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Steingrubers Jahr: Roman
Steingrubers Jahr: Roman
Steingrubers Jahr: Roman
eBook115 Seiten1 Stunde

Steingrubers Jahr: Roman

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Über dieses E-Book

Felix Steingruber ist Katzenhalter, Kammerjäger und Junggeselle mit unspektakulärem Leben: Von Schädlingen geplagte Hausfrauen nötigen ihn zum Kaffeetrinken, seine Mutter gibt die Hoffnung auf Enkelkinder nicht auf, Frau Obermüller bringt hin und wieder nach Katzenart ein Geschenk nach Hause. Nach einem seltsamen Traum aber muss Steingruber über den Tod nachdenken. Ein Ratgeber aus der Bibliothek empfiehlt ihm, Tagebuch zu führen. Das macht er, ein ganzes Jahr lang. Außerdem findet er in der Bibliothek eine Bibliothekarin, die dieses Jahr zu etwas Einzigartigem macht …
Ralf Schlatter versteht es unnachahmlich, Tragisches und Komisches ineinander zu verweben, er entdeckt die Poesie im Unscheinbaren, die Schönheit im Morbiden.
SpracheDeutsch
HerausgeberLimbus Verlag
Erscheinungsdatum6. Dez. 2017
ISBN9783990391006
Steingrubers Jahr: Roman

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    Buchvorschau

    Steingrubers Jahr - Ralf Schlatter

    Ralf Schlatter

    Steingrubers Jahr

    Roman

    Ich wurde geboren an einem Fluss

    und seitdem treibe ich dahin

    durch dieses Leben

    das mich lieben will

    egal was ich auch bin

    Gisbert zu Knyphausen

    Montag, 11. März

    Diese Nacht habe ich Folgendes geträumt: Ich war beim Psychiater. Er hieß Dr. König. Keine Ahnung, warum. Wir saßen beide in tiefen Sesseln, zwischen uns stand ein Salontischchen. Auf dem Tischchen stand eine Schale mit Äpfeln. Keine Ahnung, warum. Dr. König schaute mir lange und tief in die Augen, dann sagte er: „Es tut mir leid, Herr Steingruber, aber ich kann nichts mehr für Sie tun. Ich schluckte leer und sagte: „Wie lange noch? Er zuckte ein bisschen mit den Schultern, kratzte sich am rechten Ohr und sagte: „Plus, minus ein Jahr. Dann bin ich erwacht. Ich habe sogleich Frau Höchstettner, Ameisen, abgesagt und bin in die Bibliothek gefahren. Zum ersten Mal in meinem Leben. Kurz vor der Bibliothek fuhr eine Ambulanz mit Blaulicht und Sirene an mir vorüber. Keine Ahnung, warum. Ich habe ein Ratgeberbuch zum Thema „Angst vor dem Tod ausgeliehen. Den Blick der Bibliothekarin werde ich so schnell nicht vergessen. Ich bin dann extra noch einmal zurück an die Theke, habe etwas Belangloses gefragt und ihr dabei auf den Busen gestarrt. Dort hing ihr Namensschild. Sie heißt Bernadette Amrain. Habe das Buch daheim gleich überflogen. Im letzten Kapitel Einfache, aber wirkungsvolle Maßnahmen steht, man solle doch ein Tagebuch führen. Es könne helfen, seine Gedanken und Beobachtungen niederzuschreiben. Also habe ich eines gekauft. So ein trendiges, schwarzes mit einem Gummiband rundum, Format A5. Mein Handgelenk schmerzt bereits ein wenig. Ich finde, meine Handschrift sieht sehr seltsam aus.

    Dienstag, 12. März

    Heute vor einer Woche starb Vater. Ob der Traum von Dr. König damit zu tun hat? Keine Ahnung. Mein Vater war mir fremd, sein ganzes Leben lang. Warum soll ich dann von ihm träumen, wenn er nicht mehr da ist? Oder eben gerade deshalb? Und wer soll im Traum denn mein Vater gewesen sein? Dr. König? Ich? Die Schale? Und wer war ich? Ein Apfel? Alle Äpfel? Es ist kompliziert. Und wenn es wahr ist und ich habe noch ein Jahr zu leben? Was mache ich bloß? Aufhören zu arbeiten kann ich mir nicht leisten. Mit der Geschichte von Dr. König komme ich beim Sozialamt nicht durch. Habe in der Bibliothek ein Buch über Träume gefunden. Frau Amrain war da! Sie hat mich zuerst wieder so tiefgründig angeschaut, dann hat sie mich gefragt, ob ich mich denn für Träume interessiere. Das sei nämlich spannend. Sie schreibe jeden Morgen ihre Träume auf. Ich glaube, ich bin rot angelaufen, dann habe ich „Soso" gesagt. Im Buch über Träume Folgendes gelesen: In einem Amazonas-Volk erzählen sie sich jeden Morgen ihre Träume und richten die Dorfpolitik danach aus. Der französische Philosoph Descartes soll seine ganze Theorie aus einem Traum abgeleitet haben. Darin kamen eine Kirchenmauer vor, ein Gewitter und eine Melone. Keine Ahnung, warum. Statistisch gesehen träumen wir erstens von Sex, zweitens vom Fallen und drittens vom Versagen. Vielleicht auch manchmal von allen drei Dingen gleichzeitig. In verschiedenen Reihenfolgen. Morgen wird Vater beerdigt.

    Mittwoch, 13. März

    Heute wurde Vater beerdigt. Urnenbestattung. Schlichte Feier in der Kirche. Warum sagt man bei uns immer, eine Feier sei schön gewesen, wenn sie schlicht war? Schön schlicht sei es gewesen, sagt man. Und warum muss man in der Kirche immer diese Lieder singen mit diesen seltsamen Texten und den viel zu schwierigen Melodien? Bei der zweiten Strophe stehen dann die Noten nicht mehr dabei und man kanns vergessen. Es kamen Leute, die ich noch nie gesehen habe. Alte Arbeitskollegen meines Vaters. Ich stelle fest: Ich habe keine Ahnung von seinem Leben. Als Erste kam eine alte, gepflegte Dame mit kunstvoll frisierten Haaren, allein. Sie sagte, sie sei jahrelang seine Sekretärin gewesen. Ich könnte schwören, sie war seine Geliebte. Meine Mutter würdigte sie keines Blickes. Dabei sind sie beide schon über achtzig. Hat sich mein Vater tatsächlich eine Geliebte geleistet? Über den Mittag ins Hotel, falsche Geschäftsreisen, verstellbare Lehne am Bürosessel? Meine Güte. Ein mir vollkommen fremder Mensch wurde da beerdigt. Ich stamme von einem Fremden ab. Und ich habe weder Sekretärin noch Geliebte. Jetzt habe ich nur noch dich, sagte Mutter. Beim Leidmahl viel zu viel getrunken. Mutter danach noch nach Hause gefahren. Die Stille im Elternhaus hätte mich beinahe erschlagen.

    Donnerstag, 14. März

    War heute nochmal auf dem Friedhof. Warum stehen auf den Kindergräbern immer Windräder, auf den Erwachsenengräbern aber keine? Habe ein Windrad von einem Kindergrab genommen und aufs Grab meines Vaters gesteckt. Ich habe angefangen, seine Sachen zu räumen. Ich stelle fest: Man muss alles noch einmal in die Hand nehmen. Außer man würde das Haus anzünden. Oder sprengen. Aber Mutter lebt ja noch drin. Habe beim Anfassen seiner Unterhosen an seine Sekretärin gedacht. Zuoberst in der Schachtel für den Trödlerladen lag ein gerahmtes Foto von ihm als Offizier. Mutter hat es schon immer gehasst. Der Kofferraum war schon voll, ich stellte die Schachtel auf den Rücksitz und fuhr los. Ein Kind lief mir vor den Wagen, ich bremste abrupt, und das Bild flog Zentimeter an meinem Kopf vorbei nach vorne in die Windschutzscheibe. Ich stelle fest: Beinahe hätte mich mein fremder Vater quasi posthum erschlagen. – Nachmittags Frau Oberholzer, Kakerlaken. Hat mir ihr ganzes Leben erzählt. Ihr Mann hat sich am Tag nach seiner Pensionierung aufgehängt, am einzigen Baum im Garten. Ein Quittenbaum. Ihr Mann sei halt eher klein gewachsen gewesen und der Quittenbaum eher groß, sonst wäre das ja gar nicht gegangen, sagte sie. Dem Baum habe es jedenfalls nichts gemacht. Und sie mache trotzdem jedes Jahr Quittenkonfitüre. Das lasse sie sich nicht nehmen. Quitten seien reich an Vitamin C, reicher als Äpfel. Nur das Raffeln sei eine Schinderei. Mit der Arthrose in den Händen erst recht. Dann schenkte sie mir ein Glas Quittenkonfitüre. Ich glaube nicht, dass ich sie essen werde. Vitamin C hin oder her. Bin plötzlich nicht mehr sicher, ob das im Traum Äpfel waren in der Schale. Oder Quitten.

    Freitag, 15. März

    Sicherheitshalber beim Arzt gewesen. Habe ihm selbstverständlich von Dr. König erzählt. Ich glaube, er glaubte mir nicht. Er hat mich halbherzig durchgecheckt und mir am Ende einen Psychiater empfohlen. Der heißt Dr. Kaiser. Wirklich wahr. Keine Ahnung, warum. Im Bus neben dem größten Trottel gesessen. Warum komme ich im Bus immer neben den größten Trottel zu sitzen? Und denkt der das auch von mir? – Nachmittags Herr Krämer, Wanzen. Im Wohnzimmer stand ein riesiges Segelschiffmodell, gebaut aus Zündhölzern. So kann man das natürlich auch machen.

    Samstag, 16. März

    Seit gestern spüre ich ein Stechen im rechten Knie. Über die Art und Weise meines möglichen Ablebens nach Ablauf des Jahres hat sich Dr. König ja nicht geäußert. Kann man sterben an einem stechenden Knie? In der Bibliothek einen Gedichtband von Morgenstern gefunden. An der Theke kurzerhand aufgeschlagen und Frau Amrain das Gedicht vom Knie vorgelesen. Sie hat gelacht!

    Sonntag, 17. März

    Heute Morgen, beim Spaziergang, im aufkommenden Föhnsturm, wäre ich beinahe von einem einstürzenden Baugespannmast erschlagen worden. Habe die letzten Einträge gelesen. Jetzt bin ich schon zum dritten Mal fast erschlagen worden. Morgen Termin Dr. Kaiser.

    Montag, 18. März

    Ich töte Tiere. Täglich. Ich habe schon tausende von Tieren getötet. Der Tod ist Teil meines Lebens. Das soll ich so aufschreiben, hat Dr. Kaiser gesagt. Trottel. Was soll ich denn anderes tun, Herr Kaiser? Ich bin Kammerjäger! Die Leute bezahlen mich fürs Töten von Tieren! In meinem Traum ging es nicht um eine orientalische Schabe und ich habe mit den Schultern gezuckt, mich am Ohr gekratzt und gesagt „plus, minus eine Stunde"! In dem Traum ging es um mich! – Nachmittags zur Beruhigung in den Zoo. Eine Stunde lang dem Schabrackentapir zugeschaut. Das kostet zehnmal weniger als eine Stunde bei Dr. Kaiser. Auf dem Heimweg stieg Frau Amrain in den Bus! So, haben Sie Feierabend, sagte ich. Sie nickte,

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