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Das Leben ist eine Zicke: Geschichten und Krimis aus der Region
Das Leben ist eine Zicke: Geschichten und Krimis aus der Region
Das Leben ist eine Zicke: Geschichten und Krimis aus der Region
eBook284 Seiten3 Stunden

Das Leben ist eine Zicke: Geschichten und Krimis aus der Region

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Über dieses E-Book

Nach einer Sammlung kriminalistischer Kurzgeschichten (Begegnung mit dem Berserker - 2011) und drei Dobermann-Kriminalromanen (abgedrückt - 2013; wei߬kalt - 2015 und
Tage, die alles verändern - 2017) legt Andreas Roß nun eine weitere Kurzgeschichtensammlung vor: Das Leben ist eine Zicke - Geschichten und Krimis aus der Region. Alltagsgeschichten und Kurzkrimis mit vielen unvorhersehbaren Wendungen, von tiefsinnig-nachdenklich bis skurril-komisch. Facettenreich wie das Leben.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum6. März 2018
ISBN9783746055466
Das Leben ist eine Zicke: Geschichten und Krimis aus der Region
Autor

Andreas Roß

Andreas Roß, Jahrgang 1962, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet im richtigen Leben als »Mundwerker«, ist also in der Sozialarbeit tätig. Lange Jahre beriet er Haftentlassene und hörte somit viele verwegene Geschichten, die ihn inspirierten. Auch in seinem jetzigen Tätigkeitsfeld als Mieterberater für verschiedene südhessische Wohnungsunternehmen findet er in den langen dunklen Fluren der hohen Häuser immer wieder Anhaltspunkte für skurrile Begebenheiten

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    Buchvorschau

    Das Leben ist eine Zicke - Andreas Roß

    Das Leben ist eine Zicke

    Titel

    Der Autor und das Buch

    Vorneweg

    Wenn Wellen wogen wider‘s Watt

    Die Wälder kehren nicht zurück

    Erst lustvoll, dann Frust doll

    Die dunkle Seite des Odenwaldes

    Ich verändere mein Leben und bin ein anderer - Mein ganz persönlicher Katastrophenfilm

    Der längste Tag

    April, April!

    Der Einbruch

    Sand rieselt - Zeit vergeht

    Hey, du Kleiner

    Das geklaute Alibi

    Der Rentner und die Räuber

    Die Unschuldsengel

    Eine Woche nach dem Tag …

    Die Begegnung

    Das rote Tuch

    Das alte Spiel

    Warum die Alltagshektik immer doller wird

    Die Wiederholungstäter

    Falscher Schein

    Alltagspanik

    Die Leergutvermüllung

    Der Umzug

    Die Mutprobe

    Die Gefahren des Alltags

    Eine Entscheidung zu viel

    Schlimme Stimme - ein wenig zu laut

    Keine Zeit, um Angst zu haben

    Die Welt prasselt auf mich ein

    Drei Freunde - ein Plan

    Freie Wahl?

    Realität – ein Wunsch

    Einer geht noch!

    Fast-Food – jeder kriegt sein Fett weg

    Die Überraschung

    Konsequent

    Der Schlüsseltrick

    Die Geliebte

    Die Entscheidungshilfe

    Die Überraschungs-Pizza

    Die Kurzschlusshandlung

    Die Flucht

    Geschwisterschwur

    Die Promillefahrt

    Abendlicher Spaziergang

    Bierseliges Geplapper

    Verfahrene Situationen

    Alter schützt vor Dummheit nicht oder gefährliche Computerbekanntschaft

    Mit schlafwandlerischer Sicherheit

    Halloween

    Der Besucher

    Winterabend

    Die Tageseinnahmen

    Fastnacht, mal ganz ernst

    Der Kartentrick

    Gute Ideen zum Fest

    Geschwisterliebe

    Fast wie Weihnachten

    Flucht ins neue Jahr

    Der Niko-Klaus kommt

    Geld regiert die Welt

    Die Neue Armut

    Die Pension

    Das Ende

    Weitere Bücher des Autors

    Impressum

    Andreas Ross       

    Das Leben ist eine Zicke

    Alltagsgeschichten und Kriminelles aus der Region

    14 Alltagsgeschichten,

    ein längerer Krimi

    und 48 Kurzkrimis

     Odenwald-Verlag

    Der Autor und das Buch

    Andreas Roß, Jahrgang 1962, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet im richtigen Leben als »Mundwerker«, ist also in der Sozialarbeit tätig. Lange Jahre beriet er Haftentlassene und hörte somit viele verwegene Geschichten, die ihn inspirierten. Auch in seinem jetzigen Tätigkeitsfeld als Mieterberater für verschiedene südhessische Wohnungsunternehmen findet er in den langen dunklen Fluren der hohen Häuser immer wieder Anhaltspunkte für skurrile Begebenheiten.

    Nach einer Sammlung kriminalistischer Kurzgeschichten (Begegnung mit dem Berserker – 2011) und drei Dobermann-Kriminalromanen  (abgedrückt – 2013,  weißkalt – 2015 und  Tage, die alles verändern -2017)  legt Andreas Roß nun eine weitere Kurzgeschichtensammlung vor:

    Alltagsgeschichten und Kurzkrimis mit vielen unvorhersehbaren Wendungen, von tiefsinnig-nachdenklich bis skurril-komisch.

    Facettenreich wie das Leben.

     Die Handlungen der Geschichten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen und realen Begebenheiten wäre rein zufällig und nicht gewollt.

    Die aktuellen  Lesetermine finden Sie unter:

    http://www.krimiautor-ross-darmstadt.de/

    Vorneweg

    Der Traktor hat vier Räder,

    fährt er nicht, dann steht er.

    Die Idee, kurze Sätze zu Papier zu bringen, die sich zu einer Kurzgeschichte vereinigen, kam so spontan wie die Entscheidung, ob man beim Roulette auf rot oder schwarz setzt. Ich bin ein Spieler, also spiele ich. Früher, als ich noch gestrickte Hosen trug und meine kurz geschnittenen Haare eine nackte Stirn zurückließen, vergnügte ich mich mit Legosteinen, die ich zu immer neuen Fantasiegebilden zusammensteckte. Dann kam die Schule und ich entdeckte: Schreiben besteht letztendlich darin, sich hinzusetzen und mit etwas Geschick die sechsundzwanzig Buchstaben unseres Alphabets sowie die drei Umlaute und vielleicht noch ab und zu das ß so zu mischen und nacheinander aufzuschreiben, dass ein mehr oder weniger sinniger Zusammenhang zu erkennen ist.

    Gelingt mir dies, freut mich das. Gelingt es mir obendrein, jemanden für das Geschriebene zu interessieren, jubiliere ich (natürlich nur innerlich). Das Allergrößte ist allerdings dann erreicht, wenn es den Sätzen gelingt, die zig Gesichtsmuskeln eines Lesers zu einer Grimasse zu verformen, die der Mensch unseres Kulturkreises liebevoll »Lachen« nennt. Wenn dann noch der Lesende sich nicht nur auf die Schenkel, sondern auch dem Schreibenden auf die Schulter klopft, um danach tief in die Taschen zu greifen und wenn dann zu allem Überfluss sowie vor lauter Dankbarkeit zweiseitig bunt bedruckte Papierscheine den Besitzer wechseln, ja dann, dann wache ich meistens aus meinem Tagtraum auf und muss mir eingestehen, ich bin ein Applaus heischender Wortgebildebauer.

    Aber es gibt Schlimmeres, glaube ich zumindest.

    Genau dieser Glaube treibt mich immer wieder zu der Tastatur, die verbunden mit meinem Computer meinen Augen die Möglichkeit gibt, wildes Getippsel als Worte und Sätze auf dem Bildschirm wiederzufinden. Und so ergeben Worte zusammengefasst Zeilen, die ich auf der Suche nach der ultimativen Kurzgeschichte auf meiner Festplatte abspeichere. Immer mehr davon verstopfen meinen Computer, so dass jetzt wohl der richtige Zeitpunkt herangereift ist, all die kleinen Wortwürmchen aus der virtuellen Welt zu befreien und ihnen zu erlauben, auf bedrucktem Papier greifbar zu werden. So erblicken eine Menge kleiner Geschichten das Licht der Welt und warten ungeduldig darauf, gelesen zu werden.

    Der Traktor hat vier Räder,

    steht er nicht, dann fährt er.

    Wenn Wellen wogen wider‘s Watt

    Stühle sind phänomenal. Es gibt tausende von ihnen und jeder ist anders, anders geformt, anders gearbeitet, anders verwendbar, und diese gesamte Andersartigkeit wirkt sich aus, weil – und das ist, was mich so begeistert – jeder Stuhl ein anderes Sitzvergnügen bietet. Mal sitzt man wie ein Fürst, mal wie ein Bettelmann, mal in Armlehnen eingebettet, mal frei schwebend, leicht hin und her schwankend, ohne besonderen Halt.

    Jeder Stuhl hat etwas Besonderes, etwas Einzigartiges, ein Flair, eine Seele, und ich sammle Seelen, auch die, die in Stühlen versteckt sind.

    Heute ist mein Glückstag. Ich habe gleich zwei Prachtexemplare gefunden, hinter dem Spielplatz rechts standen sie herum, und sie waren nicht versteckt, sie standen offen herum, einfach so, einsam und verlassen.

    Ich stelle die Stühle in den Garten

    zu den anderen. 

    Wolken sind grau. 

    Bald regnet es.

    Der Garten vollgefüllt.

    Ich müsste aufräumen.

    Stühle werden weggeworfen. Stühle, auf denen man noch sitzen kann, die noch fast wie neu sind, die zu gebrauchen sind, die man nicht ohne Not wegwerfen muss, werden weggeworfen und mit ihnen ihre Seelen.

    Ich sammle Stühle und bewahre sie auf, in meinem Garten. Zwei weitere habe ich heute gefunden, einer ist geflochten, der andere aus Holz, beide vermutlich Küchenstühle, zumindest nach meinem Sitzgefühl. Beide sind noch heil und lassen sich besetzen, von mir, ihrem neuen Besitzer.

     Vor mir kniet Willi Brandt. Schön eingepackt in altes, vornehmes Schwarzweiß sieht er traurig aus, aber er wirkt, als wäre er in seinen besten Jahren und ist es wohl auch. Damals war ich auch in meinen besten Jahren. Voller Tatendrang und verliebt, hatte ich das Leben vor mir und war mir sicher, Willi Brandt hatte sich auch für mich in Warschau auf die Knie fallen lassen, ohne mich persönlich zu kennen.

    Ich bin stolz, ihn gefunden zu haben. Er lag im Altpapiercontainer, ganz hinten, ganz unten, unter all dem anderen Papierabfall, unter all den interessanten Zeitschriften und Büchern, die bestimmt noch nicht zu Ende gelesen worden sind.

    In meinem Wohnzimmer stapelt es sich.

    Ich lege das Bild obenauf.

    Daneben noch ein Stapel.

    Er ist umgekippt.

    Papier überall.

    Ich müsste sortieren.

    Willi Brandt, ein toller Mann, und ich habe ihn gefunden. Wie kann man so etwas wegwerfen? Man muss es aufbewahren, in Erinnerung behalten, das Bild immer wieder anschauen, man darf nicht vergessen, alles gleich wegwerfen ist ein Frevel, aber allzu viele Menschen halten sich nicht daran.

    Ich bin anders. Es muss Menschen geben, Menschen wie mich, die genau prüfen, ob etwas weggeworfen werden sollte oder ob es aufgehoben werden muss, aufgehoben und aufbewahrt für andere Menschen, die auch Interesse daran haben.

    Willi Brandt kniend darf man nicht wegwerfen. Er hat es verdient, aufgehoben zu werden. Ich werde ihn in Ehren halten. Ich habe ihn zu den anderen Zeitschriften ins Wohnzimmer gelegt, auf den großen Stapel, in dem noch so vieles schlummert, was ich noch nicht gelesen habe, was auf mich wartet, wenn ich die Zeit finde, alles durchzuschauen.

     Früher habe ich in unserem Wohnzimmer Fernsehen geschaut, wie so viele andere Menschen auch, ja damals, als der Fernseher noch funktionierte, doch dann verschwand plötzlich das Bild, es kann nur eine Kleinigkeit sein, ein Kondensator oder so, aber ich hatte noch keine Zeit für eine Reparatur, dafür habe ich auf dem Sperrmüll einen anderen Fernseher gefunden, mit perfektem Bild, aber ohne Ton.

    Eine Woche später, ich weiß es genau, es war nämlich kurz nach meinem Geburtstag, da fand ich noch zwei weitere, einen großen und einen kleinen, und eine Stereoanlage, alles im Top-Zustand und voll funktionsfähig. Ich nahm alles mit und verstaute es in meinem Wohnzimmer, gleich neben der Werkbank, dem Kleiderschrank, an dem nur ein Scharnier fehlt, und dem Computer inklusive Bildschirm, alles Dinge, die kurz zuvor auf dem Gehsteig standen, schräg gegenüber, vor dem Haus meines Nachbarn.

    Das Wohnzimmer ist voll gestellt.

    Elektrogeräte nehmen viel Platz weg.

    Ich müsste aufräumen,

    mit den Geräten einen Turm bauen.

    Multimediaschrankwand.

    Gestern war ein junger Mann bei mir. Er sagte, er sei Sozialarbeiter und er sei geschickt worden, von der Stadt, um nach mir zu schauen. Ich verstand ihn nicht, das einzige, was ich verstand war, dass er immer wieder fragte, ob ich Hilfe benötige, Hilfe beim Aufräumen, als ob ich das nicht allein könnte.

    Der junge Mann war nett, lehnte aber den Kaffee ab, den ich ihm anbot. Ich habe extra frisches Wasser aus dem Bad geholt und in dem Tauchsieder, der im Flur auf der alten Nähmaschine steht, zum Kochen gebracht, aber er wollte nicht. Er sagte, er habe es am Magen, muss wohl ein Virus sein, der momentan grassiert.

    Zum Abschied fragte er mich, wie viele Fernseher ich eigentlich hätte, ich sagte wahrheitsgemäß fünf, weil einer noch oben im Schlafzimmer steht, und er fragte mich, ob denn alle noch funktionieren würden, worauf ich ihm sagen musste, dass ich das nicht wisse, da ich momentan nicht an die Steckdosen herankomme, um die Fernsehgeräte auszuprobieren. Er sagte, er würde bei Gelegenheit nochmals vorbeikommen und ich sollte bis dahin ein wenig aufräumen und sauber machen. Ich wusste nicht genau, was er meinte und ich fragte nach. Er war recht nett und so versprach ich ihm, ich würde etwas sauber machen.

    Geschirr spülen ist notwendig. Es ist etwas, was ich früher gerne gemacht habe. Früher, als meine Frau noch lebte, stand ich abends oft in der Küche, spülte, und meine Frau trocknete ab und sprach mit mir. Sie erzählte mir von ihrem Tag und ich erzählte ihr von meinem, was uns beiden sehr viel Spaß machte und so mussten wir oft lachen und einmal rutschte ihr vor lauter Lachen ein Teller aus der Hand und zerbrach in tausend Teile.

    Das war kein Problem. Gemeinsam fegten wir die Scherben zusammen, glaubten an das Scherben-Glück-Sprichwort und wischten auch gleich die Küche feucht durch, denn meine Frau mochte es, wenn es sauber und aufgeräumt war, ohne dass es steril wirkte, sie fand immer das Mittelmaß zwischen Sauberkeit und Gemütlichkeit. Dafür bewunderte ich sie und bewundere sie auch heute noch.

    Ich schaue in die Küche.

    Die Tür ist selten offen.

    Geschirrgebirge.

    Ich müsste spülen.

    Heute allerdings nicht, denn das Spülen macht mir keinen Spaß. Meine Frau, die Erika, ist nicht mehr und ich habe aufgehört zu spülen. Warum sollte ich es auch tun? Ich bin alleine, es ist niemand da, mit dem ich mich unterhalten oder lachen könnte. Seit damals ist kein Teller zu Bruch gegangen. Keine Scherben, kein Glück.

    Die Küche, ein schöner Raum. Er war immer ein Ort, in dem Geselligkeit gelebt wurde, wie überall in tausenden von Küchen, insbesondere bei Festlichkeiten. Hier traf man sich, hier stand der Kühlschrank, das kalte Bier, das warme Essen und die Gemütlichkeit nahm Platz.

    Oft konnte ich das beobachten, oft feierten wir Feste in unserem Haus, oft forderte ich meine Gäste auf, sich doch auf die anderen Zimmer im Haus zu verteilen, fast immer ohne Erfolg, nur die angepassten und langweiligen folgten meiner Anweisung, die übrigen drängten sich in der kleinen Küche, erzählten, tranken und aßen von dem Selbstgekochten.

    Ich koche nicht mehr. 

    Warum auch?

    Platzmangel.

    Ich müsste aufräumen.

    Das ist Vergangenheit. Meine Küche hat keine Gemütlichkeit verdient, sie nimmt keine Menschen in sich auf, schon lange nicht mehr, sie steht voll, voll mit Geschirr und anderem Gerümpel, alles stapelt sich zu hohen Türmen, die es teilweise nicht mehr ertragen konnten, alleine und ohne Beachtung herumzustehen und deshalb zusammengebrochen sind.

    Nicht alles ist beklebt. Nicht alles ist verschmiert mit Essensresten, viele Töpfe und Pfannen habe ich noch gar nicht benutzt, warum auch, ich koche schon lange nicht mehr, ich bin alleine. Aber ich habe sie gefunden und sie waren noch heil.

    Jetzt ist es gar nicht mehr möglich, etwas zu kochen, die Küche steht voll mit Töpfen und Pfannen, Tellern und Tassen, Küchengeräten und Wasserkessel und dies und das, und in letzter Zeit gibt es viele Fliegen. Deshalb habe ich die Tür zugeschlossen und das Küchenfenster gekippt, auch im Winter.

    Der Flur ist eng. Früher führte er hin zu einer Treppe, die mir und meiner Frau das erste Stockwerk eröffnete, ein Stockwerk, in dem sich unser Schlafzimmer befindet, ein schönes Zimmer, ein gemütliches Zimmer, in dem ich die nettesten Stunden meines Lebens verbracht habe, mit meiner Geliebten, mit meiner Freundin, mit meiner Frau.

    Wie oft habe ich sie die Treppe hoch getragen, auf meinen Armen, sie hat immer gestrampelt und gelacht, dann hat sie mich geküsst und meine Stärke gelobt, nachdem ich sie behutsam auf unser Bett gelegt hatte. Ich war stolz auf mich und meinen Körper.

    Die Treppe.

    Kein Durchkommen.

    Ich muss sie mal frei räumen.

    Befreien von all den Zeitungen.

    Auch heute noch befinden sich einige Goldschätze dort oben, meine Autogrammsammlung mit Bildern von Kulenkampff, Frankenfeld, der Schell und so vielen anderen und sogar ein Bild mit Unterschrift von der Alexandra sind dabei. Sie steht vor einem Baum und hat quer über das Bild geschrieben: Für meinen Freund, den Benno. Damit hat sie mich gemeint und sie hat mir zugelächelt, damals, als ich sie nach dem Konzert in der kleinen Eckkneipe getroffen hatte.

    Mit der Autogrammsammlung fing alles an, damals lebte meine Frau und sie half mir beim Einkleben und Sortieren der Bilder, jetzt bin ich alleine und es kommt immer mehr hinzu, mehr Bilder, mehr Zeitungen und Zeitschriften, mehr von allem, was andere Menschen wegwerfen und was man noch gebrauchen kann. Ich nenne es das Meer-Prinzip, Welle für Welle schwappt in mein Haus, ich ersaufe darin, nein, ich schwimme gerne.

    Meine Matratze und das Bad sind Land, hier kann ich mich frei bewegen. Ich kann schlafen und mein Äußeres pflegen, denn ich bin ein reinlicher Mensch. Nie würde ich mein Haus verlassen, ohne mich gekämmt und einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel geworfen zu haben. Immer bin ich ordentlich und sauber angezogen. Darauf achte ich, das ist mir wichtig. Besonders, wenn ich beim Metzger einkaufe, denn da bedient mich die Sieglinde, eine tolle Frau, die gefällt mir gut, die würde ich gerne zum Essen einladen, in meine Küche, um vielleicht irgendwann einmal mit ihr gemeinsam Geschirr zu spülen. 

    Ich sollte mein Haus aufräumen.

    Hausbefreiung.

    Das eine oder andere wegwerfen.

    Nur was?

    Was soll ich wegwerfen?

     Was ich wegwerfe, aus meinem Leben verbanne, suche ich bestimmt am nächsten Tag, weil ich es gebrauchen kann, vielleicht fragt sogar die Sieglinde danach, vielleicht will sie genau auf dem Stuhl sitzen, den ich entsorgt habe, vielleicht will sie gerade den Zeitungsartikel lesen, den ich zerrissen habe, vielleicht will sie in dem Topf ein leckeres Essen zaubern, den ich weggeworfen habe.

    Die gähnende Fülle lässt mich nicht los. Sie frisst mich auf. Ohne sie verhungere ich vor Zweifel, auf der Suche nach Neuem, nach Interessantem, nach einem Gegenstand mit Seele.

    Die Wälder kehren nicht zurück

    »Ich wünsche dir eine gute Reise«, stand auf dem Stück Karton, der im Wind flatterte. Einzeln und verschieden groß waren die Buchstaben. Karls fünfjähriger Enkel hatte sie gemalt. Er wollte auf diese Weise Abschied nehmen. Karl hatte nichts dagegen.

    Der Wind trug den Klang einer Goldenen Hochzeit vom anderen Ende des Dorfes herüber.

    Die Rose glitt aus der Hand und fiel in das Erdloch. Ausgeatmete Luft stieg weiß in den Himmel.

    Die Erde hart und kaum zu brechen. Schweres Gerät hatte es dennoch geschafft. Das Loch war aufgefüllt, eine Narbe im Boden, die nun von der Blume genährt wurde.

    Karl empfand die Kälte nicht, obwohl er die Strickmütze vergessen hatte, die normalerweise seinen kahlen Schädel wärmte. Er stand verloren auf beiden Beinen und starrte nach unten. Seine rauen Hände, ebenfalls frostig, wurden geschüttelt und gedrückt, immer und immer wieder. Es wollte gar kein Ende nehmen. Keine Hand erreichte ihn.

    Viel später ging er in den Gemeindesaal. Bei einem Stück Streuselkuchen sprach er über die Kirchturmuhr, die noch immer nicht repariert worden war und natürlich über den Verkehrslärm, der in den letzten Jahren überhand genommen hatte.

    Als die Gäste gegangen waren, zahlte Karl die Rechnung und ging die wenigen Meter zu Fuß nach Hause.

    Er schloss die Tür und wartete.

    Verwandte und Freunde kamen und gingen.

    Karl blieb und wartete.

    Die Menschen fragten, wie es ihm ginge und er sprach mit feuchten Augen. Er erzählte, dass es vor dem Krieg viel Wald gab, hier in dieser Gegend, und er gar nicht verstehen könne, warum es heute hier überall nur freies Feld gebe. Er erzählte von seiner Jugend und ganz wenig von dem Krieg. Dann sprach er über Hannelore und blieb gefangen in dieser Geschichte.

    Die Tage schwammen an dem alten Mann vorbei und wie Wellen kamen die Menschen. Er fühlte, wie er immer mehr einsackte und wunderte sich darüber, dass heutzutage kaum noch Wald in dieser Gegend übriggeblieben war. Er vertrieb den Gedanken, und in ihm ballte sich Ärger zusammen, dass er damals nicht mutiger und offener gewesen war. Hannelore hatte ihn geführt. Sie allein wusste, was wichtig war, und hatte auf ihn gewartet, all die Jahre. Und als er dann endlich aus der Gefangenschaft zurückkam und schweigen musste, da waren die Wälder verschwunden und alles war so anders als im Spätsommer 1944.

    Karl ließ sich von seiner erstgeborenen Tochter bekochen und kümmerte sich ab

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