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EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG: Nach den Berichten des Augsburger Tour d' Afrique Teilnehmers Bernd Beigl
EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG: Nach den Berichten des Augsburger Tour d' Afrique Teilnehmers Bernd Beigl
EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG: Nach den Berichten des Augsburger Tour d' Afrique Teilnehmers Bernd Beigl
eBook326 Seiten4 Stunden

EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG: Nach den Berichten des Augsburger Tour d' Afrique Teilnehmers Bernd Beigl

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Über dieses E-Book

"Africa is not for sissies" oder die Geschichte des Augsburgers Bernd Beigl der in 120 Tagen mit dem Fahrrad von Kairo nach Kapstadt fährt. Ein brachialer Sturz zwingt ihn zur Aufgabe - nur vorübergehend, denn er stößt halbwegs genesen kurze Zeit später wieder dazu und durchlebt fortan zwölf Länder mit großartigen Begegnungen. Vom Pillendreher bis zur schwarzen Mamba, von Massai-Kriegern, der Swahili-Lehrerin und von Gorillas, ganz dicht an seiner Seite, bis zum Skorpion, der ihm auf die Füße fällt, lernt er von Tag zu Tag mehr von dieser ihm so unbekannten Welt. Ein beinharter Wettkämpfer und zugleich zart besaiteter Mann, dessen Vater den Selbstwertverlust des Sohnes ein Leben lang füttert, ohne Bedenken und in tiefer Ablehnung. Dieser Sohn verschafft sich in allen Lebenslagen Gehör und sorgt für mehr und mehr Anerkennung, spürt aber auf dieser Reise, in diesem Abenteuer, dass er es nicht nötig hat, irgendjemandem etwas zu beweisen, außer sich selbst.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Aug. 2020
ISBN9783347004498
EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG: Nach den Berichten des Augsburger Tour d' Afrique Teilnehmers Bernd Beigl
Autor

Jutta Kindler

JUTTA KINDLER ist 1952 in Berlin geboren und lebt in dieser bunten, überaus lebendigen und vielschichtigen, seit 1990 wiedervereinten Stadt. Die Diplom Ingenieurin und Architektin erzählt Geschichten über das Leben, das immer alles für und gegen jeden bereithält. "Freundinnen" ist ihr zweiter Roman nach zwei Erzählungen. Die erste „Liebe in Grenzen“ ist 2017 im lulu Verlag erschienen und erzählt von dem Südbadener Jungspund, den es 1964 nach Westberlin verschlägt, um sein Glück zu finden. Die zweite „EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG“ ist 2020 im tredition Verlag erschienen und handelt von dem Augsburger Tour d‘ Afrique Teilnehmer, der mit dem Rad in 120 Tagen von Kairo nach Kapstadt fährt, diese Tour trotz eines schweren Unfalls beendet und sich von diesem Kontinent umarmen lässt. Der erste Roman "WOHL und ÜBEL", ebenfalls 2020 im tredition Verlag veröffentlicht, handelt von einem Mädchen, einem Untermieter in der elterlichen Wohnung und einem Kommissar. Missbrauch und Schweigen lassen alle einen langen Weg gehen, um sich schließlich aus den bösen und nachhaltigen Zwängen zu befreien.

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    Buchvorschau

    EIN MANN EIN ZEBRA EINE UMARMUNG - Jutta Kindler

    Ich liege irgendwo auf einer Straße und starre in einen Himmel voller bedrohlicher Figuren, mit Unheil verkündenden Fratzen. Sie bewegen sich im schnellen Lauf über die endlos weißblaue Fläche - zig Fragezeichen türmen sich auf.

    Bin irritiert, kann mich nicht bewegen. Noch eben war alles tief schwarz… keine Gedanken… keine Gefühle… keine Bilder. Ein Schlaf ohne Traum… dunkel… ausgeschaltet! Ist dieser Himmel jetzt die Wirklichkeit? Wo bin ich? Bin ich allein? Versuche mich zu sammeln, die Gedanken rasen durch meinen Kopf – was ist passiert? Will mich umsehen, doch es geht nicht, bin wie erstarrt!

    Versuche meinen Körper zu spüren - bewege mich ganz vorsichtig. Es fühlt sich an wie weit entfernt von mir, dumpf, nicht real. Meine Gedanken rufen: Kilometer 75…

    Ich denke an ein bezauberndes Bild auf einer Anhöhe, an eine Person, die auf dem höchsten Punkt steht. Erinnere mich an den Lunchtruck da oben mit seinem Vorzelt für unseren Essplatz und… an eine Ortszeit - exakt 7: 40 Uhr.

    Doch hiernach nichts mehr – ich suche in meinem Kopf – keine Bilder – kein Erlebnis – alles erloschen! Ich blicke in diesen Himmel. Es ist Sonntag, fällt mir ein, es ist der Himmel über Afrika, es ist mein Abenteuer, meine Tour d’ Afrique. Warum sitze ich nicht auf meinem Rad? Die Bilder werden wieder klarer! Es ist der dritte Tag unseres Rennens, jetzt erinnere ich sogar das Datum, es ist der 15. Januar 2017.

    Wo ist mein Handy? zischt mir durch den Kopf, was habe ich damit gemacht? Es muss hier irgendwo liegen - ich möchte es sofort suchen, doch ich kann nicht. Ich höre Stimmen - sie sind real. In meinem Kopf scheint alles wieder wirklicher zu werden, doch mein Körper gehorcht mir nicht. Auch kommen keine Bilder von einer Gefahr zurück, keine Erinnerung an irgendetwas, das gewesen sein könnte, an ein Ereignis, das mich jetzt hier unbeweglich liegen lässt. Ich spüre meinen Mund, hier stimmt überhaupt nichts mehr! Meine Zähne scheinen nicht mehr vorhanden – ich schmecke Blut! Es läuft mir in die Kehle, ich merke, wie es über mein Gesicht auf den Boden fließt. Es muss unbändig viel sein, denke ich nur und wundere mich über die nicht zu erfühlenden Zähne. Warum weiß ich nicht, was passiert ist, warum liege ich hier? Sind es Sekunden, Minuten oder ist es eine Ewigkeit? Erinnere mich schlagartig an Chester, der direkt vor mir geradelt ist. Bin ich auf ihn drauf gefahren? Habe ich Straßenschäden übersehen? Hat er womöglich gebremst? Es will mir nicht einfallen! Nur den Lunchstopp sehe ich wieder vor meinem geistigen Auge, aufgebaut auf dieser Anhöhe. Unsere Gruppe fährt gerade die letzten Meter da hoch.

    Hetty schaut mir in die Augen, ich erkenne sie und das beruhigt mich. Sie ist unsere Ärztin, die uns während der gesamten Tour begleitet und sich während der Sprechstunden in ihrem kleinen medizinischen Abteil des Lunchtrucks aufhalten wird. Es ist also die Wirklichkeit! Bin sehr glücklich sie sehen zu dürfen. Sie habe einen Knall gehört, sofort reagiert und sei herbeigeeilt, sagt sie mir. Allerdings kommt mir sofort wieder in den Kopf, wie sie da oben auf der Anhöhe steht und in unsere Richtung schaut. Und jetzt diese Erklärung? Egal… ihre Stimme tut mir gut!

    Sie rettet meine Brille, sucht mein Handy und hilft mir beim Aufstehen. Bis hoch zum Truck stützt sie mich. Ich bewege mich wie in Trance, aber mit ihrer Hilfe schaffe ich es bis in ihren kleinen Behandlungsraum.

    Das Blut rennt über mein Gesicht, sie versucht es zu stillen.

    Meine Gedanken wetteifern unerbittlich in meinem Kopf. Was ist passiert? Ich bin doch wieder recht klar, doch ich erinnere mich nicht an eine gefährliche Situation. Bin ich auf Chester aufgefahren? Bin mir fast sicher, doch der hat gar nichts, wie ich später erfahre, und, er wird mir auch nichts erklären. Meine Erinnerung scheint mir zu sagen, dass ich ihn tatsächlich Reifen an Reifen berührt habe, als er unmittelbar vor mir fuhr. Das könnte mich zu Fall gebracht haben, müsste allerdings auch von ihm bemerkt worden sein. Die nachträglichen Prüfungen werden ergeben, dass es auch keine größeren Fahrbahndefekte an dieser Stelle gibt. Keiner wird zu meinem Erstaunen etwas Genaues wissen!

    Doch das hat jetzt auch keine Priorität – in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Was wird jetzt passieren? Kann ich jetzt sofort weiter fahren? Ich mag nicht in dem Lunchtruck mitfahren schon am dritten Tag – das kommt gar nicht in Frage! Ich bin doch hier, um das Rennen zu gewinnen! Und wenn ich es nicht gewinnen kann, will ich wenigsten „every fucking inch" gefahren sein und die Medaille dafür einheimsen! Es kann doch nicht sein, dass ich als ein so starker und vielleicht sogar stärkster Fahrer schon am dritten Renntag die Segel streichen muss!

    Ich verspüre überhaupt keine Schmerzen, was mich einen winzigen Moment optimistisch sein lässt. Noch ahne ich nicht, dass sich das bald ändern wird, doch ich erkenne allmählich, wie groß dieses Ding tatsächlich sein muss. Sämtliche Klamotten, mein Gesicht, mein Hals, alles ist voller Blut! Und es hört nicht auf, aus mir heraus zu quillen, wie mir scheint!

    Hetty übt mit mir ein paar Bewegungen – es geht - fast beruhigend! Ihre Einschätzung ist dennoch nicht sehr positiv. Bei meinem Handy sieht das anders aus, das funktioniert einwandfrei. Ich bitte Hetty um ein Foto, damit ich sehen kann, warum das Blut nach wie vor aus meinem Gesicht strömt und nicht aufhören will. Obwohl das nur mit Zeichensprache möglich ist, das Sprechen ist eher schwierig. Sie macht es schnell zwischendurch mit ihrem Handy, denn für sie gibt es derzeit nur eine Priorität - die Blutungen zu stillen. Es ist tatsächlich etwas Größeres, ich muss in ein Krankenhaus gebracht werden. Das Foto beweist es mir!

    Die Spitzengruppe der Tour d’ Afrique wird in Ägypten grundsätzlich von einer Militäreskorte begleitet, wegen der Überfälle auf Touristen, die sich häufen. Für mich nur gut, denn von diesen Militärs kann sofort ein Krankenwagen geordert werden.

    Die Tour d’ Afrique, das Abenteuer, für das ich mich entschieden habe, als mir zu Hause alle Felle weggeschwommen sind. In 120 Tagen über 12000 Kilometer von Kairo nach Kapstadt mit dem Rad, ein Abenteuer, ein Rennen, eine Prüfung für mich als Wettkämpfer, als Mensch, als Mann - und es hat so gut angefangen.

    Ich kann nicht beurteilen, wie lange dieser Krankentransport auf sich warten lässt, es dauert und dauert – wie mir scheint viel zu lange. In dieser grauenhaften Wartezeit versinke ich in einem Abgrund. Ich war doch so sicher, dass ich diese Tour, diese Erlebnis erholt und stolz überstehe und jetzt? Jetzt ist alles noch viel schlimmer!

    Langsam kommen die Schmerzen. Ich beginne die Zähne zu spüren, die sich noch an ihrem Platz befinden aber wackeln, spüre die Lücken, die die

    Herausgeschlagenen hinterlassen haben. Zumindest ertastet meine Zunge die spitzen Reste im vorderen Bereich. Die Schmerzen werden von Minute zu Minute größer. Schlagartig erinnere ich, dass ich mir vor vielen Jahren einmal ein Stück vom Daumen abgesägt hatte – diese Schmerzen heute sind ähnlich. Mir wird kalt, Schweiß bricht aus, ich zittere vor Kälte, die Pritsche im Lunchtruck ist hart, Hetty kümmert sich fürsorglich.

    Der Krankenwagen kommt. Ich werde auf deren Liege umgebettet und hinten in den Transporter geschoben, der mich nach Hurghada ins Klinikum bringen wird. Mein Kopf und mein Genick bleiben ohne Halt, ohne Fixierung und damit von keiner Erschütterung verschont. Die Hetty begleitet mich, ihr erster ernsthafter Fall überhaupt, sie beruhigt die Sanitäter im Krankenwagen und mich mit ihrer Professionalität. Sie ist mein sanfter Engel und ich weiß, das werde ich ihr immer hoch anrechnen. Sie hilft mir so sehr, obwohl sie gar nicht viel tun kann – die Verletzungen sind zu umfangreich! Doch allein ihre Anwesenheit rettet mich vor dem Kollaps. Die Schmerzen werden schier unerträglich. Schmerzmittel gibt es keine, denn nur ein hiesiger Arzt könnte die verabreichen. Doch gibt es keinen in dem Sanitätswagen und auch Hetty ist dazu nicht berechtigt.

    So donnern sie mit mir rund eine Stunde über die Wüstenpiste. Schweißgebadet, angespannt und voller Schmerzen liege ich da und traue mich weder zu bewegen, noch mit der Zunge nachzufühlen, wie viele Zähne tatsächlich fehlen.

    Es ist schlichtweg der absolute Horror! Der Tag, der so wunderbar begonnen hat, ist jetzt zum vollkommenen Desaster ausgewachsen!

    Endlich komme ich im Krankenhaus an. Durch das zum Glück funktionierende Funkgerät der Sanitäter, stehen Ärzte und Schwestern bereit, mich in Empfang zu nehmen.

    Die von Blut getränkten Klamotten werden mir vom Leib geschnitten. Recht schnell komme ich in die unterschiedlichen Röntgenapparate, durch die festgestellt wird, welche Verletzungen ich tatsächlich davongetragen habe.

    Doppelter Nasenbeinbruch, das Jochbein angebrochen, Zahnhälse ausgeschlagen, Zähne gelockert oder gänzlich ausgebrochen, das Gesicht zerrissen, aufgedunsen und rot blau verfärbt, zudem noch einige Wunden und Schädigungen an Körper und Gelenken.

    Mein Glück: nichts Gravierendes an der Wirbelsäule und am Gehirn. Bin ein wenig beruhigt – die Ärzte auch.

    Nach einiger Zeit kommt auch ein Zahnarzt, der helfen soll. Er spricht Deutsch, hat seine Ausbildung in Deutschland gemacht. Der versucht, die noch verwurzelten Zahnfragmente heraus zu ziehen. Scheint ein schwieriges Unterfangen zu sein und ist zudem überaus schmerzhaft. Mich wundert, dass ich nicht das Bewusstsein verliere. Auf einem Frontzahn gibt es ein Implantat, das er mit Gewalt ausreißt - die Ausbildung muss schon lange her sein, schaffe ich gerade noch zu denken, bin aber betäubt vor Schmerz! Mein Zahnarzt in Deutschland wird später feststellen, dass dieser Klempner das besser nicht hätte tun sollen.

    Nach gut zwei Stunden sind alle ersten Maßnahmen und Untersuchungen abgeschlossen. Ich werde in ein Einzelzimmer geschoben, umgebettet und an den Tropf gehängt. Die Schwester schaltet den Fernseher ein.

    Es läuft das Traumschiff und ich denke an Sarah, eine Freundin, die einmal auf der AIDA gearbeitet hat und seither Fan dieser Serie ist. Mache sogleich ein Foto und schicke es ihr. Sie ist auch die erste, die von den so umfangreichen und schlimmen Verletzungen erfährt. Das Foto erspare ich ihr noch.

    Die Betreuung in diesem Krankenhaus ist tatsächlich überwältigend. Alle wuseln um mich herum und tun alles, es mir besser gehen zu lassen. Allmählich komme ich zur Ruhe und informiere meine Lieben zu Hause. Mein lädiertes Gesicht poste ich auf facebook - das müssen jetzt alle ertragen. Schließlich habe ich sie schon mit sehr schönen Fotos von den Pyramiden, von der Landschaft und von Sonnenuntergängen verwöhnt. Beruhige mich selbst mit dem Hinweis, dass körperlich nicht so Schlimmes passiert ist, nichts, was nicht heilbar wäre.

    Kurz nach dem Mittagessen kommen Sidney und Bruce, zwei unserer Crewmitglieder, die mir meine Klamotten in der Reisetasche bringen. Hetty hat allen mitgeteilt, dass eine weitere Teilnahme, derzeit jedenfalls, nicht möglich sein wird.

    RAUS BIN ICH…

    Die kanadische Organisation hat unterdessen aufgrund des Vorfalls beschlossen, dass in den kommenden Jahren keine Rennen mehr durchgeführt werden.

    Ich bin gar nicht sicher, ob tatsächlich das Rennen Schuld an meinem Unfall ist, weiß schließlich nach wie vor nicht, was genau passiert ist – und erstaunlicherweise kann auch jetzt keiner sonst den Ablauf dieses Sturzes beschreiben.

    Gibt ein Wettkämpfer vielleicht alles und achtet dabei zu wenig auf Gefahren? Oder könnte es sein, dass so manch einer alles für einen Sieg tun würde?

    Ich kann es nicht bewerten und vor allem nichts beweisen! Alle sind jedenfalls überaus betroffen und wünschen mir eine gute und schnelle Besserung.

    Ich solle doch so bald wie möglich zurück kommen können, um wieder in die Tour d’ Afrique einzusteigen.

    Oh Mann, wie ich mich fühle! Zum Glück bin ich immer wieder abgelenkt in meinem Krankenzimmer, doch ist es zwischendurch ruhig, kommen die Gedanken – schwer – verzweifelt – hilflos!

    Hätte ich die Zeichen besser erkennen müssen?

    Es fängt so gut an, an dem Dienstag meiner Abreise, an diesem 10. Januar des Jahres 2017. Eine Nachricht klickt rein, es ist 8: 00 Uhr früh. Sie ist von Sarah, sie wünscht mir alles Gute für die lange Reise. Ich kenne sie seit dem ersten Weihnachtsfeiertag im letzten Jahr, als in Augsburg eine Bombe entschärft wurde. Ich hatte mein Domizil für alle angeboten, die evakuiert werden mussten - und da kam auch sie.

    Sarah ist Heilpraktikerin und sehr spirituell veranlagt. Sie hat mir die letzten zwei Wochen den einen oder anderen Tipp gegeben, manchmal sogar die Augen geöffnet mit ihrer Art der Sinneswahrnehmung. Und… ja, ich bin mehr als froh, sie kennengelernt zu habe!

    Allerdings spüre ich auch ein wenig Angst, da wir beide ein bisschen mehr füreinander zu empfinden scheinen. Gerade schickt sie mir ein Bild mit einem auf ihrem Balkon im Schnee gezeichneten Herz. Das freut mich natürlich sehr, aber ich hatte gerade eine missglückte Beziehung hinter mir!

    Der Schnee lässt mich aber auch gleich wieder fühlen, wie kalt es gerade in Deutschland ist, während ich in ein paar Stunden in Ägypten sein werde. Hier werden ganz andere Temperaturen herrschen – hoffe ich zumindest.

    Ich bin dennoch ein wenig hin und her gerissen, habe nicht gut geschlafen. Die Insolvenz – meine Kinder - mein Plan - Sarah! Ist es richtig, jetzt einfach abzuhauen und alles stehen und liegen zu lassen? Flüchte ich vor all den Schwierigkeiten, die sich hier mittlerweile anhäufen?

    Wie auch immer, es gibt kein Zurück mehr! Schiebe die Fragen beiseite, schließlich bin ich voller Tatendrang, freue mich auf alles, was diese Tour betrifft und, da ich nicht genau weiß, was das sein wird, freue ich mich vor allem auf die Wärme. Ich liebe Sonne und Wärme!

    Jetzt gibt es noch ein paar Dinge zu erledigen. Zum Beispiel eine Krankenversicherung fürs Ausland abschließen – auf den letzten Drücker, wie so oft! Zudem letzte Emails schreiben, die allen die notwendigen Informationen über mein Treiben geben. Schnell noch das Gepäck checken – wieder alles ganz knapp - um 9.55 Uhr geht‘ s zum Flughafen.

    Freija, meine Tochter, wünscht mir noch alles Gute - 9.45 Uhr - der Transfer ist da!

    60 kg Gepäck sind verladen mitsamt Fahrrad, alles gut verpackt in einem Karton.

    Zum Glück kennt sich der Fahrer gut aus auf dem Flughafen, ich bin etwas gestresst. Mir wird warm, habe den dicken Winterpulli an, der muss jetzt runter! Ich schaue dabei auf den Druck auf meinem T-Shirt „normal People scare me - normale Leute machen mir Angst. Hab es ganz unbewusst angezogen, aber jetzt? Es scheint sagen zu wollen: Ich bin ein bisschen anders, ich bin gerade in diesem Moment für etwas ganz „Unnormales bereit.

    Auf dem Flughafen kriege ich weitere Anrufe, noch ein letztes Münchner Weißbier und es geht in den Flieger.

    Er startet - ein seltsames Gefühl - ein Start für 4 Monate…

    Ich habe so etwas noch nie gemacht, eine aufregende Spannung übermannt mich – was wird mich erwarten? Ich schließe die Augen und träume. Ich werde gewinnen! Ich werde diesen Anforderungen gerecht werden! Ich werde es mir und IHM? beweisen! Plötzlich sind so schöne Erinnerungen da. Es war das Jahr 2014. Ich erhielt den Integrationspreis für mein Projekt der Kulturküche in Augsburg und ER war dabei! Mein Vater feierte genau an diesem Tag seinen 75sten Geburtstag und, wie es offenbar von keinem übersehen werden konnte, zeigte er sich in seiner persönlichen Runde, unter seinen Freunden und Bekannten stolz und zufrieden über die Leistungen seines Sohnes. Vor mir hielt er sich zwar eher zurück, doch er nahm mich hier tatsächlich das erste Mal in meinem Leben in den Arm und lobte mich mit anerkennenden Worten. Fremd, ungewohnt, nahezu unglaublich für mich – aber ein so gutes Gefühl!

    Ich fliege einer Welt entgegen, die mir fremd ist, die mich vielleicht aber auch umarmt… ein dringender Wunsch!

    Kairo von oben, tausend Lichter, es ist spät abends, der Flieger landet. Pit, der Verantwortliche für Ägypten, holt mich ab und bringt mich in die Flughafenhalle, wo Suse, eine der Teilnehmerinnen, wartet. Wir zwei werden in das Hotel gebracht, in dem alle drei Tage lang bleiben, bis es mit dem Rennen tatsächlich los geht. Das ganze Hotel steht uns Fahrern zur Verfügung, einige sind schon angereist und eingecheckt, andere kommen noch.

    Das Haus ist recht neu, steht nahe den Pyramiden am Nordrand von Kairo und wurde von den Verantwortlichen ausgewählt, um am Starttag die Millionenstadt nicht gänzlich durchqueren zu müssen.

    Die Organisation nennt sich TDA, Tour d’ Afrique, und ist vor 15 Jahren ursprünglich in Kanada von Henry Gold gegründet worden. Heute agiert sie weltweit. Henry Gold, den ich zu meiner Freude später am Lake Victoria treffen werde, hatte mit 50 seinen Job und alles sonst noch Wichtige verloren. Nach diesem Tief hatte er beschlossen etwas zu ändern. Mit Herzblut wuchs die Idee als erster Mensch mit dem Fahrrad durch Afrika zu fahren! 2001 setzte er seinen Plan in die Tat um.

    Ich spüre eine Verbindung zu ihm, noch ohne ihn persönlich zu kennen. Schließlich bin ich 50 und auch in meinem Leben verändert sich gerade etwas. Ich bin fast glücklich, nicht allein mit einer solchen Entscheidung zu sein. Zu sehen, wie andere Menschen nach Niederlagen wieder aufstehen. Wie sie ihrem Instinkt, ihren Talenten, ihren Vorlieben und ihrer Neugierde folgen. Wie sie Neues suchen, es finden und schließlich vielleicht sogar erfolgreich in Szene setzen, wie Henry in seinem imposanten Fall.

    Ich bin sehr gespannt auf die anderen Teilnehmer, mit denen ich mich messen werde, auf deren Geschichten, die mir Erkenntnisse liefern. Und natürlich auf deren Stärken, die mich meine Chancen ausmachen lassen! Habe allerdings auch gehörigen Respekt vor dieser Nähe, die wir unweigerlich haben werden, wie ich vermute.

    Nachdem ich meine Sachen auf mein Einzelzimmer gebracht habe, gehen Suse und ich langsam vor zu den Teilnehmern, die größtenteils in den Tagen zuvor eingecheckt sind und bereits einige Stadtbesichtigungen hinter sich haben.

    Mittlerweile sind alle komplett, wir begrüßen uns. Manche kennen sich bereits übers Internet, jedoch nicht persönlich. Wir hatten alle vorher recherchiert, uns über die Medien gefunden und ausgetauscht, wer was und wie viel mitnimmt und welche Ängste die größten sind.

    Die Suse ist knapp über 60 - mit ihr bin ich schon seit einiger Zeit über das Netzwerk facebook verbunden. Suse wusste als erste von meiner größten Angst, meinem schlechten Englisch! Ihr ging es ähnlich und das ließ uns dann auch persönlich enger zueinander stehen – ich bin froh, dass sie da ist.

    Sie ist Norwegerin und betreibt ein Projekt am Lake Malawi, für das sie in der Heimat Geldspenden einsammelt. Sie hat online einen Deal festgemacht, mit dem sie von den beteiligten Sponsoren für jeden gefahrenen Kilometer Geld bekommt, das sie ihrem Projekt zugutekommen lassen wird. Sie arbeitet für einen sozialen Träger in Bergen, der sich um die Lebensbedingungen Benachteiligter kümmert. Der Projekte entwickelt und durchführt, in deren Rahmen Menschen Arbeit verschafft wird und schließlich ihre Kommunikation und Eigeninitiative fördert.

    Geht es um das Dorf am Malawisee, um Suses Herzensprojekt, ist sie mehrere Monate mit Hilfe ihres Unternehmens nur für diese intensive Sozialarbeit vor Ort abgestellt.

    Für mich ist Suse wie eine gute Mutter, die auch mich ein wenig an die Hand nimmt und mir zeigt, wo es auch noch lang gehen könnte. Obwohl sie wirklich nur wenig Englisch spricht, hat sie den schnellen Überblick über das, was gemeint ist und wie sie darauf antworten kann. Sie findet immer geschickt Umschreibungen, wenn ihr die geeigneten Worte fehlen. Suse klärt Probleme ganz pragmatisch, hat immer das Ziel im Auge. Sie ist so taff und ich empfinde ihre Ängste, zumindest hinsichtlich der Sprachbarrieren, schon seit unseren ersten gemeinsamen Momenten als völlig unnötig. Ich mag sie sehr!

    Insgesamt sind wir 27 Teilnehmer und ich bin der einzige Mann aus Deutschland. Je vier Fahrer kommen aus Amerika, Kanada, Südafrika und Australien. Die Suse stammt aus Norwegen, Anna ist die Frau aus Österreich und Mandy die einzige Deutsche. Ein Schwede und ein paar Engländer sind auch noch dabei. Wir schütteln uns freundlich die Hände, die übliche Floskel „how are you" ist rundum zu hören. Ein paar belanglose Sätzchen übers gute Essen hier, über die Kälte, die alle nervös macht und einiges mehr. Langsam wird es 23 Uhr an diesem Dienstag.

    Es ist so bitterkalt, dass es mich ärgert, weil ich das in Kairo nicht erwartet hätte! Doch es ist Frühjahr, der Winter gerade am Ausklingen – so hat‘ s eben nur 10 bis 12 Grad. Allerdings ist es damit immer noch wärmer als in Deutschland!

    Sidney, dem Tourleader, begegne ich noch. Trotz der späten Stunde quatschen wir ausgiebig. Er ist Südafrikaner, um die dreißig und zum vierten Mal dabei. Hemdsärmelig mit langen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden sind, sitzt er neben mir. Für mich ist er nicht der typischer Südafrikaner – obwohl ich nicht wirklich weiß, wie ein typischer Südafrikaner aussieht. Er wirkt aber auf mich äußerlich eher wie ein Surfer, der auf den Wellen vor Floridas Küsten reitet und abends Getränke in der Strandbar ausschenkt. Nur nicht so smart als Typ, eher kraftvoll, gern auch mit einem Whisky in der Hand. Als ganz junger Mann hatte er auf einem professionellen Fischfangkutter vor dem Kap der guten Hoffnung angeheuert, die raue See hat ihn geformt. Entsprechend derb ist seine Aussprache, er sagt, was er denkt und meint es genau so, ganz offen, ganz ehrlich, ganz direkt. Sidney bringt immer alles auf den Punkt und macht keine Umwege.

    Ich sehe den Kutter vor meinen Augen – und ich denke an Moby-Dick, es ist kein Fischkutter, male ich mir aus, es ist ein Walfänger, Sidney will den Riesenwal einfangen.

    Fischen ist seine Leidenschaft, wie er erzählt, aber er braucht neben einer guten und beständigen Arbeit das Abenteuer. Auch braucht er die Natur mit den atemberaubenden Phänomenen und die Tiere, die sich wie selbstverständlich darin zurechtfinden, wenn wir ihnen den Lebensraum nicht stehlen oder ihn verunstalten. All das findet er hier während seiner Arbeit, immer im direkten Kontakt mit dieser Welt, frei und dennoch irgendwie bodenständig.

    Auch mit Anna gibt es noch einen Plausch, sehr angenehm Deutsch sprechen zu können.

    Eine wagemutige Frau, die vor einem Jahr erst den Kilimandscharo bestiegen hat. Ein Buch ist über diesen Kraftakt entstanden. Sie ist eine Perfektionistin, um die 25, mit blonden langen Haaren, so eine typisch neue Frau, die weiß, was sie will. Nach dieser Tour plant sie einen nachhaltigen Tourismus in Afrika aufzubauen, eine Tourismusplattform zu schaffen. Das alles macht sie offenbar absolut straight - sie scheint tatsächlich genau zu wissen, was sie will und wie sie ihre Vorstellungen verwirklicht, ja auch durchsetzt.

    Nicht mein Frauentyp! Fühle mich wohler, wenn ich helfen kann, wenn ich gebraucht werde. Sie braucht niemanden für ihre Entscheidungen, aber - sie spricht Deutsch! Und genau deshalb brauche ich auch so eine „typisch Neue" an meiner Seite – das kann nur hilfreich sein!

    Mitternacht – ich gehe auf mein Zimmer. Die Gedanken schwirren durch meinen Kopf, mir ist nicht wirklich wohl! Heimweh? Die Situation ist nicht beruhigend. Zu neu! Die Menschen – zu beeindruckend! Die Probleme in Augsburg – zu nachhaltig! Ich krame noch ein wenig in meinen Sachen und da ist Flixi, der kleine Hase, den mir meine Tochter ins Gepäck geschmuggelt hat. Es war ein Geschenk von mir für sie vor über zwanzig Jahren und sie hat ihn als Beschützer überall hin mitgenommen – jetzt soll er mich beschützen!

    Es macht sich tatsächlich ein wenig Sicherheit breit und ich denke an meine Wünsche das Rennen als erster Deutscher zu gewinnen, hiernach zu Hause in Augsburg wieder Fuß fassen zu können, alle Krisen zu bewältigen und neu durchzustarten. Über diesen Gedanken schlafe ich ein.

    Ein neuer und heller Tag dieser Mittwoch, die Sonne über Kairo weckt mich und die Welt sieht ein wenig besser aus! Ich springe aus meinem Bett und öffne das Fenster. Es ist noch immer kalt, aber der Blick auf die Anlage und den Pool ist so inspirierend, dass ich in diesem Moment weiß die beste Entscheidung getroffen zu haben. Schließlich hatte noch der Jakobsweg eine Rolle in meinen Überlegungen und Recherchen über etwas Neues, etwas Abenteuerliches gespielt. Der war mir allerdings zu überlaufen, irgendwie Mainstream. Doch im August 2016 war sie plötzlich vor meinen Augen, die Tour d’ Afrique. Es hatte nur dreieinhalb Sekunden gebraucht bis zur Registrierung. Mit diesem Blick aus dem Fenster des Hotels ist klar – hier bin ich richtig.

    Noch zwei Tage und es geht los.

    Ich mache mich daran, mein Fahrrad auszupacken, mein Zebra, das ich wie ein solches lackiert habe, um dem afrikanischen Gedanken Nachdruck zu verleihen. Kein Rennrad, kein langsames Mountainbike, einfach ein stabiler Cyclocrosser - ein schnelles Zebra. Wunderhübsch – bin ganz verliebt in das Ding! Suse ist auch dabei, ihres auszupacken. Wir haben uns hierfür einen Platz am Pool reserviert. Nichts kann uns ablenken, akribisch schrauben wir und fügen alles zusammen. Sind ganz heiß auf die erste kleine Probefahrt am Nachmittag.

    Das erste Mittagessen gibt es auch am Pool. Das freut mich, bin schon gewaltig hungrig und

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