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Game of Gold
Game of Gold
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eBook568 Seiten7 Stunden

Game of Gold

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Über dieses E-Book

Für alle Fans der»Das Reich der sieben Höfe«-Serie

Actionreich, packend und dabei voll finsterer Romantik!

Niemand darf erfahren, dass Lou eine Hexe ist. Denn sie will weder auf dem Scheiterhaufen enden noch auf dem Opferalter der mächtigen Weißen Hexe, die sie sucht. Um sich im wahrsten Sinne des Wortes unsichtbar machen zu können, stiehlt Lou einen magischen Ring. Leider wird sie dabei ausgerechnet vom Hexenjäger Reid entdeckt. Zwar gelingt es ihr, ihre wahre Identität vor ihm zu verbergen, aber entkommen kann sie ihm nicht. Denn der Erzbischof befiehlt den beiden, zu heiraten. Plötzlich findet sich Lou als Frau eines Hexenjägers wieder, dem sie zudem gegen ihren Willen immer näher kommt …

Hexen zaubern, Hexen rächen. Aber Lou liebt.

»Ein brillantes Debüt, voll von allem, was ich liebe: eine schillernde und lebensechte Heldin, ein verwickeltes Magie-System und eine ins Mark gehende Liebesgeschichte, die mich die ganze Nacht lang gefesselt hat.Game of Gold ist ein wahres Juwel.« SPIEGEL-Bestsellerautorin Sarah J. Maas

SpracheDeutsch
HerausgeberDragonfly
Erscheinungsdatum31. Jan. 2020
ISBN9783748850151
Game of Gold
Autor

Shelby Mahurin

Shelby Mahurin wuchs auf einer kleinen Farm in Indiana auf. Sie hatte schon immer eine ausgeprägte Fantasie. Wenn sie als kleines Mädchen spielte, wurden aus einfachen Stöcken magische Zauberstäbe, und Kühe verwandelten sich in Drachen. Zusammen mit ihrem sehr großen Ehemann, ihren Kindern, zwei Hunden und einer Katze lebt sie in der Nähe der Farm, auf der sie ihre Kindheit verbracht hat.

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    Buchvorschau

    Game of Gold - Shelby Mahurin

    HarperCollins®

    Copyright © 2020 DRAGONFLY

    in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

    Alle Rechte für die deutschsprachige Ausgabe vorbehalten

    © 2019 by Shelby Mahurin

    Originaltitel: »Serpent & Dove«

    Erschienen bei: Harper Teen,

    an imprint of HarperCollins Publishers, US

    Published by arrangement with

    HarperCollins Publishers L.L.C., New York

    Covergestaltung: Formlabor

    Coverabbildung: Shutterstock_ninanaina, geen graphy,

    Nadezhda Ogneva, Paradise studio

    Lektorat: Eva Jaeschke

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783748850151

    www.dragonfly-verlag.de

    Facebook: facebook.de/dragonflyverlag

    Instagram: @dragonflyverlag

    Widmung

    Für meine Mutter, die Bücher liebt,

    für meinen Vater, der mich darin bestärkte, eines zu schreiben,

    und für R J, der dieses hier immer noch nicht gelesen hat.

    TEIL 1

    Un malheur ne vient jamais seul.

    Ein Unglück kommt nie allein.

    Französisches Sprichwort

    IM BELLEROSE

    Lou

    Eine Leiche, die mit Hexenzauber in Berührung gekommen war, hatte etwas Schauriges an sich. Die meisten Menschen bemerkten zuerst den Geruch: keine Fäulnis, eher eine leise Süße in der Nase, ein scharfer Geschmack auf der Zunge. Einige wenige nahmen auch ein Kribbeln in der Luft wahr, eine Aura auf der Haut der Leiche, die nicht vergehen wollte. Als ob der Zauber selbst noch da wäre, beobachtend, lauernd.

    Lebendig.

    Wer aber so leichtsinnig war, darüber zu sprechen, der fand sich geradewegs auf dem Scheiterhaufen wieder.

    Dreizehn Leichen hatte man in den vergangenen zwölf Monaten in Belterra gefunden – mehr als doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Die Kirche tat alles, um die mysteriösen Umstände jener Todesfälle zu verschleiern, und gestattete in diesen Fällen nur Beerdigungen mit geschlossener Aufbahrung.

    »Da ist er.« Coco deutete auf einen Mann in der Ecke. Obwohl im Kerzenschein die Hälfte seines Gesichts im Schatten blieb, waren der Goldbrokat seines Mantels und die schweren Rangabzeichen um seinen Hals nicht zu übersehen. Steif und offensichtlich unbehaglich saß er auf seinem Stuhl, als sich ihm plötzlich eine spärlich bekleidete Frau an den prallen Bauch warf. Ich musste grinsen.

    Nur Madame Labelle besaß die Stirn, einen Adeligen wie Pierre de Tremblay mitten in einem Bordell warten zu lassen.

    »Komm.« Coco marschierte auf einen Tisch in der gegenüberliegenden Ecke zu. »Babette ist bestimmt gleich da.«

    »Was ist das bloß für ein aufgeblasener Gockel, der in seiner Trauerzeit Brokat trägt?«, fragte ich.

    Coco verzog das Gesicht. »Ein aufgeblasener Gockel mit Geld wie Heu.«

    De Tremblays Tochter Filippa war die siebte Leiche gewesen, die man gefunden hatte.

    Sie war mitten in der Nacht aus dem Haus ihres Vaters verschwunden, und als man sie mit aufgeschlitzter Kehle am Rand des Eau Mélancolique tot auffand, hatte das die Aristokratie zutiefst erschüttert. Als wäre ihr Tod nicht schon schlimm genug gewesen, gingen im Königreich bald Gerüchte über ihr silbergraues Haar und ihre runzlige Haut um, raunte man von trüben Augen und knotigen Fingern. Vierundzwanzig Jahre, aber wie eine alte Hexe habe sie ausgesehen. Für de Tremblays Standesgenossen war das alles unerklärlich. Soweit bekannt, hatte die Tote weder Feinde gehabt, noch war sie Anlass für blutige Fehden gewesen. Eine solche Gewalt war durch nichts gerechtfertigt.

    Nun, Filippa mochte keine Feinde haben, dafür hatte ihr blasierter Vater davon mehr als genug, denn er betrieb einen blühenden Schwarzhandel mit magischen Gegenständen.

    Der Tod seiner Tochter war eine Warnung: Niemand machte ungestraft Geschäfte auf Kosten der Hexen.

    »Bonjour, Messieurs.« Eine Kurtisane mit honigfarbenem Haar trat zu uns und klimperte Coco so hoffnungsfroh und dreist mit ihren Wimpern an, dass ich kichern musste. Um in dieser Umgebung nicht erkannt zu werden, hatten Coco und ich uns als Männer verkleidet. Aber auch so war Coco eine Erscheinung. Zwar verunzierten zahlreiche Narben die sattbraune Haut ihrer Hände, die jetzt in Handschuhen steckten, doch ihre Gesichtshaut war makellos, und ihre schwarzen Augen funkelten selbst hier im Halbdunkel. »Na ihr Süßen, wie wär’s mit uns dreien?«

    »Ach, das tut uns leid, Schätzchen«, versuchte ich, so schmierig wie möglich zu klingen, während ich der Kurtisane die Hand tätschelte, wie ich es bei den Männern abgeschaut hatte, »aber leider, leider sind wir heute schon vergeben. Mademoiselle Babette wird sich bald zu uns gesellen.«

    Die Kurtisane schmollte nicht lange und versuchte ihr Glück am Nachbartisch, wo man ihre Einladung umso begeisterter aufnahm.

    »Glaubst du, er hat ihn bei sich?« Coco musterte de Tremblay vom kahlen Kopf bis hinunter zu den polierten Schuhen, dann verweilte ihr Blick auf seinen ungeschmückten Fingern. »Vielleicht hat Babette uns angelogen und das ist eine Falle …«

    »Babette ist vielleicht eine Lügnerin, aber sie ist nicht dumm. Sie wird uns nicht verraten, bevor wir sie bezahlt haben.« Fasziniert beobachtete ich die anderen Kurtisanen, die mit eingeschnürten Taillen und überquellenden Brüsten leichtfüßig vor den Gästen tanzten, als würde ihnen ihr Korsett nicht die Luft zum Atmen nehmen.

    Wobei … viele der Mädchen trugen überhaupt kein Korsett. Oder sonst irgendwelche Kleidung.

    »Du hast recht.« Coco zog den Beutel mit unserem Geld aus dem Mantel und warf ihn auf den Tisch. »Erst danach.«

    »Aber, aber, mon amour, du beleidigst mich.« Wie aus dem Nichts stand Babette plötzlich neben uns. Im Gegensatz zu den anderen Mädchen verbarg sie ihre blasse Haut so gut es ging unter roter Seide. Dicke, weiße Schminke bedeckte den Rest – und ihre Narben, die sich an ihren Armen hinauf bis über die Brust rankten, fast wie bei Coco. Sie zwinkerte uns zu und schnippte gegen den Rand meines Huts. »Aber für zehn Goldkronen mehr würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, euch zu verraten.«

    »Einen wunderschönen guten Morgen, Babette.« Ich stemmte einen Fuß gegen den Tisch und lehnte mich auf meinem Schemel nach hinten. »Ganz schön unheimlich, wie du immer sofort auftauchst, wenn die Rede von Geld ist. Kannst du es riechen, oder was?« Ich wandte mich an Coco. »Ist doch so, als ob sie’s riechen könnte.«

    »Bonjour, Louise.« Babette küsste mich auf beide Wangen, beugte sich dann zu Coco und senkte ihre Stimme. »Du siehst hinreißend aus, Coco-Schätzchen, wie immer.«

    Coco verdrehte die Augen. »Du bist zu spät.«

    »Verzeih mir, bitte.« Babette legte den Kopf schief und lächelte zuckersüß. »Aber ich habe euch erst nicht erkannt. Ich werde nie begreifen, weshalb zwei solche Schönheiten sich partout als Männer verkleiden müssen.«

    »Zwei Frauen allein erregen zu viel Aufmerksamkeit, das weißt du doch.« Ich trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und lächelte gequält. »Wir könnten ja Hexen sein.«

    »Bah!« Sie zwinkerte uns komplizenhaft zu. »Nur Dummköpfe würden bei zwei so charmanten Dingern wie euch an diese bösartigen, grausamen Kreaturen denken.«

    »Natürlich.« Ich nickte und zog mir den Hut tiefer ins Gesicht. Während ihre Narben Coco und Babette verrieten, konnten sich Dames Blanches wie ich unentdeckt unter die Leute mischen. Die Frau mit der rotbraunen Haut in de Tremblays Schoß konnte eine sein, genauso wie die Kurtisane mit dem honigfarbenen Haar, die soeben mit ihrem Kavalier im Schlepptau über die Treppe nach oben entschwunden war. »Nur dass die Kirche vorher nicht lange fragt und umso schneller einen Scheiterhaufen errichtet hat. Sind gefährliche Zeiten für Frauen.«

    »Hier nicht.« Babette breitete die Arme aus. »Hier sind wir sicher. Hier schätzt man uns. Ihr wisst ja, das Angebot meiner Herrin steht noch …«

    »Wenn deine Herrin die Wahrheit wüsste, würde sie uns ebenfalls, ohne mit der Wimper zu zucken, verbrennen – uns, und dich gleich mit … Jedenfalls sind wir nicht hier, weil wir Arbeit suchen, Babette.« Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder de Tremblay zu, dessen unverkennbarer Reichtum zwei weitere Kurtisanen angezogen hatte. Höflich wies er ihre Versuche zurück, seine Hose aufzuknöpfen. »Sondern seinetwegen.«

    Coco ließ den Inhalt des Beutels auf den Tisch kullern. »Zehn Goldkronen, wie abgemacht.«

    »Hm … hatten wir nicht zwanzig gesagt?«

    »Was?« Mit einem dumpfen Knall ließ ich den Schemel zurück auf den Boden fallen. Die Gäste an den Nachbartischen lugten in unsere Richtung, doch ich scherte mich nicht darum. »Zehn hatten wir gesagt, zehn!«

    »Das war, bevor du meine Gefühle verletzt hast.«

    »Verdammt noch mal!« Coco sammelte die Münzen schnell wieder ein, bevor Babette sie sich nehmen konnte. »Weißt du, wie lange es dauert, bis wir so viel Geld zusammenhaben? Außerdem«, warf ich beiläufig ein, »wissen wir ja nicht mal, ob de Tremblay den Ring überhaupt hat.«

    Babette zuckte nur mit den Achseln und streckte ihre Handfläche aus. »Es ist nicht meine Schuld, dass ihr unbedingt auf der Straße Beutel schneiden wollt wie gewöhnliche Diebe. Hier im Bellerose würdet ihr in einer einzigen Nacht das Dreifache verdienen, aber dafür seid ihr euch ja zu schade.«

    Coco atmete tief durch und ballte ihre Hände zu Fäusten. »Hör zu, es tut uns echt leid, dass wir dein empfindsames Gemüt gekränkt haben, aber wir haben zehn gesagt. Wir können es uns nicht leisten …«

    Babette unterbrach sie. »Ich kann die Münzen in deiner Tasche klimpern hören, Coco-Schatz«, säuselte sie.

    Ich starrte sie ungläubig an. »Du bist ja der reinste Spürhund.«

    Ihre Augen blitzten. »Nun kommt schon, ich führe euch auf eigenes Risiko hier ein, um die Geschäfte meiner Herrin mit Monsieur de Tremblay zu belauschen, und dann beleidigt ihr mich, als wäre ich …«

    Sie brach ab, denn in diesem Moment kam eine hochgewachsene Frau mittleren Alters die Treppe heruntergeschwebt. Ihr dunkelgrünes Kleid betonte das flammend rote Haar und die Sanduhrfigur. Bei ihrem Anblick sprang de Tremblay auf, und die Kurtisanen um uns herum einschließlich Babette verbeugten sich in tiefer Ehrerbietung.

    Nackte Frauen, die einen Knicks machten – das hatte ich auch noch nicht gesehen.

    Madame Labelle fasste de Tremblay breit lächelnd bei den Armen, küsste ihn auf beide Wangen und sagte etwas zu ihm, das ich nicht hören konnte. Dann hängte sie sich bei ihm ein und führte ihn zu der Treppe, die sie heruntergekommen war. Panik stieg in mir auf.

    Babette beobachtete uns aus dem Augenwinkel und raunte: »Entscheidet euch schnell, mes amours. Meine Herrin ist eine vielbeschäftigte Frau. Ihr Geschäft mit Monsieur de Tremblay wird sie rasch abgeschlossen haben.«

    Ich kämpfte gegen den Drang an, meine Hände um Babettes hübschen Hals zu legen und zuzudrücken. »Kannst du uns wenigstens sagen, was deine Herrin kaufen will? Sie hat dir doch bestimmt etwas darüber gesagt. Ist es der Ring? Hat de Tremblay ihn?«

    Babette grinste selbstzufrieden. »Vielleicht … aber für diese Auskunft will ich noch mal zehn Kronen.«

    Coco und ich tauschten einen finsteren Blick. Wenn Babette sich nicht in Acht nahm, würde sie noch erleben, wie grausam wir Hexen sein konnten.

    Das Bellerose war berühmt für seine zwölf luxuriös ausgestatteten Salons, in denen die Kurtisanen ihre Kunden verwöhnten, doch Babette führte uns an den nummerierten Türen vorbei zu einer schmucklosen Tür am Ende des Korridors, öffnete sie und ließ uns eintreten.

    »Willkommen in den Augen und Ohren des Bellerose, mes amours

    Nachdem ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, erkannte ich einen weiteren, schmaleren Korridor. In regelmäßigen Abständen entlang einer Wand öffneten sich zwölf große, rechteckige Fenster, durch die mattes Licht schimmerte. Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass es sich nicht um Fenster handelte, sondern um Porträtgemälde.

    Mit dem Finger fuhr ich die Nase der Dame, deren Bildnis mir am nächsten war, nach: eine Schönheit mit üppigen Kurven und einem verführerischen Lächeln. »Wer sind diese Frauen?«, fragte ich.

    »Berühmte Kurtisanen von früher.« Babette hielt inne und bewunderte des Bildnis mit wehmütigem Blick. »Eines Tages wird mein Porträt an ihrer Stelle hängen.«

    Ich beugte mich vor, um das Gesicht eingehender zu betrachten. Ein Leuchten ging von dem Bild aus, doch die Farben waren irgendwie gedämpft, als wäre dies nur seine Rückseite. Und … verdammt!

    Zwei goldene Schieber bedeckten die Augen!

    »Sind das Gucklöcher?«, fragte Coco ungläubig und trat näher. »Was ist das für ein makabrer Ort, Babette?«

    »Pssst!« Hastig legte Babette einen Finger auf die Lippen. »Die Augen und Ohren, Coco. Ohren, schon vergessen? Hier darf man nur flüstern.«

    Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, welchem Zweck dieses architektonische Element dienen mochte.

    Doch ehe ich meinen Abscheu äußern konnte, sah ich aus den Augenwinkeln plötzlich zwei Schatten auf mich zukommen. Ich fuhr herum und griff nach dem Messer, das in meinem Stiefel steckte, doch da erkannte ich die beiden Gestalten und entspannte mich. Zwei schrecklich vertraute, schrecklich unangenehme Kerle glotzten mich an.

    André und Grue.

    Ich warf Babette einen wütenden Blick zu. »Was haben die hier zu suchen?«

    Beim Klang meiner Stimme horchte André auf und versuchte, im Halbdunkel zu erkennen, wen er da vor sich hatte. »Das ist doch nicht etwa …?«

    Grue musterte eingehend mein Gesicht, überging den Schnurrbart und verweilte umso länger auf meinen dunklen Brauen, den türkisfarbenen Augen, der sommersprossigen Nase und der sonnengebräunten Haut. Er lächelte böse und entblößte einen abgesplitterten, gelben Schneidezahn. »Hallo, Lou-Lou.«

    Ich würdigte ihn keines Blickes. »Das war nicht abgemacht!«, fauchte ich Babette an.

    »Reg dich nicht auf, Louise. Die arbeiten hier.« Sie ließ sich auf einen der Holzschemel fallen, auf denen eben noch die beiden Kerle gesessen hatten. »Meine geliebte Herrin hat sie als Wachleute angeheuert.«

    »Als Wachleute?«, spöttelte Coco, die Hand im Mantel, wo ihr Messer steckte. André bleckte die Zähne. »Als Spanner, meinst du wohl?«

    »Wenn uns mal bei einem Kunden mulmig wird, brauchen wir nur zweimal gegen die Wand zu klopfen, und schon eilen uns diese freundlichen Herren zu Hilfe.« Babette deutete mit dem Fuß auf die Porträts. »Eigentlich sind das da nämlich Türen, mon amour. Direkter Zugang, sozusagen.«

    Madame Labelle musste vollkommen verblödet sein. Eine andere Erklärung gab es nicht für eine solche … tja, Blödheit.

    André und Grue waren die dämlichsten Diebe, denen ich je begegnet war, ständig kamen sie uns in unserem Jagdgebiet in die Quere. Wohin wir auch gingen, sie folgten uns auf dem Fuß, hingen uns regelrecht am Rockzipfel – und wohin sie gingen, folgten ihnen die Gendarmen. Hoch aufgeschossen, hässlich und laut, wie sie waren, fehlte es den beiden an Raffinesse und Talent, die es brauchte, um im Ostend zu bestehen. Und an Köpfchen, natürlich.

    Ich konnte mir durchaus vorstellen, zu welchen »Späßen« sie der direkte Zugang zu allem verleitete. Sex und Gewalttätigkeiten vermutlich. Wobei – wenn man bedachte, welcher Geschäfte wegen wir hier waren, waren Sex und Gewalt vielleicht noch die geringsten Laster, denen zwischen diesen Bordellwänden gefrönt wurde.

    »Keine Sorge.« Als hätte sie meine Gedanken gelesen, schenkte Babette den Typen ein schmales Lächeln. »Meine Herrin bringt sie um, sollten sie auch nur das kleinste bisschen ausplaudern. Nicht wahr, Messieurs?«

    Das Grinsen auf den Visagen der Kerle erlosch schlagartig, und da bemerkte ich auch die dunklen Flecke um ihre Augen. Blutergüsse. Ich ließ mein Messer lieber nicht los. »Und was könnte sie davon abhalten, deiner Herrin auszuplaudern, dass wir hier waren?«

    »Nun ja …« Babette stand auf, trat vor ein anderes Porträt und legte den Finger auf einen kleinen goldenen Knopf daneben. »Ich nehme an, das hängt davon ab, wie viel dir ihr Schweigen wert ist.«

    »Jetzt reicht’s mir aber langsam! Wie wär’s, wenn ich euch allen mal mein Messer in den Allerwertesten ramme?«, zischte ich und machte eine Bewegung auf sie zu.

    »Na, na, na!«, machte Babette aber nur und drückte auf den Knopf. Die goldenen Schieber über den Augen der Kurtisane glitten zur Seite, und plötzlich hörten wir die gedämpften Stimmen von Madame Labelle und de Tremblay.

    »Überleg’s dir gut, mon amour«, flüsterte Babette. »Womöglich ist der kostbare Ring, an dem dir so viel liegt, ja in diesem Salon. Komm, sieh selbst.« Den Finger auf dem Knopf, trat sie zur Seite und machte mir Platz.

    Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und schaute durch die falschen Kurtisanenaugen in das Separee.

    De Tremblay ging auf einem geblümten Plüschteppich auf und ab. In dem pastellfarbenen Raum, der von der Morgensonne in ein weiches, goldenes Licht getaucht wurde, wirkte er blasser, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Nervös mit der Zunge über seine Lippen fahrend, blickte er zu Madame Labelle, die sich auf einer Chaiselongue neben der Tür niedergelassen hatte und ihn beobachtete. Selbst im Sitzen strahlte sie eine königliche Anmut aus, das Haupt erhoben, die Hände ruhig.

    »Seid unbesorgt, Monsieur de Tremblay. Ich versichere Euch, dass ich die geforderte Summe binnen einer Woche zusammenhabe. Zwei Wochen, höchstens.«

    Er schüttelte heftig den Kopf. »Das dauert zu lang.«

    »Kaum lang genug bei dem Preis, den Ihr fordert. Höchstens der König könnte eine derart astronomische Summe augenblicklich herbeischaffen lassen … nur dass er keine Verwendung für magische Ringe hat.«

    Mein Herz machte einen Satz, und ich blickte rasch zu Coco. Sie erwiderte den Blick finster und kramte leise in ihren Manteltaschen nach weiteren Münzen. Fröhlich grinsend steckten André und Grue sie ein.

    Sobald ich den Ring habe, zieh ich denen bei lebendigem Leib die Haut ab, schwor ich mir.

    »Und wenn ich Euch sagen würde, dass ich noch einen anderen Interessenten dafür habe?«, fragte de Tremblay.

    »Dann würde ich Euch einen Lügner nennen, Monsieur de Tremblay. Wie hättet Ihr nach dem, was mit Eurer Tochter geschehen ist, weiter derartige Waren anbieten sollen?«

    De Tremblay fuhr herum und sah sie wütend an. »Lasst meine Tochter aus dem Spiel!«

    »Ehrlich gesagt«, fuhr Madame Labelle ungerührt fort, »war ich ziemlich überrascht zu erfahren, dass Ihr überhaupt noch auf dem Schwarzmarkt für Zauberware tätig seid. Ihr habt doch noch eine andere Tochter, nicht wahr?« Er antwortete nicht, und da wurde ihr Lächeln schmal und grausam. Triumphierend. »Die Hexen sind böse. Wenn sie erfahren, dass Ihr den Ring besitzt, wird ihr Zorn Eure verbliebene Familie treffen – und das dürfte reichlich unangenehm werden.«

    Wutschnaubend machte er einen Schritt auf sie zu. »Spart Euch Eure Schlussfolgerungen.«

    »Ach ja? Aber meine Warnung sollte Euch lieb sein, Monsieur. Verärgert mich nicht, oder es wäre das Letzte, das Ihr tätet.«

    Ich unterdrückte ein Schnauben und blickte zu Coco, die sichtlich amüsiert zusah. Babette blitzte uns wütend an, aber magische Ringe hin oder her, diese Unterhaltung allein war vierzig Kronen wert. Ein herrliches Melodram, packender als im Theater.

    »Und nun sagt mir«, säuselte Madame Labelle, »gibt es noch einen Käufer oder nicht?«

    »Putain.« Er starrte sie einige Sekunden lang an, dann schüttelte er widerwillig den Kopf. »Nein, gibt es nicht. Die letzten Monate habe ich damit zugebracht, alle Verbindungen zu Kunden und Lieferanten zu kappen und meine Bestände abzustoßen … bis auf diesen Ring …« Er schluckte, die Röte war aus seinem Gesicht gewichen. »Ich habe mit niemandem darüber gesprochen, weil ich Angst hatte, die Dämonen könnten Wind davon bekommen.«

    »Es war nicht klug von Euch, etwas verkaufen zu wollen, das ihnen gehört.«

    De Tremblay antwortete nicht. Sein Blick wirkte fern, gehetzt, als sähe er etwas, das uns verborgen blieb. Plötzlich fühlte sich meine Kehle an wie zugeschnürt. Ungeachtet seiner Qualen fuhr Madame Labelle einfach fort: »Hättet Ihr das nicht getan, wäre Filippa vielleicht noch unter uns …«

    Beim Namen seiner Tochter fuhr de Tremblay hoch, und sein Blick funkelte nun vor wilder Entschlossenheit. »Ich will die Dämonen brennen sehen für das, was sie ihr angetan haben!«

    »Wie dumm von Euch.«

    »Pardon

    »Ich pflege die Geschäfte meiner Feinde zu kennen, Monsieur«, sagte sie und erhob sich anmutig. De Tremblay wich einen halben Schritt zurück. »Da sie jetzt auch Eure Feinde sind, muss ich Euch einen Rat geben: Es ist gefährlich, sich in die Angelegenheiten von Hexen einzumischen. Vergesst Eure Rachegelüste. Vergesst alles, was Ihr über diese Welt der Schatten und Magie gelernt habt. Ihr seid diesen Frauen unterlegen und könnt ihnen nicht im Entferntesten das Wasser reichen. Der Tod ist die gütigste ihrer Qualen – ein Geschenk, das nur denen zuteilwird, die es verdient haben. Man sollte meinen, der Tod der lieben Filippa hätte Euch das gelehrt.«

    Den Mund zu einer Grimasse verzerrt, richtete de Tremblay sich zu voller Größe auf, doch Madame Labelle überragte ihn immer noch um ein paar Zentimeter. »I-ihr geht zu weit«, stammelte er.

    Sie wich nicht zurück. Gänzlich unbeeindruckt von seinem Gebahren fuhr sie mit der Hand an ihrem Mieder entlang und zog einen Fächer aus den Falten ihres Rocks. In seinem Schaft steckte ein Messer.

    »Ich sehe, wir haben genug Höflichkeiten ausgetauscht. Meinetwegen, kommen wir zur Sache.« Mit einer eleganten Geste öffnete sie den Fächer und hielt ihn wie eine Trennwand zwischen sich und de Tremblay. Dieser machte einen Schritt zurück und ließ die Messerspitze nicht aus den Augen. »Wenn Ihr möchtet, dass ich Euch von dem Ring befreie, so werde ich das augenblicklich tun – allerdings für fünftausend Goldkronen weniger, als Ihr verlangt.«

    Ein eigenartiges, ersticktes Geräusch entwich seinem Hals. »Ihr seid verrückt …«

    »Andernfalls«, fuhr sie entschlossen fort, »werdet Ihr, wenn Ihr diesen Ort verlasst, Eurer Tochter eine Schlinge um den Hals gelegt haben. Célie heißt sie, nicht wahr? Die Dame des Sorcières, die Magierfürstin, wird ihr mit Freuden die Jugend aussaugen, den Glanz ihrer Haut trinken, den Schimmer ihres Haars. Und wenn die Hexen mit ihr fertig sind, wird Eure Tochter nicht mehr wiederzuerkennen sein. Leer, gebrochen. So wie Filippa.«

    »Du … du …« De Tremblays Augen quollen hervor, und auf seiner glänzenden Stirn zeichnete sich eine Zornesader ab. »Hurenbalg! Das kannst du mir nicht antun. Du …«

    »Entscheidet Euch, Monsieur, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Der Prinz kehrt aus Amandine zurück, ich möchte die Feierlichkeiten zu seiner Rückkehr nicht verpassen.«

    Trotzig reckte er das Kinn vor. »Ich … ich habe ihn nicht bei mir.«

    Verdammt! Bittere Enttäuschung stieg in mir auf.

    »Ich glaube Euch nicht.« Madame Labelle ging durch den Raum zum Fenster und schaute nach unten. »Also wirklich, Monsieur de Tremblay! Wie kann ein Gentleman, wie Ihr es seid, seine Tochter allein vor einem Bordell warten lassen? Welch leichte Beute sie dort abgibt.«

    Hastig zog de Tremblay, dem jetzt der Angstschweiß auf der Stirn stand, seine Taschen heraus und zeigte sie vor. »Ich schwöre, ich habe ihn nicht bei mir! Seht her, seht!« Ich drückte mein Auge näher an das Guckloch, um genau mitzubekommen, wie er den Inhalt seiner Taschen vor ihr ausbreitete: ein besticktes Taschentuch, eine silberne Taschenuhr und eine Handvoll Kupfermünzen. Ein Ring war nicht dabei. »Lasst bitte meine Tochter in Frieden! Sie hat nichts damit zu tun!«

    Er gab einen so erbärmlichen Anblick ab, dass er mir fast leidgetan hätte – hätte er nicht soeben all meine Pläne durchkreuzt. So erfüllte mich der Anblick seiner zitternden Glieder und seines aschgrauen Gesichts mit rachsüchtigem Vergnügen.

    Madame Labelle schien ähnlich zu empfinden. Plötzlich aber stieß sie einen theatralischen Seufzer aus, ließ die Hand sinken, drehte sich um und sah ohne Vorwarnung direkt dem Porträt in die Augen, hinter dem ich stand. Erschrocken fuhr ich zurück und landete geradewegs auf meinem Allerwertesten.

    »Was ist?«, flüsterte Coco und hockte sich neben mich. Babette warf uns einen bösen Blick zu und ließ sofort den Knopf los, die Gucklöcher schlossen sich augenblicklich.

    »Pssst! Ich glaube, sie hat mich gesehen«, flüsterte ich und deutete auf das Porträt.

    Wir alle erstarrten, während Madame Labelles Stimme näher kam, durch die dünne Wand gedämpft, aber gut verständlich. »Dann sagt mir bitte, Monsieur: Wo ist er dann?«

    Verdammt! Coco und ich sahen uns ungläubig an. Zu den Gucklöchern zurückzukehren, wagte ich nicht, doch ich drückte mich ganz eng an die Wand, um zu lauschen. Antworte ihr, bat ich still. Verrate es uns.

    Und oh Wunder, de Tremblay tat ihr den Gefallen, und seine widerwillige Antwort klang in meinen Ohren wie liebliche Musik. »Er befindet sich in meinem Stadtpalais, du ignorante Schlam…«

    »Das reicht, Monsieur de Tremblay«, schnitt sie ihm das Wort ab und öffnete die Tür des Separees. Ich konnte ihr Lächeln fast vor mir sehen, und auch mein Mund verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. »Um Eurer Tochter willen hoffe ich, dass Ihr mich nicht angelogen habt. Bei Tagesanbruch werde ich Euch mit der vereinbarten Summe in Eurem Stadtpalais aufsuchen, und ich rate Euch: Lasst mich nicht warten.«

    DER CHASSEUR

    Lou

    »Ich höre.«

    Bas saß mir gegenüber in der gut besuchten Patisserie und führte einen Löffel heißer Schokolade zum Mund, wobei er peinlichst darauf achtete, keinen Tropfen auf seine Spitzenkrawatte zu verschütten. Am liebsten hätte ich etwas von meiner Schokolade genau dorthin gespritzt, doch ich widerstand der Versuchung. Wir brauchten ihn für unseren Plan, daher mussten wir ihn bei Laune halten.

    Niemand war besser darin, einen Adeligen zu bestehlen, als Bas.

    »Also«, sagte ich und richtete – ganz vorsichtig – meinen Löffel auf ihn, »alles, was du in de Tremblays Tresor findest, darfst du als Beute einstecken – bis auf den Ring, der gehört uns.«

    Er beugte sich vor und richtete den Blick seiner dunklen Augen demonstrativ auf meine Lippen. Gereizt wischte ich die Schokolade von meinem Schnurrbart, worauf er grinste. »Ach, ja. Der Zauberring. Ehrlich gesagt überrascht es mich ein wenig, dass du dich noch für so was interessierst. Ich dachte, du wolltest mit Magie nichts mehr zu tun haben?«

    »Der Ring ist etwas anderes.«

    Er richtete seinen Blick wieder auf meine Lippen. »Natürlich.«

    »Ba-as.« Ich hielt meine Hand vor sein Gesicht und schnippte mit den Fingern. »Jetzt bleib mal bei der Sache. Es ist wichtig.«

    Damals, als ich gerade nach Cesarine gekommen war, fand ich Bas ziemlich hübsch. Hübsch genug, um mir von ihm den Hof machen zu lassen. Und ganz bestimmt hübsch genug, um ihn zu küssen. Über den schmalen Tisch hinweg betrachtete ich die markante Kontur seines Kinns. Und dort war noch die kleine Narbe – direkt unter seinem Ohr, versteckt im Schatten der Bartstoppeln –, wo ich ihn in einer leidenschaftlichen Nacht gebissen hatte.

    Bei der Erinnerung entfuhr mir ein sehnsüchtiger Seufzer. Diese Bernsteinhaut. Dieser feste, kleine Arsch.

    Er grinste, als könnte er meine Gedanken lesen. »In Ordnung, Louey, ich werde versuchen, bei der Sache zu bleiben – du aber auch, ja?« Er rührte in seiner Schokolade und lehnte sich zurück. »Also … du willst einen Adeligen ausrauben, und natürlich wendest du dich an den Meister, damit er dir sagt, wie du’s anstellen sollst.«

    Am liebsten hätte ich laut losgeprustet, aber das konnte ich mir gerade noch verkneifen. Als Großcousin dritten Grades irgendeines Barons nahm Bas die besondere Stellung ein, dem Adel anzugehören und zugleich auch nicht. Dank des Reichtums dieses Verwandten konnte er sich immer nach der neuesten Mode kleiden und an den noblen Festen bei Hofe teilnehmen, doch sein Name sagte keinem der Adeligen etwas. Eine lässliche Kränkung, die für ihn durchaus vorteilhaft war, besuchte er diese Feste doch nur aus einem einzigen Grund: um seine Standesgenossen um ihre Wertgegenstände zu erleichtern.

    »Eine weise Entscheidung«, fuhr er fort, »Trottel wie de Tremblay treffen nämlich doppelt und dreifache Sicherheitsvorkehrungen: Tore, Schlösser, Wachen, Hunde – um nur einige zu nennen. Und nach dem, was mit seiner Tochter passiert ist, vermutlich noch mehr. Die Hexen haben sie doch mitten in der Nacht entführt, oder? Dann hat er garantiert die Schutzmaßnahmen erhöht.«

    Langsam nervte diese Filippa.

    Missmutig blickte ich zum Schaufenster der Patisserie. Alle Arten von Gebäck in einer herrlichen Auslage: Glasierte und gezuckerte Kuchen neben Schokoladentorte, Makronen und Fruchttörtchen in allen Farben. Himbeer-Eclairs und eine Tarte Tatin – einfach herrlich!

    In all dieser Dekadenz waren es aber die klebrigen Zimtschnecken, die mir das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen.

    Wie aufs Stichwort ließ Coco sich auf den leeren Stuhl an unserem Tisch fallen und schob mir einen Teller mit Zimtschnecken hin. »Ta-taa!«

    Ich hätte sie umarmen können. »Du bist eine Göttin, weißt du das?«

    »Sicher … Aber erwarte bloß nicht, dass ich dir nachher die Haare zurückhalte, wenn du dich übergeben musst – und außerdem schuldest du mir eine Silberkrone.«

    »Was? Das ist auch mein Geld!«

    »Ja, aber wenn du zu Maître Pan gehst, bekommst du deine Zimtschnecken jederzeit umsonst. Die Krone ist fürs Bringen.«

    Ich schaute zu dem kleinen, feisten Männlein hinter der Theke: Johannes Pan, seines Zeichens Createur außergewöhnlicher Gebäcke und ein Volltrottel. Und darüber hinaus enger Freund und Vertrauter von Mademoiselle Lucida Bretton.

    Mademoiselle Lucida Bretton, das war ich – eine süße Kleine mit blonder Perücke.

    Manchmal verspürte ich wenig Lust auf diesen Aufzug, doch ich hatte schnell gemerkt, dass Pan eine Schwäche für das zarte Geschlecht hatte, und mir das zunutze gemacht. Meistens reichte es, mit den Wimpern zu klimpern. Manchmal aber musste ich etwas … kreativer sein. Ich warf Bas einen verstohlenen Blick zu. Er hatte keinen Schimmer, dass er in den vergangenen zwei Jahren dafür herhalten musste, alle möglichen abscheulichen Taten an der armen Mademoiselle Bretton begangen zu haben. Und wenn Pan eine Frau weinen sah, konnte er nicht anders, er versuchte ihre Tränen mit Hilfe von Zimtschnecken zum Versiegen zu bringen.

    »Ja, aber heute bin ich doch als Mann verkleidet.« Ich nahm den ersten Zimtwecken und schob ihn mir umstandslos in den Mund. »Afgesehen davon, fevorzugt er Flondinen.«

    Ich war so mit Kauen und Schlucken beschäftigt, dass mir Tränen in die Augen traten. Bas sah mir mit einem anzüglichen Grinsen dabei zu. »Da hat der Herr aber einen furchtbar schlechten Geschmack.«

    »Iiiih!« Coco tat, als müsste sie würgen. »Hör bloß auf, ja? Süßholzraspeln steht dir nicht.«

    »Und euch steht dieser Aufzug nicht.«

    Ich überließ sie ihrem Gezänk und widmete mich der zweiten Hälfte der Zimtschnecke. Obwohl Coco genug mitgebracht hatte, um fünf Riesen sattzubekommen, nahm ich die Herausforderung an. Nach drei Zimtwecken verdarb mir die Streiterei der beiden aber doch den Appetit. Ich stieß den Teller von mir.

    »Wir haben keine Zeit mehr zu verschwenden, Bas«, unterbrach ich sie und hielt Coco gerade noch davon ab, über den Tisch zu springen und sich auf ihn zu stürzen. »Morgen früh wird der Ring nicht mehr da sein, deswegen müssen wir noch heute Abend handeln. Also was ist, Bas – hilfst du uns jetzt oder nicht?«

    Offenbar gefiel ihm mein Tonfall nicht. »Ich weiß gar nicht, was die ganze Aufregung soll. Wozu brauchst du einen Ring, der unsichtbar macht? Ich kann dich doch beschützen.«

    Pfft. Leere Versprechungen. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum sich meine Gefühle für ihn abgekühlt hatten.

    Bas war alles Mögliche – charmant, gerissen, rücksichtslos –, aber er war bestimmt kein Beschützer. Nein, er musste sich um wichtigere Dinge kümmern, wie beim ersten Anzeichen von Ärger die eigene Haut zu retten, zum Beispiel. Ich nahm es ihm nicht übel. Immerhin war er ein Kerl, und seine Küsse entschädigten reichlich für seine Schwächen.

    Coco starrte ihn zornig an. »Wie wir dir schon ein paarmal erklärt haben, hat der Ring mehr Kräfte, als nur den Benutzer unsichtbar zu machen.«

    »Ach, mon amie, da habe ich wohl nicht zugehört«, sagte er grinsend und warf ihr eine Kusshand zu.

    Sie ballte die Fäuste. »Verdammt! Eines Tages, das schwöre ich, werde ich dich …«

    Bevor sie ihm die Adern aufschlitzen konnte, ging ich dazwischen. »Er schützt den Träger vor jeglicher Zauberei. So ähnlich wie die Balisardas der Chasseure.« Ich sah Bas an. »Bestimmt verstehst du, wie nützlich das für mich sein könnte.«

    Sein Grinsen verschwand. Langsam hob er die Hand und strich über die Stelle, wo ein Tuch die Narbe an meinem Hals verbarg. Mir lief es eiskalt über den Rücken. »Bisher hat sie dich nicht gefunden. Du bist in Sicherheit.«

    »Noch.«

    Er musterte mich einen Moment lang. Schließlich seufzte er und fragte: »Und du bist zu allem bereit, um diesen Ring zu bekommen?«

    »Ja.«

    »Auch zu … Magie?«

    Ich zögerte, dann flocht ich meine Finger in seine und nickte. Er ließ unsere ineinander verstrickten Hände auf den Tisch sinken. »Also meinetwegen. Ich werde dir helfen.« Er sah aus dem Fenster, und ich folgte seinem Blick. Eine stetig anwachsende Menschenmenge hatte sich versammelt, um dem festlichen Umzug zu Ehren des Prinzen beizuwohnen. Alles lachte und plapperte aufgeregt durcheinander, doch es wirkte irgendwie aufgesetzt, als schwelte unter der Oberfläche ein großes Unbehagen. »Heute Abend«, fuhr Bas fort, »gibt der König anlässlich der Rückkehr seines Sohnes aus Amandine einen Ball. Der gesamte Adel ist eingeladen – einschließlich Monsieur de Tremblay.«

    »Wie praktisch«, murmelte Coco.

    Plötzlich entstand auf der Straße ein Tumult, wir zuckten zusammen und sahen gebannt auf die Männer, die sich ihren Weg durch die Menge bahnten. Gekleidet in königsblaue Mäntel marschierten sie in Dreierreihen im Gleichschritt: Rums, rums, rums. Sie wurden auf beiden Seiten von gewöhnlichen Gendarmen flankiert, die unter Gebrüll die Fußgänger von der Straße scheuchten.

    Chasseure.

    Sie hatten der Kirche einen heiligen Eid geschworen, das Königreich Belterra vor allem Okkulten zu schützen, insbesondere vor den Dames Blanches, vor deren ach so schändlichen Taten die Kleingeister von Belterra eine Heidenangst hatten. Voll ohnmächtiger Wut sah ich zu, wie die Chasseure näher kamen. Als ob wir die Eindringlinge wären! Als ob dieses Land nicht einst uns gehört hätte!

    Ich schüttelte mich und atmete tief durch. Das alles geht dich nichts mehr an. Die alte Fehde zwischen der Kirche und den Hexen tangierte mich nicht mehr. Ich hatte die Welt der Magie hinter mir gelassen.

    »Besser, du machst dich vom Acker, Lou«, raunte Coco mir zu, ohne die Chasseure aus den Augen zu lassen, die sich nun entlang der Straße aufstellten, damit niemand auf die Idee käme, sich der königlichen Familie zu nähern, die bald hier vorbeifahren musste. »Wir treffen uns im Theater wieder. Diese großen Menschenmengen sind gefährlich. Das riecht nach Ärger.«

    »Ich bin doch verkleidet. Mich erkennt keiner.«

    »André und Grue im Bellerose schon.«

    »Aber nur an meiner Stimme …«

    »Solange der Festzug läuft, treffe ich mich bestimmt nicht mit irgendwem.« Bas ließ meine Hand fallen, stand auf und streichelte mit anzüglichem Grinsen seine Weste. »Eine solche Menschenansammlung ist eine fantastische Mistgrube voll Geld, und ich habe vor, darin zu versinken. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt.«

    Er grüßte wortlos und schlängelte sich zwischen den Tischchen hindurch nach draußen. Coco stand auf. »Wenn du mich fragst, sobald dieser Bastard außer Sichtweite ist, wird er uns bei den Gendarmen verpfeifen – oder noch schlimmer, bei den Chasseuren. Wieso vertraust du ihm immer wieder?«

    Es war ein beharrlich wiederkehrender Streitpunkt zwischen uns, dass ich Bas meine wahre Identität offenbart hatte. Meinen wahren Namen. In einer Nacht mit zu viel Pastis und zu vielen Küssen zwar, aber das machte es nicht besser. Während ich den letzten Zimtwecken auseinanderrupfte und es dabei vermied, Coco in die Augen zu sehen, versuchte ich, meine Entscheidung vor mir selbst zu rechtfertigen. Reue hätte jetzt auch nichts mehr genutzt, denn ich hatte keine andere Wahl. Ich musste ihm vertrauen. Wir waren unwiderruflich miteinander verbunden.

    Coco seufzte resigniert. »Ich hefte mich lieber an seine Fersen. Und du mach, dass du hier wegkommst. Wir treffen uns im Theater. In einer Stunde?«

    »Abgemacht.«

    Kurz nach Bas und Coco brach auch ich auf. Vor der Patisserie drängten sich zwar etliche hysterische Mädchen, die es kaum erwarten konnten, den Prinzen zu erspähen, versperrt aber wurde der Weg von einem Mann, einem wahren Riesen.

    Er überragte mich um mindestens einen Kopf, die braune Wolle seines Mantels spannte über seinem breiten Rücken und den kräftigen Armen. Auch er blickte auf die Straße, erweckte dabei aber kaum den Anschein, wegen des Festzugs hier zu sein. In Habachthaltung, die Füße breitbeinig in den Boden gestemmt, stand er dort, als wäre er jederzeit zum Kampf bereit.

    Ich räusperte mich und stieß den Mann mit dem Ellbogen an. Er rührte sich nicht. Als ich ihn wieder anstieß, rückte er ein winziges Stückchen zur Seite, aber es reichte nicht, um mich an ihm vorbeizudrücken.

    Kann er haben, dachte ich bei mir. Dann rammte ich ihm mit voller Kraft meine Schulter in die Seite und versuchte, mich zwischen seiner Körpermasse und dem Türpfosten hindurchzuquetschen. Jetzt schien er endlich etwas gespürt zu haben, denn er drehte sich um – und stieß mir seinen Ellenbogen ins Gesicht.

    »Verdammt!«, jaulte ich auf und griff mir an die Nase. Ich stolperte zurück und landete auf dem Hosenboden – zum zweiten Mal an diesem Morgen. Verräterische Tränen stiegen mir in die Augen. »Hast du sie noch alle?«

    Er streckte mir die Hand hin. »Verzeiht mir, Monsieur. Ich habe Euch nicht bemerkt.«

    »So kann man das auch nennen …« Ich ignorierte die Hand, die er mir hinhielt, rappelte mich aus eigener Kraft auf und klopfte meine Hose aus. Als ich mich endlich an ihm vorbeischieben wollte, verstellte er mir wieder den Weg. Dabei öffnete sich sein abgetragener Mantel ein wenig, und ich konnte einen Schulterriemen über seiner Brust erkennen, aus dem mich Messer in allen Formen und Größen anblinkten. Aber es war das Messer genau über seinem Herzen, bei dessen Anblick mir das Herz in die Hose rutschte. Silbern glänzend, mit einem großen Saphir am Knauf, funkelte es mich unheilverkündend an.

    Ein Chasseur.

    Ich zog den Kopf ein. Mist.

    Nach Luft ringend zwang ich mich, ruhig zu bleiben. Da ich verkleidet war, bedeutete er für mich keine unmittelbare Gefahr. Ich hatte ja nichts Falsches getan. Ich roch nach Zimt, nicht nach Magie. Und abgesehen davon – gab es nicht zwischen Männern eine Art unausgesprochene Kameradschaft? Eine stillschweigende Anerkennung gemeinsamer Bedeutsamkeit?

    »Seid Ihr verletzt, Monsieur?«

    Genau. Heute war ich ein Mann. Das würde ich hinkriegen.

    Ich zwang mich, aufzuschauen.

    Abgesehen von seiner fast schon obszönen Größe fielen mir als Erstes die Messingknöpfe an seinem Mantel auf – sie harmonierten mit seinem Haar, das in der Sonne in allen Kupfer- und Goldtönen erstrahlte wie ein Leuchtfeuer. Zusammen mit der geraden Nase und den vollen Lippen sah er erstaunlich gut aus für einen Chasseur. Irritierend gut. Ich konnte nicht anders, ich musste ihn einfach anstarren. Dicke Wimpern umrahmten die Augen, die exakt die Farbe des Meers hatten.

    Und diese Augen starrten mich nun unverhohlen schockiert an.

    Ach du Schreck. Blitzschnell griff ich mir an den falschen Schnurrbart. Er musste sich bei dem Sturz gelöst haben, denn er klebte nur noch an einem Ende – das andere baumelte lose herunter.

    Na ja, den Versuch war’s wert gewesen. Männer neigten vielleicht zur Kumpanei, dafür wussten Frauen, wann eine heikle Situation einen verdammt schnellen Abgang erforderte.

    »Nichts passiert«, sagte ich leichthin, zog den Kopf ein und versuchte, an ihm vorbeizuschlüpfen und rasch so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Zwar hatte ich immer noch nichts falsch gemacht, doch schien es mir besser, das Schicksal nicht herauszufordern. Manchmal schlug es nämlich zurück. »Pass nächstes Mal einfach besser auf, wo du hinlangst.«

    Er rührte sich nicht von der Stelle. »Ihr seid eine Frau.«

    »Gut erkannt.« Wieder versuchte ich, ihn wegzuschieben – diesmal mit deutlich mehr Kraft –, doch er packte mich am Ellbogen und hielt mich zurück.

    »Warum tragt Ihr Männerkleidung?«

    »Hast du schon mal ein Korsett anprobiert?«, fragte ich zurück, während ich so würdevoll wie möglich versuchte, meinen Schnurrbart wieder anzukleben. »Vermutlich nicht, sonst würdest du nicht so dämliche Fragen stellen. In Hosen lebt es sich einfach viel freier.«

    Er starrte mich an, als wäre mir ein Arm aus der Stirn gewachsen. Ich starrte erwartungsvoll zurück, bis er schließlich den Kopf leicht schüttelte, wie um ihn zu klären. »Ich … bitte um Verzeihung, Mademoiselle.«

    Die Leute waren auf uns aufmerksam geworden. Ich versuchte vergeblich, meinen Arm zu befreien, während Panik in mir aufstieg. »Lass mich …«

    Sein Griff wurde nur noch fester. »Habe ich Euch vielleicht beleidigt?«

    Da verlor ich endgültig die Geduld und riss mich mit aller Kraft los. »Wegen dir hab ich mir mein verdammtes Steißbein gebrochen!«

    Er wich zurück, als hätte ich ihn gebissen, und sah mich angeekelt an. »Noch niemals in meinem ganzen Leben habe ich eine Dame so sprechen hören.«

    Ach so, Chasseure waren ja Heilige. Wahrscheinlich hielt er mich jetzt für den Teufel persönlich.

    Ganz falsch hätte er damit nicht gelegen.

    Ich schenkte ihm ein katzenhaftes Lächeln, setzte mich in Bewegung und klimperte, wie ich es bei Babette abgeschaut hatte, mit den Wimpern. Als er keine Anstalten machte, mich aufzuhalten, ließ die Beklemmung in meiner Brust nach. »Du verkehrst mit den falschen

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