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Ainias Geheimnis: Band 1 - Ein Themiskyra-Roman
Ainias Geheimnis: Band 1 - Ein Themiskyra-Roman
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eBook340 Seiten4 Stunden

Ainias Geheimnis: Band 1 - Ein Themiskyra-Roman

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Über dieses E-Book

"Plötzlich … war da greifbares Glück. Freude. Hoffnung. Vielleicht hatte das Leben doch noch mehr für mich auf Lager als lebenslänglich Themiskyra." Fernab der modernen Gesellschaft, verborgen von dichten, grünen Wäldern liegt Themiskyra, eine Stadt von Frauen, die schon seit Jahrtausenden harmonisch und im Einklang mit der Natur leben: Die Amazonen. Doch der Alltag in Themiskyra ist nicht immer leicht. Die Unabhängigkeit der weltfernen Amazonensiedlung bringt viele Entbehrungen mit sich, und das Leben dort langweilt die 17-jährige Ainia. Viel lieber reitet sie in die nahe Kleinstadt, wo sie schließlich auf den charmanten Kassian trifft, der ihr eine Welt voller Luxus und Glamour zeigt. Im Geheimen setzen sie ihre Treffen fort, denn den Frauen von Themiskyra ist es verboten, sich zu verlieben. Als unerwartet ein kleines Vermögen in Ainias Besitz gelangt, ahnt sie nichts von den schicksalhaften Konsequenzen und dem Unheil, das der Reichtum mit sich bringt. Schon bald muss sie eine Entscheidung treffen, die ihr Leben verändern wird - das möglicherweise mehr für sie bereithält, als sie sich jemals erhofft hatte …
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Okt. 2018
ISBN9783746938981
Ainias Geheimnis: Band 1 - Ein Themiskyra-Roman

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    Buchvorschau

    Ainias Geheimnis - Dani Aquitaine

    KAPITEL 1

    Ich starrte angestrengt in den kleinen Spiegel, der über dem Regal mit den Kosmetikprodukten angebracht war. Beobachtete. Rechts von mir Abschminktücher und Wattepads, davor ein vielleicht siebenjähriges Mädchen in rosa Kleidung, das ganz in den Anblick der ebenfalls rosafarbenen Sonderangebote im untersten Fach vertieft war. Harmlos.

    Links von mir: Eine alte Dame mit weißer Pudelfrisur, die mit zusammengekniffenen Augen und langgestrecktem Arm die Inhaltsstoffe auf einem Röhrchen mit Gebissreinigungstabletten studierte. Harmlos.

    Und geradeaus: Ich. 17 Jahre, karamellfarbene Haut, grüne Augen, schwarze Locken, den Tester eines dunkelgrünen Eyeliners auf Augenhöhe in meiner Hand. Nicht, dass mir wirklich etwas daran lag, den Stift auszuprobieren – nein, ich wollte nur meine Umgebung im Auge behalten. Kontrollierte sie ein letztes Mal. Die Luft war rein.

    Ich atmete tief ein, roch Seife, Waschmittel, Bohnerwachs. Rein. Mein Herz klopfte stärker, und obwohl mir Nervosität durch den Körper fuhr, ließ ich ganz langsam, ganz unauffällig einen dunkelroten Lippenstift im Wert von 14,99 Talern im Ärmel verschwinden. Nichts geschah. Keine Sirenen ertönten, niemand kam auf mich zugestürzt. Mein Puls beruhigte sich. Ich linste zu den Lidschatten, hätte gerne noch etwas eingesteckt, doch dann hörte ich draußen die Turmuhr viermal schlagen. Entschieden legte ich den Eyeliner zurück und drehte mich in Richtung Ausgang um, stolperte – und verschwand in einer riesigen, diamantstaubig-funkelnden Glitzerwolke.

    „He!, sagte das kleine Mädchen, und: „Wow!

    Wow, in der Tat. Starr vor Entsetzen beobachtete ich, wie sich die Glitzerpartikelchen langsam legten. Sie legten sich auf den Boden und auf das Mädchen, das ich wohl übersehen und umgerannt hatte und das nun mit einer geöffneten, leeren Glitzerpuder-Dose auf dem Boden saß. Die Diamantwolke legte sich auf meine Haare, meinen schwarzen Trenchcoat, meine Lederhose, meine Stiefel. Auf meine Hände, mein Gesicht, meine Wimpern, meine Augenbrauen.

    Überall. Glitzer. Ich schnappte nach Luft, atmete Glitzer. Hustete. Spürte leichte Panik in mir aufsteigen, während ich versuchte, mir den Puder von der Kleidung zu klopfen. Vergebens. Das kleine, mit Diamantstaub überrieselte Mädchen blickte mich immer noch wie vom Donner gerührt an, verteilte Glitzerwölkchen mit jedem staunenden Wimpernschlag. Also wirklich. Drei Dinge kann ich ehrlich gesagt nicht besonders leiden. Hohe Höhen, tiefe Tiefen und Kinder. Und dass nun jemand aus der letzten Kategorie an meiner Misere schuld war, stimmte mich nicht gerade gewogen.

    Warum ich wegen ein bisschen Regenbogenstaub nahe dran war, die Nerven zu verlieren? Weil ich meinen Schwestern nie würde erklären können, weshalb ich so funkelte. Nicht mal, was ich in Goldvelt zu suchen gehabt hatte. Und natürlich am allerwenigsten, dass ich eine meisterliche Diebin von allerlei Kleinzeug geworden war.

    Aber, ganz ehrlich – was hatte ich schon für eine Wahl? Ich besaß kein Geld, um mir etwas zu kaufen. Arbeiten durfte ich nicht, nur für Themiskyra, die steinalte Amazonenstadt, die, was Komfort und Technik betraf, größtenteils im Mittelalter feststeckte und sich seit Jahr und Tag selbst versorgte, unabhängig und unbeachtet von Wirtschaft, Ämtern, Regierungen, Grenzen und generell allen anderen Menschen auf der Welt, von den Schwestern in anderen Gemeinschaften abgesehen.

    In einem solchen System fließt natürlich kein Geld, alles läuft lediglich mit Tausch und Dankbarkeit. Taler sind da überflüssig. Nur ich war nie flüssig. Und ich war mir sicher: Läden wie die BeautyBase waren gut versichert. Denen konnte ich mal gar nichts anhaben mit meinem wöchentlichen Lippenstiftklau. Mein Gewissen war rein. Doch das Glitzerdesaster, in dem ich nun steckte, war wirklich eine Katastrophe. Mit Mühe löste ich mich aus meiner funkelnden Erstarrung, flüsterte dem Mädchen ein halbherziges „Entschuldigung!" zu und eilte in Richtung Ausgang.

    Kurz vor den Kassen verlangsamte ich meine Schritte nochmal, um nicht aufzufallen, sobald ich jedoch wieder in der Fußgängerzone und außer Sichtweite der Schaufenster war, stopfte ich den gestohlenen Lippenstift in meine Jackentasche und begann zu rennen. Ich lief durch die Straßen der Kleinstadt, bis ich das Ortsschild an der südlichen Stadtgrenze passiert hatte und bei der Wiese ankam, auf der ich meinen Wallach Xanthos zurückgelassen hatte, einen braven Fuchs, der immer auf mich wartete und auf einen Pfiff hin zu mir trabte. Kurz danach saß ich im Sattel und verfluchte mich selbst. Warum hatte ich das kleine Mädchen nur übersehen? Und warum musste es ausgerechnet Glitzerpuder sein? Und warum hatte ich mich nicht im Griff? Warum ließ ich das elende Stehlen nicht einfach?

    Doch ich wusste, dass ich das nicht konnte. Der graue, mühselige Alltag in Themiskyra ganz ohne die Vorfreude auf meinen Samstag, auf den Nervenkitzel, auf meine Dinge, war einfach unvorstellbar für mich. So hätte ich nicht leben können.

    Mein Versteck befand sich in den dichten Wäldern, die die Amazonensiedlung schützend umgaben und wie ein grüner Schutzwall von der Außenwelt abzuschirmen schienen. Ich quetschte mich durch einen Spalt in der Rinde einer dicken, uralten Esche, schlüpfte in ihren teils hohlen Stamm und tastete zuerst nach meiner Taschenlampe, dann nach einer der Holzkisten, die ich auf einem schmalen Regalboden in Kopfhöhe verstaut hatte.

    Obwohl ich wusste, dass mir ihr Inhalt nicht helfen konnte, öffnete ich sie und besah mir meinen Schatz, meine Döschen und Flakons, Lidschatten, Wimperntusche, Ringe und Ketten. Ich brauchte nichts von dem Zeug. Aber irgendwie konnte ich nicht anders. Die Dinge riefen mich, zogen mich an, zogen mich zu sich, ließen mir keine Ruhe, bis sie mein waren. Und wenn ich dann nach einem Raubzug mit all meinen Schätzen hier im Versteck saß und sie bewunderte, wurde mein Herz ganz warm und friedlich. Ihr Anblick beruhigte mich – normalerweise.

    Ich seufzte. Das Einzige, was sich jetzt womöglich als nützlich erweisen könnte, war ein hellrot changierender Schal, der sich zwischen Modeschmuck und Schminke durch die Box wand.

    „Okay, Ainia, nachdenken." Die Kleidung war ein Problem. Mein Gesicht und die Hand, die ich nicht im Ärmel verborgen gehabt hatte, waren ein Problem. Und meine Haare waren ein Riesenproblem.

    Meine Urgroßmutter – die Göttin möge ihre Seele sorgsam in ihren Händen halten – meine geliebte Bisabuela, selbst mit einer schneeweißen, langen Mähne ausgestattet, die zu ihrer kakaobraunen Haut einen starken Kontrast bildete, und die sie in vielen mit Perlen und Federn geschmückten Zöpfen im Zaum hielt – sie hatte mir als Kind gesagt: „Wenn du dir die Haare schneidest, schneidest du dir die Freiheit ab. Lass wachsen, was wachsen soll. Die Natur hat das schon richtig eingerichtet."

    Die Natur hatte wohl nicht mit Glitzerpuder gerechnet, der nun hartnäckig in meinen meterlangen Locken festhing. Nach kurzem Hadern packte ich die Sachen bis auf den Schal wieder weg und marschierte zum Bach. Angeblich war Frühling, fast Sommer schon, aber es hatte die letzten Tage geregnet und das Wasser höchstens 16 Grad. Sorgsam stapelte ich meine Kleidung am Ufer und stieg mit einiger Überwindung ins frostige Nass.

    „Was die hier Hama nennen!, murmelte ich erbost, während ich frierend über die Kieselsteine balancierte. „Und was die hier Bach nennen! Ich lebte schon seit Jahren hier, aber meine Kindheit in der feuchten Hitze an den Flüssen hatte mich geprägt. „Ach was soll’s."

    Ich tauchte unter, wusch mein Gesicht und meine Haare aus, immer wieder, so lange, bis ich das Gefühl hatte, jede weitere Sekunde in der Eiseskälte würde mich umbringen. Japsend stieg ich wieder an Land und trocknete mich mit dem Schal notdürftig ab. Meine Lederhose und mein Shirt wendete ich von innen nach außen; mit etwas Glück würde niemand die Nähte bemerken. Dann … die Stiefel. Meine schicken Glitzerstiefel. Bedauernd rieb ich sie mit Schlamm ein, vertrieb das überirdische Funkeln vom groben Leder. Den Trenchcoat brachte ich zurück zur Esche und warf mir stattdessen meinen dunklen Wildlederumhang über. Keine Trenchcoats in Themiskyra. Das wäre ja auch zu cool gewesen. Erschöpft und bibbernd trat ich wieder aus dem Baumversteck und sah an mir herab.

    „Gar nicht so schlecht." Ich schöpfte Hoffnung. Wenn ich mich beeilte und mich zu Hause sofort wieder umzog, würde keine meinen seltsamen Aufzug bemerken.

    „Warum hast du deine Hose falsch rum an?, ertönte plötzlich eine junge Stimme hinter mir und meine Hoffnung zerfiel. „Was ist mit deinen Stiefeln passiert? Und warum hast du so nasse Haare?

    Ich wirbelte herum. Vor mir stand ein sehniges, elfjähriges Mädchen in hirschlederner Amazonenkluft, mit schulterlangen, hellbraunen Haaren, einem impertinenten Ausdruck im Gesicht und einem Apfelschimmel am Zügel.

    „Polly", knurrte ich. Wer auch sonst! Kleine, lästige Schnüffelnase. Und zu allem Überfluss die Tochter der Chefin. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu sammeln.

    Gegenfrage, dachte ich. „Was hast du hier zu suchen!?"

    „Spinnst du? Ich suche dich seit zwei Stunden! Glaubst du, ich mache wieder den ganzen Küchendienst alleine?!"

    „Verdammt. Der Küchendienst." Unser Strafdienst, den Polly aufgebrummt bekommen hatte, weil sie nie ihr Zimmer aufräumte, und ich, weil ich, na ja, immer zu spät zum regulären Küchendienst gekommen war, als ich meinen Arbeitsmonat in der Großküche Themiskyras absolviert hatte.

    Ich bemühte mich um eine versöhnliche Miene. „Entschuldige, habe ich ganz vergessen. Reite schon mal zurück, ich komme gleich nach."

    „Ja, von wegen! Polly stemmte die Hände in die schmalen Hüften. „Die letzten drei Samstage habe ich quasi im Alleingang Kartoffeln geschält, Besteck poliert und Böden geschrubbt! Ich hab so was von was gut bei dir! Ehe ich diesen letzten Satz entschlüsseln konnte, bohrte sie erneut: „Und warum hast du deine Hose falsch rum an?"

    Ich dachte nach. Mit Mord würde ich nicht durchkommen. Nicht bei der Diadoka. „Meine Hose ist dreckig geworden und ich dachte, so würde es weniger auffallen."

    Polly sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Amazonen schufteten in Ställen, Schmieden und auf Feldern, ritten durch Wälder, gingen auf die Jagd – und wurden dabei eben bisweilen schmutzig. Kein Grund zum Hosenwenden.

    „Ich bin vom Pferd gefallen, ok? Das ist mir peinlich. Deswegen."

    Jetzt nickte sie langsam. „Verstehe. Ich erzähle nichts. Aber deine Haare –"

    „Ich habe sie im Bach gewaschen, da sind pflegende Substanzen und wertvolle Mineralien aus den Bergen drin." Den Wortlaut lieh ich mir vom Etikett eines Shampoos, das in meiner Kiste lag und traurigerweise nie Verwendung finden würde.

    Die kleine Kröte mit ihren freiheitsberaubten Zauselhaaren sah mich nur skeptisch an. Dann wanderte ihr Blick weiter. „Boah, ist der Baum da hohl?!"

    „Nein, und jetzt mach dich vom Acker." Ich zeigte energisch nach Osten.

    „Nur zusammen mit dir!"

    „Ich kann nicht, ich brauche noch eine Lösung für mein Hosenproblem."

    „Ich bringe dir eine Hose."

    Ich sah sie misstrauisch an. „Echt?"

    „Echt. Logo. Kein Problem."

    Irgendetwas war faul. „Warum?"

    „Weil wir Freundinnen sind", verkündete sie strahlend.

    Ich schnaubte nur.

    Jetzt wurde ihre Miene listig. „Na gut, weil du mir dafür ein halbes Jahr lang die Schuhe putzt."

    Ich schnappte nach Luft. „Ein halbes Jahr?! Das ist ja … Wucher!"

    „Und den Tischdienst für mich übernimmst."

    „Du spinnst."

    „Keineswegs."

    Wucher und Spinnerei hin oder her – Pollys Angebot war zu verlockend. Also trat ich auf sie zu, sah ihr, so böse ich konnte, in die Augen und zischte: „Abgemacht. Ein halbes Jahr Schuhe und Tische. Aber dafür bringst du mir noch einen Pulli mit." Ich war nämlich immer noch am Erfrieren.

    Sie verschmälerte unbeeindruckt die Augen, schien meine Ehrlichkeit zu prüfen. „Gut. Warte hier."

    Themiskyra. Einst eine stolze Burg voll wehrhafter Frauen in Kleinasien, heute ein stillgelegtes Heizkraftwerk mit gerade mal 65 Amazonen.

    Kriege, Naturkatastrophen, Industrialisierung und zuletzt die wachsenden Großstädte zwangen die Amazonen immer wieder, ihre Standorte zu verlegen, um weiterhin fernab der anderen Menschen und im Einklang mit der Natur leben zu können; und so hatten sie im Laufe der letzten sechs Jahrtausende diverse Paläste und Wehranlagen, Gehöfte und Residenzen bewohnt. Das derzeitige Domizil war definitiv ein Abstieg, wenn ich es mit den bisherigen verglich, die ich aus den alten Folianten kannte. Dennoch verliehen ihm die drei Schornsteine eine gewisse Würde, wie ich zugeben musste, als wir schweigend auf den großen, mit einer hohen Mauer umgrenzten Komplex mit all seinen Gebäuden, Produktionsstätten und Pferdestallungen zuritten. Genau genommen war er auch nur ein Teil Themiskyras, zu dem außerdem riesige Ländereien und weitere Ställe, die Gerberei, die Kläranlage und die Falknerei außerhalb der Stadtmauer gehörten. Das einzig halbwegs Neuzeitliche war das große Solarfeld vor der Stadt, durch das Warmwasser und Strom erzeugt wurden. Der war jedoch dem Betrieb der wichtigsten Gerätschaften wie Landmaschinen und Kühlschränken vorbehalten.

    Die beiden mit Speeren bewaffneten Frauen, die das Tor in der gut fünf Meter hohen Stahlmauer bewachten, nickten uns nur zu und schienen glücklicherweise keine Notiz von meinen nassen Haaren zu nehmen, genauso wenig wie die paar Amazonen, die derzeit im Innenhof zwischen den schmucklosen Bauten unterwegs waren. In unserem immensen, aber dank der vielen Dachfenster lichten Stallkomplex angekommen, drückte ich die Zügel meines Aspa einfach einem der Stallburschen in die Hände, einem langen, unpassend arrogant wirkenden Kerl mit dunklen Haaren und schwarzen Augen, der etwa in meinem Alter sein mochte.

    „Das darfst du nicht, belehrte mich Polly, die schon am Absatteln war, „du musst dich selbst kümmern.

    „Ich habe keine Zeit, mich selbst zu kümmern, gab ich wütend zurück. Ich musste mich wieder halbwegs herstellen, vor allem meine Haare, bevor ich mich dem elenden Küchendienst widmen konnte. Knapp nickte ich dem Stallburschen zu. „Na los. Ich mache mein Recht auf Eiligkeit geltend.

    So etwas gab es nicht wirklich; das Stallpersonal hatte nur der Paiti, also unserer Anführerin Atalante zur Hand zu gehen, und wenn es aus strategischen Gründen mal wirklich schnell gehen musste. Bei knapp hundert Pferden hätte das auch gar nicht anders funktioniert. Aber mit solchen Details konnte ich mich jetzt nicht aufhalten. Widerwillig kam der Typ in Gang, nicht ohne mir noch einen zutiefst verächtlichen Blick zuzuwerfen.

    Meiner Meinung nach beging die unbeugsame Atalante einen Fehler, indem sie auch Männer für uns arbeiten ließ. Die Paiti berief sich, wie auch ihre beiden Vorgängerinnen, auf die antike Vorgehensweise, gemäß der in Themiskyra nicht nur Frauen gelebt hätten. Amazonensöhne hätten damals als Sklaven gedient, anstatt, wie inzwischen üblich, zu ihren Vätern zurückgeschickt zu werden. Das mochte ja noch angehen, aber die Handvoll ’Shimet, die nun für die Amazonen arbeiteten, waren nicht verwandt, sondern aus eigenem Willen hier – und mir deshalb definitiv suspekt. Wer sollte sich schon freiwillig im hinterletzten Kaff für lediglich Kost und Logis abschuften?

    Diese dahergelaufenen Exemplare machten doch wirklich nichts als Ärger und ließen es deutlich an Respekt fehlen. Im Augenwinkel sah ich, wie der Stallbursche irritiert seine Hände anstarrte, nachdem er meinen Sattelknauf angefasst hatte. Restglitzer, keine Frage. Ich gab Fersengeld.

    Mein Plan, mich eiligst und unbemerkt in die Kardia, also das Hauptgebäude mit unseren Wohn- und Schlafräumen, zu schleichen, scheiterte. Das wurde mir klar, sobald ich aus dem Stall auf den Hof hinaustrat und das Geschrei vernahm, das aus dem kleinen Klinikgebäude ertönte. Wir waren ein Haufen Frauen – klar, dass es da auch mal Ärger gab. Doch diese Laute klangen nicht nach einem Streit um vernachlässigte Pflichten oder einen ungefragt entliehenen Pfeilköcher, es waren die Schreie höchster Verzweiflung. In kürzester Zeit hatte sich eine Traube schaulustiger Amazonen von fünf bis fünfundneunzig Jahren um den Eingang versammelt, alle in der traditionellen, langweiligen Kleidung aus Hirschleder, Wolle und Leinen. Auch meine Neugier zog mich wider besseren Wissens zu dem Auflauf.

    „Lasst mich los! Lasst mich los, verdammt!!! Bitte, bei Artemis, Deianeira, lass mich erklären –" Von zwei Wächterinnen wurde gerade eine junge Frau herauseskortiert, deren eigentlich fein geschnittenes, hübsches Gesicht völlig verzerrt war. Sie war es, die so nachdrücklich flehte und fluchte. Statt der üblichen, weiten Wolltunika trug sie lediglich ein Unterhemd und sie gebärdete sich so wild, dass ihr langer blonder Zopf durch die Luft peitschte.

    Polly tauchte an meiner Seite auf und begann, neben mir auf und ab zu hüpfen, im Versuch, die Köpfe der Frauen vor uns zu überblicken.

    „Was ist passiert?"

    „Stella wurde festgenommen", berichtete ich verständnislos.

    Mit meinen 1,76 Metern sah ich leicht über die meisten der aufgeregt tuschelnden Frauen hinweg. Ich erkannte die tobende Amazone sofort, schließlich hatte ich vor wenigen Monden meinen Nachmittagsdienst in der Weberei versehen, der sie vorstand. Die Arbeit mit ihr hatte Spaß gemacht und die Zeit war mit Stellas verrückten Geschichten und Anekdoten wie im Fluge vergangen, was mir nur selten so vorkam. Es war mir ein Rätsel, was geschehen sein mochte, denn Stella war bei allen beliebt und immer fröhlich. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade von Tawia und Johanna abgeführt wurde.

    „Warum?", rief Polly aus.

    Keine Ahnung, wollte ich sagen, da bemerkte ich die Schwellung unter Stellas weißem Hemd, bemerkte die Ärztin Deianeira, die hinter ihr aus dem Krankenhaus getreten war und sie mit grimmiger Miene im Auge behielt.

    „Oh", brachte ich hervor.

    „Was? Was?"

    Ich blickte auf Polly herab und rang leicht genervt um eine Formulierung. „Es sieht so aus, als habe sie sich unerlaubt fortgepflanzt."

    „Was? Was?"

    „Sie ist schwanger."

    „Jetzt noch? Das geht doch gar nicht."

    Ich sah mich nicht in der Pflicht, die Kleine aufzuklären, also wirklich nicht. Unübersehbare Tatsache war: Stella hatte sich mit einem ’Shim eingelassen, entgegen Atalantes Regeln, entgegen den Gesetzen unserer Göttin Artemis, entgegen der äonenalten Traditionen der Amazonen, denen zufolge ausschließlich ausgewählte Frauen ausschließlich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, nämlich der Sonnenfeier am längsten Tag des Jahres, ausschließlich zu ausgewählten Männern aus ausgewählten Clans gesandt wurden, um Nachwuchs zu zeugen. Demnach kamen unsere Amazonenkinder immer im Flieder- oder Blütenmond zur Welt, und auch, wenn Stella sich gut gehalten haben mochte, würde dieses Kind nicht vor dem siebten, dem Feuermond das Licht der Welt erblicken. Offenbar war es ihr gelungen, diese Tatsache bis vor Kurzem noch unter losen Gewändern zu verbergen, doch die Ärztin schien sie überführt zu haben.

    Dumme, dumme Stella.

    Das Mitleid, das ich ihres Elends wegen eben noch empfunden hatte, schwand merklich. Ich begriff nicht, wie sie so unbesonnen sein konnte, und vor allem, warum. Und, ganz ehrlich, ich fühlte auch Ekel in mir aufsteigen bei der Vorstellung, was Stella getan haben musste. Ich hielt mich ja auch nicht an alle Regeln, aber so was war … undenkbar, unfassbar dämlich und daneben.

    Ich besann mich wieder auf Polly. „Das geht. Lass es dir von Atalante erklären."

    Wie aufs Stichwort teilte sich die raunende Menge, um sie durchzulassen. Die Paiti war nicht besonders groß, aber sie war mächtig. Und damit meine ich nicht nur die Macht, die sie als Herrscherin der Amazonen in diesem Land de facto innehatte, sondern die Ehrfurcht gebietende Aura, die sie umgab – und der jeder gerne entkommen wollte, dem Atalante nicht so wohlgesonnen war.

    Im Augenblick war sie definitiv nicht wohlgesonnen.

    Ihre vollen, dunklen Haare, die sie im Gegensatz zu den meisten anderen Amazonen wie immer offen trug, wallten hinter ihr her, genau wie die lange, türkisfarbene Tunika, die an der Taille von dem goldenen Gürtel zusammengehalten wurde, der seit Jahrtausenden als Herrschaftszeichen der Paiti Themiskyras gilt.

    Hoch aufgerichtet kam sie vor Stella zum Stehen. Schlagartig verstummte das Protestgeheul der Schwangeren und sie schlug die Augen nieder. Atalante nickte den Wächterinnen zu, und sowie sie Stella losließen, warf sich diese vor der Paiti auf den Boden.

    „Atalante, verzeih mir! Du musst wissen, ich –"

    „Schweig. Kannst Du mir sagen, was genau hier passiert ist, Deianeira?"

    Die Ärztin trat vor. Sie trug einen weißen Kittel über ihrem hellen Leinengewand und die rotblonden Haare zu einem strengen Knoten aufgetürmt. „Stella hat vorhin beim Bogenturnier einen Kreislaufkollaps erlitten. Ich nahm sie mit in die Klinik, um sie zu versorgen und zu untersuchen und …, sie zögerte, war sichtlich unangenehm berührt, „und stellte eine Schwangerschaft in der 28. Woche fest.

    Atalante wandte sich wieder an Stella. „Sag mir, hast du dich aus freiem Willen mit einem Mashim eingelassen oder hat er sich dir aufgezwungen? Überlege dir deine Antwort gut, denn wir werden keine Gnade walten lassen gegenüber dem, der sich an unseren Schwestern vergeht."

    Mach schon, dachte ich und biss auf meiner Lippe herum, sag, du seist im Wald überfallen worden, sag, du hast keine Ahnung, was passiert ist, sag –

    Aber Stella zögerte, und das sagte im Grunde schon alles. Sie hätte den Kindsvater opfern und sich damit retten können, doch offensichtlich kam das nicht infrage. „Freiwillig. Ich … Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern, und alle schienen kollektiv den Atem anzuhalten, um jede Silbe verstehen zu können. „Es geschah aus Liebe.

    Sie appellierte an Atalantes Mitgefühl, und das zu meiner Überraschung mit gewissem Erfolg. Im Blick der Paiti erkannte ich mehr Milde, als ich erwartet hätte. Sie ließ sich in die Hocke nieder und hob mit ihrer Hand das Kinn der Schuldigen an, um sie genau betrachten zu können. Stella hielt ihrem Blick stand, aber ich konnte sehen, dass sich neue Tränen in ihren Augen sammelten. Dann ließ Atalante die Hand sinken und seufzte.

    „Töricht. Du hast dich schuldig gemacht, hast die Gesetze unserer Gemeinschaft gebrochen und, schlimmer noch, unsere Göttin missachtet."

    „Nein. Nein. Nein, stammelte Stella immer wieder. „Bitte verbann mich nicht. Sie wurde laut, hysterisch, kopflos. „Ich tu alles, was du willst, aber lass mich hierbleiben. Bitte."

    Die Paiti wich ein wenig zurück.

    „Atalante, ich flehe dich an. Ich kann nicht weg. Nicht …, sie wies hilflos auf ihren Bauch, „… so! Da schien ihr eine Idee zu kommen. Panisch klammerte sie sich am Saum von Atalantes Tunika fest. „Lass es Deianeira wegmachen. Schneidet es raus. Macht es ungeschehen. Aber lass mich hierbleiben. Bitte. Ich bereue. Bitte!" Jetzt kreischte sie wieder.

    Atalante stand ruckartig auf und entriss ihr dabei den Stoff. Jegliches Wohlwollen war aus ihrer Miene gewichen, im Gegenteil – sie betrachtete Stella voll fassungsloser Abscheu. „Wie kannst du es über dich bringen, so zu sprechen. Jedes Kind ist ein Geschenk der liebenden Muttergöttin Artemis. Hier jedoch ist es nicht erwünscht, genauso wenig wie du. Sie hob ihr Kinn und ließ so deutlich verlauten, dass jede rundum es vernehmen konnte: „Hiermit verbanne ich dich, Stella, aus Themiskyra, der Stadt, und von den zugehörigen Ländereien, und zwar ab sofort und aufgrund der Schwere deines Vergehens und deiner inakzeptablen moralischen Haltung ohne weitere Anhörung. Missachtest du dieses Gebot, gnade dir Artemis. Wir werden es nicht tun.

    „Oje", flüsterte Polly unglücklich.

    Damit wandte sich Atalante abrupt zum Gehen, und die Frauen hatten Mühe, ihr schnell genug Platz zu machen. Es war klar zu erkennen, wie geladen sie war.

    Stella heulte auf. Ich konnte ihr Entsetzen wirklich verstehen. Verbannt, ohne jegliches soziales Netz, ohne Taler, ohne Habe, ohne Bleibe, dafür mit unerwünschtem Nachwuchs im Bauch – ganz ehrlich: Ich hätte mich selbst gerichtet an ihrer Stelle.

    Sie war wieder zusammengebrochen, umarmte klagend ihre Schultern, ihren Bauch, die Erde ihrer Heimat. Im Gegensatz zu den anderen stillen und schreckstarren Amazonen wäre ich gerne zu ihr gegangen und hätte mich verabschiedet, aber Tawia und Johanna hatten Stella bereits hochgerissen und bugsierten sie in Richtung Tor. In dem Moment bemerkte ich in der Menge mir gegenüber plötzlich Myrto, die Oberköchin, die mir mit einer finsteren Geste klar machte, dass sie mich im Blick hatte – und auch mir mächtiger Ärger drohte.

    Ich tauchte schnell in der Menschenmasse ab, sah zu, dass ich vor Myrto in der Küche und am Kartoffelschälen war, was sie jedoch nicht daran hinderte, mich zur Schnecke zu machen.

    „Drei Stunden!, tobte sie. Myrto war eine massive Mittvierzigerin mit großen, zupackenden Händen, die ihre aufwendige Flechtfrisur unter einer weißen Haube verbarg, ihre stets schlechte Laune hingegen immer zur Schau trug. „Seit drei Stunden warte ich auf euch! Faules Pack!

    Ich

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