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Ein Winter in Wicklow: Erzählung
Ein Winter in Wicklow: Erzählung
Ein Winter in Wicklow: Erzählung
eBook259 Seiten3 Stunden

Ein Winter in Wicklow: Erzählung

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Über dieses E-Book

Viel bewegen können wir uns in diesen Tagen nicht, doch wir können uns die Freiheit nehmen, Michael Müller zu begleiten und mit ihm zu erleben, wie es denn war, in den 1990er Jahren nach Irland auszuwandern und mitten in den Wicklow Mountains ein halbverfallenes Haus wieder bewohnbar zu machen. Wie er versucht, sich ein neues Leben auf der Insel zu schaffen und sein altes in Deutschland hinter sich zu lassen. Doch ein dunkler Schatten verfolgte ihn und zwingt ihn, Position zu beziehen zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und einer erträumten Zukunft.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Feb. 2021
ISBN9783347248427
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    Buchvorschau

    Ein Winter in Wicklow - Georg Grote

    Oktober - Die Ankunft

    Mitte Oktober kehrte Michael zurück. Irland im Herbst war ein anderes Land, und der Herbst war früh gekommen in diesem Jahr. Die Wolken über den Hügeln Wicklows hingen tief und die kahlen Äste der Bäume troffen vom Regen. Die grauen Steinmauern entlang der Straße in den Norden schienen fast nahtlos in das Grau der Wolken überzugehen, die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos reflektierten schmerzhaft auf dem schwarzen Asphalt. Die Dörfer, durch die er fuhr, erschienen gesichtslos, an der Straße aufgereihte flache kleine Häuschen, aus denen gelegentlich Licht auf die betongrauen Bürgersteige fiel. Am Ende der Dörfer wieder das Eintauchen in das grüne Nichts, das nicht aufzuhören schien und nur vom Himmelsgrau begrenzt wurde. Irgendwann verließ er die Hauptstraße und fuhr den steilen Berg hinauf, geradewegs in die Wolken hinein. Einige Monate war er nicht hier gewesen, er hatte den Weg von der Hauptstraße viel kürzer in Erinnerung. Erst als er an dem kleinen Laden vorbei war, wußte er, dass es nicht mehr weit sein konnte.

    Das Haus lag dunkel und verlassen am Hang, die Fenster schauten stumpf in den grauen Tag, der, kaum hatte er angefangen, schon wieder zu Ende zu gehen drohte. Er fuhr die kurze Einfahrt hinauf und stellte den Motor ab. Einen Moment hielt er inne und lauschte. Die Stille wurde nur vom Tropfen des Regens übertönt. Die Haustüre ließ sich nur schwer öffnen, offenbar hatte sie sich seit dem Sommer in ihrem Rahmen verzogen. Er mußte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen sie stemmen, bis sie schließlich aufsprang und den Weg ins Haus freigab.

    Feuchter Muff schlug ihm entgegen, ein Rascheln hinter der Garderobe ließ ihn vermuten, dass das Haus in den letzten Monaten nicht ganz unbewohnt geblieben war. Er ging durch die kleinen und niedrigen Räume, schlug sich wie schon im Sommer den Kopf am Aufgang zur Treppe an und schritt durch das Schlafzimmer im Giebel. Das Plexiglas, dass er in der damals leeren Fensterhöhle angebracht hatte, hatte sich an einer Stelle gelöst und Regen auf den Fenstersims strömen lassen, der sich als grünschwarzer Fleck unterhalb des Fensters ausgebreitet hatte. Soviel Regenwasser war hereingelaufen, dass sich sogar der Teppichboden angehoben hatte - die Preßspanplatten des Fußbodens mußten aufgeweicht sein.

    Der erste Gang durch das Haus nach Monaten machte ihm überdeutlich, wieviel Arbeit in den nächsten Monaten auf ihn zukommen würde; er entdeckte viele feuchte Stellen an den Wänden, und selbst im Kamin, wo das Regenwasser von oben durch den Schornstein herabgetropft war, stand eine kleine Lache. Im Anbau, wo einige Fenster fehlten, war Regen ins Haus gelaufen, und selbst im Wohnzimmer, in dem die Fensterrahmen im Sommer noch einen sehr soliden Eindruck gemacht hatten, kroch die feuchte Kälte durch rissige Dichtungen ins Haus.

    Das Oktobergrau draußen wurde dunkler, doch beim Versuch, das Licht in der Küche einzuschalten, sprang die Sicherung heraus. Den Sicherungskasten, oder was man als solchen bezeichnen konnte, fand er nach langem Suchen hinter einer Klappe über der Eingangstür, die übertapeziert war. Beim Blick auf die altmodischen Sicherungen wurde ihm klar, dass die Arbeit am Haus mit solchen, absolut grundsätzlichen Dingen beginnen mußte…

    Da die Sicherung immer wieder heraussprang, wenn er das Küchenlicht einschaltete, konnte er dort für die nächsten Tage nur Kerzen aufstellen. Er ging durch die anderen Räume und probierte alle Lichtquellen - meist alte blinde Glühbirnen, die an vergilbten Kabeln von den Decken hingen - und probierte auch die Steckdosen. Alle Schalter und Dosen, die Kurzschlüsse auslösten, überklebte er mit Klebeband, eine gute Handvoll blieben einstweilen im Haus benutzbar.

    Michael legte das Klebeband auf den Küchentisch und die Schere daneben. Es war fast ganz dunkel geworden, und er trat ans Fenster des Wohnzimmers. In der Ferne konnte er erste Lichter aufleuchten sehen – auf dem Hügel jenseits des Tales leuchteten die Lichter von Cottages herüber, ihr gelber Schimmer versprach Wärme und Gemütlichkeit. Mit einem Seufzen drehte er sich um und schaute sich in seinem zukünftigen Wohnzimmer um: die Wände waren gelblich, an einigen Stellen hing noch eine Blümchentapete, von der Decke hing eine einzige funzelige Glühbirne herab, deren Licht leicht flackerte. Die Birne selbst bewegte sich im Luftzug und Michael fröstelte. Drinnen schien es kälter als draußen zu sein. Die Wände dieses Hauses strahlten die Kälte förmlich ab und er fragte sich, ob dies jemals ein gemütliches Haus werden würde, ob es auch nur ansatzweise mit dem vergleichbar sein würde, was er sich vorstellte: ein Haus mit offenen Kaminen, in denen Torffeuer fröhlich vor sich hin brannten und Wärme abstrahlten, in dem er ein Glas Whiskey am Kamin trinken konnte und vollkommen er selber war, in dem sich seine Nachbarn trafen, das von Musik und Gelächter erfüllt war – ein Haus, in dem er glücklich werden würde und zur Ruhe kommen konnte, sich zuhause fühlte und daheim. Er blickte über das dunkler werdende Land, das die Farben des Tages an die Nacht verlor und hoffte, dass er alles richtig gemacht hatte, dass dieser Schritt letztlich der richtige gewesen war und er nicht eines Tages seine Entscheidung, sein Leben in Deutschland hinter sich gelassen zu haben, bereuen würde.

    Ein Sprung ins kalte Wasser, das war es, was sein Vater dazu gesagt hatte, ein Weglaufen vor der Realität, doch wenn er sich in diesem feuchten, kalten Raum umsah, so war es ihm, als sei dies die Realität, nach der er immer gesucht hatte. Hier lagen die Probleme, die er zu bewältigen hatte, unmittelbar vor ihm, es waren viele, aber er hatte das Gefühl, sie bewältigen zu können. Die kommenden Monate würden hart werden, vielleicht sogar sehr hart, aber sie würden ihm zeigen, ob er dieser Herausforderung gewachsen war und er diese Bruchbude in etwas Lebenswertes verwandeln konnte. Alles Andere würde dann schon kommen, es lohnte sich nicht, gleich jetzt schon an die Möglichkeit des Versagens zu denken. Die letzten Monate und Jahre waren zu hart gewesen, er weigerte sich einfach, zu glauben, dass dieses Projekt ebenso vom Misserfolg geprägt sein könnte.

    Draußen war es dunkel geworden. Nun wurde es Zeit, einige Dinge aus dem Auto zu holen, die er für die Nacht brauchen würde. Er schüttelte sich leicht, denn ihm war kalt geworden. Er griff den Autoschlüssel und stapfte über das nasse Gras im Vorgarten zu seinem Auto, öffnete die Seitentür und griff sich ein paar Dinge, die er brauchen würde, einen Schlafsack, das alte Feldbett, dass er noch aus seiner Zeit bei der Bundeswehr besaß, die große Taschenlampe, eine dicken Pullover und die warme Jacke und eine Rolle Kekse. Das Auto würde er morgen entladen.

    Er trug sein Nachtlager ins Wohnzimmer, baute das Feldbett auf und breitete seinen Schlafsack darauf aus. Sein Pullover roch frisch gewaschen, es war der Geruch des Waschmittels, der ihn an seine Wohnung in Deutschland erinnerte, die er erst vor ein paar Tagen verlassen hatte. Wie einfach das Leben dort gewesen war, es gab dort alles, die Waschmaschine, den Wäschetrockner, die Bäckerei um die Ecke und den Supermarkt am Ende der Straße. Und hier? Hier gab es nicht einmal Wärme, die Luft roch feucht und modrig, und aus der Küche raschelte es verdächtig. Dies konnte ein langer Winter werden…

    Aber, es machte keinen Sinn, gleich am ersten Tag Trübsal zu blasen; er war gesund und munter hier angekommen, das Haus stand noch, und das mußte gefeiert werden. Vom Sommer her erinnerte er sich noch daran, dass es in der Nähe einen Pub gab, dort war es bestimmt warm und vielleicht gab es dort auch etwas zu essen. Er zog sich einige warme Sachen an, denn die Feuchtigkeit des Hauses war ihm inzwischen durch seine Kleidung gezogen, fuhr das Auto hinters Haus und versuchte, die Haustür hinter ihm zu schließen. diese hatte sich allerdings mittlerweile so sehr in der feuchten Luft ausgedehnt, dass sie gar nicht mehr schließen wollte. Er zog sie so weit wie möglich zu und sicherte sie mit einen Stück Draht. Das würde zwar niemanden davon abhalten, hier einzudringen, aber vielleicht den Mäusen den geregelten Rückzug aus dem Haus ermöglichen, nun, da sie bemerkt haben mußten, dass sie einen neuen Mitbewohner hatten.

    Im Pub

    Der Weg zum Pub führte die Straße hinunter bis zur Hauptstraße, die Dublin mit dem Südosten verbindet. An der Kreuzung lag der Pub, ein typischer Country Pub, zu dem die meisten Einheimischen mit dem Auto fuhren, und der großangelegte Parkplatz an diesem Samstag Abend war gut gefüllt.

    Als er die Türe aufstieß, kamen ihm Wolken von Rauch und der Geruch von vielen Menschen, dunklem Bier und feuchter Kleidung entgegen, die in der abgestandenen Wärme der Kneipe trocknete. In einem großen Kamin brannte ein Torffeuer. Der Pub war voller Menschen, in der Ecke am Fenster spielten zwei junge Musiker, einer zupfte an einer Gitarre und sang dazu, der andere begleitete ihn auf einem Banjo. Er kämpfte sich durch die dichtgedrängte und gutgelaunte Menge bis zur Bar. Zwei ältere Männer ließen ihn schließlich bis an den Tresen heran, doch es dauerte noch immer einige Minuten, bis er endlich sein a pint please loswerden konnte. Ob es auch noch etwas zu essen gab, wollte er bei dem Andrang schon gar nicht mehr fragen. Stattdessen wurde er von den beiden gefragt Where are you from? Ach, Sie sind der, der Grey's Cottage gekauft hat? Heute sind Sie angekommen? Na dann herzlich willkommen in Wicklow, ich bin mir sicher, dass wir uns noch öfter sehen werden, wir trinken immer hier in Lil Doyle's.

    Die Beiden sahen aus wie aus dem Bilderbuch, in alte Tweedjacken und Cordhosen gekleidet, mit Schiebermützen auf dem Kopf und Pfeife rauchend, die sie gelegentlich mit ihren bloßen, von harter Arbeit gezeichneten Händen nachstopften. Sie stellten sich als Jack und Jim vor, Bauern aus der Umgebung, die aber gern behilflich sein würden, wenn er ihre Hilfe brauchen sollte.

    Er sagte Jim, dass er am dringendsten einen Elektriker bräuchte, und sie verwiesen ihn auf einen Mann am Ende des Tresens, der, puterrot im Gesicht, aus vollem Halse lachte und dann den Inhalt eines halben Pints in sich hineinschüttete. "Geh‘ und frag‘ Billy Breen, er ist the gombeen man, der Mann für alle Fälle hier in der Gegend, gab ihm Jack noch mit auf den Weg, und see you again." Er kämpfte sich durch die Leute zu Billy durch, immer wieder von Bemerkungen wie, mein Gott, was für ein großer Kerl begleitet, die ihm so vertraut waren, denn in Irland waren recht wenige Menschen über zwei Meter groß wie er.

    Sind Sie Mr. Breen? rief er ihm über den Kopf eines untersetzten Mannes zu. Er schaute zu ihm herüber, nickte und winkte ihn zu sich heran, Ja, aber hier bin ich für alle nur Billy, was kann ich für dich tun? Er stellte sich, so gut es bei dieser Atmosphäre eben möglich war, vor und erzählte ihm von seinen Elektriksorgen. Ah, du bist der, der Witwe Dunne's Haus gekauft hat - ich hatte mich schon gewundert, wann ich dich wohl endlich treffe. Komm, wir trinken erst einmal ein Bier und reden dann weiter.

    Er hob seine Hand und signalisierte dem Barmann, dass hier noch zwei Pints gebraucht würden, und dann wandte er sich ihm zu: Einen Elektriker suchst du? Kein Problem, aber ich glaube, du brauchst noch mehr als nur einen Elektriker, wenn du dein Haus wieder bewohnbar machen willst. Als ich das letzte Mal oben in deinem Haus war, das muß so zwei Jahre her gewesen sein, da gab es dort noch nicht einmal eine Toilette und keine Heizung. Hat sich das inzwischen geändert?

    Es war natürlich alles noch genauso, wenn nicht sogar noch schlimmer, als zu der Zeit, als Billy das letzte Mal in 'Glenside' gewesen war, aber er versuchte ihm zu erklären, dass er ja irgendwo anfangen mußte, und dass die Elektrik schon ziemlich wichtig war, wenn er überhaupt irgendwelche Arbeiten machen wollte. Strom war dabei fast das Wichtigste, mit Sicherheit wichtiger als eine Toilette - gab es doch irgendwo im Schuppen draußen eine Latrine, die für den Anfang erst einmal genügen mußte.

    Also, erzählte Billy weiter, "ich habe den Laden oben am Hügel, Fleming's Shop, du weißt schon, du kommst daran vorbei auf dem Weg zur Kneipe. Dort bekommst du alles, was du brauchst für deine Arbeiten, von Zement über Sand bis zum Torf zum Heizen. Eileen, meine Frau ist im Laden, und du kannst anschreiben lassen, wenn du willst. Und wenn du einen Handwerker brauchst, besorge ich dir den besten und zuverlässigsten - auf Zuverlässigkeit legt ihr Deutschen doch immer Wert, oder?"

    Da Billys Pintglas schon fast wieder leer war, versuchte Michael die Aufmerksamkeit der Barkeepers zu erlangen, aber der war zu beschäftigt, und Billy sagte zu ihm: Laß‘ mal gut sein, ich habe sowieso genug für heute, ich gehe nach hause, und morgen nach der Messe um zehn komme ich vorbei und wir sehen mal nach dem nötigsten in der Elektrik. Einen richtigen Elektriker kann ich dir sowieso nicht vor Dienstag besorgen – also bis dann, wenn's recht ist. Natürlich war es recht, und er ließ ihn ziehen, zufrieden, dass der erste Abend hier sofort zu handfesten Ergebnissen geführt hatte. Da konnte er noch gemütlich ein Pint trinken und die Atmosphäre der Kneipe genießen, bevor er sich wieder in sein feuchtes Haus zurückzog.

    Irgendwann, so gegen Mitternacht, war dann auch die drin-king-up time vorbei und der Wirt begann ungemütlich zu werden und die Leute zu ermahnen, nun doch endlich nach hause zu gehen. Also machte Michael sich wieder auf den Weg. Draußen nieselte es ungemütlich, und ein naßkalter Wind trieb ihn vor sich den Berg hinauf. Auf halber Höhe hielt ein Auto neben ihm, eine Tür flog auf und jemand rief: Wenn du der neue Nachbar bist, dann steig ein, wir haben denselben Weg. Er zwängte mich auf den Rücksitz eines nach Bauernhof riechenden Autos, und jemand stellte sich ihm als Pat vor, der ein paar Häuser weiter die Straße herauf lebte, wie er sagte. Schön, dass jemand das alte Cottage gekauft hat, hast 'ne ganze Menge Arbeit vor dir, aber das Haus verdient es, hat viel mitgemacht in den letzten Jahren, wird Zeit, dass es in gute Hände kommt. Man sieht sich. Und dann waren sie auch schon da, er stieg aus, und der Wagen fuhr weiter in die Regennacht, das eine schwache Rücklicht grüßte einsam zu ihm zurück.

    Es war still, nur der Wind zischte leise, der Regen trieb ihm ins Gesicht und ihm war plötzlich bitterkalt nach der Wärme in der Kneipe. Er fummelte seinen Schlüssel aus der Tasche und fingerte seine kleine Taschenlampe hervor, um den Weg ins Haus zu finden. Die Tür war noch immer nur angelehnt, und im Haus war es noch kälter als draußen. Er suchte nach dem Lichtschalter, doch als er ihn drückte, hörte er das Klacken der Sicherung und wußte, dass er für diese Nacht keinen Strom mehr haben würde. Die Türe schloß nicht hinter ihm, also schob er sie zu, soweit es eben ging, und verkeilte sie mit einem Besenstiel, der in der Ecke stand, damit der Wind sie nicht aufdrücken konnte.

    Sein Feldbett stand im Wohnzimmer, oder besser gesagt, in dem Raum, der irgendwann einmal ein Wohnzimmer werden sollte. Er rollte seinen Schlafsack aus und legte seine Sachen auf einen alten Stuhl, den er in der Küche gefunden hatte. Das Zähneputzen und andere hygienische Einzelheiten mußten für diesen Abend ausfallen…

    Der ‘Gombeen Man‘

    Michael schlief wie ein Stein, und wachte auf, als ihm die Sonne ins Gesicht schien. Es war zehn Uhr, und statt des gestrigen Oktobergraus leuchtete der Himmel blau hinter dem blinden Fenster. Als er aufstand und sich seine Kleidungsstücke ansah, die er auf den Stuhl gestapelt hatte, fiel ihm auf, dass er wohl Besucher gehabt haben mußte, ein Hosenbein war angeknabbert, und auf seinem Hemd fanden sich kleine, unmißverständliche Mäusespuren. Das konnte ja noch lustig werden, wenn die kleinen Gesellen so frech waren, sich bis in seine Nähe zu wagen.

    Billy hatte sich angekündigt, um mit der Elektrik zu helfen, nach der Messe, wenn er sich recht erinnerte. Er hatte keine Ahnung, wann hier die Messe stattfand und dachte, es sei das Beste, am Haus zu bleiben. Da die Sonne schien, beschloß er, einen Gang über das Anwesen zu unternehmen.

    Die Küchentür öffnete sich ohne Probleme und er trat in den Garten hinaus, wenn man dieses wilde Feld überhaupt einen Garten nennen konnte. Gras und alle erdenklichen Unkräuter standen fast hüfthoch, auch wenn einiges schon in den Herbststürmen abgeknickt worden war und braun am Boden lag. Inmitten des hohen Grases lagen gelegentlich alte Reifen, ein alter Autokotflügel, Holz und Glasscheiben. den Garten durchzog auf halber Höhe eine Fuchsienhecke, die wild und hoch unkontrolliert in alle Richtungen wuchs. Am Rande des Grundstückes stand ein alter wellblechgedeckter Schuppen, dessen Steinmauern tiefe Risse aufwiesen. Er öffnete die klapprige Tür, und ein unerträglicher Gestank nach Latrine kam ihm entgegen. Angeekelt schlug er die Holztüre wieder zu; hier konnte er auf gar keinen Fall, nicht einmal für ein paar Wochen, seine Toilette einrichten.

    Er ging weiter durch den Garten, der sich noch ein gutes Stück den Hügel hinauf erstreckte. Am hinteren Ende des Gartens war er etwa auf der Höhe des Hausfirstes und konnte über das Haus nach Norden auf die sanften Hügel Wicklows blicken. In der Ferne schimmerte es blau, das mußte die irische See sein, etwas weiter links, unterhalb eines großen Sendemastes, lag Wicklow Town. Dies war ein unglaublich schönes Plätzchen Erde; er erinnerte sich, dass ihn im Sommer dieser Ausblick und die Lage des Hauses zum Kauf entschließen ließen. Ja, es könnte sehr schön werden hier draußen, wenn erst einmal das Haus bewohnbar war und er eine Arbeit gefunden hatte. Dublin war nur eine knappe Autostunde entfernt, sodass er als Stadtmensch auch auf die Annehmlichkeiten der Metropole nicht zu verzichten brauchte, sollte ihm einmal danach sein.

    Auf der Straße näherte sich ein kleiner Lastwagen, der seine Fahrt verlangsamte und vor dem Haus stehen blieb. Ein älterer Herr mit einem Kranz von weißen Haaren, die in alle Richtungen abstanden, stieg aus, das konnte nur Billy sein. Er sah Michael und rief ihm zu, Was für ein wunderbarer Morgen, wie geht es dir, hast du gut geschlafen oder die ganze Nacht Mäuse gejagt? Er lachte und ging ihm entgegen: Die Mäuse hatten Glück, dass es Guinness gibt…

    Du hast einen schönen Garten, mit ein wenig Arbeit wird das hier alles wunderbar werden, du mußt nur schauen, dass die alten Bäume nicht komplett vom Efeu erdrückt werden, und, wenn ich du wäre, würde ich die Hecke herausnehmen. Sie hat früher einmal den Nutzgarten umrahmt, aber das ist lange her. Ohne sie hast du einen richtig großen Garten mit einer großen Wiese.

    Ich glaube, ich sollte erst einmal das Haus bewohnbar machen und mir eine Toilette einrichten, bevor ich an die Gartengestaltung denke, erwiderte er, schau dir nur mal an, was ich für eine Toilette habe.

    Billy blickte angewidert in das Dunkel des Schuppens. Was du brauchst, ist ein Abwassertank mit Überlauf, sagte er, „dann kannst du dir ein Bad im Haus einbauen und mußt überhaupt nicht mehr in den Garten. Ich schicke dir Jimmy mit dem Bagger, der kann all diese Jobs, inklusive der Hecke, innerhalb von einem Tag erledigen. Sein Bagger macht das alles in Nullkommanichts, und dann kannst du wenigstens vernünftig planen. So kann man doch nicht leben. Hast du denn wenigstens Telefon?" Michael hatte gar nichts, und es war einfacher aufzuzählen, was er nicht brauchte…

    Billy machte sich an die Elektrikanalyse. Er öffnete eine übertapezierte, halbhohe Türe in der Küche, und dahinter befanden sich Kabel in allen Farben und in unterschiedlichen Stärken, die zu einem Bündel

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