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Meine Schizophrenie: Aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Manfred Lütz
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Meine Schizophrenie: Aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Manfred Lütz
eBook254 Seiten8 Stunden

Meine Schizophrenie: Aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Manfred Lütz

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Über dieses E-Book

Klaus Gauger erkrankt als junger Mann an paranoider Schizophrenie. Mit schonungsloser Offenheit erzählt er die Geschichte seines sich steigernden Wahns, der ihn am Ende auf eine wilde Reise um den halben Globus führt. Von Schizophrenie Betroffene leiden oft unter massiver gesellschaftlicher Ausgrenzung. Dieses Memoire enttabuisiert die schwere psychische Krankheit. Außerdem ist es ein Plädoyer für eine menschlichere Psychiatrie - und für eine bessere gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung in Deutschland.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Herder
Erscheinungsdatum18. Feb. 2021
ISBN9783451822230
Meine Schizophrenie: Aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Manfred Lütz

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    Buchvorschau

    Meine Schizophrenie - Klaus Gauger

    Klaus Gauger

    Meine Schizophrenie

    Mit einem Vorwort von Manfred Lütz und einem ­Nachwort von Hans-Martin Gauger

    Abb003

    Neuausgabe 2021

    © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

    Alle Rechte vorbehalten

    www.herder.de

    Umschlaggestaltung: agentur IDee

    Umschlagmotiv: © gettyimages / Alberto Ruggieri

    E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

    ISBN E-Book 978-3-451-82223-0

    ISBN Print 978-3-451-60440-9

    Für meine Eltern

    Inhalt

    Vorwort

    Zur Neuausgabe

    Ich fliege über das Kuckucksnest

    Eine fatale Konzertbesprechung

    Lasst alle Hoffnung fahren

    Rückfall programmiert

    Meine Schizophrenie blüht wieder kräftig auf

    Zwischenhoch auf den Jakobswegen

    Briefe des Irrsinns

    Wer ist Martin Heidegger?

    Der einflussreiche Gehirnblogger

    Ich werde kybernetisch verfolgt

    Trotzdem ein glücklicher Mensch

    Kreuz und quer durch die USA und Kanada

    In 100 Tagen um die Welt

    Huesca: Ein Glücksfall

    Epilog: Zurück im Leben

    Nachwort des Vaters

    Anhang

    Nachwort

    Weiterführende Bibliografie

    Über den Autor

    Vorwort

    Dieses Buch ist sensationell. Was unter dem harmlosen Titel »Meine Schizophrenie« daherkommt, rührt in Wirklichkeit an die Grundlagen unseres Gemeinwesens – und das mit Geschichten und einer Lebensgeschichte, die sich lesen wie ein Krimi, und dazu noch in einem geradezu literarischen Stil. Es gibt Stellen des Buches, da ist man versucht, schon mal ein paar Seiten weiterzublättern, um zu sehen, wie es denn ausgeht. Und außerdem kann man in diesem Buch viel lernen. Am Ende weiß jeder Leser, was Schizophrenie wirklich ist, er erhält seriöse Informationen, wie man sie behandeln und in vielen Fällen sogar heilen kann. Das alles ohne ideologische Voreingenommenheit auf dem Stand der heutigen Wissenschaft. Dazu gehört heutzutage auch Mut, denn das öffentliche Debattenfeld wird oft eher von schrillen Vorurteilen dominiert.

    Was mich als Psychiater besonders fasziniert hat: Hier erzählt ein hochgescheiter Patient mit einer ausgezeichneten Beobachtungsgabe, wie er und seine Angehörigen sich gefühlt haben uns »Halbgöttern in Weiß« gegenüber, wie beiläufig hingeworfene Bemerkungen unerfahrener Ärzte Angehörige und Patienten ein Leben lang begleiten und ängstigen können, wie knappe Reaktionen in der Hektik einer Visite bei Patienten Ratlosigkeit und Ärger hervorrufen. Wie entsetzlich hilflos man sich diesen »Psychos« gegenüber fühlen kann, selbst wenn die das im Grunde gar nicht wollen. Dabei ist Klaus Gauger rückhaltlos offen, versetzt sich in den Psychiater, den er hemmungslos attackiert hatte, weil er ihn in seinem schizophrenen Wahn für die oberste Steuerungsinstanz hielt, die ihn am Ende um die ganze Welt hetzte. Die Attacke tut ihm nun sehr leid, gleichzeitig weiß er, dass er eben nicht anders konnte. Jeder Psychiater sollte dieses Buch lesen, um anschließend vielleicht achtsamer mit manchem wahnhaften Patienten umzugehen.

    Aber auch Patienten und Angehörige werden in diesem Buch Hoffnung schöpfen können, dass Schizophrenie eben nicht die Katastrophen-Diagnose ist, als die sie eine uninformierte Öffentlichkeit immer noch ansieht. Seinen »Höllensturz« nennt Gauger seine anfänglichen Erfahrungen mit der Krankheit, die ihn schließlich in 100 Tagen um die Erde führt. Man erlebt sozusagen Schizophrenie von innen. Aber der Krimi geht gut aus, das kann man schon jetzt verraten.

    Schizophrene Patienten sind nicht so laut wie Drogenabhängige und nicht so spektakulär wie zum Beispiel die seltenen so genannten Multiplen Persönlichkeiten, aber es gibt von ihnen viel mehr. Etwa eine Million Deutsche sind schizophren, etwas über ein Prozent der Bevölkerung. Jeder kennt einen schizophrenen Menschen, aber die meisten merken das nicht, weil die Patienten irgendwann geheilt oder so deutlich gebessert sind, dass man es ihnen nicht ansieht. Weil solche Menschen zumeist etwas sensibler sind als wir robusten »Normopathen«, fallen sie ohnehin nicht so auf, spielen sich nicht in den Vordergrund, schützen ihre etwas feinere psychische Außenhaut und halten sich eher zurück.

    Klaus Gauger hat eine vornehme Art, mit Leuten umzugehen, die anderer Meinung sind als er. Ich konnte ihn auf dem DGPPN-Kongress erleben, dem größten Psychiatrie-Fachkongress Europas in Berlin, wie er da auf einer Veranstaltung ganz ruhig, freundlich und gelassen auf »Fragen« von Leuten einging, die ihm nicht wirklich zuhörten und eigentlich auch keine Fragen stellten, sondern nur mit missionarischem Impetus ihre vorgefassten Meinungen unter die Leute bringen wollten. Er antwortete ganz unbefangen mit seinen – anderen – Erfahrungen mit Medikamenten, mit Zwangseinweisungen, mit ahnungslosen Richtern.

    Und damit stellt er geduldig immer wieder die Grundsatzfrage nach dem, was einige gerne »Freiheit zur Krankheit« nennen wollen. Menschen, die vehement fordern, dass man ihnen ihre Stimmen, die sie hören, nicht nimmt, dass man sie ihrem Wahnsystem überlässt, dass man sie selber entscheiden lässt, ob sie ihr Leben ruinieren wollen oder nicht, will er diese Freiheit nicht nehmen. Aber er fordert für sich und viele in ähnlicher Lage, die er inzwischen kennengelernt hat, die »Freiheit von der Krankheit«, er fordert die Möglichkeit zur wirksamen Behandlung, notfalls vorübergehend auch gegen den – durch die akute Schizophrenie unfreien – Willen des Betroffenen, damit der Patient durch diese zeitweilige Zwangsbehandlung die Freiheit erst wieder bekommt, die er durch die Krankheit verloren hat. Das ist Sprengstoff in der heutigen mitunter etwas erstarrten Debattenlage. Selbst höchste Richter haben sich in Deutschland durch offensichtlich einseitige Informationen in eine Richtung drängen lassen, die das Wohl von Patienten einem schillernden Freiheitsbegriff opfert.

    Klaus Gauger, der in der spanischsprachigen Welt ebenso zu Hause ist wie in Deutschland, weitet den Blick auf andere ebenso freiheitlich-demokratische Rechtssysteme, die das Problem der Zwangsbehandlung anders lösen als in Deutschland. So kann dieses Buch auch eine dringliche gesellschaftliche Debatte befördern, in der das Pendel gewöhnlich immer wieder von einem Extrem zum anderen ausschlägt. Natürlich ist die Beachtung der Freiheit des Patienten ein entscheidender Fortschritt moderner Psychiatrie, die sich endgültig von ihren paternalistischen Irrwegen abgewandt hat. Der Patient bestimmt das Ziel der Behandlung und wir Psychiater haben diesem Ziel, wenn es denn – wie meist – ethisch vertretbar ist, auf dem heutigen Stand der Wissenschaft zu dienen. Aber wie ist es, wenn der Patient – zumeist nur zeitweilig – genau in dieser Freiheit von einer Krankheit beschränkt wird, die ich mit einer professionellen Behandlung heilen könnte, was ich aber nicht darf, weil die – krankhaft beschädigte – »Freiheit« des Patienten das nicht zulässt? Diese Frage bedarf einer profunden gesellschaftlichen Debatte, die Verfassungsgrundsätze berührt und aus der legislative und judikative Konsequenzen gezogen werden müssen. Damit es Menschen wie Klaus Gauger erspart wird, weil sie als deutscher Staatsbürger in Deutschland aus rechtlichen Gründen keine Hilfe bekommen können, durch die ganze Welt irren zu müssen, um schließlich in Spanien »gerettet« zu werden.

    Klaus Gauger hat inzwischen zu Recht für dieses Buch den Christian-Roller-Preis erhalten. Ich wünsche auch der zweiten Auflage viel Erfolg!

    Bornheim im Februar 2021

    Dr. Manfred Lütz

    Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

    Zur Neuausgabe

    Seit dem Erscheinen des Buchs im Februar 2018 sind drei Jahre vergangen und für mich bietet sich nicht zuletzt anlässlich der zweiten Auflage des Buches die Gelegenheit, Rückschau zu halten auf die Ereignisse, die sich in dieser Zeit für mich ergeben haben.

    Vielleicht erst einmal zum Buch: Es wurde in der Presse gut aufgenommen. Zahlreiche Rezensionen in überregionalen und regionalen Zeitungen und Magazinen betonten den wichtigen Beitrag, den »Meine Schizophrenie« zur Entstigmatisierung der Krankheit leistet. Auch in verschiedenen Formaten in Fernsehen und Rundfunk war mein Buch präsent, unter anderem war ich im Dezember 2018 bei »Stern TV« zu Gast, zusammen mit dem Psychiater, Psychotherapeuten, Theologen und Autor Manfred Lütz und der bayerischen Staatsministerin Kerstin Schreyer (damals für das Ressort Familien, Arbeit und Soziales zuständig). In der Sendung, in der nicht nur mein Fall, sondern auch der des Sängers Daniel Küblböck präsentiert wurde, ging es nicht zuletzt um die Frage, inwiefern die deutsche Gesetzgebung die an Schizophrenie erkrankten Patienten oft im Wahn und damit auch im Stich lässt. Im Fall von Daniel Küblböck endete die Sache tödlich. Obwohl dem Vater, der in einem eingeblendeten Interviewbeitrag zu Wort kam, bewusst war, dass sein Sohn ernsthaft psychisch erkrankt war, reagierten die zuständigen Ämter mit Hilflosigkeit. Im September 2018 nahm Daniel Küblböck privat an einer Reise von Hamburg nach New York auf dem Kreuzfahrtschiff AIDAluna teil. In den Wochen vor der Kreuzfahrt hatte sein Umfeld nach Angaben seines Vaters eine plötzliche Wesensveränderung und psychische Probleme bei Küblböck festgestellt und man hatte vergeblich versucht, die Reise zu verhindern. Laut Aussage eines Passagiers, der in einer benachbarten Kabine untergebracht war, habe sich Küblböck auffällig benommen und häufig Selbstgespräche geführt. Seit dem 9. September 2018 ist Küblböck auf See verschollen, nachdem er gegen 4 Uhr morgens vor der Küste Neufundlands über Bord gesprungen war. Auch in meinem Fall waren in den Jahren von 2010 bis 2014 meinen Eltern und auch den Psychiatern des ZfP Emmendingen die Hände gebunden, da vermeintlich keine akute Selbst- und Fremdgefährdung festgestellt werden konnte. Tatsächlich gefährdete ich mich dann im Rahmen meiner dreimonatigen wilden Weltreise im Winter 2013/2014 dennoch erheblich. Vor allem der von mir schon anvisierte Übertritt nach Mexiko von Kalifornien aus hätte übel enden können, ganz abgesehen von den finanziellen Kosten und der Nervenanspannung meiner Eltern, die dadurch verursacht wurden. So plädiere ich auch heute noch (wie damals auch bei »Stern TV«) weniger für eine »Freiheit zur Krankheit« (Bundesverfassungsgericht), sondern vor allem auf ein »Recht auf Gesundheit«, das im Falle einer Anosognosie des Patienten (also einer krankheitsbedingten mangelnden Krankheitseinsicht) auch gegen den Willen des im Wahn gefangenen Patienten durchgesetzt werden sollte, gerade auch, um größeren Schaden und eine mögliche Chronifizierung der Erkrankung zu verhindern.

    Den vorläufigen Abschluss der Berichterstattung über meinen Fall und mein Buch bildete dann im Oktober 2019 ein Beitrag im Südwestrundfunk zum Thema Schizophrenie, der in der Reihe »SWR Wissen« ausgestrahlt wurde.

    Im September 2019 erschien die spanische Übersetzung meines Buches bei Herder Editorial (Barcelona). Die Übersetzung hatte meine Mutter angefertigt, die eine äußerst versierte und mittlerweile auch preisgekrönte Übersetzerin vom Deutschen ins Spanische ist. Ich war zu dieser Zeit gerade in Madrid und konnte zahlreiche Pressetermine rund um das Buch wahrnehmen. Es freut mich sehr, dass mein Buch nun auch in meiner zweiten Heimat Spanien präsent ist. Besonders bewegend war für mich das Wiedersehen mit Dr. Agustín Rodríguez Bueno auf dem spanischen nationalen Kongress für Psychiatrie in Bilbao, auf dem wir gemeinsam mein Buch einem Fachpublikum vorstellen konnten. Ich war froh, ihn nach immerhin fünf Jahren endlich wieder zu treffen, und konnte die Gelegenheit nutzen, mich mit ihm auszutauschen und ihm nochmals für seinen Einsatz für meine geistige Gesundheit im Sommer 2014 zu danken.

    Zurück zur deutschen Ausgabe meines Buchs: Natürlich schlossen sich an das Erscheinen auch zahlreiche Lesungen an, die mich kreuz und quer durch die Bundesrepublik führten. Unter den Zuhörern bei diesen Lesungen waren auch viele von Schizophrenie Betroffene und Angehörige, mit denen ich oft in den anschließenden Diskussionen einen regen Meinungsaustausch hatte. Ich nahm auch an einigen Kongressen und Symposien teil, wobei die Einladung zum Kongress der »Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde« (DGPPN) in Berlin im November 2019 besonders hervorzuheben ist. Ich hatte hier die Gelegenheit, aus meinem Buch vorzulesen und anschließend mit dem anwesenden Fachpublikum zu diskutieren. Moderiert wurde diese Veranstaltung von Manfred Lütz, der mein Buch sehr schätzt und nach unserer Begegnung bei Stern TV diesen Termin auf dem DGPPN-Kongress möglich gemacht hatte.

    Ein Höhepunkt war zweifellos auch die Verleihung einer der regionalen Christian-Roller-Preise im November 2018 an mich für «Meine Schizophrenie«. Der Christian-Roller-Preis wird alle zwei Jahre an Initiativen und Organisationseinheiten der drei Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg, an das ZfP Emmendingen, das Psychiatrische Zentrum Nordbaden und an das ZfP Reichenau, vergeben. Mein Buch wurde mit 3.000 Euro prämiert – vor allem zeigte mir diese Auszeichnung aber, dass auch Psychiater ein Buch schätzen können, das streckenweise eine harsche Kritik an der psychiatrischen Praxis enthält – auch wenn es natürlich klarmacht, dass ohne Psychiatrie und Medikamente eine Genesung von einer paranoiden Schizophrenie letztlich kaum möglich ist, zumindest nicht, wenn man zu den häufig anzutreffenden chronischen Fällen gehört.

    Dass ich auch im Jahr 2020, zwei Jahre nach dem Erscheinen, zu weiteren Symposien eingeladen wurde, zeigt, welchen wichtigen Beitrag mein Buch für die Diskussion rund um die Schizophrene leistet. Auch wenn das Corona-Virus meinen Aktivitäten rund um das Buch einen vorläufigen Riegel vorgeschoben hat.

    Am interessantesten waren für mich allerdings nicht die Pressetermine und Lesungen, sondern die individuellen Reaktionen meiner Leser, die oft über soziale Medien und manchmal über den Herder Verlag Kontakt mit mir aufnehmen. Es handelt sich dabei meist um Angehörige von Schizophrenie-Betroffenen, in der Regel der Vater oder die Mutter oder der Bruder oder die Schwester eines Erkrankten. Sie sind verzweifelt, weil der meist an paranoider Schizophrenie Erkrankte an Anosognosie leidet und damit krankheitsbedingt uneinsichtig ist und jede Behandlung verweigert. Für die Angehörigen ist dieser Zustand des Betroffenen eine ungeheure Last und Anlass zu ständiger Sorge, während der Erkrankte sich in der Regel noch so weit im Griff hat, dass er zumindest nicht körperlich gewalttätig wird und auch keinen Suizidversuch unternimmt. In genau diesen Fällen, in denen keine akute Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt, ist in Deutschland eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen vom Gesetz her nicht möglich, mit dem Ergebnis, dass die Angehörigen nur abwarten können, bis die Erkrankung noch schlimmer wird und letztlich ein Gewaltausbruch oder ein Suizidversuch erfolgt. Das Kind muss also erst in den Brunnen fallen, bevor die Psychiater handeln dürfen. Diese Angehörigen, die mich kontaktieren, erhoffen sich von mir vor allem Ratschläge, wie sie mit dem Erkrankten umgehen sollen, und wollen wissen, welche Möglichkeiten es gibt, ihn einer Behandlung zuzuführen. Mir bleibt meistens nichts anderes übrig, als ihnen nochmals den deutschen gesetzlichen Rahmen für eine Zwangsbehandlung vor Augen zu führen und ihnen klarzumachen, dass sie sich in Geduld üben müssen. Ich selbst kenne Fälle von Schizophrenie-Betroffenen, die viele Jahre lang unbehandelt blieben, ohne Aussicht auf Besserung, und auch deren Angehörigen nur die vage Hoffnung blieb, der Zustand des Erkrankten werde so außer Kontrolle geraten, dass doch die gesetzlichen Vorgaben für eine Zwangsbehandlung erfüllt sind. Bei mir selbst dauerte dieser Zustand vier Jahre, von 2010 bis 2014, und er wurde nur beendet, weil ich letztlich in Spanien in einer Psychiatrie landete, wo der gesetzliche Rahmen für eine Zwangsbehandlung deutlich anders ist als in Deutschland. In Spanien genügt es, wenn ein Psychiater eine schwere psychische Erkrankung beim Patienten erkennt, er einen Richter hinzuzieht, welcher wiederum nach einer Anhörung des Patienten eine Zwangsbehandlung anordnen kann, falls es sich in der Anhörung bestätigt, dass der Patient psychisch schwer krank ist. So geschah es bei mir im Sommer 2014 im nordspanischen Huesca, und so wurde ich nach vier irrwitzigen Jahren von meinem Wahn befreit. Im Nachhinein bin ich heilfroh, dass das psychotische Elend bei mir damals endlich beendet wurde. Wäre ich nach meiner wilden Weltreise, die mich über die USA und Kanada bis nach Tokio führte, nicht nach Spanien, sondern wieder nach Deutschland zurückgekehrt, hätte es wesentlich länger dauern können, bis ich endlich erfolgreich behandelt worden wäre. Die vom Bundesverfassungsgericht postulierte »Freiheit zur Krankheit« hat im Falle der Schizophrenie eben nicht nur beträchtliche Folgen für die Betroffenen, die dann oft Jahre im Wahn verbringen, sondern vor allem auch für die Angehörigen, die in der Regel die Last der Situation tragen müssen und oft ungeheuer leiden und verzweifelt nach Hilfe und Rat suchen.

    Mit manchen dieser Angehörigen rede ich nicht nur telefonisch, sondern ich treffe sie auch persönlich, vor allem natürlich diejenigen, die im Freiburger Raum leben. An eine Begegnung erinnere ich mich noch besonders eindrücklich: Eine Mutter hatte mich kontaktiert, deren Sohn sich wenige Monate nach seiner Behandlung im Zentrum für Psychiatrie Emmendingen umgebracht hatte. Wir trafen uns in einer Freiburger Gaststätte, wo mir die Mutter die Geschichte ihres offensichtlich hochbegabten Sohnes erzählte. Hier kam jeder Ratschlag und jedes Hilfsangebot zu spät, es blieb nichts weiter übrig, als gemeinsam mit dieser Mutter zu trauern. Auch dies ist eine schlimme Realität im Falle der Schizophrenie: Ungefähr zwischen 5 und 10 Prozent der Erkrankten enden durch Suizid. Auch ich war nach meiner Erstbehandlung im Jahre 1994 hochgradig depressiv und offensichtlich auch phasenweise suizidal gestimmt, wie mir Professor Schmidt bei einem gemeinsamen Treffen mitteilte, der nach der Lektüre meines Buches nochmals Einblick in meine alten Akten nahm. Das Treffen arrangiert hatte Manfred Lütz, der mit Professor Schmidt befreundet ist. Bei diesem Treffen hatten Professor Schmidt und ich die Gelegenheit, nochmals unsere Auseinandersetzung in der Vergangenheit zu beleuchten und uns klarzumachen, was hier schiefgegangen war. Um es ganz klar zu sagen: Den Hauptanteil an dieser Auseinandersetzung hatte ich selbst. Ich war wahnhaft zu der Zeit, als ich die aggressiven Briefe und den unseligen Blog verfasste (den ich mittlerweile vollständig gelöscht habe). In der Sache selbst habe ich Herrn Schmidt nichts weiter vorzuwerfen als eine wenig empathische und harte Behandlung mit hochdosierten typischen Neuroleptika (die damals noch Standard war). Jedenfalls hatten wir so die Gelegenheit, unser Kriegsbeil zu begraben, was zumindest mir und hoffentlich auch Professor Schmidt guttat. Es hat keinen Sinn, Groll aus der Vergangenheit mit sich herumzuschleppen.

    Für die sonstigen Folgen meiner Schizophrenie-Diagnose war Professor Schmidt nicht verantwortlich. Dass meine akademische und journalistische Laufbahn in den darauffolgenden Jahren im Sande verlief, dafür waren vor allem mein chronisch schlechter psychischer Zustand mit ausgeprägter Restsymptomatik trotz Medikamenteneinnahme und nicht zuletzt auch das massive Stigma dieser Krankheit die Ursache. Es blieb meinem Umfeld, wohl auch meinen potentiellen Arbeitgebern, kaum verborgen, dass es mir psychisch nicht gut ging. Die meisten dürften wohl geahnt haben, dass ich unter einer ernsthaften psychischen Erkrankung litt.

    Glaubt man den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema »Stigma Schizophrenie«, ist dieses sogar in den letzten Jahrzehnten noch gewachsen. Matthias C. Angermeyer, Herbert Matschinger und Georg Schomerus veröffentlichten 2013 eine Studie im »British Journal of Psychiatry« unter dem Titel »Attitudes towards psychiatric treatment and people with mental illness: changes over two decades«, die auf zwei größeren Umfragen in Deutschland beruhten, die

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