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TRAU KEINEM, DER DEIN BESTES WILL!: EMOTIONALE ERPRESSUNG erkennen — durchschauen — beenden
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eBook344 Seiten4 Stunden

TRAU KEINEM, DER DEIN BESTES WILL!: EMOTIONALE ERPRESSUNG erkennen — durchschauen — beenden

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Über dieses E-Book

»Trau keinem, der dein Bestes will!« Mit einer gezielten Provokation führt die Autorin Dörte Thieme ihre Leser direkt in das komplexe Thema der emotionalen Erpressung ein. Im Mittelpunkt ihrer Suche nach den Ursachen dieses gesellschaftlichen Phänomens steht der Erwachsene als Opfer. Woher kommt seine Bereitschaft, sich diesem seelischen Gewaltakt zur Verfügung zu stellen? Warum zerplatzen seine guten Vorsätze unter emotionalem Druck stets wie Seifenblasen? Wie kann er seine Opferrolle beenden?
Antworten gibt die Neurowissenschaft: Prägende Ereignisse in der Kindheit haben ihre Spuren im emotionalen Erfahrungsgedächtnis hin-terlassen. Hier im Verborgenen liegt die Auflösung für manches Rätsel.
Akribisch wird die emotionale Erpressung analysiert und als ein durch Erziehung geprägtes Rollenspiel enttarnt - geändert haben sich nur die Zeit, die Umstände und die handelnden Personen.
Überarbeitete und erweiterte Auflage.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Nov. 2014
ISBN9783732313617
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    Buchvorschau

    TRAU KEINEM, DER DEIN BESTES WILL! - Dörte Thieme

    Am Anfang war Erziehung

    Gefühle verschwinden nicht

    Ob wir es wollen oder nicht: Mit den prägenden emotionalen Erfahrungen, die wir als Kind gemacht haben, leben wir noch als Erwachsene. Neuro-Wissenschaftler¹ konnten nachweisen, dass es vor allem die Emotionen sind, die unsere Erlebnisse als Erfahrungen in uns verankern. Auch wenn das Erlebnis selbst kaum oder gar nicht erinnert wird: die starken Gefühls-Reaktionen, die es einmal ausgelöst hat, verschwinden nicht; ohne erkennbare Verbindung zu dem Ereignis existieren sie weiter. Viel später sind sie in bestimmten Momenten offenbar immer noch in der Lage, sich zurückzumelden. Wir erleben sie immer dann als unverständlich und rätselhaft, wenn sie der momentanen Situation nicht angemessen erscheinen.

    Zu welcher Konfusion sie noch nach Jahrzehnten führen können, zeigt folgender Fall:

    Nach drei Jahren stand die Frau immer noch vor einem Rätsel, wenn sie daran dachte: Warum war sie nur in solche Panik geraten, als ihre Schwester sie eines Tages anrief, um ihr zu sagen, dass es der Mutter, inzwischen alt und krank, sehr schlecht ging? Sie hatte doch seit Jahrzehnten gar keinen Kontakt mehr zu der Frau gehabt: Schon als junges Mädchen war sie aus dem Elternhaus geflüchtet, um der gewalttätigen, herrschsüchtigen Mutter zu entkommen, die ihre Kinder ständig drangsalierte, demütigte und schlug. Sie fand keine Erklärung für diesen geradezu hysterischen Ausnahmezustand, den der Anruf bei ihr ausgelöst hatte, denn er stand in keinem Verhältnis zu der Gleichgültigkeit, die sie ihrer Mutter gegenüber empfand.

    Sie erinnerte sich, dass sie in den zurückliegenden Jahrzehnten diese Panik gelegentlich schon ähnlich erlebt hatte. Es waren immer Situationen gewesen, in denen ein Auslöser für einen Moment in ihr die Fantasie geweckt hatte, ein für sie emotional wichtiger Mensch wolle sie verlassen. Plötzlich erinnerte sie sich, dass ihre Mutter damals oft gedroht hatte, abzuhauen und die Familie zu verlassen. Dabei fiel ihr ein Ereignis ein, das sie als Zwölfjährige in größte Panik versetzt hatte: ihre Mutter hatte ihr als der Ältesten die Aufgabe übertragen, während ihrer Abwesenheit für die drei jüngeren Geschwister zu sorgen. Bei Einbruch der Dunkelheit sei sie spätestens zurück. Als es längst stockdunkel war, und die Mutter noch immer nicht zurück war, ergriff sie Panik: Was, wenn sie nun gar nicht wiederkäme? Vielleicht würde sie heute ihre Drohung wahr machen! Hysterische Angst erfasste sie bei dem Gedanken. Sie war doch selbst noch ein halbes Kind! Wie sollte sie das alles nur schaffen? Hausarbeit, Geschwister, Schule – und keine Mutter! Einen Vater gab es auch nicht mehr.

    Damals war die Panik so gewesen, wie sie sie Jahrzehnte später nach dem besagten Anruf gefühlt hatte. Das Erlebnis, das ursprünglich einmal diese extreme Bestürzung ausgelöst hatte, lag nur so weit zurück, dass ihr niemals der Gedanke an einen Zusammenhang gekommen wäre. Ihre Reaktion nach dem Anruf hatte sie vor allem nicht verstehen können, weil ihre Mutter schon seit Langem für sie zur Fremden geworden war. Nichts verband sie noch mit ihr, das ihre Reaktion hätte erklären können.

    Heute würde sie ihre Panik nach dem Anruf wie eine Antwort auf die Horror-Botschaft aus der längst vergangenen Kindheit verstehen: Unsere Mutter will abhauen und nicht wiederkommen. Ja, sie war ganz sicher, dass es sich damals genau wie bei dem Anruf angefühlt hatte. Als erwachsene Frau hatte sie offenbar die Spur zum Ursprung einer rätselhaften Reaktion gefunden und so ein emotionales Erlebnis ihrer Kindheit wiedererkannt, das sie längst vergessen zu haben glaubte.

    Spurensuche

    Wenn emotional prägende Kindheits-Erlebnisse ihre Spuren hinterlassen und nicht vergessen werden, müssten sich dann nicht grundsätzlich zu all den emotionalen Reaktionen und Befindlichkeiten, die uns als Erwachsene mehr oder weniger regelmäßig das Leben schwer machen, die Spuren finden und zurückverfolgen lassen? Ihre Spuren scheinen uns doch offenbar zum Ursprung ihres Entstehens zu führen. Könnten wir auf diesem Weg den Zusammenhang zwischen damals und heute erkennen und verstehen? Wäre das am Ende sogar die Chance zur Befreiung?

    Für den Umgang mit emotionaler Erpressung hieße das: Wer ein für alle Mal frei sein will, von emotionaler Unterdrückung, muss wissen, auf welche Weise sich früh gemachte emotionale Erfahrungen langfristig auswirken und zeigen können. Wer verstehen will, warum überhaupt ein Mensch sich die Rolle des Opfers zu eigen macht, muss die Vergangenheit verstehen, in der mit der Erziehung alles einmal seinen Anfang genommen hat.

    Die Spurensuche beginnt mit der Bereitschaft, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und sich an Ereignisse der Kindheit zu erinnern, die damals mit Gefühlen von Angst, Einsamkeit und Verzweiflung verbunden waren. Sich an solche Ereignisse zu erinnern, fällt verständlicherweise schwer, ist aber wichtig, denn die zu ihnen gehörenden Gefühle halten sich nach wie vor, wie ein Schadprogramm auf der Festplatte, unbemerkt im emotionalen Erfahrungsgedächtnis verborgen.

    Solange die ursprüngliche Bedeutung bestimmter Ereignisse bagatellisiert, dem emotionalen Erinnern also keine Beachtung geschenkt wird, bringen sich die Emotionen auf ihre eigene Weise regelmäßig selbst in Erinnerung. Bestimmte Auslöser schaffen es immer wieder aufs Neue, sie abzurufen, wir können ihren Sinn und ihre Bedeutung nur nicht verstehen, denn wir erleben sie in der Gegenwart als unangenehme, quälende Gefühle, von denen wir möglichst schnell erlöst sein wollen.

    Bei der Spurensuche geht es also immer um das Erinnern solcher Erlebnisse, in denen irgendwann einmal gezielt oder gedankenlos Verzweiflung und Verlustängste im Kind ausgelöst wurden: als die Eltern den Liebesentzug als Strafe praktizierten, um ihm Verhaltensweisen und Eigenarten abzugewöhnen, die ihnen lästig waren oder die ihrem Wunschbild und ihren Erwartungen nicht entsprachen. Vielleicht waren es auch Situationen, in denen sie das Kind mit ihren zu hohen Erwartungen und tiefen Enttäuschungen emotional einfach überforderten. Für das Kind wurden sie zu emotionalen Erfahrungen und für den Erwachsenen womöglich zu seinem heutigen Problem.

    So greift im Nebel einer verklärten Kindheitserinnerung der lange Arm der Erziehung unbemerkt immer noch nach uns, die wir die Kindheit längst hinter uns haben und die wir uns grundsätzlich als psychisch gesund betrachten. Dass die Eltern möglicherweise nicht allzu gut dabei wegkommen, wenn wir uns an bestimmte Ereignisse unserer Kindheit erinnern, liegt in der Natur unseres Problems. Uns bleibt die Erkenntnis nicht erspart, dass Eltern mit all ihren Fehlern und Schwächen eben auch nur ganz normale Menschen sind.

    Der blinde Fleck

    Um Himmels willen, die armen Eltern! Die haben doch bestimmt immer nur das Beste gewollt! Pures Entsetzen hatte den Moderator der Talkshow² offenbar zu seinem Einwurf veranlasst. Soeben hatte eine Gerichtsreporterin die Begegnung eines wegen Mordes angeklagten Schülers mit seinen im Gerichtssaal anwesenden Eltern geschildert. Er war beschuldigt, gemeinsam mit seinem Freund dessen Eltern und Schwestern mit dreißig Schüssen aus Habgier getötet zu haben.

    Bei allen Zuhörern dürfte der Bericht Beklemmung ausgelöst haben, aber was hatte der Moderator mit seiner spontanen Äußerung eigentlich zum Ausdruck bringen wollen? War es das alte Phänomen, Eltern und ihre Erziehung grundsätzlich zu rechtfertigen? Es mussten offenbar nicht einmal die eigenen Eltern sein, denen blindlings bescheinigt wird, immer nur das Beste gewollt zu haben. Selbst in einem Extremfall wie diesem, gab es anscheinend nicht die Spur eines Zweifels daran. Aber waren damit auch all die Maßnahmen gemeint, die unweigerlich Ängste, Scham, Schuld und Verzweiflung im Kind auslösen?

    Im Erwachsenen ist die Erinnerung daran längst verblasst und die damals durchlebten Gefühle sind scheinbar vergessen, aber, wie gesagt, wirklich weg sind sie nicht! Ein emotional blinder Fleck, mit dem der Erwachsene seit seiner Kindheit lebt, versperrt ihm nur den Blick darauf. Bestimmte Kindheitserinnerungen und das Elternbild sind offenbar tabu! Schon beim geringsten Versuch, sich erinnern zu wollen, verteidigen Gewissensbisse und Schuldgefühle diese Blindheit, als müsse hier ein Unrecht verhindert werden.

    Wer die böse Tat trotzdem wagt, wird hinter dem blinden Fleck jedoch manches Ereignis entdecken können, das ihm seine Neigung zu besonderer Verletzbarkeit, zu Schuld- und Schamgefühlen, zu übertriebener Verantwortung, zu Eifersucht, Verlust- oder Versagensängsten erklären könnte. Diese quälenden Gefühle als Botschaften früher Kindheitserfahrungen erkennen zu können, führt zu einem neuen Verständnis für die eigene Emotionalität: sie können plötzlich als seltsam vertrauter Zustand aus der Kindheit wiedererkannt werden, denn unter emotionalem Druck reagiert der Erwachsene immer noch mit den gleichen Gefühlen, mit denen er schon als Kind unter Druck reagiert hat. Dieses Wiedererkennen ist für das Durchschauen der emotionalen Erpressung von besonderer Bedeutung, denn ihr Vorgang gewinnt dadurch an Transparenz. War das Opfer im Dschungel seiner Gefühle bislang nur um das möglichst schnelle Auflösen der quälenden Situation bemüht, kann es nun die Manipulation darin erkennen und sich bewusst als Opfer wahrnehmen:

    Das unselige Spiel ist seit der Kindheit immer noch das gleiche, verändert haben sich nur die Zeit und die Personen: Anstelle des Kindes steht heute der Erwachsene und anstelle der Eltern stehen heute Partner, Freunde und andere Menschen, die für ihn die Spielregeln bestimmen.

    Eltern sind auch nur ganz normale Menschen!

    Auch wenn es zunächst übertrieben oder gar abwegig erscheint: Eltern sind mit ihrer Erziehung der Dreh-und Angelpunkt so mancher Probleme, mit denen sich ihr Kind später noch als Erwachsener herumschlägt. Dem auf die Spur zu kommen, ist allerdings schwierig, solange Eltern pauschal unter dem Schutz der These stehen, immer nur das Beste gewollt zu haben.

    Dabei ist ihnen der gute Wille im allgemeinen gar nicht abzusprechen; das eigentliche Problem war damals ihre Ahnungslosigkeit, mit der sie ihre Absicht zweifellos für das Beste hielten und dabei die Bedeutung für das Kind falsch einschätzten – oder im eigenen Interesse ausblendeten.

    Eltern sind schließlich auch nur ganz normale Menschen! Sie werden nicht nur von eigenen Problemen geplagt wie Abertausend andere auch: Sie können genauso egoistisch, ehrgeizig, ungerecht oder herrschsüchtig sein, wie andere es schließlich auch sind! Bedenklich ist es nur, wenn sie sich als Eltern von ihren Motiven unbewusst leiten lassen. Wenn sie einfach davon ausgehen, dass es so, wie sie es machen, schon das Beste für ihr Kind sein wird und nicht erkennen können oder wollen, dass es in Wahrheit vor allem für sie selbst das Beste ist.

    Als ich den Entschluss fasste, mich einmal genauer mit der These, dass Eltern immer nur das Beste wollen, zu befassen, hatte ich bereits meine eigene Erfahrung mit der blockierenden Wirkung dieser These gemacht: sie infrage zu stellen, kam jedes Mal einem Anschlag auf die Liebe der Eltern gleich. Sie duldete offenbar keinen Zweifel und warf im Nu jedes klare Denken über den Haufen, sobald es einsetzte. Übrig blieb dann nur ein schlechtes Gewissen den Eltern gegenüber.

    Mein Entschluss stand fest: Dieses Totschlag-Argument gehörte endlich einmal auf den Prüfstand!

    Kommt Ihnen das bekannt vor?

    Manchmal sind es ganz banal erscheinende Begebenheiten im Alltag, die erst bei genauer Betrachtung ihre verblüffende Bedeutung entfalten.

    Stellen Sie sich einmal vor: Ein Bekannter, der Ihnen schon einmal in einer Angelegenheit geholfen hat, bittet Sie um einen Gefallen. Dieser Gefallen ist für Ihren Geschmack eigentlich eine Zumutung, aber Sie lassen sich nichts anmerken und sagen zu – schließlich sind Sie ihm ja noch etwas schuldig. Hinterher wissen Sie nicht, über wen Sie sich mehr ärgern sollten: über den anderen, der Ihre Hilfsbereitschaft so schamlos ausgenutzt hat, oder über sich selbst, weil Sie sich wieder einmal, gegen ihre eigene Empfindung, der Erwartung einer anderen Person gefügt haben.

    Sollte Ihnen diese Situation auf irgendeine Weise bekannt vorkommen, dann werden Sie den nagenden Ärger womöglich besser kennen als Ihnen lieb ist und Sie können vielleicht den Frust verstehen, dem kürzlich ein Bekannter Luft machte: Er ärgerte sich über einen Nachbarn, von dem er sich dreist ausgenutzt fühlte; gleichzeitig ärgerte er sich mindestens genauso über sich selbst, weil er nicht wusste, wie er sich dagegen wehren sollte. Was ursprünglich mit einer Notsituation begonnen habe, sei inzwischen ärgerliche Gewohnheit geworden. Dieser Nachbar hole sich, seitdem sein eigener Rasenmäher defekt sei, mit einem freundlichen Gruß und der Selbstverständlichkeit eines Kolchosbauern den neuen Rasenmäher aus dem Schuppen. Schon häufiger habe er sich in seiner Fantasie ausgemalt, wie er diesem Treiben ein Ende setzt, aber anstatt dem Nachbarn zu sagen, dass er gefälligst endlich wieder seinen eigenen Mäher nehmen solle, habe er sich noch nicht einmal nach dem Stand der Reparatur erkundigt. Er wolle seinem Nachbarn, der ansonsten ein netter Kerl sei, nicht unnötig auf den Schlips treten. Er hoffe einfach, dass der Spuk sich demnächst von selbst erledige …

    Wer kennt dieses ungute Gefühl nicht! Wer hat nicht selbst auch schon hier und da lieber eine fette Kröte geschluckt, als sich dem Verdacht auszusetzen, kleinkariert, egoistisch, spießig oder gar geizig zu sein? Manch lustiger Kneipenabend hat schon ein jähes Ende gefunden, wenn es ans Bezahlen ging, wenn verdutztes Schweigen sich plötzlich breitmacht, weil ausgerechnet der mit dem Steak der Einfachheit halber lautstark das Teilen der Rechnung durch die Anzahl der Anwesenden vorschlägt. Niemand widerspricht, auch der mit dem kleinen Salat nicht. Zähneknirschend zahlt auch er seinen Anteil. Er hat für sich nur gerade das kleinere Übel gewählt: Hauptsache, man hält ihn nicht für spießig und geizig.

    Zweifellos gehört diese Spezies Mensch zu den besonders angenehmen Zeitgenossen, die wegen ihrer umgänglichen Art von allen geschätzt werden. Wie schlecht sich all diejenigen fühlen, die es vorziehen zu schweigen, um sich nicht unbeliebt zu machen, weiß außer ihnen selbst ja niemand. Aber warum schweigen sie denn, wenn sie doch eigentlich am liebsten protestieren würden?

    Vielleicht sind es aber auch ganz andere Dinge, die Ihnen im Alltag zu schaffen machen: Treibt Sie eventuell Ehrgeiz oft an den Rand der Erschöpfung und trotzdem sind Sie nie wirklich mit sich zufrieden? Oder haben Sie in Ihrem Leben schon manche Chance verpasst, weil im entscheidenden Moment Ihr Selbstwertgefühl geschwächelt hat? Nehmen Sie die Gesellschaft von Menschen in Kauf, die Ihnen eigentlich gar nicht guttun, nur um nicht alleine zu sein? Fühlen Sie sich häufig wehrlos, ausgeliefert, zurückgewiesen, von Eifersucht oder von Schuldgefühlen geplagt?

    Durchkreuzen Probleme dieser Art immer wieder Ihr Leben, werden Sie das verständlicherweise als unbefriedigend oder auch belastend empfinden. Wirklich deprimierend wird es aber, wenn Sie trotz all Ihrer Bemühungen immer wieder auf ähnliche Weise Ihre unliebsamen Erfahrungen machen, als wären sie Teil Ihres persönlichen Schicksals.

    Auf den ersten Blick haben die Eltern natürlich nichts mit dem Ärger in der Kneipe oder mit dem Frust wegen eines penetranten Nachbarn zu tun. Die ständig wiederkehrenden unliebsamen Erfahrungen, die der Erwachsene mit sich und anderen Menschen macht, sind zweifellos das Ergebnis seines heutigen Lebens. Sie ergeben sich in Situationen, die sich immer wieder anders darstellen: gestern war es der Ärger über den dreisten Kollegen, heute die Eifersucht auf den Partner und morgen vielleicht die alte Angst zu versagen. Wie auch immer das Problem sich zeigt: nichts daran erinnert heute noch an die längst vergangene Zeit der Kindheit. Und doch gibt es einen Zusammenhang: Wenn ganz bestimmte Situationen, bestimmte Handlungsweisen, Worte, Tonlagen oder Blicke anderer Menschen es schaffen, immer wieder so einen ausgesprochen lästigen, unangenehmen Druck in Ihnen zu erzeugen, den Sie nicht in den Griff kriegen, haben Sie diese Hilflosigkeit vermutlich nicht erst als Erwachsener erworben. Unbemerkt leben Sie mit ihr wahrscheinlich schon seit Ihrer Kindheit, quasi wie mit einem Programm auf der Festplatte.

    Im Laufe Ihres Lebens haben immer nur die Personen und Situationen gewechselt, die diese Gefühle in Ihnen auslösen. Jedes Mal aufs Neue haben Sie es bisher als unselige Fügung betrachtet, wieder einmal an den Falschen geraten zu sein. Schließlich hat Sie gerade dieser eine Mensch enttäuscht, betrogen, belogen, beleidigt, ausgenutzt, zurückgewiesen oder sonst wie in Bedrängnis gebracht. Er ist für Sie der Verursacher Ihrer Beklemmungen, Ihrer Hilflosigkeit oder Ihres Unglücks.

    Solange Sie aber andere Menschen als Urheber Ihres Gefühlszustands betrachten, verhindern Sie die grundsätzliche Lösung dieses Problems. Sie alle sind nur die aktuellen Auslöser eines alten emotionalen Programms, das in Ihnen etwas wieder aufleben lässt. Die ursprünglichen Auslöser, die eigentlichen Urheber, sind andere.

    Bevor ich zu dieser Erkenntnis gelangte, war es mir selbst nicht besser ergangen als all denjenigen. die mit ihren Erfahrungen vor einem Rätsel stehen. Bis zu jenem Ereignis, das mir den entscheidenden Hinweis liefern sollte: Auf den ersten Blick schien es sich nur um ein ganz gewöhnliches Ganovenstück zu handeln, in Wirklichkeit war es ein arglistiger Betrug – und ich selbst war das willige Opfer. Dieser Betrug war schließlich der Anlass, mich an meinen eigenen blinden Fleck einmal heranzuwagen. Und so nahm das Projekt seinen Lauf …

    Ein heilsamer Betrug

    Eigentlich hätte ich alles viel früher merken müssen. Meine Bekannte war zwar ziemlich raffiniert vorgegangen, aber die Naivität, mit der ich ihr auf den Leim gegangen war, und die Duldsamkeit, mit der ich mir auch noch nach Monaten ihre faulen Ausreden anhörte, waren mir selbst irgendwann rätselhaft vorgekommen.

    Die besagte Bekannte, die damals gerade in einer finanziellen Klemme steckte, hatte sich von mir eine beträchtliche Summe kurz geliehen, sie mir aber auch nach Monaten noch nicht zurückgegeben. Es gab weder ernst zu nehmende Anzeichen für eine Rückzahlung noch eine plausible Erklärung für die Überfälligkeit. Die Angelegenheit war oberfaul und eigentlich lag der Betrug längst auf der Hand!

    Aber was in aller Welt hatte mich so lange daran gehindert, dieser Tatsache ins Auge zu sehen? Warum wollte ich den Betrug nicht wahrhaben? Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich, die Betrogene, mir Gedanken um den Ruf der Betrügerin machte. Auf keinen Fall wollte ich es sein, die ihn ruinierte. Dabei waren mir selbst schon erste Zweifel an ihrer Redlichkeit gekommen, aber ich konnte und wollte nicht genau hinsehen. Stattdessen wartete ich weiter geduldig auf mein Geld. Das einzige, was ich erhielt, waren wortreiche Anrufe und Mails, in denen ich immer wieder aufs Neue vertröstet wurde.

    Inzwischen ging mir das alles ziemlich auf die Nerven. Ich wollte endlich mein Geld wiederhaben! Aber wieso hatte ich dann schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich nur daran dachte, es mit genau diesen Worten zu fordern?! Als würde ich dieser Frau zu nahe treten, wenn ich sie auffordern würde, mir mein Geld zurückzugeben! Vielleicht würde sie mich kleinlich, illoyal und penetrant finden, weil sie auch ohne mich schon genug Probleme am Hals hatte?

    Was für eine bizarre Situation! Da hatte ich einer guten Bekannten mit meinem Geld aus der Klemme geholfen und nun wagte ich es aus irgendeinem Grund nicht, es zurückzufordern, während sie womöglich auf meine Kosten Champagner trank. Wo war eigentlich mein Verstand geblieben?

    Natürlich! Ich war wieder einmal voll in meiner Rolle der Guten, die immer Verständnis für alles und jeden hat und keine Probleme macht. Meine Hilfsbereitschaft, meine Gutmütigkeit und Nachsicht waren zeitweise einfach grenzenlos. Aber damit musste doch endlich einmal Schluss sein!

    Wie oft hatte ich diese Erfahrung schon gemacht: mal ging es um Geld, mal um geliehene Gegenstände, die ich entweder gar nicht oder aber beschädigt zurückerhielt, mal waren es Lügen gewesen, mal Intrigen, mit deren Hilfe ich die Interessen anderer bedienen sollte. Wie oft hatte ich mich darüber schon geärgert! Dass ich das Spiel aber immer erst so spät durchschaute und dann auch noch schwieg, war besonders ärgerlich.

    Manchmal schien es fast so, als würde ich die Menschen geradezu anlocken, damit sie mich anschließend übers Ohr hauen konnten. Ein absurder Gedanke, sicher, aber er hatte etwas seltsam Faszinierendes: Dass sich meine einschlägigen Erfahrungen in Abständen immer wiederholten, hatte offenbar System! Vielleicht hatte es ja viel mehr mit mir selbst, mit meiner eigenen Person zu tun, als mir lieb war! Aber was konnte es nur sein? Wenn ich die Menschen vielleicht auch nicht anlockte, bediente ich dann etwa, ohne es zu merken, ihre Absichten? Und wenn das so war, warum tat ich das und woher kam diese Bereitschaft?

    Plötzlich hatte ich nicht mehr die andere Frau im Visier, sondern mich selbst. Zu meinem Erstaunen verschwand die Wut, die ich auf sie schon gehabt hatte, je mehr ich mich auf meine eigene Rolle besann, die ich in diesem unerfreulichen Stück spielte: Warum hatte ich ihr eigentlich das Geld geliehen? War das wirklich nur eine selbstlose gute Tat gewesen? Diese Frage war mir irgendwie unangenehm. Natürlich hatte ich mich als großzügig und hilfsbereit empfunden, als ich mein Geld hergab, aber versteckte sich möglicherweise dahinter ein heimliches Motiv, das ich nicht wahrhaben wollte? Wollte ich mit meiner Großzügigkeit vielleicht beeindrucken und mich unentbehrlich machen? Hatte ich mich in diesem Ganovenstück so lange blind gestellt, um mir einen Rest Selbstachtung zu erhalten, indem ich die Loyale spielte?

    Der Volksmund schien recht zu haben: Die größte Sicherheit für den Betrüger ist die Scham seines Opfers. Diesen Spruch begann ich erst jetzt zu verstehen. Wie hätte ich denn meine Forderung auch schon vortragen sollen, ohne gleichzeitig damit mein Bild als großzügige, hilfsbereite, unentbehrliche Freundin selbst zu zerstören? Als kleinliche Erbsenzählerin würde ich dastehen! Hatte ich also den Betrug auf meine Weise unbewusst sogar begünstigt? Und die andere, die das intuitiv erfasst hatte, hatte die sich mein Angebot einfach nur zunutze gemacht?

    Die Erkenntnis war bitter: Wie ein Kind hatte ich mich benommen, ein Kind das alles gibt, damit man es gernhat! Ich war bereit gewesen, meine eigenen Gefühle und Interessen außer Acht zu lassen, um nach außen meine Rolle weiterspielen zu können! Dass es hier für mich um mehr ging, als um das Bewahren meines Egos, war mir inzwischen klar. Es ging um das Entdecken und Enträtseln meiner unbewussten Motive und um das Aufspüren ihrer Entstehung. Ich wollte endlich wissen, warum ich es nicht schaffte, diese immer gleichen Probleme zu vermeiden, obwohl ich mir schon tausendmal vorgenommen hatte, mich in Zukunft klüger zu verhalten!

    Mir reichte es! Ich wollte wissen, ob es für dieses Rätsel eine Lösung gab und wenn ja, wie die wohl aussehen könnte.

    Vor mir lag plötzlich ein weites Feld, auf dem ich mit meinen zunächst so sinnlos erscheinenden, leidigen Erfahrungen, von denen ich manche schon vergessen zu haben glaubte, nicht recht etwas anzufangen wusste. Aber langsam begriff ich, dass sich bei mir unbewusste Motive und Reaktionsmuster eingeschlichen und festgesetzt hatten, die mir mein Leben schon so manches Mal kompliziert und schwer gemacht hatten.

    Es brauchte seine Zeit und die Klugheit anderer Menschen, damit ich das System erkennen konnte, das alles so rätselhaft miteinander verband: Es war das Eltern-Kind-System, in dem einige meiner Erfahrungen damals für mich unbemerkt zu prägenden Schlüsselerlebnissen geworden waren, die ich aber als nicht so schlimm – Schnee von gestern verbucht und scheinbar vergessen hatte. Um sie mit ihrer ursprünglichen emotionalen Bedeutung erinnern und im Zusammenhang mit meiner Problematik verstehen zu können, hatte ich mich erst einmal überwinden müssen, Licht ins Dunkel meines emotional blinden Flecks zu bringen. Das war nicht gerade angenehm für mich, denn in meiner Erinnerung tauchten tatsächlich einige erzieherische Maßnahmen auf, die mir damals den richtigen Weg ins Leben hatten zeigen sollen, die ich als Kind aber als Katastrophe erlebt hatte.

    Ein Zurück gab es nun nicht mehr.

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