Lila - Erzählung über die Magie des Lebens
Von Teresa Seidel
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Über dieses E-Book
Eine magische Geschichte über einen Menschen voller Sehnsucht nach dem Leben und der Liebe.
" "Und wie gehts dir?" Ich erzähle ihr, dass es mir wunderbar gehe, dass ich gestern im Wald spazieren war und eine alte Freundin getroffen habe, auf die ich ganz vergessen hätte. Ich erzähle ihr von der Begegnung und dem vertrauten Gefühl, dass ich erleben durfte. Keine Details. Vor allem nicht das Detail, dass der Wald nicht von dieser Welt ist und die Freundin einem göttlichen Wesen gleicht. Einfach ein kurzes Update."
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Buchvorschau
Lila - Erzählung über die Magie des Lebens - Teresa Seidel
1
Irgendwo.
Die Augen geschlossen, nehme ich einen tiefen Atemzug und atme gähnend aus. Der erdige Waldgeruch in meiner Nase bringt vergessene Erinnerungen meiner Kindheit an die Oberfläche. Zuerst als zarte Ahnung, bevor sich diese in konkrete Bilder verwandelt. Eins nach dem anderen taucht auf – ganz langsam. Dann beginnen sie, sich schneller und schneller auszutauschen und rasen schließlich wie ein Schnellzug durch mich hindurch. Verstecke im Wald, winzige Waldhäuschen, Tierbegräbnisse, dreckige Fingernägel, Schürfwunden am Knie, Heidelbeeren, Geheimwege, kleine Bächlein, ausgetretene Pfade in den Brennnesseln, Mandalas aus Tannenzapfen und Moospölsterchen, sich im Wind bewegende Äste, das Klopfen eines Spechts. Ich sehe mich mit Freunden im Wald spielen, Pläne schmieden, in Rollen schlüpfen und jemand anders sein. Ich sehe mich alleine unter einer alten Buche auf einer Decke liegen. Ich fühle mich beschützt und gleichzeitig unendlich frei. Ich träume von meinem Klassenkollegen, in den ich mich verhebt habe, mich aber nicht traue, ihn anzusprechen. In meinen Träumen küsst er mich und tröstet mich, wenn ich traurig bin. Ich fühle mich geborgen mit ihm in meinen Gedanken und im Wald unter der Buche. Ich tauche tiefer in dieses Geschehnis meiner Jugend ein und erlebe es wieder. Ich höre mich denken, dass der Wald mein wahres Zuhause sei, während ein seltsames Knacken mich irritiert. Ich kenne die Geräusche des Waldes und fühle mich wohl mit ihnen. Jetzt aber überkommt eine undefinierte Angst meinen Körper und das Gefühl, zu Hause zu sein, verwandelt sich in ein Gefühl des Fremdseins. Ich beobachte mit aufgerissenen Augen meine Umgebung und sehe in der Ferne zwischen den Bäumen eine Gestalt. Ein sanfter Schein umgibt sie. Der sollte mich wahrscheinlich etwas beruhigen, dennoch spielen sich angsterfüllende und wilde Szenarien in meinem Kopf ab. Mit dem außer Rand und Band geratenen Kopfkino schließe ich erstarrt meine Augen und wünsche mich an einen anderen Ort. Meine Vernunft sagt mir aber, dass das so nicht funktioniere, dass das Blödsinn sei. Ich öffne meine Augen, raffe so schnell wie möglich meine Sachen zusammen und flüchte aus dem Wald. Mein Herz klopft wie verrückt. Meine Hände sind schweißnass. Zurück zu Hause frage ich mich, was da wohl war. Ich ärgere mich über meine Feigheit und darüber, dass meine Fantasie der Realität gar keine Chance gegeben hat, sich zu zeigen und mich völlig panisch zurückgelassen hat.
Langsam werden die Gefühle und Bilder der Vergangenheit weniger und schließlich verblassen sie ganz und es bleibt die Gegenwart.
Ich habe das Gefühl, als ob eine lang verschlossene Tür geöffnet worden wäre und alle Erinnerungen herausgestürmt wären, um endlich wieder dort anzugelangen, wo sie hingehören.
Nach dieser kurzen und überraschenden Rückblende kommen auch meine Gedanken wieder da an, wo sich mein Körper befindet. Ich fühle das lange weiche Gras, dass sich sanft an meinen Körper schmiegt, während der leicht buckelige Untergrund mir genau die rechte Mulde für meine Hüfte bietet. Perfekt.
Etwas kitzelt mich am Fuß.
Ich drehe mich auf den Rücken und öffne blinzelnd die Augen. Der Wind rauscht durch die Bäume und lässt die Blätter tanzen. Ihr wilder Tanz wird vom Rauschen, das dabei entsteht, begleitet. Eine wunderbare Untermalung für das feine, melodiöse Vogelgezwitscher. Man könnte es nicht besser komponieren.
Mitten in diesem überaus interessanten und genussvollen Aufwachen fährt ein Riesenschreck durch mich hindurch. Wie ein Blitz durchzuckt es meinen Körper. Meine Fußsohlen brennen, mein Bauch krampft, mein Herz zaubert ein paar extra Schläge herbei, mein Atem stockt. Ich springe auf. „Wo bin ich?"
Da gibt es was, das auf mich wartet. Aber wo?
Nach einem langen Arbeitstag und einem viel zu hastigen Abendessen setze ich mich noch ein wenig auf den Balkon und blicke auf die Straße. So gerne hätte ich einen Balkon in den Hof hinaus mit Blick auf die alte Trauerweide und vor allem ohne Autolärm. Zwar ist die Straße keine Durchzugsstraße, aber sie ist dennoch so gut befahren, dass es selten zwei Minuten Stille gibt. Es ist neun Uhr abends, ich bin schon sehr müde und ich sehne mich nach Ruhe. Die Begegnungen mit den Kollegen und Klienten haben mich heute besonders angestrengt. Alle wollten etwas von mir, aber ich hatte einfach keine Lust, irgendetwas zu geben, was unweigerlich zu einigen Konflikten führte. Nichts Tragisches. Tragisch war, dass eine Kollegin meinte, ich sei wie ein trotziges Kind und noch tragischer war, dass mich das tief traf und ich mich folglich etwas mehr bemühte. Ich erledigte alles Notwendige, aber allein das Gefühl, alle haben Erwartungen an mich, die ich allesamt ungern erfüllte, zehrte ungemein an meiner Kraft. Nun bin ich froh, die letzten Abendstunden allein und in theoretischer Ruhe verbringen zu können. Theoretisch deshalb, weil eben der Autostrom einfach nicht abreißen will und die Nachbarn, weil hellhörige Wohnung quasi neben mir sitzen und schon wieder recht heftig streiten oder laut diskutieren. Ich kann den Unterschied nicht erkennen. Jedenfalls fühle ich mich so oder so unwohl. Jedenfalls normalerweise. Auch überlege ich meistens, worüber sie streiten und finde mich sofort in meiner ersten und schon einige Jahre vergangenen Beziehung wieder und ziehe Vergleiche und Schlüsse und mache mich ein klein wenig unglücklich.
Heute nicht. Heute kann ich das Wenigstens-in-Ruhe-gelassen-werden genießen. Eine Form von Ruhe, wie ich finde.
Schon einige Jahre wohne ich in dieser Wohnung. Damals stolperte ich zufällig über eine Wohnungsanzeige und zog, ohne lang zu überlegen, innerhalb von einigen Wochen um. Die Wohnung ist nichts Besonderes, aber sie wird jeden Tag hübscher, wie ich finde. Als ich einzog, nahm ich mir vor, nichts zu behalten, was ich nicht wirklich brauche und gleichzeitig keinen Fleck ungenutzt zu lassen. So wurde sie langsam zu einem wohligen Rückzugsort, der mich immer, wenn ich nach Hause komme, umarmt wie eine liebende, vielleicht etwas gluckenhafte, aber sehr warmherzige Mutter. Nun aber überlege ich schon ein Weilchen, wieder umzuziehen und so stört mich diese Liebe fast ein wenig. Es ist schwer zu gehen, wenn es so heimelig ist. Wenn mich jemand fragt, warum ich woanders sein möchte, finde ich eine zu der gerade fragenden Person passende Antwort. So heißt es manchmal, dass mich die Straße störe, dass die Lichtsituation nicht ideal sei, dass mich meine Nachbarn nerven, dass ich gerne näher am Fluss wäre. Und so weiter. Wenn man Gründe sucht, findet man immer welche. Und wenn ich diese Antworten finde, sind sie nicht gelogen, aber eben auch nicht ganz die Wahrheit. Die Umstände sind grundsätzlich auch so, wie ich sie beschreibe.
Die Straße ist laut, die Sonne könnte ein wenig länger ins Wohnzimmer scheinen, meine streitenden Nachbarn nerven tatsächlich oft und ich liebe den Fluss, der könnte ruhig ein wenig näher rücken. Dennoch ist es mir im Endeffekt nicht so wichtig, dass diese Details sich ändern. Die Sache ist, dass mein Gefühl mir sagt, dass irgendwo etwas Neues auf mich wartet. Die liebende, vielleicht etwas gluckenhafte Mutter will mich aber gerade einfach noch nicht ganz loslassen und erzwingen will ich auch nichts. Auch deshalb, weil es mir zu aufwändig und anstrengend wäre. So zieht sich die Veränderung, die ich mir wünsche oder die sich mich wünscht, schon einige Zeit hinaus.
Abgesehen von den Fragenden, die mir hin und wieder Stress verursachen, ist das aber auch okay.
Im Grunde genommen habe ich ja Zeit.
So lege ich meine Beine auf das Balkongeländer und schließe meine Augen. Da es gerade April ist, ist es noch nicht ganz dunkel. Abgesehen davon, dass es hier sowieso nie wirklich dunkel wird, da das Straßenlaternenlicht tapfer die Nacht aufbleibt, um den Nachteulen dieser Stadt den Weg zu weisen. Ein weiterer Grund, doch mal eine neue Wohnung zu finden. Vielleicht irgendwo am Rande der Stadt.
Ohne mich näher mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, lehne ich meinen Kopf zurück und gebe meinen Nackenmuskeln endlich ein wenig Zeit und Raum, um