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Eins, zwei, drei...und dann Du!: Psychothriller
Eins, zwei, drei...und dann Du!: Psychothriller
Eins, zwei, drei...und dann Du!: Psychothriller
eBook387 Seiten3 Stunden

Eins, zwei, drei...und dann Du!: Psychothriller

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Über dieses E-Book

Zurück in der alten Heimat. Aber auch zurück in der Spießigkeit einer ländlichen Kleinstadt. Jeder kennt jeden, und jeder trägt ein dunkles Geheimnis mit sich. Eine grässliche Mordserie beginnt und zwingt Ihn seinem Beruf als Forensischer Psychologe nach zu gehen. Er folgt der Spur des Mörders, denn dieser hat ein letztes Ziel.
Er will Dich!
Ein packender dunkler Psychothriller welcher uns in die Abgründe der menschlichen Seele führt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Sept. 2023
ISBN9783384019585
Eins, zwei, drei...und dann Du!: Psychothriller
Autor

Oliver Grudke

Oliver Grudke: Dipl. Ingenieur in der Forstwirtschaft. Seit über 25 Jahren erfolgreich mit eigenem Ingenieurbüro an der Schnittstelle des Naturschutzes und der Forstwirtschaft. Oliver Grudke ist verheiratet und hat einen Sohn. Seit einigen Jahren hat er das Schreiben für sich entdeckt und verfasst Bücher in unterschiedlichen Genres. Mehr zu Oliver Grudke und seinen Büchern unter www.torsteine.de

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    Buchvorschau

    Eins, zwei, drei...und dann Du! - Oliver Grudke

    Ich bin wütend! Doch das sollte nicht sein. Denn ich weiß, wie man Gefühle und Emotionen kontrolliert. Diese steuert und psychische Ausnahmesituationen umgeht.

    Stecke ich in einer psychischen Ausnahmesituation?

    Aus der Sicht eines Durchschnittsbürgers gesehen natürlich nicht. Doch für mich stellt sich die Situation völlig fremd dar. Geschätzt bin ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr Auto gefahren.

    Warum auch?

    Ich lebe, arbeite und verbringe die gesamte Zeit in Stuttgart.

    Genau in der Autostadt, in der es unmöglich ist, Auto zu fahren. Selbst wenn man es schieben würde, käme man kaum voran.

    Und heute?

    Fahre ich Auto. Ein Teil-Auto. Klein und hässlich. Es wäre ein Hybrid, hat der Vermieter gesagt. Teil, weil es sich die Menschen teilen.

    „Na und?", war meine Antwort und dann bekam ich eine lästig lange Erklärung, dass dieses Auto sowohl mit Strom als auch mit Benzin fahren würde.

    Toll!

    Aber wenn beides aus ist, so fährt es nicht. Diese Tatsache ist mir auch nach fünfundzwanzig Jahren noch bekannt.

    „Vollgetankt und geladen."

    Eine Lüge.

    Ich mag keine Lügen.

    Und ich spüre diese immer.

    Bei allen, ob Patient oder nicht.

    Meine Professoren an der Uni hielten dies für eine Gabe, doch ich halte es eher für etwas Lästiges. Doch letztendlich hat diese „Gabe", wenn ich nun den Ausdruck doch noch benutzen soll, mich zu einem der besten forensischen Psychiater Deutschlands gemacht.

    Ich blicke auf den Beifahrersitz. Dort liegt der Grund für meine Autofahrt.

    Eine Fahrt zurück.

    Viele würden vielleicht sagen: nach Hause.

    Doch was ist ein Zuhause?

    Wie wird dies definiert?

    Schlägt man dies nach oder googelt es, so ist dies ein Ort, wo sich jemand wohlfühlt. Setzt man ein Neutrum davor, also das Zuhause, so bedeutet dies für viele die Familie, das Zusammensein und das Umgeben-Sein von Menschen, die mich lieben.

    Ein Zufluchtsort.

    Also ist es ein Ort.

    Oder?

    Nein und ja. Zu Hause kann auch nur ein Gefühl sein. Eines, das für jeden anders empfunden wird. Es ist authentisch und persönlich.

    Deshalb fahre ich nicht nach Hause, weil es für mich einen solchen Ort nicht gibt. Ich habe keine Familie, keine Kinder, keine Partnerin oder Partner. Es gibt keinen Ort, an dem ich mich geborgen fühle oder nach dem ich mich sehne.

    Ich fahre in die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Und in der ich sehr lange nicht war.

    Denn es gab keinen Grund dazu, und eigentlich gibt es den auch heute nicht.

    Weil sich nichts verändert hat.

    Weil sich die Menschen nie ändern.

    Sie sind egoistisch, gierig und selbstsüchtig.

    Nie habe ich jemanden getroffen, der dem nicht entsprach. Zugegeben - einige gab und gibt es, da muss man noch einige schlechte Charakterzüge hinzufügen. Vor allem bei den Mördern, welche die Tat geplant haben.

    Jene faszinieren mich immer am meisten.

    Also warum fahre ich zurück in die Stadt, welche ich eigentlich hasse?

    Wieder fällt mein Blick auf den Beifahrersitz, wo die Einladungskarte liegt. Darauf ein Bild der Abi-Abschlussklasse von 1998.

    Selbstverständlich ist dies auch kein Grund, in einem Auto zu sitzen und sich zu quälen.

    Etwas anderes hat mich berührt. Mich neugierig gemacht. Denn die Karte wurde persönlich unterschrieben.

    „Ich freu mich auf Dich. Deine Ivette."

    Ivette.

    Sie war hübsch. Unglaublich hübsch und unerreichbar.

    Für mich.

    Groß, lange blonde Haare und einen umwerfenden Augenaufschlag.

    Ivette.

    Alle standen auf sie. Und das genoss Ivette.

    Ich war, nein ich bin hässlich, und da gab es keine Chance.

    Und nun? Schreibt sie mir persönlich?

    Nach so vielen Jahren?

    Das macht mich neugierig. Darauf wie sie heute aussieht, wie sie lebt, welchen Beruf sie ergriffen hat. Und ob ihr Augenaufschlag noch immer so umwerfend ist.

    Ivette. Ivette Sailinger. Ihr Vater hatte eine Versicherungsagentur. Immer gut verdient und sie wohnte oben an der Sonnenhalde in einem neuen Haus. Auch glaube ich mich an einen Bruder zu erinnern, Simon. Ihre Mutter arbeitet bei der Bank und es fehlte Ivette nie an irgendetwas. Wie gerne wäre ich einmal mit ihr ausgegangen. Das taten die anderen. Vor allem Schöck und dieser dämliche Mayer, welcher heute sicherlich von Beruf Sohn ist.

    Und doch interessiert es mich, wie sie heute aussieht und wer sie geheiratet hat.

    Vielleicht ist sie auch ledig geblieben, so wie ich? Als Psychiater spüre ich die in mir aufkeimende Hoffnung, was natürlich völliger Blödsinn ist. Vergangenes ist vergangen und muss es auch bleiben.

    Ivette. Sie organisiert unser Treffen. Fünfundzwanzig Jahre Abi-Abschluss?

    Seltsam.

    Denn Ivette war nicht dabei. Sie hat auf eigenen Wunsch das letzte Jahr wiederholt. Und jetzt, da ich mich erinnere, fallen mir auch die anderen Veränderungen wieder ein, welche bei Ivette kurz vor dem Abitur auftraten.

    Sie lachte nicht mehr, trug schwarze Kleidung, schwarzen Lippenstift und sonderte sich mehr und mehr von uns ab.

    Nein, ich habe sie nicht gefragt.

    Das bereue ich jetzt.

    Doch warum hätte ich fragen sollen?

    War das nicht die Aufgabe der anderen? Die Aufgabe von Schöck und Mayer?

    Warum also schreibt sie mir, dass sie sich ausgerechnet auf mich freuen würde? Wir haben nie mehr als ein oder zwei Sätze gesprochen.

    All das macht mich neugierig. Eine schlechte Eigenschaft, welche ich nie ablegen konnte. Vielleicht ist es aber auch für meinen Beruf eine gute Eigenschaft, denn ich frage und frage, bis ich die richtige Antwort bekomme.

    Und die möchte ich auch auf die Frage, warum sich Ivette auf mich freut und warum sie das Treffen organisiert.

    Doch im Moment habe ich eine andere Frage, auf die ich schnellstens eine Antwort bekommen sollte.

    Was tankt ein Teil-Auto?

    Mein schüchterner Blick streift die Beschriftung der Zapfsäule, vor der ich nun parke.

    Super, Super plus, Super Ecomotion, Diesel, Diesel Plus.

    Ich steige aus und stehe schon vor dem nächsten Problem: Wie soll ich diese schmutzige Zapfpistole ohne Handschutz berühren? Genau in diesem Moment fährt ein mit bunten Klebern beklebter weißer Wagen dicht hinter meinen.

    Das ärgert mich, und ich beginne zu beobachten. Denn Menschen, ihre Handlungen, Kleidung, Gesten, Gerüche und Bewegungen sind für mich ein offenes Buch. Alles kann man so über eine Person erfahren, ohne dass man diese kennt.

    Im tiefergelegten Wagen mit breiten Sportreifen sitzt ein übergewichtiger Mann. Eigentlich wäre Junge besser, denn er ist kaum über zwanzig. Sein Übergewicht erkenne ich an der schwammigen Hand, die er lässig aus dem geöffneten Seitenfenster hält. Um seinen Hals baumelt eine dicke Goldkette, welche sicherlich nicht aus Gold ist. Er trägt ein schwarzes T-Shirt ohne Ärmel und das, obwohl es höchstens vierzehn Grad hat. Immer wieder lässt er den Motor aufheulen und trommelt mit der Hand ungeduldig auf die Seitentüren.

    Cooler Junge!

    Er blickt er durch seine Sonnenbrille in Richtung des Tankstellenshops.

    Ich folge dem Blick und sehe hinter der Kasse eine junge, sehr blonde Frau.

    Das Ziel seiner Begierde.

    Wie einfach es ist.

    Cooler Junge möchte Mädchen imponieren.

    Um mein Urteil abzuschließen, sollte ich noch etwas mehr von seiner Kleidung sehen. Hier insbesondere die Schuhe. Schuhe sagen fast alles über seinen Träger aus. Und wenn ich ihm näherkommen könnte, so würde ich seinen Geruch wahrnehmen. Hier bin ich sicher, dass er trotz eines starken und übertriebenen Parfüms nach Schweiß riecht.

    Weil er aufgeregt ist. Und durch sein Übergewicht schnell und fast bei jedem Wetter ins Schwitzen kommt.

    Wieder heult der Motor auf.

    Cooler Junge will ein Spiel spielen.

    Toll, darauf habe ich Lust.

    Ich steige wieder in mein Teil-Auto und fahre aus dem Tankstellengelände hinaus auf die Straße und dann wieder hinein. Mein cooler Freund ist natürlich vorgefahren und steht schon an der Zapfsäule.

    Und wieder heult ein Motor auf. Nicht so stark, weil mein kleiner Wagen nicht so viel PS hat, jedoch mit gleichem Erfolg.

    Cooler Typ wird nervös.

    Auch wenn er noch immer seine blöde verspiegelte Brille trägt, sehe ich, als er sich zu mir umdreht, seine Unsicherheit. Nicht in den Augen, wie es mir lieber wäre, aber an anderen Dingen.

    An seiner Körperhaltung. Denn sein gesamter Körper ist angespannt. Seine Brille rutscht und beim Versuch, diese wieder anzudrücken, fällt die Brille auf den Teerbelag. Er bückt sich und streift den Tankschlauch.

    Ich lasse wieder den Motor aufheulen.

    Er beendet den Vorgang und steckt die Zapfpistole zurück in die Halterung. Dann geht er ein paar Meter in Richtung Shop, dreht um und öffnet wieder seine Wagentüren.

    Geldbeutel vergessen.

    Mein Motor heult wieder auf.

    Jetzt rennt er fast zum Shop und wischt sich seine feuchten und schmutzigen Hände an seiner Hose ab.

    Ekelhaft.

    Jetzt stelle ich meinen Motor ab und beobachte, wie der coole Junge bei 14 Grad Außentemperaturen bekleidet mit einem T-Shirt, Dreiviertelhose und weißen Turnschuhen, in denen seine Füße ohne Socken stecken, dem jungen Mädchen imponieren möchte.

    Aussichtslos.

    Als er den Platz freigibt, stehe ich wieder vor demselben Problem. Wie und was soll ich tanken?

    Wieder blicke ich zu der jungen Frau im Shop. Diese zu fragen erscheint mir sinnlos. Sie wüsste es nicht.

    Egal, ich nehme die mittlere Zapfpistole und wickle eine Bäckertüte drum, welche noch auf meinem Beifahrersitz lag.

    Ist ja nicht mein Wagen.

    Pech, wenn es falsch ist.

    Ich spüre, wie meine Stimme zurückkommt. Die Stimmen, die wirr in meinem Kopf sprechen und immer wieder versuchen zu mir durchzudringen.

    Das möchte ich nicht.

    Denn ich bin stärker als die Stimmen.

    Doch nun fahre ich vorbei an der Ortstafel meiner Stadt.

    Stadt?

    Es ist genau genommen keine Stadt. Laut der offiziellen Definition ist eine Stadt eine Gemeinde, welche eine grundzentrale Funktion und mindestens fünftausend Einwohner vorweisen kann.

    Das kann meine nur bedingt. Auf die geforderte Anzahl an Einwohner kam man nur, indem man alle kleineren Gemeinden, welche angrenzend sind, mit einbezog. Also wurde man zur Stadt. Diese Tatsache änderte natürlich nichts an der Größe. Denn diese änderte sich ja nicht dadurch, dass man zur Stadt erhoben wird. Und so besitzt die sogenannte Stadt nichts, was eine Stadt ausmacht. Keine Fußgängerzone, Markplatz und Ähnliches. Hier gibt es drei Discounter, zwei Tankstellen und die Mayer Werke. Letzteres überragt mit den aufdringlichen giftgrünen Farben fast alle Gebäude.

    Ich spüre, wie mein Körper sich verkrampft. Ich wollte nie mehr hierherkommen.

    Nie mehr in diese Stadt fahren, oder dort Zeit verbringen.

    Und doch tue ich es selbst mit der Gefahr, dass meine Stimmen wieder lauter werden. Das letzte Mal, als ich hier war, hier in dieser ekligen Stadt, hier in der Straße, wo das Haus steht, in dem ich aufgewachsen bin, waren die Stimmen viel zu laut.

    So laut, dass ich zuletzt auf diese hören musste.

    Und dann?

    Verstummten diese, fast zehn Jahre lang.

    Ich wende den Wagen auf der Wendeplatte am Ende der Sackgasse, wo unser Haus steht.

    Ich wundere mich: Wo ist es?

    Ich muss vorbeigefahren sein, denn es ist das letzte auf der rechten Seite. Also fahre ich langsam in die andere Richtung.

    Und schon kommt Haus Nummer 18. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hat Nummer 20.

    Ist es abgerissen?

    Das kann nicht sein.

    Nicht ohne meine Zustimmung. Denn es gehört mir. Mir, Mama und meinem Bruder. Volker.

    Volker, mein jüngerer und dümmerer Bruder. Warum hat man Brüder? Oder Geschwister? Dies ist eine besondere Frage, und ich weiß, jeder wird diese individuell beantworten. Viele Eltern denken es ist gut, wenn Kinder zusammen aufwachsen. Ist das so?

    Tun sie das, wenn fünf Jahre dazwischenliegen?

    Nein. Denn der Ältere wird dadurch nur gegängelt. Er muss Rücksicht nehmen. Zurückstecken. Verständnis aufbringen. Der Jüngere hingegen wird belohnt.

    Mit Großmut, Verständnis und Nachsichtigkeit.

    Volker wollte zuerst nicht länger zur Schule gehen. Klar, ein Handwerk. Doch dort arbeite man. Viel zu viel Stress und Anstrengung, der er nicht gewachsen war. Also doch noch schnell die Fachhochschulreife nachgeholt mit mäßig schlechtem Abschluss und dann Studium.

    Studium auf Lehramt. Klar, allein die Ferien und halben Tage. Das kam ihm entgegen. Und das Studium zu bestehen, da hatte Vater schon nachgeholfen.

    Vater!

    Beim Gedanken an ihn beginnt meine Stimme lauter zu werden.

    Das ist wirklich nicht gut.

    Ich steige aus und blicke mich um, dabei bemerke ich ein kleines Wäldchen.

    Ein Wäldchen bis an die Bordsteinkante?

    Langsam gehe ich darauf zu.

    Das Laub ist gelb, braun und vieles schon abgefallen. Erst als ich dicht davorstehe, sehe ich dahinter ein Haus.

    Das Haus.

    In dem ich aufgewachsen bin.

    Wie lange ist es her?

    Kurz kneife ich die Augen zusammen, weil die Stimmen nun fast schreien. Und diese Stimmen wissen genau, wann ich das letzte Mal hier war.

    Vor zehn Jahren. Ja ich denke, es könnte fast genau derselbe Tag sein.

    November, grau und kalt.

    Nach meinem Besuch wurde es auch noch still. Totenstill.

    Ich versuche mir einen Weg hoch zur an der Nordseite gelegenen Haustüre zu suchen. Mühevoll zwänge ich mich durch das Gestrüpp, welches noch von den Tentakeln einer Brombeere zusätzlich zusammengehalten wird.

    „Aua!" Irgendwelche Dornen reißen meine Wange auf. Warmes Blut rinnt darüber und tropft auf meine Zunge. Ich lecke danach, als hätte ich mich lange danach gesehnt.

    Es könnte schon so sein, doch das wäre nicht gut.

    Hier ist nichts gut.

    War es nie und wird es nie sein. Warum also bin ich hier?

    Neugierde?

    Während ich versuche meine Stimmen zum Schweigen zu bringen, bleibt unten an der Straße ein Mann stehen, welcher mit einem Hund Gassi geht. Der Hund ist ein kleiner weißer mit struppigem Fell und schlecht erzogen, da er wie ein Ackergaul in seiner Hundeleine hängt und kläfft. Ein helles durchdringendes Kläffen, dass wieder meine Stimmen verstärkt. Der Mann hat einen vorstehenden Bauch, über dem er einen roten Pullover mit Aufschrift trägt. Seine Füße stecken in weißen Turnschuhen und man kann erkennen, dass er keine Socken trägt. In seinem Halsausschnitt steckt eine Sonnenbrille. Seine kurzen Naturlocken haben graue Schläfen. Ich denke, er ist Mitte fünfzig.

    Ein Beach-Typ mit Übergewicht und das im November.

    Er starrt mich an.

    Ich grüße und bekomme keine Antwort, dafür lässt er sich von seinem Köter weiterziehen.

    Derweil habe ich es geschafft und stehe vor der Haustüre, zu der ich keine Schlüssel besitze. Heute ist mir diese Tatsache zum ersten Mal unangenehm, weil ich nun wieder ein Stück zurück durch das Gestrüpp muss, um über die nie verschlossene Garage ins Haus zu gelangen. Wieder streife ich Dornen und Äste schlagen nach mir, doch ich schaffe es und wie immer ist die Garage offen. Doch das Tor lässt sich nur etwas nach oben drücken, weil ein dicker Stamm irgendeines Baumes dagegenhält.

    Ich seufze und suche etwas, mit dem ich das Tor abstützen kann, um anschließend unten durchzuschlüpfen.

    Ich finde einen alten Backstein und versuche es.

    Gerade als ich durch bin, schlägt das Tor wieder zu.

    Nun ist es dunkel und still. Es riecht muffig und nach altem Öl. Kein Wunder, niemand lüftet. Niemand kommt her.

    Vielleicht Volker. Einmal im Jahr oder so.

    Doch das weiß ich nicht. Es interessiert mich auch nicht. So wenig, wie es ihn interessiert, was ich mache.

    Ja er schreibt mir. Einmal oder zweimal im Jahr.

    Eine E-Mail.

    Um mir zu sagen, wie es Mutter geht.

    Im Heim.

    Doch auch das ist mir egal.

    Dann möchte er das Haus verkaufen, weil das Geld knapp wird.

    Angeblich.

    Nur das geht nicht. Nicht, solange ich noch lebe. Danach ist es egal. Ja er könnte eine Versteigerung der Gemeinschaft beantragen, doch dazu ist er zu feige. Viel zu feige. Wie alle in meiner Familie immer feige waren.

    Doch ich habe diese Tradition gebrochen. Ich war einmal nicht feige.

    „Ich bin wieder da!", rufe ich durch die dunklen und stinkenden Gänge des Kellers.

    Doch es ist niemand da, der mich hören könnte.

    Ich klopfe mir den Staub von der Hose und gehe weiter den Gang entlang. Schwarze alte Spinnweben hängen von den Decken, als wären es abgestorbene Pilzmyzele.

    So abgestorben wie das Leben in diesem Haus.

    Etwas, das es hier nie gegeben hat.

    Und nie mehr geben wird.

    Mama ist im Heim.

    Wahnsinnig geworden. Sagen die einen, welche es nicht verstehen.

    Dement die anderen, welche vorgeben, etwas von Medizin zu verstehen. Ich weiß es natürlich besser. Ich bin der Fachmann. Der forensische Psychiater. Bei Mama treffen verschiedenen Faktoren zusammen. Natürlich leidet sie primär unter Demenz. Diese hat sich schon Jahre zuvor angekündigt und wurde vor allem durch das herrische Auftreten meines Vaters ausgelöst und verstärkt. Dazu kommt ein psychisches Erlebnis, welches akut eine Psychose auslöste und durch das eigene Verdrängen oder Leugnen eines Erlebnisses einer vorhandenen oder beginnenden Demenz starken Vorschub leistet.

    Sie wird nie wieder zurückkommen.

    Und Vater auch nicht.

    Nie.

    Ich gehe nach oben in den Wohnbereich.

    Auch hier stinkt es nach abgestandener Luft, alten Teppichen und Holzausdünstungen, welche sicherlich auf ein ungesundes Imprägniermittel hindeuten.

    Aber das ist egal, ich bleibe nur zwei Tage.

    Und dann komme ich auch nie mehr zurück.

    Ich werde durch die Sonnenstrahlen, die durch die vergilbten Vorhänge des Wohnzimmers fallen, abgelenkt und öffne gedankenverloren die Haustüre, um meinen Rucksack hereinzuziehen.

    „Ah, das ist doch jemand. Was machen Sie hier?", sagt eine Baritonstimme. Ich blicke auf und erkenne erst langsam zwei Gestalten hinter der Eibe, die fast die ganze Haustüre zugewuchert hat.

    Sind das Polizisten?"

    Und da ich nicht gleich antworte, winkt die rechte Gestalt mir zu.

    „Kommen Sie doch mal zu uns herüber."

    Die Gestalten stehen auf der Pferdekoppel neben meinem Elternhaus hinter dem Gestrüpp. Also zwänge ich mich erneut hindurch und befürchte wieder, mir weitere Verletzungen zuzuziehen.

    Doch es gelingt mir ohne ein weiteres Blutvergießen.

    Es sind zwei Polizisten.

    Ein Mann und eine Frau mit langen blonden Haaren. Mir fällt auf, dass viele Polizistinnen lange blonde Haare haben.

    Der Mann hat einen respektablen Bierbauch, Halbglatze und trägt eine verspiegelte Sonnenbrille. Beide tragen praktische schwarze feste Schuhe und Uniform. Das macht es für meine Analyse schwerer.

    „Was machen Sie hier?" Er stemmt seine Hände in die Hüfte und drückt seine linke Hüfte etwas nach vorne, damit ich seine Pistole im Halfter besser wahrnehme. Die Frau steht etwas hinter ihm in fast demütiger Haltung und weicht meinem Blick immer wieder aus.

    „Wohnen!", ist meine kurze und knappe Antwort.

    „Hier!, schreit er fast. „Ausweis!, befiehlt er. Mein Blick geht an ihm vorbei hinunter zur Straße, wo der Mann im roten Pullover ohne Socken mit seinem Hund neugierig zu uns hochschaut. Wieder einer dieser Gutmenschen, der für Recht und Ordnung einsteht. Natürlich, ich könnte hier auch etwas Verbotenes tun. In meinem eigenen Haus.

    Ich bücke mich und versuche den Reißverschluss meines alten Rucksackes zu öffnen, um meinen Pass herauszuholen.

    „Vorsichtig, schön langsam!" Der Polizist hat das Holster geöffnet. Er möchte mich einschüchtern.

    Ein lächerliches Spiel.

    Eines, das der jungen Polizistin gefällt. Diese steht nun auch eindeutig in einer Abwehrposition. Linkes Bein etwas nach vorne, Muskeln angespannt und die Hand an ihrem Holster, welches sie rechts trägt. Durch diese Haltung werden ihre Brüste nach vorne gedrückt und es entsteht der Eindruck, dass diese üppig sind.

    Doch das sind sie nicht.

    Ich reiche dem Polizisten meinen Ausweis.

    „So Saskia, hier haben wir …", er stutzt. Schaut mich an, dann wieder den Ausweis. Dann nimmt er seine Brille ab und hängt diese in den Kragen seines Hemdes.

    „Mike? Mensch Mike, das bist ja du." Er umarmt mich, was ich absolut nicht leiden mag, und drückt mich an seinen Körper. Ich rieche Schweiß ummantelt von einem rauchigen Aftershave. Im Schweißgeruch ist ein süßlicher Geruch recht dominant enthalten. Der Gute hat etwas Alkoholprobleme.

    „Hätte dich fast nicht wiedererkannt, Mike. Saskia, das ist mein Kumpel Mike. Wir haben das Abitur zusammen gemacht." Er tritt einen Schritt zurück und die Polizistin, Saskia, gibt mir die Hand und wirft mir dabei einen entschuldigenden Blick zu. Ihr Händedruck ist weich und angenehm. Ihre Hand ist sehr klein und ihre Haut zart. Ich ziehe etwas Luft über meine Nase ein, um ihre Gerüche wahrzunehmen.

    Auch hier ist es etwas Schweiß, aber ein angenehmer weiblicher Schweißgeruch. Ihr Deo ist unauffällig und riecht leicht nach Mandel. Es könnte auch sein, dass sie Körperlotion oder Pflegemilch benutzt.

    Ich blicke nun den Polizisten an, meinen vermeintlichen Freund. Es dauert, bis ich ihn erkenne. Und wir waren nie Freunde, und werden es nie. Ich blicke in die Augen von Schöck. Dietmar Schöck. Der Frauenheld. Und jetzt mit Halbglatze und Bierbauch. Einer, der mich gehänselt, geschlagen und verspottet hat. Und dem ich mehrfach gesagt

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