Zwei Morde und ein Lord: Kriminalroman
Von Headon Hill
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Über dieses E-Book
Ein Wärter verhilft ihm zur Flucht. Doch diese hat ihren Preis : Arthur Rivington muss einen Menschen ermorden. Tut er dies nicht, landet er erneut im Gefängnis und wird zum Galgen geführt.
Als Arthur Rivington das Gefängnis verlässt, wird er auf Schritt und Tritt von einem finsteren Kerl begleitet. Dieser muss sicherstellen, dass Arthur Rivington den Mord auch wirklich begeht.
Damit steht Arthur Rivington vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Gegenüber dem finsteren Kerl muss er so tun, wie wenn er bereit wäre, den Mord zu begehen. Gleichzeitig muss Arthuer Rivington aber auch seine Flucht so planen, dass er sich aus den Fängen des finsteren Kerls befreien kann - nur so kann er verhindern, dass er tatsächlich zu einem Mörder wird.
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Buchvorschau
Zwei Morde und ein Lord - Headon Hill
KAPITEL II
«Setzen Sie sich und genehmigen Sie sich ein Glas Whiskey», bat mich Herzog.
«So ist es besser», meinte er. «Ich finde es sinnvoll, Sie gleich von Anfang an von der Illusion zu befreien, dass ich Ihre Unschuld beweisen will. Ich habe Sie aus dem Gefängnis befreit, weil Sie ein abscheulicher Schurke sind. Denn gerade deshalb, weil Sie ein abscheulicher Schurke sind, sind Sie in der Lage, einen weiteren Mord zu begehen – einen Mord, mit dem Sie allenfalls verhindern können, dass Sie in wenigen Tagen am Galgen baumeln.»
«Und wenn ich mich weigere?»
«Wenn Sie sich weigern, lasse ich dem Gefängnis einen kleinen Hinweis zukommen. Dann ist Ihre Flucht aus dem Gefängnis zu Ende und Sie haben am nächsten Donnerstag ein Treffen mit dem Henker seiner königlichen Majestät.»
«Würden Sie angesichts der Ausgangslage die Güte haben und mich hören lassen, was es denn genau ist, das ich für Sie tun kann?»
«Sie haben», meinte Herzog, «Ihre Mutter und Ihre Schwester umgebracht, und dies einzig und allein, damit Sie an eine lächerlich kleine Summe Geld gelangen.»
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich darauf verzichten musste, meine Unschuld zu beteuern. Wollte ich mein Leben retten, musste ich so tun, wie wenn ich tatsächlich ein gewissensloser Mörder wäre, der ohne mit der Wimper zu zucken seine Mutter und seine Schwester ermordet hatte.
Ich räkelte mich in meinem Sessel und sagte so gleichmütig wie möglich:
«Na und? Lassen wir das sein und sprechen wir über meinen Auftrag.»
Das gefiel Herzog.
«Sehr gut», meinte er fröhlich. «Eine Zeitlang habe ich an Ihnen gezweifelt. Doch das tönt nun wesentlich besser. Nun. Um es kurz zu machen: Dieses Mal geht es nicht darum, dass Sie zwei hilflose Frauen ermorden. Dieses Mal, Sie stinkendes Aas, dieses Mal bekommen Sie es mit einem Mann zu tun.»
«Aha», sagte ich. Mehr fiel mir dazu nicht ein.
«Ich bin dazu ermächtigt», fuhr Herzog ungerührt fort, «Ihnen zu versichern, dass ich Ihnen alle notwendigen Mittel zur Verfügung stellen werde, damit der Mord gelingt. Und ebenso bin ich dazu ermächtigt, dafür zu sorgen, dass Sie nach der Tat unbehelligt fliehen können.»
«Und wann soll das geschehen?»
«In vierzehn Tagen. Länger warten können wir nicht, sonst besteht die Gefahr, dass Sie erkannt und gefasst werden.»
Ich versuchte, meine Rolle als herzloser Verbrecher so glaubwürdig als möglich zu spielen.
«Geben Sie mir 5 Minuten, damit ich einer Ihrer vorzüglichen Zigarren rauchen und mir die Sache durch den Kopf gehen lassen kann.»
«Wir werden in diesem Hotel übernachten. Ich kann Ihnen von da her so viel Zeit zum Überlegen geben, wie Sie brauchen. Versuchen Sie jedoch nicht zu fliehen. Wie ich schon sagte, sind Sie in diesem Hotel genauso ein Gefangener, wie Sie dies in Ihrer Todeszelle waren: Rund ums Hotel habe ich drei Leute platziert.»
Mir war klar, dass er die Wahrheit sprach. Schon allein die Kaltblütigkeit, mit der der Gefängniswärter meine Flucht arrangiert hatte, machte deutlich, dass das ganze Unterfangen sorgfältig geplant worden war. Abgesehen davon kam für mich eine Flucht ohnehin nicht in Frage. Ich hatte keine Freunde, bei denen ich hätte Unterschlupf finden können, und ich hatte fast kein Geld – es würde lediglich ein paar Stunden dauern, bis mich die Polizei gefasst hätte.
Ich sass eine ganze Weile schweigend da und dachte an das, was sich in den letzten Monaten ereignet hatte.
Ich diente als Hauptmann der Artillerie in der Armee. Meine Mutter war verwitwet und lebte mit meiner Schwester zusammen in einem kleinen Haus in der Nähe von Brockenhurst. So oft es mir meine dienstlichen Pflichten erlaubten, besuchte ich die beiden.
Vor einem halben Jahr starb plötzlich meine Mutter. Einige Monate später verschied auch meine Schwester. Beide starben zu einer Zeit, zu der ich mich in ihrem Haus aufgehalten hatte. Das machte mich verdächtig. Mir wurde vorgeworfen, die beiden umgebracht zu haben – und da ich der einzige war, der finanziell vom Tode der beiden profitierte, ging man davon aus, dass ich aus Geldgier gehandelt hatte.
Wer die Morde begangen hatte, wusste ich nicht. Einen einzigen kleinen Hinweis hatte mir meine Schwester gegeben. Als sie im Sterben lag, hatte sie drei Worte geflüstert. Diese drei Worte waren ‘Mann, Maske, Roger’.
Wenn ich meine Unschuld beweisen wollte, musste ich von diesen drei Worten ausgehen.
Ich trank meinen Whiskey und rauchte die Zigarre zu Ende. Herzog schaute mir zu. Er grinste. Ich reagierte nicht darauf, sondern versuchte, meine Rolle als kaltblütiger Mörder weiter zu spielen. Als ein ‘stinkendes Aas’ nahm Herzog mich wahr, und es war wichtig, dass er mich auch weiterhin so sah.
«Nun», sagte Herzog endlich. «Nun. Sie Zierde der britischen Armee. Ich sehe, dass Sie sich entschieden haben und dass Sie dem Galgen entgehen wollen, indem Sie etwas tun, wofür Sie den Galgen erst recht verdient hätten. Habe ich recht?»
Ich nickte.
«Ich habe mir gedacht, dass Sie ein vernünftiger Kerl sind», hielt Herzog fest. «Und ausserdem ist es schon so: Sollten Sie nach Ihrem dritten Mord doch noch gefasst werden, können Sie sich damit trösten, dass Sie für drei Morde nur ein einziges Mal am Galgen baumeln müssen.»
Herzog lächelte zynisch und fuhr fort:
«Ich habe Sie unter Druck gesetzt, weil ich Ihnen klar machen wollte, dass es keinen Zweck hat, wenn Sie das Unschuldslamm spielen und über die Ungerechtigkeit der Welt jammern, die Sie ins Gefängnis gebracht hat. Jetzt aber, wo Sie zu Ihren Morden stehen, muss ich keinen Druck mehr auf Sie ausüben. Ich werde Sie im Gegenteil sehr höflich und zuvorkommend behandeln, solange Sie sich angemessen benehmen.»
Nur zu gerne hätte ich meine Faust in das Gesicht von Herzog geschlagen. Doch ich beherrschte mich.
«Kommen wir zum Geschäftlichen», schlug ich vor. «Wen muss ich umbringen? Ich habe fast das Gefühl, das es jemand Wichtiger sein muss, angesichts der Vorbereitungen, die da offensichtlich getroffen worden sind.»
Herzog schaute mich so an, wie wenn er überprüfen wollte, ob ich bereit sei, den Namen jenes Menschen zu erfahren, den ich töten sollte.
«Es handelt sich in der Tat um eine sehr wichtige Person.»
Herzog sagte mir, um wen es sich handelte.
«Mein Gott», keuchte ich, «aber doch nicht…»
Herzog unterbrach mich.
«Doch. Genau diesen.»
«Den Premierminister!», schrie ich.
«Den Premierminister – Lord Alphington, der Premierminister» bestätigte Herzog.
Ich fand, dass es Zeit war, ein wenig Theater zu spielen. Ich sprang auf.
«Den Premierminister! Ausgerechnet jenes Scheusal, das mein Begnadigungsgesuch abgelehnt hat. Ich weiss nicht, warum Sie ihn umbringen wollen. Aber von mir aus lieber heute als morgen. Geben Sie mir eine Pistole, mit der ich dieses verdammte Scheusal um die Ecke bringen kann und ich mache mich sofort auf den Weg!»
Einen Moment lang fürchtete ich, dass ich mit meiner Schauspielerein zu weit gegangen war. Herzog starrte mich zuerst an, seufzte dann jedoch erleichtert auf und bereitete sich einen neuen Drink zu. Er nahm einen Schluck.
«Der Premierminister hält sich heute in London auf», erklärte er. «In zwei, drei Tagen aber wird er zu seiner Sommerresidenz auf der Insel of Wight begeben. ‘Peachwater’ heisst sein Haus, und es liegt an der Totland Bay. Morgen, mein lieber Freund, reisen wir ebenfalls auf die Insel – als harmlose Feriengäste.»
Einmal mehr musste ich mich zusammennehmen, um nicht aufzuschreien. Mein geliebte Janet, die Frau meines Herzens, hielt sich ebenfalls auf Totland Bay auf.
«Als harmlose Feriengäste», wiederholte ich und versuchte dabei, so hämisch als möglich zu grinsen.
KAPITEL III
Bevor wir nach Totland Bay fuhren, verbrachten wir die Nacht in einem Hotel. Ich schlief sehr unruhig. Als ich erwachte, beugte sich Herzog über mich. Ich erschrak, doch er beruhigt mich.
«Kein Grund zur Sorge», stellte er fest. «Ich habe Sie mir lediglich genauer angeschaut und mir überlegt, wie ich Sie verkleiden kann, damit Sie wie ein harmloser Feriengast aussehen.»
Er musterte mich weiter und meinte:
«Der Schnauz muss weg. Sie bekommen einen Bart, und das genügt. Niemand wird Sie erkennen. Sie sind zudem mit jener Person unterwegs, von der man noch zuletzt annehmen würde, dass Sie sich in ihrer Begleitung befindet.»
Mit dieser rätselhaften Bemerkung konnte ich nichts anfangen. Ich stellte aber fest, dass die einfachen Massnahmen von Herzog sehr wirksam waren: Mein Gesicht hatte sich so verändert, dass ich mich selbst fast nicht mehr erkannte.
Als ich mich unkenntlich gemacht hatte, bat mich Herzog, das Hotel zu verlassen und an der Strassenecke fünf Minuten auf ihn zu warten.
«Den ‘Mr. Tennant’ gibt es nicht mehr», erklärte Herzog. «Von nun an heissen Sie ‘Mr. Martin’. Sie sind ein Mann, der sich von einer Krankheit erholt. Ich wiederum heisse ‘Dr. Barrables’ und bin der Arzt, der Sie begleitet und für Ihre Genesung sorgt.»
Bei einem Herrenausstatter wurde ich neu eingekleidet, und zusammen mit Dr. Barrables machte ich mich als Mr. Martin auf den Weg zum Bahnhof. Herzog verliess mich, um die notwendigen Fahrkarten zu kaufen. Ich schaute mich um und stellte fest, dass der Zeitungsverkäufer an der Ecke mächtig unter Druck stand: Die Leute rissen ihm die Zeitungen buchstäblich aus der Hand.
Ich konnte einen Blick auf die Schlagzeile in der Zeitung werfen. Sie lautete so, wie ich dies erwartet hatte:
‘Flucht des Mörders Rivington aus dem Gefängnis».
Mich fröstelte es. «Alles in Ordnung», beruhigte mich jedoch Herzog, nachdem er einen Blick in die Zeitung geworfen hatte. «Die Polizei glaubt, eine heisse Spur zu haben, die sie nach London führt.»
Ich atmete auf.
«Ich habe gestern nicht umsonst einige Zeit in London verbracht», bemerkte Herzog stolz.
Mir wurde übel.
«Es ist schrecklich», sagte ich.
«Sie werden sich daran gewöhnen», zischte Herzog. «Sie müssen sich daran gewöhnen», fügte er bei.
Ich atmete einige Mal tief durch und beruhigte mich. Das gelang mir gut, denn ich stellte fest, dass uns niemand auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenkte.
Es war ein herrlicher Sommertag, und als das Schiff aus dem Hafen hinaus aufs Meer fuhr, freute ich mich meines Lebens. Direkt vor uns erhoben sich die grünen Hügel der Isle of Wight. Langsam konnte ich einzelne Häuser auf der Insel erkennen, und mir wurde klar, dass sich in einem dieser Häuser auf Totland Bay meine geliebte Janet aufhielt. Und ich würde sie sehen – ich, der ich vor 24 Stunden in meiner Zelle gesessen und auf meinen Tod gewartet hatte!
Doch dann packte mich plötzlich wieder die Angst. Ein kleiner Fehler nur, und ich würde zurück in meine Zelle gebracht und zum Galgen geführt werden.
Herzog dagegen liess sich nichts davon anmerken. Er stand neben mir, schaute auf die Insel, die immer näher kam und plauderte mit mir über irgendwelche Banalitäten – ich wusste, dass er dies für den Fall tat, dass jemand von den anderen Passagieren unser Gespräch verfolgte.
Eine dieser Passagiere war eine vornehm gekleidete, junge Frau, die – abgesehen von ihrer Begleitdame – allein zu reisen schien. Sie erweckte zweifellos die Aufmerksamkeit von Herzog, der bald einmal mit ihr in ein Gespräch vertieft war. Dabei machte er der jungen Frau auch klar, dass er mein behandelnder Arzt war.
«Sollten Sie den Wind zu kühl finden, Mr. Martin», bemerkte er, «können wir nach unten gehen, wo es wärmer