Tee mit Ayman: Im Dialog mit Geflüchteten
Von Astrid Ruppert
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Über dieses E-Book
Die Autorin reflektiert ihre Aufgaben im Ehrenamt, hinterfragt sich immer wieder selbst, indem sie eigene Vorurteile aufdeckt, Motivationen unter die Lupe nimmt und betont, wie wichtig der Dialog ist: "Wir sind so kompetent und lösungsorientiert, und geübt darin, Probleme aus der Welt zu schaffen… die Schwierigkeit beim Helfen besteht darin, zu erkennen, welche Art der Hilfe überhaupt gewünscht ist."
Gleichzeitig erfahren wir, warum eine deutsche Teekanne aus Glas keine Teekanne ist, warum Neonröhren so beliebt sind und was ein verliebter Syrer sagt, wenn sein Herz spricht…
Astrid Ruppert
Astrid Ruppert studierte Literaturwissenschaft und arbeitete mehrere Jahre als Fernsehredakteurin, bevor sie freie Autorin wurde. Neben ihren Romanen schreibt sie auch regelmäßig erfolgreiche Drehbücher.
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Buchvorschau
Tee mit Ayman - Astrid Ruppert
August 2015
Die Angst vorm ersten Mal
Als ich mich letzte Woche auf den Weg machte, um im Nachbarort die neu ankommenden Flüchtlinge zu begrüßen, war ich aufgeregt. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar ein bisschen Angst.
Flüchtlinge kannte ich bis dahin nur aus dem Fernsehen und aus Zeitungsberichten. In meinem Kopf existieren die Bilder, die wir alle kennen, weil wir sie täglich sehen. Menschenströme, die sich durch Landschaften ziehen. Gedrängt volle Bahnsteige, überfüllte Züge. Erschöpfte Menschen, die am Straßenrand sitzen, dunkle Augen, die fragend in die Kameras schauen.
Aber wie ist es, wenn man plötzlich vor einem Menschen steht, der all das mitgemacht hat, was wir nur vom Bildschirm kennen? Wie begegnet man sich? Ich zerbreche mir den Kopf, was ich jemandem bloß sagen könnte, der mich aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nicht versteht? In meinen Büchern kann ich mit Worten umgehen. Aber hier? Ich übe „Willkommen" auf Arabisch, und hoffe, dass ich es richtig ausspreche und nicht versehentlich etwas anderes, völlig Beklopptes sage.
Und was ziehe ich an? Ich weiß, dass überwiegend Männer kommen werden. Ich ziehe das T-Shirt wieder aus, das ich zuerst anhatte, vielleicht ist der Ausschnitt ja doch zu tief? Ich schlüpfe in eine Bluse und einen Rock. Hm. Vielleicht ist der Rock zu kurz? Sind nackte Beine überhaupt okay? Oder doch lieber eine Hose? Aber ich habe selten Hosen an. Muss ich mich jetzt anders anziehen, nur weil ich Flüchtlingen begegne? Ich bin doch ich und will ihnen auch genau so gegenübertreten. Letztlich ziehe ich ein Kleid an, das im Ausschnitt hochgeschlossen ist und wenigstens das Knie bedeckt. Damit fühle ich mich wohl. Das bin ich, so wie ich immer angezogen bin, mit kleiner Rücksichtnahme darauf, dass unsere im Gegensatz zu den arabischen Ländern freizügige Kultur eventuell ein Schock sein könnte. Gut, das Begrüßungswort und das Kleiderproblem sind gelöst, nur stellt sich die nächste Frage:
Was könnte ich mitbringen? Kekse? Oder Kuchen? Nüsse und Datteln? Oder doch lieber Schokolade? Die Flüchtlinge kommen aus den großen Auffanglagern, vielleicht freuen sie sich ja, wenn sie etwas aus ihrer Heimat wiedererkennen? Andererseits wollen wir sie hier mit etwas Deutschem begrüßen. Es kann ja auch eine Mischung aus allem sein? Ich beschließe, Datteln, Nüsse, Kekse und Schokolade mitzubringen. Aber wie? Ich überlege bestimmt eine Viertelstunde lang, ob ich alles dort in den Tüten einfach auf den Tisch lege? Ob es einen Teller geben wird, auf den ich alles kippen kann? Oder ob ich den lieber gleich selbst mitbringe? Und wenn ja, was für einen? Bis ich den Kopf über mich selbst schüttele … Da kommen Menschen aus dem Krieg, nach der Flucht und nach Wochen in überfüllten Camps, und ich mache mir Gedanken um eine Kekspräsentation!
Unbekannte Situationen machen uns Angst. Die Angst ist ein menschlicher Schutzinstinkt. Sie bewahrt uns davor, in Situationen zu geraten, die wir nicht einschätzen können. Gefahren ausgesetzt zu werden, die wir nicht kennen. Flüchtlingen zu begegnen ist – noch – eine unbekannte Situation für uns. Aber wie groß muss die Angst der Menschen gewesen sein, dass sie ihre Angst vor dem Unbekannten überwinden und einfach loslaufen, um dem Schrecken zu entkommen, der jetzt bei ihnen zuhause herrscht. Dass sie wochenlang unter freiem Himmel in Straßengräben schlafen, während ich ja schon Angst habe, im eigenen Garten im Freien zu übernachten, weil Waschbären kommen könnten. (Mein menschlicher Schutzinstinkt ist anscheinend gut ausgeprägt!)
Die tatsächliche Begegnung verläuft dann ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Mein arabisches Wort habe ich natürlich vergessen, als die sechs jungen Männer vor mir standen, aber für das deutsche „Willkommen" haben sie sich auch bedankt. Und ich lerne, dass es tatsächlich möglich ist, sich zu unterhalten: 1. Die Sprache des Lächelns wird von allen verstanden. 2. Die Sprache von Keksen und Tee auch. 3. Und dann gibt es Gesten: Ayman, ein junger Mann aus Syrien, trägt für mich einen Stuhl aus einem der Zimmer in den Flur, weil er bemerkt hat, dass ich dort lange Zeit gestanden habe.
Da habe ich mir doch gerne Gedanken um die beste Kekspräsentation für den Nachmittag gemacht. Falls es jemanden interessiert: Ich habe einen großen Teller mitgebracht und die Süßigkeiten in bunten Serviettennestern angerichtet. Also, sah hübsch aus. Und ich glaube sogar, dass es von den Männern wahrgenommen wurde.
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September 2015
Ein syrisches Gastmahl
Wir machen mit dem Frosch – so heißt mein grüner, alter Renault mit dem besonders großen Kofferraum – einen ausgiebigen Einkaufstrip zum einzigen türkischen Supermarkt der Gegend in der nächsten Stadt. Und während drei der neu angekommenen Syrer – Ayman, Djamil und Sîpan – einmal durchgehen, um alles anzuschauen und das Sortiment zu sondieren, spüre ich, wie sich immer mehr freudige Aufregung bei den drei jungen Männern aufbaut. Ich hatte ihnen versprochen, herauszufinden, wo es den nächsten türkischen Markt gibt, um mit ihnen dort einzukaufen, jetzt sind sie begeistert. Sie zeigen auf Lebensmittel, rufen sich Wörter zu, lachen, freuen sich über alles, was sie entdecken, und fangen an, ihren Einkaufswagen zu beladen. Zuerst Gemüse, Unmengen von Gemüse. Sîpan steht vor dem ganzen gebündelten Grünzeug, schnuppert an den Blättern, bricht sich kleine Stückchen ab, die er probiert, bis er den Geschmack findet, den er sucht. Dann legt er das grüne Bündel in den Wagen, der sich rapide gefüllt hat. Zur besonderen Freude der Männer gibt es jetzt: Fleisch! Als Moslems dürfen sie nur Fleisch von Tieren essen, die auf bestimmte Weise geschlachtet, also geschächtet wurden. In den Erstaufnahmelagern, in denen sie viele Wochen verbracht haben, haben sie sehr wenig Fleisch gegessen. Die Gesichter der Syrer strahlen. Essen ist Heimat!
Die Gerichte, die meine Mutter mir gekocht hat, wenn ich hungrig aus der Schule nach Hause kam, lösen heute noch sofort so etwas wie ein Heimatgefühl in mir aus. Und als ich eine Zeit lang in England gelebt habe, da haben mich die Päckchen von zuhause mit Roggenvollkornbrot und meiner Lieblingsschokolade wahrscheinlich ähnlich strahlen lassen. Ein in Berlin lebender Schulfreund aus Fulda kauft sich jedes Mal, wenn er in Fulda ist, ein Bauernbrot mit Kümmel, weil es das bei der ganzen Vielfalt der Berliner Bäckerzunft nicht gibt. Und weil es für ihn nach Heimat schmeckt.
Als wir die Sachen in den Kofferraum laden, der so voll ist, als würde ich in Urlaub fahren, werde ich für den Abend eingeladen zu einem syrischen Essen. Den Syrern ist es wichtig, ihre Dankbarkeit zu vermitteln. Sie wollen uns damit aber auch etwas von ihrer Heimat zeigen, etwas von ihrer Identität. Denn die ist, neben ihren Smartphones und den Kleidern, die sie auf dem Leib tragen, das einzige, was sie mitnehmen konnten auf dem langen Marsch quer durch Europa.
Genau in dem Moment, als wir dann abends in die Flüchtlingsunterkunft kommen, geht in der Küche der Rauchmelder los, weil das Frittieröl qualmt. Vor lauter Aufregung beim Kochen wurde der Wasserkocher auf eine heiße Herdplatte gestellt und das verschmorte Plastik sorgt für zusätzliche Rauchentwicklung. Hektisches Chaos begrüßt uns! Aber dann werden wir in eines der Zimmer geführt, wo eine fürstliche Tafel gedeckt wurde: Der Tisch biegt sich unter der duftenden Last der Speisen. Es gibt Fleisch in einer Joghurtsuppe, Fattousch, Salat mit gebratenem Brot, Reis, mit Hackfleisch und Tomaten gefüllte Auberginen und frittierte Kartoffelstücke, die an Pommes erinnern. Die Jungs müssen den halben Tag lang gekocht haben. Und das Essen war einfach großartig.
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Die haben ja alle ein Smartphone!
Den Satz höre ich immer wieder und er überrascht mich. Wenn ich heute mein Zuhause verlassen müsste, weil es nicht mehr sicher ist, weil mein Dorf zerstört wurde und mein Leben in Gefahr ist, was nehme ich dann mit? Ich würde meine bequemsten und stabilsten Schuhe anziehen, funktionelle Kleidung, mein ganzes Geld zusammenkratzen für die Schlepper, die ich vielleicht bezahlen muss, meine Wasserflasche füllen und loslaufen. Mein Smartphone wäre natürlich dabei. Es wäre eines der wichtigsten Dinge, die ich mitnehme. Denn es funktioniert als Kompass und Landkarte, als Familienalbum mit den Fotos meiner Lieben, als Übersetzer, als Währungsrechner, es ist klein und passt in jede Jackentasche. Und das Wichtigste: Es funktioniert als Verbindung in die Heimat, um zu hören, ob die Zurückgelassenen noch leben. Um ihnen sagen zu können, dass ich noch lebe. Die Geflüchteten kommen oft mit nichts außer dem, was sie am Leibe tragen, und wir können nicht ahnen, welches Leben sie zurückgelassen haben. Bei den meisten hat das Smartphone so selbstverständlich zum Alltag gehört wie bei uns auch. Die Flüchtlinge, die die Gemeinschaftsunterkunft in Nieder-Ofleiden erreicht haben, sind keine unzivilisierten Buschbewohner, sondern hochqualifizierte junge Männer. Auf den Weg machen sich die, die physisch und psychisch stark genug sind, die Gefahren und Belastungen der Flucht auszuhalten. Warum also sollten ein Arzt, ein Taxifahrer, ein Ingenieur oder ein Anstreicher kein Smartphone besitzen? Das besitzen die Ärzte, Taxifahrer, Ingenieure und Anstreicher hier auch.
Ich hatte lange Zeit ein altes Handy, die Zahlen waren so abgegriffen, dass man sie kaum noch lesen konnte. Aber als meine Tochter ein Auslandsjahr in Kanada verbracht hat, habe ich mir mein