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Der Narr: Der Mann mit dem Kapuzenmantel
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eBook351 Seiten4 Stunden

Der Narr: Der Mann mit dem Kapuzenmantel

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Über dieses E-Book

Ein weiterer Roman über das frühe Mittelalter mit farbenfreudigem Kolorit, viel Sachkenntnis und Liebe zum Detail, in dem die Entstehung des ältesten noch bestehenden Nationalstaates in Europa - Portugal - in beeindruckender Sprache geschildert wird. Die wilden Leidenschaften der damaligen Periode werden lebhaft sichtbar gemacht.
Neben der üblichen Schilderung der herrschenden Oberschicht kommt auch deren beißendster Kritiker - der Hofnarr -, der dank seiner "Narrenfreiheit" eine Art vor "gesellschaftlichem Korrektiv" darstellte in seinem Elend und seiner Pracht zur Geltung.

"Es war der Narr, der in diesem Augenblick despotisch herrschte, tyrannisch und unerbittlich, und über Stunden hinweg sein zerbrechliches Herrschaftssymbol in ein eisernes Szepter verwandelte; und stolz wie auf einem Königsthron – vielleicht sogar noch mehr als auf einem Thron - richtete er sich nun über seine elende Existenz empor, denn er konnte in diesen Augenblicken mit Fug und Recht behaupten: „Auch die Könige sind meine Sklaven!“.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Okt. 2014
ISBN9783735713995
Der Narr: Der Mann mit dem Kapuzenmantel
Autor

Alexandre Herculano

Alexandre Herculano (siehe auch die vielen Seiten in Wikipedia) , 1810-1877 ist der bedeutendste portugiesische Autor des 19. Jahrhunderts. Nach vielen Jahren des Brachliegens der portugiesischen Literatur, begann er eine neue Art der Literatur zu erschaffen. In Portugal selbst hatte er dafür keine Vorbilder; aber die Literatur in England (Walter Scott) mit seinen historischen Romanen und auch in Frankreich gaben ihm jedenfalls einen Anstoß in die neue Richtung, für die er dann - als Historiker aber auch als gebildeter, mehrsprachiger Mensch - eigenes Material zusammensuchte. Er wurde meines Wissens allerdings noch nie übersetzt, da seine Sprache im wörtlichen Sinne "gewaltig" ist, was für eine Übersetzung große Schwierigkeiten bereitet.

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    Buchvorschau

    Der Narr - Alexandre Herculano

    „Zisterziensermönch".

    I

    EINLEITUNG

    Der Tod König Afonsos VI. von León und Kastilien, der sich fast am Ende der ersten Dekade des 12. Jahrhunderts ereignete, gab Anstoß zu noch schwerwiegenderen Geschehnissen als denen, die sich der Monarch in dem Augenblick vorzustellen vermochte, in dem er sich bereitmachte, die Brünne des Ritters und das königliche Szepter gegen das Totenhemd auszutauschen, in dem man ihn in seine Grabstätte im Kloster von Sahagún hinabsenkte. Das ruhelose Wesen der leonesischen, galizischen und kastilischen Adligen fand inmitten einer die Gewaltanwendung begünstigenden politischen Lage, in die der verstorbene König das Land hatte versinken lassen, mit Leichtigkeit die Vorwände, um dem Ehrgeiz und den gegenseitigen Feindseligkeiten freie Entfaltung zu gestatten. Da er daran gewöhnt war, die Kühnheit, den kriegerischen Mut und die Leidenschaft für den Kampf als die wesentlichsten Eigenschaften eines Prinzen zu betrachten, hatte Afonso VI. nach dem Verlust des einzigen männlichen Erben, der ihm geboren worden war, des Infanten D. Sancho, der im zarten Jünglingsalter in der Schlacht von Uclés gefallen war, seine Augen durch die Provinzen des Reiches schweifen lassen, um einen im Kampf gefürchteten Mann zu finden, der auch die nötige Kraft aufwiese, daß seine Stirn der Last der eisernen Krone des christlichen Spanien standhielte. Es war daher eine dringliche Aufgabe, einen Gemahl für D. Urraca zu finden, seine älteste Tochter und Witwe Raimunds, des Grafen von Galizien; denn ihr gehörte, einem Brauch zufolge, der sich nach und nach gefestigt hatte, der Thron – trotz der entgegenstehenden gotischen Gesetze, die den Granden und, bis zu einem gewissen Grade, auch dem hohen Klerus, das Recht der Königswahl zusprachen. Unter den herausragendsten Granden seiner weitreichenden Ländereien hatte der alte König keinen gefunden, den er einer so hochkarätigen Vermählung für würdig befunden hätte. Afonso I. von Aragón wies jedoch alle Merkmale auf, die der hochfahrende Monarch für den maßgeblichen Beschützer des Kreuzes als unerläßlich erachtete. Als er den Tod nahen fühlte, ordnete er deshalb an, daß D. Urraca, gleich nachdem sie die Krone geerbt hätte, jenem die Hand als Gemahlin reichen sollte. Einerseits erhoffte er sich hiervon, daß die Kraft und die Strenge des neuen Prinzen die internen Zwistigkeiten im Zaume halten würden und andererseits, daß dieser, der sich durch seine Waffen bereits ausgezeichnet hatte, bei den Ismaeliten keine Freude über die Nachricht vom Tode desjenigen aufkommen lassen würde, der für sie viele Jahre lang die Ursache von Leid und Zerstörung gewesen war. Die späteren Ereignisse bewiesen jedoch, wieder einmal, wie sehr alle menschliche Vorsorge fehlschlagen kann.

    Die Geschichte der Herrschaft D. Urracas war, wenn man für die Periode Ihrer Machtausübung überhaupt einen solchen Namen verwenden kann, nichts anderes als ein Geflecht von Verrat, Racheakten, Revolutionen und Bürgerkriegen, von Raub und Gewalt. Die Ausschweifungen der Königin, die finstere Grausamkeit ihres Ehemanns, die Habgier und der Stolz der Mächtigen¹ des Reiches ließen alles im Chaos versinken, und der Bürgerkrieg, der den Moslems eine Atempause verschaffte, zerriß die Kette der Siege der christlichen Gesellschaft, deren Einigkeit der geschickte Afonso VI. sich so sehr zu erreichen abgemüht hatte.

    Die bis zu diesem Zeitpunkt schon vom Joch der Ismaeliten befreiten Provinzen ließen, so wollen wir es vorsichtig formulieren, noch nicht viel mehr als die Grundzüge eines Nationalgefühls erkennen. Ihnen fehlte, oder sie waren erst äußerst schwach ausgeprägt, der Großteil der moralischen und rechtlichen Bande, die eine Nation, eine Gesellschaft ausmachen. Die Teilhabe des aragonesischen Königs am Thron von León war den leonesischen Baronen nicht etwa deswegen zuwider, weil er ein Ausländer war, sondern weil vorzugsweise den früheren Untertanen des neuen Königs die Statthaltereien und Burgvogteien des Reiches anvertraut wurden. Die Animositäten waren daher persönlich motiviert, zusammenhanglos, und zeitigten deshalb auch keine bleibenden Resultate; sie waren die natürlichen Begleitumstände korrumpierter oder unzulänglicher öffentlicher Einrichtungen. Der Graf oder Grande aus Oviedo oder León, Estremadura oder Galizien, aus Kastilien oder Portugal bezog die wahrscheinlichen Ausgänge eines jeden politischen Ereignisses immer auf seine eigene Person, setzte sie in Relation zu seinen Ambitionen, seinen Hoffnungen oder Befürchtungen; und da er alles nach dieser Richtschnur beurteilte, handelte er auch in Übereinstimmung mit diesen Maßstäben. Es konnte ja auch nicht anders sein. Die Idee der Nation oder des Vaterlands war für die damaligen Menschen noch nicht auf die gleiche Weise vorhanden wie für uns heutige. Das eifrige Verlangen nach der eigenen Selbstbestimmung, das von einer starken, klaren und bewußten Vorstellung des in der Gemeinschaft wurzelnden Individuums herrührt, war für die Menschen des XI. und XII. Jahrhunderts nur ein schwaches und undeutliches Empfinden, wenn es denn überhaupt vorhanden war. Weder in den Chroniken noch in den Legenden oder Diplomen läßt sich eine Vokabel aufspüren, die den Spanier bezeichnet, das Individuum römisch-gotischer Abstammung, das ihn von dem Sarazenen oder Mauren abhöbe. Man findet den Asturier, den Kantabrer, den Galizier, den Portugalenser, den Kastilier, das heißt den Menschen dieser Provinz oder jener großen Grafschaft; und auch noch den Toledaner, den Bewohner von Barcelona, Compostela oder Legio, das heißt, den Menschen aus einer gewissen Stadt. Was vermißt wird, ist die einfache und präzise Bezeichnung als Untertan der Kronen von Oviedo, León und Kastilien. Und warum fehlt sie? Strenggenommen, weil dieses Unterscheidungsmerkmal im damaligen sozialen Leben gar nicht vorkam. Es gab es zwar, aber unter einem ganz anderen Aspekt: nämlich im Hinblick auf die religiösen Institutionen. Hier tritt es allerdings klar und deutlich hervor. Die christliche Gesellschaft war in sich einheitlich, und daher gelang es ihr, bis zu einem gewissen Punkt auch die Unvollkommenheit der weltlichen Institutionen auszufüllen. Wenn es notwendig wurde, eine Bezeichnung anzuwenden, die den Bewohner jenes Teils der Pyrenäenhalbinsel bezeichnete, der frei war vom islamischen Joch, dann gab es hierfür nur einen einzigen Begriff: christianus. Der Beiname, der den Glauben anzeigte, bezeichnete daher auch die Nationalität. Auf diese Weise war jede Kathedrale, jede Pfarrgemeinde, jedes Kloster und auch jede primitive Einsiedelei ein Glied der moralischen Kette, die trotz des Fehlens einer starken politischen Bindung alles miteinander verband.

    So waren die markantesten Eigenheiten des äußerlichen Lebens der neogotischen Monarchie. Ihr internes gesellschaftliches Leben, die öffentlichen Beziehungen der Menschen untereinander und die dieser mit dem Staat wiesen vor allen Dingen eine markante Charaktereigenschaft auf. Sie bestand im großen Abstand, der die stolzen, beherrschenden Klassen, die das Leben genossen, von den die Arbeit verrichtenden Klassen trennte, die teilweise, und bis zu einem gewissen Grade, in Leibeigenschaft lebten, teilweise aber auch aus Freien bestanden. Die Aristokratie setzte sich zusammen aus dem Erbadel und der priesterlichen Hierarchie, dem Schwert und dem Buch, der Kraft von Herz und Arm und der vergleichsweisen Überlegenheit der Intelligenz. Zwei Gruppen machten das niedere Volk aus, die hinsichtlich der ihnen zuzuzählenden Menschen und ihrer Lebensverhältnisse bemerkenswert ungleich waren. Die eine bestand aus den städtischen Grundbesitzern mit voller Verfügungsgewalt über ihr Eigentum (Alloden), den Bewohnern einiger umfangreicherer Ansiedlungen, den Kaufleuten, den Handwerkern und Künstlern, das heißt, aus denen, die später bei uns homens de rua² genannt wurden, reicheren und umtriebigeren Menschen, die an einigen Orten über die Machtbefugnisse der Stadtverwaltungen, durch Konzessionen des Königs oder der Grafen der Bezirke, die in seinem Namen handelten, Respekt für sich erheischten oder auch Furcht verbreiteten, an anderen Orten aber auch durch die Bruderschaften (conjurationes, germanitates), verschworenen Vereinigungen zum Widerstand gegen die Übermächtigen, deren verborgene Ursprünge sich vielleicht mit der nicht weniger obskuren Herkunft der Behetrien³ vermischt. Die andere Gruppe, die unvergleichlich zahlreicher war, bestand aus den in dörflichen Gemeinden lebenden Bauern (Dorfern). In jener Zeit waren die alfozes⁴ oder Grenzmarken der Gemeinden genannten Oasen der Freiheit noch sehr rar. Die Landbevölkerung, die verstreut siedelte und das Land mit Titeln unterschiedlichster Art innehatte, die allesamt mehr oder weniger oppressiv oder rechtlich unsicher waren, und in Abhängigkeit steuerbefreiter Mächtiger oder unerbittlicher Steuereintreiber zum Teil auch noch in Leibeigenschaft lebte, unterschied sich bisweilen kaum von den Sarazenen, Mauren oder Mossarabern, die bei den häufigen Einfällen der Leonesen in arabisches Gebiet in Knechtschaft gerieten, und deren Lebensumstände denen der schwarzen Sklaven Amerikas ähnelten oder gar noch übler waren wegen der Derbheit und Wildheit der Männer der damaligen Zeit.

    Die Bürgerschaft (die Bewohner der Städte) als Keimzelle der modernen Mittelklasse, ausreichend stark zwar, um sich zur Wehr zu setzen oder doch zumindest der Unterdrückung die aufrührerische Rache entgegenzusetzen, war jedoch unfähig, wirksame Handlungen in der allgemeinen Gesellschaft auszuüben. Diese Fähigkeit erwarb sie sich erst später. Aus diesem Grund bestand die einzige Gewalt, die den politischen Zusammenhalt garantierte, in der Macht des Königs. Die oviedanisch-leonesische Monarchie war gleichsam eine Restauration der westgotischen Monarchie, die von allen barbarischen Staatengebilden dem römischen Cäsarentum in Wesen und Handlungsweise am nächsten stand. Eine Folge von Fürsten, die zwar talentmäßig nicht so hervorstachen wie Karl-der-Große, aber dennoch mit nicht gewöhnlichen Verdiensten und Energien aufwarteten, hatte es vermocht, die königliche Vorherrschaft aufrecht zu erhalten, die sich jenseits der Pyrenäen allerdings nach und nach auflöste durch die aufeinanderfolgenden Verwandlungen von öffentlichen Ämtern in Pfründen und dieser wiederum in erbliche Lehen. Der Zentralgewalt mangelte es indessen an einer verläßlichen Stütze, die ihr Halt geboten hätte; es fehlte ihr eine Mittelklasse, die zahlreich, wohlhabend und intelligent wäre, die dem Klerus durch ihre Bildung nacheiferte. Diese Klasse befand sich, wie wir bereits erwähnten, noch im Embryonalstadium und entwickelte sich erst im XIII. Jahrhundert zu einer schwachen politischen Kraft, die sich von da an allerdings rasch entfaltete und kräftigte. Von dieser Zeit an nutzte das Königtum in unterschiedlichem Ausmaß diese Allianz, um die säkularen und ekklesiastischen Aristokratien zu zähmen; auf diese Weise haben auch die Monarchien jenseits der Pyrenäen dem Feudalismus die Vorherrschaft und fast vollständig auch den politischen Charakter entzogen.

    Heute ist es leicht, der irrigen Ansicht anheimzufallen, die in den Revolutionen und Kampfhandlungen im Westen der Halbinsel im Verlauf des VIII. bis hin zum XII. Jahrhundert die feudale Anarchie zu erkennen glaubt, weil man diese mit der aristokratischen Anarchie verwechseln kann. Denn es war nicht die Hierarchie, die sich aus einer Art von militärischen Familien zusammensetzte, aus Clans oder künstlichen Stammesgruppen, deren Mitglieder durch wechselseitige Rechte und Pflichten untereinander gebunden waren, die von der spezifischen Art und Weise bestimmt wurden, in der die territorialen Eigentumsrechte ausgeübt wurden, in der die Souveränität unter Ausschluß der öffentlichen Macht inkorporiert war. Stattdessen sehen wir einen Individualismus, der sich gegen diese Macht auflehnt, gegen die Einheit, gegen das Recht. Wenn die Hände, die das Szepter hielten, schwächlich oder gar auf ungeschickte Weise gewalttätig waren, wurden Aufstände nicht nur möglich, sondern sogar leichtgemacht. Das Fieber der Anarchie konnte heiß brennen; was es aber nicht gab, das war die chronische Anarchie, die organisierte Anarchie.

    Dies waren die Umstände, die, vom Wahnwitz der Tochter Afonsos VI. noch unterstützt, ihre Herrschaft in eine der unheilvollsten Perioden der Unordnung, der Rebellionen und des Bürgerkriegs verwandelten. Die Unordnung war um so größer, weil der feudale Zusammenhang fehlte. Die Bande zwischen den Grafen untereinander [den Stellvertretern des Monarchen], dem [vom König eingesetzten] Bezirksrichter und dem Richter eines anderen Bezirks, dem Alkalden und dem Alkalden, dem Bezieher königlicher Stipendien und den übrigen Begünstigten, dem Lehnsmann und dem Lehnsmann, und dann auch über die Grenzen dieser unterschiedlichen Kategorien hinweg, waren so unmerklich dünn, daß die Parteilichkeiten sich mühelos fügten, trennten oder anpaßten, der Willkür der ersten leidenschaftlichen Überstürzung oder einem ehrgeizigen Kalkül folgend. Aus diesem Zustand des Aufruhrs leitete sich die endgültige Abtrennung Portugals und die Konsolidierung der portugiesischen Autonomie ab. Die anfangs als Ergebnis von Ehrgeiz und Stolz erreichte Abtrennung der beiden Grafschaften von Porto und Coimbra führte durch ein Wunder an Umsicht und Energie zur Gründung der zwar nicht stärksten, aber sicherlich wagemutigsten Nation Europas am Ende des XV. Jahrhunderts. Man könnte mit Fug und Recht behaupten, ein Volk mit einer Vorbestimmung sei entstanden. In der Tat, wie wären heute die Beziehungen des Orients und der Neuen Welt mit dem Westen [Europas], wenn der Tod Portugal bereits in der Wiege ereilt hätte? Wer würde es wagen zu behaupten, daß die gegenwärtige menschliche Zivilisation ohne die Existenz Portugals die gleiche wäre?

    Graf Heinrich⁵ überlebte seinen Schwiegervater nur geringfügig: knappe fünf Jahre; aber während dieser fünf Jahre beweisen alle seine Taten, deren Andenken bis zu uns überkommen ist, die ausschließliche Absicht, die Feuersbrunst der zivilen Zwietracht weiter anzufachen, die das christliche Spanien aufzehrte. Für welche Partei trat der Graf in den Kämpfen zwischen D. Urraca, den Anhängern von Afonso Raimundes und dem König von Aragón ein? Für alle, nacheinander; denn keine Partei war seine eigene. Seine stand für die Errichtung eines unabhängigen Staates in den Gebieten, die er regierte. Und inmitten des Aufruhrs und der Kriege, die das Reich in Flammen aufgehen ließen, hätte er womöglich seine Bemühungen von Erfolg gekrönt gesehen, wenn ihm der Tod unter den Mauern von Astorga seine Pläne nicht durchkreuzt hätte.

    Aber seine Witwe, die uneheliche Tochter Afonsos VI., war durch ihre Verschlagenheit und mannhaften Willen eine würdige Gefährtin des verwegenen und wagemutigen Burgunders. Diese Löwin verteidigte den Bau, in dem schon nicht mehr das Gebrüll seines mächtigen Herrn zu vernehmen war, mit der gleichen Energie und dem selben Mut, von dem jener ihr wiederholte Beispiele vorgelebt hatte. Fünfzehn Jahre lang kämpfte sie um den Erhalt der Unabhängigkeit des Landes, das sie als Königin titulierte; und als ihr Sohn ihr sein väterliches Erbe aus den Händen riß, war noch kaum ein Jahr verstrichen, seitdem die hochfahrende Herrin ihren Nacken vor ihrem Neffen, Afonso Raimundes, dem jungen Kaiser von León und Kastilien, beugen gemußt hatte. Doch es war bereits zu spät. Portugal würde nicht noch einmal den Status einer leonesischen Provinz einnehmen.

    Wenn sich D. Teresa in ihrer Witwenschaft politisch als ihres Mannes würdig zeigte, so erwies sich der Sohn in dieser Hinsicht gar als seiner beiden Eltern würdig. Der Zeitverlauf bewies darüber hinaus, daß er sie, was Beharrlichkeit und Verwegenheit anging, sogar noch übertraf. Die Natur hatte ihn mit der athletischen Gestalt und dem unbeugsamen Mut eines jener Helden der antiken Ritterromane ausgestattet, deren außergewöhnliche Begabungen die Troubadoure in ihren Legenden und Gedichten mehr oder weniger übertrieben besangen, die aber dennoch oft der realen Existenz entlehnt waren. So verhielt es sich [beispielsweise] auch mit dem Cid. Die ehebrecherische Liebe D. Teresas für den Grafen von Trava, Fernando Peres, ließ den Ehrgeiz des jugendlichen Afonso Henriques frühzeitig zum Vorschein kommen. Die Barone der Provinz, die dazu neigte, sich zu einem neuen Staate zu formieren, fanden in ihm auf natürliche Weise das Epizentrum des Widerstands gegen die Vorherrschaft eines Mannes, den sie sicherlich als einen Eindringling betrachteten, und dem die Infantin-Königin in ihrer Liebesblindheit all die Macht übertrug, die sie vormals so energisch selbst ausgeübt hatte. Der Erbitterung und dem Neid, den die Erhebung dieses Fremden im Herzen eines jeden von ihnen hervorgerufen haben dürfte, gesellte sich mit Gewißheit die Erwägung der unabwendbaren Folgen einer uneingeschränkten Vormachtstellung des Grafen hinzu. Fernando Peres gehörte einer der mächtigsten Familien Galiziens an, die dazu auch noch dem jugendlichen Herrscher von León und Kastilien am treuesten ergeben war. Sein Vater war nämlich der Vormund und Lehrer des Prinzen gewesen, als die sinnlichen Leidenschaften D. Urracas ihn ernsthaften Gefahren ausgesetzt hatten. Es war also nur allzu verständlich, wenn man zu der Schlußfolgerung gelangte, die Vormachtstellung [des Grafen Trava] könnte die sich abzeichnende Unabhängigkeit des neuen Staates zum Scheitern verurteilen.

    Was sich in Portugal ereignete, war eine Wiederholung dessen, auf kleinerer Bühne, was sich zuvor in León abgespielt hatte. Dort hatte die Liebschaft D. Urracas mit dem Grafen Pedro de Lara die ehrgeizigen Ansprüche Afonso Raimundes´ begünstigt und dabei auch zugleich den Haß der leonesischen und kastilischen Barone gegen sie aufgestachelt. Hier entzündete die Liebschaft D. Teresas die Gemüter in noch größerem Ausmaße und führte eine regelrechte Revolution herbei.

    Wenn bei der Schlacht auf dem Felde von S. Mamede, bei der Afonso Henriques die Macht endgültig den Händen seiner Mutter, oder vielmehr den Händen des Grafen von Trava entriß, ihm das Glück der Waffen abhold gewesen wäre, dann wären wir heute wahrscheinlich nur eine Provinz des spanischen Reichs. Aber beim Voranschreiten der menschlichen Zivilisation hatten wir eine Aufgabe zu erfüllen. Er war unabdingbar, daß am äußersten Rand von Europas Westen ein Volk auftauchte, das voller Tatendrang und Kraft wäre und für dessen Handlungen der Rahmen der vaterländischen Erde zu gering bemessen war⁶, ein Volk von Männern mit glühender Vorstellungskraft, mit Liebe für das Unbekannte, das Geheimnisvolle; Männern, die es liebten, sich auf dem Rücken der Wellen schaukeln zu lassen oder inmitten eines Unwetters über sie hinwegzugleiten, und deren Bestimmung es war, für das Christentum und die Zivilisation drei Teile der Welt zu erobern, wofür sie als Belohnung einzig den Ruhm erstrebten. Und der Ruhm dieser Nation ist als umso größer zu erachten, weil ihr Name über den gesamten Globus erscholl, auch wenn sie in der Beschränktheit enger Grenzen eingeschlossen und zwischen den großen Reichen der Erde versteckt lag.

    Nachdem wir nun arm und schwach geworden sind und auch noch gedemütigt wurden, was bleibt uns nach so herrlichen Tagen der Macht und der Berühmtheit jetzt noch übrig als die Vergangenheit? Dort befinden sich die Schätze unserer Leidenschaften und Freuden. Mögen die Erinnerungen an das Vaterland, das wir einst hatten, der Engel Gottes sein, der uns zu gesellschaftlicher Kraft zurückberuft und zu den heiligen Gefühlen der Vaterlandsliebe. Laßt alle, deren Begabung und Bemühungen sie für die ernsten und tiefschürfenden Arbeiten an der Geschichte befähigen, sich ihr widmen. In einer dekadenten Nation, die jedoch reich an Traditionen ist, ist das Werk der Aufarbeitung der Vergangenheit eine Art moralischen Lehramtes, eine Art von Priestertum. Mögen es diejenigen ausüben, die es können und handzuhaben verstehen; denn es nicht zu tun, kommt einem Verbrechen gleich.

    Und die Kunst? Möge auch die Kunst in all ihren äußerlichen Erscheinungsformen diesen edlen Gedanken darstellen; möge das Drama, das Gedicht, der Roman immer ein Echo jener poetischen Ären unseres Landes sein. Denn das Volk soll in allem und überall die großen Schatten seiner Vorfahren erkennen können. Der Vergleich [zu der Gegenwart] wird ihm bitter schmecken. Aber, ihr Männer der Kunst, so wie für das unschuldige Kindchen aus dem Jerusalém Libertada⁷ reibt auch hier den Rand der Schale mit süßem Likör ein, in der sich die [bittere] Arznei befindet, die es retten kann.

    Solange jedoch die Tage noch nicht gekommen sind, an denen die reinen und edlen Begabungen der dann zu Männern Herangewachsenen die Feierlichkeit der Kunst ausschließlich auf dem Altar der Liebe zum Vaterland zelebrieren, laßt uns einen der zahlreichen Steine aufrichten, die von den Tempeln und Palästen herabstürzten, damit die kraftvollen Handwerker, die nicht auf sich warten lassen werden, bei seinem Anblick ausrufen können: „Die Hände, die dich hierhergestellt haben, waren kraftlos, aber das Herz, das sie lenkte, hatte bereits eine Vorahnung von dem Lichtstrahl, der uns erleuchtet".


    ¹ siehe zur Erklärung des Begriffs „prócere" meine Übersetzung von Eurico, der Presbyter. Siehe auch: W. Meyer und E. Lessing, Deutsche Ritter, Deutsche Burgen, S. 20: „Die höheren Schichten der Gesellschaft, die Mächtigen und Großen, in Urkunden als optimates bzw. proceres bezeichnet, standen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum König, sie hatten ihrerseits Gefolgsleute, die, besonders wenn sie Wehrdienst leisteten, gasindus genannt wurden...".

    ² wörtlich: Menschen (Männer) der Straße.

    ³ Unter behetria verstanden die Kastilier im Mittelalter Ortschaften und Dörfer, die das Recht besaßen, ihre Herren nach Gutdünken und opportunistischen Kriterien wählen zu dürfen, beispielsweise danach, ob sie ihnen Schutz und Nutzen bringen könnten, sich also im Sinne des mittelalterlichen Ritters „ehrlos" verhielten.

    ⁴ Aus dem Arabischen al-huz: autonomer Bezirk, Umgebung einer Ortschaft.

    ⁵ Gemeint ist hier Heinrich von Burgund, der eine weitere (illegitime) Tochter Afonsos VI. (Tareja = Teresa) geheiratet hatte und mit den genannten Grafschaften belehnt worden war.

    ⁶ Herculano schrieb dies, nachdem Portugal einen großen Teil seines Imperiums verloren hatte, eine Weile lang (1580-1640) seiner Unabhängigkeit verlustig gegangen und danach – vor allem durch die Engländer – zu sehr ungleichen Verträgen gezwungen worden war. In einer vermeintlich „gloriosen Vergangenheit suchte er idealisierend einen Quell für ein neues Aufblühen seines Landes. Doch der Jesuit Padre António Vieira (geb. 1608 in Lissabon), der dieser Vergangenheit viel nähergestanden hatte, hatte hierzu eine viel kritischere Meinung, wenn er sagte: „Gott gab den Portugiesen ein kleines Land zum Leben und die ganze Welt zum Sterben.

    ⁷ Befreites Jerusalem.

    II

    DOM BIBAS

    Die Burg von Guimarães, so wie sie sich zu Beginn des XII. Jahrhunderts den Blicken des Betrachters darbot, unterschied sich von allen übrigen Festen, die fast alle Anhöhen der Lehens- und Krongüter in Portugal und in Galizien bedeckten, durch die Stärke ihrer Anlagen, ihre Weitläufigkeit und Eleganz. Der größte Teil der Gebäude dieser Art bestand damals aus nichts anderem als aus einer Anhäufung schwerer Holzbalken, die gegeneinander verschränkt wurden; sie wiesen eine Reihe unregelmäßiger Türme auf, deren Mauerwerk oftmals mörtellos aus Steinen zusammengefügt war, wodurch sie kaum dem Ansturm der Rammböcke und dem Beschuß durch die Katapulte zu widerstehen vermochten, während die Holzbalken, die diese schwachen Mauern miteinander verbanden und ihnen gewissermaßen den Anschein einer dauerhaften Festigkeit gaben, den gravierenden Nachteil aufwiesen, leicht in Brand zu geraten. Daher gab es keine Burg, in der zwischen den Waffen und den Vorräten für den Kriegsfall nicht auch die geräumigen Essigbottiche an den wichtigsten Plätzen anzutreffen waren, deren Flüssigkeit sich erfahrungsgemäß am besten eignete, das entzündete Pech wieder zu löschen, das an solchen befestigten Orten gern als Mittel der Zerstörung Verwendung fand. Wenn der auch als Schildkröte oder Katze bekannte Wandelturm, eine Art von fahrbarem Pult, das von ungegerbten Lederhäuten schützend überdacht war, sich rumpelnd, schwerfällig und langsam wie ein Gespenst den Mauern irgendeiner Burg näherte, transportierten die gemeinen Soldaten eine große Menge dieser Rettung bringenden Flüssigkeit, die die von stinkenden Rauchwalzen umhüllten Flammen niederzuschlagen fähig war, die erwartungsgemäß in absehbarer Zeit aus den kantigen Balken des kriegerischen Gebäudes züngeln würden, zu dem Abschnitt der Mauer oder dem Turm, zu dem jener gelenkt wurde, während die kräftigsten Ritter mit riesigen Steinen rangen, die sie zu den Lücken zwischen den Zinnen schleppten, um sie von dort aus oder durch die Maschikulis⁸ auf das Schutzdach der Angriffsmaschine hinabzuschleudern. Oftmals waren diese Vorsorgemaßnahmen jedoch nutzlos, vornehmlich gegen die Sarazenen.

    Bei diesen hatte eine fortschrittlichere Zivilisation nämlich dazu beigetragen, den früheren Fanatismus abzumildern, den barbarischen Mut zu brechen und die physische Stärke der waffentragenden Männer zu reduzieren: ihre Meisterschaft in der Kunst der Kriegsführung glich diesen Mangel jedoch aus und stellte den moslemischen Soldaten mit dem christlichen, der zwar robuster und fanatischer war und aus diesen Gründen auch ungestümer kämpfte als jener, auf eine gleichwertige Ebene. Es war vor allem bei den Belagerungen, nicht nur, wenn sie sich zu verteidigen hatten, sondern auch bei ihren Angriffen, daß den Arabern der Wert ihrer intellektuellen Überlegenheit bewußt wurde. Ihre Kriegsmaschinen, die nicht nur wegen der besseren Abstimmung der mechanischen Kräfte sondern auch wegen der größeren Vielzahl von Gerätschaften und Erfindungen vollkommener waren als die der Nazarener, verschafften ihnen beachtenswerte Vorteile über die derbe Taktik ihrer Gegner. Ohne Zuhilfenahme des Wandelturms wußten die Araber mit Skorpionen, die aus feuerspeienden Rohren [Mangen und Matafunden] herausgeschossen wurden, die Burgen aus der Ferne in Brand zu stecken. Aus Schwefel, Salpeter und Naphtha setzten sie eine fürchterliche Mixtur an, mit der sie aus den Rohren hohle Eisenkugeln abfeuerten, die mit dem selben Gemisch gefüllt waren, die, durch die Luft sich schlängelnd und sirrend, innerhalb der belagerten Mauern explodierten und eine Art von unlöschbarer und infernalischer Lava ausspieen, gegen deren Heftigkeit alle Vorsorgemaßnahmen fast immer ebenso vergeblich waren wie der Mut und die Kraft der zähesten Ritter und Waffenknechte.

    Aber die Burg von Guimarães konnte von den schroffen Felsen, auf denen sie errichtet worden war, mit ruhiger Verachtung

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