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Hexen Sud: Ein Killer Tal Krimi
Hexen Sud: Ein Killer Tal Krimi
Hexen Sud: Ein Killer Tal Krimi
eBook409 Seiten5 Stunden

Hexen Sud: Ein Killer Tal Krimi

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Über dieses E-Book

Die fünfte Jahreszeit hat im Killer Tal Einzug gehalten. Doch das ist nichts für Alex, dem es nach der aufregenden Jagd noch immer psychisch schlecht geht. Am liebsten würde er sich verkriechen. Doch Lilly zwingt ihn sich in das Närrische Treiben zu stürzen. Und gerade als die gesamte Kriminalpolizei bei Lillys Einweih Party zu Gast ist, wird in einem kochenden Hexenkessel ein auf grausame Art ermordetes Mädchen gefunden.
Die Ermittlungen beginnen und stellen sich mit all dem närrischen Treiben als äußerst schwierig heraus. Dabei stoßen Alex und Lilly auf ein altes Geheimnis, dass Alex in seine Zeit als Abiturient zurückversetzt. Eine Zeit vor dreißig Jahren und einem längst vergessenen Ereignis.
Mehr als einmal muss Alex sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzten und als Lilly dann auch noch verschwindet setzt er alles auf eine Karte.
Spannende Fortsetzung der Killer Tal Krimi Reihe mit höchstem Nervenkitzel in der mystischen fünften Jahreszeit.
Das Killer Tal - es gibt es wirklich!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. März 2021
ISBN9783347242371
Hexen Sud: Ein Killer Tal Krimi
Autor

Oliver Grudke

Oliver Grudke: Dipl. Ingenieur in der Forstwirtschaft. Seit über 25 Jahren erfolgreich mit eigenem Ingenieurbüro an der Schnittstelle des Naturschutzes und der Forstwirtschaft. Oliver Grudke ist verheiratet und hat einen Sohn. Seit einigen Jahren hat er das Schreiben für sich entdeckt und verfasst Bücher in unterschiedlichen Genres. Mehr zu Oliver Grudke und seinen Büchern unter www.torsteine.de

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    Buchvorschau

    Hexen Sud - Oliver Grudke

    Alles war verändert!

    Sein Leben war aus den Fugen.

    Und das nicht erst seit heute, nein eigentlich schon lange.

    Vielleicht schon immer.

    Es könnte sein, dass alle, und hier insbesondere seine Mutter, recht hatten mit der Ansicht, dass er nicht fähig war zu einer Beziehung. Er war ein Sonderling und Einzelgänger.

    War dies so?

    Eigentlich wollte Alex nicht darüber nachdenken. Doch er musste es, denn so konnte es nicht mehr weitergehen.

    Professionell hatte er seine aktuelle Situation in zwei Teile aufgeteilt.

    Da war zum einen die äußerliche Situation. Und diese war kalt und feindlich. Obwohl ganz Europa, ja eigentlich der ganze Planet von der Klimaerwärmung getroffen wurde, so hielt die Schwäbische Alb offensichtlich dagegen.

    Berry kratzte an der Glastür. Nach nur zwei Minuten im Garten. Alex seufzte und stand mühevoll auf. Doch man konnte es dem Hund auch nicht verübeln. So lagen nun schon seit Wochen mindestens neunzig Zentimeter Schnee im Garten und auf der Alb. Manche Straßen wurden von Schneewehen geradezu überrollt und die Männer der Straßenbauverwaltung mussten mit Schneefräsen die Straßen wieder passierbar machen. Dazu kam die arktische Kälte von unter minus fünfzehn Grad. Gerade heute Nacht hatte das Wetter einen neuen Rekord aufgestellt. Minus 21,2 Grad in Onstmettingen. Alex erinnerte sich nicht daran, dass es je so kalt war. Zumindest, so dachte er, war es nun erlaubt, über die Existenz der Klimaerwärmung nachzudenken.

    Zum anderen seine innerliche Situation, und die war äußerst prekär. Er, der Einzelgänger und Prototyp eines Robinson Crusoe fühlte sich allein, antriebslos und leer. An manchen Tagen aß er außer Chips nichts. Gut zu kochen war nicht seine Stärke und der Berggasthof war weiterhin geschlossen. Ein kleinen Funken Hoffnung hatte er sich erlaubt, doch Alexandra würde nicht zurückkommen. Sie genoss ihr neues Leben in ihrem neuen Haus.

    In Wolfis Haus.

    Außer Chips zum Essen kam Ümit, der Taxifahrer nun regelmäßig mit frischer Pizza (auch wenn Alex immer dieselbe Sorte bestellte). Sex hatte er weiß Gott wann zuletzt. Vermutlich mit Verena. Doch schon beim Gedanken an diese Frau lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. Dies könnte der Grund dafür sein, dass er sich nicht mehr mit Frauen traf. Natürlich hatte er hie und da einen Anruf oder eine Einladung. Karin Assenmacher hatte sich nach ihm erkundigt und auch Sieglinde Seibert hatte versucht, sich mit ihm zu verabreden. Doch Alex hatte immer aus einem fadenscheinigen Grund abgesagt. Das wäre ihm früher nicht passiert. Kürzlich hatte er sich dabei erwischt, wie er einen Online-Arztbericht zum Krankheitsbild der Impotenz las.

    War es schon soweit?

    Möglich könnte es sein, da die hässliche 50 auf ihn zuraste wie ein Komet.

    Alles in allem war die Diagnose eindeutig: Er hatte eine tiefe Depression.

    Natürlich würde er dies nicht unnötig ausplaudern. Am wenigsten seiner Mutter und schon gar nicht Lilly gegenüber. Die würde dafür sorgen, dass er schneller in eine Klinik kommen würde als ihm lieb war.

    Er blickte hinüber zu seinem Tresen. Dort lag noch immer die Einladung zur Jagd von Bärbel, die er ausgeschlagen hatte. Und die Einladung mit einem geschrumpelten Luftballon daran von Lilly. Hatte er abgesagt? Er war sich nicht sicher, er war sich in so vielen Dingen nicht mehr sicher. Doch bei aller Dramatik war die Situation nicht neu. Damals, vor über zwanzig Jahren, als seine erste Frau ihn verlassen hatte (eigentlich hatte er sie verlassen, doch da es sein Haus war, musste sie gehen!) und dann die Insolvenz der Firma, damals war es auch so.

    Und genau so waren da diese dunklen Gedanken. Die niemand denken sollte. Doch wer außer Berry würde um ihn trauern?

    Sie kam damals und rettete ihn. Mit ihrem Lachen, den tiefblauen Augen und ihrer Freundlichkeit. Alex und Sie hatten eine gute Zeit. Eine gemeinsame Zeit.

    Doch keine Zukunft. Eigentlich hatte Sie nie einen Hehl darum gemacht. Aber Alex dachte, dass die Liebe die Hindernisse aus dem Weg räumen würde.

    Doch das tat sie nicht, und so gab es nun einen Fürsten. Einen Mann. Einen, der ihren Ring trägt. Und jener hieß nicht Alex Kanst. Damals, in seinem ersten Leben, hatte er einen Traum. Einen Traum von Normalität. So kurios es sich auch anhört. Er wollte nur eine Familie, ein Kind, einen Hund und geliebt werden.

    Wenigstens hatte er jetzt, dank Lilly, einen Hund. Alex kraulte den Cocker. Und er war reich, berühmt und ein Frauenheld. Wobei Letzteres derzeit nicht zutraf. Auch hatte sich die Tatsache, dass bei seinem letzten Fall, wobei es eigentlich kein Fall war, sondern er ungewollt in das Visier der Mörderin geraten war, all seine Freunde verletzt wurden, herumgesprochen. Dies könnte dazu führen, dass man ihn nun mied. Wie der Teufel das Weihwasser, glaubte man den Priestern, dass der Teufel kein Weihwasser mochte. Doch jenen glaubte er am wenigsten, außer, dass Geld die Welt regiert.

    Aber noch immer war er der beste Psychologe, und deshalb hatte er auch die Diagnose gestellt und einen Behandlungsplan erstellt.

    Alex Kanst seufzte. Es war kein Plan, sondern der Wille, aus dem Schlamassel herauszukommen. Das beste und eigentlich einzige Mittel war die Arbeit. Also hatte Alex bereits vor Wochen beschlossen, die Praxis wieder zu eröffnen. Doch nach dem grausigen Tod von Tina musste eine neue Assistentin her.

    Und hier endete der Plan schon sehr früh.

    Vor ihm lagen mehrere Print-Ausgaben von Bewerbern. Die Mehrzahl hatte jedoch die moderne Online-Form gewählt. Jetzt musste er sich nur noch für eine, oder am Anfang auch für mehrere entscheiden. Dann Gespräche führen und eine Zusage verfassen.

    Alles einfach. Einfach?

    Aber es war nicht einfach, denn keine Bewerberin war so wie Tina. Natürlich konnte keine so sein, und ihm war auch bewusst, dass er das nicht als Kriterium nehmen sollte. Und doch tat er es.

    „Tina, du fehlst mir!", seufzte er und zog sich die Fließdecke über den Kopf. Berry bellte freudig und wollte mitspielen. Doch dies war kein Spiel, sondern eine tiefe Krise. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann musste er eingestehen, dass sein Leben nur aus Krisen bestand. Und nun konnte er niemanden anrufen und niemanden bitten vorbeizukommen.

    Er war allein mit seiner Krise und seiner Depression. Wenigstens gab es im Gegensatz zur letzten Depression nicht auch noch finanzielle Probleme. Er setzte sich wieder auf, so konnte es ja nicht weitergehen. Nein. Er war schließlich Doktor Alex Kanst. Der beste und angesehenste Psychologe und auch der beste Profiler. Auch wenn sich Letzteres eher ungewollt entwickelt hatte und grundsätzlich immer alle in seinem Umfeld mitbelastete.

    Alex stand auf, um Holz nachzulegen. Noch immer wurden seine Füße schnell kalt und dies trotz der guten Heilung seiner erfrorenen Zehen. Fast wollte Doktor Karin Assenmacher ihm den kleinen Zeh amputieren. Doch zum Glück nur fast. Die Erinnerungen an die Geschehnisse in den Tiefen des Göckeleswald steckten ihm noch sehr tief in den Knochen. Dazu kam, dass noch immer keine weiteren Untersuchungen durchgeführt werden konnten, da einfach zu viel Schnee lag. Deshalb konnte es sein, dass im Frühjahr noch weitere Leichen dort gefunden werden konnten. Niemand wusste, wie viele Männer Verena Göckinger dort umgebracht hatte.

    Um Haaresbreite hätte auch Alex dazu gezählt.

    „Vielleicht hätte sie ihm ja einen Gefallen getan!", dachte er und versuchte den dunklen Gedanken schnell zu verdrängen.

    Er scrollte weiter durch die Bewerbungen. Da gab es die hübschen Frauen, alle knapp über zwanzig und alle mit überdurchschnittlich guten Noten. Und alle würde sich freuen für so jemand Berühmten zu arbeiten.

    Dann gab es die Bewerberinnen in seinem Alter, die nach erfolgreicher Erziehung der Kinder nun wieder Zeit und Lust für eine fordernde Aufgabe haben. Gerne Teilzeit!

    „Teilzeit! Wie die sich das vorstellen!?", brummte Alex. Tina war schließlich immer für ihn da. Morgens, mittags und ja, auch in der Nacht. Doch darum ging es nicht. Tina war tot und konnte auch nicht ersetzt werden. Nie.

    Dann gab es die, welche eigentlich zu alt für den Job waren, aber in einer verzweifelten Situation, und deshalb auch für geringen Lohn arbeiten würden.

    Und es gab sogar einen männlichen Bewerber. Trotz der eindeutigen Stellenbeschreibung einer Assistentin.

    Insgesamt vier Bewerberinnen wurden von ihm auserkoren, sich persönlich vorzustellen. Auch fand er es nicht im Geringsten auffällig, dass alle aus der ersten Gruppe stammten. Man hatte einen Ruf zu verlieren, auch wenn dieser kein guter war. (Alex hoffte, dass seine unzähligen Frauen dieses in einem anderen Licht sahen.)

    Ordentlich legte er die Mappen auf seinen Beistelltisch. Wäre er jetzt sein eigener Psychologe, so würde er sich selbst als Patient einen stümperhaften Versuch bescheinigen, sein wildes Leben wieder aufzufrischen.

    Für Kinder war es eigentlich zu spät.

    War es dies?

    In früheren Jahren, damals in einer anderen Zeit, hätte er sich das gut vorstellen können. Ja so ein kleiner Alex wäre schon schön gewesen.

    Doch alles kam anders.

    Und dann hatte er von einem Leben mit IHR geträumt. Und tat es eigentlich noch immer. Das könnte die Wurzel des Problems sein. Er liebte nur SIE.

    Und doch wird es kein Wir mit IHR geben.

    Ermattet fiel er zurück auf seine Velours-Couch und wollte sich gerade erneut die Decke über den Kopf ziehen, als es läutete.

    Es läutete an einem Sonntag.

    An seiner Tür, in seinem neuen Haus.

    Und obwohl er bestimmt keinen Besuch empfangen wollte, ging er seiner Neugierde folgend zur Tür. Dort stand noch immer ein dicker Knüppel aus Eschenholz. (Für den Fall der Fälle!) Alex startete die Kamera. Und was er dann zu sehen bekam, ließ ihn kurz den Atem stocken und dann Wut aufkeimen.

    Natürlich hatte überall schon die sogenannte fünfte Jahreszeit begonnen. Mittlerweile begann diese von ihm verabscheute Phase des schwäbischen Lebens schon an Dreikönig. Und endete gefühlt nie. Im letzten Jahr hingen die bunten Wimpel, welche über die Straßen gespannt wurden in Stetten bei Hechingen noch an Ostern. Sein neues Haus stand in Onstmettingen. Zugegeben nur etwa fünfhundert Meter neben der Grenze zu Hohenzollern. Natürlich gab es diese Grenze in Wirklichkeit schon lange nicht mehr. Und doch war das Leben hier anders. Die Menschen waren überwiegend evangelisch, während das Killertal erzkatholisch war. So wie auch Alex lange Zeit, bis er dieses fast mit seinem Leben bezahlte.

    Und das Gute daran war, dass die Menschen in Onstmettingen nichts von der fünften Jahreszeit hielten. Hier blieb man davon verschont.

    Eigentlich!

    Denn vor seiner Tür standen an einem sehr kalten Sonntag eindeutig eine Hexe und ein Pirat.

    Eine sehr kleine Hexe!

    Alex atmete tief ein. Dann öffnete er widerwärtig die Tür.

    „Ich bin eine schreckliche Hexe und verzaubere dich!", piepste die Stimme, die offensichtlich zu einem kleinen Mädchen gehörte.

    „Oder ich schlage dir den Kopf ab!", knurrte die gekünstelte tiefe Stimme des Piraten. Alex fragte sich, welchen rohen Wortschatz Eltern heutzutage ihren Kindern zumuteten. Eigentlich, so dachte er, sollte man dies beim Jugendamt anzeigen.

    „Nein, bitte nicht!" Alex spielte mit.

    „Hallo Dr. Kanst! Ich konnte die zwei nicht bremsen!", sagte eine Frau Mitte Dreißig, die lässig an einem Familien-SUV lehnte. Alex überlegte, ob er diese Frau kannte, doch er kam zu keinem Ergebnis, da der Pirat seine Forderung vertiefte.

    „Also: Kopf ab oder etwas Süßes!"

    Berry bellte und begrüßte die Hexe schwanzwedelnd.

    „Bitte nicht mein Kopf!", sagte nun Alex.

    „Dann gib uns was Süßes!" Die Hexe hatte ihre Maske nach oben geschoben und lächelte Alex an.

    Alles was er finden konnte, war eine Tüte mit Fruchtgummis. Doch die Belagerer waren damit einverstanden und zogen ab. Berry jedoch wollte nun auch noch etwas haben und forderte einen Kauknochen. Anschließend war das Feuer ausgegangen und nun fror Alex schon wieder, vor allem an seinen Zehen.

    Fluchend und pustend versuchte er das Feuer wieder in Gang zu bekommen. Gerade als es wieder zu knacken begann, läutete es erneut.

    An einem Sonntag.

    An seiner Tür, in seinem neuen Haus.

    Wütend stapfte er zurück zum Bildschirm für die Kameraüberwachung. Alex war sich sicher, nicht noch mehr Süßes an fremde Hexen auszugeben (natürlich könnte auch der Grund dafür sein, dass er nichts mehr zu Hause hatte).

    Doch da stand keine fremde Hexe vor seiner Tür. Er kannte die Person. Zu gut. Und dies schon, seit er fünf war. Denn vor seiner Tür stand eindeutig:

    „Pippi Langstrumpf!? Das ist nicht dein Ernst!" Alex war fassungslos.

    „Ich fand die Idee großartig. Wollte ich im Geheimen schon immer sein! Ja so stark und großartig. Ich habe alle Filme gesehen, durften wir ja nicht. Doch alle haben heimlich immer Wessi-Kanal geschaut. Am besten finde ich das mit den Piraten, also Pippi in Taka-Tuka-Land. Mensch, wie die alle dort verdrischt. Das wollte ich auch immer!" Lilli stapfte an Alex vorbei und kraulte den Hund.

    Alex dachte kurz an die sechs Mönche im Wald kurz vor dem Heiligen Abend. Lilly musste nicht so tun, nein im Gegenteil, sie war sogar stärker als Pippi Langstrumpf.

    „So, und da wir ja eine Faschingsparty feiern, habe ich auch etwas für dich! Lilly kramte in den großen Taschen ihres Pippi-Kleides und holte ein Halstuch hervor. Das knotete sie Berry um den Hals. Groß stand dort: „Schlabberbacke. Berry freute sich so sehr, dass er lossprintete und dabei alles umwarf. Mit einem Satz flog er förmlich über den Couchtisch und warf dabei die von Alex so sauber sortierten Bewerbungsmappen durcheinander.

    „Sieh mal! Jetzt hast du den Hund verrückt gemacht!", brummte Alex, der immer noch nicht wusste, wie er aus der ihm bevorstehenden Nummer ungeschoren herauskommen sollte.

    „Bewerbungen!" Lilly zog ihre rechte Augenbraue nach oben und schaute Alex an.

    „Genau! Bewerbungen, und da gilt der Datenschutz!", maulte Alex und riss die Mappen an sich.

    „Aber sicher, ist nur auffällig, dass alle so jung und blond sind! Ein Einstellungskriterium?" Sie grinste.

    „Was du wieder denkst! Natürlich nicht, das wäre ja auch zu unprofessionell!"

    „Aha!" Lilly grinste noch immer.

    Alex trottete in seine Küche (mit den Mappen!).

    „Also gehen wir!", sagte Lilly und Berry bellte bereits freudig.

    „Gehen!? Wohin?" Alex versuchte den Ahnungslosen zu spielen.

    „Ja zu meiner Faschings- und Einweihungsparty für das neue Haus …"

    „Altes Haus!", korrigierte Alex.

    „Meinetwegen, dann eben altes Haus. Wobei es für mich neu ist, da ich ja dort noch nie gewohnt habe. Natürlich passt altes Haus besser zum tatsächlichen Alter des Gebäudes. Im Übrigen ist dies mein erstes eigenes Haus, das ich bewohne, auch wenn hier der Passus „Eigen nicht so recht passen will, da ich es ja nur gemietet habe. Hier ist noch zu erwähnen, dass wir noch die Miete nicht festgelegt haben und hier hoffe ich natürlich auf eine meinem Gehalt angepasste Miete. Ich räume auch Schnee und mähe den Rasen. Auch wenn ich nicht so recht daran glauben will, dass es in eurem Ländle je Frühling wird. Dazu sollte ich noch sagen …

    „Lilly!", unterbrach Alex ihren Monolog.

    „Gut, also gehen wir!" Lilly grinste schon wieder. Sie wusste genau, was Alex über die sogenannte fünfte Jahreszeit dachte. Schon als Kind war diese ihm immer ein Graus und damals dauerte diese nur fünf Tage und nicht wie heute gefühlt fünf Monate.

    „Also gerne, aber ich habe die Party leider vergessen. Die ganzen Bewerbungen und so, naja du weißt schon. Deshalb habe ich keine Verkleidung. Und ohne kann ich ja nicht kommen, das wäre blöd!", heuchelte Alex.

    Lilly warf einen siegessicheren Blick auf die Garderobe rechts neben der Eingangstür. Genau dort, wo immer noch der Forstuniformhut von Alex hing.

    Zehn Minuten später saß er mit seinem Uniformhut auf dem Schoß (der Fiat war zu niedrig, als dass er diesen hätte aufsetzen können) neben Pippi Langstrumpf und fuhr zurück. Zurück zu seinem alten Haus. Doch für Alex war es mehr. Es war ein Zurück zu seinem alten Leben. Eines, das nie schlecht war. Es war einfach und arbeitsam. Erfüllt von Träumen und Idealen. Bis die Katastrophe kam. Nur mit IHRER Hilfe hatte er es geschafft, am Leben zu bleiben und ein neues Leben aufzubauen. Ein besseres! Ein besseres? Da war er sich nun nicht mehr sicher. Hatte er überhaupt ein Leben? Freunde? Alex schaute zu Lilly, die mit einer ungeheuren Freude zu ihrer Party fuhr. Er schämte sich, dass er fast ihre Freude getrübt hätte und nicht gekommen wäre. Noch kannte er Lilly nicht lange, und doch war sie zu seinem besten Freund geworden. In vielen Dingen waren sie so unterschiedlich, und vielen anderen sich so ähnlich.

    Der Fiat röhrte, als er aus dem Onstmettingen-Wald auf die Wiesen oberhalb Hausens fuhr. Schnee und weiße Wüste, so weit man sehen konnte. Nur das Himmelblau des Fiats war ein winziger Farbklecks. Alex hatte die Füße angezogen, soweit es ging. Erneut vertiefte er den Schwur, sich gleich morgen um ein eigenes neues Fahrzeug zu bemühen. Nun duldete es keinen Aufschub mehr.

    Als sein Blick nach rechts schwenkte und er die mächtigen dunklen Kronen der alten Buchen des Göckeleswald sah, lief es ihm wieder kalt den Rücken runter. Eigentlich war dies ein wunderschöner und friedlicher Ort. Und doch hätte er vor ein paar Wochen dort fast sein Leben verloren. Noch wusste niemand, ob es dort in den tiefen Schluchten und unzugänglichen Waldungen noch mehr Leichen gab.

    Lilly fuhr quietschend an einer Schneewehe vorbei, die höher war als das Dach des himmelblauen Fiats 500.

    „Ups!", sagte Lilly und lachte.

    „Ja mit dieser Kugel kann uns nichts passieren, das ist wie ein Bob im Eiskanal!", sagte Alex und lächelte zum ersten Mal etwas.

    „Ha! Du hast es nötig! Wa! Hast noch nicht mal eine eigene Karre. Und dann hier ne dicke Lippe riskieren. Lillys Dialekt kam zur Geltung. „Wenn ich dich nicht geholt hätte, wärst du nicht gekommen! Lilly kniff die Augen zusammen und versuchte die Straße zu erkennen.

    „Wohl!, sagte Alex trotzig. „Und ein Auto besorg ich mir gleich morgen!

    „Wer es glaubt! Doch der Taxi-Branche tut es gut, solange du kein eigenes Auto hast."

    Alex biss sich auf die Lippe. Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Mit Schmerzen dachte er an das Vermögen, das er schon für die Fahrten mit Ümit, dem Taxifahrer ausgegeben hatte. Sicherlich hätte dies schon zweimal ein neues Auto gegeben.

    „Übrigens habe ich fünfzig Euro gewonnen!" Lilly hielt ihren Daumen hoch.

    „Wie gewonnen? Von wem?"

    „Von Professor Doktor!" Lilly war sichtlich stolz.

    „Von Wolfi!? Warum? Der ist doch sonst so ein Knauserer!" Alex dachte daran, wie sparsam sein erst kürzlich verheirateter Freund immer war.

    „Naja, er war sich halt sicher, dass er die Wette gewinnen würde. Im Übrigen muss ich schon sagen, dass er Alexandra ja förmlich auf Händen trägt. Hat ihr gerade letzte Woche einen Porsche gekauft."

    „Wolfi!", sagte Alex entsetzt. Doch vielleicht war er mehr entsetzt, wie wenig er Kontakt zu seinem Freund hatte, seit dieser Alexandra geheiratet hatte. War er doch eifersüchtig? Er, der die besseren Chancen gehabt hätte? Hatte er die? Sicher war nur sein chaotisches Leben im Weg gewesen. Und seine Liebe zu IHR. Doch das durfte so nicht weitergehen. Er musste dringend sein Leben ordnen. Wieder zu alter Stärke kommen. Und der Anfang war gemacht: Er hatte die Stelle einer Assistentin ausgeschrieben. Kurz keimte Hoffnung auf, doch nur kurz, denn dann stand der kleine himmelblaue Fiat 500 vor einer Absperrung, die von der Hausener Feuerwehr errichtet und bewacht wurde.

    Lilly hupte und Alex sah überall Hexen und hörte laute Musik.

    Nun hatte die fünfte Jahreszeit auch ihn eingeholt. Alex spürte die Kälte, doch noch hatte er keine Ahnung, wie mörderisch diese Jahreszeit sein würde.

    --------

    Lilly hupte und fuchtelte wild. Ein Feuerwehrmann kam auf den Fiat zu.

    „Die Straße ist gesperrt!", sagte Alex und versuchte seine aufkeimende Panik beim Anblick der Menschenmassen zu unterdrücken.

    „Ja, aber ich bin doch Anlieger!" Lilly fluchte.

    „Halloooo!", sagte der freundliche Feuerwehrmann.

    „Heu Hansi!" Alex rang sich ein gequältes Lächeln ab. Seine Panik nahm zu.

    Ja heu Alex! Mesch di han i jo schau lang it gesä!", sagte Hans Peter.

    „Das letzte Mal, als du Lilly aus dem Schnee ziehen musstes!" Alex und Hans Peter lachten.

    „Schön, dass die Herren ihren Spaß haben, aber jetzt will ich durchfahren!", sagte Lilly und kaute energisch auf einem Kaugummi. Hans Peter kratzte sich am Helm.

    „Also, das geht jetzt nicht mehr. Die Hexen stellen sich schon auf. Park doch da hinten und lauft die paar Meter!"

    „Mist!" Lilly legte den Rückwärtsgang ein und Alex bemerkte, wie seine Furcht und Abneigung gegen diese Jahreszeit und vor allem die Rückkehr gerade jetzt in sein Heimatdorf und damit irgendwie in sein altes Leben in Panik umschlug.

    „Fahr mich lieber wieder heim!", nuschelte er, während der Fiat über einen Schneehaufen fuhr.

    Alex war alles andere als bereit, durch sein Dorf zu laufen. Nicht jetzt, nicht morgen und schon gar nicht, während hunderte oder gefühlt tausende Hexen ihren blödsinnigen Schabernack trieben.

    „Komm endlich, meine Karnevalsparty fängt doch an, und alle sind schon da!" Lilly hatte etwas Befehlerisches und Alex zwängte sich mürrisch aus dem Wagen. In Gedanken bestätigte er noch einmal sein Vorhaben, endlich wieder ein eigenes Auto zu besitzen. Berry rannte los und umrundete das Feuerwehrauto.

    „Komm her!", befahl Alex, doch Berry alias Schlabberbacke ignorierte seinen Freund heute.

    „Ich denke, du musst ihn an die Leine nehmen!", schlug nun Pippi Langstrumpf vor.

    „Hast du eine?", konterte Alex.

    Die Hausener Feuerwehr konnte aushelfen, mit einer Schnur. Lilly stolzierte vorweg in viel zu großen Schuhen und Alex war froh, diese nicht schon früher bemerkt zu haben, sonst wäre er gefahren. (Und dabei war er sich nicht sicher, ob er aufgrund der Enge und seinen langen Beinen die Pedale bedienen konnte. Seinen leichten Bauchansatz ließ er dabei außer Acht.)

    „Wir hätten noch durchfahren können, wenn der Herr Psychologe nicht so getrödelt hätte!", sagte Lilly, als mehrere Hexen auf sie zukamen. Alex wollte widersprechen, wurde jedoch von zwei Hummeln davon abgehalten.

    „Hey, schöner Mann!", sagte die eine.

    „Wo gehörst du dazu? Zu den Jägern dort?", sagte die andere und drückte Alex einen Kuss auf. Beim Wort Jagd lief es ihm immer noch eiskalt den Rücken herunter, da die Erinnerungen an die Geschehnisse im Göckeleswald noch sehr präsent waren. Ängstlich drehte er sich um und sah dann nur zum Glück die Narrenzunft der „Hasawedel" aus Boll, die Jäger dabeihatten, um die Hasen zu erschießen.

    Alex bekam einen zweiten Kuss und ein Herz, welches die andere Hummel mit pinkem Lippenstift ihm auf die Backe malte. Plötzlich wurde seine Hand gepackt und er wurde mitten durch die Hummel gezogen.

    „Wer waren jetzt die beiden?" Lilly zog Alex hinter sich her.

    „Wer? Ach, die Hummeln? Kenn ich nicht!", sagte er ehrlich und aufrichtig.

    Kloar, kennst de nicht!", sagte Lilly im Dialekt und sehr sarkastisch.

    „Echt nicht. Woher auch, die sind, die sind … Alex schaute auf das Schild, das der Narrenzunft vorweggestellt wurde, „… aus Bittelschieß! Weiß nicht mal, wo das ist!

    „Aber nein! Blond! Blaue Augen! Auch wenn nicht so blau wie die von Miss Universum. Das muss ich schon sagen. Und deshalb bin ich mir sicher, du hast die Handynummern von beiden Hummeln." Lilly klang jetzt schon eher resigniert.

    Alex schluckte trocken. War er so? Oberflächlich, einfach? Ein Frauenheld? Die Realität war eine andere. Derzeit war er dies alles nicht. Ganz im Gegenteil. Er verfluchte sein bisheriges Leben. Und da er bereits zwei unterschiedliche Phasen durchlebt hatte, verfluchte er gleich beide. Und das umso stärker, je näher er seinem alten Haus kam. Und damit der Erinnerung zu Phase eins. Er war sich sicher: Er müsste was ändern! Vielleicht war die Einstellung einer neuen Assistentin der erste Schritt. Konnte er noch mehr machen? Mehr Schritte? Die 5.0 kam immer näher, und damit schwand die Möglichkeit, noch viele Schritte zu machen. Insgeheim beneidete er Alexandra und Wolfi. Doch offiziell würde er das nie zugeben.

    Berry rannte vorweg und Lilly zog immer schneller an seinem Arm, was bereits einen brennenden Schmerz erzeugte. Überall hüpften, sangen und vor allem tranken Hexen. In allen Farben und mit den widerlichsten Masken aus Holz. Dazu wurden Besen geschwungen und gegrölt. Einige hatten die Masken noch nach oben funktioniert und Alex konnte feststellen, dass es überwiegend Männer waren, die hier in einem Rock und nur mit Schuhen aus Stroh sich zum Narren machten. Bei minus 7 Grad (geschätzt!) Er war froh, seine guten Forstschuhe angezogen zu haben. Auch Lilly rutschte in ihren Schuhen, die eher einem kleinen Kanu glichen, doch deutlich über die vereiste Hausener Dorfstraße.

    Sein Ziel für heute stand fest: So schnell wie möglich nach Hause, in das neue Haus!

    I werd verruckt! D`r Lexi!", sagte plötzlich eine dunkle Stimme in tiefem schwäbischem Akzent. Alex drehte sich um und sah auf dem kleinen Grundstück, welches zwischen seinem alten Haus und der Nachbarin lag, einen Weizenbrunnen, welcher der Hausener Turn und Sportverein aufgebaut hatte.

    „Einen Weizenbierbrunnen sollte man immer vor dem Haus haben!", dachte der Psychologe und ging freudig darauf zu. Auch wenn es definitiv zu kalt für ein Bier war, so musste er unbedingt eines haben. Wer konnte schon sagen, wann wieder ein Bierbrunnen vor dem Haus aufgebaut wurde?

    „Hallo!, sagte Alex und bekam ein Hallo hier, ein Kopfnicken da und ein „Heu! dort zurück.

    So, a frisch Weuza!", sagte Manne, der Vorstand, und stellte Alex ein Glas Bier auf die Theke.

    I han garitta gwisst, dass du wid´r do wohnst!", sagte ein anderer.

    Alex nahm einen Schluck, bevor er antworten wollte. Doch plötzlich stand Pippi Langstrumpf neben ihm.

    „Geht’s noch? Wir sind jetzt schon zu spät zu meiner Karnevals—Einzugs-Party. Und das, obwohl ich ja eigentlich der Gastgeber bin. Doch der Herr Hausbesitzer trödelt, boykottiert und nun trinkt er noch hier ein Bier. Auch wenn sich der letzte Satz etwas reimte, ist mir nicht zum Scherzen zumute, das möchte ich hier in aller Deutlichkeit einmal klarstellen. Dazu kommt, dass du hier mit deiner Gesundheit spielst! Kaltes Bier bei Minustemperaturen. Das schadet nur deinen Nieren, glaub mir. Einer meiner Verwandten trank auch immer kaltes Bier, ja und was soll ich sagen, wo der heute ist?"

    Alex konnte es sich vorstellen und verschluckte sich.

    „Isch des dei Alte? Fesch! Aber a Gosch hot die wia zeah!", sagte einer, der neben Alex stand, und alle lachten.

    Mo hosch´n dia uffgrissa, Lexi?", wollte nun ein anderer, der im Alter von Alex war, aber noch nie eine Freundin hatte, wissen. Alex hustete noch immer.

    Uffgrisa? Lilly hatte kein Wort verstanden. „Was meint der damit?

    Alex hustet noch mehr.

    Komm Mädle, do drink ebbes, no hälscht die Gosch!" Lilly bekam nun auch ein Glas Bier vor sich auf den Tresen gestellt.

    Währenddessen steigerte sich das närrische Treiben immer mehr. Hexen in Kostümen, welche alle Farbkombinationen aufwiesen, versammelten sich. Dazu kamen Trommler und Trompeten. Geschrei und Getöse. Einige bauten Menschenpyramiden. Junge Mädchen schrien, wenn diese in Stroh geworfen wurden. Dampfende Kessel wurden von Hexen mit grimmigsten Holzmasken gezogen.

    Kurzum: Es war Fasnet im Killer Tal. Ob man dies nun gut fand oder damit nichts am Hut hatte. In dieser Nacht gehörten die Gassen den Narren.

    „Lilly, du brauchst das Bier nicht zu trinken!" Alex hatte seine Stimme wiedergefunden. Er schaute Lilly an und dachte für einen kurzen Augenblich, etwas in ihren Augen blitzen zu sehen. Lilly grinste schelmisch. Dann legte sie zum Entsetzen von Alex und zur Verwunderung der Sportfreunde einen Fünfzig-Euro-Schein auf den Tresen.

    „Okay. Der, der schneller das Bierglas leer getrunken hat, gewinnt den Schein! Na, wer macht mit?" Lilly grinste noch mehr und Alex stand mit offenem Mund entsetzt daneben.

    „Komm Bernd! Du schaffst es!", sagte der Vorstand des TSV.

    Bernd hatte bestimmt weit über 200 Kilo Lebendgewicht und Alex war sich sicher, dieser Bernd könnte sein Gewicht in Bier trinken. Lilly würde verlieren und verspottet werden.

    „Lilly, soll nicht lieber ich es versuchen …", flüsterte er, doch Lilly Baur ohne e winkte ab.

    „Top! Die Wette gilt!", sagte der Vorstand und Bernd und Lilly setzten an. Wobei dies bei Lilly nicht so genau zutraf. Sie streckte ihren sehr dünnen Hals und dann floss das Bier hinein. Binnen Sekunden. Alex war fassungslos, und mit ihm die meisten der Sportfreunde.

    „Gewonnen!", sagte Lilly und nahm ihren

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