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Die Legende vom Hermunduren: Zorn der Sippen
Die Legende vom Hermunduren: Zorn der Sippen
Die Legende vom Hermunduren: Zorn der Sippen
eBook523 Seiten6 Stunden

Die Legende vom Hermunduren: Zorn der Sippen

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Über dieses E-Book

Der Rhein trennt Roms Imperium von der Germania Magna. Teile des Stammes der Hermunduren siedeln auf Roms Wunsch im Territorium am Main. Doch Roms Freundschaft scheint nicht von ewiger Dauer. Bisherige Tributforderungen schlugen in Sklavenjagd um und führten zur Vernichtung einer ersten Sippe. Der Drang zu noch mehr Sklaven endete für die römischen Kohorten in einem Desaster. Der Führung beraubt und geschlagen, zogen sie sich über den Rhein zurück. Zu keiner Zeit durfte Rom diese erlittene Niederlage hinnehmen.
Tribun Titus Suetonius erhielt auch diesmal das Vertrauen seines Legaten. Mit einer weit größeren Streitmacht zog er, zur Durchsetzung römischer Ansprüche, zur Tilgung der erlittenen Schmach, zum Vollzug der Vergeltung und zur Vollendung seiner persönlichen Rache, erneut gegen die Hermunduren.
Aber auch die Hermunduren erkannten die von Rom ausgehende Gefahr...
Um einem erneuten Überfall begegnen zu können, suchten die bisher betroffenen Sippen Bündnispartner für den gemeinsamen Widerstand. Die Ausgesandten fanden nicht nur Zustimmung. Verrat, Gleichgültigkeit, Machtstreben und Raffgier gefährdeten die Einigkeit der hermundurischen Sippen...
Gejagt und Gefangen genommen, erkennen die Boten schließlich die Notwendigkeit zum Brechen vorhandener Machtverhältnisse in einzelnen Sippen.
Als wiederum von machthungrigen Sippenführern geduldete römische Sklavenjäger ins Land zogen und die Verbringung ihrer Beute auf dem Wasserweg in das unter römischer Kontrolle stehende linksrheinische Gebiet beabsichtigten fand der Zorn der Sippen seinen Ausbruch …
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Juli 2017
ISBN9783743935181
Die Legende vom Hermunduren: Zorn der Sippen
Autor

G. K. Grasse

Geboren im Jahr 1949. Schulzeit, Lehre zum Elektromonteur, Studium zum Ingenieur für Nachrichtentechnik, Diplomstudium und ein nachfolgendes Berufsleben als Diplom-Ingenieur im Technischen Bereich. Nach der Wende eine Zeit der Selbständigkeit im Bereich der Kommunikationstechnik (über zehn Jahre). Anschließend Teamleiter im technischen Bereich Mobilfunk und Breitbandausbau. Mit zunehmendem Alter prägten sich andere, neue Interessen aus. Nach umfangreichen persönlichen Studien zu historischen Ereignissen begann der Autor 2011 mit dem Schreiben historischer Romane. Das vorrangige Interesse gilt der Zeit des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt. Die im freien Germanien lebenden Stämme stoßen mit den über den Rhein vordringenden Legionen des Römischen Imperiums zusammen. Welche Widersprüche entwickeln sich und welchen Einfluss hat die Zivilisation der Römer auf das Leben der Stämme? Das sind den Autor interessierende Fragen und er versucht das Leben und die Kämpfe betroffener Germanen in historischen Romanen zu beschreiben.

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    Buchvorschau

    Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse

    Was die Historie über den Stamm der Hermunduren berichten kann …

    Der Roman zeichnet das Leben einer Stammesabspaltung der Hermunduren, beginnend um 64 n. Chr. im Territorium am Main, nach.

    Die Hermunduren erschlossen sich den neuen Lebensraum auf Wunsch Roms. Zunächst, so ist es überliefert, prägte Freundschaft die Beziehungen.

    Doch zu keiner Zeit der Existenz des Römischen Imperiums blieben Beziehungen zu den Nachbarn friedlicher Natur.

    Zwischen der römischen Eroberungspolitik und dem Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang der Bevölkerung im Barbaricum existierten ein großer Zusammenhang mit Wechselbeziehungen unterschiedlichster Art und ein fundamentaler Widerspruch mit Hass und Feindschaft, der im Kontext zur historischen Zeit und dem Territorium stand.

    Die Römer, unbestritten zur Weltmacht gelangt, und die Barbaren, mit ihren zahlreichen Stämmen und Sippen, trafen am Rhein aufeinander. Weder Rom noch die Barbaren des freien Germaniens erkannten diese natürliche Grenze als von den Göttern gegeben an.

    Die segensreiche Botschaft der Zivilisation in die Wälder des Nordens getragen zu haben, wird zumeist den Römern zugeordnet.

    Für den Barbar dagegen fällt die Rolle des beutegierigen, mordenden und plündernden Kriegers ab.

    Doch stimmt diese Pauschalisierung?

    Besaßen die germanischen Stämme nicht auch Lebensbedürfnisse? Bildete der Schutz des Lebens eigener Kinder und Familien gegen jeden Feind, ob Mensch oder Natur, nicht doch den Kernpunkt jeder kriegerischen Handlung germanischer Sippen.

    Selbst dann, wenn die Germanen auszogen, neuen Lebensraum zu erringen …

    Karte Germanien um 60 n. Chr.

    Grundlage von Cristiano64 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,

    https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2749288 Modifiziert durch Autor

    1. Der Orkan

    65 nach Christus - Frühjahr (12. Aprilis)

    Barbaricum - Im Land der Hermunduren zwischen dem Fluss Moenus und dem Herzynischen Wald

    Der Eldermann der jungen Framensippe sah, bei einem prüfenden Blick in den Himmel, was auf seine noch junge Sippe zukam. Erst frischte der Wind auf, dann türmten sich Wolken am Himmel und als der Wind heftiger blies, erreichten erste Tropfen die Erde. Im Dorf nahm, außer ihm, noch immer keiner Kenntnis von dem sich verändernden Wetter.

    Dann erblickte er die sich ausbreitende Finsternis und nach kurzer Zeit donnerte es erstmals. In größerer Entfernung fuhren erste Blitze zu Boden.

    Degenar war nicht umsonst so alt geworden. Er hatte in seinem Leben schon oft solchen Wetterunbilden gegenüber gestanden. Er kannte die Angst vor den zornigen Lichtblitzen der Götter. Auch hatte er schon Stürme erlebt, in denen der Wind erwachsene Männer vom Boden aufheben und durch die Luft schleudern konnte. Er hatte gesehen, wie Blitze in Bäume fuhren, ganze Bäume entwurzelten oder Äste abbrachen und auch wie manche Hütte zerlegt worden war. Jetzt würde sich erweisen, wie gut sie ihre Häuser angelegt hatten, wie geschützt ihr Dorf lag.

    Seine mahnenden Worte zur Standortwahl hatte nicht jedes Familienoberhaupt richtig aufgenommen. Er wusste, dass einige der Langhäuser nicht am günstigsten Standort errichtet waren. Der Hochwald im Rücken der neuen Siedlung und deren Lage auf dem abfallenden Berghang, sollten dem aus der Abendrichtung kommenden Sturm Widerstand entgegensetzen. Und doch befürchtete der Älteste, dass dieser Sturm zu einem Orkan anwachsen könnte und nicht ohne Folgen blieb.

    Mit seiner Erkenntnis der Gefahr, begann er alle Bewohner zu warnen. Die Knaben Notker, Malte und Helmar liefen durch die Ansiedlung und zu den Äckern. Sie teilten jedem Sippenangehörigen des Eldermanns Botschaft mit: ‚Ein Sturm kommt auf! Bleibt in euren Häusern, egal was geschieht! Sichert euer Vieh! Vertraut den Göttern!’ Es war eine ernste Botschaft und keiner entzog sich ihr.

    Degenar, vor seiner Hütte stehend, verfolgte das Treiben. Die Frauen und Mädchen kehrten von den Äckern zurück, die Männer und Knaben trieben das Vieh in die Hütten.

    Auch die Hunde verzogen sich in geschützte Räume. Allein schon daran erkannte der Alte, dass es schlimm werden könnte. Er trieb alle durch seine Rufe an, sich noch mehr zu beeilen. Nach einer geschäftigen, ihm viel zu lange dauernden Phase, kehrte langsam Ruhe im Dorf ein.

    Es wurde auch Zeit. Der Regen prasselte nieder und der Wind nahm orkanartige Züge an. Als das Unwetter genau über ihnen stand, zwischen den Blitzen und dem Donner nur noch kurze Zeitspannen verblieben, verstärkte sich der Regen fast zu einem Wasserfall.

    Die Blitze schlugen in unmittelbarer Nähe der Siedlung ein. Am anderen Ufer des Baches, am Waldrand, spaltete ein Blitz eine der Eichen. Der Donner dröhnte in den Ohren.

    Degenar stand unter einem Wetterschutz in der Tür seiner Hütte und beobachtete das Geschehen.

    Brandolf trat zu ihm. „Was denkst du, wie schlimm wird es?" fragte der Jüngere den Ältesten.

    „Sehr schlimm! lautete die Antwort. „Der Sturm wird uns zeigen, wie schlecht wir gebaut haben! Degenar unterbrach sich, blickte zum dunklen Himmel hinauf, machte den Mittelpunkt des über sie hinbrausenden Sturmes aus und schüttelte den Kopf.

    „Auch die Blitze machen mir Sorgen. Das Unwetter zieht genau über uns hin. Hoffen wir, dass keiner der Blitze in eines der Häuser schlägt ... Die Götter sind zornig. Wüsste ich doch nur, worin der Grund dafür liegt?"

    Nach einer Pause fügte er an: „Nimm dir Notker und geh zu den Frauen! Einige werden vor Angst wie gelähmt sein!" Der Hüter der Ordnung verstand die Weisung und sofort, nach seinem Ruf, stand Notker neben ihm.

    „Wir müssen zum Frauenhaus. Los Bursche, fasse meinen Arm, damit der Wind dich nicht fortreißt und dann laufe hinter mir! Vorwärts!" Degenar sah, dass sie das Haus der Mädchen sicher erreichten.

    Brandolf riss die Tür auf und stieß den Knaben hinein. Sofort erkannte er Verzweiflung und Angst. Mitten im Wohnraum hatten sich sechs der Mädchen hingehockt, an den Händen gefasst und harrten ängstlich zitternd, bei jedem Donner aufkreischend, der folgenden Ereignisse.

    Astrid und Siegried unterhielten sich in einer Ecke des Raumes mit der Jüngsten. Das Mädchen schien völlig aufgelöst und zitterte am ganzen Körper. Astrid hatte die Freundin umschlungen und streichelte sie. Beide Mädchen sprachen auf die ängstliche Jüngste ein.

    Stilla kam aus dem hinteren Teil der Hütte, dort wo sie wohl noch kurz zuvor die Tiere beruhigte. Sie stellte sich, mit in die Hüften gestemmten Armen, mitten in den Raum und schüttelte voller Unverständnis den Kopf.

    Als Brandolf eintrat, fuhr sie überrascht herum und starrte den Eindringling und den ihm folgenden Knaben an. „Ach, euch gibt es auch noch? Habt ihr in eurer Hütte Angst bekommen und wollt jetzt hier unterkriechen?"

    „Wetz deine Zunge nur weiter!" konterte Brandolf. Die hockenden Mädchen wandten ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Wibke riss sich von ihrer Freundin los und fiel dem Hüter um den Hals.

    „Na, nun mal nicht so stürmisch! Du bist ja noch verrückter als es draußen ist! Ich bin so viel Zuneigung gar nicht gewohnt!" gab er überrascht lachend von sich und erregte dadurch die Aufmerksamkeit der übrigen Frauen.

    Das Mädchen krallte sich an ihm fest und er gab ihr Zeit, sich zu beruhigen. Dann schob er sie sanft von sich und gab sie Astrid zurück in die Umarmung.

    „Siegried, kümmere dich um die Ziegen und du Weib, mit der spitzen Zunge, um unsere Schafe. Notker lass dir was einfallen, damit sich die Mädchen beruhigen. Los Bursche!"

    Der Knabe sah den Hüter zuerst verständnislos an, doch dann begriff er. Er fasste eines der hockenden Mädchen an, zerrte es hoch und umtanzte mit ihr die übrige Gruppe. Dabei sang er laut und falsch. Bald sang das Mädchen mit.

    Auch wenn der Text keinen Sinn ergab und keines der Mädchen diesen kannte, folgten die nächsten Verängstigten dem vorgegebenen Takt. Durch ständiges Wiederholen einer einfachen Textpassage

    „Ho, Ho, Ho und braust der Sturm,

    wir leben hier im Wald.

    Ho, Ho, Ho nicht fürchten wir

    des Windes Urgewalt!"

    gelang es Notker, alle Mädchen zum Mitsingen zu bewegen.

    Sich ständig ändernde Zwischenfolgen sang er allein. Nach und nach stampften die Mädchen den Reigen mit ihren Füßen. Die Beine machten von allein mit. Gesang und Stampfen verursachten einen, dem tobenden Sturm, gleichwertigen Lärm.

    Bald erschraken die Mädchen nicht mehr, spürten nicht jeden Donner in Mark und Bein. Dafür aber hörten sie den eigenen, furchtbaren Gesang und die lähmende Angst legte sich. Es schien, als sei es dem Knaben gelungen, eine Atmosphäre der Hoffnung, der Zuversicht und des Bewusstseins eigener Stärke erschaffen zu haben.

    Degenar schätzte den Knaben, der sonst immer für jeden Streich zu haben war, richtig ein. Der Bursche wühlte die Mädchen auf. Nach einer weiteren Runde griff Notker sich das nächste ängstliche Mädchen und zog sie hinter sich in den Tanzreigen. Schon tanzten drei Verrückte um die ängstlich in der Mitte des Raumes Hockenden. Als er auch die Letzte aufforderte mitzusingen und seine Stimme noch lauter werden lies, erhoben sich die Nächsten. Sie sprangen genauso umher, wie alle anderen, sangen und tanzten mit. Letztlich reihten sich auch Astrid und Wibke ein. Der Knabe hatte allen die Angst genommen und Fröhlichkeit gegeben. Nach einer Weile sank er, vollkommen außer Atem, in der Mitte des Mädchenkreises zu Boden und besah sich verwundert seine Wirkung.

    Als die Mädchen ihren Anführer verloren hatten und stehen blieben, sprach Brandolf: „Das Schlimmste habt ihr überstanden! Dafür habt ihr mir Notker kaputt gemacht!" befreites schüchternes Lachen breitete sich aus. Mitleidig sahen die jungen Frauen zum kaputten Burschen auf den Boden.

    „So, jetzt setzt ihr euch wieder hin und fasst euch an die Hände. Dann wird gesungen bis der Sturm vorbei ist! Und du fängst an!" er zeigte auf Astrid, die auch sogleich ihre schöne Stimme erschallen ließ. Mit einem Lied, welches von den Kindern gern zur Ernte gesungen wurde, begann sie. Der Bann der Angst war gebrochen.

    Auch Stilla und Siegried gesellten sich zu den Singenden, wirkte sich der Gesang doch auch beruhigend auf die Tiere, im hinteren Teil des Hauses, aus. Brandolf blieb inmitten der Mädchen und sorgte mit seiner Anwesenheit für das Gefühl von Sicherheit und Schutz.

    Noch immer an seinem Wetterschutz stehend, beobachtete der Eldermann den sich entwickelnden Orkan. Längst hatten Wind und Regen auch ihn erreicht, trotzdem harrte er aus.

    Was er allen befahl, galt nicht für ihn. Er musste dem Unwetter ins Auge schauen. Nur so konnte er erkennen, ob ihnen bei der Anlage der Hütten ein Fehler unterlaufen war.

    Durch den Zuzug aus der Bergesippe und von der Talwassersippe war die Zahl der Sippenzugehörigen schnell angewachsen. Deshalb brauchten sie neue Behausungen und deren Zahl war auf sieben Hütten gestiegen.

    Für alle Mädchen und jungen Frauen, die keiner Familie angehörten, stand deren Hütte am höchsten Punkt der Ansiedlung. Die Männer, ohne Familienzugehörigkeit, lebten in der Hütte am unteren Dorfrand. Diese Hütte stand in unmittelbarer Nähe des Baches. Die Abstände zwischen den Hütten waren unterschiedlich groß und die Eingänge lagen in Richtung der aufgehenden Sonne, mit Ausnahme seiner eigenen Hütte.

    Nach seiner Beobachtung kamen Stürme und schlechtes Wetter immer von der Abendseite. Beim Errichten der Hütten wurde deshalb die Seite mit dem Viehbestand in die Wetterrichtung gedreht. Doch das gelang nicht in jedem Fall, hätte es doch dazu führen können, dass die Ausdünstungen der Tiere, durch das Gefälle, in den Wohnbereich der Familien geflossen wären. Bei jeder Hütte hatten sie lange überlegt, nur bei seiner nicht.

    Als die erste Hütte errichtet wurde, musste alles sehr schnell gehen. Die Sippe brauchte eine Unterkunft und so wurde die beste Stelle erwählt, ohne an zukünftige, weitere Hütten zu denken. Und auch der Eingangsseite schenkten sie weniger Beachtung.

    Inzwischen fand er sich damit ab, dass das Wetter in seine Tür drang. Dank Ulfs Ideen fanden sie einen Ausweg. Ein Wetterschutz wurde errichtet. Dieser verhinderte, durch sein nach unten gezogenes Dach, dass Regen und Wind in den Wohnbereich der Hütte einfahren konnten.

    Die nächste Hütte ordneten sie gegenüber seiner Behausung an. Durch den Zuzug der Familie des Leopold aus der Bergesippe, wurde dies nicht, wie in ihrer ursprünglichen Absicht, das Heim für Ulf und Sigrid, sondern für Leopolds zahlreiche Familie. Ulf suchte sich dann eine andere Stelle aus. Die Errichtung seines Hauses ging, mit der Unterstützung aller Ansiedler, schnell voran.

    Als Irvin mit den Familien der Talwassersippe eintraf, waren sie wieder zu schnellem Handeln gezwungen. Unterhalb seines eigenen Langhauses wuchsen, in kurzer Zeit, weitere zwei Behausungen.

    Noch immer war es in seiner Hütte sehr eng, trotzdem diese in ungewöhnlicher Länge und Breite errichtet worden war. Zuerst lebten über 20 Menschen in ihr und so blieb es auf lange Zeit.

    Irvins Ankunft verzögerte den beabsichtigten Auszug von Ulf, Sigrid, Sven und Finia, sowie auch den von Arnold.

    Gemeinsam berieten sie und entschieden sich, diese neuen Hütten vorerst beiden Familien der Talwassersippe und deren Ledigen zu überlassen.

    Viele fleißige Hände verkürzten die benötigte Zeit für den neuen Hüttenbau. So wuchs das Haus für eine weitere Familie und nach dem eine Einigung zur Trennung zwischen männlichen und weiblichen Angehörigen, die ohne Bindung zu den bestehenden Familien zur Sippe gehörten, beschlossene Sache war, wählten sie die Plätze für deren Standorte.

    So standen bald, auf dem der Sonne zugewandten Bergabhang und im Schutz des umgebenden Hochwaldes, sieben Hütten. Zwar dicht beieinander und doch mit genügendem, aber unterschiedlichem Abstand zueinander, um sich ausbreitenden Bränden wenig Nahrung zu gönnen.

    Bisher, auch nicht nach dem Tauwetter, sahen sie Gefahr vom Bach ausgehen. War dieser doch klein, hatte weder eine große Tiefe, noch war der Bach sehr breit. Sein Wasser war frisch und kam aus einer Quelle unweit oberhalb des Dorfes. Der stürmische Regen, des inzwischen zu einem Orkan angewachsenen Windes, lies den Bach bedenklich anschwellen. Die Zeit verging und der Regenguss lies nicht nach.

    Degenar sah, wie sich das Wasser in der Biegung des Baches staute. Zweige, Äste und Laub sammelten sich an und bauten eine Wand in Richtung des Männerhauses auf. Der Wasserdruck erhöhte sich, spülte Hindernisse zur Seite und das Wasser drang durch die Wand.

    Erst floss es ganz vorsichtig, als suche es die günstigste Stelle. Dann brach der Damm und die Wassermassen wälzten sich auf die Hütte zu. Degenar sah das Unterspülen der Hütte voraus und befürchtete deren Einsturz.

    „Irvin!" rief er hinter sich in den Wohnbereich und der Jungkrieger erschien. „Lauf los, die Männerhütte wird einstürzen! Da sieh, wie das Wasser gräbt! Los schnell, hole sie alle zu uns! Denk an die Pferde!"

    Der Jungkrieger stürmte, ohne länger zu überlegen, davon. Schon nach wenigen Schritten war er durchgeweicht. Der Sturm zwang ihn, sich gegen den seitlichen, böigen Wind anzustemmen und umher fliegenden Ästen auszuweichen. Er erreichte die Hütte, riss die Tür auf und brüllte in den tobenden Orkan hinein „Los alle raus hier! Der Bach unterspült die Hütte. Holt die Pferde aus dem Stall!"

    Sofort erfassten die Männer die bedrohliche Lage. Sie griffen zu ihren Waffen und wichtigstem Eigentum. Dann stürzten sie zu den Pferden, die schon unruhig waren. Mit den Hufen scharrend und ausschlagend, versuchten sich die Tiere von ihren Halftern zu befreien. Ängstlich wiehernd und zuweilen ausschlagend, sprangen sie, selbst unter straffer Zügelführung, hin und her. Trotzdem gelang es den Betroffenen gemeinsam, die sechs Tiere aus der Hütte zu drängen und mit ihnen in Richtung des Waldes zu laufen. Als die Tiere aus der Hütte heraus und vom Bach weggeführt wurden, beruhigten sich die Pferde etwas und folgten dem Willen der Männer.

    In der vorherrschenden Finsternis des Orkans, kurzzeitig erhellt durch bizarre Blitze, sah es für das Dorf lebensbedrohlich aus. Ein in unmittelbarer Nähe einschlagender Blitz, mit sofortigem dröhnendem Donner, schrak die Tiere erneut auf. Sie sprangen ängstlich zur Seite, stiegen, wieherten oder gingen hoch und versuchten auch auszubrechen.

    Degenar erkannte, wie Irvin und ein weiterer Krieger eines der Pferde mit vereinten Kräften zu bändigen versuchten.

    Wieder krachte es im Rücken der Männer. Der Bach riss einen Teil ihrer Hütte weg. Langsam gaben die Wandfelder nach und wurden in den Strudel des Baches gezogen. Die Stützbalken brachen, das Dach stürzte ein und zum Schluss fuhr ein Blitz in das Chaos und entzündete den hinteren Teil des Gebäudes, in dem zuvor noch die Pferde standen.

    Degenar sah wie fünf Pferde in den scheinbar sicheren Wald geführt werden konnten. Nur eines der Tiere brach richtig aus. Der dieses Pferd führende Krieger wurde mitgerissen, stolperte und weil er das Seil nicht los lies, schleifte ihn das talwärts stürmende Tier hinter sich her.

    Der Älteste wandte sich um und rief Ragna, Malte und Goswin. „Ragna, pass auf die Kinder auf! Schütze sie! Wenn der Sturm die Hütte wegreißt, werft euch flach auf den Boden. Ihr beiden kommt mit mir!" wies er die Knaben an. Der Alte griff sich die Knaben und lief, so schnell er konnte, in Richtung Männerhaus.

    Jetzt erst erkannte Ragna die Folgen des Orkans. Hier konnte sie nicht helfen. Als sie sah, wie die Knaben vom Wind erfasst wurden und Degenar Mühe hatte, sie über den freien Platz, inmitten des Dorfes, zu bugsieren, wurde ihr dies schnell klar.

    Aus einer der Familienhütten löste sich ein Mann. Er gesellte sich an Goswins Seite. Es musste Leopold sein, der seine Familie verließ, um zu helfen. Ragna blieb unter dem Wetterschutz stehen und beobachtete die Szenerie weiter. Sie klammerte sich an einen der Pfeiler des Wetterschutzes, um nicht vom Sturm mitgerissen zu werden.

    Der Alte und seine Begleiter erreichten den Waldrand an der Männerhütte und waren somit vor dem Orkan erst einmal geschützt. Degenar rief in den Wald hinein. Er musste es mehrmals tun, bis die Männer seine Stimme vernahmen. Es war nicht einfach, dass Donnern, Krachen und Rauschen der Bäume zu übertönen. Doch dann stand Irvin vor ihm. Degenar fasste den Krieger an der Schulter und zwang ihn in die Nähe seines Mundes, bevor er schrie „Wo sind die Anderen?"

    Irvin griff seinen Arm und zog den Alten hinter sich her in den tieferen Wald. Noch immer prasselte der Regen auf ihre Köpfe. Bald sah der Alte die Männer und die Tiere.

    Die Pferde standen, von den Männern umgeben, aneinander gedrängt in einer kleinen Senke. „Goswin und Malte, ihr bleibt mit bei den Pferden, beruhigt die Tiere! Irvin hole Arnold und Sven, die haben vom Drama nichts mitbekommen! Kümmert euch um die Pferde! Und ihr … er zeigte auf drei weitere Krieger und auf Leopold „… kommt mit mir! Ein Pferd ist durchgegangen und hat den Führer mitgeschleift. Wir müssen ihn finden!

    Gemeinsam stürmten die Männer davon. Degenar konnte sich erinnern, wo er den Mann das letzte Mal am Seil hängend, gesehen hatte. Ein ganzes Stück weiter fanden sie den Jungkrieger.

    Er lag in unnatürlicher Haltung, mit weit ausgestrecktem rechtem Arm vor einem umgestürzten Baum. Das Pferd hatte ihn mitgeschleift, war über den Baum gesprungen und hatte den Jungmann mit voller Wucht gegen den Baum gezogen. Im letzten Moment muss er das Seil losgelassen und den Kopf zur Seite gedreht haben. Dann war er mit seiner Schulter gegen den Baum gekracht.

    Degenar beugte sich zu dem Schwerverletzten und vernahm ein leises Stöhnen. Der Mann war nicht bei Bewusstsein und musste trotzdem höllische Schmerzen erleiden. Seine Schulter und der rechte Arm schienen gebrochen. Der Älteste wies seine Begleiter an, mehrere starke Stöcke zu schlagen, damit sie eine Trage bauen konnten. Schnell war die Aufgabe erfüllt. Gemeinsam hoben die Männer den Verletzten auf die Trage und brachten ihn zurück ins Dorf zur alten Eila.

    Auch der Transport über eine so kurze Strecke gestaltete sich, ob des noch immer tobenden Sturms, des Regens und der Dunkelheit, nicht einfach. Und immer wenn einer der Männer stolperte, stöhnte der Verletzte.

    Noch wussten sie nicht genau, wer sich so in das Seil des Pferdes verkrallt hatte, dass er seinen Einsatz fast mit dem Leben bezahlte. Ob der Jungmann jemals gesund werden würde, lag ohnehin in den Händen der Götter. Doch erst einmal musste er zur Kräuterkundigen.

    Als die Männer mit der Trage die Hütte erreichten, lag der letzte Blitzschlag schon einige Zeit zurück. Donner hörten sie nur noch aus der Ferne. Der Regen ließ nach, nur der Wind blies weiterhin stark und böig. Das Unwetter jedoch schien vorüber gezogen zu sein.

    Sie brachten den Jungmann in die Hütte, legten ihn auf ein Felllager und sofort machte sich Eila über seine Verletzungen her. Degenar stand, wie auch die übrigen Helfer, dabei und wartete. Nur Leopold kehrte inzwischen zu seiner Familie zurück.

    Die Alte befreite den Mann vollkommen von seiner Kleidung und untersuchte ihn am gesamten Körper. Mit Hilfe von Bertrun wurde er vorsichtig gewaschen. Erst dann erhob sich Eila und sah den Ältesten an. „Was ist?" fragte der.

    „Es sieht schlimm aus! Die Schulter ist gebrochen. Der rechte Arm ist aus der Schulter ausgekugelt. Der Knochen … und damit zeigte sie am Hals des Alten, welchen sie meinte, „… ist auch hinüber. Dann hat er noch eine Wunde im Bereich der Schulter, hier am Hals. Ein Ast muss dort eingedrungen sein. Außerdem bekam sein Kopf einen Schlag. Eila zeigte auf die Stichwunde an der Schulter des Verletzten.

    „Aber er lebt noch und ich werde mich um ihn kümmern." fügte sie als Letztes an.

    Degenar hatte den jungen Einar erkannt, einen Jungkrieger aus der Talwassersippe. Hier konnte der Älteste nichts mehr tun. Er wechselte seine nasse Kleidung und verließ die Hütte.

    Der Orkan richtete genug Schaden an. Der Regen war in ein Tröpfeln übergegangen, der Wind etwas abgeflaut, aber trotzdem noch böig.

    Zuerst ging der Alte zum Frauenhaus und fand dort eine fast vergnügte Runde vor. Brandolf stand am Stallzugang, als der Alte die Hütte betrat.

    „Und?" fragte er den Hüter kurz. Der nahm ihn bei der Hand, gab Stilla ein Zeichen und zog ihn aus dem Frauenhaus.

    „Notker war ein Segen! Der Bursche ist unverwüstlich. Nur wenige Augenblicke hat er gebraucht, um allen die Beklemmung und die Angst zu nehmen. Stilla, Siegried und Astrid zeigten keine Angst. Am schlimmsten hatte es Wibke, die Jüngste, erwischt, aber auch die holte sich der Knabe zum Tanz und Gesang. Wie schlimm ist es den Anderen ergangen?" fragte Brandolf den Eldermann, der sich ob der erhaltenen Nachricht befriedigt zeigte.

    „Wirst du hier noch gebraucht?"

    „Nein Stilla und Notker machen das schon!" beantwortete der Hüter die ihm gestellte Frage.

    „Dann komm mit, wir sehen uns alles an!" Zuerst gingen sie kurz zu Ulfs Haus. Sigrid und Finia waren allein. Der Hochschwangeren ging es gut und so antwortete sie auch auf die Fragen zu ihrem Befinden. Danach liefen sie zu Leopold, bei dem auch alles in Ordnung war. Auch bei den übrigen Hütten der Familien gab es, zumindest von Außen in Augenschein genommen, keine wesentlichen Schäden.

    Bei Rüdiger war der hintere Teil des Daches abgedeckt worden und eine Strebe gebrochen. Unglücklicherweise war der Knabe Gisbert gerade bei seinem Fohlen, um es zu beruhigen. Dem Fohlen war nichts passiert. Dafür hatte es den Knaben getroffen. Er hatte die Strebe auf die Schulter bekommen. Gisbert erduldete den Schmerz und war glücklich, dass seinem vierbeinigen Freund nichts geschehen war.

    Degenar blickte den Knaben an. „Kannst du laufen?" fragte er.

    „Ich denke, er wird es können!" behauptete sein Vater.

    „Dann bring ihn zu Eila! Sie soll ihn untersuchen!"

    Degenars nächster Blick galt dem Loch im Dach.

    „Hast noch einmal Glück gehabt! stellte der Alte fest und, grinste den Hausherrn an „Das Dach werden wir morgen wieder schließen!

    Gefolgt von Brandolf suchte Degenar danach die Reste des Männerhauses auf.

    „Verdammt!" entfuhr es dem Hüter. Das Haus war zu einem Viertel vom Bach weggespült worden. Die tragenden Stämme hielten dem Druck nicht stand und so war das ganze Dach zur Bachseite abgerutscht. Der hintere Teil, in dem zuvor die Pferde standen, war abgebrannt. Ein Blitz verursachte den Brand und der Regen löschte diesen dann, so dass nur der Mittelteil der Hütte noch stand.

    „Wir sollten sofort retten, was noch zu retten ist. Der Brand könnte wieder ausbrechen, oder der Bach unterspült weiter. Also lass Arnold und Sven bei den Pferden und nimm die Anderen alle zum Bergen!" Brandolf nickte und entfernte sich, um seine Unterstützung einzufordern.

    Degenar blieb am Haus stehen und besah sich eindringlich den gesamten Schaden. Ihm wurde klar, dass der Standort des Hauses falsch gewählt war. Der Bogen des Baches hatte den Abfluss des Wassers behindert und Treibgut sorgte für ein Anstauen. Als die Last zu groß wurde, brach der Stau und genau in dieser Richtung befand sich das vordere Hauseck.

    Hätten sie nicht so stabil gebaut, wäre die gesamte Hütte zusammengebrochen. So werden sie noch Einiges retten können. Mancher Balken wird geborgen werden und auch einige Wandfelder schienen noch nutzbar. Sie werden diese Dinge beim Neubau, an einer besseren Stelle, wieder verwenden können. Er wartete bis Brandolf mit den Männern zurückkehrte, um ihm dies zu erklären.

    Ulf stand neben Brandolf und hörte ebenfalls zu.

    „Ich werde mir die Sache bei Tage noch mal ansehen und du solltest mir morgen früh die Stelle für das neue Haus zeigen. Ich kümmere mich um den Bau der neuen Hütte!" schloss der Riese seine Erklärung ab.

    Degenar nickte, drehte sich ab und begann sich zu entfernen. Dann drehte er sich noch mal um und fragte „Wo sind Malte und Goswin?"

    „Bei Eila! Ich habe sie in die Hütte geschickt! Arnold und Sven sind bei den Pferden!" berichtete Brandolf.

    Degenar nickte zum Einverständnis mit dem Kopf und setzte seinen Weg zum Haus humpelnd fort. Erst jetzt merkte er, dass ihm sein Eichenstock fehlte und sein Fuß stark schmerzte.

    Mit zusammengebissenen Zähnen lief er bis zur Hütte, um sich dort angekommen, auf sein Lager zu werfen. Im nu war er eingeschlafen.

    Ragna stand an seinem Lager und sah erstaunt auf den Ältesten. Sie blickte in sein verhärmtes Gesicht und nahm die vor Schmerz zuckenden Mundwinkel zur Kenntnis. Der Alte hatte sich nicht geschont und seinen behinderten Körper wohl überanstrengt. Doch Ansprechen und Wecken wollte sie ihn nicht mehr. So trat nach einem Unglückstag, kurz vor Mitternacht, Ruhe in der Hütte ein.

    2. Der Händler

    65 nach Christus - Frühjahr (14. Aprilis)

    Barbaricum - Im Land der Hermunduren zwischen dem Fluss Moenus und dem Herzynischen Wald

    Der Winter hatte sich verabschiedet, die erste Sonne des kommenden Sommers wärmte das Land.

    Das Dorf der jungen Sippe wuchs und die Gemeinschaft fand zueinander. Zuerst war es ein eher schüchternes Kennenlernen. Über die Arbeit beim Bau der Hütten, der Feldwirtschaft und auch der Tierpflege stellten sich Kontakte her, die sich verselbstständigten und erste Brücken schlugen. Die Mädchen und Knaben, die sich an der Arbeit aller beteiligten, hatten kaum Zeit, sich Vergnügungen zu widmen. Nach getanem Tageswerk herrschte oft nur Müdigkeit vor. Auch hinderten Schüchternheit und Berührungsängste ein normales Verständnis. Selten kam es unter ihnen zu Musik und Tanz.

    Es war der Jugend vorbehalten, die größten Schranken zu überwinden. Letztlich blieb es den frecheren und draufgängerischen Knaben vorbehalten, für erste Annäherungen zu sorgen. Kinder fanden sich nun einmal am Schnellsten.

    Deren Bemühungen, trotz aller Arbeit, unbeschwert und fröhlich in den Tag hinein zu leben, trieben seltsame Blüten. Die ‚Zwerge’ der Sippe ärgerten Ältere mit Schabernack. Gemeinsam begangene Streiche brachten nicht immer nur ein Lachen hervor. Mitunter waren Späße zu derb oder gefahrvoll. Traf dies zu, mussten die Unholde ihren Übermut ausbaden.

    Als Hüter von Recht und Ordnung stand es Brandolf zu, auch bei den ‚Zwergen’ einzuschreiten. So manches Mal war der Hüter gehalten, drastische Strafen zu verhängen. Dies schien vor allem bei den eigenen Zöglingen notwendig.

    Der größte Unruheherd für alle Mädchen war Notker. Den jüngeren Mädchen gegenüber war er zuweilen freundlich oder beachtete sie nicht. Aber alles was Älter als er selbst war und einen Rock trug, musste unter seinen ständigen Streichen und Frotzeleien leiden. Dabei hatte der Knabe nicht unbedingt Böses im Sinn. Helmar war oft sein Gefährte im Schabernack und nicht selten bekamen die Beiden auch die Ergebnisse ihrer Streiche zu spüren.

    Helmars Ritt auf einer tragenden Sau brachte alle zum Lachen. Die gehalfterte Sau, von deren Rücken aus nach allen Seiten hin fröhlich grüßend, mit einer Weidengerte durchs Dorf treibend, erkannten viele der Sippe als einen mutigen Streich an.

    Auch der Abwurf seitens der Sau, mit Helmars Landung in einer großen Pfütze, belustigte alle die, die den wenig würdevollen Abgang mit eigenen Augen verfolgen konnten.

    Nur bei seinem Vater fand dieser Spaß keine Anerkennung. Das die Sau trächtig war, verärgerte diesen so sehr, dass er dem Knaben eine Tracht Prügel verabreichte, die sich lästig auf dessen Sitzfleisch auswirkte.

    Helmar versicherte später, als er wieder sitzen konnte, die Sau hätte eingewilligt, von ihm geritten zu werden und brachte damit die Lacher wieder auf seine Seite. Dies verhalf ihm zu einem wenig anspruchsvollen und ihm unangenehmen Spitznahmen …

    Zu einem weiteren Schlingel drohte sich der Jüngste des Dorfes zu entwickeln. Uwo verhielt sich nicht anders, als sein großes Vorbild Notker. Nur waren vor ihm die jüngeren Mädchen nicht sicher. Ständig stritt und zankte er mit Herline und Wunna. Wenn es dann Tränen gab, griff sich Brandolf den Burschen und manchmal war es notwendig, den kleinen Wüstling zu züchtigen.

    Uwo war ein wenig wehleidig und so schrie er selbst bei kleinsten Strafen oft, als ginge es um sein Leben. Eine richtige Abreibung bekam er von Brandolf, als er Wunna, die Kleinste der Sippe, in den Bach stieß.

    Das Hochwasser riss das Mädchen fort und nur das schnelle Eingreifen von Notker rettete dem Kind das Leben. Dieses Mal ließ Brandolf den Knaben brüllen. Er verabreichte dem Burschen einen den Sitzmuskel längere Zeit lähmenden Tanz.

    Notkers Hauptziel für Streiche war Frauke und ein etwa 13-jähriges Mädchen, das mit den Umsiedlern von der Talwassersippe gekommen war.

    Roswitha, genannt Rosi, besaß blondes Haar, große, blaue Augen und ein ebenmäßiges schönes Gesicht. Sie war ein lustiges, fleißiges und zuverlässiges Kind, halt nur etwas schwatzhaft veranlagt. Im Begehren alles zu Wissen, überall mitzureden und nichts ohne eigenen Kommentar hinzunehmen, war Rosi ein ideales Ziel für die Streiche des Knaben.

    Zuerst blieb alles im Rahmen. Als er Rosi nachahmend, mit ihrem zweiten, zuvor aus der elterlichen Hütte gestohlenen Gewand und mit einem Häubchen auf dem Kopf bekleidet, nach allen Seiten hin schwatzend und tuschelnd, durch das Dorf zog, hatte er die Lacher auf seiner Seite. Bei einem späteren Streich Rosi in einen der Schweinekoben lockend und in den Mist stoßend, ging auch noch als Spaß durch. Ihre Verfolgungsjagd hinter ihm her durchs Dorf, wütend und voller Schweinescheiße mit einer Forke in der Hand, fand eben solche Anerkennung.

    Doch dann kam es dazu, dass der Knabe sie mit einem Baumstamm beim Hausbau fast erschlug. Er gab dem baumelnden Baumstamm einen Schwung. Dieser drehte sich in Richtung des Mädchens und stieß diese aus zwei Manneshöhen vom Dach, auf dem sie gerade Schindeln aufbrachte. Es war Glück, dass der Sturz auf die am Boden liegenden Schilfschindeln und somit glimpflich abging. Brandolf, der dies sah, griff sich den Burschen und so gab es eine richtige Züchtigung, die Notker nicht so schnell vergaß. Aber auch Rosi hatte eine Erfahrung machen müssen und ihre Schwatzhaftigkeit ließ merklich nach.

    Einige Zeit herrschte Ruhe, mit Ausnahme zwischen Notker und Frauke. Die beiden zankten und stritten sich ständig. Mal siegte das Mädchen und ein andermal der Knabe. Die Scherze, die Beide miteinander trieben, führten häufig zur Belustigung im ganzen Dorf.

    Es war Notker, der Frauke in der Dunkelheit mittels über den Kopf gezogenen Wolfsfells, in dem er sich wie ein Wolf bewegend auf sie stürzte, erschreckte. Schreiend rannte das Mädchen durchs Dorf und prallte, weil sie sich dauernd umsah, gegen den gerade ums Hütteneck biegenden Brandolf. Der Schwung holte beide von den Beinen und der angebliche Wolf entkam.

    Frauke griff sich dafür Notkers Beinkleid und schnitt im Schritt die Nähte auf. Als Notker sich bei der Arbeit am Hausbau bückte, war der von ihr beabsichtigte Moment der Offenbahrung gekommen. Im Beugen vernahm der Knabe, dass sich am Hintern ein Reißen, welches sein Hinterteil und seine noch recht bescheidene Männlichkeit bloß legte, bemerkbar machte. Nur rein zufällig waren, als Notker ‚blank’ zog, Frauke, Rosi und andere Mädchen aufgetaucht. Es blieb der Jüngsten vorbehalten, der Situation den krönenden Abschluss zu verleihen. Wunna verkündete laut und für alle vernehmlich: „Der Notker zeigt seinen blanken Arsch!"

    Das Kichern der Mädchen verfolgte den Knaben bis in den Schlaf und der Spott der anderen Burschen, ob seiner dürftigen Männlichkeit, kränkte ihn lange. So sann er denn auf Rache. Er musste es Frauke mit gleicher Münze heimzahlen.

    Diese erwünschte Gelegenheit ergab sich fast von selbst. Eine Gruppe von Männern und Knaben zog aus, um ein Waldstück zu roden. Auch Irvin und Notker waren unter den Helfern. An der Bachbiegung sahen die Männer zwei der Frauen beim Waschen von Kleidung und erkannten beim Näherkommen, dass es sich um die Mädchen Frauke und Gertrud handelte. Ein kurzer Blick zwischen Notker und Irvin genügte zur Verständigung und schon begann der nächste Streich. Notker verließ die Gruppe und schlich sich an den Büschen entlang in Richtung der Waschstelle.

    Die Mädchen schwatzten miteinander, lachten und bearbeiteten die nasse Wäsche mit Fäusten, bevor sie die Leinenkittel ins Wasser tunkten und dann auswrangen.

    Irvin trennte sich von seiner Kolonne und erreichte die Beiden. „Einen wunderbaren Morgen den Schönen unseres Dorfes!" begrüßte er sie und lenkte beide fleißige Mädchen ab. Irvin, ihre Aufmerksamkeit zuwendend, drehten sie dem versteckten Notker den Rücken zu.

    Misstrauisch den Jungmann beäugend, fragte Frauke: „Irvin, was heckst du wieder aus, wenn du uns so freundlich grüßt? und fügte noch an: „Ich trau dir nicht, Bursche… Dabei sah sie die Freundin an.

    Unglücklicherweise standen beide Mädchen mit dem Rücken zum Bach, nur einen Schritt vom Bachufer entfernt, als hinter ihnen ein großer Stein im Wasser landete und sie mittels Wasserfontäne im Rücken durchnässte.

    Zuerst kam als Quittung des wässrigen Überfalls ein „Huch!"

    Noch hatten beide Mädchen eine lange, ausgewrungene Decke in ihren Händen. Dann folgte ein Befehl Gertruds: „Lass los!", was Frauke umgehend zum Freigeben der Decke veranlasste. Gertrud holte mit diesem Gegenstand über ihrem Kopf Schwung und knallte das Ende der Decke in Irvins Kniekehlen, wo es sich um seine Beine schlang. Ein Ruck an der Decke und Irvin landete schmerzhaft auf dem verlängerten Rücken.

    Im gleichen Moment drehten sich beide Mädchen um und suchten mit ihren Blicken den Unhold, der den Stein ins Wasser warf. Sie fanden ihn unweit vom Ufer, nur wenige Schritte entfernt, sich vor Lachen biegend. Sich mit einem Blick verständigend, fassten sie ihren Waschzuber und stürmten auf den Knaben los. Der sah seine Unachtsamkeit mit einem Bad im Bach belohnt.

    Der Zuber hatte ihn in Bauchhöhe erfasst und vom Schwung der Mädchen getragen, landete der Knabe mit dem Hintern im Wasser.

    Jetzt war die Freude allgemein. Irvin, zuvor betroffen fluchend, lachte über Notkers Sitzen im Bach. Die Männer von Ulfs Kolonne schlossen sich Irvins Heiterkeit an. Auch die Mädchen fanden, Notkers Sitzhaltung, mit Hintern, Händen und Füßen, abgestützt im kühlen Nass, äußerst gelungen.

    Lachend, prustend, zum Teil sich auf die Schenkel klopfend, amüsierte sich die ganze Kolonne über Notkers Haltung und dessen bedeppertes Gesicht. Die Heiterkeit hielt an, bis Ulf letztlich mahnte, dass ihr Tagwerk noch vor ihnen läge und sie sich den ganzen Tag dieses Ereignisses erfreuen könnten.

    „Notker, nun hebe deinen Arsch aus dem Wasser und nicht das du denkst, du könntest dich erst mal zum Trocknen zurückziehen. Los Bursche, folge mir!" Die Kolonne zog aus dem Dorf.

    Die Mädchen nahmen ihren Zuber mit der gewaschenen Wäsche auf und entfernten sich in die entgegengesetzte Richtung. Lachend kamen beide an Degenars Hütte an, stellten den Zuber ab und trafen auf Bertrun.

    „Was hat euch so belustigt und warum seid ihr im Rücken so nass?"

    „Och, nichts… erwiderte Gertrud und Frauke ergänzte „Notker gönnte uns ein Bad. Da haben wir ihm halt seine Eier im Bach abgekühlt… Lachend verschwanden die Mädchen in der Hütte. Kurz darauf tauchten sie, etwas trockener, bald darauf wieder auf, schnappten sich den Zuber und liefen zu einer anderen Stelle am Bachufer, um die Wäsche zum Trocknen im Gras auszubreiten.

    Die Zeit verging,

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