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Die Legende vom Hermunduren: Fluch des Tribuns
Die Legende vom Hermunduren: Fluch des Tribuns
Die Legende vom Hermunduren: Fluch des Tribuns
eBook594 Seiten7 Stunden

Die Legende vom Hermunduren: Fluch des Tribuns

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Über dieses E-Book

Der junge Hermundure Gerwin findet sich in einem völlig anderen Leben wieder. Als Gefährte anerkannt, als kluger Kopf und versierter Kämpfer geachtet, gelangt er als Begleiter des römischen Händlers Amantius in die Nähe der Männer, die einst den Überfall auf seine Sippe befahlen. Den Erhalt des eigenen Stammes im Blick, setzt er seine begonnene Auseinandersetzung mit Rom fort. Ausgerechnet der Bruder des von ihm getöteten Tribuns erweist sich als sein neuer Gegner.
Von eingetroffenen Boten zur Rückkehr zum Stamm aufgefordert, lehnt Gerwin das Ansinnen ab. Die Rückkehr eines Teils der Boten erzwingt jedoch eine eindeutige Antwort, wie sie nur Gerwin geben und der Herzog der Hermunduren würde lesen können…
Gerwins zeitweilige Heimat erweist sich für seine verbliebenen Freunde als nicht ungefährlich. Als dann auch noch der Sohn des einstigen Händlerfreundes des Amantius auftaucht, öffnet sich ein weiteres Kapitel der Feindschaft…
Noch eine andere Feindschaft verfestigt sich. Obertribun Quintus Suetonius, älterer Bruder des der Rache Gerwins verfallenen Tribuns, glaubt an flüchtige Legionäre. Dieser Verrat an der Legion veranlasst den Obertribun zur Suche gerade der Verlorenen, mit denen Gerwin ins römische Territorium gelangte.
Amantius Angebot der Aufnahme der Verlorenen wächst zur Bedrohung für dessen Familie, seine Sippe der Aresaken und sein Haus… Quintus Suetonius vom Hass getriebener Fluch zwingt Amantius zu einem Pakt mit dessen Legat. Ob dieser aber Bestand verspricht, wissen nur die Götter…
Inzwischen treffen in Rom zwei Adler der Evocati ein, die in Germanien einen unlösbar scheinenden Auftrag zu erfüllen vermochten. Dass der Ältere dieser Männer zu einer Audienz beim Anführer der Geheimorganisation aufgefordert und ihm dort eine neue Zukunft offenbart wird, verwirrt selbst diesen abgebrühten, mit allen Winkelzügen des Lebens vertrauten Mörder und Spitzel…
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Dez. 2017
ISBN9783743974265
Die Legende vom Hermunduren: Fluch des Tribuns
Autor

G. K. Grasse

Geboren im Jahr 1949. Schulzeit, Lehre zum Elektromonteur, Studium zum Ingenieur für Nachrichtentechnik, Diplomstudium und ein nachfolgendes Berufsleben als Diplom-Ingenieur im Technischen Bereich. Nach der Wende eine Zeit der Selbständigkeit im Bereich der Kommunikationstechnik (über zehn Jahre). Anschließend Teamleiter im technischen Bereich Mobilfunk und Breitbandausbau. Mit zunehmendem Alter prägten sich andere, neue Interessen aus. Nach umfangreichen persönlichen Studien zu historischen Ereignissen begann der Autor 2011 mit dem Schreiben historischer Romane. Das vorrangige Interesse gilt der Zeit des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt. Die im freien Germanien lebenden Stämme stoßen mit den über den Rhein vordringenden Legionen des Römischen Imperiums zusammen. Welche Widersprüche entwickeln sich und welchen Einfluss hat die Zivilisation der Römer auf das Leben der Stämme? Das sind den Autor interessierende Fragen und er versucht das Leben und die Kämpfe betroffener Germanen in historischen Romanen zu beschreiben.

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    Buchvorschau

    Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse

    Vorbemerkung des Autors

    Eine Kritik veranlasste mich von der bisher in den ersten fünf Teilen des Romanzyklus verwendeten Form abzuweichen. Bisher nutzte ich vor jedem neuen Kapitel von mir als ‚Kopftexte’ bezeichnete Einleitungen, die mit historischen Erkenntnissen, bekannten und belegten Ereignissen oder auch aus dem Studium der Geschichte gewonnenen Schlussfolgerungen einen verständlichen Rahmen meiner Erzählung abbilden sollten.

    In der Neuauflage der Teile 1 bis 5 und der Fortsetzung ab Teil 6 der

    „Legende vom Hermunduren"

    verzichte ich auf diese ‚Kopftexte’.

    Damit der geneigte Leser nicht auf wichtige Informationen verzichten muss, sind alle diese bisherigen Informationen und auch darüber hinausgehend Wissenswertes in der Form eines eigenständigen

    ‚Kompendium’

    mit dem Titel

    „Was sich noch zu Wissen lohnt …"

    zusammengefasst.

    Worterklärungen und ein Personenregister befinden sich am Ende des Romans. Die erstmalige Erwähnung von Personen und von erklärungsbedürftigen Begriffen sind im Text mittels Kursiv- und Fettdruck hervorgehoben.

    Die Register sind seitenbezogen gestaltet, d. h., dass Erklärungen nach der Seitenzahl geordnet sind an der im Text die erstmalige Erwähnung auftritt.

    Aus dem Lateinischen übernommene Bezeichnungen wurden der deutschen Schreibweise angepasst.

    Dem Romanzyklus liegen die Kriterien der versuchten Einhaltung der historischen Wahrheit und der möglichst verständlichen Darstellung zugrunde. Historiker, die sich mit dieser Zeit auseinandersetzen, sind sich aufgrund dürftiger Quellenlagen, widersprüchlicher Erkenntnisse und auch abweichender Interpretationen nicht immer in der Publikation zu einzelnen Sachverhalten einig.

    Ich möchte vorausschickend erklären, dass diese meine Darstellung weder alle derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in sich vereinigt, noch den Anspruch auf Vollkommenheit und detailgetreue Richtigkeit erhebt.

    Als Autor steht mir dichterische Freiheit zu, die ich im breiten Spektrum wissenschaftlicher Widersprüchlichkeit und natürlich auch mit der Darstellung meines Verständnisses der historischen Situation ausnutze.

    Sicher ist ein ‚Autor’ nur ein Beobachter aller Veröffentlichungen, die sich mit dem Zeitraum, dem Ort und auch mit sonstigen Themen wie Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Militär, Kultur und Religion befassen.

    Natürlich verfolgt er auch die Erkenntnisse der historischen Forschungen.

    Trotzdem ist er kein Wissenschaftler und somit nicht in der Lage, das breite Spektrum der Erkenntnisse vollständig richtig zu erfassen, zu bewerten und in Vollkommenheit richtig wiederzugeben.

    Einer Behauptung, der Autor könnte weder die Komplexität noch die detailgetreue Tiefe erreichen, um die Zusammenhänge darzustellen, könnte hier nicht widersprochen werden.

    Trotzdem benötigt der Autor für die Absicht, einen historischen Roman zu verfassen, zumindest eine Arbeitsgrundlage bzw. eine Hypothese.

    Diese vereinfachte Form historischer Grundlagen könnte ein Historiker fordern, nicht zu veröffentlichen, weil diese zu banal wären.

    Was der Historiker zu verurteilen veranlasst sein könnte, wird der Leser möglicherweise freudig zur Kenntnis nehmen. Er wird des Autors vereinfachtes Verständnis historischer Zusammenhänge aufnehmen, um sich ein eigenes Bild dieser Zeit und der im Roman geschilderten Ereignisse zu erstellen.

    Mit anderen Worten ausgedrückt, wird der Leser und nicht der Historiker, den Stab über dem Autor brechen …

    Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen …

    Was die Historie über den Stamm der Hermunduren berichten kann …

    Der Roman zeichnet das Leben einer Stammesabspaltung der Hermunduren, beginnend um 64 n. Chr. im Territorium am Main, nach.

    Die Hermunduren erschlossen sich den neuen Lebensraum auf Wunsch Roms. Zunächst, so ist es überliefert, prägte Freundschaft die Beziehungen.

    Doch zu keiner Zeit der Existenz des Imperium Romanum blieben Beziehungen zu den Nachbarn friedlicher Natur.

    Zwischen der römischen Eroberungspolitik und dem Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang der Bevölkerung im Barbaricum existierten ein großer Zusammenhang mit Wechselbeziehungen unterschiedlichster Art und ein fundamentaler Widerspruch mit Hass und Feindschaft, der im Kontext zur historischen Zeit und dem Territorium stand.

    Die Römer, unbestritten zur Weltmacht gelangt, und die Barbaren, mit ihren zahlreichen Stämmen und Sippen, trafen am Rhein aufeinander. Weder Rom noch die Barbaren des freien Germaniens erkannten diese natürliche Grenze als von den Göttern gegeben an.

    Die segensreiche Botschaft der Zivilisation in die Wälder des Nordens getragen zu haben, wird zumeist den Römern zugeordnet.

    Für den Barbar dagegen fällt die Rolle des beutegierigen, mordenden und plündernden Kriegers ab.

    Doch stimmt diese Pauschalisierung?

    Besaßen die germanischen Stämme nicht auch Lebensbedürfnisse? Bildete der Schutz des Lebens eigener Kinder und Familien gegen jeden Feind, ob Mensch oder Natur, nicht doch den Kernpunkt jeder kriegerischen Handlung germanischer Sippen.

    Selbst dann, wenn die Germanen auszogen, neuen Lebensraum zu erringen …

    Von Andrei nacu aus der englischsprachigen Wikipedia, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30143245

    1. Ein unnötiges Opfer

    65 nach Christus - Herbst (15. October)

    Imperium Romanum – Mogontiacum

    Am Abend eines regnerischen und kalten Tages verkündete Amantius seine Absicht, die Villa Rustica aufzusuchen. Seine Geschäfte in Mogontiacum waren geordnet, Finley in alle laufenden Vorgänge eingewiesen und Sehnsucht nach seinem Weib zog in seine Lenden.

    Also bestimmte er den ersten Sonnenstrahl des neuen Tages als den Zeitpunkt, zu dem der Ritt beginnen sollte.

    Er wählte Gerwin, Boiuvario, Werot und Sexinius als Begleitung.

    Samocna, der bei der Herberge des schmierigen Fettwanstes einen Zwischenaufenthalt einzulegen beabsichtigte, wurde, unter Mitnahme einiger Wagen, von seinen Aresaken begleitet.

    Amantius wollte vor dem kommenden Winter keinen weiteren Transport von Waren ausführen, besonders nicht über große Wegstrecken. Für die Bewachung kleinerer Wagenzüge oder von Transporten in der Nähe von Mogontiacum genügten zumeist einzelne Veteranen der Legion, die Finley bei Erfordernis selbst rufen würde.

    Das Leben eines Veteranen war zumeist nicht einfach. Nicht allen Legionären winkte, nach dem Abschluss ihrer Dienstzeit, das Glück. Die eigentliche Heimat lag zumeist in der Ferne. Dort erwartete kaum jemand die Heimkehr eines scheidenden Legionärs und das Unterschlüpfen, in einer den Veteranen vorbehaltenen Colonia, galt als Glücksfall.

    Dank dem Entlassungsgeld war ein Veteran nicht so ganz arm, wechselte er in den zivilen Bereich. Trotzdem war das halbe Leben des Mannes zumeist schon beendet und die einstmalige Jugend längstens verloren. Wohl reichte das Entlassungsgeld eine geraume Weile zum Leben. Wer jedoch nicht in der Lage war, das bisherige Leben abzuschließen und von vertrauten Gewohnheiten Abstand zu nehmen, sah die aus der Pensionskasse überlassene Summe hinweg schmelzen.

    Den bisherigen Gepflogenheiten folgend, besaßen viele der Alten entweder eine eigene Hütte in Mogontiacum oder in dessen Nähe, wo sie ein Weib unterhielten und oftmals auch eigene Kinder herum sprangen.

    Ein Legionär Roms durfte keine eheähnliche Beziehung eingehen oder gar eine Ehe führen und sollte auch keine eigenen Kinder zeugen. Dennoch fanden viele der erfahrenen Miles eine Lösung und verbargen gezeugte Kinder hinter dem Weib ihrer Zuneigung, die selbst aber keine Anerkennung als Eheweib beanspruchen durfte. Beendete der Legionär seine Dienstzeit und erkannte er seine gezeugten Kinder an, wurden diese sofort zu römischen Bürgern, was aber nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung der Mutter einherging.

    Was sollte ein solcher Ausgedienter in einer Heimat, die er vor fast dreißig Jahren verließ, um Rom zu dienen. War seine Heimat nicht dort, wo ein liebendes Weib und eigene Kinder warteten?

    Deshalb bevorzugten derart betroffene Veteranen den Verbleib in der Nähe des bisherigen Dienstortes, auch wenn es mitunter schwer fiel, einen geeigneten Gelderwerb zu finden. Oftmals war der Veteran dann glücklich, konnte er das, was er in den Diensten Roms einst ausführte, nun im Dienst eines Geschäftsmannes fortsetzen. Als Beschützer eines Händlers oder Beamten, als Geldeintreiber oder auch als Verwalter eines Fundus verdienten sich derartige Veteranen den notwendigen Lebensunterhalt.

    Der Verdienst der Veteranen, die in der guten Jahreszeit als Begleiter von Handelszügen auf den Straßen des Imperiums unterwegs waren, reichte bei etwas bedächtiger Sparsamkeit zumeist auch über einen langen Winter. Diese Männer flüchteten in der geschäftsarmen Zeit in den Schoß ihrer Familie.

    Eine Folge dieser örtlichen Verhältnisse war somit die Verfügbarkeit über williges und kampferprobtes Personal, auf das auch der Händler Amantius und in dessen Auftrag, seine Secretarius Finley, zugreifen konnten.

    Die, denen dieser Luxus mit einer eigenen Familie als zuviel Aufwand erschien, kannten zumindest einen Schoß, der über die kalten Wintertage etwas Wärme versprach. Mancher Veteran versoff sein Entlassungsgeld,so wie er auch sein über die Jahre erhaltenes Salarium dem Wein und dem Schoß der Huren widmete.

    Bisherigen Gewohnheiten eine Absage zu erteilen, war nicht einfach und so wanderten erhaltene Abschiedsmünzen dorthin, wo früher der Sold verprasst wurde. Ein solch armer Tropf suchte für den Winter zumeist ein warmes Nest. Doch nicht immer war einem derart Betroffenen das Glück einer Unterbringung hold. Manchen Winter verbrachten Einzelne herumlungernd in der Nähe des Handelshofes und waren jederzeit bereit, einen Auftrag anzunehmen.

    Sexinius hatte sich schon lange abgewöhnt, den Winter mit anderen Veteranen zu verbringen. Zuviel Sauferei bekam ihm nicht, auch wenn er gern zu einer der zahlreichen Huren am Flusshafen ins Bett sprang und in der Abwechslung eine gewisse Befriedigung fand. Also schuf auch er sich einen warmen Hort, zu dem er gelegentlich aufbrach. Nur waren seine Verpflichtungen bei der Frau nicht so geartet, dass die Innigkeit und Dauer gemeinsamer Zeit nicht auch geschäftliche Interessen der Hure ausschloss. Als genügsamer Mann war er nicht unzufrieden, fand jedoch auch keine zwingende Veranlassung, die Gemeinsamkeit mit dem Weib auf unbegrenzte Zeit auszudehnen. Deshalb trennte sich Sexinius, schon Tage zuvor, von seinen Veteranen und verabschiedete die Männer in den bevorstehenden Winter. Für sich selbst beschloss er, in diesem Winter, die Verlorenen zu begleiten.

    In einem Gespräch mit Amantius klärten sie gegenseitige Interessen und fanden Gemeinsamkeiten, die des Händlers Zustimmung zum Aufenthalt in der Villa einschlossen. Also folgte Sexinius dem Händler.

    Amantius nahm einen ihm bekannten kurzen Weg und versicherte seinen Begleitern, dass sie kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Villa erreichen könnten. Es gab kaum Pausen und wenn, nur von kurzer Dauer, und deshalb auch keine Gespräche unter den Männern.

    Der Trab der Pferde, deren Prusten und gelegentliches Wiehern blieben die einzigen Laute, zumal die Pfade und Wege ein Reiten, Mann neben Mann, kaum zuließen. Die Dunkelheit warf ihren Mantel über die Reiter und trotzdem führte der Händler sie zielsicher zur Villa.

    „Öffnet das Tor!" rief er, als sie das Ziel erreichten. Ein Kopf tauchte über der Mauer auf, erkannte seinen Herrn und ein Flügel des Tores schwang auf. Im Schritt ritten die Ankömmlinge in den Hof, erst Amantius, dann Sexinius und die Anderen. Als Letzter folgte Gerwin.

    „Was willst du Kröte hier?" begrüßte ihn die wutentbrannte Stimme des Respectus, der sich in den letzten beiden Monaten wohl von seinen Verletzungen erholt hatte.

    Gerwin beachtete den Krieger nicht, obwohl dieser seinem Pferd bis zur Porta der Villa folgte.

    „Ich werde dich Töten, du Hund! Deine Rippen werden genauso knacken wie meine und du wirst nicht wieder aufstehen!" versprach der aresakische Krieger dem jungen Hermunduren.

    Gerwin beachtete den Mann trotzdem nicht.

    Auf der obersten Stufe der Treppe erschien Lucretia, des Amantius Weib, und warf sich ihrem Mann in die Arme. Hinter der Frau des Hauses gewahrte Gerwin Julia, die Tochter des Händlers.

    Seine Frau im Arm, der Tochter einen Begrüßungskuss gebend, führte Amantius seine Begleiter in die Villa. In Haltern brennende Kerzen erhellten die Räume und Bedienstete huschten in emsiger Geschäftigkeit vorüber.

    „Wer sind deine Begleiter? Wie ist es dir ergangen?" Die Frau war neugierig.

    „Warte die Zeit ab. bemerkte der Händler zur Antwort. „Erst ein Bad, dann Speisen und Wein! Dann stehe ich dir zur Verfügung… Sorge für die Unterbringung der Männer. Gerwin bleibt in der Villa! bestimmte er und damit war klar, dass nur der junge Hermundure die Sorgsamkeit seines Weibes erfahren durfte.

    Einem der Bediensteten gewunken, ein paar Befehle erteilt und schon folgten Werot, Boiuvario und Sexinius dem Mann, der sie dorthin führte, wo schon Viator, Paratus und Aulus auf die Ankömmlinge warteten.

    Als Gerwin vom Bad hörte, folgte er dem Händler, um sich der gleichen Wonne hinzugeben. Dabei kreuzte, wie rein zufällig, Julia seinen Weg.

    Sie sagte nur leise „Danke!" und Gerwin wusste, wofür der Dank galt.

    Es würde der Zeitpunkt kommen, wo sie sich ungestört über die Reise und alle Erlebnisse unterhalten konnten.

    Der Hermundure wurde sich bewusst, dass Julia in ausfragen würde und er zur Antwort gezwungen wäre. Sollte er ihr alles Erlebte schildern? Einiges wäre wohl wenig geeignet… Gerwin erinnerte sich an ihr letztes gemeinsames Gespräch, in dem es um Vertrauen und Freundschaft ging… Er musste darüber nachdenken, was die junge Römerin erfahren konnte und was besser ein Geheimnis blieb…

    Das Bad war wohltuend und das Nachtmahl reichlich, schmackhaft, sowie der Wein süß. Gerwin genoss die Ruhe. Die Reise durch einen nasskalten Tag war schnell vergessen. Er speiste mit Amantius und wurde von Julia bedient, während sich ihre Mutter dem Gatten widmete.

    Die Frauen kannten Amantius Eigenart, dass alles zu seiner Zeit erfolgen sollte und so geduldete sich Lucretia, bis Amantius sich auf dem Lectus Medius ausstreckte und die Arme unter seinem Nacken verschränkte. Sie setzte sich zu ihm und blickte ihn an.

    „Sag schon, wie war es? Deine Botschaft enthielt nur, was mit Viator und seinen Gefährten geschehen sollte und keiner der Männer war zum Sprechen bereit…"

    „Dann hatten sie mich doch richtig verstanden! Ich hatte so einige Zweifel… Was taten die Männer in den vergangenen Tagen?" fragte Amantius zurück.

    „Nichts! lautete Lucretias Antwort. „Sie pflegten die Pferde, reinigten die Waffen, lungerten im Hof herum und warteten.

    „Und Abends …" fragte der Gatte leise nach.

    „… herrschte eine merkwürdige Ruhe…" kam die Antwort. Sie wusste sofort, auf was seine Frage abzielte.

    „Gut! stellte er befriedigt fest. „Gewiss fragst du dich, woher Viator und Paratus auftauchten? Lucretia nickte und blickte den Gatten an.

    „Du erinnerst dich ihrer Verpflichtung gegenüber dem Tribun?"Wieder nickte Lucretia.

    „Ich fand die Männer, rein zufällig, auf dem Weg nach Gesoriacum. In Augusta Treverorum standen sie plötzlich vor mir und boten mir ihre Dienste an. Ist dies nicht merkwürdig, denn Viator und Paratus waren auch nicht allein…"

    In dem der Händler selbst auf diesen Aspekt des Zusammentreffens verwies, ging der Ehefrau diese Besonderheit als zwar verwunderlich, aber bedeutungslos, durch den Sinn und wurde als Tatsache, ohne weiteres Bedenken, hingenommen. Trotzdem erkannte sie die Bedrücktheit ihres Gatten.

    „Viators Auftauchen war wohl nicht die einzige Besonderheit dieser Reise?" Zögernd sprach sie ihre Besorgnis aus.

    Langsam schüttelte Amantius den Kopf. Während Julia bisher ausschließlich den Vater beachtete, blickte die stolze junge Römerin plötzlich Gerwin an.

    „Nein! Es fehlte nicht viel und wir wären vernichtet worden…" Ein gleichzeitiger Schrei löste sich in beiden Frauen. Schreck weitete ihre Augen und Lucretia warf sich auf Amantius Brust. Der Händler ließ ihr Zeit, sich zu besinnen.

    Gerwin sah, wie Julia blass wurde, sich ihre Hände ineinander verkrampften und sie nur mühsam Tränen unterdrückte. Weil die junge Frau auf dem Ende der Kline hockte, auf der er saß, streckte er seinen Arm aus und strich vorsichtig mit seiner über ihre Hand. Sie blickte auf und lächelte mühsam. Gerwin erkannte ihre Beherrschung und den Zwang, dem ihre Gefühle unterlagen.

    Ihre Mutter richtete sich auf, wischte ihre Augen aus und war ganz die gefasste Gattin eines Händlers. Sie musste damit rechnen, dass ein solcher Tag kommen könnte. „Erzähle!" sagte sie leise.

    Erst zögerte Amantius, dann gab er vorsichtig erste Erlebnisse preis. „Es waren Chatten. Sie beobachteten unseren Abzug aus Mogontiacum. Am Morgen des dritten Tages kamen sie …"

    Die Blicke der Frauen bohrten sich in seine Augen. Amantius aber überlegte, welche der schlechten Botschaften er berichten durfte und wie schonend er dies gestalten sollte? Er wollte nicht, dass seine beiden Frauen in Angst vergingen… Also setzte er, nach einem nochmaligen Überdenken der Antwort, zögerlich fort…

    „Gerwin bemerkte, vor dem ersten Sonnenstrahl, die Stille der Nacht…" begann er.

    „Er weckte uns und wir zogen auf!" Ein Schluck aus seinem Weinpokal verzögerte die Worte.

    Gefasster verkündete er leise: „Als die Chatten angriffen, waren wir bereit!"

    Mit einem Kopfnicken in Gerwins Richtung fügte er noch an: „Gerwin tötete deren Anführer!" Julia blickte Gerwin in die Augen, doch der verriet mit keinem Blinzeln die geringste Regung.

    „Sie griffen dreimal an! Sie waren uns auch überlegen an Zahl, dennoch, dank ihm … Amantius nickte wieder in Gerwins Richtung. „… wussten wir, wo deren Angriff erfolgte. Gerwin spähte sie aus. Beim letzten Angriff legte er einen Hinterhalt. Nur sehr Wenige dürften entkommen sein …

    Lucretia wandte ihren Blick vom Gatten ab. Sie musterte Gerwin, erfasste dann eine seiner Hände und hob diese an die eigene Brust, in der Höhe ihres Herzens.

    „Merkst du, wie es schlägt?" fragte sie und der Hermundure nickte irritiert.

    „Es wäre still, bliebe Julius dort draußen … So lange dieses Herz schlägt, schlägt es zukünftig auch in Dankbarkeit für dich!" Es war eine ungewöhnliche Danksagung, entsprach aber dem Wesen von Amantius Weib und der Liebe zwischen Lucretia und Julius.

    Die Wärme in Lucretias Augen hätte Eisblöcke schmelzen lassen.

    So empfanden römische Frauen? Gerwin war betroffen. Seine Mutter, glaubte er, hätte nicht anders gehandelt …

    Langsam zog er seine Hand zurück. „Ich danke dir, Herrin." sagte er.

    Sie zog die Stirn kraus. „Niemals bin ich dir eine Herrin! Eher eine Mutter, nenne mich nie wieder so! Verstehst du! Du bewahrtest mir meinen Mann! Wenn du mich nicht Mutter nennen kannst, dann sage Lucretia oder wie auch immer du möchtest, aber niemals Herrin!"

    Sie war zornig, wie seine Mutter…

    Sind denn Mütter überall gleich, fragte er sich verwundert?

    Gerwin nickte und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Drei Augenpaare sahen ihn an und warteten. Er begriff nicht, worauf?

    „Verzeiht, ich weiß nicht, was ihr von mir wollt? Vor wenigen Tagen musste ich mich zweier neuer Väter erwehren und nun begehrst du das Recht einer Mutter … Warum, womit habe ich dies verdient? Ich habe nur einen Vater und eine Mutter! Beide wurden von römischer Hand ermordet … Nicht genug, dass zwei Römer mich als Sohn betrachten, jetzt gibt es eine Römerin, die mich als Sohn behandeln möchte? Er ließ seine Schultern ratlos hängen. „Warum, Weshalb?

    „Das reicht noch nicht, denn ich will dich als Bruder!" unterbrach Julia seine Ratlosigkeit.

    Gerwin sah in die Runde. Sein Kopf lief hochrot an und Verzweiflung nistete sich in seinen Blick.

    Plötzlich begannen Lucretia, Julia und Julius zu lachen. Der Ausbruch der Heiterkeit war Gerwins Gesicht geschuldet und löste die Beklemmung, die sich für den jungen Germanen zu einem Gefühl äußerster Beschämung zu entwickeln drohte.

    Julia rückte an ihn heran und nahm ihn in die Arme.

    Sie drückte ihn, er spürte ihre Brüste und hörte geflüsterte Worte. „Nimm es hin! Die Liebe der Eltern braucht keine Erklärung. Du wirst dich ihr nie wieder entziehen können …"

    Als sich alle beruhigt hatten, waren es Amantius Worte, die den Einklang bestätigten.

    „Du brauchst nichts zu tun, kein Wort könnte uns hindern und keine Tat uns davon abbringen… Du selbst bist zu nichts verpflichtet, denn unsere Zuneigung ist dir auf unendliche Dauer sicher! Fühle dich, wie es dir angenehm ist. Nimm was du brauchst, doch bleibe bei uns als Sohn und Bruder!"

    Gerwin war verwirrt. Sollte es möglich sein, dass Römer mordeten und andere Römer ihn als Sohn begehrten? Was sollte er tun? Die Liebe und Zuneigung schien ihn schier zu erdrücken.

    Also stand er auf und wankte unsicheren Schrittes ins Vestibül, zur Porta, die Treppe hinab und über den Hof. Er verschwand in einer dunklen Ecke und dort, auf einem Holzstapel sitzend, versuchte er mit sich ins Reine zu kommen. Amantius trat aus dem Portal auf die Treppe und rief ihn, er aber schwieg. Er musste allein sein.

    Als ihm kalt wurde, begab er sich zurück zur Villa und suchte sein Zimmer auf. Er legte sich auf sein Lager. Der Schlaf übermannte ihn im Grübeln.

    Am Morgen weckte ihn die Sonne. Gerwin erhob und erfrischte sich. Danach suchte er die Verlorenen. Als er sich der Hütte, in der die Männer nächtigten, näherte, trat Aulus heraus.

    Gerwin steuerte auf ihn zu und fragte „Kannst du mir einen Rat geben?"

    Überrascht sah der frühere Pilus Prior den Hermunduren an. „Was bedrückt dich?"

    „Dass auch Amantius mich als Sohn betrachten möchte, hatte ich hingenommen, obwohl ich ihn wissen ließ, dass dies nicht ginge… Nun will mich auch sein Weib bemuttern und Julia sieht in mir einen Bruder…"

    Er schüttelte den Kopf. „Was soll ich nur tun?"

    „Es hinnehmen und dich freuen!"

    „Aber du willst auch ein Vater sein …" rief der Hermundure verzweifelt.

    „Weißt du, Römer sind darin tatsächlich eigen. An meiner Verantwortung als Vater kannst du nichts mehr ändern. Du bist der Sohn, den ich niemals haben werde. Ich werde kaum ein geeignetes Weib finden, um eigene Söhne zu zeugen …" Aulus schüttelte den Kopf.

    Gerwin beschlich ein Zweifel, schließlich waren einige der aresakischen Weiber zu Witwen geworden …

    „Ich sehe wohl, … „ antwortete Aulus auf Gerwins Frage „… dass sich Amantius auch einen Sohn wünschte und diesen, aus welchem Grund auch immer, nicht zu zeugen vermochte. Römer behelfen sich in solchem Falle selbst. Sie nehmen einen Verwandten an Sohnes statt an…"

    Er zögerte einen Augenblick, setzte dann aber seine Erklärung entschlossen fort. „Ich wählte dich!"

    Leiser folgten weitere Worte. „Doch ich lebe nicht mehr. Eigentlich bin ich schon tot… Mit der Legion habe ich alles verloren. Wäre ich dir, nach meiner Zeit in der Legion begegnet, wäre ich wohlhabend genug, dir jeden Wunsch erfüllen zu können." Gerwin bemerkte, dass Aulus die Erklärung schwer fiel.

    „Und jetzt kommt Amantius und begehrt die Stelle, die ich mir vorbehielt… Wenn dann sein Weib, nicht nur weil er es so möchte, dir Mutter sein will und du dabei noch eine Schwester gewinnen kannst, solltest du dich glücklich fühlen und dieses Geschenk annehmen! Du hast wieder eine Familie und glaube mir, dies ist das Wichtigste!" Aulus schwieg eine Weile, bevor er einen weiteren Gedanken anfügte.

    „Du bist ein Krieger. Schon Morgen kann dein Leben im Kampf ein Ende finden… Außerdem bist du fast noch ein Kind, dessen Leben gerade erst begann… Nutze jede Gunst, die dir geboten wird und fühle keine Pflicht, die du nicht wahrnehmen willst… Die Zahl deiner Feinde wächst von allein, die Zahl deiner Freunde selten." Aulus hatte Gerwins Arme gefasst und blickte dem jungen Hermunduren in die Augen.

    Viator ging an den Beiden vorbei, hieb Gerwin seine Pranke auf dessen Rücken und grinste.

    „Wie war Quintus Suetonius Empfang?" wollte er wissen und brach dadurch den Bann, in den Gerwin geraten war.

    „Ach, er weiß immer noch nicht, wer ich bin …" verkündete der Germane.

    „Sonst wärst du schwerlich hier, glaube mir … grinste der Graukopf. „Ich freue mich einfach, dich zu sehen! Nicht nur der alte Aulus machte sich Sorgen …

    Glücklich, vom ihm zugeneigten Mann einen Rat erhalten zu haben, der nicht von verletztem Ehrgefühl oder Zorn bestimmt war, erklärte Gerwin vorsichtig: „Dann werde ich mal zu meinen neuen Eltern zurückkehren. Mir knurrt der Magen! Vielleicht gibt es bei meiner neuen Mutter ein gutes Frühstück? Gerwin lächelte Aulus an und sagte leise „Danke!

    Im Triclinium traf er auf Amantius, setzte sich neben ihn und wurde kurz darauf von Lucretia mit einem reichhaltigen Frühstück versorgt.

    Bevor er zugriff, bemerkte er fast nebenbei: „Ich wusste nicht, dass Römer so feinfühlig sein können … Ich brauchte Zeit zur Besinnung."

    Amantius quittierte die Bemerkung mit einem Abwinken. „Weiber sind nun mal empfindlich." sagte er beiläufig und blickte Lucretia an.

    „Esel!" stellte sie nüchtern fest und strich Gerwin über das Haar, wie es auch oft seine Mutter getan hatte. Es fühlte sich gut an.

    Dann frühstückte er.

    Als Gerwin später seine Stute abwusch und striegelte, tauchte Respectus auf.

    „Kröte, was hast du hier zu suchen? Ich werde dich vom Hof treiben und dir alle Knochen brechen. Bald, freu dich drauf!"

    „Worauf soll er sich freuen?" Plötzlich stand Amantius hinter dem Aresaken.

    „Ach nichts, Herr!" Respectus wandte sich ab und verschwand.

    „Was wollte Respectus von dir? drehte sich Julius um und sah dem Verschwindenden hinterher. Keine Antwort erwartend, setzte er unmittelbar darauf fort: „Die Sippe kommt gleich auf den Hof. Ich muss den Weibern mitteilen, dass wir überfallen wurden und Tote zu beklagen haben… Manche Frau wird zur Witwe. Mütter werden erschlagene Söhne beweinen. Hilfst du mir? Ich kann zwar das Leid nicht mehr mildern, aber jedem Aresaken steht sein Anteil vom Gewinn zu. Dieser muss bereit gelegt werden. Ich schaffe es nicht allein.

    Gerwin blickte auf. Er gab keine Antwort auf Amantius erste Frage. „Ich mache nur Arasoa fertig und komme zu dir!" Amantius nickte und verschwand wieder in der Villa.

    Als die Sonne hoch stieg, nahm der Lärm im Hof der Villa zu. Die Sippe traf ein. Ein alter, fast greiser Mann, mit schlohweißem Haar, erschien in der Exedra.

    „Du hast uns rufen lassen, Händler?" fragte der Greis beim Eintreten.

    Gerwin war überrascht. Der Germane fragte nicht, ob er sich nähern dürfe und nannte Amantius weder beim Namen noch ‚Herr’.

    „Hast du alle mitgebracht?" Der alte Mann nickte.

    „Das da ist mein Sohn. Er heißt Gerwin. Du schuldest ihm Achtung!" fügte der Händler mit einem Nicken des Kopfes in Gerwins Richtung an.

    „Ich schulde niemand Achtung, der sie sich in meinem Angesicht nicht verdient hat!" antwortete der Alte ruppig.

    Gerwin betrachtete den Mann. Er ging gebeugt, seine Hand stützte sich auf einen Stab, wie ihn Hirten oft nutzten. Seine Augen schienen scharf und wanderten gelassen über Gerwins Erscheinung.

    „Ich sehe einen kümmerlichen Knaben… verkündete der Alte. „… ich hätte dir einen Besseren bieten können … äußerte er abfällig.

    Gerwin lächelte. Ihm gefiel der knurrige Alte.

    „Er scheint feige zu sein…, zu feige, um einen alten Mann seine Wut über eine Beleidigung zeigen zu können …" fügte er abfällig und beleidigend an.

    „… oder zu klug, alter Mann, um die Weisheit eines Eldermannsanzuzweifeln oder auch zu erfahren, um sich an der Beleidigung eines Greises zu reiben!" erwiderte Gerwin leise.

    „Vorlauter Bursche!" greinte der Alte und Amantius begann zu lachen.

    „Du wirst ihn achten, Budomir, weil er mein Sohn ist! Und du wirst ihn achten, weil du in seiner Schuld stehst!" Scharf klangen Amantius letzte Worte und der Alte zuckte zusammen.

    „Ich sehe noch keinen Grund?" knurrte der weiße Kopf in seinen nicht vorhandenen Bart.

    „Gehen wir!" bestimmte der Händler und der Alte folgte, ebenso wie Gerwin.

    Als Gerwin die Porta der Villa durchquerte, sah er die Menschenmenge, die sich vor der Treppe versammelte. Gerwin schätzte deren Zahl auf fast drei mal einhundert Köpfe. Der Hof war voller Aresaken.

    Zumeist waren es Weiber, aber auch alte Männer. Eine große HordeKinder bevölkerten den Hof. Es waren auch Krieger, Jungkrieger und rauflustige Burschen darunter. An der Seite der Treppe gewahrte er die Verlorenen, mit Aulus und den übrigen Gefährten.

    Mit Amantius Erscheinen senkte sich der Lärm und erreichte den Grad absoluter Stille.

    Als der Händler zu sprechen begann, schob sich ein einzelner, vor Kraft und Größe strotzender Krieger durch die Menge, erreichte einen kreisrunden, von den Aresaken ausgesparten Platz vor der Treppe und baute sich an dessen Rand auf.

    „Herr, Verzeih wenn ich unterbreche! Schick doch mal die Kröte nach vorn, die sich hinter deinem Rücken verbirgt!" forderte Respectus, der frühere Leibwächter des Amantius. Er nahm sich heraus, was ihm früher wohl zustand.

    „Verschwinde Respectus, sonst …" weiter kam Amantius nicht in seiner Antwort. Gerwin trat an ihn heran und legte eine Hand auf des Händlers Schulter.

    Leise sagte der junge Hermundure, so dass nur Amantius ihn zu verstehen vermochte: „Sein Hass blendet ihn und Schmach ertragen kann er nicht… Er beleidigte mich schon bei unserer Ankunft und auch, als du zu uns tratest. Hass und Hinterlist sind Brüder, die über die Dauer immer ihr Ziel erreichen. Ich werde seinen Hass auslöschen oder ihn töten…"

    „Gerwin …" rief Amantius, aber der Hermundure stand schon im Ring.

    „Nun Krieger … sagte Gerwin „… sicher hast du eine Mutter und ich nehme an, sie wird unter den Frauen zu finden sein. Zeige sie mir!

    „Ich werde dir nichts zeigen, außer meinen Frame! Deine Knochen werde ich brechen, Knabe!" höhnte Respectus.

    „Erinnere dich, du hast dich dabei schon einmal übernommen…" begegnete Gerwin der Drohung gelassen.

    Kein Auge vom Aresaken lassend, erfasste er am Rande seines Sichtfeldes eine Bewegung unter den Frauen. Eine große, ältere, rüstige Frau trat hervor.

    „Ich bin die Mutter!" verkündete sie.

    „Mutter, verschwinde! begehrte Respectus auf. Doch die Frau ließ sich nicht beirren. „Was willst du von mir, fremder Knabe?

    „Dass du deinen Sohn zur Vernunft bringst!" Gerwin drehte seinen Kopf der Frau zu, behielt aber Respectus im Augenwinkel.

    „Warum sollte ich das tun? Wer weiß, mit welcher Hinterlist du meinen tapferen Sohn überwinden konntest? Sein Zorn ist berechtigt! Wie konntest du Zwerg ihm nur die Rippen brechen? Das konnte nur mit Hinterlist und Tücke gelingen…"

    Sie lachte. „Respectus, du bist ein Versager, dich von dem Zwerg besiegen zu lassen …" Sie spuckte vor ihre Füße.

    Der Brust des Kriegers entrang sich ein Schrei, der in seiner Urgewalt einem Ungeheuer entstammen könnte. Die Mutter verspottete ihr eigenes Blut.

    „Halt ein Respectus! Du wirst unterliegen…" beschwor ihn der Ruf des Händlers.

    Die Menge begann zu ahnen, was bevor stand. Der beste Krieger ihres Stammes stand einem waffenlosen Fremden gegenüber, der noch nicht mal ein Jungkrieger war. Ein Teil der Masse freute sich auf den bevorstehenden Kampf und sicher waren das nicht nur die Raufbolde, die dem Fremden diese Lektion gönnten. Der andere Teil verabscheute, was bevorstand.

    „Ich glaubte, eine Mutter liebe ihren Sohn? Du wohl nicht? Gerwin wandte sich der Mutter zu. Er lächelte sie an. „Es war eher er, der sich damals einer Hinterlist bediente… Entweder du bringst ihn zur Vernunft oder wirst seinen Tod in wenigen Minuten beweinen…

    Noch mit seiner Mutter beschäftigt, glaubte Respectus, seinen Vorteil nutzen zu können.

    Gerwin führte keine Waffe, war scheinbar abgelenkt und so erhoffte sich Respectus einen schnellen Sieg. Er stürmte vor und schwang seinen Frame, als wollte er Gerwins Kopf mit einem Schlag zertrümmern.

    Ein Schrei löste sich aus mehreren Hälsen, doch dort, wo der Frame des Kriegers im Staub des Platzes landete, stand kein Gegner.

    Mit einer schnellen Körperwendung wich Gerwin aus und brachte sich aus der Reichweite des Framen.

    „Du hast immer noch nicht begriffen, Krieger… Du machst mir keine Angst! Wenn deine Mutter dich jetzt nicht bezähmt, wird sie wohl Weinen müssen…"

    „Amantius, unterbinde das Treiben! Viator entwaffnet den Krieger!" schrie Lucretia und drängte an Amantius vorbei.

    Der ergriff ihren Arm und sagte nur „Schweig, Liebes!"

    Diesmal beging Respectus nicht den Fehler, auf sein Ziel zuzustürzen. Er fasste seinen Framen nahe der Spitze mit der linken und in der Mitte mit der Rechten Hand und kam langsam auf Gerwin zu.

    Der Hermundure erkannte den Griff. Als sich der Aresake ihm genügend genähert hatte, schlug er mit dem unteren Ende des Framen zu. Der Schlag wäre in Gerwins Männlichkeit gelandet, hätte dieser nicht seine Arme unterhalb seines Schrittes gekreuzt und dort den Schlag blockiert.

    Blitzschnell erfassten seine blockenden Hände den Framen und entrissen diesen dem überraschten Aresaken.

    Mit einem Sprung zur Seite ausweichend, stand Gerwin so zum Angreifer, dass der seitlich geschwungene Frame den Kehlkopf des Kriegers zertrümmerte. Respectus knickte in den Knien ein und fiel auf die Seite, bevor er endgültig auf dem Rücken zu liegen kam.

    Respectus war sofort tot. Er starrte mit geöffneten Augen in den Himmel, in dem er Walhall vermutete.

    Es war alles so schnell gegangen, dass die Stille, die dem Kampf folgte, in den Ohren dröhnte. Eine geraume Weile verging, ehe sich Gerwin der Mutter des Kriegers zuwandte.

    „Du hattest einen tapferen, aber dummen und von Hass erfüllten Sohn… Ehre ihn wenigstens im Tod!" Dann drehte sich der Hermundure um und verließ die Ansammlung.

    Die Menge stand erschüttert und schweigsam, bis sich der Schmerz der Mutter mit Schreien löste.

    Als Gerwin an Lucretia vorbei ging, fasste sie ihn an der Schulter. Sie sah in seine Augen, nahm ihn in den Arm und führte ihn in die Villa. Julia folgte ihnen. In sein Zimmer geführt, setzte er sich auf seine Lagerstatt und Lucretia zog seinen Kopf an ihre Schulter. Gerwin ließ es geschehen. Er war verzweifelt, wieder tötete er, ohne diesen Tod zu wollen… Wie würde Samocna diese Tat aufnehmen?

    Nach einer Weile, in der Julia vor der Mutter und dem erwünschten Bruder stand, regte sich Gerwin.

    „Danke!" sagte er, hob den Kopf von Lucretias Schulter und stand auf.

    „Ich bin zum Töten geboren. Der Krieger konnte nie siegen…" sagte er teilnahmslos.

    „Aber du warst der ohne Waffe … brachte Lucretia hervor „… und er ein Krieger, groß und stark?

    „Lass gut sein, Lucretia …" Zum ersten Mal nannte er ihren Namen und sie hörte es.

    Die Tür wurde aufgestoßen und der alte greise Eldermann stand im Zimmer.

    „Wer bist du, dass du ohne Waffen den besten Krieger der Sippe besiegen kannst?"

    „Alter Mann, geh! Komme zurück, wenn ich dieses unnötige Opfer verwunden habe …"

    Lucretia erhob sich und mit vereinten Kräften drängten die beiden Frauen den Alten aus dem Raum.

    Aulus kam auf sie zu, als sie den Eldermann in das Atrium zurück gedrückt hatten. „Ist er drin?"

    Julia nickte. „Er möchte nicht gestört werden …" behauptete sie einfach.

    „Dann bin ich genau der richtige Mann!" erwiderte der frühere Centurio und wandte sich dem Eldermann zu. „Alter verschwinde, sonst schmeiße ich dich raus!" fuhr er Budomir an.

    Aulus stellte sich mit seinem Rücken vor die Tür des Raums und brachte damit zum Ausdruck, dass der Weg hinein nur über seine Leiche führte.

    2. Der Wirt

    65 nach Christus - Herbst (15. October)

    Imperium Romanum – Mogontiacum

    Der Weg vom Rhenus zur großen Siedlung der Römer war leicht. Einmal über den Fluss gelangt, vermutete Irvin, dass seine Gefährten nicht anders aussahen, wie andere Reisende, auf dieser Seite des Flusses lebender Stämme.

    Auch deren Krieger würden zu Pferde reisen, besäßen die niedrigeren germanischen Tiere und kaum einer würde seinen Framen oder Dolch in seiner Hütte zurücklassen. Einzig wichtig erschien ihm ein Hinweis von Gotmar, der meinte, dass sie mit kürzerem Haar für Römer weniger verdächtig erscheinen könnten.

    Also kürzten die Hermunduren ihr Haar oder banden es hinter dem Schopf, mit einer Schnur, zu einem Zopf. Einzig Hakon bestand auf seiner Haarpracht und nichts in der Welt hätte ihn veranlasst, dieses Haar, vor Erlangung seiner Ehre, zu kürzen. Also einigten sie sich auf einen Pferdeschwanz ähnlichen Zopf, damit der Chatte nicht zu sehr auffiel.

    So gerüstet, erregten sie weder auf der Straße nach Mogontiacum, noch in der Siedlung selbst zu viel Aufmerksamkeit. Ohne Gotmars Hilfe und seinem Verständnis der römischen Bräuche wären sie weit mehr aufgefallen.

    Drei Tage verweilten sie in dieser großen Ansiedlung und hofften, Gerwin zu begegnen. Doch das Glück war ihnen nicht hold und so zogen sie zu der Herberge, die sich in Hakons Kopf, aufgrund dort gemachter Erfahrungen, eingebrannt hatte.

    Die Zeit verging. Sie lagerten bereits zwei unangenehme Nächte lang, nahe der Herberge, im Wald und beobachteten ununterbrochen die ankommenden Händlerzüge und Gäste dieses Hauses.

    Gerwin tauchte auch hier nicht auf.

    Enttäuschung und Ratlosigkeit machten sich breit.

    Wo sollten sie suchen? In der großen Ansiedlung wäre es ein Glücksfall gewesen, dort auf ihren Freund zu treffen. Die Herberge schien die größte Sicherheit zu bieten, eine Spur von Gerwin erkunden zu können.

    Doch wenn der Freund nicht wieder an der Herberge auftauchte, mussten sie den Wirt befragen, der den Händler in Gerwins Begleitung sicherlich kannte…

    Hakon besaß ungute Erinnerungen an den Mann. Dessen feiste Fratze, seine Ehrlosigkeit und die an den Tag gelegte Hinterlist stießen den Chatten ab.

    Trotzdem beabsichtigte Irvin den Wirt einfach zu fragen. Das lehnte Hakon entschieden ab. Er traue dem Wirt nicht und sie hätten keine Garantie, dass dessen Auskunft für sie von Wert wäre…

    Irvin ließ sich nicht beirren. Er gab zu, dass sie dadurch möglicherweise unnötige Wege auf sich nahmen und Zeit verlieren könnten. Täuschte sie dieser Halunke jedoch, würde der Wirt bei einem zweiten Versuch singen wie ein Zeisig im Frühling, versicherte er Hakon.

    Dessen Antwort war nur kurz und erbrachte Irvins Einlenken. Der Hinweis auf die Falschheit dieser fetten Sau und das Schlittern in eine mögliche römische Falle, verhinderten Irvins Leichtsinn.

    Notkers Angebot, sich um eine Arbeit in dieser Schenke zu verdingen, lehnte der Anführer der Suchenden rundweg ab.

    In Ermangelung weiterer Möglichkeiten blieb ihnen nur, dem Wirt, in der Dunkelheit, einen Besuch abzustatten und mit etwas Folter zu einer richtigen Antwort zu bewegen. So sollte es geschehen.

    Der Abend näherte sich, als ein neuer Händlerzug in den Hof der Herberge einlenkte.

    Gotmar und Hakon, die die Beobachtung ausführten, bemerkten nichts, was sie ihrer Absicht näher brachte. Plötzlich zupfte Hakon an Gotmars Gewand und flüsterte „Samocna."

    „Wer, was? knurrte Gotmar, bevor ihn ein Geistesblitz erleuchtete. „Du siehst Samocna, den Aresaken? fragte er zurück und Hakon nickte heftig.

    „Warte hier und lass diesen Wagenzug nicht mehr aus den Augen! Ich hole Irvin!" Gotmar verdrückte sich in die Büsche und kehrte bald darauf mit Irvin und Notker zurück.

    Inzwischen war der Wagenzug im Hof untergebracht, Posten der Aresaken aufgestellt, die Pferde versorgt und ein Mahl für die etwa zwanzig Krieger zubereitet. Die Feuer brannten und mitten in diesen verursachten Trubel hinein erschien der fette Wirt.

    Plötzlich war Notker verschwunden. Gotmar, der dies zuerst bemerkte, machte Irvin darauf aufmerksam. Der Zenno fluchte leise, doch Irvin beruhigte ihn.

    „Sei still und unbesorgt! flüsterte er. „Wenn nötig klaut Notker dem fetten Wirt die Hose, ohne das der dies merkt! Sie warteten.

    Notker verschwand so leise, wie er sich dann auch später dem größten der Feuer annäherte. Nicht weit von ihm trafen der Wirt und Samocna aufeinander.

    „Schon wieder du? fauchte der Fettwanst den Führer des Wagenzuges an. „Was willst du hier?

    „Troll dich Fettwanst, wo war doch gleich meine Peitsche? Samocna wandte sich drohend ab und rief: „Wer von euch Halunken, weiß wo meine Peitsche liegt? Augenblicklich herrschte Ruhe im Lager.

    „Also verschinde! Der Führer der Kolonne wandte sich dem Wirt zu. „Ich habe nicht nach dir geschickt! Wirst meine Anwesenheit noch früh genug zu spüren bekommen … knurrte der Aresake.

    „Wenn du hier lagerst, kostet dich das zwei Sesterze!"

    Der Wirt hielt auch gleich die Hand auf. Wusste er doch, dass der Händler Amantius immer bezahlte. Also forderte er auch von dessen Gehilfen das Geld.

    „Überlege dir gut, ob du mich, deinen Sippenangehörigen, schröpfen willst oder ob du es besser bleiben lässt und mir das zustehende Gastrecht zubilligst?

    „Von wegen Gastrecht? Ein Gauner und Strauchdieb wie du?" schnauzte der Wirt, vermied es aber, seine Knechte zur Verstärkung zu rufen. Er wusste, dass nur eine Handbewegung des Samocna ausreichte und seine Krieger würden sich auf ihn stürzen.

    „Also? fauchte er, „zahlst du?

    „Ist das dein letztes Wort? Bedenke, was du mir verweigerst?"

    „Zahle oder verschwinde! Für deine Frechheit kostet dich das Lager jetzt vier Sesterz!" polterte der Wirt.

    Die aresakischen Krieger umzingelten die Streitenden.

    „Na gut …" Geld klimperte und der Wirt trat aus dem Kreis. Mit kleinen schnellen Schritten kehrte der Fettwanst in den Gastraum zurück. Bald darauf rief eine Schankmagd nach dem Stallknecht. Die beiden tuschelten miteinander und der Stallknecht verschwand.

    Auch Samocna traf einige Vorbereitungen, die in Notkers Nähe zur Anweisung gelangten.

    Samocna beorderte drei Krieger zum Stallausgang und sicherte mit weiteren Männern in beide Richtungen der Straße. Die Drei für den Stall unterwies er genauer. Samocna kannte den Wirt offensichtlich sehr gut.

    „Passt auf, der freche Hund will uns entwischen… Der Knecht wird ihm ein Pferd zuführen. Folgt dem Stallknecht, egal wohin sich der Bursche wendet… Geht der Kerl zum Fettwanst, dann passt den Dicken ab, wenn er sich verdrücken will! Versucht er selbst zu verschwinden, soll er wohl Hilfe holen… Dann bringt mir den Burschen! Mit etwas Feuer unter den Sohlen wird er dann wohl singen. Passt auf, ihr kennt die Tücke des Fetten!" Die Männer verschwanden und Samocna winkte sich zwei weitere Krieger heran. Mit ihnen betrat er den Schrankraum der Herberge.

    Notker nutzte die Gelegenheit, sich zu verdrücken. Er kehrte zu seinen

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