Altamont basieren auf Wolfes Heimatstadt Asheville, North Carolina, und die Beschreibungen von Menschen und Familie führten zu einer Entfremdung von vielen in seiner Heimatstadt. Obwohl der Roman oft als “sentimentale Geschichte des Erwachsenwerdens” angesehen wird, zeichnet er sich durch eine “dunkle und beunruhigende” Darstellung der Zeit aus, “voller Einsamkeit, Tod, Wahnsinn, Alkoholismus, familiärer Dysfunktion, Rassentrennung und einer zutiefst zynischen Sicht des Ersten Weltkriegs”. Die selten genannte, aber häufig angedeutete Infektionskrankheit Tuberkulose (Schwindsucht) wirft einen “Totenkopfschatten” über den Roman. Wolfe starb später an dieser Krankheit.

Das Buch ist in drei Teile mit insgesamt vierzig Kapiteln gegliedert. Die ersten 90 Seiten des Buches befassen sich mit einer frühen Biografie von Gants Eltern, die sich sehr eng an die tatsächliche Geschichte von Wolfes eigener Mutter und seinem eigenen Vater anlehnt. Es beginnt mit der Entscheidung seines Vaters Oliver, Steinmetz zu werden, nachdem er die Statue eines steinernen Engels gesehen hat. “Schau heimwärts, Engel” ist die schonungslose Coming-of-Age-Geschichte eines jungen Mannes Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA.

Der Titel des Romans von Thomas Wolfe stammt aus dem Gedicht “Lycidas” von John Milton.

Dies ist der dritte von drei Bänden.
SpracheDeutsch
Herausgeberapebook Verlag
Erscheinungsdatum29. Jan. 2023
ISBN9783961305483
Schau heimwärts, Engel. Band Drei

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    Buchvorschau

    Schau heimwärts, Engel. Band Drei - Thomas Wolfe

    SCHAU HEIMWÄRTS, ENGEL wurde im englischen Original (Look Homeward, Angel)) zuerst veröffentlicht von Charles Scribner´s Sons, New York 1929.

    Diese Ausgabe in drei Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von

    © apebook Verlag, Essen (Germany)

    www.apebook.de

    1. Auflage 2023

    V 1.0

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

    Band Drei

    ISBN 978-3-96130-548-3

    Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

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    ***

    Thomas Wolfe

    Schau heimwärts, Engel

    BAND EINS | BAND ZWEI | BAND DREI

    Klicke auf die Cover oder die Textlinks!

    GESAMTAUSGABE

    ***

    BUCHTIPPS

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    MIT FEUER UND SCHWERT. BAND 1

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    * *

    *

    Inhaltsverzeichnis

    Schau heimwärts, Engel. Band Drei

    Impressum

    An den Leser

    Drittes Buch

    I

    II

    III

    IV

    V

    VI

    VII

    VIII

    IX

    X

    XI

    XII

    XIII

    Eine kleine Bitte

    Buchtipps für dich

    Kostenlose eBooks

    A p e B o o k C l a s s i c s

    N e w s l e t t e r

    F l a t r a t e

    F o l l o w

    A p e C l u b

    Links

    Zu guter Letzt

    An den Leser

    Dies ist ein Erstlingsbuch, und der Verfasser beschreibt darin ein Geschehen, das, fremd und fern nun, einst seines eignen Lebens Anteil war. Sollte aus diesem Grund ein Leser behaupten, dies Buch sei autobiographisch, dann hat der Verfasser nichts zu entgegnen: – ihm scheint, daß alle ernsthafte Romanliteratur autobiographisch ist, daß man sich zum Beispiel schwerlich ein autobiographischeres Buch als »Gullivers Reisen« vorstellen kann.

    Diese kleine Vorrede jedoch richtet sich hauptsächlich an die Personen, die der Verfasser in der hier abgehandelten Zeit gekannt hat. Ihnen möchte er etwas bestätigen, was sie, wie er glaubt, bereits erkannt haben: Dieses Buch wurde in Unschuld und in der Nacktheit des Geistes geschrieben, und des Verfassers Hauptbestreben galt einer fülligen, lebendigen, intensiven Darstellung. Nun, da die Arbeit veröffentlicht wird, besteht der Verfasser darauf, daß dies Buch ein schöpferisches Werk ist, und daß es ihm fernlag, irgend jemanden zu porträtieren.

    Aber wir sind die Summe aller Augenblicke unsrer Leben; alles, was unser ist, ist in ihnen; wir können dies nicht verbergen oder verhehlen. Wenn der Verfasser den Rohstoff des Lebens zu seinem Buch benutzte, so benutzte er nur, was niemand zu benutzen umhin kann. Die Romanschriftstellerei befaßt sich nicht mit Tatsachen schlechthin, sondern mit deren Auswahl, ihrer geistigen Verarbeitung und ihrer zweckvollen Einordnung. Dr. Johnson bemerkte, daß jemand eine halbe Bibliothek umblättern könne, um ein einziges Buch zu schreiben: so mag ein Schriftsteller die Hälfte aller Leute in einer Stadt »umblättern«, um eine Person für seinen Roman zu gestalten. Dies freilich ist nicht die ganze Methode, aber der Verfasser glaubt, daß es die ganze Methode veranschaulicht – in einem Buch, das aus einer mittleren Distanz zu den Dingen geschrieben wurde und ohne Groll oder bittre Absicht ist.

    Drittes Buch

    I

    Eugene war nicht ganz sechzehn, als er auf die Universität zog. Er war damals annähernd zwei Meter groß und wog dabei kaum mehr als 120 Pfund. Er war fast nie krank gewesen, aber das schnelle Wachstum hatte sehr an seinen Kräften gezehrt. Er war ungestüm und heftig, aber sein Vorrat an Energie war bald erschöpft. Er ermüdete schnell.

    Er war ein Kind, als er fortzog, ein Kind, das viel Schmerzliches und Schlimmes gesehn hatte und ein Phantast, ein Idealist geblieben war, ein Kind, das in der Schlüsselburg seiner Träume hauste. Zwar hatte er spotten und die Nase rümpfen gelernt, aber sein geheimes Leben blieb völlig unangetastet. Immer und immer wieder war er mit den grauen Tatsächlichkeiten des gemeinen Daseins in Berührung gekommen, seine grausamen Augen hatten keine einzige Gebärde mißdeutet, sein gepreßtes und bittres Herz hatte in ihm geglost wie ein Eisenbarren in der Schmiedesse, aber all die harterworbnen Einsichten zerschmolzen wieder im Licht seiner Phantasie. Zwar war er kein Kind mehr, wenn er nachdachte, aber wenn er träumte war er eines; und das traumselige Kind war es, das die Herrschaft über sein Wesen innehatte und behielt. Vielleicht gehörte er zu einer älteren, einfacheren Art Mensch, nämlich zu den Mythenschöpfern. Für ihn war die Sonne eine herrliche Lampe, die ihm den Weg zu großen Abenteuern erhellte ... Er glaubte an ein tapfres, heldisches Leben. Er glaubte an die seltnen Blumen des Zartsinns und der Menschlichkeit. Er glaubte an Schönheit und Ordnung und war überzeugt, daß er durch diese Mächte das Wirrsal des Daseins bannen könne. Er glaubte an Liebe, an die Güte und Reinheit der Frauen. Er glaubte an den Adel des Denkens und erwartete von sich selber, daß er, ganz wie Sokrates, nichts Niedriges oder Gemeines in der Stunde der Gefahr tun werde. Er stand im Überschwang seiner Jugend, so daß er glaubte, er könne nie sterben.

    Vier Jahre später, als er die Universität absolviert hatte und seine Jünglingsjahre hinter ihm lagen, brannte der Kuß der Liebe und des Todes auf seinen Lippen ... und er war immer noch ein Kind.

    Als es schließlich feststand, daß Gants Wille in der Sache unbeugsam war, sagte Margaret Leonard zu ihm:

    »Dann also mußt Du Deiner Wege gehn, Junge, und Gott schütze Dich!«

    Sie sagte das ganz ruhig. Dann sah sie einen Augenblick lang Eugenes lange, dürre Gestalt an, wandte sich feuchten Blicks ab und sagte zu John Dorsey Leonard:

    »Kannst Du Dir noch den Burschen in Kniehosen vorstellen, der vor vier Jahren zu uns kam? Kannst Du es glauben?«

    John Dorsey Leonard lachte verlegen, trübselig, leer.

    »Man faßt es nicht«, sagte er.

    Als Margaret sich wieder an Eugene wandte, war eine Leidenschaft in ihrer Stimme, wie er sie nie zuvor gehört hatte:

    »Du nimmst ein Stück von unserm Herzen mit, weißt Da das, Eugene?«

    Sie nahm seine zitternde Hand zärtlich in ihre schmalen Finger, Er senkte den Kopf, schloß die Augen.

    »Wahrhaftig, Eugene«, sagte sie, »wir könnten Dich nicht mehr lieben, wenn Du unser eignes Kind wärst. Wir hätten Dich so gern noch ein Jahr bei uns behalten, aber nachdem das nicht sein kann, schicken wir Dich mit all unsern guten Hoffnungen fort. Ach, Junge. Du bist fein. Keine Faser ist an Dir, die nicht fein wäre. Und das Licht des Genius liegt hell auf Dir. Gott schütze Dich, die Welt gehört Dir!«

    Diese stolzen Worte von Liebe und Ruhm waren Musik für ihn; strahlende Triumphvisionen zogen auf, und heiße Scham über seine verborgnen Wünsche brannte in ihm. Er war begehrlich, aber sein Herz schrak vor der Sünde zurück. Ein Tierschrei zwängte ihm die Kehle, jäh löste er seine Hand ans der ihren und fuhr sich an die Gurgel.

    »Sie müssen nicht denken ...« stammelte er. »Ich bin ja nicht ...« Aber er konnte nicht weitersprechen. Alles in ihm drängte zur Beichte.

    Später, als er von ihr weggegangen war, brannte der leise Kuß, der erste, den sie ihm gegeben hatte, wie ein feuriger Ring auf seiner Wange.

    In diesem Sommer stand er Ben näher als je zuvor. Sie hausten zusammen im selben Zimmer in der Woodson Street. Lukas war nach Helenes Hochzeit nach Pittsburgh in die Westinghouse-Elektrizitätswerke zurückgekehrt.

    Gant wohnte noch im alten Wohnzimmer, aber die übrigen Räume hatte er an eine muntre, grauhaarige Witwe von vierzig Jahren vermietet. Sie besorgte den Haushalt aufs beste; besondere, zärtliche Aufmerksamkeit aber schenkte sie Ben. Nachts fand Eugene die beiden unter den Reben auf der Terrasse; er hörte Bens ruhige Rede und sein kurzes, leises Lachen; er sah den Bogen, den Bens brennende Zigarette im Dunkel beschrieb.

    Ben, der Stille, war noch stiller, noch mürrischer geworden. Seine Braue war tiefer, finsterer gerückt. Schweigsamer noch schlich er im Haus umher. Im Gespräch mit Eliza war er kurzangebunden und von bittrer Verächtlichkeit. Mit Gant unterhielt er sich überhaupt nicht. Sie grüßten einander, und das war alles. Und sahen sich dabei nicht in die Augen. Eine große Scham, die Scham zwischen Vater und Sohn, die geheimnisvolle Scham jenseits der Mutterschaft, die allen Männern die Lippen versiegelt, diese Scham hatte sie voreinander stumm gemacht.

    Aber mit Eugene sprach Ben nun häufiger und mehr, als er je mit ihm gesprochen hatte. Nachts, vor dem Schlafengehn, lagen sie auf ihren Betten, lasen und rauchten, und all der Schmerz und die Bitterkeit von Benjamin Gants Leben brach in heftigen Anklagen durch. Ben fing mit verstockter Schwerfälligkeit zu sprechen an; langsam und stolpernd, ganz wie beim Lesen, brachte er die Worte hervor, aber seine Stimme wurde schneller und leidenschaftlich, wenn er ins Reden kam.

    »Sie haben Dir wohl gesagt, was für arme Leute sie wären, was?« fragte er und warf den Zigarettenstummel weg.

    »Ja«, sagte Eugene, »ich muß halt vorsichtig mit dem Geld umgehn.«

    »Ah, bah!« lachte Ben fast lautlos und zog einen bittern Mund.

    »Papa sagte mir, daß viele Studenten sich als Kellner oder so durchbringen. Vielleicht kann ich da auch Arbeit finden.«

    Ben stützte sich auf den dünnen, behaarten Unterarm, wandte sich um und sah Eugene voll ins Gesicht. »Hör mal, Eugene!« sagte er streng. »Sei so kein verdammter Hanswurst! Du wirst jeden Cent nehmen, den Du von ihnen kriegen kannst!« verlangte er grimmig.

    »Immerhin«, erklärte Eugene, »ich habe Grund, ihnen dankbar zu sein. Sie tun was für mich. Jedenfalls hängen sie mehr Geld an mich als an Euch andre.«

    »Du Idiot!« Ben runzelte verächtlich und angewidert die Stirn. »Bildest Du Dir tatsächlich ein, daß sie das für Dich tun? Sie tun es für sich selber. Sie rechnen damit, daß etwas aus Dir wird, so daß sie eines Tages die Ehre dafür einheimsen können. Ohnehin hetzen sie Dich zwei Jahre zu früh ins Studium. Hör auf mich! Du nimmst jeden Cent, den Du von ihnen bekommen kannst. Wir übrigen Kinder haben ja nie was gekriegt, aber Dir gönn' ich von Herzen alles, was Dir zusteht. Verstanden? Mein Gott!« rief er wütend aus, »ihr Geld nützt keinem Menschen was; da haben sie's auf der Bank liegen, bis es verrottet. Nein, Eugene, wenn Du dort auf der Universität merkst, daß Du schlechter gestellt bist als die andern Studenten, dann schreibst Du dem Alten um mehr Geld. Verdammt nochmal! Hier im Städtchen hast Du den Kopf nie hochtragen können; also fang dort nicht damit an, daß Du auf die Gelegenheit verzichtest.«

    Er zündete eine Zigarette an und rauchte in schweigsamer Verbitterung vor sich hin.

    »Zur Hölle mit dem ganzen Betrieb«, knurrte er schließlich. »Wozu in Gottes Namen leben wir denn überhaupt?«

    II

    Eugene war allein, verzweifelt allein.

    Aber die Universität war ein bezaubernder, ein unvergeßlicher Ort. Sie lag in dem Dorfe Pulpit Hill, ungefähr in der Mitte des großen Staats. Die Studenten reisten mit der Bahn bis zu der trübseligen Tabakstadt Exeter und fuhren von dort die 18 Kilometer mit dem Bus oder im Auto nach Pulpit Hill. Die Gegend, wellig mit Feld und Wald, war von einer rohen, großartigen Häßlichkeit. Aber die Universität lag herrlich in einer bukolischen Wildnis auf dem langgezognen Tafelberg, der sich steil aus dem flachhügligen Land erhob. Oben angekommen war man plötzlich am äußersten Ende der langen Hauptstraße, die anderthalb Kilometer lang zwischen Fakultätshäusern durchs Dorf zur Universität hinführte. Der zentrale Kampus war ein großer, welliger Parkrasen mit herrlichen alten Bäumen. Ein Karree von schönen, alten Backsteinbauten, kurz nach dem amerikanischen Freiheitskrieg errichtet, stand am äußersten Ende. Um diese Mitte gruppierten sich weitere Bauten in jenem üblen neo-hellenischen Stil, in dem man heutzutage, vermutlich aus pädagogischen Gründen, so gern Schulen ausführt. Und dahinter kam die dichte Waldwildnis: ihr Geruch wehte über den ganzen Ort; man spürte die Entlegenheit, den Zauber des Isoliertseins. Eugene verglich Pulpit Hill einem vorgeschobnen, von der Wildnis umlauerten Vorposten des alten Rom.

    In dieser herrlichen Umgebung konnte ein junger Mensch behaglich und vergnügt vier üppige und träge Jahre zubringen. Da war weiß Gott Einsamkeit genug für mönchischen Fleiß, aber die romantische Atmosphäre hätte selbst einen Bücherwurm vom Studieren abgebracht. Die Studenten bummelten und genossen die Freiheit. Mit aller Energie, allem Enthusiasmus ereiferten sie sich für gesellschaftliche Angelegenheiten und die kleine Universitätspolitik. Sie stellten Sportmannschaften zusammen, gründeten Glee-Clubs, Diskussions-Clubs, Amateurtheater-Clubs. Und sie führten große Reden. Immer und überall redeten sie; sie standen unter den Bäumen und schwatzten, sie standen vor den efenüberwucherten Mauern und schwatzten, sie hockten auf ihren Buden und schwatzten. Sie schwatzten den ungegliederten, breiten, trägen, unaufhörlichen, reizvollen, gedankenlosen Schwatz, der in den alten Südstaaten zuhaus ist: – sie redeten großzügig und leichthin über Gott und den Teufel, über Philosophie und Mädchen, über Politik und Sport, über akademische Bruderschaften und nochmals über Mädchen ... o Gott ja! wie sie schwatzten, was für Reden sie führten.

    Ehe sein erstes Studienjahr um war, hatte Eugene vier- oder fünfmal die Bude gewechselt. Am Schluß des Lehrjahrs hauste er allein in einem großen, kahlen Zimmer ohne Teppich. So zu wohnen war eine Seltenheit in Pulpit Hill, denn die Studenten lebten meist zu zweien oder zu dreien zusammen. In jenem Zimmer begann für Eugene eine räumliche, anfangs schwer zu ertragende Isolation, die ihm später zum unerläßlichen Bedürfnis des Körpers und Geistes wurde.

    Eugene lebte in einer kleinen Welt. Aber die Schäden und Mißstände dieser Welt, mochten sie auch noch so unerheblich scheinen, erzeugten tiefgehende, verheerende Wirkungen in seinem Wesen. Er hatte keine Freunde; stolz und hochfahrend zog er sich in seine Zelle zurück, blindlings widersetzte er sich dem Gemeinschaftsleben, das ihn umgab.

    In dem ersten, bittren und verzweifelten Herbst fing Eugenes Bekanntschaft mit Jim Trivett an.

    Jim Trivett, Sohn eines reichen Tabakpflanzers aus dem Osten des Staates, war ein gutmütiges Rauhbein von zwanzig Jahren. Er war ein stattlicher Bursche, machte aber keinen gewinnenden Eindruck. Sein grober, vorgeschobener, dicklippiger Mund stand immer ein wenig offen und lächelte lose und leer; man sah seine schlechten Zähne; die Mundwinkel waren von Kautabakspeichel verschmiert. Er hatte hellbraunes, trocknes Haar, dessen widerspenstige Zotteln sich nie ordentlich legen ließen. Er zog sich auffallend an; nach dem billigen, furchtbaren Geschmack der damaligen Mode: – enge Hosenröhren, die drei Zentimeter über den Halbschuhen freiließen und heruntergerollte Socken bloßstellten; – langschößige Röcke mit einem Halbgürtel im Kreuz; – breite Umlegekragen aus gestreifter Seide. Unter dem Rock trug Jim Trivett einen Sportsweater mit den eingewirkten Nummern der höheren Lehranstalt, die er besucht hatte, ehe er auf die Universität zog.

    Jim Trivett wohnte mit drei anderen Studenten aus seiner Vaterstadt zusammen in einem Lodging-House, ganz in Eugenes Nachbarschaft, etwas näher am Westtor der Universität. Die vier jungen Herren, die sich der Sicherheit und Kameradschaft halber zusammengeschlossen hatten, hausten in zwei unaufgeräumten, von kleinen gußeisernen Öfchen zu einer trocknen Backofenhitze überheizten Zimmern. Ständig trafen sie die ernsthaftesten Vorbereitungen zur Arbeit, aber sie schafften nie etwas. Man trat entschlossen ein, verkündigte, daß man auf morgen höllisch zu büffeln habe, richtete gemächlich die Bücher her, rückte die Lampe richtig, spitzte umständlich die Bleistifte, ging zu dem hochroten Öfchen und schürte tüchtig nach, rückte den Stuhl zurecht, setzte einen Augenschirm auf, putzte die Pfeife, stopfte sie, zündete sie an, zündete sie abermals an, leerte sie aus ... und hörte dann mit einem Seufzer der Erleichterung, daß jemand an die Tür klopfte.

    »Rein in die gute Stube! Gott verdammt nochmal!« erschallte die gastfreie Aufforderung.

    »Hallo, Eugene! Nimm 'nen Stuhl und setz Dich!« sagte Tom Grant. Er war ein dicker, vierschrötiger Kerl, gutmütig, dumm und träg; dichtes, schwarzes Haar über der niedern Stirn; auffallend angezogen.

    »Habt Ihr geschafft?«

    »Zum Teufel ja!« rief Jim Trivett. »Geschuftet hab' ich wie der Sohn einer Hündin.«

    »Armer Junge, eines Tages wirst Du uns an Überarbeitung eingehn«, sagte Tom Grant und drehte sich langsam nach ihm um. Er schüttelte betrübt den Kopf und lachte: »Wenn Dein Alter wüßte, wie fleißig Du sein Geld verstudierst, verdammt noch mal, er bekäm' sicher 'nen Leistenbruch vor Aufregung!«

    »Du kennst Dich doch mit dem Englischen aus, Langbein«, sagte Jim Trivett zu Eugene.

    »Was er nicht weiß, kannst Du hinten auf 'ne Briefmarke schreiben'«, sagte Tom Grant.

    »Ich muß 'ne lange Klausurarbeit machen, aber mir fällt weiß Gott nichts ein«, erklärte Jim Trivett.

    »Warum sagst Du das mir?« fragte Eugene. »Soll ich sie Dir etwa schreiben?«

    »Ja«, sagte Jim Trivett.

    »Schreib Deine verdammte Arbeit selber«, sagte Eugene mit gemimter Härte. »Ich schreib sie Dir nicht. Aber helfen will ich Dir, wenn ich's kann.«

    Tom Grant wandte sich an Eugene: »Sag mal, wann ziehst Du mit dem ›harten Knaben‹ nach Exeter, Langbein?« fragte er und blinzelte zu Jim Trivett, dem »harten Knaben«, herüber.

    Eugene errötete; die Frage war ihm peinlich.

    »Jederzeit, wann's ihm paßt«, erklärte er.

    »Schau her, Langbein«, sagte Jim Trivett anzüglich grinsend. »Meinst Du das ernst oder ist es Bluff?«

    »Ich sag Dir's ja, daß ich mitmache«, sagte Eugene ärgerlich. Er zitterte ein wenig.

    Tom Grant schmunzelte schlau zu Jim Trivett hinüber.

    »Das wird 'nen Mann aus Dir machen, Eugene«, sagte er. »Junge, dann wachsen Dir Haare auf der Brust.« Er lachte unbeherrscht vor sich hin, wackelte mit dem Kopf dazu, als schüttle er sich über einen heimlichen Gedanken.

    Jim Trivetts loses Lächeln wurde anzüglicher, deutlicher.

    »Herrje, sie werden dort denken, der Frühling wäre gekommen, wenn sie das Langbein sehn. Sie brauchen 'ne Leiter, um zu ihm 'raufzukommen.«

    Tom Grant lachte feist und laut. »Sicher!« sagte er.

    »Also wie steht's damit, Eugene?« fragte Jim Trivett unvermittelt. »Ist die Sache abgemacht? Samstag?«

    »Paßt mir«, sagte Eugene.

    Als er gegangen war, schmunzelten die beiden einander an. Durstig. Wohlgefällig. Die Verführer zur Unkeuschheit.

    »Hör mal, harter Knabe«, sagte Tom Grant. »Du solltest es lieber nicht tun. Du bringst den Jungen auf Abwege.«

    »I wo, es wird ihm nichts schaden, im Gegenteil, es wird ihm gut tun«, erklärte Jim Trivett. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, grinste.

    »'nen Augenblick«, flüsterte Jim Trivett. »Ich glaube, das ist das Haus.«

    Sie standen in einer schmutzigen, unerleuchteten Seitenstraße fast am Rande der Stadt; ihre Füße raschelten im welken Laub. Es war drei Wochen vor Weihnachten. Sie waren ungefähr zwanzig Minuten gegangen, vom Zentrum der muffigen Tabakstadt weg durch herbstlich dumpfe, nebelkalte Straßen, schließlich einen ausgefahrnen Hügel hinunter, an Hütten vorbei, in denen armes, weißes Gesindel und Schwarze wohnten. Nun hielten sie vor einem zweistöckigen Holzhaus. Hinter heruntergelassenen Fensterblenden brannte Licht; ein gelber Widerschein glomm in die rauchige Luft hinaus.

    »'nen Augenblick«, sagte Tim Trivett, »ich will mich erkundigen.«

    Es kamen Schritte durchs welke Laub. Ein Schwarzer erschien vor ihnen.

    »Hallo, John!« sagte Jim Trivett fast unhörbar.

    »'nAwen', Boß!« sagte der Schwarze, schläfrig, ebenso leis.

    »Wir suchen das Haus von Lily Jones«, erklärte Jim Trivett. »Sind wir da recht?«

    »Ja, Suh«, sagte der Schwarze, »da sein es.«

    Eugene lehnte an einem Baumstamm und hörte das leise Verschwörergeflüster an. Die Nacht war weit, lauernd und lauschend wie das böse Gewissen. Seine Lippen waren kalt und bebten, er klemmte eine Zigarette dazwischen. Ihn schauderte; er schlug den Mantelkragen hoch.

    »Miss Lily, weiß sie, Sie kommen?« fragte der Schwarze.

    »Nein«, sagte Jim Trivett. »Kennen Sie sich aus?«

    »Ja«, sagte der Schwarze, »gehn Sie mit!«

    Eugene wartete unter dem Baum. Jim Trivett und der Schwarze gingen ums Haus und pochten an die Hintertür.

    Er wartete. Er sagte sich selbst lebwohl. Er spürte, daß er mit gezücktem Morddolch über seinem Leben stand. Er war unentwirrbar verstrickt. Ein Entrinnen gab's nicht.

    Von drinnen waren schwache Geräusche gekommen, Stimmen, Gelächter, das heisere Kratzen eines alten Grammophons. Nun verstummten sie plötzlich. Das Haus schien aufzuhorchen. Einen Augenblick später ging eine Tür, Eugene hörte eine erstaunte Frauenstimme, die leise und verwirrt fragte: »Wer ist da? Wer?«

    Gleich darauf kam Jim Trivett zurück und sagte: »Alles in Ordnung, Eugene. Komm, gehn wir 'rein!«

    Jim Trivett gab dem Schwarzen ein Trinkgeld, dankte ihm. Eugene sah dem Schwarzen einen Augenblick in das breite, freundliche Gesicht. Es wurde ihm wärmer. Der dunkle Zutreiber hatte seine Arbeit willig und gern getan; über der gekauften, lieblosen Liebe lag der Schatten seines Wohlwollens.

    Sie gingen stillschweigend ins Haus. Eine Frau hielt die Tür auf und riegelte ab, sobald sie eingetreten waren. Sie befanden sich in einer kleinen Diele; eine Lampe mit heruntergeschraubtem Docht brannte matt im Halbdunkel. Eine Holztreppe führte zum zweiten Stock hinauf. Rechts und links waren Türen in die Zimmer des Erdgeschosses. Ein abgetragner Herrenfilzhut hing auf dem langen Kleiderhaken.

    Jim Trivett umarmte die Frau sofort, grinste, knutschte ihr die Brüste.

    »Hallo, Lily«, begrüßte er sie.

    »Jesses!« sagte sie. Sie lächelte mit grobem Mund und sah Eugene neugierig von der Seite an. Dann sagte sie lachend:

    »Barmherziger! Die Frau, die den da kriegt, muß ihm erst ein Stück von den Beinen abschneiden.«

    Jim Trivett grinste. »Ich möcht' ihn mal mit der Thelma sehn«, sagte er.

    Lily Jones lachte heiser. Die Tür rechts ging auf, und die kleine leichtgebaute Thelma erschien. Aus dem Zimmer schallte ein leeres, blödes Männerlachen. Jim Trivett umarmte Thelma.

    »Jesses!« sagte Thelma mit blecherner Stimme. »Wen hast Du denn dabei?« Sie wandte Eugene ihr scharfgeschnittnes Vogelgesicht zu und musterte ihn unverschämt.

    »Ich hab Dir 'nen neuen Verehrer mitgebracht«, sagte Jim Trivett.

    »So 'nen Schlanken hast Du sicher noch nicht gesehn«, sagte Lily Jones unbeteiligt. »Wie lang bist Du eigentlich, Sohn?« fragte sie gutmütig.

    »Ich weiß es nicht genau«, sagte Eugene. »Ungefähr zwei Meter.«

    »Mehr!« erklärte Thelma entschieden. »Ein Lügenmaul will ich heißen, wenn er nicht zwei Meter zehn mißt.«

    »Er hat sich halt seit 'ner Woche nicht gemessen«, sagte Jim Trivett. »Drum weiß er's nicht genau.«

    »Und jung ist er«, sagte Lily und starrte Eugene an. »Wie alt bist Du, Sohn?«

    Eugene wandte sein bleiches Gesicht ab, unentschieden.

    »Wieso?« sagte er. »Ich werde schon ...«

    »Er wird achtzehn«, sagte Jim Trivett ergeben. »Macht Euch keine Gedanken wegen ihm. Das alte Langbein da keimt sich aus. Er ist 'ne Bierkatze. Spaß beiseite, der weiß, wie man's macht.«

    »Er sieht jünger aus«, sagte Lily. »Dem Gesicht nach hätt' ich ihn für fünfzehn gehalten. Aber hat er nicht wirklich 'n auffallend kleines Gesicht?«

    »Es ist das einzige, das ich habe«, sagte Eugene ärgerlich. »Tut mir leid, daß ich es nicht für ein größres umtauschen kann.«

    »Es wirkt komisch, weißt Du, so hoch da droben«, fuhr Lily träg fort.

    Thelma gab ihr einen Rippenstoß und lachte heiser.

    »Das kommt, weil er so ein langes Untergestell hat. Wenn er erst mal Fleisch und Fettpolster an dieses Knochengerüst kriegt, wird er ein Riesenkerl sein. Ja, ja, ein Riesenkerl wirst Du sein, Langbein, und ein Herzensbrecher erster Klasse, das prophezeie ich Dir.«

    Sie nahm seine Hand und preßte sie. Der Fremde, das Gespenst in ihm, wandte sich gramvoll ab. O mein Gott, dachte er, ich werde mich erinnern.

    »Also legen wir los!« sagte Jim Trivett. Er umarmte Thelma und tat verliebt mit ihr.

    »Geh einstweilen nach oben, Sohn«, sagte Lily. »Ich komm in 'ner Minute 'rauf. Die Tür steht offen.«

    »Wir seh'n uns später, Eugene. Mach's gut!«

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