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Katholisch...oder?: Ein Killer Tal Krimi
Katholisch...oder?: Ein Killer Tal Krimi
Katholisch...oder?: Ein Killer Tal Krimi
eBook468 Seiten5 Stunden

Katholisch...oder?: Ein Killer Tal Krimi

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Über dieses E-Book

Am Rande der schwäbischen Alb, oberhalb des geheimnisvollen KIller Tales lebt Alex Kanst. Psychologe und international anerkannter Profiler. Ledig, Single aber auch ein Frauenheld. Finanzielle Sorgen kennt er nicht, und denkt er steht fest im Leben. Bis eines Sonntags, sich durch den Besuch eines Priesters alles beginnt zu ändern. Mehr und mehr zieht es Alex in den Sog mafiöser mörderischer Verstrickungen, die auch vor den Türen der Diener Gottes und der Kirche keinen Halt machen. Alex spürt die dunkle Bedrohung, die von einer im Schutz der Kirche aufkeimenden Sekte ausgeht. Dennoch kann er den bestialischen Mord an seiner Assistentin nicht verhindern. Gemeinsam mit der jungen aus Sachsen stammenden Kommissarin Lilly Baur setzt er alles daran die Tat aufzuklären und treibt dabei immer tiefer in den Sumpf der Mörder.

Mysteriöser und spannender erster Teil der Killer Tal Krimi Reihe um Alex Kanst und Lilly Baur.

Das Killer Tal - es gibt es wirklich!
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum12. Mai 2020
ISBN9783347029583
Katholisch...oder?: Ein Killer Tal Krimi
Autor

Oliver Grudke

Oliver Grudke: Dipl. Ingenieur in der Forstwirtschaft. Seit über 25 Jahren erfolgreich mit eigenem Ingenieurbüro an der Schnittstelle des Naturschutzes und der Forstwirtschaft. Oliver Grudke ist verheiratet und hat einen Sohn. Seit einigen Jahren hat er das Schreiben für sich entdeckt und verfasst Bücher in unterschiedlichen Genres. Mehr zu Oliver Grudke und seinen Büchern unter www.torsteine.de

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    Buchvorschau

    Katholisch...oder? - Oliver Grudke

    ------------------------

    Das Geläut von Big Ben ertönte nun schon das dritte Mal. Alex hatte den Eiswürfel fallen gelassen.

    „Willst du nicht nachsehen?", sagte Rita.

    Nein! Wollte er nicht, und überhaupt beschloss er, diese Klingel ein für alle Male abzuschaffen.

    „Komm schon, schließlich bist du Arzt!" Rita lächelte.

    Mit einem Seufzer setzte sich Alex auf und suchte seinen Slip, während die Klingel in die vierte Runde ging.

    „Was für ein Idiot!", brummte er und Rita zog die Fließdecke herauf und kuschelte sich darin ein.

    „Beeil dich!", befahl sie.

    Ja, das hatte er auch vor. Er würde nun die Klingel mit dem dafür vorgesehenen Schalter zum Schweigen bringen.

    Doch vorher musste er noch einen kleinen Blick auf die Videoüberwachung werfen.

    Die Neugier, eine seiner schlimmsten negativen Eigenschaften.

    Und was er sah, verwirrte ihn! Denn dort stand ein, ja, ein Priester.

    Oder wie es im Schwäbischen heißt - ein Pfarrer. Deutlich waren der römische Kragen und das kleine silberne Kreuz am Revers des schwarzen Anzuges zu erkennen.

    Dann kam Fehler Nummer zwei:

    Alex öffnete die Türe, nur einen Spalt:

    „Bitte!?"

    Sicher hätte er auch über den akustischen Teil der Videoanlage diese Frage stellen können, aber nun war die Tür schon geöffnet.

    „Dem Herrn sei Dank! Sie sind zu Hause!", schrie der Mann, den Alex auf Ende fünfzig, Anfang sechzig schätzte. Der Pfarrer drückte die Tür weiter auf und trabte direkt in das Wohnzimmer, wo Rita nackt unter einer Fließdecke lag, und setzte sich in den Sessel, welcher Rita gegenüberstand.

    Dr. Kanst war noch immer sprachlos und hetzte hinter dem Pfarrer her, welcher sich die ganze Zeit mit einem kleinen weißen Tuch über die Stirn wischte.

    Er schwitzte.

    Und kaum war er in den Sessel gefallen, war er schon wieder aufgesprungen und streckte seine rechte Hand zum Gruß aus. Er hatte Rita entdeckt.

    „Ja grüß Gott, Frau Ketterer! Schön, Sie zu treffen! Wie geht es Ihnen? Und Ihrem Mann?"

    „Gut! Bin mal kurz im Bad!", sagte Rita und wackelte in die Fließdecke gehüllt ins Bad.

    „Können Sie mir mal erklären, wieso Sie mich heute Nachmittag belästigen?", sagte ein fluchender Alex Kanst in seinem besten mürrischen Ton?

    „Ich brauche ihre Hilfe!", stammelte der Pfarrer, der so gar nicht recht bei Sinnen zu sein schien.

    „Ciao, Alex! Den Rest nehme ich das nächste Mal mit!" Rita winkte leicht mit dem Zeigefinger, zeigte auf den silberfarbenen Slip und war schon zur Tür raus.

    „Rita, warte!", rief Dr. Kanst noch hinterher, doch es war ihm sofort bewusst, dass dies heute keinen Zweck mehr hatte. Umso mehr war er auf eine Erklärung gespannt und bereit, dem Pfarrer genau eine Minute zwanzig dafür zu gewähren, denn nach dieser Zeit würde der ungebetene Gast sehr unsanft aus dem neuen Haus fliegen.

    -----------------

    Der Pfarrer wischte sich immer noch die Stirn ab. Gut, draußen hatte es, wenn es hochkam, drei Grad über null, aber hier drinnen mindestens dreißig! Es sollte ja warm und gemütlich sein. Erotisch! Und nun saß ein schwitzender katholischer Pfarrer auf dem Sofa von Alex Kanst, wo eigentlich gerade Rita ihren Höhepunkt bekommen sollte.

    Auch war sich Dr. Kanst sicher, dass dieser Pfarrer nicht wegen der Hitze des Kaminfeuers schwitzte.

    „Ich, ich … ja, wo soll ich bloß anfangen?", stammelte der Pfarrer.

    „Mit ihrem Namen!", brummte Alex und trank den Rest der Torro-Flasche auf einmal aus.

    „Ach ja, mein Gott, wie unhöflich! Was müssen Sie jetzt über mich denken? Sicher denken Sie jetzt das Falsche!", stammelte der Priester weiter.

    Alex hielt es nicht für psychologisch gut, dies, was er jetzt dachte, dem Pfarrer zu offenbaren und ertappte sich beim Kopfschütteln.

    „Gott sei Dank! Es wäre mir nicht recht, wenn sie einen falschen Eindruck bekämen und wie ich noch einmal betonen möchte, möchte ich einen normalen Eindruck erwecken, wenngleich die Situation und der Grund meines Erscheinens nicht normal sind."

    „Bitte kommen Sie zum Wesentlichen!" Dr. Kanst versuchte professionell zu bleiben, wenngleich alles in ihm kurz vor einem Wutausbruch stand.

    Doch das wollte er nicht. Schon seit langem wollte er niemandem mehr sein Innerstes zeigen. Damit hatte er sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Professionelle Distanz und innere Beherrschtheit waren seine größte Stärke und oft seine Waffe im täglichen Kampf gegen die asoziale Dummheit oder die Obere-Klassen-Arroganz. Dies erinnerte ihn an seinen Pfarrer in seiner Zeit als Kommunionkind und den Kanon: … wer sich selbst bezwingt, ist ein König!

    Damit lag er immer vorn! So würde es auch heute sein und bleiben, selbst, wenn die von ihm gesetzte Frist von einer Minute zwanzig bereits weit überschritten wurde.

    Seine Gefühle offenbarte er nur ihr. So wie sie ihre ihm. Ein sehr gutes Arrangement, wie Alex Kanst fand. Und plötzlich wuchs in ihm das Gefühl nach Sehnsucht nach ihr. Zu lange wehte das Banner des Fürsten oben im Schloss. So lange wie noch nie! Selbst nach diesem sehr persönlichen Fall im Sommer hatte er sie nicht treffen können. Ja, er konnte sie nicht einmal anrufen.

    Und was tat er stattdessen? Hatte er Sex? Nein! Er saß hier und hörte an einem Sonntagmittag dem wirren Gesabber eines alternden Theologen zu.

    Wollte er das?

    Hatte er das nötig?

    Nein!

    Und es verstieß gegen den Grundsatz: keine Geschäfte im neuen Haus! Nie! Unter keinen Umständen.

    „Gut, ich verstehe Sie! Sicher haben Sie recht! Deshalb rate ich ihnen zu folgenden Kollegen!" Dr. Kanst drücke dem Pfarrer mit der Linken einen Zettel in die Hand und mit der Rechten schob er ihn aus dem Haus.

    „Rumms!" Die Tür war zu und einige Sekunden später auch die Klingel aus.

    Dann war es still! Zu still im neuen Haus! Auch die Klänge der bezaubernden bretonischen Sängerin waren verstummt.

    Hatte der Pfarrer noch etwas gesagt?

    Hatte er überhaupt noch etwas gesagt? Seinen Namen, den Grund der Störung an einem Sonntag?

    Dr. Kanst wusste es nicht genau, da er nicht hingehört hatte. Es hatte ihn nicht interessiert!

    Der Regen prasselte nun noch stärker an die Scheiben im Wohnbereich und Alex Kanst wusste nicht so recht, wie er dem Sonntag noch einen Sinn verleihen könnte. Sicherlich würde er heute allein bleiben müssen.

    Da piepste sein Handy!

    Er hatte eine SMS bekommen!

    Nichts! Keinen Ton brachte er heraus und alle starrten ihn an. Stumm, als müsste er als Einziger singen. Er wollte auch singen, doch es kam kein Ton aus seiner Kehle.

    Nichts!

    Zur Ablenkung und als Beruhigungsversuch blätterte er in seinem Gotteslob. So als würde er etwas suchen. So als wüsste er nicht, welches Lied gesungen würde. Oder so als würde er es suchen, denn die leuchtenden Ziffern an der Liedanzeige gaben den Weg vor. Jetzt holte er tief Luft, gleich würden die Töne erklingen und alle Augen würden nicht mehr auf ihn, sondern auf die Noten in den Gesangsbüchern geheftet sein. Nur einen Augenblick war er davon entfernt, nicht mehr im Rampenlicht der mahnenden Augen zu stehen.

    Nichts!

    Das konnte doch nicht sein, das durfte doch nicht sein! Wieso konnte er nicht mehr singen? Er kannte das Lied doch fast auswendig. Schon oft wurde es in den von ihm besuchten Gottesdiensten gesungen. Zu oft, sodass man es auswendig kennen musste. Doch dies war ja nicht das Problem. Nicht der Text, nicht die Melodie, nein, auch nicht die Noten waren das Problem. Es musste etwas mit seinen Stimmbändern zu tun haben. Die funktionierten schlichtweg nicht mehr. Gerade hatte er doch noch gesungen!

    Hatte er? Er war sich nicht sicher und bemerkte jetzt, dass er zu schwitzen begann. Kleine Rinnsale liefen seine Wange herunter.

    Warum stand er überhaupt hier? Wollte er singen? Musste er singen? In einer Kirche? Heute? War denn ein besonderer Tag? Weihnachten? Ostern? War jemand gestorben? Jemand, den er kannte, ja mochte?

    Nichts!

    Kein Gedanke konnte ihm die Antwort liefern, doch der Drang zu singen wurde immer größer und so empfand er, könnte er diese Aufforderung auch in den Augen der Gläubigen, die auf ihn gerichtet waren, lesen.

    Auf ihn!?

    Er stand vor allen!

    Warum?

    Warum stand er nicht mitten unter allen? So wie sonst immer! Immer wenn er eine Kirche besuchte. Immer war nicht sehr häufig, eigentlich nie! Nur am Heiligen Abend! Und dies meist nur die Christmette in der Burgkapelle. Um bei IHR zu sein. Wie eine Familie!

    Doch dies war nicht die Burgkapelle, nein, es war eine größere Kirche!

    Die Kirche in seinem Heimatdorf!

    Was tat er hier, hier mitten unter diesen lästigen Augen?

    Nichts!

    Er fand keine Erklärung! Erst jetzt bemerkte er, dass er eine liturgische Ministranten Albe trug. In Rot, mit einem Chorrock darüber. Doch er war kein Ministrant mehr, seit er elf war.

    Er war schon lange nicht mehr elf!

    Er schwitzte immer mehr und der Chorrock klebte bereits auf seiner Haut.

    Ob dies alle sehen konnten?

    Und wenn, sollte dies ihn belasten?

    Störte es ihn, wenn alle ihn anstarrten?

    „Sing endlich!", schrie eine alte Frau.

    „Ja, sing endlich!", schrien nun einige.

    „Singen, singen, singen, singen!", schrien nun alle im Chor.

    Er holte tief Luft, jetzt würde es funktionieren, jetzt musste es funktionieren!

    Doch es funktionierte nicht und die Gläubigen schrien immer lauter, bis der Aufprall kam! Hart und schmerzhaft!

    Dr. Kanst tastete nach dem Lichtschalter! Dazu musste er sich aufsetzen. Er war klatschnass und war aus dem Bett gefallen.

    So ein Traum hatte er schon lange nicht mehr.

    Er spürte, dass er der Sache doch nachgehen sollte, doch nun brauchte er erst einmal eine Dusche!

    ---------------------

    Müde und total durchnässt schleppte sich Alex in die Galerie, welche oberhalb seines üppigen Wohnbereichs lag und so eine Art Balkon bildete.

    Nun gab es zwei Optionen:

    A: Er nahm den kurzen Weg in das etwas Kleinere sogenannte Gästebad oder

    B: Er benutzte den vollverglasten Aufzug, ließ sich in die untere Etage schweben und benutzte das

    sehr großzügige Wellnessbad.

    Es war Montagmorgen und deshalb entschied er sich für die erste Variante. Das andere Bad war für die Freizeit gedacht. Für besondere Momente, mit Frauen oder als Krönung eines erfolgreichen Tages oder nach der Arbeit.

    Und danach fühlte er sich nun wirklich nicht. Im Gegenteil, es begann nun eine sehr stressige Woche und er war nicht erholt. Nicht einmal ein kleines Stückchen.

    Nicht genug, dass dieser Pfarrer ihm seinen so schönen erotischen regnerischen Sonntag zerstört hatte, nein, nun gelang es ihm, ihn auch noch um den Schlaf zu bringen.

    Und warum das alles?

    Er hatte keine Ahnung, nein, er wollte es gar nicht wissen, hatte nicht gefragt. Und doch schien ihn der Besuch irgendwie zu beunruhigen.

    „Mist!", sagte er laut, als er die digitale Anzeige seiner LED beleuchteten Uhr am Ende der Galerie sah. 5.23 Uhr! Zu früh, um in die Praxis zu fahren, zu spät, um wieder ins Bett zu schlüpfen. Ein weiterer Blick verriet ihm, dass Joggen auch nicht in Frage kam. Es regnete immer noch Bindfäden und der Nebel war sehr dicht.

    Nicht, dass ihm das etwas ausmachen würde, nein, im Gegenteil. Dies war ja sonst sein Wetter. Regen, kühl und Nebel. Ein Wetter für den Alb gemacht. Niemand ging an so einem Wetter in den Wald. Allein konnte er deshalb seinen Kopf freibekommen und Ruhe und Kraft tanken. So wie er es jetzt, zu Beginn der Woche, schon nötig hätte.

    Doch er wollte heute nicht! Er hatte nicht gut geschlafen und hasste Montage im Allgemeinen. All dies waren keine Pluspunkte für einen Besuch des Traufwaldes morgens um halb sechs.

    Alex Kanst stellte die Dusche an. Sollte er sich mit Musik berieseln lassen?

    Nein! Besser nicht. Auch hatte er ja gleich zu Beginn seines Tages noch eine wichtige, aber ungemein peinliche und im höchsten Maße unnötige Aufgabe zu erledigen.

    Alles wegen dieses Pfarrers!

    Erst nach der Dusche fand es Alex etwas frisch in seinem neuen Haus. Sollte er den Kamin noch einmal anwerfen?

    Nein! Nicht an einem Montagmorgen, dem Beginn einer schlechten Woche.

    Natürlich soll man so keine Woche beginnen! Seinen Patienten riet er immer, nur das Positive herauszufiltern und sich so Raum für energiegeladene Impulse selber zu schaffen.

    Er wusste, wie dies ging, doch er wollte es nicht wissen. Nicht an einem der schlechtesten Montage seit? Ja, wann war ein Montag so schlecht gewesen wie heute?

    Damals, als ihn zwei Gerichtsvollzieher gleichzeitig besuchten.

    An einem Montagmorgen!

    Er hasste Montage!

    Doch das war damals! Ein anderes Leben in einer anderen Zeit! Manchmal fragte er sich, ob diese Zeit wirklich stattgefunden hatte.

    Sie hatte - und Alex stellte den Beamer an und wählte das ARD-Morgenmagazin. Dazu würde er nun einen starken Kaffee aus seiner brandneuen Kaffeemaschine zaubern. Bohnen aus Kolumbien, Faire Trade natürlich.

    Gerade als die Maschine ihr Mahlwerk anschmiss, kam das Thema des Tages:

    Zunehmende Gefahr durch religiösen Fanatismus!

    „Kein Problem für Dr. Alex Kanst!", dachte er und wusste noch nicht, wie sehr er sich irrte.

    Montag, 8.15 Uhr, es war der 23. November 2015. Und Dr. Kanst würde dieses Datum nie mehr vergessen.

    ------------------------

    Es war sonderbar! Nun war er schon so lange auf und doch hatte es den Anschein, dass er zu spät in seine Praxis zu seinem ersten Termin kommen würde. Hatte er gebummelt?

    Nein, wohl eher keine Lust und eigentlich müsste er ja schon lange nicht mehr in die Praxis. Die fallweise Arbeit für die Polizei, seine zahlreichen Publikationen und seine Vorträge an international anerkannten Hochschulen, vor allem in London, hatten sein Konto mehr als dick gefüllt. Doch er war dazu zu sehr Schwabe.

    Aber gerade an einem solchen tristen Montagmorgen war er sich sicher, dass die Tage der Praxis gezählt waren. Und vielleicht sollte er auch nicht mehr für die Polizei arbeiten. Bei seinem letzten Einsatz war er doch angeschossen worden und schwebte aus heutiger sich längere Zeit in Lebensgefahr. Nicht durch die Verletzung im eigentlichen Sinne, aber durch die Bedrohung des Mörders.

    Egal, das hat das Land Baden-Württemberg eine schöne Summe gekostet. Einige seiner Jahrgänger würden mit so einer Summe ein kleines Einfamilienhaus bauen.

    Der neue VW Tiguan fuhr auf die Landstraße in Richtung Hechingen. Lange war er immer den Umweg gefahren, doch nun fuhr er schon einige Monate wieder durch sein Heimatdorf, vorbei an seinem alten Haus aus einem anderen Leben und irgendwie aus einer anderen Zeit.

    Es machte Dr. Kanst nichts mehr aus, fast fühlte es sich surreal an, als hätte es diese früheren Leben nie gegeben. Er war anders, schon fast neugeboren worden.

    Und doch fand sein Blick nie das alte Haus wieder. Immer suchte dieser etwas zur Ablenkung. Sei es das Radio, sei es der Blick auf ein anderes Haus oder, wie heute, suchte er den Hebel für die Scheibenwaschanlage.

    Vor ihm fuhr ein kleines rotes Auto, Dr. Kanst vermutete einen Japaner, doch dies war ja auch nicht wichtig.

    Es war nur lästig! Lästig war, wie langsam der oder vermutlich war es eine sie oder am ehesten jemand aus der Gruppe der Senioren fuhr.

    Nun hatte er es wieder getan. Er schob Unbekannte in vorgefertigte Schubladen. Genau das war es, was er ablehnte. Eigentlich! Er war ein Verteidiger der Individualität und der Freiheit des Denkens und Tuns eines jeden. Eigentlich! Doch nicht an einem nebligen Montagmorgen. An dem er schon zu spät war und der kleine rote Wagen ihm immer die Frontscheibe vollspritzte.

    Plötzlich klingelte sein Handy.

    „Kanst!", sagte er barsch über die Freisprechanlage und hatte schon lange gesehen, dass es die Praxis war, welche anrief, und somit Tina.

    „Hi, Chef! Habe die Termine bereits um zwanzig Minuten nach hinten verschoben und Herr Müller mit einem Kaffee und einem Motorradmagazin ruhiggestellt", sagte Tina.

    „Danke, du bist ein Schatz!", sagte Dr. Kanst.

    „Ich weiß, und hoffentlich flüsterst du mir dies bald mal wieder ins Ohr!", sagte Tina schon fast singend.

    „Versprochen!"

    „Tschüüüüss!"

    Nach zwölf Kilometern öffnete sich das ansonsten so enge Tal und gab den Blick auf Hechingen und seine schöne mittelalterliche Altstadt frei. Aber auch auf die Burg, welche Hechingen und irgendwie die ganze Gegend überthronte.

    „Mist!", murmelte Dr. Kanst und seine Laune war noch etwas tiefer gesunken. Eigentlich wollte er an diesem Morgen nicht hochsehen, und doch hatte er im linken Augenwinkel die Fahne gesehen. Ein Zeichen, dass der Fürst im Hause war und SIE für ihn damit unerreichbar. Immer noch!

    Erst jetzt bemerkte er, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit weit überschritten hatte. Dies passierte ihm eigentlich nur selten. Was auch dazu geführt hatte, dass er als Inhaber eines Führerscheines seit 29 Jahren noch nicht einen Bußgeldbescheid für das zu schnelle Fahren bekommen hatte.

    Dr. Kanst bremste seinen Tiguan herunter, bis die Tachonadel die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 100 km anzeigte.

    Er hatte seine innerliche Beherrschung verloren. Doch dazu hatte er nach seiner eigenen Überzeugung auch allen Grund. Fast ein Dreivierteljahr konnten sie sich nicht mehr treffen. Immer war dieser Fürst auf seinem Schloss.

    Nicht einmal mehr an ihren Duft konnte er sich noch recht erinnern. So konnte es nicht weitergehen.

    Montage waren einfach nicht seine Sache.

    Vielleicht etwas zu schnell war er in die Fußgängerzone eingebogen. Natürlich musste sofort einer diese komplett in orange gekleideten Bauhofmitarbeiter ihm einen sehr energischen Blick zuwerfen und eine beschwichtigende Handbewegung hinterherschieben.

    Der ganze Marktplatz wimmelte von Leuten in orange.

    „Was machten die an einem so trüben Tag hier?", fragte sich Alex Kanst und sogleich bekam er die Antwort, als einer dieser Typen in orange einen Fichtenbaum an seinem Tiguan vorbeizog.

    Natürlich wurde bereits die Weihnachtsdekoration aufgestellt. Jedes Jahr früher. Sicher würden die es früher oder später gleich im September aufbauen, so konnte man die Stimmung länger halten oder aber sie völlig ruinieren.

    Plötzlich fiel ihm das Schild Katholisches Pfarramt auf.

    Oh ja, dass musste er auch noch erledigen. Irgendwie war es ja wichtig und er hatte es Rita versprochen. Also am besten gleich und jetzt.

    „Mist!" Natürlich gab es keinen freien Parkplatz und Alex Kanst fuhr komplett durch die Fußgängerzone, vorbei am Stadtschloss und zurück zur Einfahrt der Fußgängerzone. An guten Tagen konnte man so Stunden verbringen, ohne zu einem Parkplatz zu kommen.

    Nicht er und nicht heute! Quietschend kam er direkt vor dem Eingang des Katholischen Pfarrbüros auf einem Behindertenparkplatz zum Stehen.

    Sportlich schwang er sich aus seinem Sitz und bemerkte die eklige nasskalte Luft, welche ihm entgegenströmte.

    Solche Tage hatte er auch schon in seiner beruflichen Tätigkeit als Forstingenieur nie leiden können. Doch seit diese Tage vorbei waren, kam es ihm so vor, als würde er diese Art von Wetter immer schlechter ertragen können.

    Doch es gab eben nicht nur sonnige Tage.

    Er würde nur ein paar Minuten brauchen, und dann schnell in die Praxis. Tina konnte seine Patienten ja nicht unbegrenzt umschichten.

    „Aua, was für eine Sche…!" Dr. Kanst unterdrückte das Fluchwort und rieb sich die Stirn. Das würde sicherlich eine dicke Beule geben und bestimmt der Auslöser für einen Migräneanfall sein.

    Dr. Kanst war mit voller Wucht auf die geschlossene Tür des Katholischen Pfarramtes aufgeschlagen.

    Geschlossen? Alex Kanst schaute auf seine Uhr. Es war viertel nach neun. Schon sehr spät für seine Patienten. Sicherlich müsste Tina einigen absagen. Dazu nahm er immer die, deren Termin in der Mitte des Tages lag, so gab es kein totales Durcheinander.

    Vielleicht war es ja nur ein Irrtum. Sanft drückte er noch einmal gegen die Tür. Geschlossen!

    Erst jetzt lachten ihn einige freundliche Gesichter an.

    Das Büroteam der Seelsorgeeinheit Hechingen ist gerne für Sie da. Täglich von 11.05 Uhr bis 11.35 Uhr

    Gerne? Täglich? Dr. Kanst merkte, wie in ihm die Empörung stieg! Was waren das für Bürozeiten?

    Vermutlich so angelegt, dass erst gar niemand kommen wollte.

    Aber er musste, heute, und er musste es persönlich erledigen. Eigentlich war er ja ein Fan der Mail, aber in diesem sehr sensiblen Falle musst er es persönlich erledigen und die Schweigepflicht oder wie es ja bei der Katholischen Kirche heißt das Beichtgeheimnis in Anspruch nehmen.

    Mit noch schlechterer Laune trottete er zu seinem Behindertenparkplatz zurück und was er da sah, war das erste Erfreuliche an diesem trüben Montag. Lange, sehr lange blonde Haare, welche fast bis an den Poansatz reichten, entfernten sich gerade von seinem Auto.

    „Schön!", dachte Alex und merkte, wie er dem Drang, diese Frau anzusprechen, völlig erlag.

    „Guten Morgen!", rief er den blonden Haaren hinterher, so laut, dass die Frau sich umdrehte.

    Doch das war nun nicht so schön. Denn das Gesicht, welches zu den schönen blonden Haaren gehörte, war versteinert und sehr ernst. Auch zeigte es Spuren von starkem Alkoholkonsum.

    „Sie parken auf einem Behindertenparkplatz! Das kostet 50 Euro! Zahlen sie bar oder mit EC-Cash?"

    Dr. Kanst war noch immer geschockt von der unnatürlichen Verbindung so schöner Haare und eines so hässlichen Gesichtes, dass er nicht sofort antwortete.

    „Natürlich können sie den Betrag auch auf das Konto der Stadtkasse einbezahlen. Hier haben Sie einen Überweisungsträger. Und eigentlich sollten Sie sich schämen. Ein gesunder Mann stiehlt den Behinderten ihren Platz. Wünsche einen guten Tag!"

    Mit diesen Worten war das hässliche Gesicht hinter dem nächsten Fahrzeug verschwunden. Dr. Kanst stand noch immer wie ein begossener Pudel da und hielt seinen Überweisungsträger als sei es ein Glückslos.

    Nun war er sich sicher! Er sollte wieder in sein Bett in seinem neuen Haus. Was war eigentlich los? Kein Sex, schlecht geschlafen, zu spät zur Arbeit und dann noch der erste Strafzettel in seinem Leben. Und schuld daran war dieser Priester. Leider konnte er sich dafür nicht erkenntlich zeigen, denn er benötigte ja in Sachen Rita noch dessen Wohlwollen.

    Hoffnung keimte auf, als er bemerkte, wie spät es war. So lange würde es Herr Müller nicht in seinem Wartezimmer aushalten. Dann hatte er diesen Typen wenigstens wieder für eine Woche von der Backe.

    Alex Kanst stieg in den verglasten Aufzug und steckte den Schlüssel bei seinem Stockwerk rein. Ein individueller Aufzug nur für die Eigentümer. Nun machte sich die Müdigkeit aus der letzten Nacht doch schon sehr bemerkbar, aber man ist ja pflichtbewusst und erinnert sich an Tage, da das Portemonnaie leer war. Deshalb die Pflicht und deshalb auch die Arbeit. Wenn man dies einmal erlebt hatte, dann steckte dies in allen Knochen und man wird arbeiten, egal wie dick das Bankkonto ist.

    Mit einem leichten Gong öffnete sich die Tür und Dr. Kanst eilte am Empfangstresen und der dort brennenden Kerzen mit einem leichten Gruß vorbei direkt in sein Büro.

    „Morgen!", brummte der Psychologe.

    „Morgen Chef! Drei Termine abgesagt, einen verschoben und Herr Müller wäre dann jetzt soweit!" Tina stöckelte auf ihren neuen Plateaustiefeln aus grauem Wildleder, welche über ihre Knie reichten, in einem schwarzen Strickkleid mit Zopfmuster hinter ihrem Chef her.

    Alex Kanst seufzte. Er war sich sicher, diesen Müller nicht mehr sehen zu müssen. Doch wenn es erst mal nicht sein Tag war, dann war es halt so.

    „Na gut, aber um 11 Uhr 5 muss ich noch einmal kurz weg!"

    „Um exakt 11 Uhr 5?" Tina lachte.

    „Ja, so ist es und ich brauche einen sehr starken Kaffee. Ach ja, hier wäre noch eine Art Quittung, die bezahlt werden muss!" Alex Kanst übergab sein Knöllchen an Tina.

    „Ja Chef, ein Strafzettel, von unseren Stadtscheriffs! Was ist bloß los?" Tina schien sich köstlich zu amüsieren.

    „Tina, bezahlen und Herrn Müller!"

    „Klaar! Hihihi!"

    Frank Müller war mindestens zwei Meter groß. Schlank, schlaksig und hatte irgendwie das Mitgefühl von Alex Kanst. Insgeheim bezeichnete er ihn als den armen Kerl, der für vier Kinder nur zweimal Sex hatte.

    Tatsächlich hatte die kleine, sehr pummelige Frau von Frank ihm gleich zweimal Zwillinge geschenkt. Frank mochte diesen Passus wohl eher nicht, aber im Rahmen der Gespräche nutze Dr. Kanst öfters den Passus, um die eigentliche Situation von Frank Müller etwas in ein besseres Licht zu rücken.

    „Herr Doktor, das Wochenende war die Hölle! So kann ich nicht mehr weiterleben!" Frank Müller zitterte am ganzen Körper. Dies tat er heute, und eigentlich an jedem Montagmorgen. Die Aufgabe von Alex Kanst bestand darin, ihn in einer Sitzung wieder fit für die Woche zu machen. Meist gelang ihm das, vor allem, weil Frank sich während der Woche überwiegend von seiner Familie fernhielt.

    Er ging morgens um 5 Uhr aus dem Haus und kam erst wieder um 21.00 Uhr. Mittag aß er bei seiner Mutter im Nachbardorf. Dort verbrachte er auch seinen Feierabend.

    Nur am Wochenende klappte dies natürlich nicht und seine Frau verlangte vollen Einsatz bei der Betreuung von vier Kindern. Sex gab es keinen mehr, was Dr. Kanst eher erfreute, wie schnell waren ohne Kondom aus vier sechs geworden. Die Frau von Frank war seine erste und einzige und vermutlich letzte Freundin und Frau!

    Also lag Alex Kanst wohl bei zwei zu vier richtig!

    „Na, so schlimm kann es ja nicht gewesen sein!", sagte der Arzt und dachte dabei an sein schlimmes und Sex loses Wochenende.

    „Doch doch, es hat ja fast immer nur geregnet und deshalb musste ich das ganze Wochenende mit Bauklötzen und blöden Puppen auf dem Boden liegen!"

    „Gut, das Wetter macht uns allen einmal einen Strich durch die Rechnung. Aber gab es nicht auch Momente, die sie berührt haben. Lachende Kinderaugen, ein dankbarer Blick?"

    „Ja, ja schon! Aber meine Frau, glauben Sie mir, die stinkt! Ich denke, die wäscht sich nicht mehr, ganz bestimmt!"

    Solche ekligen Details mochte Dr. Kanst nicht und heute schon gar nicht.

    „Sehen Sie, ein lachendes Kinderauge gibt einem doch sehr viel zurück. Nun liegt ja eine entspannte Woche vor Ihnen und das nächste Wochenende soll noch einmal sehr sonnig werden. Dann können Sie hinaus auf Ihren Spielplatz und die Meute rennen lassen!", log Dr. Kanst und war bereits aufgestanden, um Herrn Müller zu verabschieden.

    „Gut, wenn Sie meinen. Ich fühle mich auch schon besser. Jetzt hatte ich ja fast den ganzen Morgen Zeit für mich: Übrigens, Sie haben tolle Magazine in Ihrem Wartebereich!" Frank Müller drückte sehr innig die Hand von Alex Kanst. Eine Verspätung war wohl die beste Therapie für den jungen Familienvater.

    Alex Kanst desinfizierte seine Hände, schließlich möchte ja keiner die Keime der unteren Bevölkerungsschicht an den Händen oder sonst wo haben. Als er in den Flur schaute, ob bereits der nächste Patient wartete, bemerkte er erneut die brennenden Kerzen auf dem Tresen. Eigentlich waren diese ihm ja schon beim Hereinkommen aufgefallen. Doch erst jetzt weckten diese blauen Kerzen seine Neugierde.

    Natürlich war nächste Woche der erste Advent, doch selbst im Advent brannten nie Kerzen auf dem Tresen von Tina.

    Tina saß mit dem Rücken zum Tresen und war in den Tiefen des Webs gedanklich verschwunden. Alex Kanst sah nun drei blaue Kerzen auf seinem Tresen. Nun, der Advent benötigte vier und man nahm ja auch eher die roten oder goldene. Natürlich wusste er nichts über den aktuellen Modetrend in Sachen Weihnachten. Er erinnerte sich, als seine Cousine ihm einmal grüne Christbaumkugeln geschenkt hatte. Grüne Kugeln an einem grünen Baum. Ein Trend, der sich nicht durchsetzte. Alex lachte.

    „Na, ist Blau der Trend in diesem Jahr für die weihnachtliche Dekoration überall?"

    Tina blickte verdutzt auf, erst dann sah sie ihren Chef auf die Kerzen zeigen. Lächelnd stand sie auf.

    „Aber nein! Sieh mal, Chef!" Voller Stolz zeigte Tina auf eine 30 cm hohe Statue aus Gips, welche sich neben dem Faxgerät befand. Links und rechts der Statue ebenfalls zwei blaue Kerzen. Die Statue trug eine schwarze Kutte, welche fast alles überdeckte, sodass man kein Gesicht sehen konnte.

    „Ha, was ist das, Darth Vader?"

    „Aber nein, das ist die heilige Arsi, Chef. Dass du das nicht weißt?"

    „Die heilige … was?"

    „Arsi!"

    Dr. Kanst war katholisch und in seiner Kindheit natürlich auch Messdiener. Später unterstützte er noch die Katholische Gemeinde in seinem Heimatort als ehrenamtlicher Pfarrgemeinderat.

    In seinem alten Leben, in einer anderen Zeit.

    Dennoch hatte er noch

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