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Brüder: Koslowskis 5.Fall
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eBook270 Seiten3 Stunden

Brüder: Koslowskis 5.Fall

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Über dieses E-Book

Hat Hauptkommissar S.H. Koslowski seinen Gegner diesmal unterschätzt?
Wieder ist er zwischen die Fronten zweier typischer Berliner Gruppierungen mit jeder Menge krimineller Energie geraten und das mit für ihn schmerzhaften Konsequenzen.
Die alteingesessene Rockergang ist nicht erfreut über die neuen russischen Geschäftsideen auf ihrem angestammten Gebiet. Und plötzlich mischt auch noch ein Geist aus Koslowskis Vergangenheit mit, dessen Einsatz am Ende alle Pläne durcheinanderbringt.
Am Ende zeigt Koslowskis fünfter Fall allen Beteiligten die Grenzen des guten Willens auf.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum16. Jan. 2023
ISBN9783740723873
Brüder: Koslowskis 5.Fall
Autor

J.U. Gowski

J.U.Gowski, Jahrgang 1962 erschafft mit seinen Protagonisten um den Berliner Chefermittler S.H.Koslowski einen Querschnitt der Berliner Bevölkerung, ihrer Lebensart, ihren Ecken und Kanten. Es ist sein Berlin und die Geschichten so spannend wie die Stadt selbst. Er ist glücklich verheiratet und hat drei Kinder.

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    Buchvorschau

    Brüder - J.U. Gowski

    Das Buch:

    Hat Hauptkommissar S.H. Koslowski seinen Gegner diesmal unterschätzt?

    Wieder ist er zwischen die Fronten zweier typischer Berliner Gruppierungen mit jeder Menge krimineller Energie geraten und das mit für ihn schmerzhaften Konsequenzen. Die alteingesessene Rockergang ist nicht erfreut über die neuen russischen Geschäftsideen auf ihrem angestammten Gebiet. Und plötzlich mischt auch noch ein Geist aus Koslowskis Vergangenheit mit, dessen Einsatz am Ende alle Pläne durcheinanderbringt.

    Am Ende zeigt Koslowskis fünfter Fall allen Beteiligten die Grenzen des guten Willens auf.

    Der Autor:

    J.U. Gowski, Jahrgang 1962 erschafft mit seinen Protagonisten um den Berliner Chefermittler S.H. Koslowski einen Querschnitt der Berliner Bevölkerung, ihrer Lebensart, ihren Ecken und Kanten. Es ist sein Berlin und die Geschichten so spannend wie die Stadt selbst.

    Er ist glücklich verheiratet und hat drei Kinder.

    Bisher erschienen in der Reihe:

    »4467 Tage oder Der Rache langer Atem« (2016)

    »Die Harry Brown Liste« (2017)

    »Der König ist tot, lang lebe der König« (2018)

    »Whisky Blues« (2019)

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    13. Mai 1988

    20. Mai 1988

    Sonntag

    1. Kapitel

    Montag

    2. Kapitel

    3. Kapitel

    4. Kapitel

    5. Kapitel

    Dienstag

    6. Kapitel

    7. Kapitel

    8. Kapitel

    9. Kapitel

    10. Kapitel

    Mittwoch

    11. Kapitel

    Donnerstag

    12. Kapitel

    13. Kapitel

    14. Kapitel

    Freitag

    15. Kapitel

    16. Kapitel

    17. Kapitel

    Samstag

    18. Kapitel

    19. Kapitel

    20. Kapitel

    21. Kapitel

    Sonntag

    22. Kapitel

    23. Kapitel

    24. Kapitel

    25. Kapitel

    26. Kapitel

    Montag

    27. Kapitel

    Dienstag

    28. Kapitel

    Mittwoch

    29. Kapitel

    Donnerstag

    30. Kapitel

    Epilog

    Prolog

    13. Mai 1988

    Nikolai Sinzow hielt kurz inne. Er hatte eine kleine Pause nötig. Der Schweiß lief ihm an Stirn und Nacken hinunter. Er erhob sich von den Knien und streckte sich. Dabei starrte er in den wolkenlosen Himmel. Mit dem Käppi wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er war dankbar für jeden lauen Luftzug, der über seine kurzen blonden Haarstoppeln strich. Sein Blick schweifte über die letzte Rasenkante des Exerzierplatzes, die er mit der kleinen Schere beschneiden musste. Befehl vom Gruppenführer und reine Schikane. Noch fünfzig Meter schätzte er, dann hätte er es geschafft. Seufzend setzte er wieder sein Käppi auf und ging in die Knie. Er wollte gerade weiter schneiden, als plötzlich ein Schatten seine Sicht verdunkelte. Vor seinem Gesicht tauchte ein Paar polierte Stiefel auf. Sinzow konnte sich denken, wem sie gehörten. Er blickte nach oben und sah in das pockennarbige Gesicht von Feldwebel Porowkin. Sinzow stand betont langsam auf und klopfte sich den Staub von den Knien.

    »Na, machts Spaß, Sinzow? Scheinst mir der geborene Gärtner zu sein.«

    Sinzow schwieg.

    »In fünf Minuten bist du umgezogen. Dann meldest du dich im Stab der Militärkommandantur bei Oberst Petrysky.«

    Da Sinzow wieder nicht reagierte, bellte Porowkin: »Hast du verstanden, Sinzow?«

    Sinzows rechter Mundwinkel zuckte kurz. »Jawohl, Genosse Feldwebel.«

    »Ach, immer noch nicht genug?«, fragte Feldwebel Porowkin, dem das Mundzucken nicht entgangen war. Seine kleinen Knopfaugen blitzten wütend. »Wenn du zurückkommst, hab ich eine neue nette Aufgabe für dich, für dich und deinen schwulen Künstlerfreund Mischkin. Wie gefällt dir das?«

    Sinzow lächelte. Er hob die gestreckte Hand zum Gruß an die Stirn und rief laut: »Zu Befehl, Genosse Feldwebel.«

    »Mach, dass du wegkommst, und zwar im Laufschritt«, knurrte Porowkin finster. Sinzow nahm das Käppi ab und trabte los.

    Oberst Anatolji Petrysky, der über seinen Schreibtisch gebeugt auf eine ausgerollte Karte sah, hob seinen kahlrasierten Schädel und blickte kurz auf, als der Gefreite Nikolai Sinzow den Raum betrat, die Hacken zusammenschlug und salutierte. Mit undurchsichtigem Blick musterte er den Gefreiten. Dann sagte er: »Rühren.«

    Sinzow nahm den Arm herunter, verlagerte das Gewicht auf das rechte Bein und sah sich kurz um. Der Raum war schmucklos. Der Schreibtisch, hinter dem der Oberst stand, war riesig. Mehr als ein Stuhl war nicht vorhanden. Hinter dem Oberst hing das Porträt von Michael Gorbatschow an der Wand. Es war das einzige Bild im Raum. An der rechten Wand standen zwei breite Aktenschränke.

    »Sie können Auto fahren?«, riss der Oberst Sinzow aus seinen Betrachtungen.

    Sinzow sah den Oberst verwundert an. »Ähh, ja.«

    »Wo haben Sie das gelernt?«

    »Bei uns auf der Kolchose. Musste da öfter aushelfen wegen…«, er zögerte kurz, »…wegen Krankheit. Bin eigentlich nur der zweite Mechaniker. Traktoren, Mähdrescher und so.«

    »Wegen Krankheit, soso.« Der Oberst nickte verstehend. »Ich kenne Ihren älteren Bruder. Er war ein sehr guter Soldat. Sind Sie auch so ein guter?«

    »Ich bemüh mich, Genosse Oberst.«

    »Sie bemühen sich? Soso. Wie geht es ihrem Bruder?«

    »Er hat geheiratet und wohnt jetzt im Nachbardorf.«

    »Grüßen Sie ihn von mir, wenn Sie auf Urlaub sind.«

    »Mach ich, Genosse Oberst.«

    »Jetzt zu ihrer Anwesenheit. Sie müssen aushelfen.

    Hat allerdings andere Gründe als bei euch auf dem Dorf. Also nicht wegen Suff.« Er lachte kurz auf. Seine Augen waren dabei nicht beteiligt. »Mein Fahrer, Gefreiter Sokolew, hatte einen Blinddarmdurchbruch. Die Ärzte wissen nicht, ob er es schaffen wird und wenn doch, ist er auf jeden Fall die nächsten zwei Wochen nicht einsatzbereit.«

    Wieder musterte ihn der Oberst mit kalten Augen. »Sie schlafen weiterhin im Mannschaftssaal. Pünktlich nach dem Frühstück, um 8.00 Uhr, melden Sie sich hier und bleiben in Bereitschaft, bis ich Sie entlasse. Was nicht heißt, dass Sie doch auch mal nachts noch mal raus müssen. Haben Sie das verstanden?«

    »Jawoll, Genosse Oberst.«

    »Gut. Wegtreten.«

    »Zu Befehl, Genosse Oberst.« Sinzow schlug die Hacken zusammen und der Arm schnellte wieder nach oben. Sich auf den Hacken drehend, verließ Sinzow den Raum.

    Oberst Petrysky kratzte sich zufrieden den kahlrasierten Schädel. Es schien, als hätte ihm Hauptmann Melnyk diesmal den Richtigen empfohlen. Er hatte nicht gewusst, dass er der jüngere Bruder von Oleg Sinzow war. Er erinnerte sich gut an Sinzow. An seine schweigsame Ernsthaftigkeit. Einer, der nicht viel redete, sondern machte. Und ein ausgesprochenes Organisationstalent. Hatte damals einen guten Draht zu den Einheimischen. Wilthener Weinbrand und Thüringer Würste im Tausch gegen Diesel, den die LPGs mit ihren begrenzten Treibstoffkontingenten gut gebrauchen konnten. Er kratzte sich bei der Erinnerung wieder den Schädel. Das alles war schon wieder fünf Jahre her. Er hatte ein gutes Gefühl bei dem Gefreiten. Schien ein guter Junge zu sein. Vielleicht etwas zu weich. Hatte nicht diese Härte wie sein älterer Bruder. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Man sagt ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Es wird schon werden. Dann beugte er sich wieder über die Karte auf seinem Schreibtisch. Es galt, ein Manöver vorzubereiten.

    In dem großen Saal standen die hundert schmalen Stahlpritschen in vier Reihen mit einem Meter Abstand. Das fahle Mondlicht schien durch die verstaubten Fenster und tauchte die Gesichter der schlafenden jungen Männer in silbriges Licht. Menschliche Ausdünstungen von Schweiß und Furzen tränkten die stickige Luft. Es war Mitternacht.

    »Bist du wach?«, fragte eine Stimme wispernd. Sie gehörte Iwan Mischkin, genannt Wanja, und die Frage richtete sich an seinen Bettnachbarn.

    »Ja« , antwortete Nikolai Sinzow ebenso leise.

    »Sie haben Aljoscha Sokolew geholt und in den unteren Trakt gesperrt«, flüsterte Mischkin.

    »Den Fahrer von Oberst Petrysky, ich denke, der hat Blinddarm?«

    »Ja, der Fahrer vom Oberst. Aber von Blinddarm weiß ich nichts.«

    »Hmm und weswegen?«, fragte Nikolai.

    »Er soll eine Frau aus dem Ort erst vergewaltigt und dann getötet haben.«

    »Woher weißt du das?«

    »Hab ich heute Vormittag in der Offiziersmesse aufgeschnappt. Beim Geschirr abräumen, bevor ...« Er zögerte.

    »Was?«

    »Ach nichts, Kolja. Nichts.«

    Nikolai Sinzow starrte zur Decke und fragte sich, was seinem Freund passiert war. Seit Iwan Mischkin in der Kompanie angekommen war, wurde er von den anderen drangsaliert. Sinzow drehte sich zu Mischkin um und sagte: »Dann wird es wohl stimmen. Es wäre besser gewesen, wenn er sich den Deutschen gestellt hätte.«

    »Warum? Sie hätten ihn doch sowieso ausgeliefert.«

    »Vermutlich. Aber es wäre eine kleine Chance gewesen, am Leben zu bleiben, jetzt werden sie ihn vor das Erschießungskommando stellen.«

    »Er ist ein Vergewaltiger und Mörder! Er bekommt, was er verdient.«

    Sinzow stimmte ihm zu. Und doch fragte er sich, ob es rechtens sei, ob die Schuld schon bewiesen war. Er starrte zu den staubigen Fenstern. Sterne flimmerten am schwarzen Himmel. So schön wie zu Hause in seinem Dorf am Dnjepr war der Himmel hier nicht. Es waren weniger Sterne und sie schienen ihm blasser zu leuchten. Er wusste, dass sie in der Nähe einer sehr großen Stadt stationiert waren, nur kannte er den Namen nicht. Noch nicht. Doch den würde er herausbekommen. Er hatte es schon einmal beobachtet, dass ein Nachthimmel weniger leuchten konnte als bei ihm zu Hause. In Moskau. Da war er 15 Jahre alt gewesen und das erste Mal weg von zu Hause. Auf Besuch bei Verwandten. Es war in den Sommerferien. Er konnte sich gut erinnern. Wie auch nicht. Da hatte er gemerkt, dass er anders war als die anderen Jungen. Es blieb sein Geheimnis, tief in seinem Inneren begraben. Etwas anderes war undenkbar. Er lebte gern in seinem Dorf. Da hatte er Freunde, die Familie, Geborgenheit. Was sollte er allein in einer großen Stadt? Er sah zu Wanja, dessen Gesicht fahl im Mondlicht schimmerte. Jetzt, mit Wanja, war es etwas anderes. Da könnte er sich ein Leben in der Stadt vorstellen, auch wenn es bedeutete, alle Brücken abzubrechen. Er sah wieder zum nächtlichen Himmel mit den wenigen Sternen und er war sich sicher, es war derselbe Himmel. Genau wie in Moskau. Mischkin unterbrach Sinzows Gedanken, als er sagte: »Vielleicht hat er geglaubt, sie erwischen ihn nicht und wenn doch, dass er dann seine Strafe in der Heimat absitzen kann.«

    »Als ob Gulag besser wäre.« Nikolai seufzte. »Aber wenigstens hat er dann das hier hinter sich. «

    »Aber wir nicht«, erwiderte Wanja und seine Stimme zitterte. Plötzlich fing er an zu schluchzen und tastete nach Nikolais Hand. »Wir werden hier draufgehen.«

    »Halte durch. Nur noch ein paar Tage ...« Nikolai drückte fest Wanjas Hand. »...dann habe ich einen Weg gefunden, versprochen. Eine Idee hab ich schon. Hat sich heute Vormittag ergeben. Wir werden hier nicht verrecken.«

    »Doch, Nikolai, doch«, schluchzte Wanja. Dann sprudelte es aus ihm heraus. »Sie haben mich in den Spind gesperrt. Ich musste pinkeln. Erst nach vier Stunden haben sie mich wieder rausgelassen. Alles war nass. Ich hab mich so geschämt.«

    Nikolais Herz zog sich schmerzlich zusammen. Er konnte Wanjas Verzweiflung körperlich fühlen. Es war ein Stich ins Herz. Er drückte wieder Wanjas Hand und sagte mit fester Stimme: »Nein, werden wir nicht. Wir schaffen es hier raus. Gemeinsam. Du und ich. Und dann beginnt ein neues Leben. Unser Leben!«

    20. Mai 1988

    »Na Koslowski, sieht schlecht aus für deine Unioner. Wird wieder ein Abstieg für euch. Macht euren Ruf als Fahrstuhlmannschaft alle Ehre.« Der dicke Meier griente Unterwachtmeister S.H. Koslowski siegesgewiss an.

    »Blödsinn«, entgegnete Koslowski gleichmütig. »Wenn wir morgen gegen deinen HFC gewinnen und dann am letzten Spieltag gegen Karl-Marx-Stadt, bleiben wir drin.«

    »Gegen uns gewinnen? Pahh«, machte Meier und blies dabei die Backen auf. »Träum weiter, ihr steigt ab.«

    »Ach scheiße, ganz sicher nicht.«

    »Wetten?«

    Koslowski ging auf das Angebot nicht ein. Er lächelte Meier spöttisch an. »Wir gewinnen gegen euch und gegen Karl-Marx-Stadt. Und weißt du warum?«

    »Nee.«

    »Es ist für uns Berliner einfach Pflicht, gegen euch Sachsen zu gewinnen.«

    »Wir sind keine Sachsen, wir sind Anhaltiner«, protestierte Meier.

    »Komisch, irgendwie habt ihr den gleichen Dialekt.«

    »Du hast keine Ahnung, Koslowski. Du bist ein Arsch.«

    »Na und? Das ändert nichts daran, dass wir gegen euch gewinnen. Und Frankfurt muss am letzten Tag gegen den BFC ran und wir wissen ja schon jetzt, wie das Spiel ausgeht. Damit steigen Frankfurt und Riesa ab. Hab ich recht, oder hab ich recht?«

    Die Trillerpfeife von Hauptwachtmeister Tölke, dem UvD, ertönte laut schrillend und riss sie aus dem Disput. Dann hallte sein gellender Ruf: »Marschbereitschaft herstellen« durch den langen Flur.

    »Was soll denn der Scheiß?«, fragte Koslowski und sah auf die Uhr.

    Der Spieß stand breitbeinig im Flur und sah mit wohlwollendem Blick, wie Sekunden später die Türen der Unterkünfte aufflogen und die Gruppenführer ihre Untergebenen antrieben. Es dauerte nur wenige Minuten, dann saß die Kompanie auf den bereitgestellten LKWs. Der Kompaniechef, Hauptmann Endter bestieg den Trabant Kübel, der mit laufendem Motor gewartet hatte. Die Motoren der LKWs wurden gestartet. Hauptmann Endter streckte den Arm nach vorn. Der Konvoi setzte sich rollend in Bewegung, verließ die Basdorfer Kaserne und bog zügig links auf die Landstraße.

    »Scheint wohl keine Übung zu sein«, stellte einer fest.

    »Da wir noch auf dem LKW sitzen, wohl kaum«, erwiderte ein anderer.

    »Es sei denn, sie fahren uns in den Wald für einen Nachtmarsch«, entgegnet eine Stimme aus dem hinteren Teil.

    »Wohl eher nicht«, entgegnete Koslowski. »Der Spieß hatte keine Stoppuhr in der Hand und wir haben keine Gefechtsklamotten an. Hab noch nie davon gehört, dass Gewaltmärsche ohne die Komplettausrüstung einschließlich Gasmaske durchgeführt wurden.« Er schwieg kurz, dann sagte er: »Und wir fahren Richtung Berlin.«

    Die anfängliche Aufgeregtheit legte sich. Man versuchte, den unterbrochenen Schlaf fortzusetzen. Eine Eigenschaft, die sich jeder schnell angewöhnte. Es dauerte keine fünf Minuten, da wogten die Körper der Schlafenden im Rhythmus der Straße hin und her.

    »Was meinst du, Sal? Gestern Abend soll es ja etwas stürmisch in Berlin gewesen sein. Vielleicht müssen wir der Feuerwehr bei Räumungsarbeiten helfen.« Der Frager hatte ein sommersprossiges Gesicht und aus einem unerfindlichen Grund den fast immer mürrischen Koslowski zu seinem Freund erkoren.

    Koslowski schüttelte den Kopf. »Dazu hätten sie uns nicht mitten in der Nacht mit Alarm aus den Betten geholt. Es ist etwas passiert, wo sie schnell reagieren mussten.«

    »Stimmt, es ist etwas ungewöhnlich für eine solche Art Einsatz«, meinte der, der Koslowski mit geschlossenen Augen gegenüber saß. »Ich hoffe nicht, dass wir wieder eine Ansammlung irgendwelcher Leute auseinandertreiben sollen. Darauf hab ich echt kein Bock. Ich meine, so was sollten sie die Berufsbullen machen lassen und nicht uns Wehrpflichtige. Die machen das vermutlich gerne. Wir haben uns die Uniform der Bereitschaftspolizei nicht ausgesucht.«

    »Ich glaub kaum, dass es sich um so einen Einsatz handelt. Nach dem Letzten werden die gerne auf uns verzichten, wenn möglich«, erwiderte Koslowski und grinste schief.

    Sein Gegenüber öffnete leicht die Augen und lächelte wissend zurück. »Da hast du vermutlich recht.«

    Koslowski starrte vor sich hin. Sein Nebenmann stieß ihn wieder an. »Also, an was denkst du?«

    »An das schwarze Brett bei uns im Kompanieflur.«

    »Warum?«

    »Die Meldungen, die da immer angepinnt werden.

    Ich hoffe nicht, dass es sich um so etwas handelt.«

    Der Nebenmann überlegte. Dann verfinsterte sich sein Gesicht. »Sal, du meinst, von den Sowjets ist wieder einer abgehauen?«

    »Ja, vermutlich. Es gibt sonst wenig Gründe, uns nachts hinauszujagen. Es sei denn, es ist ein Manöver oder eine nächtliche Gefechtsübung, auf der man keine entsprechende Ausrüstung braucht. Selbst wenn es so eine komische Übung wäre, hätten wir das vorher gewusst. Wie immer. Also ...«

    »Ach du Scheiße. Meinst du wirklich?«

    »Ich hoffe nicht. Man sagt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.« Koslowski schwieg kurz. »Der arme Kerl.«

    »Warum?«

    »Du weißt schon, wie die Russen so etwas regeln? Oder?« Koslowski sah den Frager erstaunt an. »Deswegen wird er sich nicht gefangen nehmen lassen.«

    »Du meinst ...«

    Koslowski nickte.

    »Aber weswegen macht man dann so etwas?«

    »Aus Verzweiflung.«

    Der sommersprossige junge Mann sah den ein Jahr älteren Koslowski verständnislos an, hoffte auf eine nähere Erklärung. Sie kam nicht. Für Koslowski war alles gesagt.

    Den Rest der Fahrt starrten sie schweigend vor sich hin. Schlafen konnten die beiden nicht mehr. Die anderen schon. Immer noch wiegten sich ihre Oberkörper im Rhythmus des schaukelnden LKWs. Koslowski dachte an seine Frau. Sie hatten voriges Jahr im Oktober geheiratet. Im Mai dieses Jahres hatte man ihn dann zur Bereitschaftspolizei eingezogen. Ein verflucht schlechter Zeitpunkt. Er sollte gerade Vater werden. Drei Tage später war er es auch. Das Kind, seine Tochter hat er erst zweimal gesehen. Bei seinem ersten dreitägigen Kurzurlaub nach einem Vierteljahr und dem etwas längeren Urlaub nach einem Dreivierteljahr. Er dachte oft und gern an diese Woche zurück. Jetzt war ein ganzes Jahr rum. Er würde das letzte halbe Jahr auch noch durchstehen. Da war er sich sicher. Und er hoffte, seine Frau mit Tochter auch. Bei

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