Chikiding!: 58 x Freiburg
Von Alex Devesper, Ellen Göppl, Claudia Hellstern und
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Über dieses E-Book
Alex Devesper
Die Schreibwilden Die Schreibwilden sind sechs Autorinnen aus Freiburg und Umgebung. Kennengelernt haben sie sich im Laufe mehrerer Schreibworkshops am Institut für Kreatives Schreiben. Zu ihren veröffentlichten Werken zählen neben den vorliegenden Freiburg-Geschichten die Anthologien „Hochhinaus & Mittendrin“ und „Was das Leben hergibt“. Seit 2016 kommen Die Schreibwilden regelmäßig zu Autorinnentreffen zusammen und haben an verschiedenen Lesungen in Freiburg und Denzlingen teilgenommen. In ihren Geschichten beleuchten sie gerne das alltägliche Leben aus ungewöhnlicher Perspektive und überraschen damit immer wieder ihre Leserinnen und Leser.
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Buchvorschau
Chikiding! - Alex Devesper
Achtzig
Ilse Reichinger
Draußen sind alle Plätze belegt. Nach der neuen Verordnung dürfen nur ein oder zwei Menschen an den kleinen Tischen sitzen. Ich stehe etwas unsicher herum und warte. Sie schauen mich an, ich schaue sie an. Sie schauen auf ihre noch vollen Tassen. Volle Tassen als Alibi für eine längere Zeit der Stuhl-Besetzung. Ein Mann zeigt unverhohlen sein Wohlbehagen mittels gefährlichen Herumfläzens auf einem kleinen Stuhl. Er reckt seinen kahlen Schädel der Sonne entgegen, schließt die Augen. Ordinär, denke ich.
Der Vorgarten des Museums für Neue Kunst ist entschieden zu klein. Ich überlege, wo man einen Vorschlag einreichen könnte zur Erweiterung, Ausdehnung.
Mit dem Fuß auf der ersten Stufe zum Inneren des Museums rufen zwei ältere Damen im Chor „Maske, Maske". Erschrocken zerre ich die baumelnde Maske vom Arm, setze sie hastig auf. Schuldgefühle sind in diesen Zeiten leicht einzufangen.
Im Café sitzen zwei Paare. Das ist angenehm. Ich hatte gehofft, der Stadtbummel würde mir den Stein von meiner Brust nehmen, mich aufheitern.
Achtzig Jahre alt, ein Paukenschlag ohne Pauke. Achtzig im April geworden und dann noch Corona. Ich hatte mir ein großes Fest gewünscht, eine ehrende Beachtung für 26 Jahre … naja, lassen wir das.
Ich habe es gut. Ich bin gesund. Ich kann mir eine Suppe leisten, einen Kaffee, eine Torte. Die Menschen im Café scheinen ihren Aufenthalt zu genießen. Auch ich entspanne mich. Das Bestellte wird mir freundlich serviert.
Eine junge Frau mit einem Kinderwagen kommt herein, setzt sich an den nächsten Tisch, nahe am Eingang. Sie lächelt mir fröhlich zu. Ich nicke dankbar. Das Kind strampelt und lacht. So könnte es bleiben. Ja, wohlfühlen! Dieses Gefühl ist mir seit März abhandengekommen.
Wie gerne würde ich das kleine Mädchen ein wenig herumtragen, an mich drücken, seine zarte Haut spüren, seinen Babygeruch einatmen, ihm putzige Worte ins Ohr flüstern.
Sentimentale Anwandlungen einer Achtzigjährigen? Nein, eine neue Klarheit. Vieles geht nicht mehr, wird nicht mehr sein. Zum Beispiel eine Reise nach Australien, die ich zu einem anderen Geburtstag geschenkt bekommen habe. Wertigkeiten, Wichtigkeiten haben sich verschoben.
Das frisch renovierte Café gefällt mir. Die Wände lavendelblau, das Gewölbe sandsteinfarbig. Angenehme Blumendekoration. Eine schöne blassrosa Rose in einem üppigen Blumenarrangement. Seltsam, sie bewegt sich, die Rose. Die Blüte neigt sich weit nach unten, dann wiegt sie sich wieder nach oben. Da hängt was dran. Ich nehme meine Brille ab, putze sie, setze sie auf, drücke beide Augen zu langen Sehschlitzen zusammen. Eine weiße Maus. Ich sehe eine weiße Maus. Ich will aufschreien, bleibe Gott sei Dank ruhig sitzen. Was wird man von mir denken, wenn ich sage, „da, eine weiße Maus" und dann ist sie weg? Ich schaue mich um. Mein Blick fällt auf ein paar sehr große Füße in glänzenden schwarzen Schuhen. Daneben steht ein kleiner Karton. An den Schuhen und Socken klettern zwei weitere weiße Mäuse herum. Er sitzt hinter einer Säule. Deshalb habe ich ihn nicht wahrgenommen.
Ich setze mich mehr nach links. Ein Bär von einem Mann, ein bildschöner Mann, hätte meine Mutter gesagt. Er hat einen kreisrunden, großen schwarzen Hut auf dem Kopf. Das gibt ihm eine mexikanische Note. Der Hut ist etwas verrutscht. Er schläft. Wahrscheinlich ein Zimmermann auf Wanderschaft. Sein Anzug ist aus feinem schwarzen Cord. Die Hose mit Schlag. Perlmuttknöpfe. Zwirnenes, weißes neues Hemd. Roter Seidenschal. Nein, er ist bestimmt ein Zimmermannsmeister, kommt vielleicht von einer Freisprechung. Die weißen Mäuse sind als Geschenk getarnt aus dem Karton entwischt. Möglicherweise ein Scherz?
Was mache ich jetzt? Ich winke, „Ich möchte zahlen", sage ich ziemlich leise. Er soll noch nicht aufwachen.
Mit 80 muss man sich nicht mehr um alles kümmern, denke ich belustigt.
Haste mal ne Mark?
Claudia Hellstern
Vier Wörter, fünfzehn Buchstaben – und eine ganze Geschichte.
Ich war neu in der Stadt, hatte nach meinem Studium Anfang 1980 eine Arbeit in der Kronenstraße gefunden und marschierte täglich vom Bertoldsbrunnen, wo ich aus der Straßenbahn ausstieg, durch das Martinstor ins Büro und am Abend den gleichen Weg zurück.
Im Grunde genommen war ich ein Landei, sicherheitsbewusst. Ich nahm immer den gleichen Weg, die gleiche Straßenbahn, um nichts falsch zu machen. Die falsche Linie zu benutzen oder gar falsch auszusteigen, war für mich eine Horrorvorstellung. Also die gleiche Bahn, den gleichen Weg.
Als ich mich nach einiger Zeit traute, mein Umfeld wahrzunehmen, mich umzuschauen, entdeckte ich direkt hinter dem Martinstor einen „Mantelberg". Einen Mantelberg mit Haaren, der sprechen konnte. Verblüfft, nein erschreckt, sprang ich auf die andere Straßenseite, wäre dabei fast in eine Straßenbahn gerannt und stierte aus sicherer Entfernung hinüber.
Auf dem Boden bei dem Brunnen saß ein Mantelberg, der Arme hatte und eine Hand ausstreckte. Ich sah, wie ihm ein eiliger Passant etwas in die Hand legte.
Auf dem Nachhauseweg nahm ich mich zusammen und spazierte vorbei. Vorsichtig und langsam, möglichst unauffällig. Der Mantelberg saß an der gleichen Stelle wie am Morgen.
Ich war gespannt wie ein Flitzbogen und neugierig wie ein kleines Kind. Da hörte ich eine raue brüchige Stimme, leise und kratzig: „Haste mal ne Mark?" Hä, dachte ich. Eine Mark? Für was?
Ich stellte mich in einiger Entfernung in Position. Vor dem Kolbencafé hatte ich einen guten Blick und beobachtete, wie ihm immer wieder Leute etwas in die austreckte Hand legten. Ich war zu weit weg, um Worte zu hören, meinte aber, leise Flüstertöne zu vernehmen. Ich blieb auf meinem Posten.
Auf dem Heimweg, den ich schließlich doch antrat, hatte ich diese vier Wörter wie ein Mantra im Kopf: „Hast mal ne Mark?"
Es ging mir nicht mehr aus dem Sinn.
„Haste mal ne Mark?"
„Haste mal ne Mark?"
Zu Hause angekommen, leerte ich meinen Geldbeutel und sortierte die Markstücke aus. Warum? Keine Ahnung.
Am nächsten Morgen steckte ich mir eine Mark in die Jackentasche. Griffbereit, falls er wieder da war und mich nach einer Mark fragte.
Mutig war ich nicht. Ich passierte das Martinstor und sah ihn an gleicher Stelle sitzen. Man konnte meinen, er habe sich nicht bewegt, die ganze Nacht nicht bewegt. Ein riesiger Mantel aus groben Stoff, eine haariger Kopf, Haare, nichts als Haare. Wie gesagt, mutig war ich nicht. Ich überquerte schnell die Straße, konnte es aber nicht lassen, ihn anzuschauen. Fast wäre ich mit meiner Glotzerei auf einen Laternenpfahl gerannt. Wie der Hans-Guck-in-die-Luft. Nach Feierabend wollte ich ihm die Mark geben. Ich wollte ganz nah an ihm vorbeigehen und ihm die mittlerweile von meiner Hand ganz heiße Mark reichen. Eine Mark? Was war das schon?
Es war mir peinlich – eine Mark – dafür bekommt man doch nichts! Dachte er womöglich, diese geizige Landfrau …? Genug. Er wollte eine Mark und nicht zwei.
So stolperte ich mutig auf ihn zu, ging ganz nah an ihm vorbei und hörte die rauen Worte: „Haste mal ne Mark?"
Schnell gab ich ihm meine heiße Mark und genauso schnell ging ich weiter. Ich hörte ein ganz schwaches „Danke". Was machte er mit meiner Mark?
Ich blieb stehen, wieder am Kolbencafé, und beobachtete ihn. Meine Mark hatte er in die tiefen Höhlen seines Mantels verschwinden lassen. Er streckte seine Hand wieder aus und fragte die Passanten nach einer Mark. Wie viele Markstücke er zusammenbekam, ich hatte keine Vorstellung. Das interessierte mich wenig. Ich wollte sein Gesicht sehen. Ich wollte sehen, wie er sich aus seinem Mantel schälte und … naja, keine Ahnung.
Auf jeden Fall war der Anfang gemacht. Täglich ging ich vorbei, beobachtete ihn, die Markstücke klimperten in meiner Jackentasche und warteten darauf, an den Mann zu kommen. Manchmal saß ein zweiter Mantelberg neben ihm, genauso haarig, genauso eingehüllt, aber bei weitem nicht so faszinierend.
Ich erfuhr, dass er zu Freiburg gehörte wie das Münster. Dass die beiden die Freiburg-Clochards waren. Sie waren ungefährlich und pöbelten nicht. Manchmal diskutierten sie mit normalen Leuten und überließen sich ihrem Gottesglauben und ihrem Schicksal.
Überzeugt war ich, dass man nicht grundlos auf der Straße sitzen müsse und um eine Mark bitten. Irgendwas musste passiert sein. Meine grundeigene Landmädchen-Überzeugung ließ keine andere Option zu. Der arme Mann … er hatte keine andere Wahl. Ich gab ihm eine Mark.
Ich trieb mich geradezu besessen am Martinstor herum. Immer länger, immer öfter und bestaunte diese Gestalt, diese Ruhe, diese stoische Ruhe, diese Bewegungslosigkeit und auch das Schweigen.
Ich hatte mittlerweile sein Gesicht gesehen. Außer den Haaren auf dem Kopf und dem langen struppigen Bart, ich musste an das Bild von Rübezahl in meinem Märchenbuch aus Kindertagen denken, hatte er auch zwei Augen, eine spitzige Nase und einen Mund. Der Mantelberg war ein Mensch aus Fleisch und Blut, nur dass er die Hektik der Stadtbesucher nicht hatte. Er schien in sich zu ruhen. Er war die Ruhe selbst.
Mit den längeren und wärmeren Tagen verbrachte ich immer mehr Zeit dort am Martinstor. Ich wusste nicht, ob er es registrierte. Ich wusste nicht, ob er mich überhaupt bemerkte. Ich wusste nur, dass er meine Mark nahm, selbstverständlich nahm und sich keinerlei Gedanken darüber machte, von wem sie kam. Sie war ja auch nur eine Mark unter vielen.
Um mir die Zeit zu verkürzen, hatte ich ein Buch dabei und etwas zu trinken. Ich setzte mich auf die Bank in seiner Nähe und las oder tat zumindest so. Meist war ich abgelenkt und nicht in der Lage, mich auf das Buch zu konzentrieren, weil ich Angst hatte, irgendetwas Wichtiges zu verpassen. Sie waren jetzt meist zu zweit – wie Zwillinge – die ihrer Mama einen Streich spielen wollten. Obwohl es wärmer war, man im T-Shirt draußen sitzen konnte, steckten sie in ihren Mänteln.
Sie brüten, dachte ich.
Irgendwo wuschen sie sich, denn sie waren nicht schmutzig. Die Haare nicht fettig und der Bart nicht verklebt von Essen und Rotz. Ich stellte mir vor, wie sie in Herdern in einer großen Villa mit Pool im Garten wohnten und dies alles nur eine Farce war. Ein Test, eine neue Lebensart. Oder sie lebten eigentlich in Saint Tropez und hatten dort ein mondänes und anstrengendes Leben und brauchten einfach mal eine Auszeit. Meine Phantasie ließ alles zu, Väter von vielen Kindern, die ihnen auf die Nerven gegangen waren, betrogene Ehemänner oder umgekehrt Männer, die ihrer Frauen überdrüssig waren und einfach mal kurz ausstiegen. Alles war möglich, alles war unmöglich.
Unmöglich war auch ich. Ich hatte mich so sehr festgebissen und konnte nicht mehr anders, als meine Zeit dort in ihrer Nähe zu verbringen.
Ich sah keine Bierflaschen um sie herum, keine Kippen, keine Hunde.
„Haste mal ne Mark?" war das einzige, was ich hörte. Ab und zu ein leises Danke oder ihr Gemurmel und Gebrummel, wenn die beiden irgendetwas diskutierten.
Doch dann eines Tages, als ich mit meinem Buch Platz genommen hatte, hörte ich plötzlich etwas anderes als „Haste mal ne Mark?"
Zuerst begriff ich nicht, was los war. Denn wie ein Zauberwind saß er plötzlich neben mir und schaute mich mit blauen, herrlich blauen Augen an. Spöttisch, neugierig.
„Sag mal, was willst du eigentlich? Warum treibst du dich hier rum? Du bist doch keine von uns?"
„Wwwie bitte?"
Ich stammelte, wusste nicht, wie mir geschah, was mir geschah. Was ich sagen sollte.
„Mensch Mädchen, meinst du ich bin blöd, weil ich einen langen Bart habe? Seit Wochen lungerst du hier herum und glotzt mich an. Was willst du?"
„Nichts!, sagte ich kleinlaut. „Nichts, wirklich nichts!
Er war schön. Er gefiel mir. Seine Augen, seine spitze Nase, seine Lippen und auch seine schönen Zähne. Er gefiel mir und ich weiß nicht, ob ich deswegen so stammelte, oder weil ich so überfordert war, oder keine Antwort wusste, oder weil es mir so peinlich war, ertappt worden zu sein.
„Nichts will ich!"
„Ist ja schon komisch, dass so ein fesches Mädchen wie du nicht nach Hause geht und lieber hier herumstreicht, wie eine Landstreicherin. Willst du wissen, wie’s geht? Das Betteln? Glaub mir, das ist nichts für dich."
Ich sagte nichts. Ich klammerte mich an mein Buch und schluckte und hoffte, dass ich nicht zu weinen anfing. Aus Frust, aus Schrecken, aus allem, was in mir vorging.
Er schaute mich an, eindringlich, während der andere sich nicht um uns kümmerte und ein Schläfchen zu halten schien.
„Zeig mal, was du liest", flüsterte er und er nahm mit zitternden Händen mein Buch und blätterte darin.
„Ich habe früher auch viel gelesen, gerne gelesen. Ist schon was Tolles. Lesen. Ist das Buch gut. Bist ja fast fertig."
„Ja, es ist gut und spannend und gut geschrieben."
„Mh, ist es unverschämt, wenn ich es mir ausleihe? Dafür brauchst du mir keine Markstücke mehr geben?"
Hatte ich mich verhört? Er will mein Buch? Will es lesen?
„Klar! Gerne. Du kannst es haben."
Er schien sich zu freuen und ich versprach ihm, wenn ich es ausgelesen habe, ihm es am nächsten Tag zu geben.
So wurden wir zu Lesefreunden.
Haste mal ne Mark? Wurde mir gegenüber zu „Haste was zum Lesen?"
Vier Wörter und viel Spaß.
Der Sommer ging ins Land. Ich versorgte ihn mit Lesestoff und er schenkte mir sein Lächeln, seine Ruhe, seine raue leise Stimme.
Ich fuhr in den Ferien nach Hause zu meinen Eltern, aufs Land. Als ich danach mit neuem Lesestoff vorbeikam, war er nicht da. Er war nie mehr da. Der Mantelberg mit den schönen Augen war verschwunden.
Keiner wusste etwas, keiner sagte etwas. Vermutungen, nichts Sicheres.
Sein Mantelbergkollege wusste nichts zu berichten und kurze Zeit später war auch er wie vom Erdboden verschluckt.
Von Einhörnern und anderen bunten Gestalten
Ellen Göppl
Freunde von Bekannten hatten mir davon erzählt: Ein offener Meditationstag in einem dafür angemessenen Freiburger Stadtteil. Ich dachte mir, dass so eine kleine Auszeit bestimmt gut für mich wäre, bei meinem hektischen Alltag, dem Ärger mit den Nachbarn und überhaupt. Per E-Mail bekam ich vorab ein Infoblatt zu dem Meditationsangebot. Man solle doch bitte zu dem Mittagsbuffet einen Beitrag leisten, wenn möglich vegan, aus Rücksicht auf das Umfeld. Was genau mit Umfeld gemeint war, erschloss sich mir aus dem Schreiben nicht. Ich vermutete, es ging nicht nur um Mensch und Tier, sondern um etwas Größeres, Allumfassendes. Also mindestens um das ganze Universum. Ich recherchierte für meinen Nudelsalat zum Thema vegane Zutaten und fand heraus, dass Pasta ohne Ei, Pilze, getrocknete Tomaten und Olivenöl geeignet waren.
Als der Meditationstag schließlich kam, war ich ein bisschen aufgeregt. Ich kannte ja niemanden. Wir stellten uns kurz vor, allerdings sollte der Tag im weiteren Verlauf in Stille abgehalten werden, auch die Pause am Mittag. Nur der Kursleiter sprach zu uns.
Schon morgens stellten wir unsere Beiträge zu einem Buffet zusammen. Es sah alles sehr pflanzlich aus, aber ein paar Leuten war vegan wohl nicht geheuer: Jemand hatte ein kleines Glas Honig mitgebracht, ein Stück Käse, eine halbe Wildsalami, um stumm gegen das Konzept zu protestieren. Der Kursleiter lächelte nachsichtig.
Ich fand alles sehr bizarr. Da war diese Frau, die in seltsam bunten Klamotten, aber völlig ungeschminkt auf ihrem Meditationskissen saß und nervös den Kopf in alle Richtungen drehte. Die Farben ihrer Kleidung erinnerten mich an Einhörner, wie kleine Mädchen sie seit einiger Zeit überall mit sich herumschleppen. Womöglich glaubte sie an Einhörner und dann vielleicht auch an Chemtrails, die ja aller Wahrscheinlichkeit nach von Einhörnern erzeugt werden, damit der Bundesbürger an sich den Politikern hörig ist. Das hatte ich jedenfalls in einer Satirezeitschrift gelesen. Die Frau reckte ihren blassen Hals in die Höhe und drehte ihren Kopf mal nach links, mal nach rechts, als empfange sie ständig irgendwelche Signale von „ganz oben".
Ein Mann namens Peter hatte zum Schutz vor genau diesen gleich einen Aluhut mitgebracht, der unübersehbar aus seiner Sporttasche ragte. Pardon, Yogatasche. Ich starrte den Hut skeptisch an, und Peter lächelte unsicher. Außer mir trugen fast alle handgestrickte, gestreifte Socken, auch die Männer.
Eigentlich war ich ganz froh, dass wir den Tag größtenteils nicht sprechen würden. Nur der Leiter des Meditationskurses sprach ab und zu, um die Meditationen anzuleiten – oder ganz profan den Weg zur Toilette zu erklären.
Schweigen war auf jeden Fall besser, als sich Verschwörungstheorien anzuhören, wie es mir in dafür bekannten Gegenden von Freiburg schon passiert war. Ich scheine solche Leute anzuziehen, keine Ahnung, warum. Wenn ich dann nicht glaubte, dass die Erde innen hohl und von Nazis bewohnt sei, oder die sogenannte Neue Weltordnung die Flüchtlinge geschickt hatte, hieß es gerne „Ich würde das mal googeln!". Wie bitte??! Wenn ich persönlich Verschwörungstheoretiker wäre, würde ich Google ganz sicher nicht nutzen.
Während ich so über dieses und andere Phänomene nachdachte, erinnerte der Dozent uns