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BELICHTUNGSZEIT: Ausgewählte Erzählungen 2003–2019
BELICHTUNGSZEIT: Ausgewählte Erzählungen 2003–2019
BELICHTUNGSZEIT: Ausgewählte Erzählungen 2003–2019
eBook332 Seiten4 Stunden

BELICHTUNGSZEIT: Ausgewählte Erzählungen 2003–2019

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Über dieses E-Book

Auf den ersten Blick erscheint Thorsten Küper wie ein literarischer Verschwörungstheoretiker par excellence. In seinen Geschichten ist nie klar, wer auf welcher Seite steht, was tatsächlich geschieht, wer im Geheimen die Fäden zieht. Seine Helden wissen oft selbst nicht, wer sie sind und was sie antreibt. Küpers Geschichten sind voller Doppelbödigkeiten, überraschender Wendungen, dramatischer Enthüllungen. Hinter der effektvollen Neuinterpretation von Cyberpunk-, Thriller- und Science-Fiction-Motiven stehen aber ernsthafte Auseinandersetzungen mit den psychischen und politisch-sozialen Folgen heutiger Schlüsseltechnologien: Gen- und Neuromanipulationen, künstliche Intelligenz, Hybridisierungen von Mensch und Maschine, Virtual und Augmented Reality und insbesondere digitale Medien und Netzwerke als Instrumente der Machtausübung und Ausbeutung.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum29. Nov. 2022
ISBN9783957658005
BELICHTUNGSZEIT: Ausgewählte Erzählungen 2003–2019

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    Buchvorschau

    BELICHTUNGSZEIT - Thorsten Küper

    Projekt 38

    (2003)

    Nur Pixel.

    Es sind doch nur Pixel …

    Ermittlungen nach Eklat um Neujahrsansprache des Kanzlers Immer noch unklar ist, wie es Unbekannten gelungen ist, das Video der Neujahrsansprache von Bundeskanzler Weveling am gestrigen 1. Januar 2011 zu manipulieren. Die erschütterten Zuschauer mussten für etwas mehr als eine Minute mit ansehen, wie ein anscheinend nackter Bundeskanzler mit Hitlerbärtchen seine Ansprache an die Bevölkerung richtete. Experten bezeichneten die Manipulation des Videos als außergewöhnlich komplizierte technische Operation …

    Bin ich ein grotesker Anblick? Vermutlich ja.

    Mein lebloser Körper auf dem Stuhl vor den drei Monitoren, auf denen du nun diese Aufzeichnung siehst. Mich, in derselben Kleidung, mit demselben Gesicht wie die Leiche davor. Das lebendige Spiegelbild eines Toten.

    Verrat mir, habe ich einen seltsamen Gesichtsausdruck im Tod? Hängt meine Zunge heraus, siehst du das Weiße in meinen Augen? Stinke ich etwa schon? Es wäre mir unangenehm. Roll mich in den Nebenraum, falls es so sein sollte. Ich würde selbst nur ungern neben der Fäulnis verströmenden Leiche eines wildfremden alten Mannes sitzen und mir seinen Monolog anhören. Und dann nimm dir den Stuhl, der hinter dir an der Wand steht.

    Immerhin bist du hier. Bist also in diese Stadt gereist, zu dem Schließfach gegangen, in dem du meinen Wohnungsschlüssel und meine Adresse gefunden hast. Falls du dich gefragt hast, wie ich dich nach meinem Ableben über meinen Tod informieren konnte, schau auf mein linkes Handgelenk und das Kabel, das in meinen Kragen hineinläuft. Wahrscheinlich hast du das Prinzip längst durchschaut, schließlich bist du ebenso analytisch veranlagt wie ich. Die Sensoren auf meiner Brust und am Handgelenk messen Herzschlag und Puls. Der Computer hat zwei Stunden lang kein Lebenszeichen mehr aufgezeichnet und dann die Mail mit dem Code für das Schließfach und für meine Maschinen an dich geschickt. Es hat funktioniert, denn du bist hier, hast das Passwort eingegeben und siehst nun diese Aufzeichnung.

    Ich war mir nicht ganz sicher, wann ich sterben würde. Selbstverständlich konnte ich meinen Tod nicht abwenden, aber der Wunsch, Kontrolle auszuüben, war ein wesentlicher Bestandteil meiner Persönlichkeit. Also wollte ich als letzten Beweis meines lebenslangen Trotzes wenigstens bestimmen, in welcher Haltung ich auf die andere Seite wechseln würde. Cowboys sollen in ihren Stiefeln sterben. Männer wie wir müssen dementsprechend stilecht an einer Tastatur sitzend über den Styx reisen. Für mich macht das Sinn. Die bedeutsamsten Augenblicke meines Lebens habe ich nicht mit Menschen, sondern gemeinsam mit Maschinen verbracht.

    Meine genaue Todesursache kenne ich nicht. Jedenfalls war es ein natürlicher Tod. Dem Druckgefühl und den Schmerzen in den letzten eineinhalb Jahren nach zu urteilen, tippe ich auf einen Tumor hinter meinem rechten Auge. Eine Folge der Strahlung. Vor allem von den Monitoren und Displays. Weiche Röntgenstrahlung, Mikrowellen, Infrarot, UV-Licht. Ich habe zu viel Zeit vor ihnen verbracht, mein Hirn getoastet. Aber ich habe es freiwillig getan. Willst du wissen, wieso? Hast du dich das jemals selbst gefragt?

    Für mich kann ich es beantworten: Die Realität und ich – wir haben uns nie gemocht. Die Realität verweigert sich deinen Wünschen, Erwartungen oder Hoffnungen. Dafür habe ich sie gehasst und nach Möglichkeiten gesucht, die Wirklichkeit zu modellieren. Oh ja, es gibt Mittel und Wege. Aber dazu muss man sich selbst auf einen Standpunkt außerhalb der Realität begeben, sie hinter sich lassen. Das habe ich getan. Und darum habe ich diese Wohnung seit acht Jahren nicht mehr verlassen.

    Wenn du dich fragst, wer den Schlüssel und die Adresse im Schließfach deponiert hat: Es war ein Pizzabote. Der Typ, der mir seit acht Jahren immer mal wieder Nummer 47, Nummer 72 oder Nummer 112 geliefert hat und den ich nach einigen Recherchen als vertrauenswürdig eingestuft habe. Um sicherzugehen, dass er den Schlüssel wirklich deponiert, habe ich ihn damit beauftragt, die ganze Aktion zu filmen, von hier bis zum Bahnhof und wie er die Sachen ablegt.

    Das war nichts Neues für ihn. Ich habe vor einigen Jahren eine Kamera für ihn gebaut, die er an seiner Brille befestigen kann. Er hat das Ding umsonst gekriegt, dafür hat er gelegentlich mit Mädchen geschlafen und dabei … nun ja, die Brille getragen. Die Aufzeichnungen hat er mir zugemailt. Ich bin sicher, dass dich diese Offenbarung über meine voyeuristischen Neigungen nicht schockieren wird. Pornografie war eins der Themen, über die wir beide schließlich besonders häufig diskutiert haben. Das und unsere Vorliebe dafür, in der einen oder anderen Weise, Kontrolle auszuüben. Ich bin mir übrigens ganz sicher, dass beides unmittelbar miteinander zu tun hat. Ich hatte fast keine realen Beziehungen in meinem Leben. Nicht, weil es keine Möglichkeiten dazu gegeben hätte. Nein, reale Menschen haben ein Eigenleben, lassen sich nicht inszenieren, wie es mir gefällt. Jedenfalls nicht auf direkte Weise. Deswegen habe ich künstliche Partner bevorzugt, auch wenn sie nur auf einem Monitor oder als Hologramm existierten.

    Langweile ich dich? Du bist nicht hergekommen, um meine Leiche zu bestaunen oder dir meine Selbstanalysen anzuhören. Es geht dir um meine Meisterwerke, nicht wahr? Sie als Programmiererei zu bezeichnen, empfände ich als Herabsetzung. Für mich waren sie immer eine eigene Kunstform.

    Ich war neun, als ich zum ersten Mal die Tastatur eines Computers unter meinen Fingern spürte. Eine Kiste mit einem langsamen Prozessor und einer Taktfrequenz weit unter einem Gigahertz. Eine simple Maschine, wenig mehr als ein Spielzeug. Sie hatten sie mir geschenkt, weil man von einem Krankenbett aus damit arbeiten konnte. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens liegend oder sitzend verbracht. Kannst du dir vorstellen, dass ich immer davon geträumt habe, mal ein Auto zu fahren? Leider konnte ich diesen Traum nie in die Tat umsetzen. Genauso wenig habe ich dieses Land jemals verlassen. Und dass ich die letzten Jahre ohne Unterbrechung in dieser Wohnung verbracht habe, ist dir ja nicht neu.

    Aber zurück zu diesem Computer. Er hat mein Leben verändert, es umprogrammiert, wie ein Virus es tun würde. Ich war vom ersten Augenblick an besessen von den Tasten, dem klickenden Geräusch, dem Monitor, dem bläulichen Licht, das mir vertrauter wurde als das Tageslicht. Ich fing an zu lernen, schrieb Programme, baute einfache Roboter, umging den Kopierschutz von Spielen und entdeckte sehr bald das Internet für mich. Gerade mal elf Jahre alt war ich, als ich zum ersten Mal das World Wide Web betrat – und mich für immer im Netz verfing. Weißt du, aus welcher Motivation heraus ich zum Hacker wurde? Ich meine abgesehen von meiner technischen Neugierde?

    Es wird dich enttäuschen: Meine ersten Hacks zielten auf Pornoseiten. Ich habe mir zu Tausenden davon Zugriff verschafft. Damals war ich gerade mal zwölf. Aber was ich in dieser Zeit auf meiner Jagd nach Wichsvorlagen lernte, bildete die Basis für meine spätere Karriere. Das und meine Besessenheit von Filmen und Romanen. Ich liebe gute Geschichten. Du nicht auch?

    Ich lebte selbst in einer. Sie war tragisch und ziemlich humorlos. Aber es gab eine Menge sehr ironischer Momente. Manchmal frage ich mich, wer sie geschrieben hat. Ich war es jedenfalls nicht.

    Ich stelle mir meine Geschichte gern als Epos vor. Ein dickes Buch mit Tausenden von Seiten. Aber vielleicht ist sie auch nicht mehr als ein paar Zeilen falscher Code in einem großen Programm. So wie der falsche Code im Programm meiner Zellen.

    Er brachte mich nicht um, aber er machte meinen Körper fast unbrauchbar. Es gibt schlimmere Erbkrankheiten als die, unter der ich litt. Doch sie ließ mich schwach und unbeweglich werden und verurteilte mich dazu, einen großen Teil meiner Lebensspanne in geschlossenen Räumen zu verbringen. Aber letztlich verdanke ich dieser Eigenheit meiner DNA alles, was ich in meinem Leben erreicht habe.

    Vielleicht grinst du ja gerade. Was sollte dieser alte tote Sack vor dir auf dem Stuhl schon erreicht haben? Vegetierte in seinem einsamen modrigen Leben dahin, hauste in dieser dunklen Kammer. Aber bevor du lachst, denk genau über dich selbst nach. Na los, komm näher an den Monitor, und hör genau zu:

    Ich habe Geschichte geschrieben. Ich habe Schlagzeilen gemacht. Und ich meine das verdammt wörtlich. Ich habe die wohl gewaltigsten Theaterstücke aller Zeiten ersonnen und inszeniert. Ich habe Menschen wie Marionetten an meinen Fäden tanzen lassen, habe sie zu Tänzern gemacht und den Tanz choreografiert.

    Was redet der alte Narr da, fragst du dich?

    Wir haben über Echtzeitsimulationen philosophiert, entsinnst du dich? Als ich ein Kind war, kamen die ersten auf den Markt. Man konnte zu einem Ritter im Mittelalter werden, einen Vergnügungspark verwalten, ein römischer Feldherr im Kampf gegen die Germanen oder ein deutscher General im Zweiten Weltkrieg nur wenige Kilometer vor Stalingrad sein. Auf diesem Wege konnte man immer wieder neue Leben leben, immer wieder von vorn beginnen.

    Neu starten. Mit mehr Leben. Schneller sein, stärker sein – gesund sein. Das war es, was mir das normale Leben vorenthielt. In den Spielen konnte man kleine Welten erschaffen und mit ihnen experimentieren, Wirtschaftskreisläufe wie präzise Uhrwerke funktionieren lassen oder nur zum Spaß ein winziges Universum ins Chaos stürzen. Ich habe Tage und Nächte damit verbracht, Napoleon, Hitler, Alexander der Große oder ein griechischer Gott zu sein.

    Kontrolle. Darum geht es. Ich war besessen davon, Kontrolle auszuüben, die Schalter des Schicksals unter meinen Fingerkuppen zu spüren. Ursache und Wirkung, das ewige Spiel.

    Aber ich wollte kein Sklave der Wirkung sein. Ich wollte die Ursache sein.

    Irgendwann in der Pubertät wurde ich mir meiner Situation wirklich bewusst. Begriff ich zum ersten Mal, was mir in meinem Leben alles verwehrt bleiben würde. Und damit wurde ich zornig. Man schickte mich zu einem Psychotherapeuten, hetzte mir sogar so einen Priester auf den Hals, der irgendwie auf der religiösen Schiene in meinen Kopf fahren wollte. Da war ich sechzehn, und mir war gerade klar geworden, dass die weitesten Reisen, die ich in meinem Leben zurücklegen würde, die zu irgendwelchen Spezialisten sein würden, die in mir ein großartiges Objekt für ihre Forschungen sahen. Und dieser Pfaffe hatte nichts Besseres zu tun, als mir zu verklickern, dass dieser ganze Mist einen Sinn hatte. Genauso wie in der blinden Idiotie solcher klerikal verblendeten Hornochsen jedes Unglück, jede Katastrophe einem Zweck dient – der natürlich weit über das Verständnis von uns kleinen Menschlein hinausgeht. Muss wirklich beruhigend sein, sich in das flauschige Mäntelchen dieser ignoranten Illusion zu hüllen.

    Internetseite des Vatikans wird Ziel einer Hackerattacke Unbekannten ist es in der Nacht zum Sonntag gelungen, die Internetseiten des Vatikans unter ihre Kontrolle zu bringen und zu manipulieren. Statt der öffentlichen Archive der katholischen Kirche eröffnete sich Besuchern der vatikanischen Online-Präsenz für fast zwölf Stunden der Zugriff auf pornografische Bilder und Filme …

    Einige Tage, nachdem mir der Priester diesen Blödsinn hatte verkaufen wollen, drang jemand in die Internetseite des Vatikans ein und verwandelte sie für fast zwölf Stunden in ein gut frequentiertes Pornoportal unter dem Titel »Nageln hat auch bei uns Tradition«.

    Es war der erste richtige Hack, den ich durchführte. Absurderweise verstand ich nach dieser Aktion, dass der Pfaffe recht gehabt hatte mit seiner Behauptung, meine Krankheit ergäbe einen Sinn. Sie hatte mich dazu gezwungen, abgeschottet zu leben, und mir auf diesem Wege ermöglicht, mein Talent in Ruhe zu entfalten. Ein Talent, das ich nun für meine neuen, großen, ganz eigenen Echtzeitstrategiespiele nutzte.

    Autopsie statt Musikvideos Über mehrere Minuten hinweg sind während der Ausstrahlung eines Videos der englischen Boygroup Fungerms beim Musiksender S-Channel Bilder von den Leichen der fünf Musiker eingeblendet worden. Die Mitglieder der Gruppe sowie deren Manager und die beiden Lebensgefährten zweier Sänger waren in der letzten Woche bei einem tragischen Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Die Leitung von S-Channel bedauerte den Vorfall und kündigte personelle Konsequenzen an. Nach bisherigen Ermittlungen muss es Unbekannten gelungen sein, die Bilder von außen einzuspielen …

    Zum Beispiel gelang es mir, mich in die Sendezentrale eines Musiksenders zu hacken. Gerade war eine dieser Boygroups komplett bei einem Hubschrauberabsturz ausgelöscht worden. Man machte eine Sondersendung. Die lieben kleinen Fans durften sich dann aber statt eines Videos ihrer Idole an deren Autopsiebildern erfreuen, die wie durch göttliche Intervention plötzlich über den Sender gingen. Eine böse Geschichte. An diesem Nachmittag hat so manches kleine Mädchen dicke Tränen vergossen, während ich mich vor Lachen kaum halten konnte. Irgendwie blieb ich auf dieser Linie und richtete meine Aktionen immer wieder gegen die Medien.

    Massenkarambolagen in München, Berlin und Hamburg Zu mysteriösen Massenkarambolagen kam es am gestrigen Morgen in den Innenstädten von Berlin, Hamburg und München. Zeugen berichteten einstimmig, dass die Ampelanlagen in den Zentren aller drei Städte gleichzeitig in beiden Fahrtrichtungen auf grün geschaltet worden seien. Die von verschiedenen Stellen geäußerte Theorie, Unbekannte hätten Zugriff auf die Verkehrsleitsysteme erlangt, wurden von Experten als unwahrscheinlich bezeichnet …

    Okay, ich versuchte mich auch mal an den Standardgeschichten, schaltete alle Ampeln in der Berliner, Münchner und Hamburger Innenstadt gleichzeitig auf Grün. Aber mir fehlte dabei der Reiz. Es ergab keinen wirklichen Sinn und hatte keine Botschaft. Für mich hatte das Spiel damals schon einen künstlerischen Anspruch.

    Es machte mir mehr Spaß, manipulierte Aufnahmen in Nachrichtensendungen zu schleusen. Einige Jahre davor wäre das undenkbar gewesen, aber die Kameraleute schickten ihre Aufnahmen mehr und mehr in digitalen Formaten übers Netz an die Agenturen. Wenn man die Wege kannte, konnte man sich reinschalten, Filme an Knotenpunkten abfangen, modifizieren und dann die korrekten Versionen auf den Servern gegen die falschen austauschen.

    Kultusminister wird von Penis interviewt Tausende von Zuschauern äußerten sich in Anrufen und E-Mails schockiert über eine gestern auf TPO gezeigte Pressekonferenz von Kultusminister von Hohnreid. Statt in ein Mikrofon schien der Minister in einen erigierten Penis zu sprechen …

    Du kennst doch bestimmt meine alten Kabinettstückchen, in denen Politiker nicht in Mikros, sondern erigierte Schwänze vor ihren Gesichtern sprechen. Mikro gegen Penis austauschen war schon mit der damaligen Software eine Kleinigkeit.

    Innenministerin Karenbaum beklagt Mangel an Geschlechtsverkehr Wieder ist es Unbekannten gelungen, einen manipulierten Filmbeitrag über die Sender zu schicken. Die Aufzeichnung war so verfremdet worden, dass die Ministerin Karenbaum scheinbar sehr befremdliche Details über ihr Privatleben preisgab. Die Innenministerin zeigte sich später bestürzt über die ihr in den Mund gelegten Äußerungen …

    Eine andere Variante war es, denen neue Sätze in den Mund zu legen. Etwas später hatte ich sogar eine Software, die leistungsfähig genug war, um ihre Lippenbewegung zu synchronisieren. Da erklärte die Ministerin einer konservativen Partei plötzlich den Fernsehzuschauern, dass es ihr leid täte, in letzter Zeit so viel Unsinn verzapft zu haben. Dies läge an einem persönlichen Mangel an Geschlechtsverkehr. Ihr unveränderter Originalschlusssatz, dass dies eine Aufgabe sei, der sich die gesamte Bevölkerung stellen müsse, erhielt dadurch einen völlig neuen Bedeutungskontext. Solche Aufnahmen sind mehr als einmal über den Äther gegangen, weil die nicht bemerkten, dass ich in ihren Systemen herumfuhrwerkte. Den Politschwätzern war das kolossal peinlich, und bei den Sendern rollten Köpfe.

    Roboter produzieren Skulpturen aus Autoteilen Zu einem außergewöhnlichen Zwischenfall kam es gestern im Dortmunder Werk eines großen deutschen Autoherstellers. Die Roboter mehrerer Produktionsstraßen, auf denen Karosserien zusammengeschweißt werden, unterlagen für fast eine Stunde einer Produktionsstörung, deren Ursache innerhalb des Computernetzwerkes des Werkes zu suchen gewesen sei. Gerüchte, die Maschinen hätten aus Autoteilen Skulpturen hergestellt, die an eine Hand mit aufgerichtetem Mittelfinger erinnern, wurden von der Werksleitung dementiert. Allerdings kursiert seit einigen Stunden ein Video im Internet, das angeblich die maschinelle Herstellung einer solchen Skulptur – gefilmt von einer werkseigenen Überwachungskamera – dokumentiert …

    Ich bezeichnete mich selbst als Echtzeitsatiriker – und ich war äußerst erfolgreich dabei. Natürlich blieb ich gesichtslos. Ein Phantom, das Nachahmer fand. Aber keiner war annähernd so brillant wie ich. Leider machte mich diese Erkenntnis großkotzig – und unvorsichtig.

    Ich hatte es damals auf einen bestimmten Konzern abgesehen, der lauthals danach schrie, dass man Sozialhilfeempfänger für seine Werke zwangsverpflichtete. Ich sah mich ein wenig um und stellte fest, dass die Geschichte dieser Firma bis ins Dritte Reich zurückreichte. Und schon damals hatten die Zwangsarbeiter eingesetzt.

    Hacker verhaftet Ein zwanzigjähriger Mann aus Berlin wurde gestern im Zusammenhang mit einer Hackerattacke auf das deutsche Unternehmen Syberg-Hetzler verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, unautorisierten Zugriff auf das Computernetzwerk der Firmenzentrale erlangt zuhaben. Unter anderem waren im Verlauf der Attacke sämtliche Lichter im Gebäude gelöscht worden, bis auf die Leuchtkörper von etwa vier Dutzend Räumen, die so ausgewählt waren, dass die erleuchteten Fenster das Bild eines Hakenkreuzes ergaben. Außerdem wurden während dieses Zeitraums über firmeneigene Mailkonten rund eine Million E-Mails mit dem Text »Arbeit macht frei« versandt. Über die Motive des Mannes ist nichts Näheres bekannt, die Tat habe jedoch möglicherweise politische Hintergründe. Polizeisprecher bezeichneten den an einer schweren Muskelkrankheit leidenden Täter jedoch als psychisch labil …

    Sie erwischten mich kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag. Schuld daran war mein Schwachpunkt. Ich war darauf angewiesen, von meiner Wohnung aus zu arbeiten, konnte meine Identität nicht verbergen, indem ich mich aus öffentlichen Terminals ins Netz begab, wie es andere Profis getan hätten. In den Knast sperren konnten sie mich nicht. Aber in ein Krankenhaus. Eins für Strafgefangene. Vierzehn Monate war ich da drin, abgeschnitten von meiner gewohnten Umgebung und meinen über alles geliebten Rechnern. Es war die reinste Hölle. Ich war umgeben von Abschaum. Du weißt doch, was sie darüber sagen, was mit Eierköpfen wie uns im Knast geschieht. Untertreibungen sind das.

    Also floh ich noch weiter in mich hinein, vergrub meine Nase in Bücher. Las alles, was ich in die Finger kriegen konnte. So entstand in meinem Kopf ein Cocktail aus brodelnden Ideen, die weit über alles hinausgingen, was ich davor geplant hatte. Dieser Knast war so was wie ein Reaktionsbehälter und die Bücher Enzyme, die mich in einer chemischen Reaktion umwandelten, weiterentwickelten. Was auch immer.

    Hast du schon einmal die hochauflösenden Aufnahmen von Überwachungssatelliten gesehen? Diese einfachen geometrischen Bilder aus der Vogelperspektive, auf denen man Gebäude und Straßen sehen und Truppenbewegungen verfolgen kann? Eine nukleare Waffe besteht auf so einem Bild gerade einmal aus achtunddreißig Pixeln.

    Achtunddreißig Pixel, die wie von der Geisterhand irgendwo im Computer hinzuaddiert werden, wo die CCDs der Kameraoptik nie welche gesehen haben. Glaubst du ernsthaft, für jemanden wie mich wären achtunddreißig Pixel eine ernsthafte Herausforderung? Ich war der Mann, der den Kanzler nackt und mit einem Hitlerbärtchen die Neujahrsansprache 2011 hat halten lassen.

    Fragst du dich nun, ob ich meine Idee umgesetzt habe? Denkst du darüber nach, welcher militärische Konflikt der letzten Jahre, ausgelöst durch die Jagd nach vermeintlichen Nuklearwaffen, von mir inszeniert worden ist?

    Vielleicht war es gut, dass sie auf mich aufmerksam geworden waren. Dieser Talentsucher tauchte einen Tag vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus auf. Und mit ihm endete alles. Oder es begann. So ganz genau kann ich es auch heute noch nicht unterscheiden …

    Er wollte, dass ich »es« für ihn tue. Genau so sagte er es und war sich der Zweideutigkeit nicht mal bewusst. »Es« bedeutete, ich sollte die Realität für sie modellieren, manipulieren. Er war so ein hohes Tier bei einem großen Sender, und sie wollten, dass ich das, was ich gegen sie verwendet hatte, nun in ihre Dienste stellte.

    Leider muss ich dich enttäuschen, falls du mich für einen prinzipientreuen Rebellen gehalten hast. Jung und eitel, wie ich war, fühlte ich mich mehr geschmeichelt als gekauft und tat genau das, was sie wollten. Dafür erhielt ich neueste Technologien, Möglichkeiten, die mir vorher nicht zur Verfügung gestanden hatten. Natürlich gab man mir kein Büro oder führte mich auf einer Gehaltsliste, denn man wollte auf gar keinen Fall mit unjournalistischen und unauthentischen Bildern in Verbindung gebracht werden. Ich stellte für sie Aufnahmen her, die so nie gedreht worden waren, und lernte dabei, wie wertvoll Bilder sein konnten. Vor allem dann, wenn sie nicht der Wahrheit entsprachen.

    Parteichef Gilgenforst erklärt Rücktritt Als Konsequenz des ihm gegenüber nach wie vor bestehenden Misstrauens gab Werner Gilgenforst heute seinen Rücktritt bekannt. Dieser Schritt sei jedoch nicht als Eingeständnis seiner Schuld zu verstehen, sondern als eine vernünftige Konsequenz im Sinne der Partei, deren erfolgreiche Arbeit ihm weit mehr am Herzen läge als sein persönlicher Wunsch, sie weiterzuführen. Auch nachdem Experten die Manipulation des Videos, das Gilgenforst bei der Übergabe eines Koffers zeigt, nachgewiesen hatten, waren Spekulationen über seine mögliche Verwicklung in eine Schwarzgeldaffäre nicht verstummt. Bundeskanzler Weveling zeigte sich betroffen über …

    Mein Job war es, brisantes Bildmaterial zu erschaffen, das sich für Politmagazine und Nachrichtensendungen verwenden ließ. Sie konnten alles, was ich fabrizierte, sorglos über den Sender jagen, indem sie es selbst als »von zweifelhafter Herkunft« deklarierten, aber trotzdem zeigten. In mehr als einem Fall durfte ein Politiker seinen Hut nehmen, obwohl Experten versicherten, die Aufnahmen, die ihn bei einer Geldübergabe zeigten, seien nicht authentisch. Die Rufschädigung, die er allein durch das Aufsehen um seine Person erlitten hatte, war völlig ausreichend, um seine Karriere zu ruinieren. Die Spielregeln einer oberflächlichen Gesellschaft sind simpel und hart.

    Diese Arbeit brachte mir eine Menge Geld ein. Und glaub mir, ich habe sie sehr gern gemacht. Aber wer Nachrichten verkauft, verkauft ein gewöhnliches Produkt, das nur dann gefragt ist, wenn es einzigartig und möglichst nicht austauschbar ist. Nachrichten haben einen Wert, und der hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der man sie in Umlauf bringt. Dabei gibt es zwei Probleme: Erstens kennt man nie das Wann, und zweitens gibt es immer wieder lange Phasen, in denen rein gar nichts geschieht.

    Ich war zweiundzwanzig, als ich den Kerl anrief, der mich damals im Krankenhaus angeheuert hatte. Um ihm etwas Außergewöhnliches vorzuschlagen, das die Medien revolutionieren würde. Ich brachte ihn dazu, dass man ein geheimes Treffen mit der Führungsspitze für mich arrangierte. Ich entsinne mich, dass es ausgerechnet in einem alten Kloster vor einem riesigen offenen Kamin stattfand, in dem ein unglaublich großes Feuer prasselte.

    »Es gibt grob gesehen zwei mögliche Stadien bei der Manipulation von Nachrichten«, habe ich erklärt, und man lauschte mir mit großen Gläsern voll Wein in den Händen. »Sie, meine Herren, befinden sich im ersten Stadium, indem Sie die Bilder, also erst die Wirkung eines Ereignisses, manipulieren. Das zweite Stadium erreichen Sie, wenn Sie die Ursache eines Ereignisses manipulieren.«

    Die drei Kerle ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Einer rang sich ein Lächeln ab, das entweder spöttisch oder verlegen war, ich weiß es nicht. Jedenfalls fragte er mich dann, wie ich die Ursache von Ereignissen manipulieren wollte.

    Ich muss wohl ziemlich selbstverliebt und überheblich ausgesehen haben, als ich sagte: »Indem ich sie auslöse.«

    Danach zeigte ich ihnen die Bilder von den Massenkarambolagen in Berlin, Hamburg und München und erklärte ihnen, dass dies die Auswirkungen eines Hackerangriffes auf die Verkehrsleitsysteme gewesen wären. Selbstverständlich erwähnte ich nicht, dass ich der Hacker gewesen war, aber ich nehme an, sie konnten es sich denken.

    Sie reagierten bei Weitem nicht so enthusiastisch, wie ich gehofft hatte. Hackerangriffe wären doch wohl zurückzuverfolgen und solche Unfälle zu arrangieren, läge weit unter dem Niveau jedes ernsthaften Journalisten. Sie nahmen mich wirklich nicht für voll, deswegen versteckten sie sich hinter Prinzipien, die ihnen selbst völlig fremd waren. Doch bevor sie gehen konnten, startete ich im letzten Moment eine Computeranimation. Was sie da sahen, waren zunächst einmal nur Schwärme winziger verschiedenfarbiger Punkte, die sich durch ein Labyrinth bewegten, um sich an einer Stelle zusammenzuballen. Wahrscheinlich haben sie mich in diesem Augenblick wirklich für verrückt gehalten, aber als ich ihnen erklärte, was sie da in einer Simulation mit ansahen und was ich ihnen vorschlug, spürte ich, wie die Stimmung im Raum umschlug.

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